Wie man keinen Nobelpreis gewinnt - Nils Hansson - E-Book

Wie man keinen Nobelpreis gewinnt E-Book

Nils Hansson

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Beschreibung

Narkose, Dialyse, Ultraschall: Diese Errungenschaften der modernen Medizin retten täglich Millionen Menschenleben weltweit. Und doch wurden sie zur Zeit ihrer Erfindung als sonderbar abgetan und die Erfinder erhielten keine Anerkennung für ihre Arbeit. Das möchte der Medizinhistoriker Nils Hansson ändern! Er wagt einen Blick hinter die Kulissen der Nobelpreisverleihung und untersucht das Phänomen der Hidden Champions des Gesundheitswesens, die aus den kuriosesten Gründen bei den Preisverleihungen leer ausgingen – etwa, weil die Erfindungen zu revolutionär, oder die Forschenden weiblich waren, oder weil sie schlicht nicht gut genug aussahen. Eine alternative Medizingeschichte über Erfindungen, die heute nicht mehr wegzudenken sind.

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Seitenzahl: 219

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Impressum

© eBook: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

© Printausgabe: 2023 GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, Postfach 860366, 81630 München

Gräfe und Unzer ist eine eingetragene Marke der GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, www.gu.de

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie Verbreitung durch Bild, Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Projektleitung: Ariane Heger, Celine Koch

Lektorat: Judith Heisig

Korrektorat: Andrea Lazarovici

Umschlaggestaltung und Grafik S. 238 f.: Ki36 Editorial Design, München, Bettina Stickel

eBook-Herstellung: Maria Prochaska

ISBN 978-3-8338-9106-9

1. Auflage 2023

Bildnachweis

Fotos: Alamy Stock Photo; mauritius images; Interfoto; akg-images; gemeinfrei; Langfiér Ltd./ CC BY 4.0; Getty Images; picture alliance

Syndication: www.seasons.agency

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Geleitwort von Frank Elstner

Zehn Jahre lang lief die Kultserie Die stillen Stars im Abendprogramm des ZDF. 132 Sendungen wurden ausgestrahlt. Die Idee zu dieser Serie hatte ich, als ich beim Zappen im französischen Fernsehen ein Porträt über Einstein sah. Beiläufig sagte ich zu meiner Frau, dass ich so eine Koryphäe gern interviewt hätte. In der folgenden Diskussion fiel dann die Frage: Wer sind denn die Einsteins von heute? Vielleicht die naturwissenschaftlichen Nobelpreisträger? Und da machte es plötzlich Gong: Die sammeln wir jetzt und schaffen so eine nie da gewesene Bilanz des Wissens.

Mein bester Freund und Co-Geschäftsführer der Frank Elstner Produktion Dr. Heinrich Walter wollte mir diese Idee ausreden. Er glaubte nicht daran, dass ein Laie genügend Spannung und Interesse in einer solchen Sendung aufbauen könnte. Mein Ehrgeiz war angestachelt: Ich ging zur Bank und lieh mir eine größere Summe, um in Eigenregie mit einem ausgesuchten Technikteam die ersten Nobelpreisträger in Kalifornien zu kontaktieren. Mit elf fertigen Sendungen kehrte ich nach Deutschland zurück. Damals hatte ich einen enormen Erfolg mit meiner Samstagabendshow Wetten, dass …?, sodass mein Wort und Angebot beim ZDF schnell Resonanz fand. Ich einigte mich mit dem ZDF auf monatlich eine Sendung. Daraus wurden insgesamt 138 Folgen, von denen 132 ausgestrahlt wurden. Die restlichen Sendungen kamen nicht mehr zum Zuge, da ich meinen ZDF-Vertrag beendete und zu meinem alten Arbeitgeber RTL zurückkehrte. Dort hatte ich 18 Jahre lang den Rundfunk für Deutschland mitgeleitet und wollte nun beim Fernsehaufbau helfen. Das ZDF fand diese Entwicklung nicht förderlich und hörte deshalb mit den Nobelpreisträgern auf.

Inzwischen sind 36 Jahre vergangen, und durch den Besuch von Nils Hansson bei mir in Baden-Baden im Frühling 2023 habe ich mich in das Thema neu verliebt. Mit den Erfahrungen der Vergangenheit und den Vorschlägen von Herrn Hansson und anderen Kollegen werde ich mich bemühen, diese einmalige Reihe wieder aufleben zu lassen.

Die Persönlichkeiten, die ich kennengelernt habe und die mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden, haben sehr viele Gemeinsamkeiten, um die man sie beneiden kann. Sie sind unerbittlich neugierig, ausdauernd fleißig, ja in gewisser Weise sogar stur, um ein Mal in ihrem Leben in die Lage zu kommen, etwas als allererster Mensch gesehen oder erfahren zu haben. Und es ist nicht weniger spannend, die Forscherinnen und Forscher zu treffen, die den Nobelpreis trotz bahnbrechender Forschung nicht erhielten.

Nils Hanssons Buch empfehle ich wärmstens allen, die sich für die innovativsten Forscherinnen und Forscher interessieren. Die Engländer haben dafür einen passenden Ausdruck: „It’s dynamite!“

Baden-Baden, Mai 2023

Frank Elstner

Vorwort

Als der schwedische Erfinder Alfred Nobel am 10. Dezember im Jahr 1896 mit nur 63 Jahren in seinem Ferienhaus im italienischen San Remo an einer Gehirnblutung starb, war er ein reicher Mann. Mit der Entwicklung des Dynamits hatte der studierte Chemiker, der 1833 als eines von acht Kindern in einer Stockholmer Ingenieursfamilie geboren wurde, ein Vermögen gemacht – er galt als einer der wohlhabendsten Menschen seiner Zeit. 1859 startete er, nachdem er viele Jahre zu Studienzwecken im Ausland verbracht hatte, erste Versuche, um die Explosionskraft des hochempfindlichen Nitroglyzerins kontrolliert für die Sprengtechnik zu nutzen. Mit der Idee, das Nitroglyzerin in Kieselgur aufzusaugen, gelang ihm 1867 der Durchbruch.1 Das Dynamit war erfunden. Und weil Alfred Nobel nicht nur ein guter Chemiker, sondern auch ein kluger Geschäftsmann war, machte er daraus ein erfolgreiches Unternehmen. Er ließ sich seine Erfindung in Schweden und im Ausland patentrechtlich schützen und verdiente so an jedem Einsatz von Dynamit mit – etwa beim Bau von Eisenbahnen, Straßen, Häfen, Tunneln und Bergwerken. Bis 1873 gründete er zudem 15 Unternehmen in 13 europäischen Ländern und in den USA. Am Ende seines Lebens hatte Nobel sagenhafte 355 Patente angemeldet.2

Alfred Nobel, der nie verheiratet war und keine Kinder hatte, hinterließ der Nachwelt also ein enormes Vermögen. Zwar erhoben seine Geschwister Anspruch auf das Erbe, doch Nobel hatte anderes im Sinn.3 Er wollte der Welt mehr hinterlassen als ein Mittel, das Explosionen auslösen kann – und hatte schriftlich vorgesorgt. In seinem Testament hielt er fest, dass sein immenses Vermögen in eine Stiftung fließen solle. Die Summe belief sich auf 31 Millionen Schwedische Kronen (nach heutigem Geldwert etwa 234 Millionen Euro), deren Zinsen jedes Jahr an besonders herausragende Forscherinnen, Forscher und Kulturpersönlichkeiten in den Kategorien Physik, Chemie, Physiologie oder Medizin, Literatur und Frieden vergeben werden sollten. Wörtlich heißt es: „[…] denen zugeteilt werden, die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen gebracht haben.“

Auszug aus Alfred Nobels Testament (1895):

„Mit dem ganzen Rest meines realisierbaren Vermögens ist folgendermaßen zu verfahren: Das Kapital, von den Testamentsvollstreckern in sicheren Wertpapieren realisiert, soll einen Fond bilden, dessen jährliche Zinsen als Preise denen zugeteilt werden, die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen gebracht haben. Die Zinsen werden in fünf gleiche Teile geteilt, von denen zufällt: ein Teil dem, der auf dem Gebiete der Physik die wichtigste Entdeckung oder Erfindung gemacht hat; ein Teil dem, der die wichtigste chemische Entdeckung oder Verbesserung gemacht hat; ein Teil dem, der die wichtigste Entdeckung auf dem Gebiete der Physiologie oder der Medizin gemacht hat; ein Teil dem, der in der Literatur das Beste in idealistischer Richtung geschaffen hat; ein Teil dem, der am meisten oder am besten für die Verbrüderung der Völker gewirkt hat, für die Abschaffung oder Verminderung der stehenden Heere sowie für die Bildung und Verbreitung von Friedenskongressen. Die Preise für Physik und Chemie werden von der Schwedischen Akademie der Wissenschaften verteilt; die für physiologische oder medizinische Arbeiten vom Karolinischen Institut in Stockholm und die für die Eifrigsten im Kampf um den Frieden von einem Ausschuss von fünf Personen, die vom norwegischen Storting gewählt werden. Es ist mein ausdrücklicher Wille, dass bei der Preisverteilung keinerlei Rücksicht auf die Nationalität genommen werden darf, sodass nur der Würdigste den Preis erhält, ob er nun Skandinavier ist oder nicht.“

Fünf Jahre nach seinem Tod war Nobels Vision Wirklichkeit geworden: Die ersten Auszeichnungen wurden 1901 in Stockholm verteilt. Preisträger waren Sully Prudhomme (Literatur), Conrad Wilhelm Röntgen (Physik), Emil von Behring (Physiologie oder Medizin), Jacobus van’t Hoff (Chemie) sowie Jean Henry Dunant und Frederic Passy (Frieden). Heute, mehr als 120 Jahre später, gilt der Nobelpreis weltweit als die prestigeträchtigste Auszeichnung für Forscherinnen und Forscher.4

Der Prestigegewinn des Preises macht sich übrigens auch an der gestiegenen Zahl der Gäste bemerkbar. Am ersten Nobel-Dinner, das bis heute einen wichtigen Bestandteil der Preiszeremonie darstellt, nahmen 113 Gäste teil; sie bekamen Rinderfilet imperialer Art serviert, dazu deutsche und französische Weine. Gespeist wurde im Spiegelsaal des Grand Hôtel in Stockholm, das drei Jahrzehnte lang als Veranstaltungsort für das Bankett diente. Später verlegte man es in das Stockholmer Rathaus, um mehr Gästen Platz zu bieten. Das war dringend nötig: Heute werden zum Nobel-Dinner jedes Jahr rund 1300 Gäste aus Wissenschaft, Politik, Diplomatie, Wirtschaft und Kultur eingeladen.

Für das Essen werden der Nobelstiftung alljährlich drei Menüvorschläge von international anerkannten Küchenchefs zur Verkostung vorgelegt. Das ausgewählte Menü bleibt bis zum Tag des Nobel-Banketts strikt geheim. Wie Sie an den einzelnen Fallbeispielen in den Kapiteln sehen werden, erzählen die Menüs zugleich eine interessante kulinarische Kulturgeschichte seit 1901.

Von Visionären zu Verlierern – eine alternative Nobelpreisgeschichte

Seit nunmehr zehn Jahren forsche ich über Anerkennung in den Wissenschaften, speziell zum Thema Exzellenz und Eliten in der Medizin. Für mich als gebürtigen Schweden liegt es nahe, dass einer meiner Forschungsschwerpunkte auf dem Nobelpreis liegt – abgesehen von Astrid Lindgren, Ikea und ABBA wird international wohl nichts anderes so sehr mit Schweden assoziiert. Auch in die Populärkultur hat er Einzug gehalten, sei es in die Literatur wie in dem Roman Solar von Ian McEwan oder in populären Serien wie Big Bang Theory, The Simpsons oder Southpark. Der Nobelpreis ist überall.

Anfangs war es spannend, mir die Geschichten der Preisträger anzusehen. Ganz selbstverständlich richtete ich meinen Blick auf die Sieger, auf diejenigen, die im Rampenlicht stehen. Doch je mehr ich das tat, desto häufiger stolperte ich über die Geschichten abseits der Ausgezeichneten. Ich begann mich zu fragen, inwieweit die Auszeichnungen verdient waren. Hatte das Nobelkomitee bei seiner Arbeit tatsächlich Nobels letzten Willen erfüllt? Werden wirklich immer diejenigen geehrt, deren Forschung der Menschheit den größtmöglichen Nutzen gebracht hat? Ist es angesichts der riesigen Menge an Nominierungen überhaupt möglich, diesem Ziel gerecht zu werden? Erhalten die Richtigen den Nobelpreis?

Je mehr ich mich mit diesem Thema auseinandersetzte, desto mehr begann ich mich für diejenigen zu interessieren, die den Preis nicht bekamen.5 Warum hatten sie es trotz zum Teil Dutzender Nominierungen nicht geschafft? Waren sie nicht gut genug gewesen?6 Oder hatten sie einfach Pech gehabt, weil niemand ihre Genialität erkannte? Kurz: Was unterscheidet eigentlich die oft nominierten, aber letztlich erfolglosen Wissenschaftlern von den Preisträgern? Fortan lagen auf meinem Schreibtisch nicht mehr die Akten der Nobelpreisträger, sondern die der „Loser“. Das Projekt „Hochbegabte Verlierer“ war geboren.7

Gemeinsam mit Doktorandinnen und Doktoranden sowie weiteren Kolleginnen und Kollegen aus der Wissenschaft habe ich mir in den vergangenen Jahren angeschaut, welchen Beitrag diese „hochbegabten Verlierer“ für die Entwicklung der Medizin geleistet haben. Dabei handelt es sich um bekannte, aber auch unbekannte Persönlichkeiten der Medizingeschichte, darunter der Berliner Chirurg Ferdinand Sauerbruch, der für die Entwicklung einer Armprothese und einer Brustkorboperation nominiert war, oder der schwedische Orthopäde Gustav Zander, der eine frühe Variante des Fitnessstudios ins Leben rief. Beide wurden trotz ihrer originellen Erfindungen nie mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

Was auch immer dahintersteckte – wir wissen aus den Erzählungen einiger Kandidaten, dass der Nichterhalt des Preises für sie durchaus ein traumatisches Ereignis war. Der bekannte Chemiker Carl Djerassi beispielsweise, dessen Idee zur Synthetisierung von Gestagen die erste Antibabypille ermöglichte, hat seine Niederlage in einem Buch und einem Theaterstück verarbeitet.

Djerassi schuf in seinem 1991 erschienenen Roman Cantors Dilemma die Figur Isidore Cantor, einem Zellbiologen, Ende fünfzig, der einen Lehrstuhl an einer Uni in der Nähe von Chicago innehat.8 Als dieser beim nächtlichen Toilettengang einen plötzlichen Geistesblitz hat – eine plausible Hypothese der Tumorentstehung –, wähnt er sich dem Nobelpreis nahe. Sehr nahe. Darum, so viel sei an dieser Stelle verraten, nimmt er es mit der Überprüfung seiner Thesen nicht so genau. Ein sehr unterhaltsamer Roman, der die Wissenschaftsszene gezielt aufs Korn nimmt und in dem sich viele Forscherinnen und Forscher auf geradezu erschreckende Weise wiedererkennen.

Während Djerassi aus dem Thema ein (ziemlich erfolgreiches) Buch machte, verfolgte es andere im Traum. So erging es dem kanadischen Neurochirurgen Wilder Penfield, der eine Methode entwickelte, um Menschen im wachen Zustand am Gehirn zu operieren. Penfield hatte für diese bahnbrechende Forschung in den 1950er- und 1960er-Jahren eine ganze Reihe renommierter Preise erhalten und wurde regelmäßig als höchst aussichtsreicher Nobelpreiskandidat gehandelt. Laut der kanadischen Historikerin Delia Gavrus litt er an wiederkehrenden Albträumen, die er in seinem Tagebuch festhielt.9 Im Traum fand er sich irgendwo in einem Raum wieder, umgeben von Menschen, die über den Nobelpreis sprachen. „Wer hat ihn gewonnen?“, wollte Penfield wissen. „Du hast ihn gewonnen“, antwortete jemand. Und dann wachte Penfield auf. Er starb 1976 mit 85 Jahren in seiner Geburtsstadt Montreal – die für ihn so wichtige Auszeichnung hatte er bis zuletzt nicht erhalten.

Carl Djerassi und Wilder Penfield sind nur zwei von vielen außergewöhnlichen und sehr erfolgreichen Wissenschaftlern, die als aussichtsreich für den Medizin-Nobelpreis galten – und am Ende dennoch leer ausgingen. In diesem Buch erzähle ich viele weitere Geschichten dieser hochbegabten Verliererinnen und Verlierer. Dazu habe ich nicht nur das Leben und die Wissenschaftskarriere dieser Menschen untersucht, sondern auch verschiedene Orte von Austin bis Zwickau besucht, die in einem besonderen Zusammenhang mit dem Nobelpreis stehen. Dieses Buch soll eine alternative Nobelpreisgeschichte erzählen und diejenigen ehren, die sich (teilweise) zu Unrecht nie im Rampenlicht der wichtigsten akademischen Auszeichnung der Welt bewegen durften.

Wenn das nächste Mal im Oktober die Laureaten verkündet und im Dezember die Nobelpreise in Stockholm verliehen werden, denken dann vielleicht auch Sie an die vielen „Loser“. Würdigen Sie all jene Forscherinnen und Forscher, die die bereits gekühlten Champagnerflaschen zurück in den Keller bringen und auf das nächste Jahr hoffen: „Same procedure as last year, same procedure as every year.“

Brillante Verlierer und das Mysterium Nobelpreis

Wer es geschafft hat, wird an die Wand gehämmert. In schlichten Rahmen hängen sie hier, im Korridor des altehrwürdigen Brigham and Women’s Hospital in Boston. Hier, im Gebäudeteil Nesson Pike, ist die Sammlung Healers of Our Age des kanadischen Fotografen Yousuf Karsh zu sehen: schwarz-weiße Porträtfotos von Medizinerinnen und Medizinern unterschiedlichster Disziplinen, darunter von dem Arzt und Theologen Albert Schweitzer, der Kinderkardiologin Helen B. Taussig und von Henry K. Beecher, Pionier der medizinischen Forschungsethik. Eine beeindruckende Galerie.

Vor ein paar Jahren war ich einige Monate als Gastforscher an der Harvard University tätig. Die ganze Stadt, so schien es mir damals, atmete den Duft von Genialität. Kein Wunder, keine andere Universität hat so viele Nobelpreisträgerinnen und -preisträger hervorgebracht. Meine Kollegen vor Ort erzählten mir nur halb scherzhaft, dass man Forscherinnen und Forscher der Universität Anfang Oktober nur im Notfall kontaktieren dürfe, da viele auf den Anruf aus Stockholm warteten und die Leitung stets frei sein solle.

Eine Idee wird geboren

Die Begegnung mit den gerahmten Prominenten machte mich neugierig. Ich begann Biografien zu lesen, die Nachlässe der Helden in der Countway Library der Harvard Medical School zu sichten. Dabei stellte ich fest: Viele der Geschichten kamen mir bekannt vor. Und vermutlich nicht nur mir: Sie sind im öffentlichen Gedächtnis verankert, in zahlreichen Romanen und Filmen schillernd erzählt worden. Forschungsinstitute und Schulen wurden nach den Preisträgerinnen und Preisträgern benannt, und manche Heureka-Momente dieser Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sogar Teil von Kreuzworträtseln.

Fast jedes Schulkind hat schon einmal gehört, wie der schottische Bakteriologe Alexander Fleming durch Schlamperei Penicillin entdeckte, als er im Spätsommer 1928 aus den Ferien in sein Labor zurückkehrte und auf eine ungewaschene Petrischale mit verschimmelter Bakterienkultur stieß. Die grünen Schimmelpilze, so nahm Fleming zu Recht an, hatten die Bakterien zerstört. Eine Beobachtung, für die er 17 Jahre später den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhalten sollte.

Ja, das ist eine spektakuläre Story. Und dennoch: Während meiner Recherche merkte ich, dass Erfolgsgeschichten dieser Art schnell langweilig werden können. Alles, so schien mir, war bereits berichtet worden. Die Heldengeschichten waren schlicht auserzählt. Sollte ich das Thema fallen lassen? Nein, dazu war ich nicht bereit. Zu sehr hatte mich das Mysterium Nobelpreis gepackt.

Warum, fragte ich mich, übt diese Auszeichnung eine derartige Faszination auf die Menschen aus? Wie wurde sie zu einer Art Olympische Spiele der Wissenschaft, Politik und Kultur?10 Es gibt ältere Preise und auch höher dotierte. Medienskandale wie bei den Oscar Academy Awards 2022, als Will Smith den Moderator Chris Rock ohrfeigte, sucht man vergeblich bei der steifen Verleihungszeremonie, die stets nach Plan verläuft, fast schon langweilig. Hinzu kommt: Der Preis wird im kleinen, peripheren Schweden vergeben (einem Land, das außerhalb Europas übrigens oft mit der Schweiz verwechselt wird). Ich darf das so kritisch sagen, schließlich stamme ich von dort (und wurde bei diversen Auslandsaufenthalten schon häufiger auf unsere köstliche Schokolade und den leckeren Käse angesprochen). Die Frage, die in mir nachhallte, lautete also: Warum gilt der Nobelpreis als das Nonplusultra? Warum bekommt er dermaßen viel Aufmerksamkeit?

Fest steht, dass kein anderer Preis den Ehrgeiz der Nationen dermaßen anfacht: 2001 setzte sich die japanische Regierung das Ziel, bis 2050 dreißig Nobelpreise für Japan zu erringen.11 Und in der Chinese Academy of Sciences and Engineering wurden kurz vor der Jahrtausendwende Stimmen laut, es sollten endlich Voraussetzungen geschaffen werden, um mindestens einen Nobelpreis nach China zu holen.12 Ob die ehrgeizige japanische Initiative erfolgreich sein wird, steht noch in den Sternen. Die chinesische Akademie jedoch hat mit der Pharmakologin und Malariaforscherin Tu Youyou 2015 ins Schwarze getroffen. Mit ihr wurde erstmals ein Nobelpreis für Physiologie oder Medizin vergeben, der sich auf wissenschaftliche Leistungen innerhalb Chinas bezieht. Außerdem war sie damit die erste chinesische Frau, die einen Nobelpreis erhielt.

Von Beginn an wurde die Auszeichnung instrumentalisiert, um das wissenschaftliche Ansehen von Nationen zu unterstreichen. „Der Preis wurde als ein Symbol nationaler Überlegenheit angesehen, so wie man die meisten Schlachtschiffe, die schnellsten Autos oder die meisten olympischen Goldmedaillen besitzt“, heißt es in einem Band über die Geschichte des Nobelpreises.13 Und so zeigt diese Geschichte zugleich, wie bestimmte Länder entweder Zentren oder eher periphere Orte in Wissenschaft und Medizin waren und wie sich ihre Position im Lauf der Zeit veränderte. In einem Beitrag in der amerikanischen Fachzeitschrift Journal of the American Medical Association wurde beispielsweise die Frage aufgeworfen, warum im Vergleich der Nationen ausgerechnet amerikanische Wissenschaftler den „Himalaya der medizinischen Forschung“ am häufigsten erreicht hätten einschließlich des Nobelpreises für Physiologie oder Medizin, der „immer noch alle anderen Forschungspreise in der öffentlichen Wahrnehmung überragt“.14 Die Autoren vermuten, dass die frühe Vernetzung an hochrangigen Einrichtungen die Chance erhöht, in späteren Jahren einen Preis zu erhalten. Dies zeige die Tatsache, dass eine Reihe von Absolventen der Ivy League, zu der angesehene Universitäten wie Harvard, Princeton oder Yale gehören, seit den 1950er-Jahren mehrere der renommiertesten Preise gewonnen haben. Ihre These deckt sich mit den Erkenntnissen des Wirtschaftswissenschaftlers Miguel Urquiola, der die Biografien von Nobelpreisträgerinnen und -preisträgern untersuchte, um wichtige Forschungseinrichtungen ausfindig zu machen. Dabei stellte er fest, dass die US-amerikanischen Einrichtungen ihren europäischen Pendants deutlich voraus sind.15

Ein Schwede verleiht den Preis an alte Herren aus den USA – so kann einem die alljährliche Nobelpreiszeremonie durchaus vorkommen. Tatsächlich suggeriert die Geschichte des Nobelpreises, dass Männer und Amerikaner von Natur aus in der Wissenschaft überlegen sind. (Dass das nicht stimmt und wie wir die Ungleichheit bekämpfen können, beleuchte ich in Kapitel fünf.)

Trotz dieser wiederkehrenden Kritik ist die Wirkung des Nobelpreises weiterhin immens. Das geht so weit, dass er anderen Preisstiftern als Vorbild dient. Ein Beispiel ist der Virchow Prize for Global Health, der seit 2022 in Berlin vergeben wird. Das Auswahlverfahren, die Jurymitglieder, das ganze Marketing – viele Aspekte weisen Ähnlichkeiten mit dem Nobelpreis auf. Andere nutzen die schwedische Auszeichnung für einen direkten Vergleich: So wird die Fields-Medaille als Nobelpreis für Mathematik bezeichnet, der Schweizer Wissenschaftspreis Marcel Benoist als schweizerischer Nobelpreis, der Leibniz-Preis als deutscher Nobelpreis.

Offenbar ist unsere Gesellschaft fasziniert davon, einzelne Personen auszuzeichnen, und möchte diese Auszeichnung entsprechend inszenieren. Ein Beispiel dafür sind die seit 2012 von IT-Milliardären vergebenen Breakthrough-Preise in Physik, Life Sciences und Mathematik mit einem Preisgeld von je drei Millionen Dollar. Sie werden von Prominenten aus Film- und Showbiz vergeben. Der Mix aus viel Geld, Unterhaltung und der Präsentation von Spitzenforschern soll die Begeisterung für Wissenschaft (und vielleicht auch für die IT-Milliardäre) fördern.

Im Operationssaal des Nobelpreises

Um dem Mysterium des Nobelpreises weiter auf den Grund zu gehen, wollte ich dorthin fahren, wo über Sieg oder Niederlage entschieden wird: nach Stockholm ins Archiv des Nobelkomitees für Physiologie oder Medizin. Hier lagern nicht nur alle Akten zu den Nominierten, hier tagt auch jedes Jahr aufs Neue die fachkundige Jury.

Doch zunächst stieß ich auf verschlossene Türen. Eine Begutachtung der Akten, ließ man mich wissen, sei so ohne Weiteres nicht möglich. Erstens seien die Akten grundsätzlich erst fünfzig Jahre nach der Vergabe des Preises zu öffnen, bis dahin stünden sie unter strengem Verschluss. Zweitens könne nicht jeder Einsicht nehmen. Die Begründung des Interesses, betonte man, müsse hieb- und stichfest sein. Welche Akten wolle ich einsehen – und warum? Auf die zweite Frage hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch keine Antwort. Ich hatte keinen blassen Schimmer, wohin mich meine Suche nach den „hochbegabten Verlierern“ führen würde.

Die Liste, die ich schließlich an das Archiv schickte, wirkte daher auf den ersten Blick willkürlich und unsystematisch. Sie umfasste zehn Namen von sehr unterschiedlichen Wissenschaftlern, die nur eines gemeinsam hatten: Sie alle hatten die Nobelmedaille niemals erhalten. Falls jemand der Mitarbeiterinnen es merkwürdig fand, dass ich mich nur für Loser interessierte, ließ man es sich zumindest nicht anmerken. Ich erhielt einen Termin und kam mir fast wie ein medizinhistorischer Geheimagent vor, als ich in den Flieger nach Stockholm stieg. Meine Erwartungen waren durch die lange Wartezeit noch größer geworden. Was würde ich in den Akten finden?

Das Nobelforum liegt am Karolinska-Institut in der Stockholmer Gemeinde Solna, passenderweise am Nobels väg 1 (Nobelgasse). Die Straßen um das Gebäude herum sind ebenfalls nach bekannten Stockholmern benannt: von Eulers väg nach einem Nobelkomiteemitglied und Nobelpreisträger, Berzelius väg nach dem „Vater der modernen Chemie“ und nebenan der Nanna Svartz väg nach der ersten Medizinprofessorin an einer öffentlichen Universität in Schweden. Das Gebäude ist schlicht und modern. Niemand würde vermuten, dass hinter den Mauern hundert Jahre alte Akten liegen. Am Empfang musste ich mich ausweisen, bevor mich eine Mitarbeiterin zum Aufzug führte. Sie schaute mich von der Seite an und sagte: „Es tut mir leid, aber alle Plätze im Besucherraum sind heute besetzt. Würde es dir etwas ausmachen, wenn du die Akten im Konferenzraum ansiehst?“ (Für alle, die sich wundern, dass mich eine fremde Frau duzte: In Schweden wird niemand gesiezt, mit Ausnahme des Königs.) Etwas ausmachen? Ganz im Gegenteil: Ich war begeistert. Denn der Raum, in dem ich sitzen sollte, war das Zimmer, in dem sich die Jury traf, um über die vorgeschlagenen Kandidatinnen und Kandidaten zu diskutieren und schließlich eine Entscheidung zu treffen. Dies war sozusagen der Operationssaal des Nobelpreises für Physiologie oder Medizin.

An diesem Tag saß ich allein an dem riesigen runden Tisch und betrachtete die Bilder der Jurymitglieder an den Wänden, während ich auf die von mir bestellten Akten wartete. Männer in dunklen Anzügen, weißen Hemden und einfarbigen Krawatten reihten sich aneinander. Alle mit ernsten Blicken. Als seien sie sich ihrer Wichtigkeit bewusst.

In Gesprächen mit früheren und aktuellen Nobelkomiteemitgliedern habe ich erfahren, dass man als Jurymitglied von einigen Forschern geradezu umworben wird. Man bekommt Einladungen zu den tollsten Veranstaltungen. Dabei geht es den Gastgebern vor allem darum, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ein Beispiel soll hier genügen: Zwischen 1988 und 1997 war der Stockholmer Leukämieforscher Gösta Gahrton in die Arbeit der Nobelgremien eingebunden, teils als Mitglied der großen Nobelversammlung, teils im Inner Circle, dem Nobelkomitee. Über einige Erfahrungen berichtet er in einem Buch,16 beispielsweise über luxuriöse Reisen. Mehrmals, so erzählt Gahrton, wurde er eingeladen, um im Ausland Vorträge zu halten. Vor Ort aber musste er feststellen, dass der Vortrag nicht der eigentliche Grund für die Reise war. Stattdessen hielten die Gastgeber nach seinem Vortrag detaillierte Referate, um offenbar die eigenen Nobelpreischancen zu erhöhen.

Während ich die Fotos im Tagungsraum des Nobelkomitees betrachtete und überlegte, ob sich die Jury von solchen Aufmerksamkeiten wohl beeinflussen ließ und ab wann man als bestechlich gilt, kam die Mitarbeiterin herein und schob einen altmodischen Wagen vor sich her. Darauf: ein Stapel von dicken Büchern. „Lass dir Zeit“, sagte sie und verschwand wieder. Aufgeregt zog ich das erste Buch vom Stapel und begann zu lesen.

Die geheimen Jahrbücher der Preisjury

Die Tatsache, dass ich hier sitzen und in Ruhe Akte für Akte durchgehen konnte, war keine Selbstverständlichkeit. Denn ursprünglich waren die Jahrbücher der Preisjury nie für die Öffentlichkeit gedacht gewesen. Erst Mitte der 1970er-Jahre begann man das Nobelarchiv für Forscherinnen und Forscher zu öffnen. Dabei gibt es jedoch einen Haken: Wegen der Sperrfrist sind keine Nobel-Unterlagen aus den letzten fünfzig Jahren einsehbar. Hinzu kommt, dass die meisten der Akten auf Schwedisch verfasst sind. Die wenigsten internationalen Forscherinnen und Forscher können also damit arbeiten.

Wer anfängt zu stöbern, findet nicht nur die Gutachten der Jury, sondern auch die Nominierungen, die von Forscherinnen und Forschern aus aller Welt eingereicht wurden. Diese sind ebenso spannend wie die Gutachten selbst. Denn sie offenbaren, dass es bei der Wahl der Preisträgerinnen und Preisträger häufig nicht nur um die wissenschaftliche Leistung oder die bahnbrechende Entdeckung an sich geht, sondern auch um die Frage, wer die besten persönlichen und institutionellen Beziehungen vorweisen kann. Sprich: Wer keine Lobby hat, wird niemals einen Preis bekommen.

Sich selbst vorzuschlagen ist übrigens nicht erlaubt. Gehalten haben sich daran nicht alle. So leitete beispielsweise der Leipziger Medizinhistoriker Karl Sudhoff die am 31. Januar 1918 verfasste Nominierung für den Kollegen Julius Hirschberg für seine Arbeiten zur Geschichte der Augenheilkunde recht frech ein, indem er sich zunächst selbst als Kandidaten ins Spiel brachte.17

Am Ende eines langen Archivtags legte ich auf meinem Laptop einen neuen Ordner mit dem Titel „Brillante Verlierer“ an. In ein leeres Dokument schrieb ich: Wer sind die Tausende von nominierten Forscherinnen und Forschern, die es nicht in die erste Reihe geschafft haben – und das, obwohl sie zum Teil unglaubliche 80 Mal nominiert waren und als geniale Koryphäen auf ihrem Gebiet galten? Warum sind sie nie dort gelandet? WARUM SIND SIE GESCHEITERT?

Damit hatte ich meine Ausgangsfrage das erste Mal schwarz auf weiß formuliert. Eine Antwort darauf zu finden war nicht einfach, das sei an dieser Stelle bereits verraten. Zu viele unterschiedlichste Gründe spielen eine Rolle. Man kann hier mit Tolstoi sprechen und das Anna-Karenina-Prinzip paraphrasieren: „Alle glücklichen Laureaten gleichen einander, jeder unglückliche Nobelkandidat ist auf seine eigene Weise unglücklich.“ (Der russische Autor gehörte übrigens ebenfalls in die Gruppe der brillanten Verlierer, wurde er doch bis zu seinem Tod 1910 mehrmals vergeblich für den Literatur-Nobelpreis nominiert.) Oder man greift auf eine Aussage des Informationswissenschaftlers Eugene Garfield zurück. Der sagte einmal sinngemäß: Die Entscheidung zwischen einer so großen Anzahl an herausragenden Forscherinnen und Forschern unterschiedlicher Disziplinen wirkt ein wenig, als würde man Bilder zweier genialer Maler wie Rembrandt und Matisse vergleichen.