Wildblütenzauber - Anne Töpfer - E-Book
SONDERANGEBOT

Wildblütenzauber E-Book

Anne Töpfer

0,0
9,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Freundschaft, Liebe, Rezepte und ein altes Familiengeheimnis – der neue Roman von Bestsellerautorin Anne Töpfer Sarah kann den Schmerz kaum ertragen. Ihre Mutter ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Halt findet Sarah bei Doreen, mit der sie schon seit der Kindheit eine tiefe Freundschaft verbindet. Sarah entscheidet sich dazu, in die Nähe ihrer Freundin zu ziehen, die in einem kleinen Ort in der Vorpommerschen Boddenlandschaft lebt. Hier möchte Sarah noch einmal ganz von vorne anfangen. Doch dann findet sie im Nachlass der Mutter ein altes Herbarium. Es gehörte Großtante Rosa, von deren Existenz Sarah bisher nichts wusste. Sarah begibt sich auf Spurensuche nach Nürnberg. Hier erfährt sie etwas über ihre Herkunft, das alles verändert.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Wildblütenzauber

Die Autorin

Anne Töpfer ist das Pseudonym der Autorin Andrea Russo. Sie schreibt auch als Anne Barns. Vor einigen Jahren hat sie ihren Beruf als Lehrerin aufgegeben, um sich ganz auf ihre Bücher konzentrieren zu können. Wenn Andrea Russo mal nicht schreibt, findet man sie in der Küche, wo sie an neuen Backrezepten für ihre Bücher arbeitet.

Das Buch

Freundschaft, Liebe, Rezepte und ein altes Familiengeheimnis – der neue Roman von Bestsellerautorin Anne TöpferSarah kann den Schmerz kaum ertragen. Ihre Mutter ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Halt findet Sarah bei Doreen, mit der sie schon seit der Kindheit eine tiefe Freundschaft verbindet. Sarah entscheidet sich dazu, in die Nähe ihrer Freundin zu ziehen, die in einem kleinen Ort in der Vorpommerschen Boddenlandschaft lebt. Hier möchte Sarah noch einmal ganz von vorne anfangen. Doch dann findet sie im Nachlass der Mutter ein altes Herbarium. Es gehörte Großtante Rosa, von deren Existenz Sarah bisher nichts wusste. Sarah begibt sich auf Spurensuche nach Nürnberg. Hier erfährt sie etwas über ihre Herkunft, das alles verändert.

Anne Töpfer

Wildblütenzauber

Roman

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch 1. Auflage Juli 2021© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021Umschlaggestaltung: bürosüd˚ GmbH, MünchenTitelabbildung: © www.buerosued.de E-Book-Konvertierung powered by PepyrusISBN 978-3-548-29065-2

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

Auf einigen Lesegeräten erzeugt das Öffnen dieses E-Books in der aktuellen Formatversion EPUB3 einen Warnhinweis, der auf ein nicht unterstütztes Dateiformat hinweist und vor Darstellungs- und Systemfehlern warnt. Das Öffnen dieses E-Books stellt demgegenüber auf sämtlichen Lesegeräten keine Gefahr dar und ist unbedenklich. Bitte ignorieren Sie etwaige Warnhinweise und wenden sich bei Fragen vertrauensvoll an unseren Verlag! Wir wünschen viel Lesevergnügen.

Hinweis zu UrheberrechtenSämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

1

1

Sie ist hier, denke ich.

Gänsehaut kriecht an meinen Knöcheln hoch und breitet sich über meinen ganzen Körper aus, ein warmes Gefühl durchströmt mich. Mein Blick geht zum Himmel. Den ganzen Morgen schon steht die Luft. Doch jetzt, genau in diesem Moment, kommt Wind auf, streicht über meine Arme und auch über die Äste der Winterlinde. Unzählige kleine weiße Blüten rieseln herab, tanzen durch die Luft und funkeln wie magisch in der Sonne. Ich atme tief den intensiv süßen Duft ein, den sie verströmen, und schließe für einen Moment die Augen. Dabei schleicht sich die Stimme meiner Mutter in meinen Kopf.

Dreihundert Jahre kommt, dreihundert Jahre steht, dreihundert Jahre vergeht sie. Linden können stolze tausend Jahre alt werden.

Sie selbst hat gerade mal achtundsechzig geschafft – und war der festen Überzeugung, dass es nach dem Tod irgendwie weitergehen würde. Obwohl ich daran bisher nicht geglaubt habe, hoffe ich nun, dass sie recht hat. Und dass sie es ist, die lächelnd alle Hebel da oben in Bewegung setzt, um die Blüten rieseln zu lassen.

Ich öffne die Augen und beobachte, wie eine davon auf dem dunklen Haar meiner Freundin landet.

Doreen greift nach meiner Hand. Erst vor ein paar Tagen habe ich ihr eine Papiertüte voll Heilkräutertee überreicht, den meine Mutter extra für sie zusammengemischt hatte. Er bestand zum großen Teil aus den Blüten der alten Linde im Park. Den Baum hat meine Mutter besonders geliebt. Sie hat oft auf der Bank darunter gesessen, vertieft in ein gutes Buch. Neben ihr stand immer eine Thermoskanne mit warmem Tee, auch im Sommer. Ich kann sie bildlich vor mir sehen, ihren Kopf mit dem kurz geschnittenen blonden Haar über die Lektüre gebeugt.

Bücher haben eine große Rolle im Leben meiner Mutter gespielt. Als ich noch ein Kind war, hat sie mir jeden Abend etwas vorgelesen. Die halbe Stunde vor dem Zubettgehen habe ich immer geliebt. Ihre warme Stimme, dazu der Geruch ihres blumigen Parfüms, nach dem sie immer duftete, gaben mir das Gefühl von Geborgenheit. Aber am schönsten waren die Geschichten, wenn sie sie selbst erfunden hatte und ich mir aussuchen durfte, welche Rolle ich darin spielte. Dann habe ich mich als Prinzessin Sarah mit einem fliegenden Teppich auf eine Reise durch das Morgenland begeben. Ich habe als Tierretterin gleich ein ganzes Rudel Hunde gerettet. Oder als Detektivin einen schwierigen Fall aufgeklärt. Meine Mutter hat mir immer das Gefühl gegeben, tapfer und etwas ganz Besonderes zu sein.

Du bist klug, du bist nett, und du bist mutig. Du schaffst das, Sarah. Und wenn du mal nicht weiterweißt, bin ich immer für dich da.

Wie auf Kommando streicht Doreen mit dem Daumen über meinen Handrücken. Meine Mutter ist zwar nicht mehr bei mir, aber sie hat dafür gesorgt, dass ich eine gute Freundin habe, die nun für mich da ist. Ich bin nicht allein.

Mein Blick schweift über die Trauergemeinde, die sich hier versammelt hat. Fast alle tragen Schwarz, die Farbe, die meine Mutter am wenigsten von allen mochte. Sie liebte fröhliche Töne, Gelb, Orange und Türkis – wie das geblümte Kleid, das ich trage, zum Andenken an meine Mutter, die es so gewollt hätte. Auch Doreen hat sich für ein farbenfrohes Outfit entschieden. Gemeinsam leuchten wir in den Farben des Regenbogens. Meine Freundin hält noch immer meine Hand. Ohne sie würde ich das alles heute hier nicht meistern – ohne sie hätte ich die letzten Tage nicht überstanden, die die bisher schlimmsten meines Lebens waren.

An die dreißig Personen haben sich hier zusammengefunden, fast alle davon weiblich. Obwohl ich die Beisetzung nicht öffentlich gemacht habe, sind einige Trauergäste hier im Ruheforst zusammengekommen. Ich habe darum gebeten, von Beileidsbekundungen und großen Blumengestecken Abstand zu nehmen. Es sollte ein stiller Abschied werden. Nun löst sich die Gruppe nach und nach auf. Einzelne Blumen werden um das kleine Urnengrab herum abgelegt. Sie wirken wie fröhliche Farbtupfer zwischen dem Meer aus weißen Lindenblüten.

Als ich aus den Augenwinkeln einen der wenigen Männer auf uns zukommen sehe, atme ich tief ein und wieder aus. Auch Doreen hat ihn bemerkt. Sie rückt etwas näher an mich ran und legt ihren Arm um mich.

»Jetzt nicht!«, sagt sie in strengem Tonfall. Doch es ist zu spät, er steht schon direkt vor mir.

»Sarah, es tut mir so leid.« Kai streicht sich durch das dunkle volle Haar. »Du weißt, wie gern ich Barbara hatte. Wenn ich irgendwas für dich tun kann …«

Das ist zu viel für mich. Erst hat er mich verlassen, und jetzt meine Mutter. Allerdings war ihre Entscheidung keine freiwillige. Tränen schießen mir in die Augen, und ich schluchze laut auf.

»Verschwinde, Kai. Geh!«, zischt Doreen, zieht mich in ihre Arme und hält mich ganz fest.

So bleiben wir eine gefühlte Ewigkeit stehen. Erst als Doreen »Er ist weg« flüstert, löse ich mich von ihr.

»Danke.«

Meine Freundin streicht eine Haarsträhne aus meinem tränenfeuchten Gesicht. »Alles wird wieder gut, auch wenn es sich jetzt im Moment noch nicht so anfühlt.«

»Ich weiß.« Wieder atme ich tief ein. »Ich wünschte nur, ich könnte die Zeit ein bisschen nach vorne drehen. Vielleicht so um ein bis eineinhalb Jahre. Dann werde ich sie noch immer schmerzlich vermissen. Aber vielleicht tut es dann schon nicht mehr so weh.«

Wie auf Kommando kommt erneut Wind auf. Die Äste und Zweige der Linde bewegen sich, kleine weiße Blüten tanzen wieder durch die Luft.

Doreen zupft eine von ihnen aus meinem Haar. »Ich habe die ganze Zeit über das Gefühl gehabt, dass deine Mutter hier ist.«

Ich halte meine Hand an mein Herz, blinzele die Tränen weg und sage: »Sie wird immer bei mir sein.«

Nun laufen auch Doreen die Tränen über das Gesicht, und wir liegen uns wieder in den Armen.

Da sehe ich plötzlich eine grauhaarige Frau am Grab meiner Mutter knien. Sie steckt einen kleinen grünen Zweig in die Erde und bekreuzigt sich.

Auch Doreen hat sie bemerkt. »Wer ist das denn?«, fragt sie leise.

»Keine Ahnung.« Die Frau trägt einen dunklen langen Rock und darüber eine weite, mit gelben Ornamenten bestickte petrolfarbene Tunika. Um ihre Hüfte hat sie eine dunkelrote Bauchtasche gebunden. Ihre Haut ist gebräunt, das Haar hat sie zu einem losen Dutt hochgesteckt. »Vielleicht eine ehemalige Kollegin, eine Nachbarin oder Freundin ist es auf jeden Fall nicht. Das wüsste ich.«

Sie bleibt noch einen Moment knien, bevor sie sich aufrichtet, sich zu uns dreht und mir dabei direkt in die Augen sieht.

Die kenne ich irgendwoher, schießt es mir durch den Kopf.

Die zierliche Frau stützt sich an einem Stock ab. Trotzdem ist ihre Haltung erstaunlich aufrecht, fast erhaben, wie ich feststelle, als sie auf uns zukommt. Alles an ihr wirkt elegant, beinahe aristokratisch. Nur die weißen Turnschuhe, mit denen sie eindeutig kurz vorher noch durch feuchte Erde spaziert sein muss, passen so gar nicht zum Rest ihrer Erscheinung.

Gespannt warte ich, bis sie vor uns steht.

»Du solltest dir einen Tee daraus kochen, wenn du wieder zu Hause bist, Liebes«, sagt sie und hält mir ein Bündel Kräuter hin. Der würzige Duft steigt sofort in meine Nase. »Das wird dir helfen.«

Einen Moment vergesse ich fast, weswegen wir heute hier sind. »Danke.« Ich greife zu, zupfe eins der kleinen ovalen Blättchen ab und zerreibe es zwischen Daumen und Zeigefinger. »Thymian.«

»Der wilde Bruder, Quendel«, erklärt die Frau. »Er wirkt beruhigend. Trink abends eine Tasse Tee, das lässt dich leichter einschlafen.« Sie mustert mich. »Du siehst deiner Mutter erstaunlich ähnlich.«

Das stimmt so nicht, ich komme eher nach meinem Vater. Bis auf das blonde Haar habe ich von meiner Mutter nichts geerbt. Und auch vom Typ her unterscheiden wir uns sehr. Während ich eher abgeklärt bin und nach logischen Erklärungen suche, hatte meine Mutter einen Hang zu esoterischen Themen. Hatte … Prompt kämpfe ich dagegen an, nicht wieder loszuheulen, aber es sammeln sich trotzdem Tränen in meinen Augen.

Die Frau greift in ihre Bauchtasche, reicht mir ein weißes Stofftaschentuch und wendet sich nun an Doreen. »Es gibt Zeiten im Leben, da braucht man jemanden an der Seite, der mehr an einen glaubt als man selbst. Gut, dass Sarah dich hat. Rühr einen Löffel Honig in den Tee, und besteh darauf, dass sie ihn trinkt.«

»Das mache ich, versprochen.« Doreen drückt ganz leicht meinen Arm. Ich weiß, was sie mir damit klarmachen will. Der Spruch hätte auch von meiner Mutter kommen können.

»Ich möchte nicht unhöflich wirken«, sage ich. »Aber darf ich fragen, wer Sie sind?«

»Deine Großtante«, sagt die Frau und runzelt die Stirn. »Barbara hat dir tatsächlich nie von mir erzählt …«

Mir fehlen für einen Moment die Worte. Aber ich glaube ihr sofort. Deswegen kam sie mir so bekannt vor. Sie sieht meiner Mutter ähnlich! Und zwar wesentlich mehr als ich. Die beiden haben die gleichen hellen grauen Augen. Auch die fein geschnittenen Gesichtszüge und die von Natur aus immer ein wenig edel wirkende Ausstrahlung haben die beiden gemeinsam. Meine Mutter sah sogar in ihrer abgewetzten braunen Cordhose, roten Gummistiefeln und ihrer in die Jahre gekommenen lilafarbenen Lieblingsstrickjacke gut angezogen aus. Und auch an ihren Schuhen klebte häufig Matsch. Die Ähnlichkeit ist mir nur nicht aufgefallen, weil ich nicht damit gerechnet habe. Und weil meine Mutter ihre Haare bis zum Schluss kurz geschnitten und blond gefärbt trug.

»Nein«, bringe ich schließlich heraus, »hat sie nicht.«

»Nun, dann haben wir viel zu besprechen, wenn wir uns das nächste Mal sehen.« Meine wie aus dem Nichts aufgetauchte Großtante lächelt mich an. »Sag mir Bescheid, wenn du nach Nürnberg kommst.«

»Nürnberg?«, hake ich nach.

»Die Stadt deiner Vorfahren, Liebes. Kannst du dir gut Nummern merken?«

»Normalerweise schon, aber heute …«

Neben mir fängt Doreen an, in ihrer Tasche zu kramen. »Wir haben die Handys im Auto gelassen, aber irgendwo müsste doch …« Sie findet tatsächlich einen alten Einkaufszettel und einen Kugelschreiber und reicht mir beides.

Meine Großtante teilt mir ihre Festnetznummer mit und deutet schließlich mit dem Kopf an uns vorbei zum Weg. »Mein Fahrer wartet. Ich muss jetzt los.« Sie seufzt leise und hebt kurz ihren Stock an. »Der Fuß schmerzt, und eigentlich dürfte ich noch gar nicht so lang stehen. Ich habe mir auf einer Wanderung das Band gerissen und gleichzeitig den Knöchel gebrochen.«

»Oh, das klingt aber gar nicht gut«, sage ich. »Gute Besserung.«

Sie sieht mich mit ernstem Blick an. »Es ist ganz egal, zu welchem Zeitpunkt man einen Menschen verliert. Es ist immer zu früh. Und es tut immer weh.« Ihre Stimme klingt nun brüchig. Und in ihren Augen sammeln sich Tränen. »Ich fühle mit dir, Liebes.«

Die Tränen in den Augen der Frau, die ich bisher noch nie gesehen habe, berühren mich zutiefst. Eine Woge von Traurigkeit schwappt in mir hoch und nimmt mir einen Moment die Luft zum Atmen.

Sie greift nach meiner Hand. Ihr Griff ist fest und angenehm kühl. »Es war, trotz des traurigen Umstandes, schön, dich mal wiederzusehen. Das sollten wir unbedingt wiederholen, Sarah Tilda.«

Mal wieder – Tilda …Tausend Gedanken auf einmal stürmen auf mich ein, aber momentan bin ich nicht in der Lage, sie zu sortieren. Mehr als ein geflüstertes »Ja« bringe ich nicht zustande.

Meine Freundin ist zum Glück etwas schlagfertiger als ich. »Wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Doreen«, sagt sie. »Verraten Sie uns, welchen Namen Sarah zu Ihrer Telefonnummer notieren darf?«

Meine vermeintliche Großtante lächelt. »Doreen, wie Doireann, die Tochter des König Midir – Sohn des Dagda, aus der irischen Legende Tochmarc Étaíne, ein sehr schöner Name. Meiner ist Rosa.«

»Wow!«, sagt Doreen. »Und ich dachte immer, mein Name wird von Dorothea hergeleitet und bedeutet ›Geschenk Gottes‹.«

Ein Lächeln huscht über Rosas Gesicht. »Das mit Sicherheit auch.« Sie wendet sich noch ein letztes Mal an mich. »Der Tod ordnet die Welt neu, Sarah. In meiner ist immer Platz für dich.«

Wir schauen ihr nach, wie sie vorsichtig über den Waldboden zu einem Mann geht, der etwas abseits auf sie wartet. Er ist dunkelhaarig, trägt eine Jeans, dazu ein graues T-Shirt und ist wesentlich jünger als sie, ich schätze ihn auf unser Alter. Er reicht ihr den Arm, meine Großtante hakt sich bei ihm unter, und sie gehen zwischen den Bäumen in Richtung des Weges, der aus dem Waldstück führt.

»Meinst du, das ist ein Taxifahrer? Kann ich mir nicht vorstellen«, sagt Doreen, als die beiden außer Hörweite sind.

»Glaub ich nicht, dazu wirken sie zu vertraut.«

»Seh ich auch so.« Doreen schüttelt den Kopf, als würde sie nicht glauben, was hier gerade passiert ist.

»Sie hat gesagt, sie sei meine Großtante. Das bedeutet, sie ist die Schwester meiner Oma«, überlege ich laut.

»Eine Großtante ist die Schwester der Oma oder die Schwester des Opas«, wirft Doreen sein. »Allerdings könnte sie auch die Ehefrau deines Großonkels sein, also des Bruders deiner Oma oder deines Opas.«

Ich runzele die Stirn. »Das ist mir ehrlich gesagt momentan zu kompliziert.«

»Aber du glaubst, dass sie wirklich deine Großtante ist? Meinst du nicht, deine Mutter hätte sie wenigstens mal erwähnt?«

Mein Blick schweift zum Urnengrab. »Sie hat mich an meine Mutter erinnert, auch wenn sie sich gar nicht ähnlich sehen. Es war eher die Ausstrahlung. Und da war irgendwas in ihren Augen …«, erkläre ich. »Dann die Sache mit dem Kräutertee, den du mir kochen sollst.« Ich schnuppere am Quendelbündel. »Weißt du noch, meine Mutter hat den besten Thymian-Hustensaft der Welt gekocht.«

Doreen lächelt wehmütig. »Das stimmt. Als Kinder fanden wir ihn so lecker, dass wir sogar Husten vorgetäuscht haben, um ihn zu bekommen.«

»Er schmeckt heute noch genauso gut.«

»Ich koch dir später einen Tee, Sarah Tilda.« Meine Freundin runzelt die Stirn. »Ich habe im ersten Moment überhaupt nicht verstanden, was deine Großtante gesagt hat, als sie dich so genannt hat, weil sie den Namen in einem Rutsch ausgesprochen hat.«

»Stimmt, daran habe ich gar nicht mehr gedacht. Ich habe keinen blassen Schimmer, warum sie das gemacht hat.«

Doreen lächelt mich an: »Das bekommst du nur raus, wenn du nachfragst. Und, fährst du nach Nürnberg?«

Ich schaue zur Linde. »Ganz ehrlich, das weiß ich noch nicht. Vielleicht irgendwann mal, wenn ich mich wieder ein bisschen gefangen habe.« Ich seufze. »Erst mal muss ich wieder mit mir selbst klarkommen. Das letzte halbe Jahr war die Hölle.«

Doreen legt ihren Arm um mich. »Ich helfe dir.«

»Danke.« Ich lasse meinen Kopf auf ihre Schulter sinken und weine.

2

»Hast du dich entschieden? Wo möchtest du heute schlafen?«

Von hier bis zu Doreen nach Nisdorf brauchen wir eine gute halbe Stunde. Bei mir in Stralsund wären wir schneller, das liegt auf dem Weg. Aber momentan weiß ich noch nicht, ob ich heute Nacht lieber Gesellschaft haben oder für mich sein möchte. »Lass uns erst mal bei dir einen Kaffee trinken«, entscheide ich. »Je nachdem, wie es mir geht, könntest du mich ja dann später nach Hause bringen.«

»Ich übernachte auch noch mal bei dir, ganz, wie du magst«, bietet Doreen mir an und startet den Wagen.

Meine Freundin ist die letzten Tage keine Minute von meiner Seite gewichen. »Weiß ich doch. Aber irgendwann muss ich auch wieder allein klarkommen. Lass mich das später entscheiden.«

»In Ordnung.« Sie rollt langsam vom Parkplatz zur Ausfahrt. »Mir geht deine Großtante Rosa nicht mehr aus dem Kopf. Interessant war sie aber auf jeden Fall. Ich würd zu gern wissen, was sie beruflich macht. Was meinst du, ich tippe auf Pädagogin. Sie hatte so etwas an sich, das mich ehrlich gesagt auch ein wenig an dich erinnert hat. Wenn du was erklärst, klingt deine Stimme interessanterweise einen Hauch tiefer und irgendwie sanfter. Bei ihr war das auch so, als sie über die Herkunft meines Namens philosophiert hat. Wie war das noch gleich? Tochter des König Midir … Bestimmt ist sie Lehrerin.«

»Könnte sein.« Ich schaue kurz zu Doreen rüber. »Sei mir nicht böse, aber mir steht momentan nicht der Sinn nach einer Unterhaltung. Ich muss das alles erst mal verarbeiten. Lass mir ein bisschen Zeit.«

»Warum sollte ich dir böse sein, bist du doch auch nie, wenn ich mal wieder meine schweigsame Phase habe.«

Ich schmunzele in mich hinein. So ganz vergleichen kann man das nicht. Doreen hat die Angewohnheit, sich manchmal ohne Vorwarnung tagelang zurückzuziehen. Sie gibt dann keinen Pieps von sich. Wenn ich Glück habe, trifft irgendwann eine Nachricht ein: Bin im Töpferwahn. Denk an dich. Und nach zwei Wochen steht sie entweder unangemeldet vor meiner Tür, im Gepäck ihre neueste Keramikkreation, die sie mir stolz präsentiert. Oder das Telefon klingelt, und sie fragt, als wäre sie gar nicht verschwunden gewesen: »Und, was machst du so? Gibt’s was Neues?«

Ich lasse meinen Kopf an die Scheibe sinken. Doreen biegt auf die Landstraße ab. Links und rechts von uns zieht der Mischwald vorbei. Meine Mutter hat die Gegend hier geliebt. Sie hat nicht nur einmal betont, für sie sei die Vorpommersche Waldlandschaft eine der schönsten Gegenden, die sie kenne, so wie ihre heiß geliebte Boddenlandschaft, der wir uns langsam nähern. Wir kommen an tiefgelben Raps- und saftgrünen Weizenfeldern vorbei, immer wieder durchbrochen von längeren Waldstücken. Ursprünglich hatte ich vor, meine Mutter auf dem Barther Friedhof beizusetzen, wo sich auch das Grab meines Vaters befindet. Ich war schon beim Bestatter vor Ort, als mir plötzlich einfiel, was meine Mutter ein paar Jahre davor mal zu mir gesagt hatte.

Wenn ich irgendwann mal das Zeitliche segne, begrab mich bitte unter der Krone eines schönen Baumes. Mir gefällt der Gedanke, dass seine Wurzeln meine Asche aufnehmen und ich dadurch in ihm weiterlebe.

Aber daran wollte ich zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht denken. Ich bin immer davon ausgegangen, dass meine Mutter mindestens neunzig wird. Sie war meine Familie. Ich hatte doch nur noch sie.

Als mein Vater gestorben ist, war ich erst sieben Jahre alt. Damals hat meine Mutter mich aufgefangen und mir das Gefühl gegeben, immer für mich da zu sein. Sie war mein sicherer Hafen, die Person, auf die ich mich am allermeisten im Leben verlassen konnte. Darauf, dass sie so früh gehen würde, war ich nicht vorbereitet. Irgendwo habe ich mal gelesen, Trauer fühle sich an wie Angst, aber das ist so nicht richtig. Es fühlt sich nicht nur so an – ich habe Angst, so sehr, dass ich manchmal vergesse zu atmen. Ich schnappe nach Luft.

Doreen legt ihre Hand auf mein Knie. »Ich bin bei dir, Sarah, du bist nicht allein.«

Da schleichen sich die Worte meiner Großtante in meine Gedanken. »Der Tod ordnet die Welt neu. In meiner ist immer Platz für dich, Sarah.«

Es tröstet mich ein wenig, dass ich anscheinend doch noch Familie habe. Ich wünschte mir nur, dass meine Mutter mir davon erzählt hätte, ganz egal, was da zwischen ihnen vorgefallen ist.

Schade, dass du es mir nicht mehr erklären kannst, denke ich traurig und lasse meinen Tränen freien Lauf.

Sie versiegen erst, als wir in die Sackgasse einbiegen, in der Doreens Haus steht. Ich schniefe noch ein paarmal, hole das Stofftaschentuch meiner Großtante aus meiner Tasche und wische mir die Tränen ab.

»Du schaffst das – wir schaffen das«, sagt Doreen. »Den schlimmsten Tag hast du überstanden.«

Der schlimmste Tag für mich war, als die beiden Polizistinnen plötzlich vor meiner Tür standen, um mir mitzuteilen, meine Mutter habe einen Unfall gehabt. Sie sei sofort tot gewesen, man habe ihr nicht mehr helfen können. Und genau genommen fühlt sich seitdem jeder Tag genauso schlimm an. Aber ich weiß, dass Doreen recht hat. Ich schaffe das – weil ich klug, nett und mutig bin. Auch wenn es sich im Moment nicht so anfühlt. Und außerdem habe ich gar keine andere Wahl. Mir bleibt nichts anderes übrig, als irgendwann damit klarzukommen.

»Darf ich den Mistkerl jetzt endlich verprügeln?«, fragt Doreen. »Dass dein Ex einfach ohne Vorwarnung auf der Beisetzung erschienen ist, berechtigt mich meiner Meinung nach dazu.«

Tatsächlich muss ich lächeln. »Würdest du das echt machen?«

Doreen überlegt einen Moment. »Nein, Gewalt ist nie eine Lösung. Außerdem kämpfe ich nur, um mich zu verteidigen. Aber das Bedürfnis hatte ich ehrlich gesagt schon. Ich wollte ihn wenigstens ein bisschen schubsen.«

Meine Freundin ist die widersprüchlichste Person, die ich kenne. Sie trainiert für ihren ersten Marathon und außerdem Krav Maga, kann den stärksten Kerl auf die Matte legen, trägt ihr Herz auf der Zunge und wird auch schon mal ausfallend, wenn ihr etwas gegen den Strich geht. Aber sie kann auch völlig in sich selbst versinken, stundenlang Zeit in ihrer Töpferei verbringen und dort nicht nur Geschirr in allen Variationen erschaffen, sondern auch wundervolle Kunstwerke. Eins meiner absoluten Lieblingsstücke ist eine Skulptur, die bei mir im Schlafzimmer auf der Kommode steht. Darin hat sie unsere Freundschaft in zwei einander zugewandten Köpfen verewigt. Unsere Gesichtszüge hat sie dabei nur angedeutet, aber das Wesentliche gut getroffen. Doreen ist eher der sportliche Typ. Sie hat ein kantiges Kinn und eine etwas zu große Nase, über die sie hin und wieder gerne mal schimpft. Ich finde allerdings, dass ihr »Zinken«, wie sie ihn nennt, sie interessant macht. Mein Gesicht ist eher herzförmig, meine Nase zeigt in Richtung Himmel, und ich habe einen schön geschwungenen Mund mit vollen Lippen. Alles in allem könnte ich sehr zufrieden sein, wenn ich nicht immer wieder mal mit meinem Gewicht kämpfen würde. Ich esse und genieße einfach zu gern. Freiwillig in Joggingschuhe schlüpfen und dabei auch noch Spaß haben, so wie Doreen, würde mir im Traum nicht einfallen. Ich gehe, seitdem ich zehn Jahre alt bin, regelmäßig schwimmen. Mein Element ist das Wasser. Es trägt mich und verzeiht mir, wenn ich mal wieder zu viel Kuchen gegessen habe.

Ein Gewichtsproblem habe ich momentan allerdings nicht. Ich steckte schon sechs Wochen in einer Zuckerfrei-Challenge und hatte zudem weitestgehend auch auf andere Kohlenhydrate verzichtet, als die Nachricht von dem Unfall mich erreichte. Seitdem kann ich gar nichts mehr essen. Auf die Waage habe ich mich bisher nicht wieder gestellt, aber ich schätze, dass ich mir meine Hosen bald ein bis zwei Größen kleiner kaufen werde.

Meine Freundin kann anscheinend Gedanken lesen. »Jetzt trinken wir erst mal einen starken Kaffee. Und vielleicht kann ich dich davon überzeugen, ein Stück Schokotorte zu essen. Sie ist ohne Zucker, extra für dich. Nicht, dass du mir noch umkippst.«

»Wer hat sie gebacken?«, frage ich.

»Du traust mir ja viel zu«, antwortet Doreen und grinst. »Na gut, sie ist von Mandy, der Netten, die ich vor zwei Wochen bei einem Spaziergang getroffen habe. Ihr gehört das süße Café, das neu eröffnet hat, direkt am Barther Markt. Ich hab dir letztens von ihr erzählt. Sie ist klasse, du musst sie unbedingt bald mal kennenlernen.«

»Gern – irgendwann«, stimme ich zu.

Doreen stellt den Wagen direkt auf dem schmalen Wiesenstreifen neben ihrem Gartenzaun ab. Einen Gehweg gibt es hier nicht.

»Mal schauen, wie lange es diesmal dauert, bis ein Zettel an der Windschutzscheibe hängt«, sagt sie. »Der neue Nachbar regt sich ständig darüber auf, dass ich mein Auto nicht auf mein Grundstück fahre.«

Ich steige aus. »Wieso? Ist doch genug Platz auf der Straße zum Gehen, hier fährt doch eh nie jemand lang.«

»Eben! Aber es stört ihn einfach. Der Typ hat sie nicht mehr alle. Er hat sich auch bei den anderen Nachbarn schon unbeliebt gemacht. Schröders grillen ihm zu oft.« Sie grinst. »Und Lehmanns beleidigen seinen Sinn für Ästhetik, wenn sie nackig durch den Garten rennen. Er hat sie schriftlich dazu aufgefordert, ihre Geschlechtsteile mit einem Tuch zu bedecken.«

»Und, machen sie’s?«

»Nö, sie haben noch einen draufgesetzt und die beiden Liegestühle zur Straßenseite gedreht.«

Ich muss tatsächlich ein bisschen lachen, obwohl mir gar nicht danach zumute ist. »Wobei ich ehrlich gesagt auch nicht schlecht gestaunt habe, als ich die beiden zum ersten Mal in voller Pracht aus ihrer kleinen Saunahütte kommen und um den kleinen Fischteich spazieren gesehen habe.«

»Genau deswegen habe ich mich bisher hier so wohlgefühlt. Jeder akzeptiert den anderen so, wie er ist. Keiner meckert, auch wenn eine Gartenparty mal die ganze Nacht durchgeht, schreiende Enkelkinder zu Besuch sind oder der neue Hund bellt, weil er eine Katze jagt – was in der Regel meine ist. Lucifer ist schon völlig verstört.«

Kaum hat Doreen seinen Namen ausgesprochen, spaziert der schwarze Kater durch den Garten auf uns zu, springt über den Gartenzaun und auf Doreens Auto.

Sie seufzt. »Zum Glück legt er sich nur auf mein Fahrzeug. Er weiß anscheinend, dass der Wagen zu uns gehört.«

Ich strecke dem Kater meine Hand entgegen. »Na, Luci, altes Haus.«

Er miaut, streckt sich und fährt dabei mit den Krallen über den Autolack.

»Ist ein Gebrauchsgegenstand. Spätestens Ende nächsten Jahres ist eh ein neues fällig.« Doreen drückt das Gartentor auf. »Ich vermute mal, dass ich mit der alten Kiste nicht noch mal durch den TÜV komme.«

Ich gehe hinter meiner Freundin den schmalen Weg entlang zu ihrem kleinen Häuschen. »Du könntest den Wagen meiner Mutter nehmen, ich hab doch einen«, schlage ich vor, als sie vor der Tür stehen bleibt, um sie aufzuschließen.

Sie dreht sich zu mir um. »Das geht doch nicht. Der ist viel zu teuer.«

»Soweit ich weiß, hat meine Mutter ihn finanziert. Die Restschuld dürfte allerdings nicht mehr so hoch sein. Sie hat mal erwähnt, dass er im Frühjahr nächsten Jahres abbezahlt sein wird. Das dürfte also nicht mehr viel sein. Sie würde sich freuen, wenn du ihn nimmst.«

Doreen lächelt mich an. »Du bist echt süß. Aber lass uns darüber noch mal in Ruhe reden, wenn du wieder ein wenig klarer siehst.«

In dem Moment ruft jemand laut: »Wenn der Kater sich irgendwann auf meinen Wagen setzt, mach ich Schaschlik aus ihm.«

Ein kräftiger grauhaariger Mann kommt von rechts die Straße entlanggelaufen.

»Aufgepasst, Lucifer, dein Feind kommt«, sagt Doreen leise. Im nächsten Moment hebt sie den Arm, winkt und ruft mit zuckersüßer Stimme: »Hallo, Herr Engelmann, ich kann Sie auch gut leiden.«

Doreens Nachbar bleibt vor dem Gartentor stehen. In dem Moment kommt laut kläffend ein Mops auf seinen kurzen Beinen die Straße entlanggeflitzt, Lucifer springt fauchend vom Wagen und flüchtet zu uns in den Garten.

»Das ist ja hier wie auf dem Rummelplatz«, brüllt der Nachbar.

»So was nennt man Leben«, ruft Doreen zurück und schließt die Tür auf. Der Kater zischt an unseren Beinen vorbei ins Haus. »Du bist ein Schisser, Lucifer, den Mops würdest du plattmachen«, sagt sie.

»Heißt der Nachbar wirklich Engelmann?«, frage ich, als ich die Haustür hinter mir zuziehe.

»Jepp!« Meine Freundin geht zum Fensterbrett, auf dem der Kater nun sitzt und nach draußen starrt. Sie krault ihn hinter den Ohren und sagt: »Dabei bist du doch hier der Engel, Lucifer.« Sie sieht zu mir. »Und wir haben uns jetzt einen Kaffee und ein Stück Torte verdient, Sarah.«

Die letzten fünf Minuten habe ich nicht an meine Mutter gedacht, der kurze Moment der Leichtigkeit hat gutgetan. Doreen bringt die Torte, zwei Teller und zwei große bauchige cremeweiße Tassen zum Tisch. »Wie findest du die Pötte? Da passen fünfhundert Milliliter rein.«

Ich umfasse sie mit meinen Händen und hebe sie hoch. »Fühlt sich gut an, schön leicht.«

»Und das Muster?« Sie zeigt auf die große runde Tortenplatte und die Teller. »Die Grundelemente habe ich dort wieder aufgenommen.«

»Sehr schön, meine Mutter hätte es gemocht.« Auf Farbe hat meine Freundin hier verzichtet. Sie hat zarte Blätter und Ranken direkt in die Glasur gekratzt. »Schlicht, aber dennoch besonders. Gefällt mir sehr gut.«

»Ist für dich«, sagt Doreen. »Du bekommst auch noch Schüsseln und eine Teekanne.« Sie schüttet Kaffee in unsere Tassen und schneidet die Torte an. »Ich kann das knallig türkise Geschirr bei dir nicht mehr sehen. Als ich es vor drei Jahren gemacht habe, fand ich es toll. Jetzt tut es mir in den Augen weh. Außerdem habe ich es euch zum Einzug geschenkt. Und ich will nicht immer an Kai denken, wenn ich bei dir bin.«

»Er wollte es mitnehmen«, sage ich. »Ich habe es behalten, weil es von dir ist.«

Doreen reißt die Augen auf. »Nein! Ernsthaft?«

»Er meinte, du würdest mir doch bestimmt neues machen.«

»Unfassbar.«

Seine berechnende Art gehört nicht unbedingt zu Kais positiven Seiten, aber er hatte auch viele gute. In seiner Nähe habe ich mich immer sicher gefühlt. Er war ein aufmerksamer Zuhörer, ich konnte wunderbar mit ihm diskutieren. Außerdem hat er mich oft zum Lachen gebracht. Ich mochte seinen Humor, der manchmal recht schräg war.

»Weißt du, was schlimm ist? Ich hatte endlich das Gefühl, über ihn hinweg zu sein. Aber seitdem das mit meiner Mutter passiert ist, vermisse ich ihn plötzlich wieder. Es wäre leichter, wenn ich jemanden hätte, der mich nachts in den Armen halten würde.«

»Kann ich übernehmen«, bietet Doreen sofort an. »Ich weiß, das ist etwas anderes«, fügt sie im nächsten Moment hinzu.

Ich nippe an meinem Kaffee. »Aber ich würde trotzdem gern heute bei dir schlafen. Es tut mir gut, mal von allem weg zu sein. Und ab morgen kümmere ich mich um den restlichen Papierkram.« Ich muss die Mietwohnung meiner Mutter kündigen. Die Frist beträgt auch bei Tod drei Monate. Vor allem muss ich aber auch einen Erbschein beantragen, damit ich Zugriff auf das Konto erhalte. Ich habe keine Ahnung, ob meine Mutter Geld hatte und wenn ja, wie viel. Oder ob das Konto vielleicht sogar überzogen ist. In ihrem Versicherungsordner habe ich eine Lebensversicherung gefunden – und dahinter ein Schreiben der Gesellschaft über die Beleihung des Kapitalwertes. Momentan blicke ich absolut noch nicht durch.

»Okay, lass uns heute hierbleiben und morgen nach dem Frühstück direkt nach Barth fahren«, schlägt Doreen vor.

»Musst du nicht arbeiten?«

»Nein. Ich habe mir den Rest der Woche für dich freigehalten. Vielleicht setze ich mich zwischendurch mal an die Töpferscheibe, um ein paar kleinere Aufträge zu erledigen, aber es ist nichts dabei, was nicht noch warten kann. Wenn du erst mal allein in die Wohnung willst, setze ich mich so lang in Mandys Café, und du rufst mich an, wenn du mich brauchst.«

»Mir wäre es lieb, wenn du mitkommst«, sage ich. »Obwohl ich ein schlechtes Gewissen habe, weil du schon deinen Urlaub für mich abgebrochen hast.«

Doreen schneidet ein Stück Torte ab und platziert es auf meinem Teller. »Du kannst es wiedergutmachen, indem du wenigstens einen kleinen Happen isst.«

»Das ist Erpressung.«

»Liebe«, entgegnet Doreen. »Für dich würde ich jederzeit alles stehen und liegen lassen und um die ganze Welt fliegen, wenn du mich brauchst. Du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben, du bist meine Familie.«

Eine Träne kullert mir über die Wange. »Danke.«