Yoga der Verbundenheit - Anna Trökes - E-Book
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Yoga der Verbundenheit E-Book

Anna Trökes

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Beschreibung

Die bekannte Yoga-Autorin Anna Trökes spricht hier erstmalig über die Bedeutung des Herzens im Yoga. Die Entfaltung von Selbstmitgefühl, Warmherzigkeit und Güte kann durch das Praktizieren wirksamer Körper- und Atemübungen gezielt gefördert werden. Neueste Forschungen belegen: Die Entfaltung der Verbundenheit mit dem inneren Herzen fördert die Gesundheit des körperlichen Herzens! In einer Gesellschaft, in der Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den häufigsten Todesursachen zählen, wird die Yoga-Praxis des Herzens damit zu einer entscheidenden Gesundheitsvorsorge. Die Entfaltung zentraler Eigenschaften wie Güte, Wohlwollen oder Mitfreude haben im Yoga eine lange Tradition. Anna Trökes hat die dafür wirksamsten Meditationen, Atem- und Körperübungen zusammengestellt und eingesprochen. Die im eBook integrierten Meditationen sind sehr berührend und öffnen das Herz. Ein lebensbegleitendes Herzens-Buch für eine echte Verbundenheit mit sich selbst und mit der Welt.

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Seitenzahl: 328

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Anna Trökes

Yoga der Verbundenheit

Die Kraft des Herzens wahrnehmen und entfalten

Knaur e-books

Über dieses Buch

Wer möchte nicht mit sich selbst und mit dem Leben in Liebe verbunden sein. Dabei können Mitgefühl wie auch Selbstmitgefühl durch das Praktizieren von Körper- und Atemübungen gezielt gefördert werden.

Neueste Forschungen belegen: Die Verbundenheit mit dem inneren Herzen fördert auch die Gesundheit des körperlichen Herzens. In einer Gesellschaft, in der Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den häufigsten Todesursachen zählen, wird diese Yoga-Praxis damit zu einer entscheidenden Gesundheitsvorsorge.

Doch auch mit unserer Seele in Kontakt zu sein und alte Muster aufzulösen, ist eine Frucht des achtsamen Verweilens in unserer Mitte. Das Gefühl mit sich selbst und auch mit anderen Menschen intensiver in Resonanz zu sein wächst durch das Praktizieren der Übungen.

Die bekannte Yoga-Lehrerin Anna Trökes beschreibt hier erstmals die Bedeutung des Herzens im Yoga. Das Herz ist der Sitz unserer tiefsten Identität. Wenn wir uns selbst meinen, weisen wir auf unser Herz und nicht auf den Kopf oder Bauch. In diesem Sinne ist das Herz unsere Mitte.

Die Entfaltung zentraler Eigenschaften wie Güte, Wohlwollen oder Mitfreude haben im Yoga eine lange Tradition. Anna Trökes hat die dafür wirksamsten Meditationen, Atem- und Körperübungen zusammengestellt und eingesprochen. Die Meditationen sind sehr berührend und öffnen das Herz.

Multimediale Inhalte

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Bei Fragen helfen wir Ihnen gerne weiter. Bitte wenden Sie sich an [email protected].

Inhaltsübersicht

Ein Wort vorabDas Herzensbedürfnis nach VerbundenheitMit sich selbst in Resonanz tretenDer Weg zu sich selbstKurzer Überblick über grundlegende QuellentexteDie Grundlagen – Coaching-Tools der Yoga-PraxisDie Yoga-Praxis und das Leben aktiv gestaltenDas innere Feuer entfachenDie eigenen Muster erkennen lernenAnnehmen, was istDie Balance zwischen Bemühung und GelöstheitDie Rolle des inneren BeobachtersDen inneren Beobachter etablieren und stärkenDie Entwicklung der vier heilsamen GeistesqualitätenDie Entfaltung des HerzensDie drei Herzen des MenschenDer Weg zum HerzenKarma-Yoga – aktiv werden für die WeltSinnvoll handelnAbsichtsloses HandelnSelbstverpflichtung statt DisziplinBhakti-Yoga – Weg der liebenden Hingabe an das eigene SeinTransformation durch SeelenarbeitVon der Dunkelheit ins LichtDie Praxis – Übungen zum Yoga der VerbundenheitAsana – sich mit seinem Körper anfreundenDas Entwickeln einer angemessenen ÜbungspraxisYoga MudraSich öffnen und schließenDie KobraIm Stand die Energien von Erde und Himmel verbindenBewegungsablauf für Weite und Kraft im HerzenDie Haltung des HeldenDer Hund, der nach unten schautEntspannung findenYoga und EntspannungAnspannung loslassenDen Ausatem fördernSich mit der Stabilität und Ruhe der Erde verbindenDie innere Mitte findenDen Stirnraum entspannenPranayama – sich den eigenen Atem zum Freund machenDen Atem beobachtenSich über den Atem mit der Kraft des Lebens verbindenMit dem Herzen atmenSitkarin Pranayama – die Kraft der Liebe entfaltenMeditation über den einen Atem, der alles eintMeditation – mit sich selbst vertraut werdenZeit mit sich verbringenSich Raum gebenIn sich selbst Zuflucht findenDas Einüben von Mitgefühl und liebender GüteSelbstvergebung übenDas eigene Herz stärkenSich mit der eigenen Vergänglichkeit anfreundenDie Konsequenz – Verbundenheit mit der Welt entfaltenDie verschiedenen Ebenen des Wir-BewusstseinsDie horizontale Ebene des WirDie vertikale Ebene des WirDie kosmozentrische BewusstseinsebeneIch als Teil des großen Netzes – die Sichtweise des TantraAlles kommt aus einer QuelleTantra und moderne PhysikAlles fühlt – die biologischen Grundlagen der VerbundenheitInterbeingGeben und Nehmen als Teil der VerbundenheitSich an die Welt verschenkenGeben zum Wohl aller Wesen – das Bodhichitta-PrinzipDas Prinzip der ResonanzGemeinsame Schwingung findenEigene Resonanzräume gestalten lernenDie Ethik des Yoga als ein konkreter Weg der Verbundenheit im AlltagDie YamasDie NiyamasEin Wort zum SchlussDankLiteraturQuellenangabenBewegungsablauf für Weite und Kraft im Herzen – Übersicht
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Ein Wort vorab

Viele Jahre schon ist der Plan zu einem Buch mit diesem Thema in mir gereift. Ich bin sehr viel unterwegs und unterrichte in den verschiedensten Schulen und Yoga-Lehrausbildungen im deutschsprachigen Raum, sodass ich sehr gut mitbekomme, was die Menschen bewegt und was genau sie im Yoga suchen. Mir wurde immer wieder deutlich, wie wichtig allen das Gefühl der Gemeinschaft in ihrer Yoga-Gruppe ist, denn das soziale Klima in unserer Welt wird seit Langem spürbar kühler. Was die meisten aber noch kaum bedenken, ist, dass die Gemeinschaft der Menschen, die sich mit Yoga beschäftigen und sich seinen Werten und seiner Ethik verbunden fühlen, zwar ständig wächst, dass es aber abgesehen von Aspekten der gesunden Lebensführung (zum Beispiel Veganismus) kaum Überlegungen gibt, was es heißen könnte, Yoga wirklich zu leben.

Als ich diese Fragestellung für mich selber reflektierte, kristallisierte sich für mich eine Einsicht ganz deutlich heraus: Yoga zu leben heißt NICHT, irgendeinem Dogma zu folgen. Dagegen spricht schon, dass sich im Laufe der vielen Jahrhunderte unzählige Traditionslinien und Schulen entwickelt haben, die bis heute ein großartiger Ausdruck der Diversität des Yoga sind.

Vielmehr ließen die Quellentexte und die Begegnungen mit Menschen, die schon lange Yoga und Meditation unterrichten, etwas ganz anderes in den Mittelpunkt rücken: Yoga zu leben heißt, ihn als einen Weg und eine Praxis zu verstehen, die uns hilft, mit uns selbst in Beziehung zu treten, das Heilsame und Gute in uns zu kultivieren (wie zum Beispiel Mitgefühl) und unser eigenes Erkennen, Wissen und Handeln in den Dienst der Menschheit zu stellen.

Für mich persönlich wurde dabei ganz deutlich, dass ich mich als Yoga-Übende und noch viel mehr in meiner Funktion als Yoga-Lehrende als einen Menschen und eine Bürgerin sehe, die gerade durch die stetige Beschäftigung mit den Themen des Yoga zu einem bewusst politischen Menschen geworden ist. Und ich denke, dass wir, wenn wir die Aufgabenstellung und die Ethik dieses Weges ernst nehmen und wirklich versuchen, demgemäß zu leben, einen kaum zu unterschätzenden gesellschaftlichen Beitrag leisten können. Wenn wir das erkennen, werden wir lernen, diesen Beitrag durch aktives und proaktives Handeln noch angemessener zu gestalten.

Der wesentlichste Beitrag von uns Yoga-Übenden für unser gesellschaftliches Wohlergehen besteht vielleicht darin, dass wir mit der Unterstützung der Konzepte des Yoga beginnen können, gut für unsere körperliche, geistige und emotionale Gesundheit und Entwicklung zu sorgen. Damit setzen wir auf jeden Fall dem aktuellen Trend etwas entgegen, der sich in einer signifikanten Zunahme von psychischen Störungen ausdrückt, die unter anderem darin gründen, dass wir gar nicht mehr mitkriegen, in welchem Maße uns der Wahn der Selbstoptimierung ergriffen hat und wie sehr wir uns oft selber ausbeuten und uns dadurch in körperlicher, seelischer, geistiger und vor allem auch sozialer Hinsicht vernachlässigen.

Als ich im Prozess des Schreibens für dieses Buch selber alles las, was mir zum Thema Verbundenheit wichtig erschien, wurde mir erst einmal bewusst, welche Brisanz in dieser Arbeit steckt. Mir wurde klar, dass ich die Fähigkeit zu wahrer Verbundenheit nur dann würde entwickeln können, wenn es mir gelänge, sie mit mir selbst zu verwirklichen. Diese Erkenntnis bewirkte bei mir einen intensiven Selbsterforschungsprozess, bei dessen Bestandsaufnahme sich vor allem zeigte, wie stark die Prägungen meiner Erziehung mich noch immer beherrschten. Das bewirkte, dass mich die Bearbeitung der Themen Selbstakzeptanz, Selbstliebe, Selbstvergebung und Entfaltung der Herzqualitäten in einen wahren Strudel der Emotionen riss, die in der Erkenntnis gründeten, wie wenig nahe ich mir doch in Wahrheit war und dass auch ich unter dem ständiger Druck selbstständiger Arbeit deutliche Tendenzen der oben beschriebenen Vernachlässigungen zeigte.

Ich entschloss mich, meinen Fokus nicht nur im Alltag, sondern auch in der Übungspraxis nun ganz auf die Entfaltung von Verbundenheit zu mir selbst und meiner Umwelt auszurichten, was bewirkte, dass die Übungen eine deutlich andere Wirkung auf mich entfalteten. Ich bemerkte, dass ich irgendwie weicher, durchlässiger, freundlicher wurde – und ich merkte auch, dass ich oft ziemlich verwirrt war, weil ich den sicheren Boden vertrauter Prägungen und Verhaltensmuster zu verlassen begann. Je tiefer ich in die Thematik eintauchte und je tiefer ich sie verstand, desto mehr wurde mir klar, wie sich die Normen unserer Gesellschaft auf die Art, wie wir unser Leben gestalten, auswirken – und in welch starkem Maße ich dieses Spiel mitgespielt hatte.

Das Recherchieren und Schreiben ließ mich aber nicht nur vieles hinterfragen, sondern stellte mir gleichzeitig auch genügend Konzepte zur Verfügung, um weiter an mir zu arbeiten und einen Prozess zu durchleben, den ich heute als nicht nur hilfreich, sondern sogar insgesamt als segensreich beschreiben würde. Genauer gesagt, befinde ich mich noch immer in diesem Prozess. Er wurde kürzlich noch einmal richtig angestoßen durch die Lektüre des gerade zum Abschluss dieses Manuskriptes erschienenen wundervollen Titels Buch der Freude, in dem der Journalist Douglas Abrams Gespräche mit Erzbischof Desmond Tutu und dem Dalai Lama führt, um zu ergründen, wie es möglich ist, dass sie so viel Freude erfahren und diese ständig großzügig um sich herum verbreiten, obwohl sie selber doch jahrelang schwerstes Leid erfahren haben. Die beiden Friedensnobelpreisträger ließen keine Zweifel daran, dass sie nur deshalb dazu in der Lage seien, weil sie erkannt hatten, wie wichtig es ist, Mitgefühl zu entwickeln und die Mitmenschen als Wesen zu sehen, die genau wie wir glücklich und frei von Leid sein möchten. Besonderes der Dalai Lama betonte immer wieder, dass er seine Kraft und seine Entschlossenheit daraus schöpft, dass er sich als »einer von sieben Milliarden Menschen« versteht. Er fühlt sich als einer von ihnen, der sein Denken, Fühlen, seine Meditationen und sein Handeln ganz in den Dienst der Allgemeinheit gestellt hat. In seiner Widmung, ein Leben zum Wohle aller Wesen zu führen, sieht er die Quelle seiner Freude. Und sicher ist das auch der Grund, warum er uns heute als eines der großen Symbole für Verbundenheit und Mitgefühl steht, wonach wir uns alle so sehr sehnen.

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Das Herzensbedürfnis nach Verbundenheit

In unseren modernen westlichen Industrienationen strebt offenbar alles in die Vereinzelung. Etwa seit Mitte des letzen Jahrhunderts und mit der drastischen Zäsur durch den Zweiten Weltkrieg scheint die Auflösung tradierter Familienstrukturen unaufhaltsam, viele Dörfer veröden und in den Städten wie Berlin oder Hamburg liegt der Anteil der Single-Haushalte bereits bei ca. 30 Prozent – Tendenz steigend. Inzwischen haben sich die meisten von uns daran gewöhnt, dass unsere sozialen Beziehungen zunehmend unverbindlicher werden und immer häufiger der persönlichen Begegnung entbehren. Ich weiß aus meinem eigenen sozialen Kontext, dass eine Verabredung mit einer Freundin oft genug einer langwierigen logistischen Meisterleistung gleicht und dass die Einladung zu einem Geburtstag oder einem Abendessen von vielen weniger als eine Freude, sondern vielmehr als eine zusätzliche Belastung empfunden wird.

Auch in den Yoga-Kursen schleicht sich diese Unverbindlichkeit ein. Die Menschen kommen, ziehen sich um, legen sich auf die Matte, üben mit sich, ziehen sich wieder um und sind dann auch schon wieder verschwunden. Niemand scheint mehr die Zeit oder auch nur das Interesse für ein Gespräch, für ein Glas Wein danach in vertrauter Runde zu haben. In vielen Yoga-Studios bleibt man lieber anonym – und ungestört. Wo könnte da Raum bleiben für Kontakte, die unsere Herzensbedürfnisse nach Verbundenheit stillen?

Dieser Rückzug in die Abgrenzung, in das Leben als Einzelgänger, bleibt nicht ohne Folgen. Untersuchungen der Krankenkassen belegen eindeutig, dass Menschen, die alleine leben und nur wenig sozial aktiv sind, sehr oft vereinsamen. Einsame Menschen haben nachweislich ein anfälligeres Immun- und Herz-Kreislauf-System. Sie leiden mehr unter stressbedingten Erkrankungen und vor allem an Depressionen und Angststörungen. Und man hat sogar festgestellt, dass sie signifikant weniger lange leben als Menschen, die sich in eine feste Beziehung oder Gemeinschaft eingebunden fühlen. Viele Singles sind keineswegs freiwillig allein, aber den meisten von ihnen fehlt es bedingt durch ihre hohe Arbeitsbelastung schlicht an Zeit und Gelegenheit, um andere Menschen kennenzulernen und eventuell entstehende Beziehungen zu pflegen. Virtuelle Kontakte sind da oft der einzige Ersatz. Und weil wir immer mehr arbeiten, wächst auch die Zahl der Einsamen stetig weiter. Viele dieser Menschen, die sich vereinsamt fühlen, berichten, dass sie ihr Herz verschließen, um sich ihren Gefühlen nicht so aussetzen zu müssen und sich weniger verletzlich zu fühlen. Sie schotten sich damit emotional ab.

Einsam fühlen sich vor allem diejenigen, die nie die Gelegenheit hatten zu lernen, mit sich selbst in Beziehung zu treten – eine Fähigkeit, die weder in der Erziehung durch die Eltern oder in unseren Schulen noch gesamtgesellschaftlich gefördert wird. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass man noch nicht so lange weiß, wie hochgradig sozial unsere menschlichen Gehirne veranlagt sind. Die neurowissenschaftlichen Forschungen der letzten Jahre belegen jedoch klar, dass unser Gehirn vor allem ein soziales Organ ist. Ohne den Kontakt zu anderen Menschen kann sich unser Gehirn in der Kindheit nicht genügend entwickeln und in seinen verschiedenen Bereichen vernetzen, denn wir lernen das meiste nicht ausschließlich durch Nachahmung, sondern besonders in den ersten Lebensmonaten durch die Mimik und Körpersprache, mit der unsere Eltern und andere Familienmitglieder auf unsere frühen Kommunikationsversuche reagieren. Und wir entwickeln uns vor allem dadurch, dass wir uns gesehen und geliebt fühlen. Gerade in der Kindheit ist unser Herz noch sehr offen, und wir suchen die Sicherheit und Geborgenheit von Herzensbeziehungen, um Vertrauen in uns selbst und die Welt zu entwickeln.

Neurobiologen wie Joachim Bauer konnten außerdem sehr deutlich nachweisen, dass Kooperation, also ein Miteinander-in-Beziehung-Treten, ein Sich-gegenseitig-Sehen, eine emotionale Resonanz und gemeinsames Handeln etwas ist, was offensichtlich von der Evolution gefordert und gefördert wird, denn besonders in der Kindheit hängen unser Wohlbefinden und unsere psychische und körperliche Gesundheit entscheidend davon ab, in welchem Maße unser neurobiologisches (!) Bedürfnis nach Bindung befriedigt werden kann.[1]

Mit sich selbst in Resonanz treten

Auch als Erwachsene erfahren wir unsere Umwelt als einen emotionalen Resonanzraum, auf den wir ständig unbewusst reagieren, aber auf den wir auch mit unserem eigenen Gestimmtsein spürbar einwirken. Eigentlich handelt es sich um zwei stark miteinander vernetzte Räume: einen äußeren und einen inneren Resonanzraum. Der innere Raum, den wir hier als Erstes betrachten wollen, ist der Bereich, in dem wir mit uns selbst unser ganzes Leben verbringen. Obwohl dies unser eigentlicher Lebensraum ist, kennen ihn die meisten von uns kaum. Wir sind uns im Innersten fremd, wissen wenig über uns, bzw. es stellt sich das, was wir über uns zu wissen meinen, bei genauerem Hinschauen nur als ein Konglomerat all der vielen Meinungen und Sichtweisen über uns selbst heraus, die man uns beigebracht und anerzogen hat. Wir kennen unseren Charakter, unsere Persönlichkeit, und damit unser Ego, und wir kennen die vielen Rollen, die wir im Leben zu spielen haben, inklusive der damit jeweils verbundenen Konzepte, Ansichten und Gefühle. Da aber leider niemand uns beigebracht hat, eine Herzensbeziehung zu uns selber einzugehen, kennen wir unser eigentliches Wesen nicht. Wir können ihm näherkommen, wenn wir uns fragen, ob ein bestimmter Persönlichkeitsaspekt (»ich bin immer sehr freundlich«) oder eine Rolle (die der Frau, der Yoga-Lehrerin, des Vaters usw.) tatsächlich alles ausdrückt, was uns im Wesentlichen ausmacht. Die Antwort kann dabei immer nur Nein sein, denn wir spüren und wissen ganz natürlich, dass wir viel mehr sind als nur dieser eine Aspekt. Es ist unser Herz, das mit seiner Sehnsucht unsere Vision von Ganzheit und Verbundenheit in sich trägt und hütet.

Um mit uns selbst vertraut zu werden und uns als den Menschen kennenzulernen, der unter all diesen Rollen und Charakterzügen steckt, braucht es nicht nur Zeit. Was es vor allem braucht, ist die Ahnung, dass es da jemanden in uns gibt, der der eigentliche Bewohner dieses inneren Raumes ist, und es braucht das Interesse, dieses innere Wesen zu spüren und ihm begegnen zu wollen. Der Weg zu uns selbst ist also ein Weg des Spürens, des Sich-Öffnens und des Sich-Einlassens – und damit immer ein Weg des Herzens.

Wenn man uns darauf aufmerksam macht, erinnern wir uns alle an eine Instanz in uns, die uns schon durch unser ganzes Leben begleitet. Sie war mit uns, als wir noch ein Kind waren, als wir uns durch die Gefühlsstürme der Pubertät quälten und auch als wir ins Berufsleben starteten. Es ist dieses innere Wesen, das wir treffen, wenn wir uns einmal die Zeit nehmen, die Augen zu schließen und in uns zu gehen. Es ist alterslos und unveränderlich, es ist das Herz-Bewusstsein unseres Da-Seins. Wie ein stiller Beobachter erfüllt es unseren inneren Raum. Im Yoga wird es das Selbst (Atman) genannt und seit mehr als 2500 Jahren genau erforscht. Wenn wir unser Selbst kennenlernen, bewusst damit zu leben lernen und schließlich mit ihm in Beziehung treten, werden wir nie wieder einsam sein. Wir haben damit die wichtigste und lohnendste Beziehung überhaupt begründet: eine Herzensbeziehung und Verbundenheit mit uns selbst. Über die Wichtigkeit, uns selbst zu verstehen, schrieb C. G. Jung: »Deine Vision wird nur dann klar, wenn du in dein eigenes Herz schaust. Wer nach außen schaut, träumt; wer nach innen schaut, erwacht.«

Der Weg zu sich selbst

Seit alters her ist der Yoga ein Weg der Selbsterforschung und der Selbsterkenntnis. In all den bedeutenden Yoga-Schriften, die uns überliefert sind, geht es nicht darum, eine Philosophie und damit eine Theorie des Yoga zu entwickeln und zu entfalten, sondern vielmehr darum, eine Wissenschaft des Selbst (Atma Vidya) zu begründen. In den Quellentexten finden wir die Konzepte, die uns helfen, die verschiedenen Ebenen unseres Seins zu erkennen und einzuordnen. Vor allem aber zeigen uns diese Texte eine Vielzahl an Methoden, die uns – am besten mit der Unterstützung eines erfahrenen Lehrers – darin unterstützen, mit unserem Herzen und damit mit uns selbst in Kontakt zu treten. Yoga lädt uns ein, nicht nur mit unserem Verstand, sondern auch vom Herzen her zu erforschen, wodurch unser Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln geprägt worden ist und in welchen Automatismen wir gefangen sind. Dieses methodische Wissen, das über Generationen hinweg immer wieder erprobt und verfeinert wurde, stellt uns Kriterien zur Verfügung, anhand derer wir überprüfen und vor allem spüren können, ob das, was wir denken, fühlen und tun, für uns förderlich, hilfreich und heilsam ist – oder eben nicht. Ist es förderlich, führt es uns in den Kontakt mit uns selbst; ist es nicht förderlich, bewirkt es, dass wir uns verlieren. Nicht unser Verstand, sondern unser Herz ist die Instanz, die zweifelsfrei weiß, welcher Weg uns in die Verbundenheit führt.

Wenn wir diese Methoden der Selbsterforschung nutzen, kann neben Selbstverbundenheit auch Selbstwirksamkeit entstehen – also die Fähigkeit, zu erkennen, was wir wirklich brauchen, und als Konsequenz das Vermögen, achtsam für uns selber zu sorgen. Auf dieser Selbstfürsorge gründet dann bald eine natürliche innere Bereitschaft, sich auf die Menschen, die einem nah sind, und auch ganz generell auf andere Menschen einzulassen. Hier beginnt die Herzensbildung des Yoga.

In vielen Quellentexten des Yoga finden wir solche gangbaren und im Alltag umsetzbaren Methoden, um diesen Weg zu gehen. Genau davon soll dieses Buch handeln. Es ist ein Yoga-Buch, in dem die geistige und emotionale Übungspraxis im Vordergrund steht. Diese Entfaltung von emotionaler, sozialer und somit spiritueller Kompetenz im Sinne einer Herzensbildung wird Ihre körperliche Übungspraxis befruchten und ihr eine heilsame Ausrichtung geben, die Ihre Seele nähren und beglücken wird.

Kurzer Überblick über grundlegende Quellentexte

Der wichtigste Quellentext, auf den ich mich hier beziehen werde, ist das Yoga-Sutra. Es entstand ungefähr um Christi Geburt und wird dem Yoga-Meister Patañjali zugeschrieben. Wir wissen so gut wie nichts über diesen Autor, noch nicht einmal, ob er wirklich gelebt hat. Dennoch hat sein Werk die Jahrhunderte in großer Frische überstanden und ist heute so aktuell wie damals. Das Sanskritwort Sutra bedeutet »Faden«, und somit versteht sich das Yoga-Sutra als ein Leitfaden des Yoga. Es behandelt in vier Kapiteln und 198 Sutras (Versen) die Methodik des Yoga. Gleichzeitig ist es eine äußerst genaue Analyse der Funktionsweise des menschlichen Geistes und unserer Emotionen. Patañjali beschreibt genau und umsetzbar, wie Yoga zu üben sei, damit der Geist nachhaltig zu Ruhe und Klarheit finden kann. Er verdeutlicht, wodurch ihm diese Ruhe und Klarheit normalerweise abhandenkommt, wenn er sich in den Projektionen seiner selbst und der anderen Menschen verliert. In diesem Zustand ist der Geist nicht mehr in der Lage zu erkennen, dass in ihm etwas lebt und wirken will, das unabhängig von all dem existiert, was ihn unablässig beschäftigt, bewegt und umtreibt: das Selbst.

Patañjali beschreibt sehr genau alles, was unseren Geist eintrübt, und dann auch schrittweise den Weg in die Klarheit, in der wir uns selbst wiederfinden können. Wenn wir mit seiner Hilfe lernen zu erkennen, was uns von uns selbst entfernt, verliert dies an Kraft, mit der es normalerweise im Unbewussten wirkt. Aus der Erkenntnis unserer geistigen Strukturen und der störenden Kräfte kann sich Achtsamkeit entwickeln. Patañjali liefert uns dazu alle Werkzeuge, die wir brauchen. Im Folgenden werde ich detailliert auf sie eingehen.

Der zweite für unser Thema interessante Quellentext ist die Bhagavadgita. Dieser »Gesang (Gita) des Erhabenen (Bhagavan)« schildert die Belehrung des Fürsten und Kriegers Arjuna durch Krishna, als dieser, bedingt durch eine Reihe extrem ungünstig verlaufender Ereignisse, vollkommen verzweifelt ist; denn Arjuna soll einen Krieg mit einem Zweig seines eigenen Clans führen, was er ablehnt, da er dann womöglich Mitglieder seiner eigenen Familie töten müsste. In dieser ihm ausweglos erscheinenden Situation erläutert ihm sein Lehrer Krishna die Wege des Yoga, die ihm helfen, wieder in Kontakt mit sich selbst zu kommen, sich zu beruhigen und wieder klar und entscheidungsfähig zu werden. Krishna gilt in Indien als Inbegriff eines spirituellen Lehrers. Er ist ein Aspekt des großen hinduistischen Gottes Vishnu, der als Erhalter der Welt das Prinzip des Lebendigen an sich verkörpert. Dieser Gott wird in der Bhagavadgita als der höchste Lehrer angesehen, denn er ist bis in das Tiefste dem Wissen an sich (Vidya) verbunden. Dadurch erschließt sich ihm natürlicherweise die ganze, große Lebensperspektive seines Schülers Arjuna, und er weiß, welche Aufgabe dieser in seinem Leben zu erfüllen hat, um dem großen Ganzen (der Weltordnung – Dharma) zu dienen.

Dazu führt ihn Krishna in die vier Yoga-Wege der Bhagavadgita ein:

den Jñana-Yoga (Weg der Erkenntnis)

den Dhyana-Yoga (Weg der Meditation)

den Karma-Yoga (Weg des absichtslosen Handels) und

den Bhakti-Yoga (Weg der Hingabe an das Göttliche).

Die Bhagavadgita beschreibt den Prozess, in dem Arjuna lernt, sein Selbst zu erkennen und sich als Teil des Göttlichen zu verstehen. Wir können Krishnas Lehren aber auch modern interpretieren als Coaching-Tools auf dem Weg zu mehr innerer Ruhe, Klarheit und Einsicht in das eigene Dasein, und damit als einen Weg zu mehr Akzeptanz und Hingabe an das, was das Leben für uns bereithält. Vor allem aber lehrt uns die Bhagavadgita, sich dem eigenen Herzen zuzuwenden und sich damit der Liebe für das Leben und das Sein zu öffnen. Und in diesem Sinne werde ich mich auch für unseren Kontext auf diesen Text beziehen.

Die dritte Gruppe an relevanten Texten zu unserem Thema sind die Upanishaden. Die Bezeichnung kommt aus dem Sanskrit und bedeutet wörtlich »das Sich-in-der-Nähe-Niedersetzen«; gemeint ist damit, sich zu Füßen eines Lehrers (Guru) hinzusetzen, also die traditionelle Form der spirituellen Belehrung.

Die Upanishaden sind eine Sammlung philosophischer Schriften des Hinduismus und Bestandteil der uralten indischen Weisheitstexte, die unter dem Begriff Veda (Wissen) zusammengefasst werden. Sie sind Ausdruck der Sichtweise der philosophischen Schule des Advaita-Vedanta, die davon ausgeht, dass es nur das Eine – ohne ein Zweites – gibt, das alles durchdringt. Dieses Eine gilt als das Absolute, also als das, was als göttliches Prinzip über bzw. hinter allen Göttern des hinduistischen Pantheons steht.

Die meisten Upanishaden-Texte entstanden zwischen dem 2. und 6. Jahrhundert v. Chr. Sie sind trotz ihres Alters Zeugnisse einer zeitlosen Weisheit und Mystik, mit der sie jeden Menschen in der Tiefe seines Herzens anzusprechen vermögen, denn diese Texte berühren die tiefsten Fragen, die die Menschheit seit je bewegen. In unserem Zusammenhang interessiert vor allem, welche Erkenntnismethoden und welche Wege der Selbsterforschung sie uns überliefern. In einer der ältesten Upanishaden heißt es eindringlich: »Du bist, was dein tiefstes, treibendes Begehren ist. Wie dein Begehren ist, so ist dein Wille. Wie dein Wille ist, so ist dein Tun. Wie dein Tun ist, so ist dein Schicksal.« (Brihadaranyaka Upanishad, IV.4.5.)

Hier wird uns die Notwendigkeit aufgezeigt, genau zu erforschen, was uns bewegt und antreibt. Auch dieser Frage werde ich versuchen in diesem Buch auf den Grund zu gehen.

Da ich mich all diesen Texten schon sehr lange verbunden fühle, wird vieles von dem Wissen, das sie vermitteln, in meinen Ausführungen ineinanderfließen, denn schließlich vermitteln uns ja all diese Quellen die Essenz des Yoga: die Erkenntnis der Verbundenheit allen Bewusstseins und allen Seins.

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Die Grundlagen – Coaching-Tools der Yoga-Praxis

Die Yoga-Praxis und das Leben aktiv gestalten

In diesem Teil soll es darum gehen, wie wir uns selber nahekommen und eine förderliche Übungspraxis entwickeln können.

Die geistige Übungspraxis des Yoga entstand lange vor der Körper-Übungspraxis des Hatha-Yoga. Sie handelt fast ausschließlich davon, wie unser Geist und unsere Emotionen funktionieren und wie wir diese so wandeln können, dass sie uns mit ihren Fähigkeiten wie Denken, Analysieren, Bewerten, Planen usw. unterstützen und fördern. Das ist wichtig, denn in unserer Leistungsgesellschaft wird unser Geist eher dazu erzogen, auf die Gefühle »aufzupassen«, damit wir immer gut und angemessen funktionieren, wir uns nicht zu sehr schonen und immer und möglichst unter allen Umständen eine gute »Performance« liefern.

Es hat den Anschein, dass diese Tendenz schon immer recht verbreitet war, denn auch in Indien sind die Yoga-Meister oft sehr auf ihre Erscheinung und Wirkung bedacht. Und so nutzt der Yoga in seiner Methodik ganz bewusst die den meisten Menschen innewohnende Neigung, etwas aus sich machen zu wollen.

Das innere Feuer entfachen

So verwundert es nicht, dass Patañjali in seinem Yoga-Sutra gleich zu Beginn des Praxiskapitels als erste Qualität für unseren Übungsweg (Kriya-Yoga) Tapas nennt. Mit diesem Sanskritbegriff sind der Eifer und das innere Brennen für unsere Vorhaben gemeint und auch unser echtes Interesse und unsere Begeisterung.

Tapas meint aber auch unsere Fähigkeit, dann, wenn wir uns für etwas entschieden haben, auf etwas anderes verzichten zu können. Das bedeutet in unserem Kontext, dass wir dann, wenn wir uns aufmachen, uns selbst zu entdecken und uns in unserem Sosein anzunehmen, lernen, mehr und mehr darauf zu verzichten, es immer allen anderen recht machen zu wollen. Und das bedeutet vor allem, damit aufhören, uns immer wieder zu verbiegen und uns in unseren tiefsten und wahrhaftigsten Bedürfnisse zu verleugnen.

Damit das möglich wird, ist es unumgänglich zu erkennen, was uns wirklich wichtig ist in unserem Leben. Der Yoga unterstützt uns in dieser Erkenntnis, indem er uns Kriterien an die Hand gibt, die uns die Unterscheidung ermöglichen. Er rät uns dazu, uns zu fragen, ob das, was wir begehren, etwas ist, das uns nur vorübergehend oder eher dauerhaft glücklich machen wird – und legt uns damit nahe, auf das, was uns nur kurzfristig beglückt, zu verzichten zu lernen und uns zunehmend dem zuzuwenden, was uns auf Dauer glücklich macht.

Geschichte von Nachiketa am Tor des Todes

Um zu verdeutlichen, was damit gemeint ist, möchte ich die Geschichte von Nachiketa erzählen, wie sie in der Katha-Upanishad überliefert ist. Nachiketa ist ein junger Mann, der von seinem Vater in einem Anflug von Zorn zu Yama, dem Gott des Todes, geschickt wird. Am Tor des Todes angekommen, stellt Nachiketa fest, dass Yama nicht da ist. Er muss nun drei Tage und Nächte warten, bis der Gott zurückkehrt. Da Yama dadurch, dass er seinen jungen Gast warten ließ, die altehrwürdigen Gesetze der Gastfreundschaft verletzt hat, gewährt er Nachiketa die Erfüllung dreier Wünsche. Der Jüngling wünscht sich, dass sein Vater ihn wieder in Frieden aufnehmen möge, und außerdem die Kenntnis eines bestimmten Rituals. Sein dritter Wunsch jedoch ist sein eigentliches Herzensanliegen: Er bittet den Tod, ihm zu erklären, was es bedeutet zu sterben und was von ihm bleibt, wenn er eines Tages endgültig durch das Tor des Todes gehen muss. Damit bittet er Yama, ihm das Mysterium des Todes zu enthüllen, und der Gott des Todes, der das sofort erkennt, versucht mit allen Mitteln, sich dieser Verpflichtung zu entziehen. Er bietet Nachiketa stattdessen alles, was ein junger Mann in der Welt nur begehren könnte: große Macht, unermesslichen Reichtum, Vergnügungen jeglicher Art, viele Söhne, Gesundheit und ein langes Leben.

An dieser Stelle des Textes wird deutlich, dass Nachiketa ein äußerst bedachter und besonnener junger Mann ist, denn er lehnt all diese Angebote ab. Der Grund dafür ist, dass ihm im Angesicht des Todesgottes deutlich wird, dass er all diese weltlichen Güter ohnehin wird hinter sich lassen müssen, wenn er eines Tages aus dem Leben scheidet.

Er versteht, dass er sich nur belasten würde, wenn er sich für solche äußeren Werte entscheidet, denn er ahnt, dass der Genuss, den Reichtum, Macht und Vergnügen bieten, vergänglich ist und ihnen immer schon der Schmerz anhaftet, der mit ihrem Verlust einhergeht.

Mit der weisen Entscheidung, sich dem zuzuwenden, was nachhaltig glücklich macht (shreya), und auf das zu verzichten, was nur vorübergehendes Vergnügen bedeutet (preya), hat Nachiketa die Prüfung des Gottes bestanden. Yama wird ihn im Folgenden in das Mysterium des Todes einweihen, indem er Nachiketa lehrt, seinen unsterblichen Wesenskern als das zu erkennen, was ihn im Eigentlichen ausmacht und was in ihm unwandelbar und unsterblich ist.

Shreya – das, was immerwährende Freude schenkt und dem wirklichen Wohlergehen förderlich ist, und Preya – das, was man aufgrund seiner Konditionierungen mag und was den Sinnen angenehm ist, sind die beiden Kriterien, die uns der Text gibt und die uns helfen können, wie Nachiketa Entscheidungen zu treffen, die sich als förderlich und günstig erweisen. Dabei geht es jedoch keineswegs darum, vollständig und für immer auf das aktuell Angenehme zu verzichten, sondern vielmehr zu erkennen, wie viel Macht wir dem, was uns Vergnügen oder Einfluss verspricht, in unserem Leben geben. Es geht also nicht um Verzicht um des Verzichts willen, sondern darum, durch das Verzichten frei zu werden vom Einfluss all der Faktoren, denen wir uns sonst eher unbewusst unterwerfen.

Die eigenen Muster erkennen lernen

Als zweite Qualität, die gleichermaßen unsere Yoga-Praxis wie auch unsere Lebensführung auszeichnen soll, nennt Patañjali die Selbsterforschung (Svadhyaya). Um besser verstehen zu können, wie unser Geist funktioniert und wie wir im Alltag »ticken«, brauchen wir Unterweisung. In der Tradition des Yoga war deshalb vorgesehen, dass wir uns einem Lehrer anvertrauen, der uns nicht nur mit den Mitteln des Yoga »coacht«, sondern uns auch mit den Quellentexten bekannt macht. Seit alters her werden diese Texte, wie etwa die Upanishaden, die Bhagavadgita oder das Yoga-Sutra, als Spiegel angesehen. Wenn wir in sie hineinschauen, können wir lernen, uns im Licht des Wissens, das sie in sich bergen, zu erkennen. Diesen Effekt kennen wir, wenn wir das Gefühl haben, dass ein Text uns direkt anspricht und wir uns mit all unseren Fragestellungen und Problemen in ihm wiederfinden.

Svadhyaya meint deswegen auch das Selbststudium, also das kontinuierliche Studium der Texte im Sinne der Selbsterforschung.

So lernen wir zum Beispiel im Yoga-Sutra die Kräfte kennen, die dazu führen, dass sich unser Geist immer wieder in Probleme verwickelt, und die – wenn wir uns ihrer nicht bewusst sind – in machtvoller Weise unser Befinden bestimmen. Das betrifft ganz besonders die fünf tief sitzenden störenden Kräfte, die im Yoga Kleshas genannt werden.

Die Kleshas sind:

Avidya – Irrtum, Verwechslung; das Ewige und Wesentliche wird mit dem Vergänglichen und Unwesentlichen verwechselt.

Asmita – das falsche Verstehen der eigenen Person; wir verwechseln unser Ego mit seinen vielen Rollen mit dem, was uns im Eigentlichen ausmacht – also unserem Selbst.

Raga – Begehren, Gier – die fälschliche Annahme, dass uns der Besitz von irgendetwas glücklich macht.

Dvesha – Abneigung, Ablehnung – die fälschliche Annahme, dass uns etwas unglücklich macht.

Abhinivesha – tief sitzende Unsicherheit, Angst – die ganz grundlegende Angst vor Wandel und Vergänglichkeit, der Selbsterhaltungstrieb.

Vielleicht merken Sie schon beim Lesen, wie gut Sie die Wirkweise dieser Kräfte bei sich selbst und bei anderen kennen und dass sich bei genauerem Betrachten eigentlich jeder von uns andauernd mit diesen Störfaktoren herumschlägt. Wir erkennen, dass wir keineswegs allein auf der Welt sind mit unseren Problemen, sondern dass sie unvermeidlich zu unserem Menschsein dazugehören. Irgendwann wird deutlich, dass es sich um die ganz allgemeinen Funktionsweisen des menschlichen Geistes und der Emotionen handelt, die uns immer wieder Probleme bereiten. Das Studium unseres Selbst, das im Yoga immer auch mit der Herzensbildung verbunden ist, lädt uns ein, Verständnis und Mitgefühl für unser eigenes Gewordensein zu entwickeln und uns zunächst einmal so anzunehmen, wie wir sind. Eine solche Selbstakzeptanz soll aber keineswegs dazu führen, dass wir uns nun gehenlassen! Nein, sie hilft uns nur zu verstehen, dass die Art, wie wir uns selbst erleben und erfahren, sehr stark geprägt wurde durch die Werte, Erwartungen und Absichten unserer Eltern und der Gesellschaft, in der wir aufgewachsen sind. Durch die Beschäftigung mit den Texten können wir die Wirkweisen solcher Prägungen erkennen. Gleichzeitig aber lassen sie uns auch hinter die Rollen und Masken dieses Gewordenseins schauen, sodass uns klar wird, dass es hinter all diesen Fassaden etwas gibt, was unser wahres Wesen ausmacht. Und sie geben uns die Methoden und die Vision, mit der wir das, was im Yoga Selbst (Atman) genannt wird, in uns erfahren können.

Verstehen lernen, wie wir geworden sind

Damit wir verstehen, welche innere Instanz die Yoga-Texte meinen, wenn sie von unserem Wesenskern sprechen, ist es gut zu wissen, wie sich sein Gegenpol in uns erschaffen hat – nämlich unsere Persönlichkeit und unser Charakter, mittels derer wir im täglichen Leben uns selbst und unserer Umwelt begegnen.

Wir wissen heute aus der Entwicklungspsychologie, dass das, was wir als unser Ego erfahren, eine Sammlung aus den verschiedensten Konzepten ist, aus denen wir unsere Ich-Identität immer wieder aufs Neue zusammensetzen. Im Zentrum des Prozesses der Ich-Bewusstseinsbildung steht dabei die Identifizierung. Ich sage: »Das ist mein Arm. Das ist mein Gesicht. Das ist mein Körper. Das sind meine Bewegungen. Das sind meine Worte. Das sind meine Gedanken.« Indem wir das ausdrücken, identifizieren wir uns mit etwas, das wir mit dem Possessivpronomen »mein« als zu uns zugehörig beschreiben.

In ähnlicher Weise identifizieren wir uns nicht nur mit unserer Körperlichkeit, sondern auch mit unseren Überzeugungen, unseren Werten und unseren Weltanschauungen: »Das sind meine Meinungen, meine Überzeugung, meine politischen Ansichten, mein Glaube.«

Auch mit unserem Handeln sind wir hochgradig identifiziert: »Ich arbeite, ich erschaffe, ich koche, ich mache Yoga – ich tue all das und nicht irgendjemand anderes!« Im Ich-Bewusstsein stehe immer ich im Zentrum meines Erlebens und erfahre und gestalte die Welt von dieser Perspektive aus.

Ich erfahre mich als Ich, gerade weil ich mich mit meinem Erleben identifiziere. Das Gefühl, Ich zu sein, ist folglich gegründet auf einem fortwährenden – und normalerweise nie endenden – Prozess des Identifiziertseins mit meinen Gedanken, Empfindungen, Gefühlen und Wahrnehmungen.

Auf der Grundlage all der Erlebnisse und Erfahrungen, an die wir uns erinnern und mit denen wir uns identifizieren, entwickeln wir ein Konzept von uns selbst, und dies besteht wie gesagt aus den Vorstellungen und Gefühlen darüber, wer ich bin, wie ich mich anfühle, wie ich mich verhalte und wie ich mit anderen Menschen umgehe. Somit wird deutlich, dass das Konzept meiner Ich-Identität eine mentale oder psychische Konstruktion ist.

Da sich im Laufe unseres Lebens die Konzepte unserer Ich-Identität an die sich ständig wandelnden Lebensverhältnisse anpassen müssen (damit wir in unser Leben passen), kann man sagen, dass wir diese Ich-Identität ständig rekonstruieren und dabei immer den Gegebenheiten entsprechend formen. Nur so kann schließlich aus einem kindlichen Ich irgendwann einmal ein erwachsenes und reifes Ich werden. Ein erstaunlicher Vorgang!

Noch etwas ist dabei bemerkenswert: Wenn wir uns betrachten, schauen wir in der Regel genauso auf uns selbst, wie wir auf einen anderen Menschen oder ein Objekt schauen. Wir sehen dabei – bedingt durch die Prägung unserer Wahrnehmung – vor allem das Konzept, das wir von dem Objekt oder dem anderen Menschen haben, und genauso verhält es sich, wenn ich sage: »Das bin ich!« Dann schaue ich auf mich und sehe das Konzept, das ich von mir habe, denn auch ich selbst bin dann ein Objekt meines eigenen Denkens und meines eigenen Verstehens. Wenn ich sage: »Das sind meine Gedanken, meine Gefühle, meine Wahrnehmungen«, dann habe ich sie damit zum Objekt gemacht. In der Folge bestehen dann Ich und die Welt aus konzeptualisierten Objekten!

Wenn uns der Anpassungsprozess der Konzepte an die sich ständig verändernde Wirklichkeit (zum Beispiel im Älterwerden) gelingt, dann entwickeln wir eine ausgereifte Ich-Identität, die sich dadurch zeigt, dass wir ein genaues und zusammenhängendes (kohärentes) Gefühl von uns selbst entwickeln, verbunden mit dem Wissen darum, wer wir sind. Gegründet in diesem Gefühl und diesem Wissen können wir unser Leben auf sinnvolle Weise gestalten und zu einer stabilen, in sich ruhenden Persönlichkeit werden, die bereit ist, die volle Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen.

Aber auch wenn sich das eigentlich sehr gut anhört, bewegen wir uns doch immer noch im Bereich der konzeptualisierenden Ich-Identität. Das heißt, wir haben Vorstellungen davon, wer wir sind und wie wir sein wollen, wie wir unser Leben gestalten wollen und was wir für richtig oder falsch halten. Das sind alles Konzepte! Indem wir den Beobachter in uns entwickeln, lernen wir zu erkennen, wie wir uns immer wieder unseren Vorstellungen entsprechend eine Ich-Identität rekonstruieren. Diese Instanz hilft uns aber auch, uns bewusst zu werden, dass da etwas ist, das diesen Vorgang beobachtet.

Der Yoga möchte uns vor allem helfen zu entdecken, dass unter all diesen Konzepten noch etwas Tieferes, Größeres liegt, das nicht dem Wandel unterworfen ist und in sich ruht. Er lädt uns ein, das Bewusstsein von uns selbst zu erweitern, indem wir die einengenden Formen der Konzepte hinter uns lassen und unsere Wahrnehmung öffnen für alle Erscheinungsformen unseres Seins.

Wenn das, was wir als unseren inneren Beobachter kennenlernen, sich allmählich zu einer wirklich in sich ruhenden Instanz reinen Zur-Kenntnis-Nehmens entwickelt, dann entsteht dadurch ein innerer Erkenntnisraum, der gekennzeichnet ist durch Offenheit und Weite. In diesem Raum sind wir uns unserer selbst bewusst, und zwar ohne Rückgriff auf irgendwelche Vorstellungen und Konzepte darüber, wer wir sind und wie wir sein sollten. Es ist ein Raum der Neugier, der Offenheit, Präsenz und Gegenwärtigkeit, in dem wir uns unseres Eingebundenseins und unserer Teilhabe an der Dynamik des Lebens bewusst werden. Verankert in diesem Empfinden erfahren wir uns dann als gegenwärtig, als offen, spürend, empfangend und fühlend. Dann sind wir vom Herzen her verbunden mit unserem tiefsten Wesen – und gleichzeitig auch verbunden mit allen Inhalten unseres Erlebens.

Das, was wir in diesem Raum erfahren, ist unser Seinsgrund, das, was im Yoga das Selbst (Atman oder Purusha) genannt wird. Die Instanz in uns, die damit in Kontakt gehen kann, ist etwas, das der Psychologe Joachim Galuska unser »Seelenbewusstsein« nennt. Erst in diesem Seelenbewusstsein wird für uns Menschen der Unterschied dessen erkennbar, was für uns eine tiefere Erfahrung und was eher eine oberflächliche Erfahrung ist. So lernen wir zu unterscheiden zwischen unserer Wesenstiefe und unserer Oberfläche, unseren Grundwerten und unseren weniger tief gehenden Interessen.

Annehmen, was ist

Die dritte Qualität, die Patañjali beschreibt, ist die Entfaltung der Fähigkeit, das anzunehmen, was jetzt ist, und darauf zu vertrauen, dass es so, wie es ist, in unserem Leben einen Sinn haben wird. Diese Qualität wird im Yoga-Sutra Ishvara Pranidhana – Hingabe an das Höchste (Ishvara)