Zu Besuch bei Hans Bender und Arnold Stadler - Ilka Scheidgen - E-Book

Zu Besuch bei Hans Bender und Arnold Stadler E-Book

Ilka Scheidgen

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Beschreibung

Hans Bender, 1919 in Mühlhausen im Kraichgau geboren, war legendärer Gründer und Herausgeber der noch heute bedeutendsten deutschen Literaturzeitschrift Akzente und war auch als Herausgeber berühmter Anthologien mit nahezu allen Schriftstellern der Nachkriegszeit eng verbunden. Als solcher hat er die Literatur der Bundesrepublik wie kaum ein zweiter geprägt. Viele junge Talente hat er entdeckt und gefördert. Aber Hans Bender war auch selbst Schriftsteller, Verfasser von Lyrik, Kurzgeschichten und Romanen. Im Alter bevorzugte er die für ihn typischen Ausdrucksformen des Vierzeilers und der Aufzeichnung, in denen er seine stille, hintergründige, von feinem Humor gekennzeichnete Sprache wunderbar zum Ausdruck brachte. Arnold Stadler, wurde im Gründungsjahr der Akzente 1954, in Meßkirch in Baden geboren. Wie viele andere hat auch er seine ersten Veröffentlichungen und danach die Einladung ins Literarische Colloquium Berlin dem unermüdlichen Förderer guter Literatur Hans Bender zu verdanken. Schon im Jahre 1999 mit nur 45 Jahren erhielt Stadler den renommiertesten deutschen Literaturpreis, den Georg Büchner Preis, für seine hintergründige, humorvolle, dem Trotzdemschönen des Lebens verpflichtete hinreißende Prosa zuerkannt. Hans Bender und Arnold Stadler verband eine enge Freundschaft. Ilka Scheidgen war mit Hans Bender 35 Jahre lang befreundet bis zu seinem Tod im Jahre 2015. Mit beiden Schriftstellern konnte Ilka Scheidgen ausführliche Gespräche führen, die sich in diesem Doppelporträtband nachlesen lassen. In den Porträts lassen sich Leben, Werk und Wirken zweier bedeutender Schriftsteller nachvollziehen.

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Un coup de dés

Jamais

N‘abolira

Le hasard

*********

Ein Würfelwurf

Bringt nie

Zu Fall

Zufall

Stéphane Mallarmé

Inhalt

Einleitung

Hans Bender

Biografisches

Mein erster Besuch bei Hans Bender

Zwischendurch

Hans Bender und Hilde Domin

Hans Bender und Gabriele Wohmann

Besuch anlässlich seines 90.Geburtstages

Nachruf

Arnold Stadler

Biografisches

Es liest: Arnold Stadler

Mein Besuch bei Arnold Stadler

Salvatore

Komm, gehen wir

Veröffentlichungen

Einleitung

Die beiden Schriftsteller Hans Bender und Arnold Stadler gemeinsam in einem Buch zu porträtieren, erscheint mir beinahe wie eine Zwangsläufigkeit.

Mehrfach kreuzen sich die Linien ihrer Biografien. Hans Bender, 1919 geboren, erlebte Krieg und Gefangenschaft, bevor er im Jahre 1954 die legendäre Literaturzeitschrift Akzente – gemeinsam mit Walter Höllerer – gründete.

1954 wurde Arnold Stadler geboren. Im Schulunterricht begegnete er erstmals Kurzgeschichten von Hans Bender. Und als er seine ersten Gehversuche als Dichter machte, bot Hans Bender dem jungen unbekannten Dichter ein erstes Forum der Veröffentlichung.

Hans Bender, dieser Förderer unzähliger junger Talente, dieser stille Dichter und große Freundschaftsmensch, begleitete auch mein Schreiben 35 Jahre lang.

Als ich begann, meine Kollegen, die Dichter, zu porträtieren, lernte ich auch Arnold Stadler kennen. Und dieser gemeinsame Freund begleitete Hans Bender am Lebensende und darüber hinaus mit seinen Worten, die vor allem den Zurückgebliebenen Trost spendeten.

Hans Bender

Der Schriftsteller Hans Bender wurde am 1.Juli 1019 in Mühlhausen im Kraichgau als Sohn eines Gastwirts geboren. Aus seinem Studium der Literatur, Philosophie und Musikwissenschaft in Erlangen wurde er durch den Krieg herausgerissen und musste fast zehn Jahre im Krieg und in russischer Kriegsgefangenschaft verbringen. Endlich zurückgekehrt nahm er sein Studium in Heidelberg wieder auf. Dort begann seine einmalige Doppelberufung: als Dichter und als Herausgeber. Nach der eigenständigen Gründung der Literaturzeitschrift „Konturen“ gründete Bender zusammen mit Walter Höllerer 1954 die bis zum heutigen Tage maßgebliche Literaturzeitschrift „Akzente“.

Bis 1980 war er deren Herausgeber. Als solcher förderte und begleitete Hans Bender unzählige Autoren der deutschen Nachkriegszeit in den unterschiedlichsten literarischen Prägungen und Strömungen. Ein weiterer Schwerpunkt seines unermüdlichen Einsatzes für die deutschsprachige Literatur waren seine epochalen Anthologien sowohl von Prosa, aber besonders auch deutscher Lyrik wegweisend.

Nebenher und nach dem Rückzug aus der Tätigkeit als Herausgeber verstärkt schrieb Hans Bender eigene Texte: Kurzgeschichten, Romane, Gedichte. Kennzeichnend für sein Spätwerk waren seine Vierzeiler und das Genre der „Aufzeichnungen“.

Seit 1959 lebte Hans Bender in Köln. Zu seinem 75. Geburtstag richtete ihm zu Ehren die Stadt Köln eine Ausstellung „Gelegenheit macht Dichter“ im Historischen Archiv aus.

Diesem Archiv hatte Hans Bender seine Sammlung von 27.000 Briefen übergeben. Als im Jahre 2009 das Kölner Historische Archiv einstürzte, wurde auch dieser unschätzbare Wert einer unvergleichlichen Sammlung von zeitgenössischen literarischen Briefdokumenten vernichtet.

Hans Bender wurde mit zahlreichen Preisen, dem Bundesverdienstkreuz und der Ehrendoktorwürde der Universität Köln ausgezeichnet. Er war Mitglied in der Akademie der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz, der Freien Akademie der Künste Mannheim sowie der Akademie der Künste Berlin, außerdem Juror in verschiedenen Gremien.

Hans Bender starb am 28. Mai 2015 in Köln. Er wurde in einem Ehrengrab in seiner Heimatgemeinde Mühlhausen beigesetzt.

Mein erster Besuch bei Hans Bender

Taubengasse - eine romantisch anmutende Adresse, in der sich Hans Bender seit langer Zeit eingerichtet hat und wohl fühlt, wie seine Antwort auf die Frage „Wo möchten Sie leben?“ bezeugt: In der Taubengasse in Köln.

Hier im Zentrum von Köln, unweit des geschäftigen und verkehrsreichen Barbarossaplatzes ist dennoch so etwas wie eine kleine Oase. Seine Wohnung liegt im obersten Stockwerk des in den sechziger Jahren erbauten Backsteingebäudes. Im „Laubengang“ befindet sich der Eingang zu Benders Reich. Vergeblich suche ich zunächst diesen Laubengang im Parterre des Hauses, doch einen Ausgang zu einem solchen kann ich nicht finden.

Hans Bender kommt mir auf halbem Weg entgegen. „Das passiert immer wieder“, sagt er und geleitet mich hinauf, „dass mich die Besucher nicht finden.“ Ich bin zum ersten Mal bei Hans Bender in der Taubengasse, obwohl wir uns schon seit vielen Jahren aus Briefen kennen und auch bei Lesungen begegnet sind.

Was einem Mann mitbringen, der mit Büchern lebt seit seiner Jugendzeit? Ein Buch hieße Eulen nach Athen tragen. Also bringe ich einen Strauß Blumen mit. Über den freut er sich, schneidet die Stiele sachkundig an und stellt die Blumen in eine Vase. Tee oder Kaffee, fragt er mich, er selbst trinke um diese Zeit meist Kaffee, und ich schließe mich gerne an.

„Ja, so erzählt er mir, „ich habe großes Glück mit dieser Wohnung. In Köln sind solche Wohnungen ja fast unbezahlbar geworden.“

Wir treten in ein lichtes Wohnzimmer, die ganze Kopfseite ist von zwei großen Fenstern eingenommen. Man sieht viel Himmel, die gegenüberliegenden Häuser sind weit fortgerückt, dazwischen breiten sich Höfe und Gärten aus. Man schaut auf Baumkronen, aus denen Tauben auf und niederfliegen.

Diese grüne Oase inmitten einer Großstadt ist für Hans Bender vermutlich ein wenig Ersatz für seine ländliche Heimat, die er in vielen Erinnerungen und Kurzgeschichten liebevoll und zärtlich beschreibt: „Ich liebe die Hügellandschaften...die runden, gelben Hügel des Kraichgaus, wo ich geboren wurde.“

Die Vase mit den gelben Tulpen stellt er auf seinen Arbeitstisch direkt vor dem Fenster. Die gegenüberliegende Wand ist ganz von Büchern besetzt. „Schön“, sagt er, „das ist Frühling.“

Hans Bender ist in dem kleinen Dorf Mühlhausen, südlich von Heidelberg, als Sohn eines Gastwirtes am 1. Juli 1919 geboren.

Die dörfliche Welt, die Umgebung seiner Kindheit war schön; er scheut sich nicht, dies zu bezeugen. „Ja, verabscheuen beeindruckt heute mehr als loben“, sagt er. Diesem Trend hat er sich nie angeschlossen.

Und so erinnert und lobt er seine Heimat, ohne Verklärung, ohne Pathos: „Unser Dorf ist mir immer besonders friedlich, glücklich erschienen. So wie man überhaupt später zu seiner Kindheit zurückblickt. Es hat mit dem Charakter der Umgebung zu tun: dieses Hügelland, auf dem Weinstöcke und Obstbäume gedeihen. Ein Tabak- und früher auch ein Hopfenland. Die lichten Mischwälder, mit ihren Buchen, Lärchen und Fichten.“

Dieses dörfliche Panoptikum war für Hans Bender so etwas wie die Einstiegspforte in die Welt da draußen. Hier begegnete der aufgeweckte Knabe vielerlei Charakteren, und er beobachtete sie sorgfältig, hörte aufmerksam ihren Gesprächen zu, machte sich Notizen.

Das rege Leben im elterlichen Gasthaus, in dem viele Reisende abstiegen, waren die Folie für Hans Benders spätere Kurzgeschichten, in denen er eine wahre Meisterschaft erlangte. Früh schon drängte es ihn zum Realismus.

Hans Bender ist kein Träumer. Er beschreibt, was er kennt, was einer erlebt. Es sind Geschichten aus dem Alltag, knapp, lakonisch bis hin zu einer gerade in der Verknappung durchschimmernden Melancholie, jedoch stets frei von jeglicher Sentimentalität.

Der Krieg riss den jungen Hans Bender kurz nach Beginn seines Studiums der Germanistik, Philosophie und Musikwissenschaft in Erlangen aus einer bis dahin eher harmonisch erlebten Welt jäh heraus.

Fast zehn Jahre - „die besten, die man eigentlich anders erleben sollte“, wie er sagt, verbrachte er als Soldat und in russischer Kriegsgefangenschaft.

Trotzdem verspürte er keinen Hass. Er sah besonders die Jahre der Gefangenschaft, nach den Grausamkeiten des Krieges, auch als eine Zeit der inneren Reifung.

„Damals begann ich, bewusst zu schreiben“, erzählt er. Viele seiner Erzählungen und sein Roman „Wunschkost" (1959) handeln von dieser Zeit.

Sein erster Roman „Eine Sache wie die Liebe" erschien bereits 1954 und gibt sehr charakteristisch das Lebensgefühl junger Menschen in den fünfziger Jahren wider (1991 bei Fischer neu aufgelegt).

Doch seine eigentliche Domäne war und blieb die Kurzgeschichte. Inspiriert durch die amerikanischen short stories eines Hemingway und O. Harry ist diese knappe, auf das Wesentliche reduzierte, dennoch ganz lebendige Darstellungsform einem Menschen wie Hans Bender wie auf den Leib geschrieben.

Seine Kurzerzählungen, um nur einige Beispiele zu nennen, „Die Wölfe kommen zurück“, „Iljas Tauben“, „Der Brotholer“, sind längst zu Klassikern geworden und in Schulbüchern und Sammelbänden immer wieder neu vertreten, sie wurden in 40 Sprachen übersetzt.

Doch Hans Bender ist nicht nur Schriftsteller, er ist auch Herausgeber, ich vermute, der berühmteste deutsche Herausgeber überhaupt.

Und das hat vor allem mit den „Akzenten“ zu tun, die er begründete (zusammen mit Walter Höllerer) und 27 Jahre lang (davon acht Jahre allein) edierte.

„Wie hat es mit den Akzenten angefangen?“ frage ich. „Ja“, sagt er, „das muss ich ein bisschen ausführlicher erzählen“, lehnt sich in seinen Sessel zurück, steckt sich eine Zigarette an und blickt in die Weite des „himmlischen“ Panoramas vor seinem Fenster.

„Ich bin aus Russland zurückgekommen und habe in Heidelberg mein Germanistikstudium aufgenommen“, beginnt Hans Bender zu erzählen. „Da lernte ich junge Dichter kennen, die waren mir viel interessanter als die Professoren. Ernst Meister war dabei, der später sehr berühmt wurde. Und ich habe einen jungen Verleger kennengelernt, der hat ein Gedichtbändchen von mir gemacht.“

Diesem Verleger schlug Hans Bender vor, eine Anthologie zu machen mit seinen Studenten. „Das“, so sagt er lächelnd, „war dann meine erste Herausgebertätigkeit.“