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Wozu das alles? E-Book

Christian Uhle

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Beschreibung

Worum geht es wirklich im Leben? Christian Uhle zeigt, wie uns Philosophie als Kompass dienen kann. Auf der Suche nach Sinn und Orientierung begibt sich der Philosoph auf eine Reise zu den Dingen, die wirklich zählen und liefert philosophische Antworten auf die ganz großen Fragen. Die meisten Menschen stehen im Laufe ihres Lebens vor Sinnfragen – bei Begegnungen mit dem Tod, dem Schicksal, in Krisenzeiten wie der Pandemie oder ganz handfest am Arbeitsplatz: Wozu das alles?? Was ist wirklich wertvoll und macht ein gutes Leben aus? Während Sinnangebote an jeder Ecke aus dem Boden sprießen, wird es immer schwieriger, darin Orientierung zu finden und fundierte Antworten von Sinnmärchen zu unterscheiden. Auf ebenso kluge wie zugängliche Weise und mit vielen Beispielen entwickelt Christian Uhle neue Perspektiven auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Dabei bringt er erstmals aktuelle Erkenntnisse aus Philosophie, Psychologie und Soziologie zusammen und zeigt: Sinn ist möglich – für jeden von uns!

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Seitenzahl: 631

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Christian Uhle

Wozu das alles?

Eine philosophische Reise zum Sinn des Lebens

FISCHER E-Books

Inhalt

Vorwort Wozu dieses Buch?Die Philosophie ist gefragtDas Leben besser verstehenProlog Im ZweifelEinleitung Ein Kompass für unsere ReiseDoch wie vorgehen?Warum bin ich hier?Sinn als ZweckDie große RevolutionSinnloser Sinn und wertlose ZweckeEndzweckeWohin führt das alles?Auf Tuchfühlung mit der EwigkeitAlles muss endenSinn durch Ewigkeit?Das Leben als ReiseFacetten des SinnsSinn durch HoffnungHandeln und hoffenFormen der BewegungAngeln nach der ZukunftWachstum und FortschrittDas Leben ist BewegungSpiel des LebensVerlerntes wiederfindenTanz auf dem DrahtseilMemento MoriDer große SprungWas ist wirklich wichtig?Ist Glück der Sinn des Lebens?Die große WahlIst Sinn gut für uns?Die Freude, eine Ursache zu seinSchaff dir deinen eigenen Sinn?Die Frage nach dem SollenLieben, was der Liebe wert istDie Suche nach objektiven WertenUmkämpfte WerteSchattenseiten des SinnsAgapeFürsorgeEine verwandelte WeltEtwas Wertvolles bewegenNur Menschen sind der Liebe wertGrenzen des SinnsSinn der ArbeitEs gibt tatsächlich sinnlose JobsKontexte strukturieren unsere BegegnungenSmith gegen SmithWirtschaft als moralfreie Zone?Sinn als UnternehmensstrategieArbeit neu denkenWert und WertschätzungMut zum SinnVersöhnung mit dem Lauf der Dinge?Leben ist mehr als HandelnAbsurde WeltAuf der Suche nach SchicksalWen interessiert’s?Die Gleichgültigkeit unserer WeltSinn als BedeutsamkeitPhiliaAntwort und DialogFreundschaft als wechselseitige SinnbeziehungDialog jenseits von FreundschaftenDu oder Es?Tiere sind des Menschen Freund?Hass als Sinnbeziehung?Dialog in Gemeinschaft und GesellschaftWeltbeziehungenWelt berührenWelt beherrschenZuhause zwischen Dingen?Wenn sich Töne zu Melodien fügenSegelnReibungStürmeLebendige WeltWo bin ich zu Hause?Die Getrenntheit von unserer WeltSinn durch VerbundenheitDie Suche nach dem verlorenen SinnErosEntgrenzungEinheit des SelbstAuf der FluchtIch bin LeibDer Ruf des KuckucksTarzans SchicksalNicht jede Lösung ist eine AntwortSinn und SinnlichkeitDer Welt einen Sinn abgewinnenNarrativer SinnDie Macht des PositivismusGrenzen der ErkenntnisWas ist wahr?Auf der Suche nach EinheitGrund zur DemutMut zur VerzauberungDer poetische BlickDie Geschichte vom Ende der GeschichtenDas InformationszeitalterIm SchwebezustandWer bin ich?Die Geschichte meines LebensIdentität als ErzählungHandeln und SeinWer erzählt mich?Es gibt kein Ich an sichSinn durch TeilhabeZwischen Individualismus und KollektivismusEinbettungBiologie und SozialitätDie Suche nach Identität in der SpätmoderneSchöne Alte WeltDer Weg in die SpätmoderneNeue HerausforderungenIm LabyrinthDie Quadratur des KreisesParadoxe BotschaftenFreiräume ausweitenSei du selbst!AngekommenVier Erfahrungen, die uns zweifeln lassenZwecklosigkeitVergänglichkeitGleichgültigkeitGetrenntheit und EntfremdungEine pluralistische TheorieSinnvolle VisionenPyramide der VerwirrungVom Kosmos auf die ErdeSinn zur Sprache bringenWenn das Ich sich öffnetWahrheitsanspruchEine neue NormalitätDanksagung

VorwortWozu dieses Buch?

Was ist der Sinn des Lebens?

Diese Frage bewegt Menschen seit Jahrtausenden. Schon in den ältesten Schriften, die uns bekannt sind, suchen unsere Vorfahren nach Antwort. So erzählt das Gilgamesch-Epos von einem König, der zutiefst mit seiner Vergänglichkeit hadert und sich auf eine gefährliche Reise begibt, um seinem Schicksal zu entgehen. Vor viertausend Jahren wurde dieser mesopotamische Mythos in Stein gemeißelt; unzählige weitere Geschichten wurden seitdem verfasst, erst auf Tontafeln, dann auf Tierhäuten, schließlich auf Papier und Computern. Durch die Epochen und Kulturen hindurch erzählten sie von Konflikten, die einander bemerkenswert ähnelten und immer wieder die gleichen Grundfragen aufwarfen: Wozu sind wir auf der Welt? Was ist wirklich wertvoll und wichtig im Leben?

Mich selbst holten diese Fragen das erste Mal mit sechzehn ein. Ich war unglücklich verliebt, über Tage hinweg drang mein Kummer immer tiefer. Sämtliche Anstrengungen in der Schule, ja, überhaupt im Leben, erschienen mir plötzlich wertlos. Zurückgezogen in meinem Zimmer dachte ich nach. Doch meine Gedanken drehten sich nur träge im Kreis, ergaben kein richtiges Bild. Um diesem Karussell zu entkommen und mich zu ordnen, nahm ich schließlich zwei Blatt Papier und begann zu schreiben. Ich wollte dieses Gefühl, diese Frage ernst nehmen und nicht verdrängen: Was ist der Sinn des Lebens?

Die ersten Worte fügten sich nur zögerlich aneinander, flossen dann aber immer schneller und fast wie von selbst – wie eine Wahrheit, die ans Licht will. Überrascht schaute ich schließlich auf mein ebenso simples wie einleuchtendes Ergebnis: Einen äußeren, übergeordneten Sinn des Lebens wünschen sich Menschen eigentlich nur, damit das Leben für sie selbst Sinn ergibt. Auf den einen Sinn des Lebens kam es also nicht zwangsläufig an. Ich musste mich vielmehr fragen, welchen Sinn die Welt für mich haben konnte!

So schlagartig, wie es vermutlich nur auf der wilden Achterbahn der Pubertät möglich ist, war meine Krise gelöst. Erleichtert beendete ich den selbst auferlegten Zimmerarrest und verabredete mich noch am gleichen Tag mit einigen Freunden.

Meiner damaligen Schlussfolgerung stimme ich heute nicht mehr zu. Sie verwechselt das sinnvolle mit dem guten Leben, davon bin ich mittlerweile überzeugt. Auf diesen Unterschied werde ich noch ausführlich eingehen. Die Erfahrung war für mich allerdings prägend: Philosophie kann heilsam sein! Wenn man über große Fragen nachdenkt, verstärken sich bestehende Zweifel zwar anfangs oft, aber mit der Zeit sortieren sich die ersten Fäden, und der Nebel lichtet sich.

Die beiden Seiten, mit denen alles begonnen hatte, ließen mich auch nach meiner Schulzeit nicht los. Nach sieben Jahren schloss ich mein Philosophiestudium mit einer Arbeit über die Sinnfrage ab. Doch immer noch hatte ich nicht das Gefühl, zufriedenstellende Antworten gefunden zu haben. Also fing ich von vorn an – mit einem leeren Blatt Papier, mit einem letzten, kurzen Aufsatz über die Frage nach dem Sinn des Lebens.

Es war der Beginn einer langen, größtenteils beflügelnden, manchmal aber auch kräftezehrenden Reise. Aus zehn Seiten wurden fünfzig, aus fünfzig wurden hundert. Und erst als ich schon mittendrin war, wurde mir klar, dass sich mein Aufsatz zu einem Buchprojekt entwickelt hatte, das mich noch lange Zeit beschäftigen sollte.

Die Philosophie ist gefragt

In den letzten Jahrtausenden antworteten vor allem Religionen und Mythen auf die menschliche Sehnsucht nach einem sinnvollen Leben. Und natürlich glauben auch heute noch viele Menschen an eine kosmische Ordnung und können daraus Kraft und Orientierung schöpfen. Seit Beginn der sogenannten gesellschaftlichen Moderne im 18. Jahrhundert nimmt der Einfluss solcher Weltbilder jedoch stetig ab. Immer weniger Menschen können aus Religionen einen Sinn ziehen, der sie auch durch den weltlichen Alltag trägt. Teilweise stoßen esoterische Strömungen in dieses Sinnvakuum, doch sie wirken häufig beliebig und lassen sich nur schwer mit wissenschaftlichen Erkenntnissen in Einklang bringen.

Daher wird die Frage drängender, wie ein Sinn des Lebens ohne ein religiöses oder esoterisches Fundament aussehen könnte. Das ist nicht nur eine philosophische Herausforderung. Viele Menschen ringen ganz konkret mit der Frage: Worum geht es eigentlich im Leben?

Unser gegenwärtiger Liberalismus hilft hier nur teilweise weiter. Täglich werden wir mit der Grundbotschaft konfrontiert: Jeder ist seines eigenen Glücks Schmied, jede Person schafft ihren eigenen Sinn. Das hat etwas Befreiendes, doch gleichzeitig werden wir mit dieser Freiheit ziemlich allein gelassen. Und das kann belastend sein.

Eigentlich wäre die Philosophie gefragt, uns bei der Orientierung in dieser Weite zumindest zu helfen. Doch an den Universitäten wird kaum über Sinn nachgedacht. Für Außenstehende mag das überraschend sein: Immerhin ist die Frage nach dem Sinn des Lebens ja die Klischee-Frage der Philosophie schlechthin. Aber vermutlich ist genau das der Punkt. Gerade weil die Frage so aufgeladen ist und obendrein noch ein religiöses Erbe hat, wird sie im akademischen Kontext meist vermieden. Während in den Seminarräumen intensiv über Freiheit, Wahrheit oder Gerechtigkeit diskutiert wird, werden Debatten über den Lebenssinn vorwiegend als unseriös wahrgenommen.

Das ist bedauerlich. Schließlich kämpfen die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens mit Sinnfragen – bei Begegnungen mit dem Tod, auf der Suche nach dem individuellen Schicksal oder ganz konkret am Arbeitsplatz. Laut repräsentativen Umfragen beschäftigen sich 69 Prozent aller Menschen in Deutschland regelmäßig mit Fragen nach dem Lebenssinn.[1]17,8 Millionen halten diese Auseinandersetzung sogar für besonders wichtig.[2]

Trotzdem schweigt die aktuelle Philosophie, zumindest weitestgehend. Dabei könnte sie gerade bei schwer greifbaren, schwammigen Fragen mehr Klarheit bringen. Dafür muss Philosophie allerdings lebensnah sein, und das ist an Universitäten nur selten der Fall. Hier ist mittlerweile ein sehr technischer Blick auf die Welt verbreitet, der als analytische Philosophie bezeichnet wird. Die Sinnfrage ist jedoch kein technisch-analytisches Problem, sondern ein existenzielles. Sie entsteht mitten im Leben, meist begleitet von emotionalen Zweifeln. Eine rein analytische Perspektive ist für dieses Thema nicht geeignet; ihre Herangehensweise passt schlichtweg nicht zum Problem. Wir brauchen andere Ansätze und eine Sprache, die Analytik mit emotionalen Zugängen verbindet – teils auch mit Poesie.

Das ist nicht nur eine Frage der Verpackung. Denn Sprache ist nie neutral, immer enthält sie indirekte Deutungen unseres Lebens in der Welt. Eine eigene Philosophie zu schaffen bedeutet daher nicht nur, Argumente zusammenzusetzen wie die Bauteile einer Maschine, sondern auch, eine eigene Sprache zu entwickeln.

Das ist mein Anliegen. Ich möchte eine inhaltlich überzeugende Theorie des sinnvollen Lebens entfalten, möchte dich mitnehmen auf eine philosophische Reise und auf diesem Weg eine Sprache für eine Philosophie finden, die ihren Platz mitten im persönlichen Leben einnehmen kann. Denn die verbreitete Unterscheidung zwischen professioneller Philosophie und Populärphilosophie ist meiner Ansicht nach wenig gewinnbringend. Eine tiefere Auseinandersetzung mit lebenspraktischen Fragen ist immer auch philosophisch. Und gute Philosophie ist immer auch lebensnah.

Das Leben besser verstehen

Insgesamt sechs Jahre habe ich an diesem Buch gearbeitet. Je länger ich über die Sinnfrage nachdachte, desto stärker wurde ihre Sogwirkung auf mich. Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist ebenso schillernd wie grundlegend. Es gibt nur wenige Bereiche der Philosophie, die nicht in Zusammenhang mit ihr stehen.

Gerade weil die Frage so weitreichend ist, werden wir in diesem Buch auch disziplinäre Grenzen überschreiten. Denn wenn es stimmt, dass Sinn ein menschliches Grundbedürfnis ist, stehen wir an der Schwelle zur Psychologie. Und wenn die Suche nach Sinn gerade in spätmodernen Gesellschaften besonders verbreitet ist, dann ist dies auch ein Thema der Soziologie.

Die Sehnsucht nach Sinn prägt unser Leben in höherem Maße, als uns manchmal bewusst ist. Als ständiger Begleiter steht sie hinter vielen Anstrengungen, etwa wenn es darum geht, den eigenen Weg zu finden, sich zu verwirklichen, gesellschaftlich einzubringen, mit Rückschlägen oder der eigenen Vergänglichkeit umzugehen und gescheiterte Beziehungen zu verarbeiten. Indem wir die menschliche Suche nach Sinn in den Fokus nehmen und ihr auf den Grund gehen, können wir eine neue Perspektive auf unser Leben entwickeln. Und genau das macht nach meinem Verständnis eine gelungene philosophische Theorie aus: Sie eröffnet neue Blickwinkel auf die Welt und unsere Rolle in ihr.

Insofern dient dieses Buch nicht direkt als Ratgeber. Natürlich ergeben sich an vielen Stellen auch Anknüpfungspunkte für die persönliche Lebensführung. Insgesamt ist das Ziel aber weniger, am Ende genau zu wissen, was zu tun ist, sondern vielmehr die eigenen Wünsche und inneren Konflikte, die Zweifel und Erfahrungen im Alltag besser zu verstehen – und sich dadurch leichter in der Welt orientieren zu können. So ging es mir beim Lesen längst nicht aller, aber immerhin einiger philosophischer Bücher. Mein Traum ist, dass auch mein Buch solche Erfahrungen ermöglicht.

Dieses Buch ist kein persönlicher Bericht darüber, was mir selbst Sinn im Leben gibt. So einzigartig jeder einzelne Mensch ist – unsere individuellen Sinnsuchen haben mehr Gemeinsamkeiten, als der erste Blick vermuten lässt. Um genau diese Gemeinsamkeiten geht es mir. Denken wir an Gilgamesch, Konfuzius oder die antiken Griechen: Die Suche nach Sinn ist ein Grundmotiv der Menschheit. Natürlich kann diese Suche unterschiedliche Ausprägungen haben. In Situationen von Freiheit und Optionsvielfalt stellt sich die Sinnfrage anders, als wenn das eigene Überleben auf dem Spiel steht. Gerade diese Vielschichtigkeit zeichnet die Sinnfrage aus und macht sie so spannend.

Obwohl es also um den Sinn des Lebens für alle Menschen gehen soll, ist es nicht mein Anspruch, allgemeingültige, objektiv wahre Aussagen zu treffen. Ich bin überzeugt: Keine philosophische Theorie kann das. Die Aufgabe der Philosophie sehe ich vielmehr darin, unser Leben in dieser Welt zu interpretieren, dadurch verständlich zu machen und Orientierung zu ermöglichen. Dazu möchte ich beitragen, indem ich eine Deutung der Sinnfrage anbiete, die sie als grundlegende menschliche Sehnsucht ernst nimmt.

Zahlreiche Menschen haben mir auf meiner Reise geholfen. Vielen davon bin ich nie persönlich begegnet, die meisten sind schon längst verstorben; durch Bücher und Aufsätze konnte ich trotzdem von ihnen lernen. Andere sind enge Wegbegleiterinnen und -begleiter, mit denen ich lange, persönliche Gespräche führen durfte. Sie alle haben meine eigene Perspektive auf das Leben erweitert. Und nun ist meine Hoffnung, dass dich dieses Buch auf ähnliche Weise bereichern kann.

PrologIm Zweifel

Es gibt ein Gefühl.

Mal überfällt es uns schlagartig, von einer Sekunde auf die andere, mal kommt es ganz leise näher, legt langsam seine Tentakel um uns, Stück für Stück, bis wir kaum noch atmen können. Was ich meine, ist ein Gefühl von existenzieller Einsamkeit, die Welt erscheint plötzlich fremd. Nichts scheint mehr zu passen.

Ich stelle mir vor, wie ich im Kino sitze, auf der Leinwand eine Komödie, doch das Lachen bleibt mir im Halse stecken. Da ist ein Gedanke: Unterhaltung ist nichts anderes als Ablenkung, Ablenkung von der Sinnlosigkeit. Wofür lohnt es sich zu leben? Wohl kaum, um ins Kino zu gehen. Ich versuche, Pläne zu schmieden, mir Aufgaben zu suchen, Ziele zu setzen und an ihrer Umsetzung zu arbeiten. Aber wozu? Was macht das schon für einen Unterschied?

Es ist ein paradoxes Nebeneinander: Oft scheint alles so klar. Wir sind beseelt vom Leben, und jeder Zweifel an dessen Sinn wäre geradezu absurd. Wir sind mittendrin, verwoben in den Konflikten und Schönheiten des Alltags, haben kleine oder große Ziele vor Augen, genießen den Austausch mit unseren Freundinnen und Freunden; wir leben in Selbstverständlichkeit. In diesen Phasen erfahren wir das Leben als zutiefst sinnvoll, auch wenn wir niemals in Worte fassen könnten, was der Sinn des Lebens eigentlich ist. Ludwig Wittgenstein (1889–1951) schloss daraus: »Die Lösung des Problems des Lebens merkt man am Verschwinden dieses Problems.«[1]

Vielleicht sind wir in genau diesen Momenten wahrhaftig weise, haben ganz intuitiv eine Antwort gefunden, die uns wie von allein in die richtige Richtung lenkt. Diese Momente legen nahe: Natürlich kann das Leben sinnvoll sein, ja, geradezu durchtränkt von Sinn!

Doch die anderen Momente gibt es auch, die Momente, in denen wir nicht weniger klar, nicht weniger intuitiv und deutlich erkennen: Letztlich ist alles sinnlos. Das Leben, nur ein kurzes Theater, ein unbeholfenes Stolpern in den sicheren Tod. Was soll das alles? Plötzlich breitet sich eine Leere aus. Und gerade weil der Sinn eben noch so natürlich und selbstverständlich da war, ist es nun schwierig, ihn wiederzufinden. Möglicherweise sind wir einfach nur durcheinander. Wir versuchen uns zusammenzureißen. Aber das ist gar nicht so leicht. Stimmt etwas nicht mit uns? Ein Zweifel drängt sich auf: Oder ist es diese Welt, mit der etwas nicht stimmt – in der etwas fehlt?

Solche Erfahrungen von Sinnlosigkeit und Absurdität können »einen beliebigen Menschen an einer beliebigen Straßenecke anspringen«, schrieb Albert Camus (1913–1960).[2] Und wahrscheinlich haben sie fast jeden Menschen einmal angesprungen, wenn auch sicherlich nicht auf die gleiche Weise. Ebenso wie verschiedene Personen auf ihre eigene Art lieben, kann das Gefühl von Sinnlosigkeit in ganz unterschiedlichen Gestalten auftreten. Natürlich, einige Menschen befanden sich noch nie in einer anhaltenden, kräftezehrenden Sinnkrise; doch meist kennen auch sie diese Augenblicke, in denen eine Ahnung von Sinnlosigkeit durch den Alltag bricht.

Ich wache auf, frühstücke und lese wie jeden Morgen die Zeitung. Weit weg gibt es Kriege. Mir geht es so weit gut. Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen habe ich einen Job, gute Freunde und weiß insgeheim, dass die meisten meiner Sorgen völlig unbegründet sind. Ich gehe ins Bad, putze die Zähne, sehe mich flüchtig im Spiegel; ein Bild von mir.

Im leichten Nieselregen gehe ich durch die Straßen zur Bushaltestelle. Wie jeden Morgen warten dort schon andere und wischen beschäftigt auf ihren Smartphones herum. Ungeduldig schaue ich in die Richtung, aus der jetzt eigentlich der Bus kommen müsste, betrachte dann die anderen, die missmutig aufblicken. So oft standen wir schon hier, ein Tag wie jeder andere.

Und dann, plötzlich, bin ich nicht mehr indieser Situation, sondern irgendwie draußen. Mein Blick: ver-rückt. Die Bewegungen der anderen Wartenden wirken mechanisch, dieser Ort, den ich so gut kenne, hat jede Vertrautheit verloren. Als wären unsichtbare Fäden, die mich eben noch mit dieser Umgebung verbanden, plötzlich durchtrennt worden. Als wäre ich herausgerissenworden aus dieser Situation und nun in eine völlig identisch aussehende Kulisse versetzt. Gerade dieser Kontrast, dieser Verlusteiner eben noch so deutlichen Verbindung macht die Fremdheit umso spürbarer. Diese Bushaltestelle ist mir auf einmal fremder, als es ein unbekannter Ort im Ausland je sein könnte. Menschen und Straßen wirken wie aus einem Traum. Paradoxerweise fühlt es sich gleichzeitig so an, als wäre ich gerade aus einem langen Traum erwacht. Denn obwohl jede Geste, jedes Wort, jedes Symbol plötzlich seine Selbstverständlichkeitverloren hat, ist mein Blick sehr viel klarer als sonst. Die Welt ist mir entglitten und wieder sie selbst geworden.[3] So wirkt es fast, als würde ich diese gewohnte Situation das erste Mal erfahren, wie sie wirklichist: objektiv, nüchtern und kalt.

Ich spüre meinen Mantel auf der Schulter, aber er wirkt wie eine Fälschung, ist nicht mehr mein Mantel. Unheimlich. Die Oberfläche meines Smartphones ist hart und undurchdringlich, fühlt sich nicht wie sonst an, irgendwie anders und verkehrt. Alles fühlt sich nun verkehrt an – jetzt hier zu sein, zur Arbeit zu fahren, ich zu sein. Als würde ich nur eine Rolle spielen, während ich hier herumstehe und warte. Was mache ich hier eigentlich? In diesem Moment sehe ich klar und eindeutig, dass dieses ganze Schauspiel sinnlos ist.

Mit einem Schlag befällt mich eine dumpfe, unbestimmte Angst. Das ist der Preis. Ich habe in einen Raum geschaut, der nicht für mich bestimmt ist. Diesen Preis will ich nicht zahlen, zumindest nicht jetzt und nicht heute. Ich starre auf mein Smartphone, keine neue Nachricht. Plötzlich hält der Bus vor mir, schnell dränge ich hinein. Es ist kaum Platz, jemand rempelt mich an, ich schnauze ihn an, eine Spur zu scharf. Der Bus fährt los, endlich erscheint eine Kurznachricht auf meinem Handy, sofort antworte ich. Wohlig legt sich eine Decke um mich. Ich bin wieder normal, nicht mehr verrückt. Endlich.

Doch ganz so schnell und einfach geht es nicht zurück in die vertraute Selbstverständlichkeit. Welcher Blick auf das Leben ist der richtige und wahre – diese Unsicherheit bleibt. War ich an der Haltestelle nur kurzzeitig verwirrt oder ist in Wahrheit mein sonstiges Leben eine einzige Verwirrung?

In alltäglichen Situationen wie dieser kann uns das Gefühl von Sinnlosigkeit durchzucken wie ein plötzlicher Schmerz im Nacken, ohne Vorwarnung und ohne erkennbaren Grund. Es kann eine kurze Verunsicherung auslösen oder eine existenzielle Depression. Es kann uns für Sekunden streifen wie eine Windböe oder ganze Lebensphasen in Nebel hüllen. Nicht immer überkommt es uns so willkürlich wie an der Bushaltestelle. Manchmal sind die Auslöser eindeutig, etwa wenn eine geliebte Person stirbt oder wir an den eigenen Tod denken. Viele Menschen machen ähnliche Erfahrungen auch am Arbeitsplatz, wenn ihr Leben wie in einem Karussell täglich an ihnen vorbeifliegt. Eine ewige Wiederkehr von etwas, das man ja eigentlich gar nicht tun möchte und dennoch tut, warum also eigentlich, bis zur Pensionierung. Dabei ist ausgerechnet die Rente oft keine Erlösung von Sinnfragen, wenn es scheint, als gäbe es keine andere Aufgabe mehr, als die Tage krampfhaft mit Freizeitaktivitäten vollzupacken.

Aber vielleicht basieren all diese kleinen und großen Krisen ja auf völlig falschen Perspektiven! Vielleicht erkennen Menschen in solchen Situationen keine tiefere Wahrheit, sondern sind emotional verunsichert. Vielleicht ist das Leben durch und durch sinnvoll, nur manchmal sehen wir das nicht und verlieren unser Gefühl für den Sinn.

Fakt ist, dass die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens mit Empfindungen von Sinnlosigkeit umgehen müssen. Wie können wir solche Erfahrungen besser verstehen?

Ebenso wie die Liebe zu den eigenen Eltern ganz anders ist als die stürmische Verliebtheit am Anfang einer romantischen Beziehung, so hat auch das Gefühl der Sinnlosigkeit tausend Gesichter. Wie die Liebe lässt es sich nicht präzise beschreiben, sondern nur umkreisen. Gleichzeitig haben die unterschiedlichen Formen der Liebe einen gemeinsamen Kern – und so haben auch die Momente des Absurden, der existenziellen Entfremdung und Sinnkrise trotz aller Vielgestaltigkeit ihre Gemeinsamkeiten. Eine ist offensichtlich: In all diesen Momenten sehen wir uns mit einer grundlegenden Frage konfrontiert – der Frage nach dem Sinn des Lebens.

EinleitungEin Kompass für unsere Reise

Es war mitten am helllichten Tag, als ein dürrer Mann das Dorf betrat. Woher kam er? Wahrscheinlich vom Berg, munkelte man. Ein Einsiedler, vielleicht ein Irrer. Vielleicht aber auch jemand, der weit herumgekommen war, jemand, der Neuigkeiten aus der Welt da draußen brachte. Allein schritt der Fremde durch die Straßen, über staubige Wege aus Geröll und befestigter Erde. Schließlich kam er zum Marktplatz, aufrecht stellte er sich in die Mitte, vor sich: eine Laterne. Und das zur hellsten Mittagszeit! Da lachten die Menschen. Die Sache war eindeutig, ein Irrer war das. Als der Mann schließlich zu sprechen begann, wurde das Urteil der Umherstehenden nur bestätigt. Hart und unnachgiebig wurde es, wie ein Klotz aus Beton. Denn es war wahnsinnig, unverständlich und unerhört, was er plötzlich schrie! Dort, mitten auf dem Platz, mit seiner unsinnigen Laterne in der Hand, rief er mit aller Gewalt: »Gott ist todt! Gott bleibt todt! Und wir haben ihn getödtet!«[1]

Diese Geschichte erzählt Friedrich Nietzsche (1844–1900) in seinem wohl berühmtesten Aphorismus. Er selbst wählte natürlich andere Worte. Deutlich wird in jedem Fall: Die Sinnfrage beschäftigt Menschen nicht nur im persönlichen Alltag, auch in der Philosophie wurde intensiv mit ihr gerungen – nicht immer  mit sonnigem Ergebnis. Insbesondere seit dem 19. Jahrhundert wurde die vermeintliche Sinnlosigkeit des menschlichen Daseins häufig beklagt.

Wie kaum ein Satz steht dabei der Ausruf »Gott ist todt!« für eine gewaltige Entwicklung. Religionen verloren zunehmend an Deutungsmacht über Wahrheit und Unwahrheit, Stück für Stück übernahmen die Naturwissenschaften das Feld. Das brachte sehr viel Gutes, doch der Fortschritt hatte auch seinen Preis. Durch die neuen Weltbilder wurde das menschliche Ego zutiefst »gekränkt«, wie Sigmund Freud (1856–1939) es formulierte. Erst verbannten Kopernikus (1473–1543) und Galilei (1564–1641) die Erde vom Mittelpunkt des Universums an einen unbedeutenden Nebenschauplatz, dann entriss Darwin (1809–1882) dem Menschen die Krone der Schöpfung und degradierte ihn zu einem evolutionären Zufallsprodukt. Weitere Kränkungen folgten, auch Freud trug mit seiner Entdeckung des Unbewussten dazu bei und brachte eine fundamentale Sicherheit ins Wanken: Das Ich war nicht mehr Herr im eigenen Haus.[2] Die folgenden gesellschaftlichen Umwälzungen sorgten für weitere Verunsicherungen. Starre und einengende Rollenbilder, die gleichzeitig Halt gegeben hatten, begannen zu bröckeln. Und Wahrheit erschien plötzlich relativ.

Vor diesem Hintergrund einstürzender Gewissheiten entwickelten vor allem Existentialistinnen und Existentialisten ihre teils düster klingenden Gedanken über den Lebenssinn. Die französische Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir (1908–1986) beschrieb, wie insbesondere Frauen sich selbst fremd werden, wenn sie gesellschaftlich aus der Norm ausgeschlossen werden und stattdessen als das »andere« Geschlecht aufwachsen.[3] Für sie seien Sinnkrisen geradezu vorprogrammiert. Immerhin sah Beauvoir auf dieser Ebene einen möglichen Ausweg. Demgegenüber betonte Albert Camus, dass auf einer noch tieferen Ebene, jenseits gesellschaftlicher Machtverhältnisse, sämtliche Menschen mit dem gleichen Schicksal konfrontiert sind. Er nannte die Empfindung sinnsuchender Menschen das »Gefühl des Absurden«. Und dieses Gefühl erklärte er für absolut berechtigt, ja, zutreffend, denn es entspringe der Bereitschaft, das eigene Leben durch einen klaren, unverfälschten Blick zu sehen als das, was es ist: absurd.[4] Jean-Paul Sartre (1905–1980) äußerte sich ähnlich dazu: Er sprach von einem tiefen »Ekel« gegenüber allem – ein vages Grundgefühl, das ihm zufolge entsteht, wenn wir uns der Fremdheit und Sinnlosigkeit dieser Welt bewusst werden.[5]

Solch dunkle Beschreibungen sind im Grunde nicht verwunderlich: Der Homo sapiens als irgendein Tier auf irgendeinem Planeten, vergänglich und mangelhaft, weder in der Lage, einen Gott zu erkennen noch sich selbst – das ließ traditionelle Sinngebäude wanken. Und auch wenn der erstarkende Glaube an Fortschritt und wissenschaftliche Erkenntnis selbst wiederum religiöse Züge annahm, lag seine Kraft nicht gerade darin, einen persönlichen Lebenssinn zu stiften.

Religionen sind mächtige Sinnquellen. Nehmen wir das Christentum. Mit heute 2,3 Milliarden Anhängern ist es die verbreitetste Religion der Welt.[6] Wie im Judentum gilt der Mensch hier als Ebenbild Gottes. Natürlich sind nicht alle Gläubigen im Judentum und Christum davon überzeugt, aber zumindest gemäß der Lehre kommt den Menschen eine Herrscherrolle über den Rest der Schöpfung zu. So heißt es in der jüngeren der beiden Schöpfungsgeschichten aus der Thora und dementsprechend auch im Alten Testament: »Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land.«[7]

Dieses Menschenbild prägte die jüdisch-christlichen Kulturkreise, in denen sich auch Kopernikus, Galilei, Darwin und Freud bewegten. So ist es kein Wunder, dass ihre Erkenntnisse regelrechte Erdbeben auslösten, wie sie in den Philosophien von Nietzsche, Camus und Sartre zu spüren sind – und die bis heute nachwirken. Die gesamte Bedeutung des Menschen wurde plötzlich in Frage gestellt.

In den abrahamitischen Religionen wacht ein Gott über jeden von uns. Menschen sind ihm nicht egal, sind sogar wichtig für das größte aller Wesen. Und das ist eine durchaus konkrete Beziehung, denn Gott kann sich zeigen und auf Hoffnungen, Sehnsüchte und Ängste reagieren.

Diese und andere Religionen antworten so umfassend auf die Sehnsucht nach Sinn, dass es zumindest auf den ersten Blick aussichtslos erscheint, ohne den Glauben an einen Gott, eine kosmische Ordnung, an ein Jenseits oder Nirvana auf einen tragfähigen Sinn im Leben zu hoffen. Denn was bleibt schon übrig, wenn wir nicht auf solchen Fundamenten bauen wollen oder bauen können?

Es gibt dann keinen tieferen Sinn, warum die Dinge sind, wie sie sind, ja, warum überhaupt etwas existiert und nicht einfach nichts. Alles ist bloß das Ergebnis von Naturgesetzen und Zufällen. Wir sind grundlos hier und kurze Zeit später schon vergessen. In der Welt sind keine Botschaften verborgen, alles steht nur für sich selbst. Der Mann mit der Laterne hallt in unseren Ohren: »Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts?«[8]

Natürlich können wir uns selbst Ziele setzen und eigene Wertesysteme aufbauen. Doch aus einer kosmischen Perspektive ist es völlig bedeutungslos, ob wir das tun oder nicht. Selbst wenn wir die Welt retten würden wie James Bond, wäre es dem Universum egal. Oder umgekehrt: Auch wenn die ganze Menschheit untergehen würde, wenn die totale Katastrophe einträte, gäbe es niemanden da draußen, den das nur im Geringsten interessieren könnte. Wir schauen in den Sternenhimmel – kalte, gleichgültige Materie gähnt uns entgegen.

Wie könnte unser Dasein also sinnvoll sein? Darauf möchte ich Antworten finden.

 

Ein Buch über den Sinn des Lebens – das klingt nach einem gewaltigen Vorhaben. Zu groß scheint das Thema, zu diffus die Frage nach Sinn. Und was ließe sich überhaupt allgemein darüber sagen? Wenn es keinen vorgegebenen Sinn gibt, kann dann nicht jeder seinen eigenen Sinn schaffen?

Das ist nicht auszuschließen und könnte am Ende unserer Suche durchaus die Antwort sein. Aber auch eine solche Antwort wäre erklärungsbedürftig und würde die Frage aufwerfen, was genau es bedeutet, dem Leben einen eigenen Sinn zu geben. Möglich wäre auch, dass ein selbst geschaffener Sinn letztlich nur Selbstbetrug ist. Mag sein. Doch diese Behauptung würde wiederum eine Begründung erfordern. Denn können wir uns in dem Gefühl, ein sinnvolles Leben zu führen, wirklich täuschen?

Wir sollten offen an dieses Gewirr von Fragen herangehen. Offen dafür, einen Sinn zu finden. Offen auch dafür, einer möglichen Sinnlosigkeit ins Auge zu sehen. So wird das aufrichtige Nachdenken zum einzigen Maßstab, an dem sich die Reise der kommenden Seiten orientieren soll. Was auch immer das Ergebnis sein wird, die Hoffnung ist, bereits durch diesen Weg unser Leben etwas besser zu verstehen. Zu diesem Verstehen beizutragen, das ist eine Aufgabe der Philosophie.

Doch wie vorgehen?

Natürlich gibt es eine Vielzahl von kursierenden Antworten auf die Sinnfrage. Manche Menschen meinen, der Sinn des Lebens sei es, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Andere sagen, Sinn sei nur in der Liebe zu finden. Häufig hört man auch, der Sinn bestehe darin, glücklich und für das eigene Leben dankbar zu sein. Oder es sei unser Sinn, moralisch zu handeln, an den Herausforderungen des Lebens zu wachsen und die eigenen Talente zu entfalten.

Vielleicht ist eine dieser Antworten die richtige. Vielleicht haben sie auch alle einen wahren Kern. Möglicherweise aber ist der Sinn des Lebens viel mysteriöser und komplexer, als es diese Aussagen nahelegen. Wie können wir feststellen, was stimmt?

Nun, wir könnten auf unsere Erfahrungen zurückgreifen und überlegen, was uns ein Gefühl von Sinnhaftigkeit vermittelt. Vermutlich ist das bei jedem Menschen leicht unterschiedlich. Dies würde die These stützen, dass wir unseren eigenen, persönlichen Sinn des Lebens finden müssen und eine allgemeine Antwort unmöglich ist. Aber stimmt das?

Die Komplexität der Frage macht es schwierig, einfach loszupreschen und zwischen verschiedenen Antworten abzuwägen. Uns fehlt ein verlässliches Kriterium, um tiefsinnig klingende Faselei von echter Weisheit zu unterscheiden. Sogar die Eckdaten des Sinns sind bisher unklar: Kann man ihn finden oder muss man ihn schaffen? Kann es nur einen geben oder mehrere? Haben alle Menschen den gleichen oder jeder einen anderen? Ist Sinn eine Tatsache oder ein Gefühl? Kommt Sinn von außen oder aus uns selbst heraus?

Wenn man bei der Lösung nicht weiterkommt, ist es oft hilfreich, sich das Problem näher anzuschauen. Treten wir also einen Schritt zurück: Was bedeutet eigentlich die Frage nach dem Sinn des Lebens?

Offensichtlich wäre es wenig vielversprechend, eine Antwort zu suchen, wenn wir die Frage nicht verstehen! Doch worauf sich die Sinnfrage bezieht, ist leider gar nicht so leicht festzustellen. Denn auch hier gibt es verschiedene Möglichkeiten. Eventuell fragen wir, ob unsere Lebensgeschichte eine verborgene Bedeutung hat. Oder wir fragen nach einer Mission, die es umzusetzen gilt; oder nach einer Eigenschaft, die unser Leben ganz automatisch hat, unabhängig von dem, was wir tun. Oder es geht eher darum, ob das, was uns geschieht, einen Sinn hat. Außerdem müssen wir klären: Fragen wir nach dem Sinn unseres individuellen Lebens oder nach dem Sinn der Menschheit? Oder meinen wir den Sinn allen Lebens und damit auch der Tiere und Pflanzen?

Nicht nur gibt es eine Vielzahl von Antworten auf die Sinnfrage, auch die Frage selbst ist äußerst mehrdeutig. Das macht unser Vorhaben noch komplexer und verwirrender. Um welche Version der Sinnfrage geht es überhaupt?

Erneut müssen wir zurücktreten, diesmal nicht nur hinter die verschiedenen Antworten auf die Sinnfrage, sondern sogar hinter die Frage selbst. Wir müssen überlegen, warum wir überhaupt nach dem Sinn des Lebens fragen.

Laut Aristoteles (384–322 v.Chr.) ist das Staunen über die Welt und eine daraus resultierende Neugier der Antrieb aller Philosophie.[1] Trifft das auch auf die Sinnfrage zu? Natürlich könnten wir sie aus Neugier stellen, ganz nach dem Motto: Es wäre interessant, den Sinn des Lebens zu erfahren; und auch, warum sich Eis zu Kristallen formt, würde ich gern wissen.

Im Regelfall ist der Motor unseres Fragens jedoch kein neugieriges Interesse. Vielmehr beginnen wir zu fragen, weil wir plötzlich zweifeln. Ähnlich wie René Descartes (1596–1650) von dem nagenden Zweifel angetrieben war, all sein Wissen könne wohlmöglich auf Täuschungen basieren,[2] entspringt auch die Sinnfrage einem tiefen Zweifel an unserem Leben in dieser Welt.

 

Es ist schwer zu sagen, was genau wir uns von einer Antwort versprechen. Insgesamt aber hoffen wir, dass sie geeignet ist, solche Zweifel zu beruhigen, uns wieder Boden unter den Füßen zu geben und uns mit der Welt zu versöhnen. Hinter der Sinnfrage stehen also existenzielle Zweifel und Hoffnungen. Ja, wir können sogar noch weitergehen und sagen: Die Frage nach dem Sinn des Lebens versucht, ein emotionales Bedürfnis in Worte zu fassen. Und gerade deshalb ist die Frage so diffus.

Wenn wir also begreifen, aus welchen Zweifeln und Sehnsüchten heraus Menschen die Sinnfrage stellen, dann verstehen wir auch die Frage besser. Dann wissen wir, wonach wir überhaupt suchen.

Hierfür müssen wir mutig sein. Die Sinnfrage stellt sich uns nur selten in zufriedenen Momenten, sondern vor allem wenn wir Sinn verloren haben oder anderweitig vermissen. Eine solche Sinnleere muss nicht unbedingt Selbstmordgedanken aufwerfen, sie kann auch als kurze Verunsicherung durch den Alltag blitzen. Aber gerade dann ist die Versuchung groß, sich schnell abzulenken und die Sinnfrage in den Hintergrund zu drängen. Die existenzielle Angst, das Leben könne keinen Sinn haben, ist also sowohl Ursprung unserer großen Frage als auch ein Grund, warum wir sie selten weiterverfolgen.

Nun gilt es, nicht mehr auszuweichen, den Zweifel zum Kompass zu machen, uns von ihm leiten zu lassen, auf einem unbekannten Weg. Nur wenn wir uns dem Zweifel stellen, werden wir ihn auflösen können. Oder auch nicht – vielleicht gibt es keinen Sinn, keine Versöhnung. Aber dann können wir dieser Tatsache wenigstens ins Auge blicken und versuchen, damit bewusst umzugehen.

Damit haben wir einen Ansatz für unsere Reise: Es ist die Methode des Zweifelns, um mit Descartes zu sprechen. Ausgangspunkt all unserer Überlegungen ist eine tiefe Skepsis: Ist das Leben womöglich sinnlos?

Dieser Zweifel kann sich in Sinnkrisen verfestigen. Aber was lässt uns zweifeln? Was fehlt uns in solchen Momenten? Nur wenn wir dies verstehen, begreifen wir auch die Frage nach dem Sinn des Lebens – und können anschließend Antworten finden.

In den folgenden Kapiteln werden daher vier zentrale Auslöser von Sinnkrisen im Mittelpunkt stehen: die Erfahrungen von Ziellosigkeit, von Vergänglichkeit, von Unwichtigkeit und das Gefühl einer Fremdheit gegenüber dieser Welt.

Indem wir diese psychologischen Phänomene in eine philosophische Betrachtung überführen, können wir untersuchen, ob das Leben tatsächlich so sinnlos ist, wie es in Phasen des Zweifelns scheinen mag. Eine Verunsicherung und ein Sinnbedürfnis sind der Anlass für unsere Reise. Mit Hilfe der Philosophie werden wir diese Erfahrungen deuten und in Fragen übersetzen, die sich beantworten lassen.

 

Die Suche nach Sinn zieht sich durch unterschiedliche Bereiche unseres Lebens. Das macht das Thema so vielschichtig und spannend. Auf dem vor uns liegenden Weg werden wir uns mit Schöpfungsmythen beschäftigen und der Frage, warum wir hier sind. Wir werden das wissenschaftliche Weltbild auf den Prüfstand stellen und überlegen, welcher Sinn vor diesem Hintergrund überhaupt möglich ist. Wir werden darüber nachdenken, wofür es sich anzustrengen lohnt, was Sinn von Glück unterscheidet und Sinn von Moral. Es wird um den Tod gehen und um Möglichkeiten der Versöhnung; um die Fortschrittsgesellschaft, das ewige Höher, Schneller, Weiter; um Arbeitskontexte, das Hamsterrad-Gefühl, die Suche nach Selbstverwirklichung; außerdem um Liebe und Freundschaft, um den gelingenden Dialog, wenn sich zwei Menschen füreinander öffnen. Auch die Suche nach einem Schicksal kommt zur Sprache und die Sehnsucht nach Verbundenheit. Wir werden das zunehmende Gefühl von Einsamkeit unter die Lupe nehmen und die Möglichkeiten, durch unseren Körper, durch Sinnlichkeit einen Sinn zu erfahren. Wir werden überlegen, wie wir der Welt sprachlich einen Sinn abgewinnen können und was Wahrheit ist. Auch mit der Frage nach Identität werden wir uns beschäftigen, damit, wie wir einen Platz finden können, wenn feste Rollenbilder wegbrechen. Auf manchen Strecken dieser turbulenten Reise wird uns die Psychologie helfen, an anderen Stellen die Soziologie. Meist steht die philosophische Betrachtung im Vordergrund.

Ausgangspunkt sind verschiedene Zweifel, Sehnsüchte und Fragen des Herzens. Wenn wir sie nun in Worte fassen, werden wir zwar Nuancen verlieren, aber wir können uns ihnen immerhin sprachlich annähern – und dadurch viel gewinnen. So ist es mit dem Sinn wie mit der Freiheit oder der Liebe: Am Ende kommt es darauf an, diese schwer zu beschreibenden Eigenschaften des Lebens praktisch zu verwirklichen, anstatt sie theoretisch zu zerdenken. Doch von Zeit zu Zeit kann es auch wertvoll sein, sich zurückzuziehen, zu philosophieren und über Dinge zu sprechen, von denen man auf Dauer nicht schweigen kann.[3]

Warum bin ich hier?

Wozu das alles, denke ich und starre auf die geschlossene Tür. Immer noch bin ich atemlos. Meine Hand umklammert das kalte Metall der Klinke. Ich habe mich beeilt, der elende Berufsverkehr, dann kam der Fahrstuhl nicht, ich musste die Treppen nehmen. Nun, endlich, stehe ich vor dem Besprechungszimmer, sechs Minuten verspätet, das ist noch verkraftbar. Ich stehe da, möchte meinen Atem beruhigen, will beeilt, aber nicht gehetzt wirken, wenn ich gleich die anderen begrüße. Langsam und kontrolliert atme ich aus; die ausströmende Luft hinterlässt eine Leere in meiner Lunge, hinterlässt eine Leere in mir drin. Wozu das alles?

 

Wozu dieser rastlose, vergeudete Morgen? Wozu diese Panik, zu spät zu kommen? Wozu diese ergebnislosen Besprechungen, die Wichtigtuerei, all der Stress? Das kann nicht alles sein, denke ich. Da muss es doch um mehr gehen.

In Momenten der Sinnkrise werden solche Zweifel existenziell. Die kleinen Sinnlosigkeiten des Alltags türmen sich auf zu einem Berg aus Bedeutungslosigkeit.

Aber woran leiden wir genau? Was ist das für eine vermeintliche Sinnlosigkeit, die hier problematisch wird? Und weshalb fällt es überhaupt so schwer, den eigenen Sinn zu erkennen?

Bei all den Dingen um uns herum ist das schließlich kein Problem. Der Mantel, den wir tragen, hat den Sinn, uns zu wärmen. Ampeln haben den Sinn, Verkehr zu regeln. Menschen spannen ihre Regenschirme auf. Der Sinn dieser Schirme ist es offensichtlich, sie trocken zu halten. Mülleimer, Straßenschilder, Asphalt, Schuhe, Gebäude, Türen, Bäckereien, Autos … Alles scheint für irgendetwas gut zu sein, alles hat seinen Zweck, seinen Platz im Gesamtsystem und daher auch seine Daseinsberechtigung. Warum steht hier diese Ampel? Warum sie nicht einfach abreißen? Auf diese Fragen gibt es klare Antworten. Doch was ist unser Sinn?

Sinn als Zweck

In Momenten des Zweifelns schwingt der Wunsch mit, nicht grundlos auf dieser Welt zu sein, für irgendetwas gut zu sein und deshalb auch Gründe zu haben, durchs Leben zu gehen. Die klassischste aller Varianten der Sinnfrage zeichnet sich ab: Wir sind in diese Welt hineingeboren, aber wozu? Warum sind wir hier?

Schauen wir uns diese Frage genauer an. Hier wird nach einem Grund gefragt, aber nicht nach irgendeinem, sondern ganz konkret: nach einem Zweck unserer Existenz. Und das scheint durchaus logisch, wenn es um das Thema Sinn geht. In sehr vielen Fällen ist der »Sinn« einer Sache ja sein Zweck. Fragt uns zum Beispiel jemand, was der Sinn eines Regenschirmes ist, dann werden wir antworten, sein Sinn sei es, Menschen vor Regen zu schützen. Das Wort »Sinn« lässt sich hier verlustfrei gegen das Wort »Zweck« austauschen, ja, wir meinen den Zweck des Regenschirms, wenn wir nach dessen Sinn fragen. Das gilt auch in vielen anderen Kontexten. »Was ist der Sinn dieser Besprechung?«, genauso gut könnte man fragen: »Was ist der Zweck dieser Besprechung?«. Sinn und Zweck – das sind in diesem Fall Synonyme.

Nach dem Zweck des menschlichen Lebens zu fragen hat eine lange Tradition in der Philosophiegeschichte. Vor mehr als zweitausend Jahren überlegte schon Aristoteles, was der télos des Lebens sei.[1] Der Begriff télos lässt sich ungefähr mit Zweck oder Ziel übersetzen. Diesen Sinn, der als Zweck verstanden werden kann, bezeichne ich fortan als zweckhaften Sinn.

Also, was ist der Zweck unseres Daseins?

Sogar Aristoteles hielt das für eine komplizierte Frage und näherte sich ihr daher über einen Vergleich. Weil es zu seiner Zeit keine Regenschirme gab, nahm er ein Messer unter die philosophische Lupe. Dessen Zweck ist es offensichtlich zu schneiden. Aber woher wissen wir das?

Aristoteles ging die Sache etwas verkopft an. Ihm zufolge erkennen wir den Sinn eines Messers, wenn wir darüber nachdenken, was sein Wesen ausmacht, und das eben ist: die Fähigkeit zu schneiden. Natürlich gibt es stumpfe Messer. Aber ein Gegenstand, der überhaupt nicht schneiden kann, ist allenfalls ein Pseudo-Messer.

Nun sind Messer, genau wie Regenschirme, menschliche Erfindungen. Stellen wir uns daher vor, wie in einer kleinen Hütte am Rande Athens ein Schmied steht, vor sich ein Amboss, darauf eine glühende Klinge. Von seinem Gesicht rinnen Schweißperlen, die mit einem leisen Zischen verdampfen, wenn sie auf das heiße Metall fallen. Er schmiedet ein Messer, schmiedet dessen télos. Wie schafft er das?

Offensichtlich hat er bereits eine Vorstellung von dem Messer. Er will einen Gegenstand herstellen, der möglichst gut schneiden kann. Und dieses Ziel leitet seinen Arbeitsprozess. Das heißt, noch bevor das Messer in die Welt kommt, existiert dessen Zweck bereits im Kopf des Schmiedes. Hier gilt also: erst der Zweck, dann das Messer.

Aber gilt das Gleiche auch für uns? Können wir Menschen überhaupt mit Regenschirmen oder Messern vergleichen?

Nein, meinte Jean-Paul Sartre und übte, ohne Aristoteles beim Namen zu nennen, in seinem berühmten Vortrag Der Existentialismus ist ein Humanismus grundlegende Kritik an dessen Lehre: »Betrachten wir einen hergestellten Gegenstand, zum Beispiel ein Buch oder ein Papiermesser, so wurde dieser Gegenstand von einem Handwerker angefertigt, der sich von einem Begriff hat anregen lassen […] Wir sagen also, dass in Bezug auf das Papiermesser die Essenz – das heißt die Summe der Rezepte und der Eigenschaften, die erlauben, es anzufertigen – der Existenz vorausgeht.«[2]

Wenn wir, wie Aristoteles, Menschen mit Messern vergleichen und auf ähnliche Weise nach deren Sinn fragen, dann nehmen wir indirekt an, dass Menschen zu einem bestimmten Zweck erschaffen wurden, den es nun herauszufinden gilt. Diese Perspektive setzt einen Schöpfergott voraus, der, so Sartre, in unserer Vorstellung »einem höherstehenden Handwerker angeglichen« wird.[3] In diesem Fall betrachten wir Menschen implizit, als wären sie von irgendjemandem gezielt hergestellt worden.

Sartres Überlegungen sind einleuchtend. Zwecke gibt es nur dort, wo es Absichten gibt. Und dafür muss es jemanden geben, der überhaupt etwas beabsichtigen kann. Der Schmied hat die Absicht, einen Gegenstand herzustellen, der schneiden kann. Analog dazu ist es in den meisten Religionen ein Gott, der unsere Spezies zu einem bestimmten Zweck in die Welt gebracht hat. Wo jedoch niemand ist, der etwas beabsichtigen und bezwecken kann, da gibt es auch keine Zwecke.

Gott ist also eine notwendige Bedingung für einen solchen zweckhaften Sinn. Eine hinreichende Garantie wäre er streng genommen allerdings nicht. Denn es wäre ja denkbar, dass Gott uns völlig grundlos erschaffen hat, einfach so, ohne télos. Das erscheint den meisten Gläubigen allerdings sehr unwahrscheinlich. Ebenso wie Menschen fast nie zweckfrei handeln, muss doch auch Gott irgendetwas im Sinn gehabt haben, als er uns erschuf. Und was auch immer er »im Sinne« hatte, formuliert der Philosoph Günther Anders (1902–1992), das wäre dann unser Sinn.[4]

Doch was, wenn da niemand war, der irgendetwas im Sinn hatte? Dann steht keine Absicht hinter unserem Dasein und kein verborgener Zweck. Insofern ist die Existenz Gottes eine Voraussetzung dafür, dass sich die große Frage beantworten lässt: Wozu sind wir hier?

 

Deshalb war die Evolutionstheorie geistesgeschichtlich auch so erschütternd. Sie bot einen radikalen Gegenentwurf zu bisherigen Erklärungsmodellen. Bis dahin führte die Frage, warum Menschen auf dieser Erde existieren, direkt zum Glauben an göttliche Schöpfer oder andere kosmische Kräfte. Solche Gedanken drängten sich förmlich auf. Irgendwoher musste der Homo sapiens schließlich kommen! Wahrscheinlich wurde er von einem höheren Wesen geschaffen – und das wird sich etwas dabei gedacht haben. Die Tatsache, dass wir überhaupt existieren, deutete also bereits darauf hin, dass unsere Existenz auch irgendeinen Grund, irgendeinen Sinn hatte.

Bis Darwin die Bühne betrat. Quasi über Nacht präsentierte er eine alternative Antwort auf die uralte Frage, warum wir hier sind. Und diese Antwort kam ganz ohne irgendein télos aus. Auf sehr überzeugende Weise erklärte sie die Entstehung des Homo sapiens als eine Kette von Ursachen und Wirkungen. Das war weit mehr als nur eine »Kränkung« des Egos, die Freud diagnostiziert hatte. Das Unvorstellbare wurde plötzlich sehr wohl vorstellbar: dass es überhaupt keinen Sinn gibt, weshalb die Menschheit zu existieren begann.

Die große Revolution

Warum gibt es Menschen? Darwin hatte darauf eine komplett andere Antwort als bisherige Entstehungsgeschichten. Denn er lieferte eine Erklärung unserer Existenz, keine Begründung.[1] Was ist der Unterschied?

Stell dir vor, du gehst abends durch die Stadt. Noch bevor du um eine Straßenecke biegst, hörst du lautes Gejubel. Betrunkene Menschen scheinen irgendeinen Schabernack zu treiben. Zögernd biegst du um die Ecke – und siehst überall Scherben auf dem Asphalt.

»Warum liegen hier überall Scherben?«, fragst du.

»Weil wir Geschirr auf den Boden geworfen haben«, antwortet eine Person.

Das ist eine Erklärung. Hier wird eine wirkende Ursache genannt, die zu einem bestimmten Ergebnis geführt hat.[2] Menschen haben Geschirr gegen eine harte Oberfläche geschmettert, so dass es beim Aufprall zerbrach. Ein physikalischer Vorgang.

»Aber warum habt ihr Geschirr auf den Boden geworfen?«

»Weil Polterabend ist und wir dem Brautpaar auf diese Weise Glück wünschen.«

Das wiederum ist eine Begründung. Hier wird ein Zweck genannt, eine Absicht.

Verwirrend ist nun, dass sowohl Erklärungen wie auch Begründungen auf Warum-Fragen antworten. Grammatikalisch haben sie oft die gleiche Struktur, aber inhaltlich sind sie komplett verschieden. »Warum gewittert es?« Das können wir erklären, indem wir auf Ursachen verweisen, etwa auf den Luftdruck oder elektrische Spannungen. »Warum putzt du dir die Zähne?« Das wiederum können wir begründen, indem wir auf Zwecke verweisen, in diesem Fall: um unsere Zähne gesund zu halten. Hier lässt sich das »Warum?« auch als ein »Wozu?« verstehen. Schließlich könnte man genauso gut fragen: »Wozu putzt du deine Zähne?«. Bei Erklärungen hingegen lassen sich diese Wörter nicht austauschen. Auch hieran sehen wir, dass ein »Warum?« zwei ganz verschiedene Bedeutungen haben kann.

Und an diesem kleinen Unterschied wird deutlich, weshalb Naturwissenschaften keine Sinnfragen beantworten können. Denn sie können nur sagen, warum dieses und jenes passiert – aber nicht wozu. Wissenschaften erklären, weshalb die Welt ist, wie sie ist – sie begründen es nicht. Solche Erklärungen sind zwar äußerst weitreichend; wenn wir aber nach dem Warum unserer Existenz fragen, wollen wir keine Geschichte über den Urknall, die Evolution oder befruchtete Eizellen hören. Eine solche Antwort ist sachlich nicht falsch, sie geht aber an der Frage vorbei, die eine Begründung verlangt, einen Zweck unseres Daseins.

 

Seit Charles Darwin wird die Entstehung der Menschheit erklärt wie eine Reihe umfallender Dominosteine. Manche Gläubigen versuchen, diese Domino-Perspektive in Einklang mit religiösen Annahmen zu bringen. Als unbewegtem Beweger kommt Gott dann die Rolle zu, den ersten Stein angestoßen zu haben. Das Evolutionsmodell kommt jedoch auch wunderbar ohne solche Annahmen aus. Oder es wird behauptet, dass der Evolutionsprozess durch eine göttliche Hand geleitet wurde und der Homo sapiens von Anfang an Teil dieses Plans war. Diese Theorie wiederum funktioniert nur, wenn beide Weltbilder gehörig verbogen werden, um halbwegs zueinanderzupassen.

Denn eine Kernaussage der Wissenschaft lautet: Die Dominosteine hätten ganz anders fallen können. Sowohl die Existenz jeder einzelnen Person wie auch der Menschheit insgesamt basieren wesentlich auf Zufall. Wären wir zwei Tage später gezeugt worden, dann hätte ein anderes Spermium das Rennen gemacht und uns gäbe es nicht, stattdessen aber eine andere Person, die von unseren Eltern mit gleicher Liebe aufgezogen worden wäre. Zufällig waren auch die Mutationen, die unsere Spezies überhaupt erst hervorgebracht haben. Und einem glücklichen Zufall haben wir es zu verdanken, dass die Menschheit nicht durch einen gigantischen Asteroiden ausgelöscht wurde, wie damals die Dinosaurier.

So gesehen ist das Universum eine Mischung aus Würfelspiel und Dominoketten, aus Zufall und Mechanik. Beide Elemente lassen keinen Platz für irgendwelche Zwecke.

Möglicherweise widerspricht diese Sichtweise unserer Intuition. Schließlich scheint in der Natur alles für irgendetwas gut zu sein. Unsere Beine und Füße ermöglichen uns eine selbständige Fortbewegung, Muttermilch ernährt Babys. Mit unseren Händen können wir Dinge greifen und verändern. Bienen bestäuben Blüten, sorgen ungewollt für den Fortbestand der Blumen und sichern dadurch wiederum das Überleben der eigenen Art. Jedes einzelne Element des natürlichen Kreislaufs scheint eine Funktion zu haben. Nur die Menschheit scheint insgesamt eher schädlich als nützlich zu sein.

Doch nur weil wir in der Natur überall Strukturen und Muster finden, können wir nicht auf einen dahinterliegenden Sinn schließen. Auch diese Zusammenhänge lassen sich wissenschaftlich erklären. Denn unsere Hände sind nicht entstanden, um einen bestimmten Zweck zu erfüllen. Sapiens mit besser ausgebildeten Händen hatten einfach höhere Überlebenschancen und konnten ihre Gene daher häufiger weitergeben. Besser ausgebildet heißt hier so viel wie: hilfreich für das Überleben in einer bestimmten Umgebung.[3]

Entsprechend können wir auch die Funktionen von Augen, Ohren und Hornhaut erklären oder die Bestäubung von Blüten durch Bienen. All diese Elemente haben zwar eine Funktion innerhalb ihres Systems – jedoch keine bezweckte Funktion, sondern eine zufällig entstandene Funktion, die zufälligerweise einen evolutionären Vorteil darstellte und deshalb fortbestand.

Sogar all das können wir also erklären. Und eben diese enorme Reichweite wissenschaftlicher Erklärungen in Verbindung mit ihrer Kraft, Vorhersagen zu machen und neue Technologien zu entwickeln, waren maßgeblich für ihren Siegeszug.

 

Der genannte Wechsel von Begründungen zu Erklärungen hatte bereits vor Darwin begonnen. Besonders ausschlaggebend waren die Forschungen von Galileo Galilei. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts entwickelte er seine Methoden, mit denen er Beobachtungen von Naturphänomen mit gezielten Experimenten, Messungen und Berechnungen kombinierte. Es war die Geburtsstunde der modernen Naturwissenschaften. Die empirische Forschung wurde als überlegener Weg zu neuen Erkenntnissen gesehen; philosophisch oder theologisch begründete Aussagen über die Natur verloren an Bedeutung.

Dieser Wechsel war eng verbunden mit der Entstehung eines neuen Weltbildes, wie wir es am Beispiel der Evolutionstheorie konkret gesehen haben. Das Universum wurde nicht mehr als ein System von Zwecken und verborgenen Absichten verstanden, sondern als etwas, das auf rein kausal-mechanistischem Wege seine zufällige Gestalt gefunden hatte.[4]

»Um eine Sonnenfinsternis vorherzusagen, ist es erforderlich, ihre Ursachen, nicht ihren Zweck zu kennen. Folglich widmete sich die Wissenschaft ab dem 17. Jahrhundert ausschließlich der Untersuchung von Ursachen […] Dieser stille und fast unbemerkte Wandel war die größte Revolution in der Geschichte der Menschheit und stellt jede der politischen Revolutionen, die die Welt in Atem hielten, bei weitem in den Schatten«, beschreibt der Philosoph Walter Terence Stace (1886–1967) diese Entwicklung. Und weiter: »Auf diese Weise ist in den letzten dreihundert Jahren […] ein neues Weltbild entstanden. Ihm zufolge leben wir in einer Welt ohne Zweck, ohne Sinn und ohne Bedeutung. Die Natur ist nichts anderes als bewegte Materie. Die Bewegungen der Körper unterliegen keinem Zweck, sondern blinden Naturkräften und -gesetzen.«[5]

Der Physiknobelpreisträger Steven Weinberg brachte diese Perspektive mit einem oft zitierten Satz auf den Punkt: »Desto besser wir das Universum zu verstehen scheinen, desto sinnloser erscheint es auch«.[6] Gemeint ist damit vor allem, dass immer mehr Phänomene rein physikalisch erklärt werden können. Verborgene Zwecke haben ausgedient. Vielen Menschen erscheint das heute völlig normal. Das Universum »ist schlicht und einfach ein physikalisches System, wo soll da der Sinn liegen?«, fasst die Astronomin Margaret Geller nüchtern zusammen.[7]

So eine Aussage wäre vor Galilei völlig undenkbar gewesen. Wenn der ganze Kosmos, die ganze Natur, jedes Blatt und jede Laus von Gott kommen, dann hat auch alles etwas zu bedeuten, deutet auf ihn hin, ist Ausdruck seines Willens. Es ist gewollt. Heute sehen wir aber, dass sogar hochkomplexe und atemberaubend schöne Formen in der Natur kausalistisch erklärt werden können – zum Beispiel Eiskristalle.

So veränderte sich der Blick auf die Welt, in der wir leben. Und das hatte natürlich auch massive Auswirkungen darauf, wie viele Menschen ihr Leben bis heute verstehen und gestalten. Schließlich ist es keine wertneutrale Deutung, alles als Ausdruck eines göttlichen Willens zu beschreiben. Ein solches Weltbild gibt Orientierung. Das, was natürlicherweise existiert, ist immer auch gut, hat irgendeinen Sinn. Auch die Existenz der Menschen ist aus dieser Perspektive gut und richtig. Und ihr Leben führen sie in einer Welt, die bereits verborgene Hinweise darauf enthält, wie mit ihr umzugehen ist.

Damit war nun Schluss. Und auf eine subtile Weise prägt dieser geistesgeschichtliche Paradigmenwechsel vermutlich auch noch heutige Sinnkrisen. Ausgehend vom europäischen Raum entfaltete er einen gewaltigen Einfluss auf beinahe alle Kulturkreise. Die Welt, in der Menschen nach Sinn suchten, wurde eine andere.

Diese Welt ist nun eine zwecklose Welt. Der Homo sapiens ist eine völlig zwecklose Spezies; er ist einfach da, grundlos, niemand hat sich dabei etwas gedacht, es gibt keine höhere Aufgabe der Gattung oder des Einzelnen. Nichts wurde zu einem bestimmten Zweck erschaffen oder bleibt zu einem bestimmten Zweck von der Vernichtung verschont. Wozu bin ich hier? Wozu gibt es Menschen und Pflanzen? Wozu gibt es überhaupt dieses ganze Universum mit all seinen Sternen und Planeten? Folgen wir dem wissenschaftlichen Weltbild – und dafür gibt es gute Gründe –, dann gibt es darauf keine Antworten. Da ist kein tieferer Zweck, weshalb die Welt ist, wie sie ist. Sie hätte genauso gut anders sein können. Wenn wir diese Perspektive einnehmen, verdichten sich die lebenspraktischen Zweifel auch philosophisch: Ist das Leben wohlmöglich sinnlos?

Sinnloser Sinn und wertlose Zwecke

Um die Sinnfrage zu beantworten, müssen wir sie zuerst besser verstehen. Schicht für Schicht wollen wir sie entblättern und freilegen. Vollständig haben wir sie noch nicht erfasst, aber erste Erkenntnisse können wir festhalten.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens kann verstanden werden als die Frage nach einem Zweck, welcher unserer Existenz vorausgeht. Doch den könnte es nur geben, wenn uns ein göttliches Wesen mit einer bestimmten Absicht erschaffen hätte. Erklären wir die Welt hingegen wissenschaftlich, müssen wir sie als zwecklos und in dieser Hinsicht als sinnlos begreifen.

Das mag ein Nährboden sein, auf dem Sinnkrisen in der gesellschaftlichen Moderne besonders gut gedeihen. Aber haben wir damit den Kern der Sinnfrage erfasst, ist dies wirklich das Problem?

Kehren wir noch einmal zum Zweifel zurück: In Momenten der Sinnkrise fühlen wir uns wertlos und überflüssig. Ein höherer Sinn, ein Grund, weshalb wir auf der Erde sind, könnte diese Gefühle möglicherweise auflösen. Dann gäbe es einen verborgenen Zweck, dem unser Leben insgeheim dient – oder dienen sollte. Doch »Gott ist todt!«, das bedeutet auch: Wir können keinen »höherstehenden Handwerker« erkennen, der irgendetwas im Sinn hatte, als er uns erschuf. Dieser Gedanke kann schmerzen. Aber warum eigentlich? Was ist daran so tragisch?

Man könnte an dieser Stelle ja einwerfen, ein festgelegter Zweck unserer Existenz würde vor allem Unfreiheit bedeuten. Denn würde er uns nicht auf eine bestimmte Lebensweise verpflichten? »Wie gut, dass es keinen solchen Sinn gibt!«, könnte man deshalb ausrufen, anstatt sein Fehlen zu betrauern. Und würde uns ein solcher Sinn nicht zu einem bloßen Mittel herabwürdigen? Schließlich würden wir dann nur existieren, um irgendeine Funktion zu erfüllen, wie ein Ding, wie ein Messer, das keinen Wert an sich hat, sondern nur einen abgeleiteten Wert, weil es für irgendetwas nützlich ist. Ja, kommen darin nicht sogar oberflächliche, geradezu kapitalistische Vorstellungen zum Ausdruck, nämlich, dass wertlos ist, wer keinen Zweck erfüllt?

Das ist ein durchaus gewichtiger Punkt. Wenn wir, wie Aristoteles, über den Sinn des Lebens nachdenken wie über den Sinn von Messern, dann betrachten wir Menschen als Objekte, meist als Objekte einer göttlichen Schöpfung. In dieser Geschichte ist der Mensch reichlich passiv; er wurde zu irgendeinem Zweck erschaffen und darin besteht nun sein Lebenssinn. Diese Vorstellung blendet einen entscheidenden Punkt aus: Menschen sind Subjekte, sie selbst sind schöpfende und gebärende Wesen – sie sind Wesen, die einen Anfang machen können, um mit Hannah Arendt zu sprechen.[1]

Aristoteles fragte nach dem Sinn von Menschen wie nach dem Sinn von Etwas. Wir aber sind Jemand! Daher noch einmal: Was wäre eigentlich so schlimm daran, wenn es keinen Zweck und Grund gäbe, weshalb Menschen auf dieser Erde sind?

Wenn wir uns überlegen, in welchen Situationen die Frage nach dem zweckhaften Sinn auftaucht – und zwar als eine existenziell wichtige Frage –, dann sind dies Momente, in denen uns all unser Tun sinnlos vorkommt. Als wäre letztlich alles vergeblich, nichts wirklich wichtig. Wir sind zwar Wesen, die einen Anfang machen können. Aber welcher Anfang lohnt schon?

 

Und so ist dies die zentrale Sehnsucht hinter der Frage nach einem zweckhaften Sinn: Wir wünschen uns eine Aufgabe, für die es sich einzusetzen, zu leben und im Zweifel auch zu leiden oder sogar zu sterben lohnt. Wir fragen nicht aus bloßem Wissensdurst nach einem Zweck unserer Existenz, sondern aus praktischen Gründen: um unser Leben daran auszurichten. Der Sinn des Lebens soll uns einen Kompass an die Hand geben.

Wer nach Sinn sucht, möchte nicht bloß die Welt etwas besser verstehen, sondern auch wissen: »Was ist der Sinn, von dem ich mich leiten lassen sollte? Wie soll ich leben?« Es ist die Sehnsucht, im täglichen Handeln einen tieferen Zweck, eine Bestimmung, zu erkennen und umzusetzen.

In den meisten Religionen werden solche Fragen beantwortet. Die Begründung menschlichen Daseins wird unmittelbar an konkrete Aufgaben gekoppelt. Zu den ältesten bekannten Schöpfungsmythen gehört das etwa 1800 v.Chr. entstandene Atrahasis-Epos. Diese sumerische Geschichte berichtet von einem folgenschweren Streit: Vor langer Zeit lebte eine Vielzahl von Göttern. Doch das göttliche Dasein war nicht immer spaßig, zumindest nicht für die Igigu. Diese niederen Götter mussten für die Anunnaki arbeiten. Mühsam hielten sie die Bewässerung der Felder aufrecht und legten ganze Flüsse an. Währenddessen teilten die Anunnaki den Wohlstand unter sich auf. Bis es zu einer Rebellion kam: Mitten in der Nacht umzingelten die Igigu das Haus von Enlil, einem mächtigen Gott der Anunnaki, und erklärten ihren Streik. Erschöpft und wütend waren sie, weigerten sich, auch nur einen weiteren Spatenstich zu tun. Die Situation war angespannt, Verhandlungen scheiterten, es drohte Blutvergießen. Schließlich fanden die höheren Götter einen Ausweg aus der heiklen Lage: Sie erschufen den Menschen. Problem gelöst. Von nun an konnten sich beide Götterfamilien entspannen –, denn alle harte Arbeit wurde vom Homo sapiens übernommen.[2]

Es drängt sich der Verdacht auf, dass einige Menschen im alten Babylon wesentlich mehr von diesem Mythos profitierten als andere. Ja, dass Fragen über den Sinn und Unsinn des Lebens häufig auch Machtfragen sind. Aber dazu später mehr.

»Los, arbeite! Dazu wurde deine Spezies erschaffen!«, dröhnt es aus dem Himmel. Ein solcher Sinn muss aktiv verwirklicht werden. Jedes Menschenleben hat gemäß dieser Erzählung zwar prinzipiell einen Sinn, ist aber erst dann sinnvoll, wenn auch gearbeitet wird.

Wäre das eine befriedigende Antwort auf die Sinnfrage? Was die Menschen im antiken Mesopotamien darüber dachten, wissen wir nicht, aber das ist für unsere Reise auch nicht wichtig. Entscheidend ist vielmehr die grundsätzliche Frage: Wäre jeder göttliche Zweck gleichermaßen geeignet, um das eigene Leben als sinnvoll zu erfahren?

Wohl kaum. Ein wertvoller, wichtiger Zweck soll es sein, eine wahrhaft lohnende Aufgabe! Möglicherweise würde ein solcher Sinn von uns verlangen, alles über den Haufen zu werfen und ganz anders zu leben. Vielleicht würden wir auch erkennen, dass unser alltäglicher Kampf bereits einen tieferen Sinn hat, der uns bisher verborgen war. Dann könnten wir weitermachen wie bisher, wären aber mit unserem Schicksal versöhnt.

Das ist der Kern der zweckhaften Sinnfrage: Wir wünschen uns ein Ziel, an dem wir erstens unser Leben ausrichten können und das wir zweitens als wertvoll ansehen können. Ob es eine Begründung gibt, weshalb wir existieren, ist also gar nicht entscheidend.

Das wird auch deutlich, wenn wir uns vorstellen: Vor langer Zeit, lange bevor es Menschen gab, begegneten sich die geniale Göttin Agnes und der schöne Gott Bernd unweit jenes Ortes,