Winterkartoffelknödel - Rita Falk - E-Book + Hörbuch
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Winterkartoffelknödel E-Book

Rita Falk

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Beschreibung

Franz Eberhofers erster Fall Nachdem der Eberhofer Franz seinen Dienst bei der Münchner Polizei quittieren musste und in sein niederbayerisches Heimatdorf Niederkaltenkirchen strafversetzt wurde, schiebt er eine ruhige Kugel. Seine Streifegänge führen ihn immer zum Wolfi auf ein Bier oder an den Küchentisch seiner stocktauben Großmutter. Sehr erholsam, bei all dem Zoff mit einem hanfanbauenden Vater (Alt-68er), der ihn mit Beatles-Dauerbeschallung noch in den Wahnsinn treibt. Aber manchmal muss der Eberhofer Franz auch in ziemlich grausigen Todesfällen ermitteln. So wie bei seinem ersten Fall: Da ist diese Geschichte mit den Neuhofers, die an den komischsten Dingen sterben. Mutter Neuhofer: erhängt im Wald. Vater Neuhofer (Elektromeister): Stromschlag. Jetzt ist da nur noch der Hans. Und wer weiß, was dem bevorsteht ... 

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Über das Buch

Nachdem der Eberhofer Franz seinen Dienst bei der Münchner Polizei quittieren musste und in sein niederbayerisches Heimatdorf Niederkaltenkirchen strafversetzt wurde, schiebt er eine ruhige Kugel. Seine Streifegänge führen ihn meist direkt zum Wolfi auf ein Bier oder an den Küchentisch seiner stocktauben Oma. Erstklassig erholsam, bei all dem Zoff mit seinem hanfanbauenden Vater, der den Franz mit Beatles-Dauerbeschallung noch in den Wahnsinn treibt. Und manchmal muss der Franz auch in ziemlich grausligen Fällen ermitteln. Wie zum Beispiel in der Sache mit den Neuhofers …

Rita Falk

Winterkartoffelknödel

Ein Provinzkrimi

Kapitel 1

Ich geh also heute zum Simmerl (Dienstag Schlachttag: Blut- und Leberwürste). Ja, und da ist dann wieder diese Pelzmütze vor der Tür gelegen. Direkt vor der Eingangstür zur Metzgerei liegt eben diese Mütze. Ich weiß gar nicht, ob ich davon schon erzählt hab. Nein, wahrscheinlich nicht. Also: das war am Mittwoch (oder Donnerstag – egal), jedenfalls bin ich wie immer mit dem Ludwig meine Runde gegangen. Wir haben da eins-fünfundzwanzig gebraucht, für eine Eins-siebzehn-Runde, was aber hier keine Rolle spielt. Freilich ist der Ludwig wie immer brav vor mir her getrottet und hat auf einmal was aufgespürt. Ist dann ein paar Schritte voraus, hat was vom Boden aufgehoben und dem Herrle brav vor die Füße gelegt. Das war wie gesagt eine Pelzmütze. Und eine ziemlich kitschige obendrein, weil mit rosa Bändern und Glitzersteinen versehen. Die lag da so vor meinen Füßen und der Ludwig hat mit dem Schwanz gewedelt und sich gefreut. Dann plötzlich schnaufte eine Frau durch den Schnee und ich hab geglaubt, das ist jetzt sicher die Besitzerin von der Mütze und die ist froh, dass wir sie gefunden haben. Das war nicht ganz so. Weil: erstens war sie nicht froh, und zweitens war es keine Mütze. Bei genauerer Betrachtung hab ich dann vermutet, dass es ein Hund war, besser Hündlein, mit einem rosa Geschirr samt Glitzersteinen. Irgendwie hat die Frau (als sie wieder schnaufen konnte) mich angebrüllt, wieso ich mein Riesenmonster nicht besser im Griff hätte. Vermutlich hat sie den Ludwig gemeint. Dann hat sie mich angebrüllt, ob ich weiß, was so ein (der Name der Hunderasse spielt hier keine Rolle) Dingsbums eben kostet und wie empfindlich die sind.

Keine Ahnung.

Die Mütze lag immer noch am Boden und machte keinen Mucks. Wenn ich den Ludwig nicht so gut kennen würde, ich wär mir nicht sicher, ob die Mütze den Transport überlebt hat. Ja, dann hat die Frau das reglose Vieh auf den Arm gehievt, hat das nasse Laub von den Pfoten gezupft und ist wütend davongestampft. Ich hab mich wirklich gefragt, wie eine so zierliche Person so dermaßen stampfen kann. Aber gut.

Wie gesagt, dieser Zwischenfall hat uns unsere Bestzeit um acht Minuten überschreiten lassen, und das ist halt ärgerlich. Hab die Frau übrigens davor noch nie gesehen. Erst hab ich gedacht, das ist so ein Tagestourist, der will halt mal raus aus der Stadt und der kleinen Töle zeigen, dass man nicht nur an Laternenmasten schiffen kann. Aber nein, es muss wohl ein längerer Aufenthalt sein, weil eben heute die Mütze vor der Metzgerei lag.

 

Und heute ist Dienstag. Jedenfalls geh ich rein zum Simmerl, der sagt: »Servus Franz!«, und reibt sich die blutigen Hände an der Schürze ab. Dann seh ich die Frau wieder, die Besitzerin von der Mütze eben, und die tut so, als ob sie mich nicht bemerkt.

»Ist denn das Fleisch auch alles frisch?«, fragt sie den Simmerl. Der langt ihr eine Schweinshaxe über den Tresen und sagt: »Schauns’, Frau, wenns’ herlangen, dann könnens’ den Puls noch fühlen.« Die Frau schüttelt den Kopf und nimmt ein Paar Wiener. Dann zahlt sie und geht raus. Wie sie wieder reinkommt, sagt sie, ich soll mein Riesenmonster von ihrem Pelz nehmen. Ich schau so durchs Fenster und da liegt der Ludwig am Boden und in seiner Bauchmulde liegt die Mütze. Ich sag: »Ludwig, steh auf!«, und der Ludwig steht auf.

Die Frau nimmt das Vieh auf den Arm und geht weg. Ich frag dann den Simmerl, ob er weiß, wer das ist, und er sagt: »Ja, freilich! Das weiß doch ein jeder. Ich frag mich wirklich manchmal, Franz, wie du eigentlich der Dorfgendarm sein kannst, wennst’ immer der Letzte bist, der wo was erfährt. Blut- und Leberwürstl wie immer?«

»Sind denn die Würstl auch alle frisch?«, frag ich und muss grinsen.

»Frischer geht’s nicht. Die Sau ist erst heut früh an der Blutvergiftung krepiert, kam von der Leberzirrhose.«

»Heut früh sagst? Ja, frischer geht’s wirklich nimmer. Dann drei Stück von jeder, wie immer. Und jetzt erzähl, was du von der Frau weißt.«

Der Simmerl schneidet die Würste ab und packt sie in die Tüte.

»Ja, die. Die hat doch das alte Sonnleitnergut geerbt, hab ich gehört. Von der Tante oder der Großtante, was weiß ich. Die war ja auch schon ein paar Jahre im Pflegeheim davor. Ich kann mich an die Alte nimmer erinnern, du vielleicht?«

Ich schüttele den Kopf. Nein, ich kann mich nicht erinnern, dass überhaupt jemals irgendwer auf dem Sonnleitnergut gewohnt hat. Das ist ja auch kein Ort zum Wohnen. Wir haben uns da ja schon als Kinder in die Hosen geschissen, wenn wir bloß über die Mauer geschaut haben. Dieses alte Gemäuer mitten im Wald. Weit und breit kein Nachbar. Unheimlich. Und jetzt wohnt da so eine zierliche Frau mit einem winzigen Hund (vermute noch immer, dass es ein Hund ist, gesagt hat sie es nicht) in diesem düsteren Kasten. Ich weiß nicht. Könnt mir auch was Schöneres vorstellen. Ja, der Ludwig kriegt dann noch eine Weiße vom Simmerl und dann gehen wir heim.

 

Die Oma macht uns die Blut- und Leberwürste mit Kraut und Kartoffelstampf und der Papa frisst wie ein Schleuderaffe. Hinterher braucht er ein Schnapserl für den Magen und zieht sich wieder die Beatles rein. Ziemlich laut. Und ich bin froh, dass die Oma schon taub ist und sich nicht jeden Abend den gleichen Scheißdreck anhören muss. Ich geh dann mit dem Ludwig die Runde (eins-zwanzig, ich glaub, die Würstl waren zu schwer im Magen) und danach schau ich noch auf ein Bier oder zwei zum Wolfi rein. Das ist schön.

 

Wie ich daheim zur Tür reinkomm, fall ich zuerst einmal über einen Zementsack. Das ist scheiße, weil jetzt mein Knie aufgeschlagen ist. Wenn ich nicht bald mal Gas geb, wird der Saustall immer ein Saustall bleiben und ich muss wieder rüberziehen ins Haus. Das will ich aber auf gar keinen Fall! Schon allein wegen den Beatles. Also muss ich mich jetzt mal zusammenreißen und mit dem blöden Umbau weitermachen. Weil, wenn der nämlich einmal abgeschlossen ist, dann ist das ein Wohnkomfort vom Allerfeinsten: 50-cm-Außenwände, Rundbogenfenster, Deckengewölbe, Offenes Wohnen mit über hundert Jahre alten Stützbalken und ebenso alten Kalksteinkacheln. Jeder Architekt würde in Zuckungen geraten. Vor den Wohnluxus jedoch hat der liebe Gott die Arbeit gestellt. Und die Materialkosten. Und den Obi.

 

Der Ludwig haut sich dann auf den Zementsack und schon schnarcht er. Ich stell mir den Heizstrahler an, leg mich aufs Kanapee und schlaf ein. Aufwachen tu ich dann schweißgebadet, wie immer. Weil es auf dem Kanapee ungefähr fünfzig Grad hat und im restlichen Saustall ist es knapp über dem Gefrierpunkt, wie immer. Die Drähte vom Heizstrahler sind blau und nicht mehr gelb oder orange, und wie ich den Stecker rauszieh, sprüht’s überall Funken. Nein, ich muss mit dem Umbau jetzt weitermachen, so hat das alles keinen Zweck mehr. Wenn’s in der Arbeit ruhig zugeht, was aller Voraussicht und Erfahrung nach so ist, dann pack ich’s jetzt an.

 

Am nächsten Nachmittag fahr ich die Oma zum Aldi, weil der den Zucker im Angebot hat. Die Oma kauft zwanzig Kilogramm und eine Bluejeans, weil die auch im Angebot ist.

»Der Papa braucht ganz dringend eine neue, weil ich es satt hab, den löchrigen Fetzen, den er am Leib trägt, jede Woche zu flicken«, sagt sie. Sie hört halt nicht, was sie sagt, drum ist es ziemlich laut und die anderen Einkäufer schauen alle her. Wir gehen dann an die Kasse und die Oma fragt die Frau dort: »Ist das schon eine gescheite Qualität, die Bluejeans?« Die Kassiererin sagt, einwandfrei, sie hat selber zwei, und die Oma kann sie nicht hören. Ich halte dann den Daumen so nach oben und die Oma kapiert’s.

 

Auf dem Heimweg halt ich noch beim Obi an wegen Schrauben und Dübeln und ein paar Dämmplatten. Die Oma will nicht mit rein, weil ihr die Hühneraugen wehtun, sagt sie, und so bleibt sie halt im Auto sitzen.

Leider find ich keinen von diesen singenden, wahnsinnig geschickten, schlauen und flinken Verkäufern. Wobei das nicht ganz stimmt. Flink sind sie eigentlich schon, weil: immer, wenn ich einen entdecke – schwups – ist er auch schon wieder weg. Vermutlich zur Singstunde. Na, jedenfalls hab ich dann irgendwann mein Zeug zusammen und geh so zum Auto. Freilich hab ich, weil ja die Oma sitzen geblieben ist, den Autoschlüssel stecken lassen. Und das ist scheiße, wie sich jetzt rausstellt. Die Oma ist nämlich eingeschlafen und die Türen sind zu wegen Zentralverriegelung. Wahrscheinlich hat sie abgesperrt, damit sie nicht geklaut wird. Ja, und wenn man die Oma kennt, weiß man, da hilft kein Klopfen oder Rufen. Da hilft nur Warten. So renn ich mit dem Einkaufswagen immer um das Auto rum, wegen der Kälte. Zu weit weg will ich mich nicht entfernen (hätte ja derweil einen Kaffee trinken können in dem Bistro vom Obi – aber nein), weil: es hätte ja sein können, dass die Oma kurz aufwacht und dann bin ich beim Kaffeetrinken. Also lauf ich zweieinhalb Stunden um das Auto rum. Einmal kommt der Hausdetektiv und fragt, ob er mir helfen kann. Ich zeig ihm meinen Dienstausweis und sag, ich arbeite undercover. Er meint, dass ich nicht sehr unauffällig agiere. Und ich empfehle ihm, er soll sich jetzt lieber schleichen, weil er nämlich der Einzige wär, der grad auffällt.

Ja, und dann wacht die Oma irgendwann auf und öffnet die Tür. Es ist jetzt draußen schon stockmauernfinster und sie brüllt mich an: »Was in Dreiherrgottsnamen hast du jetzt da so lang drin gemacht?«

Jesus Christus!

Der Papa sagt hernach, die Jeans ist scheiße und sie soll sie zurückbringen und lieber noch mal zwanzig Kilogramm Zucker holen.

 

Später ruf ich dann den Flötzinger an und der meldet sich mit: »Gas, Wasser, Heizung Flötzinger.«

»Servus Flötzinger«, sag ich. »Nächste Woche kannst bei mir mit der Heizung anfangen. Bis dahin wär ich dann so weit, dass es halt passt.«

»Du kannst mich am Arsch lecken«, sagt er. »Ich hab nämlich jetzt vierzehn Wochen lang auf deinen Scheißauftrag gewartet. Und jetzt hab ich was anderes. Einen Riesenauftrag hab ich jetzt. Und das kann dauern.«

Danach treffen wir uns beim Wolfi und da erzählt er mir, dass er jetzt am Sonnleitnergut Gas, Wasser und Heizung macht.

»Die Auftraggeberin ist eine echte Sahneschnitte«, schwärmt er mir her. »Eine gewisse Dechampes. Dechampes-Sonnleitner, soviel ich weiß. Sagt dir das was?«

»Dechampes? Nein, nie gehört.«

»Ja, die Mutter glaub ich hat einen Franzosen geheiratet, oder so.«

»Aha.«

»Ja, und von der hab ich jetzt einen Auftrag. Einen dringenden. Und das passt jetzt ganz einwandfrei, weil nämlich mein Weib mitsamt den Kindern über die Weihnachtsferien zu den Schwiegereltern nach England fährt. Und dann«, sagt er, »wenn die Mary mit dem Ignatz-Fynn und der Clara-Jane erst mal weg ist, könnte man ja anfangen, am Sonnleitnergut das eine oder andere Rohr zu verlegen.«

Ja, mir hilft das aber auch nicht weiter, weil’s mir nix nützt, wenn der Flötzinger am Sonnleitnergut Rohre verlegt.

 

Ich komm dann ziemlich spät heim und schlaf gleich auf dem Kanapee ein, obwohl der Papa wieder die Beatles hört (›Michelle‹). Um Viertel nach drei wach ich auf und der Papa hört immer noch Beatles. Ich geh dann mit meiner Dienstwaffe ins Haus rüber und schieß ein paarmal auf den Plattenspieler. Aus ist es mit der Michelle und tausend schwarze Scherben fliegen durchs Zimmer. Paul und George und Ringo und John sind jetzt still. Ich puste den Rauch von meiner Pistole und leg mich wieder aufs Kanapee. Kurz bevor ich einschlaf: ›Let it be‹. Offenbar funktioniert der Kassettenrecorder noch.

Mark David Chapman hat den John Lennon erschossen – Gott hab ihn selig. Sein Vater muss ein Beatlesfan gewesen sein.

 

Weihnachten. Heilig Abend wie immer: Kartoffelsalat und Würstl, Weihnachtsschallplatte von den Regensburger Domspatzen, Mitternacht Christmette mit der Oma. Wir schlafen wieder alle zwei ein und am Schluss weckt uns der Pfarrer, bevor er zusperrt. Das macht er jetzt seit drei Jahren. Weil: damals hat er uns nämlich vergessen in der Kirche und wie wir aufgewacht sind, haben wir mitten in der Nacht das halbe Dorf raustrommeln müssen anhand der Kirchentür.

 

Am ersten Feiertag kommt dann der Leopold mit seiner rumänischen Roxana und die Oma brät uns ein Ganserl. Der Papa freut sich und der Leopold tut auch so, als würd er sich freuen, die alte Schleimsau. Die Roxana redet beim Essen wieder kein Wort, zumindest nicht mit uns anderen, zum Leopold sagt sie einmal: »Läobold, kannst du Salz gäben?«, und Läobold gibt Salz. Sonst sagt sie nix. Sie richtet ein paarmal über den Tisch hinweg ihre rehbraunen Augen auf mich und klemmt eine dauergewellte Haarsträhne hinters Ohr. Irgendwann hab ich dann ihren strumpfsockigen Fuß auf meinem Gemächt, dass es mir die Augen rausdrückt. Ich muss husten und der Semmelknödel hüpft in meiner Kehle rauf und runter, rauf und runter … Wie ich aufsteh, hängt ein lila Faden von ihrem Strumpf an meinem Reißverschluss und sie hat eine fette Laufmasche. Und obwohl die Oma später brüllt: »Schau Bub, du hast da einen lila Faden an deinem Hosenstall«, und noch später: »Schau Roxana, du hast da ein Trumm Laufmasche in deiner Strumpfhose«, merkt keiner was. Nach dem Essen macht die Oma die Küche und ich frag den Leopold, ob seine Roxana dabei nicht helfen kann. Der Leopold sagt: »Sie muss das nicht, wenn sie nicht mag.«

Und offensichtlich mag sie nicht. Stattdessen schaut sie eine Frauenzeitschrift an, mit unglaublich dürren Weibern und unglaublich hässlichen Frisuren. Ich helf der Oma dann in der Küche, und der Papa und der Leopold reden derweil über die Buchhandlung.

 

Danach gibt’s Kaffee und einen Stollen von der Oma, und die Rosinen darin waren vorher monatelang im Vogelbeerschnaps geschwommen. Der Leopold hat ein Geschenk für die Oma und den Papa dabei, für mich keins, wie jedes Jahr. Die Oma kriegt eine neue Schürze mitsamt Topflappen, wie jedes Jahr. Und der Papa einen brandneuen Beatlesbildband mit ungefähr einer Million bisher unveröffentlichten Hochglanzfotos. Der Papa umarmt den Leopold mit Tränen in den Augen und der Leopold präsentiert mir papa-hinterrücks den Mittelfinger. Dann sagt er: »Lass uns doch zum Kaffee ein bisschen Beatles hören, Papa. Na, was meinst?«

Ich krieg gleich das Kotzen. Dann müssen wir bei Kaffee und Stollen und Beatles dem Leopold zuschauen, wie er auf der Couch sitzt mit dem Arm um die Roxana und der Hand auf ihrem Busen. Und wir müssen zuhören, wie er von seiner blöden Buchhandlung erzählt. Von irgendwelchen Schriftstellern, die mordswichtig sind und bei ihm ein- und ausgehen. Und von irgendwelchen Bestsellern, die seine Kasse ordentlich klingeln lassen.

»Sag einmal, Franz, wann hast du eigentlich das letzte Mal ein wirklich gutes Buch gelesen? Also, ›Fix und Foxi‹ nicht mitgerechnet?«, fragt er mich plötzlich mit provokantem Unterton.

»›Asterix und Obelix‹?«, frag ich zurück.

Er schüttelt den Kopf.

Verdammt!

»Lassen wir das«, sagt der Papa.

»Ja, jeder tut, was er kann, nicht wahr?«, sagt der Leopold. Und dass seine Roxana überhaupt nix mehr tun muss, sagt er. Weil die schon genug mitgemacht hat. So nach dem Motto: in Rumänien hat sie gelitten, jetzt lebt sie gut – dank ihrer Titten. Der Papa ist so stolz auf ihn und die Oma kann Gott sei Dank nichts davon hören.

 

Nach einer Weile fragt mich der Leopold, was denn bei mir so läuft. So jobmäßig.

»Gibt’s denn da überhaupt was zu tun in dem Kaff? Weil: so viel Verbrechen wird’s ja da nicht geben, oder?«

Dabei grinst er dümmlich und knetet den Busen von Miss Romania.

Er hasst mich, seit ich auf der Welt bin. Weil ich nämlich Schuld hab am Tod von der Mama, sagt er. Weil die halt gleich nach meiner Geburt gestorben ist. Irgendwie haben unsere Blutgruppen und Rhesusfaktoren nicht zusammengepasst, was weiß ich. Jedenfalls ist sie gestorben und ich bin schuld. Ich hab noch in die Windeln geschissen, da hat er mir schon gesagt, dass ich ein Versager bin. Er hat gesagt, mein ganzes Leben wär ein einziger Fehler und den ersten hätt ich schon bei der Geburt gemacht. Weil ich noch nicht mal auf die Welt kommen kann wie ein anständiger Mensch, hat er gesagt. Der Leopold ist halt ein Arschloch. Aber das hab ich erst viel später begriffen. Und es ist traurig, wenn man das über seinen Bruder sagen muss. Aber so ist es halt. Er ist ein mieser Langweiler mit dem Hang zum Hinterfotzigen. Drum ist ihm auch seine erste Frau davon. Und jetzt hat er die kleine Rumänenschlampe am Hals, die mir schon bei ihrer eigenen Hochzeitsfeier an die Hose wollte. Und ich möchte wirklich gern wissen, ob er die aus dem Puff oder aus der Zeitung hat. Er sagt ja, er hätt sie in der Buchhandlung kennengelernt. Was die wohl für ein Buch gekauft hat? Vermutlich so was wie ›Wie angele ich mir einen Buchhändler mit viel Geld und wenig Hirn‹, oder ›Raus aus dem Puff und rein in den Muff‹, oder höchstens noch ›Tausendundeine Idee für künstliche Fingernägel‹. Jedenfalls liebt der Läobold die Rumänen-Roxy und sie verarscht ihn halt. Was wiederum ein eher feiner Zug an ihr ist.

 

Dann, wo die Oma ins Bett geht, hören wir im Bayerischen Rundfunk die ›Heilige Nacht‹ vom Ludwig Thoma an. Die Roxana nicht, sie hat derweil einen Kopfhörer auf und feilt sich die künstlichen Nägel. Sie schaut eben lieber Fernsehen. Am liebsten Sendungen, wo frustrierte Ehefrauen kreuzdummer Männer vertauscht werden oder wo ein Zwitterding zwischen Klosterfrau und Sado-Maso-Domina irgendwelchen Kindern von Gratlerfamilien auf der stillen Treppe Zucht und Ordnung beibringt. Sozialpornos halt. Jedenfalls kann ich dann beim Radiohören den Leopold ganz exakt beobachten. Und er macht praktisch alles genauso wie der Papa. Wenn der Papa beim Zuhören lächelt, huscht auch dem Leopold ein Grinser übers Maul. Wenn der Papa glasige Augen kriegt, von all der Wehmut, quetscht sich auch der Leopold ein Tränlein aus dem Winkel. Er ist eine Schleimsau sondergleichen.

Kapitel 2

Kurz vorm Schluss vom Thoma läutet das Telefon. Und zwar das dienstliche. Ich merk’s gleich gar nicht, weil’s halt nicht so oft läutet und schon gar nicht in der Nacht. Genau genommen hat es in der Nacht zuletzt im April geläutet, so kurz nach drei. Es war der Simmerl, der damals angerufen hat. Weil er halt mit einem Riesenrausch im Gesicht mit seinem BMW samt Sauhänger in die Telefonzelle am Rathaus gefahren ist und hernach behauptet hat, die ist da noch nie gestanden. Die steht da schon seit der Erfindung der Telefonzellen, aber scheiß drauf. Der Simmerl hat hinterher eine neue bezahlt und die war dann nicht mehr gelb, sondern rosa. Ja, das war jedenfalls der letzte nächtliche Einsatz für mich. Und da ist es dann schon ziemlich ärgerlich, wenn’s das ganze Jahr über ruhig ist, und grad an Weihnachten, wennst’ so zwei, drei Glaserl Glühwein intus hast, läutet das blöde Teil. Andererseits ist es dann schon wieder ziemlich gut, weil: da schaut er jetzt nämlich blöd, der Leopold.

»Ja«, sag ich so. »Das ist halt ein verdammter Stress bei der Polizei. Da hast noch nicht einmal in der Weihnachtsnacht deine Ruh.«

 

Dann weck ich den Ludwig auf und wir ziehen los. Die Frau am Telefon (das ist die von neulich, die mit der Mütze, bei der der Flötzinger demnächst Rohre verlegt) hat vom Sonnleitnergut aus angerufen und war ziemlich hysterisch. Sie hat gesagt, es schleicht sich jemand ums Haus und sie hat eine Mordsangst. Und auch das Klärchen. Mir war’s auch nicht grad wohl, weil mir das alte Gut ja schon als Kind gruselig war. Aber wo die da jetzt zu zweit dort sind, denk ich mir, ist es vielleicht nicht gar so schlimm. Und dann haben sie doch auch noch den Hund, wobei der vielleicht nicht so arg hilfreich ist. Aber Hund bleibt Hund. Weil: wenn jemand dem Herrle oder Fraule was tun will, wird ein jeder Hund zur Bestie. Außer vielleicht, der Täter hat eine Weiße dabei. Dann schaut’s eher schlecht aus.

 

Jedenfalls fahren wir dann mitten in der Nacht durch den Wald und kommen schließlich am Gut an, der Ludwig und ich. Und da ist eben diese Frau Dechampes-Sonnleitner im Nachthemd mit der Mütze im Arm und passt uns schon am Gartentürl ab. Sie ist ziemlich verdattert, dass die Polizei, die wo sie gerufen hat, jetzt ich war. Weil: sie hat mich wahrscheinlich für einen Bauernlackel gehalten oder einen Gas-Wasser-Heizungs-Pfuscher, oder was weiß ich. Jedenfalls nicht für einen Bullen, das sagt sie so oder ähnlich. Dann frag ich sie, was genau passiert ist, und ob ich noch mit dem Klärchen reden kann. Weil: ich hab vermutet, das Klärchen ist ein älteres Weiblein, vielleicht die Tante oder Oma oder so. Ich hab das so geglaubt, weil meine eigene Oma immer die Leni war im ganzen Dorf, bis sie dann zu schrumpeln angefangen hat. Wie sie halt älter wird und älter, wird sie halt auch kleiner und schrumpeliger. Vorher Weintraube, später Rosine. Und wie die Oma dann Rosine war, hat sie halt nicht mehr Leni geheißen, sondern Lenerl. Weil auf winzige schrumpelige Menschen so ein -erl ganz gut passt. Hab dann also gemeint, Klärchen war früher eine Klara und da jetzt Rosine, eben nun Klärchen. Es stellt sich aber raus, dass die Mütze Klärchen heißt. Was aber auch passt, weil die auch klein ist und schrumpelig.

Ja, und dann nehm ich erst mal die Personalien auf. Natürlich nicht vom Klärchen, sondern von der Besitzerin davon. Einen Pass hat sie grad nicht zur Hand, was aber wurst ist, weil sie ja sprechen kann: Halbfranzösin, väterlicherseits. Vorname: Mercedes. Mercedes! Benz! Achtundzwanzig Jahre, eins-zweiundsechzig groß, einundfünfzig Kilo. Dunkelbraune Haare, Augenfarbe blau. Sie beantwortet alles einwandfrei.

Erst bei der Frage nach dem Brustumfang wird sie stutzig. Ich mach dann die Taschenlampe an und such im Schnee nach Fußspuren. Werde auch fündig und kann die Abdrücke sofort identifizieren. Weil halt sonst niemand im Dorf solche Quadratlatschen hat wie der Flötzinger. Die Spuren führen von der Einfahrt her auf einen Stapel Brennholz, der an einem Schupfen lehnt und einen perfekten Aufstieg auf denselben ermöglicht. Da kraxele ich dann rauf und hab einen großartigen Blick in das einzige beleuchtete Zimmer. Auf dem Schupfendach neben meinen eigenen Fußspuren: die Quadratlatschen. Ich schau mir das so an, ziemlich lang sogar, weil: will professionellen Eindruck machen. Sie steht da in dem dünnen Fetzen und friert unübersehbar kolossal. Die Mütze liegt wieder in der Bauchmulde vom Ludwig und friert genauso. Irgendwann sag ich dann: »Also, der Kerl ist da oben gestanden und hat Ihnen durchs Fenster geglotzt?«

»Genau da oben«, sagt sie und deutet auf den Schupfen.

»Wie lang ungefähr?«

»Ja, das weiß ich doch nicht. Eine Zeit lang vermutlich. Wie ich ihn dann bemerkt hab, ist er natürlich weg wie nichts.«

»Weg wie nix, also? Und beschreiben könnens’ ihn nicht?«, frag ich, obwohl der Täter längst feststeht.

Sie schüttelt den Kopf.

»Es war doch stockfinster da draußen.«

Pause.

Dann: »Ich hab solche Angst.«

»Da brauchens’ jetzt gar keine Angst haben, Frau, ich kümmere mich drum«, sag ich ziemlich heroisch.

Sie nickt und lächelt. Dankbar.

»Alles klar«, sag ich. »Ich werde die Angelegenheit regeln. Jetzt gehen Sie schön ins Haus, ich werde Sie morgen über den Stand der Ermittlungen informieren.«

Dann fahr ich zum Flötzinger.

 

Schon wie er mir die Tür aufmacht, merk ich, dass etwas nicht stimmt. Ich schrei: »Hände hoch und an die Wand!«, mit der Pistole im Anschlag. Und er nimmt die Hände hoch und geht an die Wand. Irgendwas stimmt hier nicht, da liegt was in der Luft. Genau kann ich nicht sagen, was es ist, jedenfalls zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Der Flötzinger steht also wie ein Depp an der Wand und ich muss lachen und geh rein. Er ist barfuß und ich schau mir seine Quadratlatschen an. Kann aber nix Verdächtiges finden, außer vielleicht, dass sie ungepflegt sind. Dazu trägt er einen Trainingsanzug in grün-blau mit drei weißen Streifen und der Aufschrift: Abidas. Dämlich gefälschtes Teil vom Vietnamesenmarkt in Tschechien. Die machen sich jetzt aber auch gar keine Mühe mehr beim Fälschen. Solang es aber Leute gibt, die den Scheißdreck trotzdem kaufen (wie der Flötzinger), können sie sich die Mühe wohl auch sparen.

 

Wir gehen ins Wohnzimmer, da steht ein Mords-Christbaum mit dem Komplettwarenangebot vom Toys»R«Us drunter. Vom Mini-Mähdrescher mit zwölf PS und Viergangschaltung bis zum rosaroten Märchenschloss in XXL. Der Flötzinger schiebt mit dem Fuß ein paar Teile zur Seite, damit wir an die Eckbank kommen. Da setz ich mich nieder und nehm mein Diktiergerät aus der Tasche meiner dienstlichen Lederjacke. Drück auf Start und stell es auf den Tisch.

»Test, Test. Herr Flötzinger, wo waren Sie heute den ganzen Abend?«, frag ich ihn so. Er zeigt mir den Vogel, was mir wiederum wurst ist, weil man das auf dem Diktiergerät nicht sieht.

»Ich hab heute Abend die Mary mitsamt dem Ignatz-Fynn und der Clara-Jane zum Münchner Flughafen gebracht, wegen dem Besuch bei den Schwiegereltern.«

Irgendwie macht das schon Sinn, und trotzdem hab ich ein ungutes Gefühl, das von Sekunde zu Sekunde stärker wird. Ich überleg grad so, ob ich meine Waffe wieder auf ihn richten soll – da – ein Nieser. Und kein normaler, so – hatschi – nein, ich glaub, meine Nasenflügel verlassen für immer mein Gesicht. Der Flötzinger steht auf.

»Wo willst du jetzt hin?«, schrei ich ihn an.

»Ein Tempo holen, weil ich keinen Bock hab, dass hier überall deine Rotzpoppeln rumfliegen!«

Er geht und holt ein Tempo.

Mir tränen die Augen und ich reib sie mit dem Tempo. Leider nur von außen, weil ich ja innen nicht drankomm. Jucken tun sie aber auf der Innenseite. Dann reißt es mich wieder. Aber diesmal nicht einmal oder so, sondern eine wahre Nieskanonade. Ich kann praktisch gar nicht mehr aufhören und wie dann doch, sind meine Augen zugeschwollen bis auf einen winzigen Millimeter.

Mein einziger Gedanke: Tränengas! Mein Gott, der Flötzinger hat Tränengas benutzt! Grad reißt es mich wieder, da springt mich was an. Es ist wie in einem James-Bond-Film, nur, dass der Flötzinger der Bond ist und ich bin der russische Schwachkopf, den er grad fertigmacht. Es ist eine Katze, die mich jetzt anschaut. Auge in Auge, und sie ist aus Angora. Sie macht einen Buckel und setzt so abwechselnd ihre Pfoten auf meine Hose, als wär sie auf einem Stepper.

Womöglich ist es gar kein Tränengas, sondern die Katzenallergie, die ich schon seit immer habe, geht es mir jetzt so durch den Kopf. Und das Letzte, was ich sehe, sind Hunderte feiner fliegender Härchen direkt vor meinem Schädel. Dann sind die Schlitze zu und Dunkelheit für immer. Mit letzter Kraft schubs ich das blöde Vieh von meinem Schoß.

»Seit wann hast du die blöde Katze?«, muss ich jetzt fragen.

»Weihnachtsgeschenk für den Ignatz-Fynn«, sagt er. »Weihnachtsgeschenk für die Clara-Jane liegt noch im Katzenkorb und ist das Geschwisterchen.«

Mir reicht’s! Ich pack das Diktiergerät ein und greif nach der Waffe.

»Bist du allergisch gegen Katzen?«, fragt mich der Flötzinger und mein Finger am Abzug wird nervös.

»Bring mich heim!«, sag ich zwischen zwei Niesern. Der Flötzinger hakt mich unter und führt mich zum Auto. Hilft mir beim Einsteigen und beim Aussteigen und bringt mich ins Haus.

 

Gott sei Dank ist der Papa noch auf und hört die Beatles. Leider ist auch der Leopold noch auf und hört auch die Beatles. Schaut zu, wie mich mein Hauptverdächtiger in die Küche führt und sich dann verabschiedet. Ich setz mich an den Küchentisch und der Papa macht mir einen Kamillenaufguss. Mir ist es, als würd ich über einer Tabascoflasche inhalieren und ich hab das dringende Bedürfnis, meine Augen zu kratzen. Auf der Innenseite. Weil ich aber da, wie gesagt, nicht drankomm, kratz ich sie auf der Außenseite. Sie sind geschwollen und drücken sich aus der Höhle heraus und haben die Größe von Tischtennisbällen.

Wie nix mehr hilft, weckt der Papa die Oma, und die holt aus dem Medizinschrank ein Mittel, das hilft. Das Erste, was ich durch meinen wiedererlangten Schlitz seh, ist das dümmliche Grinsen von der alten Schleimsau.

»Was schaust jetzt da so blöd, ha?«, sag ich relativ aggressiv, weil mir das jetzt gerade noch fehlt. Er sagt irgendwas von »wahnsinnig stressiger Job« und geht dann ins Bett.

Die Oma bringt mich in den Saustall rüber und legt mich aufs Kanapee. Macht den Heizstrahler an und geht raus. Jetzt erst fällt mir auf, dass ich den Ludwig vergessen hab. Der arme Ludwig sitzt noch immer im Streifenwagen, und der steht in der Auffahrt vom Flötzinger. Also wieder raus. Ich geh zu Fuß, notgedrungen, und die frische Luft tut mir gut. Der Ludwig freut sich, wie ich komm. Meine Augen sind wieder so weit offen, dass ich mit dem Auto heimfahren kann. Wie wir dann endlich so vor unserem Heizstrahler hocken, wir zwei, da geht die Tür auf und der Papa kommt rein.

»Der Flötzinger hat angerufen. Jemand hätt grad den Streifenwagen aus seiner Auffahrt geklaut«, sagt er so und geht dann wieder.

 

Am nächsten Tag geht’s mir wieder einwandfrei, meine Augen sind nur noch rot und die Nase auch. Geschwollen ist aber nix mehr. Nach dem Frühstück nehm ich meine Ermittlungen wieder auf, obwohl Feiertag. Fahr zuerst zum Flötzinger, hüte mich aber davor, näher ans Haus zu kommen, von wegen Erfahrungswerte. Nehm also die Flüstertüte und fordere den Flötzinger auf, rauszukommen.

Nix passiert.

Ich geh mit der Tüte ums ganze Haus rum und fordere auf und fordere auf und nix passiert. Die Mooshammer Liesl, wo die Nachbarin ist, schreit aus dem Fenster heraus, was denn los ist. Und ich sag: Nix! Scheinbar keiner daheim. Oder er hat sich verbarrikadiert. Da ich aber aus gesundheitlichen Gründen nicht selber die Tür aufschießen und nachschauen kann, muss ich womöglich Verstärkung anfordern. Vorher aber fahr ich noch zum Opfer. Mal schauen, wie’s ihr geht.

 

Ich fahr also zum Sonnleitnergut, und jetzt wird’s ermittlungstechnisch interessant. Weil nämlich das Auto vom Flötzinger in der Einfahrt steht. Grad will ich wieder zu meiner Flüstertüte greifen, wegen Aufforderung, da geht die Tür auf und Täter und Opfer kommen einträchtig raus. Ich geh hinter dem Streifenwagen in Deckung und greif sicherheitshalber nach meiner Waffe.

Ist aber nicht da!

Siedendheiß fällt mir ein, dass ich sie gestern Nacht, nachdem mich der Flötzinger heimgebracht hat, neben der Inhalationsschüssel auf dem Küchentisch liegen hab lassen. Na bravo! Ich lauer da also so unbewaffnet hinter dem Streifenwagen, und der Ludwig schaut mich durchs Fenster ganz mitleidig an. Es ist mir zuwider, dass er sein Herrle so sehen muss. Jetzt haben die zwei mein Auto entdeckt und der Flötzinger schreit: »Na, Franz, kannst schon wieder rausschauen aus deinen Augen, oder soll ich dich führen?«

Und dann zur Frau Dechampes-Sonnleitner, alias Benz: »Dem sind die Augen gestern zugeschwollen, mein lieber Scholli, das glaubst nicht. Der verträgt keine Katzen nicht.«

Bin dann aus meiner Deckung raus und auf die zwei zu. Dann erfahr ich, dass sich der Flötzinger das Haus angeschaut hat, wegen Gas, Wasser, Heizung, und dass er morgen mit der Arbeit dort anfängt. Dann Verabschiedung. Die Frau geht ins Haus, der Flötzinger zu seinem Auto.

 

So leicht kommt er mir aber nicht davon. Weil ich nämlich immer noch nicht weiß, warum er gestern Nacht um das Sonnleitnergut rumgeschlichen ist. Ich sag, dass ich jetzt mit dem Ludwig meine Runde dreh, und er soll mitgehen. Weil: zu ihm heim können wir nicht wegen Gesundheit. Zu mir heim können wir nicht wegen Schleimsau, und der Wolfi hat noch nicht auf. Natürlich hab ich im Rathaus auch ein Dienstzimmer. Da können wir aber auch nicht hin, weil da der Bürgermeister seine Weihnachtsverwandtschaft untergebracht hat. Bleibt also nur die freie Natur. Wir wandern los.

 

Wir haben eins-neunzehn gebraucht, was ganz beachtlich ist, wenn man an die Weihnachtsvöllerei denkt. Der Flötzinger hat’s auch gleich zugegeben und meinen Verdacht bestätigt. Hat sozusagen meine untrügliche Spürnase trotz tierhaartechnischer Beeinträchtigung nicht täuschen können. Er war eben gestern, nachdem er seine Familie der Lufthansa übergeben hat, tatsächlich auf dem Sonnleitnergut. Das hat er mir erzählt, und hat dafür eins-fünfzehn gebraucht. Ich mach’s kürzer und zwar so: der Flötzinger hat nämlich sexuelle Defizite, mein lieber Schwan! Weil nämlich sein Eheweib seit der Geburt von der Clara-Jane nichts mehr wissen will von wegen Liebet und mehret euch!

»Weil sie die Schnauze voll hat«, sagt er. »Sowohl von Nachwuchs als auch dem dazugehörigen Prozedere. Ich darf sie ja noch nicht einmal mehr anschauen nackig. Höchstens im Flanellnachthemd, wo ich dann aber auch drauf scheiß. Sie ist praktisch geschlechtslos seit der Clara-Jane, als hätt sie ihre Muschi gleich mit der Nachgeburt verloren«, sagt er. Und drum ist er gestern zum Sonnleitnergut. In der Hoffnung, einen Blick auf die Sahneschnitte werfen zu können, am besten nackig.