111 Gründe, Portugal zu lieben - Annegret Heinold - E-Book

111 Gründe, Portugal zu lieben E-Book

Annegret Heinold

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Beschreibung

Wer denkt, Portugal sei nur ein zweit- oder drittklassiges Reiseziel, der liegt gehörig falsch. Dies zeigt Annegret Heinold in ihrem Buch 111 Gründe, Portugal zu lieben: Egal ob Badestrände, subtropische Inseln, Berge, Olivenhaine, Kunststädte, Wintersportparadiese, historische Burgen oder Millionenstadt – in Portugal gibt es für jeden Geschmack etwas. Mit viel Insiderwissen und Herzblut macht die Autorin Lust darauf, dieses einstige Land der Seefahrer selbst zu sehen und zu erleben. Witzige und kurzweilige Anekdoten über entspannte Menschen, melancholische Musik, die landestypische Küche sowie die portugiesische Sprache und Kultur ziehen den Leser in ihren Bann. Eine schwärmerische Liebeserklärung an das wunderschöne Land im Westen der Iberischen Halbinsel, verfasst von Annegret Heinold, die seit vielen Jahren in Portugal lebt.

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Seitenzahl: 336

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ANNEGRET HEINOLD

111 GRÜNDE PORTUGAL ZU LIEBEN

Eine Liebeserklärung an das schönste Land der Welt

Vorwort

Das erste Mal hörte ich von Portugal, als ein Freund anfing, Romanistik zu studieren, und mir ständig von der Schönheit der portugiesischen Sprache vorschwärmte. Er brachte mir sogar bei, auf Portugiesisch Danke zu sagen.

Mil obrigadinhas, die tausend Dankeschönchen, waren meine ersten portugiesischen Worte. Zu diesem Zeitpunkt deutete nichts in meinem Leben darauf hin, dass ich ein paar Jahre später nach Portugal ziehen würde. Wo ich mittlerweile schon seit über 30 Jahren lebe. Anfangs im Süden, nun im Norden.

Wie überall hat auch das Leben in Portugal Höhen und Tiefen. Am Anfang war es einfach nur aufregend, neu und anders als in Deutschland. Aber wie es so ist mit der Liebe, nach einer Weile ist der Glanz ab, und es kamen die Zeiten, in denen wir uns manchmal fragten, warum um Himmels willen wir in einem Land lebten, in dem vieles so schwierig, mühsam und anders war als in Deutschland.

Das ist dann der Punkt, an dem man bleibt oder geht. Wir sind geblieben. Und nach ein paar weiteren Jahren bekommt das Leben im Ausland eine angenehme Normalität, man lebt sich ein und vergisst im Alltag oft, was das Land so schön, besonders und attraktiv macht.

Deswegen war es mir eine Freude, 111 Gründe, Portugal zu lieben, zu sammeln, und zu zeigen, was für ein wunderbares und interessantes Land Portugal ist. Ich habe angefangen, meine Wahlheimat noch einmal neu zu entdecken. Wie vielfältig und schön die Landschaft ist – die Küste mit ihren Felsen und Stränden, die blühenden Felder im Frühling im Alentejo und die vom Weinanbau geprägte Landschaft im Norden. Wie interessant die Großstädte Lissabon und Porto sind – alte Bauten modern renoviert, angesagte Designer und ein Kulturangebot vom Feinsten. Wie gut und reichhaltig das portugiesische Essen ist, wie hilfsbereit und freundlich die Menschen sind.

Die Auswahl der Gründe ist logischerweise subjektiv. Und natürlich unvollständig, das geht ja auch gar nicht anders bei 111 Gründen. Aber diese Gründe hier sind ja auch nur Ausgangspunkt für viele weitere Gründe, Portugal zu lieben, die jeder für sich selbst finden wird, wenn er anfängt, das Land zu entdecken. Dieses Buch soll dazu ermuntern!

Annegret Heinold

KAPITEL 1

Bem-vindo a Portugal – Willkommen in Portugal

1. GRUND

Weil man in Portugal am gleichen Tag am Strand liegen und Ski fahren kann

Wer es darauf anlegt, kann in Portugal morgens am Strand liegen und nachmittags Ski fahren. Oder umgekehrt.

In Portugal am Strand liegen? Auf jeden Fall, dafür ist Portugal bekannt, besonders die Algarve im Süden. Aber Schnee in Portugal? Und sogar Ski fahren? Das ist schwer vorstellbar und trotzdem wahr. Portugal ist natürlich kein klassisches Wintersportland, aber es gibt in der Serra da Estrela immerhin neun Ski-Pisten. Dort schneit es spätestens ab November und dann bleibt der Schnee bis März liegen, oft sogar bis in den April. Von der Algarve bis in die Serra da Estrela fährt man fünf Stunden mit dem Auto. Und aus Orten wie zum Beispiel Figueira da Foz oder Praia de Mira an der Westküste ist man in zwei Stunden dort. Hier ist es im Winter eiskalt, und der Schnee liegt meterhoch, während es an der Algarve 20 Grad oder mehr sind.

Portugal ist überhaupt ein Land voller Gegensätze. Es liegt am Atlantik und allein das portugiesische Festland hat über 940 Kilometer Küste. Aber es gibt auch eindrucksvolle Gebirge, von denen das höchste auf dem portugiesischen Festland ebenjene Serra da Estrela mit einem Gipfel von 2.000 Metern ist. (Eigentlich sind es nur 1.993 Meter, der Rest wurde mit einem Turm aufgestockt. Aber davon später in Grund Nr. 90 mehr.)

In jahrtausendealten Städten wie Braga, Coimbra und Évora, um nur einige zu nennen, findet man enge Gassen mit Kopfsteinpflaster und jahrhundertealte Gebäude. Aber jede Stadt hat auch ein modernes Einkaufszentrum, ja, es ist fast ein Wettbewerb, welche Stadt das größte und beste hat. Das Centro Colombo in Lissabon hat die meisten Läden. Das Forum Coimbra in Coimbra einen fantastischen Blick über den Fluss Mondego und die Altstadt mit der Universität. Und der Palácio do Gelo in Viseu hat eine Schlittschuhbahn, eine Gletscher-Bar und große Terrassen mit Panoramablick über die Serra da Estrela.

Es gibt fast verlassene Dörfer, in denen nur noch Alte wohnen, weil die Jungen längst in die Städte oder ins Ausland gezogen sind, da sie dort bessere Job- und Lebensbedingungen finden. Der Gegensatz dazu sind die Großstädte Lissabon und Porto, in denen das Leben rund um die Uhr pulsiert und wo die letzten Spätheimkehrer auf die ersten Marktbesucher treffen.

Im Supermarkt können Einkäufe heutzutage an einer Kasse ohne Verkäufer gescannt werden. Überweisungen und Zahlungen werden am Geldautomaten getätigt. Rechnungen und Lieferscheine werden direkt auf dem Webportal des Finanzamtes ausgestellt. Andererseits verteilen afrikanische Astrologen Werbezettel, auf denen sie nicht nur weiße, sondern auch schwarze Magie anpreisen. Alte Frauen kurieren mit Hilfe von Gebeten und Ritualen Verstauchungen, Sehnenzerrungen und befreien vom bösen Blick. Und der katholische Pfarrer in Vilar de Perdizes, einem kleinen Ort in Nordportugal, organisiert einmal im Jahr einen Markt für Hexerei, Magie und traditionelle Heilkunde.

Wenn ich aus meinem Fenster sehe, blicke ich über die Quinta da Comenda. Das Anwesen in São Pedro do Sul existiert seit rund 900 Jahren. Im 12. Jahrhundert war es im Besitz von Dona Teresa, der Mutter des ersten portugiesischen Königs, Dom Afonso Henriques. Danach war es einige Jahrhunderte im Besitz des Malteserordens. Heute ist es ein Weingut, in dem biologische Weine hergestellt werden, und außerdem ein Agro-Turismo, ein Gästehaus auf dem Land (mehr über diese Gästehäuser in Grund Nr. 13). Die Quinta da Comenda hat viel erlebt, sie ist mit der Zeit gegangen und hat doch ihre Eigenheit bewahrt.

Genau wie Portugal. Ein Land, das eine lange Geschichte hat, in dem Tradition und Moderne nebeneinander existieren und dessen Landschaft so vielfältig ist, dass man am gleichen Tag am Strand liegen und Ski fahren kann.

2. GRUND

Weil die portugiesische Essenszeit heilig ist und der Cafezinho einfach dazugehört

Das ist der Rhythmus des Lebens in Portugal: O Almoço, das Mittagessen, ist von eins bis drei. O Jantar, das Abendessen, von sieben bis neun Uhr. Im Sommer gerne auch mal später. Aber nie früher. Frühstück gibt es auch. Es ist aber nicht so wichtig und besteht bei vielen Portugiesen immer noch aus Espresso und Kuchen, im Stehen am Tresen auf dem Weg zur Arbeit.

Für Menschen aus anderen Ländern ist es schwer zu verstehen, wieso die Restaurants in der Zwischenzeit nichts servieren. Was ist zum Beispiel, wenn ein Tourist Hunger hat? Tja, wem das so geht, der muss sich eben mit Snacks behelfen, die allerdings ganz köstlich sind (mehr dazu in Grund Nr. 71). Wenn der hungrige Tourist in einer größeren Stadt ist, kann er natürlich auch in das nächste Einkaufszentrum gehen und dort etwas essen. In den Fressmeilen der Shoppingcenter sind die Essstände durchgehend geöffnet. Aber natürlich wenig frequentiert. Denn Portugiesen essen zu ihren Essenszeiten, und die nehmen sie ernst. Undenkbar, zu diesen Zeiten jemanden zu besuchen oder auch nur anzurufen.

Deswegen beginnen die Musik- oder Theaterveranstaltungen in Portugal auch erst abends um halb zehn. So hat man Zeit, vor dem abendlichen Ausgang in aller Ruhe zu essen.

Ein Abendessen ist natürlich nicht nur einfach ein Abendessen. Als Erstes gibt es Vorspeisen bestehend aus Brot, Oliven und Käse. Gefolgt von einer Suppe wie Canja (Hühnersuppe), Caldo Verde (Kohlsuppe aus Stangenkohl) oder Gemüsesuppe. Das Hauptgericht ist entweder Fisch oder Fleisch. Nach der Regel: Wenn es mittags Fisch gibt, ist das Abendessen mit Fleisch. Und umgekehrt. Für Vegetarier ist es nach wie vor nicht einfach, in Portugal zu essen. Dann folgt die Nachspeise. Im Restaurant gibt es dafür eine lange Liste plus Eiskarte. Zu Hause beim Essen mit Freunden oder Familie ist es meist Pudding, Kuchen oder auch einfach ein Stück Obst.

Ja, Essen wird in Portugal ernst genommen. Freunde verabreden sich zum Essen im Restaurant, mit viel Diskussionen und unendlichen Handygesprächen. Die Familie trifft sich am Sonntag zum Mittagessen, und von Enkel bis Oma sind alle dabei (siehe auch Grund Nr. 51). Bei der Planung eines gemeinsamen Wochenendes in einem Ferienhaus am Meer oder im Alentejo betrifft 99 Prozent der Planung das Essen. Wer bringt was mit? Wer kauft was ein? Bringt jemand Kaffee mit, oder gehen wir hinterher alle in das Café um die Ecke?

Ein Café, der Espresso, ist der unverzichtbare Abschluss eines guten Essens. Eine Nachspeise kann sein, muss aber nicht. Der Cafezinho muss sein. Nach dem Essen im Restaurant fragt der Kellner nicht, ob jemand Kaffee möchte, sondern wie viele Cafés er bringen soll. Diejenigen, die keinen nehmen, murmeln meist eine Erklärung wie zum Beispiel: Ich kann abends keinen Kaffee mehr vertragen. Und nach einem Abendessen zu Hause geht man oft für den Café noch mal auf die Straße.

So richtig wurde mir dieser Unterschied zwischen Portugal und Deutschland bewusst, als ich eine Rundfahrt durch Mecklenburg-Vorpommern machte. Nach einem langen Tag im Auto wollte ich mich ein bisschen bewegen. Ich ging daher in Goldberg spazieren. Kein Mensch war außer mir unterwegs. Die Straßenlaternen in den Nebenstraßen waren ausgeschaltet. Nur der blaue Schein der Fernseher leuchtete aus den Fenstern. Und das war nicht mitten in der Nacht, sondern um neun Uhr abends. (Allerdings im Februar. Aber trotzdem.)

Drei Tage später stieg ich abends um neun in Grândola aus dem Bus. Grândola im Alentejo ist eine ruhige Kleinstadt, in der nie viel los ist. Doch an diesem Abend wirkte selbst Grândola lebendig, gemessen an Goldberg. Die ganze Stadt war beleuchtet. Menschen liefen durch die Straßen. Und das Café Central war voller Leute, die dort ihren Cafezinho tranken. Manche auch einen Café com cheirinho – einen Espresso mit einem Schuss Bagaço (Schnaps) oder Brandy. Oder einen Café und einen Schnaps.

Ein gutes Essen mit viel Zeit, serviert zur richtigen Zeit, und hinterher als Abschluss einen Cafezinho. Das ist der Rhythmus des portugiesischen Lebens.

3. GRUND

Weil man sich immer und überall mit Küsschen begrüßt

Sonntagnachmittag in der Stadt bei Sonnenschein. Alle sind unterwegs. Familien, Freunde, Paare und Omas mit Enkelkindern. Sie stöbern auf dem Kunsthandwerksmarkt am CCB, dem Centro Cultural de Belém, in Lissabon, flanieren in Coimbra durch die Grünanlagen am Mondego, und laufen über die Strandpromenade in Matosinhos, Porto.

Klar, dass man da Bekannte trifft.

Und jetzt geht es los. Die Begrüßung mit Küsschen.

Küsschen links und rechts.

Danach ein paar Worte. Nichts Weltbewegendes, ein »Hallo, wie gehts«, manchmal noch ein kurzer Info-Austausch, und ein abschließendes »Lass uns telefonieren«.

Küsschen links und rechts.

Und weiter geht’s.

Sollte jemand dabei sein, der die anderen nicht kennt, wird er oder sie vorgestellt.

Vorstellen, Küsschen-Küsschen.

Kurzes Reden.

Verabschieden, Küsschen-Küsschen.

Und weiter geht es über den Markt, durch die Grünanlagen oder über die Strandpromenade.

Stimmt übrigens doch nicht, dass man sich immer und überall mit Küsschen begrüßt. Es gibt Ausnahmen. Besuche bei Arzt, Bank, Steuerberater, Finanzamt und Ähnlichem sind ohne Küsschen. (Es sei denn, der Arzt, Bankbeamte, Steuerberater, Finanzbeamte oder Ähnliches ist ein sehr guter Bekannter.) Also Behörden, Banken und Polizei sind ausgenommen. Läden auch, es sei denn, man kennt die Verkäuferin.

Die Kirche allerdings ist nicht ausgenommen. Zugegeben, ich war nur einmal in der Kirche, aber da war ich schwer beeindruckt. Kein stundenlanges Sitzen, sondern fast so etwas wie gemeinschaftliche Gymnastik. Aufstehen und wieder hinsetzen. Aufstehen und hinknien. Aufstehen und den Banknachbarn küssen. Hinsetzen. Aufstehen und die Leute vor und hinter sich küssen.

Ich komme aus einem Deutschland, in dem man sich noch mit Handschlag begrüßte. Das hat sich mittlerweile geändert. Aber trotzdem sind Besucher aus Deutschland immer noch verunsichert, weil sie die Kussregeln in Portugal nicht kennen. Hier sind sie also:

Es sind zwei Küsse. Nicht nach französischer Sitte drei, sondern nur zwei. Jede Wange ein Kuss.

Erst links, dann rechts, dabei den Kopf kurz vor und zur Seite beugen.

Nicht wirklich Schmatzer aufdrücken, sondern nur flüchtig berühren.

Viele fragen: Wer küsst zuerst? Mann oder Frau? Alt oder Jung? Die Antwort lautet: keine Regel. Es passiert einfach, so wie es bei einem guten Kuss sein muss. Spontan von beiden Partnern.

Und sollte man sich bei so einem sonntäglichen Spaziergang immer wieder treffen, dann reicht die Küsschen-Küsschen-Begrüßung beim ersten Mal. Sonst würde es ja irgendwie albern. Bei mehrmaligem Aufeinandertreffen reicht Grüßen und Hallo.

4. GRUND

Weil die Revolution den Namen einer Blume trägt

Als meine Freundin Elsa aus Lissabon am 24. April sehr spät in der Nacht nach Hause kam und das Radio anstellte, wurden die Verse des Liedes Grândola, Vila Morena vorgelesen. Sie fand das merkwürdig, denn das Lied war verboten. Diese Sendung war übrigens nicht die »historische« Sendung, die nachts um 20 nach zwölf im Radio Renascença lief, sondern eine Nachrichtensendung morgens um zwei im Radio Clube Português. Elsa ist sich nicht sicher, ob es wirklich der Radio Clube Português war, aber den Tag und die Uhrzeit weiß sie noch ganz genau. Das war schließlich der Tag, der Portugal veränderte.

Meine Freundin Catarina hörte das verbotene Lied Grândola, Vila Morena morgens am 25. April im Radio. Sie war zu diesem Zeitpunkt Lehrerin in einer kleinen Stadt in Nordportugal und mit ihrem ersten Kind schwanger. Auch Catarina weiß noch genau, wann und unter welchen Umständen sie damals das Lied gehört hat.

Und so wird sich wohl jeder Portugiese, der älter als 45 oder 50 ist, an das Ereignis erinnern und kann seine ganz persönliche Geschichte dazu erzählen. Denn der 25. April 1974 war der Tag, der die fast 50-jährige Diktatur in Portugal endlich beendete, der Tag der portugiesischen Nelkenrevolution.

Aber zunächst brach erst mal Chaos aus. Tausende von Lissabonnern versammelten sich in der Stadt, um den Befreiern zuzujubeln. Tausende warteten gespannt darauf, was sich entwickelte. Und irgendwann tauchten rote Nelken auf, die die Soldaten in ihre Gewehrläufe steckten.

Catarinas Mutter, die in einer Pension direkt an dem Platz Largo do Carmo wohnte, dachte, der Krieg wäre ausgebrochen und sie würde ihre Kinder nie wiedersehen.

Elsa tankte ihren Citroën 2CV voll, was eine kluge Entscheidung war, denn kurz darauf gab es kein Benzin mehr. Dann lief sie mit Freunden durch Lissabon, und zum Schluss waren auch Elsa und ihre Freunde am Largo do Carmo, wo sich die Menschen drängten.

Hier hatte sich Marcelo Caetano, der Nachfolger des Diktators Salazar, in der Kaserne der GNR, der Polizei, verschanzt. Vier Demonstranten wurden von der Geheimpolizei erschossen, 45 wurden verletzt. Aber abgesehen davon verlief die Revolution unblutig. Gegen Abend gab Caetano auf, und die Regierung wurde von General Spínola übernommen.

Wieso da plötzlich roten Nelken waren, ist nicht ganz klar. Nach einer verbreiteten Legende steckte eine Blumenverkäuferin auf dem Weg zum Markt den Soldaten rote Nelken in die Gewehrläufe. Laut deutscher Wikipedia tauchte die rote Nelke auf, weil sie ein Symbol der sozialistischen Arbeiterbewegung war. Woher auch immer diese roten Nelken kamen – sie waren da. Und so bekam die Revolution den Namen »Nelkenrevolution«, mit der roten Nelke als Symbol.

Die Revolution, die roten Nelken und das Lied Grândola, Vila Morena des Sängers José Afonso sind untrennbar miteinander verbunden (mehr zu dem Lied in Grund Nr. 91). José Afonso, der schwer krank war, starb am 23. Februar 1987. Zu seiner Beerdigung in Setúbal kamen 30.000 Menschen. Alle hatten rote Nelken dabei. Und da die Blumen an diesem Tag in Setúbal und Lissabon schon bald ausverkauft waren, waren später auch rote Rosen dabei. Der Sarg wurde durch die ganze Stadt getragen, eine Musikgruppe spielte Grândola, Vila Morena und alle sangen mit.

Nie vorher und nie nachher habe ich so viele rote Nelken gesehen wie an diesem Tag. Rote Nelken in den Händen der Trauernden, rote Nelken auf der Straße, rote Nelken auf dem Grab. Die rote Nelke, das Symbol der portugiesischen Nelkenrevolution, als Ehrung für José Afonso, dessen Lied eine so entscheidende Rolle gespielt hat.

5. GRUND

Weil in Portugal die Bürgersteige Muster haben und die Wände gekachelt sind

Am Fonte de S. Martinho, einem Brunnen im Thermalbad São Pedro do Sul, lautet die Inschrift: Tive sede, e vim beber / À fonte de S. Martinho; / Desde então, para te ver, / Não procuro outro caminho. Es heißt in etwa: Ich hatte Durst, und ging zum Trinken an den Brunnen von S. Martinho; und seitdem, um dich zu sehen, gehe ich nirgendwo anders hin.

Der Vers steht auf den Azulejos, den typisch portugiesischen Kacheln, mit denen der Brunnen verziert ist. Früher, als es noch kein fließendes Wasser gab, spielten die Brunnen natürlich eine ganz entscheidende Rolle im Alltagsleben. Sie versorgten die Bevölkerung nicht nur mit Wasser, sie waren auch – siehe oben – Treffpunkte. Und so haben die meisten Städte ausnehmend schöne Brunnen, die in der Regel mit Azulejos verziert sind.

Azulejos sind in Portugal überall zu finden. An Brunnen, an Häuserwänden, und sogar in den Lissabonner Metro-Stationen, wo sie von zeitgenössischen Künstlern gestaltet wurden. Azulejos haben den Vorteil, dass sie erstens dekorativ sind (die meisten jedenfalls) und zweitens praktisch. Ein Haus, dessen Wände mit Azulejos verkleidet sind, muss nie mehr gestrichen werden.

Historische Azulejos wie im Bahnhof São Bento in Porto zeigen oft Szenen aus der portugiesischen Geschichte (mehr zum Bahnhof São Bento in Grund Nr. 68).

Bei manchen Privathäusern und Geschäften stehen die Namen auf Azulejos an der Wand. Diese Schilder sind entweder speziell hergestellt oder aus fertigen Buchstaben- und Zahlenkacheln zusammengesetzt. Viele Baustoffhandlungen und Souvenirgeschäfte verkaufen diese kleinen Kacheln sowie Kachelbilder mit Szenen aus dem Landleben.

Und auch auf neuen Denkmälern werden die Azulejos verwendet. In Grândola gibt es eine Gedenkmauer zur Revolution. Auf der langen halbrunden Mauer sind die Noten und der gesamte Text des Liedes Grândola, Vila Morena zu sehen (mehr zu dem Lied in Grund Nr. 91). Über die Azulejos gibt es mittlerweile wunderschöne Bildbände, und in Lissabon ist ihnen sogar ein ganzes Museum gewidmet, das Museu Nacional do Azulejo (siehe auch Grund Nr. 25).

Aber in der Tat lohnt es sich, nicht nur auf die Wände, sondern auch auf den Boden zu gucken. Viele Bürgersteige, Promenaden und Fußgängerzonen in Portugal sind mit der Calçada Portuguesa gepflastert, das sind kleine weiße und schwarze Steine, die zu Mustern gelegt werden, welche manchmal so raffiniert sind, dass sie geradezu dreidimensional wirken. Andere häufige Motive sind Schiffe, Symbole oder auch Namen. So ist zum Beispiel vor dem Café der Pastéis de Belém der Name in den Boden des Bürgersteigs eingelassen. Die Calçada Portuguesa ist zwar schön für das Auge, aber tödlich für Stöckelschuhe, ganz besonders, wenn sich der Boden an manchen Stellen nach und nach absenkt oder von Baumwurzeln hochgedrückt wird. (In Nordamerika würde so ein Bodenbelag wahrscheinlich mit einer Warnung versehen …)

Wir hatten in unserem früheren Gästehaus eine Terrasse mit Calçada Portuguesa, und wer einmal die Arbeiter dabei beobachtete, wie sie die Steine zurechtklopfen und den Boden legen, wird die Arbeit so richtig zu würdigen wissen. Der Calceteiro, so heißt der Arbeiter, nimmt die Steine einzeln in die Hand, legt sie nebeneinander und passt sie so ein, dass sie am Ende fast nahtlos nebeneinanderliegen. Um den Beruf der Calceteiros vor dem Aussterben zu bewahren, hat die Stadt Lissabon 1986 eine Escola de Calceteiros gegründet, die das Legen der Calçada Portuguesa als Ausbildung anbietet.

Überall in Portugal findet man Calçada Portuguesa auf dem Boden und Azulejos an Hauswänden, Brunnen und auf Denkmälern. Und das Schöne ist, dass die Tradition fortlebt und beides sogar wieder richtig angesagt ist.

An dem Brunnen von São Pedro do Sul steht übrigens noch ein zweiter Vers: Mas, ao ver-te, a sede passa, / Já não tenho de beber, / Pois a sede que eu sentia, / Era apenas de te ver … Er heißt übersetzt: Aber als ich dich sah, war mein Durst vorbei, ich musste nicht mehr trinken, denn der Durst, den ich spürte, war nur Durst nach dir …

6. GRUND

Weil es noch die alten Drogarias gibt

Eine Drogaria ist in Portugal nicht, wie der Name vermuten lässt, eine Drogerie, sondern eine Art Eisenwarenladen, also so etwas wie ein Baumarkt ohne das grobe Baumaterial. Mit anderen Worten: Dort bekommt man Nägel, Schlösser, Eisenketten, Flohpulver, Hundehalsbänder und Zement, aber keine Kacheln, Ziegel oder Steine.

Als wir Anfang der Achtzigerjahre nach Portugal zogen und anfingen, unser Haus zu bauen, waren wir zwangsläufig oft Kunden in einer Drogaria. Und am allerhäufigsten kauften wir in der Drogaria in Grândola.

Diese Drogaria hatte kein Schaufenster, aber zwei Eingänge. Schaufenster waren auch nicht nötig, denn wer hierherkam, wusste, was er wollte beziehungsweise brauchte. Waren die Holztüren offen, war die Drogaria geöffnet. Die Offene-Tür-bedeutet-offener-Laden-Regel galt im Alentejo in den Achtzigerjahren überall. Offene Tür bedeutete offener Laden, geschlossene Türen bedeuteten geschlossener Laden, geschlossenes Café oder Restaurant. Das war im Sommer ja auch völlig okay. Aber im Winter war es in den Läden, Cafés und Restaurants im Alentejo bitterkalt.

Der begehbare Teil der Drogaria war klein und bestand aus einem Raum vor dem Tresen und einem schmalen Gang hinter dem Tresen. Vor dem Tresen standen die wartenden Kunden. Es waren immer viele Kunden, und jeder kaufte eine Reihe komplizierter Kleinigkeiten, also erforderte so ein Einkauf Geduld und Zeit.

Hinter dem Tresen bedienten drei ältere Herren. Und hinter den drei älteren Herren war eine Schrankwand aus Holz mit kleinen Schubladen von oben bis unten. Vorne auf der Schublade war das Teil befestigt, das sich in dieser Schublade befand. Nägel, Haken, Riegel, Schrauben, Muttern und so weiter. Die Schrauben wurden einzeln abgezählt, oft auch zweimal, damit es wirklich stimmte. Dann wurden sie in Tütchen gefüllt oder in Papier gewickelt. Nägel und Draht wurden abgewogen. Am Ende sah der Verkäufer in einem zerfledderten Buch nach, in dem die Preise mit Bleistift eingetragen waren. Warum mit Bleistift? Weil es die Achtzigerjahre waren, die Inflation war hoch, und die Preise änderten sich ständig.

Der für die Kunden nicht sichtbare Teil der Drogaria war riesig. Durch einen schmalen Gang verschwanden die Verkäufer und kamen nach einer Weile mit dem Gewünschten zurück. (Oder auch nicht, wenn man Pech hatte.) Einmal durfte ich in so einer Drogaria mit in die hinteren Räume. Ein Labyrinth erstreckte sich über eine halbe Häuserzeile, und die Räume waren voll mit gestapelten Schubkarren, Zement auf Paletten, schwarzen Eimern und aufgerollten schwarzen Schläuchen.

So ein Einkauf in einer Drogaria konnte ewig dauern, aber keiner regte sich darüber auf. Das war einfach so damals. É a vida, so ist das Leben. Und ohne Paciência, Geduld, konnte man damals im Alentejo sowieso gleich einpacken.

Einmal haben wir für den Kauf einer Wasserpumpe mit allen dazugehörenden Anschlüssen und Schläuchen einen ganzen Tag in einem Laden in Setúbal verbracht, in einer Art auf Pumpen und Wasseranschlüsse spezialisierten Drogaria. Am Ende des Tages kannten wir die Lebensgeschichte des Verkäufers und er kannte unsere, und jeder weitere Einkauf in diesem Laden war ein bisschen so, als ob man einen alten Freund wiedersieht.

Natürlich verschwinden diese Läden nach und nach. Sie sind ineffektiv. Sie sind unrentabel. Und nicht jeder hat die Zeit, für den Kauf von ein paar Nägeln oder Schrauben eine halbe Stunde seiner Zeit zu investieren. Überall in den Städten entstehen große Läden, die geheizt sind, in denen man seinen Einkaufswagen durch gut ausgeleuchtete Gänge schiebt und die Preise sichtbar ausgeschildert sind.

Aber noch gibt es die alten Drogarias in fast allen Städten, und ein Einkauf dort ist ein bisschen wie eine Zeitreise. Es ist ein Ausflug in die gute alte Zeit, wo Schrauben noch einzeln abgezählt und Nägel nach Gewicht verkauft werden. Wo die wartenden Kunden sich im Laden unterhalten. Wo der Verkäufer die Waren auf dem Tresen aus Holz aufreiht und in aller Ruhe nachsieht, was es kostet.

Eine Drogaria ist ein Ort, an dem Zeit (noch) keine Rolle zu spielen scheint.

7. GRUND

Weil Portugal einen Zeitsprung vollzogen hat

Portugal hat in den letzten drei Jahrzehnten in einer Art Zeitraffer einen Zeitsprung vollzogen. Als wir damals Anfang der Achtzigerjahre aus Hamburg in den Alentejo zogen, wechselten wir nicht nur das Land, sondern im Grunde auch das Zeitalter. Von Deutschland nach Portugal, von der Großstadt Hamburg in das Dorf Melides, vom Ende des Jahrhunderts zurück an den Anfang.

Über Strom, fließendes Wasser im Bad und Telefon dachte man in Deutschland nicht nach. Das war einfach vorhanden. Im Alentejo war das nicht der Fall. Strom gab es nur direkt in Melides. Die umliegenden Höfe hatten keine Stromversorgung. Die Leute holten das Wasser aus einer Quelle und das Badezimmer war die freie Natur. Es gab nur wenig Telefone, und Autos waren eine Seltenheit.

Wie lebten die Leute damals?

Im Grunde so wie die Leute früher auf dem Land in Deutschland. Wir hatten Licht durch Petroleumlampen, die jeden Tag neu gefüllt und geputzt werden mussten. Das Wasser wurde aus einem Tiefbrunnen mittels einer Pumpe in einen Tank gepumpt, aus dem es per Schwerkraft in unser Haus lief. Unser Kühlschrank funktionierte mit Gas, und für Musik hatten wir ein batteriebetriebenes Autoradio.

Beim Bäcker im Dorf gab es neben Brot auch Petroleum und Nägel. Die Gasflaschen tauschten wir im Landhandel, und die Batterien wurden in der Werkstatt aufgeladen, die auch Mopeds reparierte. Diese Zündapps, Macals und Casals waren damals das Haupttransportmittel – gnadenlos laut, deprimierend unzuverlässig und oft voll beladen. Manchmal war eine ganze Familie auf so einem Moped unterwegs, Vater vorne, Mutter hinten, das Kind in die Mitte geklemmt. Dazu die Einkäufe in einer Kiste oder Eselskörben, die auf dem Gepäckträger befestigt waren.

Telefonieren konnte man entweder in der Poststation im Dorf oder bei Dona Julia, einer Kneipe auf der Straße zum Strand. Da stand ich dann in einer halb offenen Kabine in der Kneipe, in der angetrunkene Männer Karten spielten und lautstark diskutierten. In Kombination mit einer schlechten Verbindung nach Deutschland nicht gerade die perfekten Telefonbedingungen.

Aber es machte uns nichts aus, denn so lebten alle.

Und dann zog der Fortschritt ein. Die Stromversorgung wurde auf die umliegenden Dörfer und auf unser Grundstück ausgedehnt. Telefonanschlüsse wurden gelegt. Sickergruben wurden gebaut. Und praktisch parallel mit dem Telefon kam das Internet. Schon bald konnte ich in Melides am Bankautomaten mein Internetkonto per Karte aufladen.

Und heute – 30 Jahre später – gibt es fast überall Strom, fließendes Wasser, Telefon, Kabelfernsehen und Internet. Es gibt Tausende von Kanälen über Satellit oder Kabel, eine Flatrate fürs Internet, und USB-Sticks für mobiles Internet sind eine Selbstverständlichkeit. Selbst die Überlandbusse haben Wi-Fi. In Portugal gibt es mehr Handys als Einwohner. 99 Prozent der Haushalte haben Fernsehen, fast 60 Prozent verfügen über Internet. Einkäufe kann man online tätigen und selbst in mein kleines Dorf wird geliefert.

Der Übergang war nicht immer einfach. Ich kann mich noch gut an meinen ersten Versuch erinnern, Geld aus dem neu aufgestellten Bankautomaten in Grândola zu ziehen. Weil ich versucht habe, die Karte zurück in den Automaten zu schieben, schluckte er sie. Ich ging also in die Bank und erzählte von meinem Missgeschick.

»Schon wieder einer«, sagte der Bankangestellte.

»Passiert das öfter?«, fragte ich.

»Andauernd«, sagte der Bankangestellte.

»Ich weiß nicht, wer auf die Idee gekommen ist, hier in dieser Provinz solche Automaten aufzustellen«, sagte der Kunde am Nebenschalter.

Es endete damit, dass mir der Bankangestellte meine Karte wieder aushändigte. Er setzte sich dann von drinnen in den Automaten, während ich draußen nach seiner Anweisung Geld abhob. Sozusagen aus einem wirklich sprechenden Geldautomaten.

So etwas gibt es natürlich heute nicht mehr. Da werden falsch eingesteckte Karten an die Zentrale geschickt und erst nach ein paar Tagen ausgehändigt. Aber es kommt auch nur noch selten vor. Wir wissen jetzt ja alle, wie es geht. Weil wir alle mit dem Land zusammen einen Zeitsprung gemacht haben, der uns in die Neuzeit katapultiert hat.

8. GRUND

Weil die Mitbegründerin der revolutionären Brigaden heute Gesundheitstipps gibt

Isabel do Carmo ist über 70 und gibt in Zeitschriften Ratschläge zum Thema Abnehmen und Ernährung. Auch hat sie sieben Bücher veröffentlicht, in denen sie Gesundheitstipps gibt und eine vernünftige Lebensweise empfiehlt. Die anerkannte Spezialistin, Fachärztin für Endokrinologie und Ernährung, war bis vor Kurzem Leiterin der entsprechenden Abteilung im Hospital de Santa Maria, einem der größten Krankenhäuser in Lissabon.

Eine ganz normale Karriere also? Nicht ganz.

In ihrem Buch Saber Emagrecer über Strategien zum Abnehmen klingt kurz ihre Vergangenheit an. Sie besäße keinen Zaubertrank zum Abnehmen, schreibt sie. Und was sie versucht hat, gegen die Überflussgesellschaft zu tun, ist nur noch Teil ihres Lebenslaufs. Damit bezieht sie sich auf die Jahre vor und auch nach der Revolution, in denen sie versucht hat, die Welt zu verändern. Und zwar mit Gewalt.

Ein Versuch, der sie zweimal ins Gefängnis gebracht hat. Das erste Mal noch während der Diktatur, verhaftet von der PIDE, der damaligen Geheimpolizei. Das zweite Mal 1978, als Portugal schon eine Demokratie war. Vier Jahre hat Isabel do Carmo wegen der Teilnahme an bewaffneten Aktionen im Gefängnis gesessen.

Sie hat selbst keine Bomben geworfen, aber sie hat das Material für die Bomben transportiert und war an der Planung beteiligt. Sie steht dazu, sagt sie dazu der Journalistin Marta F. Reis in einem Interview für die portugiesische Tageszeitung i, weil sie das verteidigt hat, an was sie glaubt. Offen reden die Journalistin und Isabel do Carmo über diesen Teil ihrer Vergangenheit, und befragt, ob sie heute noch Bomben werfen würde, antwortet Isabel do Carmo, dass Bomben zu werfen heute nichts mehr nütze, da gegen den jetzt herrschenden globalen Finanz-Imperialismus nichts auszurichten sei.

Was für eine Karriere! Mit 18 Jahren tritt sie in die PCP ein, die kommunistische Partei Portugals. Mit 30 Jahren tritt sie wieder aus. Sie gründet zusammen mit Carlos Antunes die Brigadas Revolucionárias, die revolutionären Brigaden, und die PRP, die Partido Revolucionário do Proletariado, die Partei des revolutionären Proletariats. Bis zu ihrer Festnahme im Jahr 1978 ist sie Direktorin der Zeitschrift Revolução (Revolution).

Aber auch das ist Isabel do Carmo: Doktor der Medizin, Fachärztin, Vorsitzende der Ärzte-Vereinigung, Professorin an der medizinischen Fakultät, Leiterin der Abteilung für Endokrinologie.

Zum 30. Jahrestag der Revolution, also im Jahr 2004, wurde sie vom damaligen Präsidenten der Republik Jorge Sampaio für ihre Verdienste offiziell geehrt. Klar, dass da ein paar Politiker des rechten Spektrums die Veranstaltung boykottierten. Jorge Sampaio verteidigte ihre Ehrung mit den Worten, dass die Revolution das Ergebnis des Zusammenwirkens vieler Personen gewesen sei.

Das Erstaunliche, das Besondere, ja vielleicht das Portugiesische an dieser Geschichte ist, dass die Mitbegründerin der revolutionären Brigaden als integriertes Mitglied der Gesellschaft in diesem Land von der Mehrheit akzeptiert wird.

9. GRUND

Weil die Portugiesen über sich selbst lachen können

Rir é o melhor remédio – Lachen ist die beste Medizin, heißt auch ein portugiesisches Sprichwort. »Gib mir mal den Salazar«, sagt meine Freundin Catarina in der Küche. Wie bitte? Den Salazar? War das nicht der portugiesische Diktator, der jahrzehntelang das Land regierte? Ja, genau. Und deswegen heißt ein Teigschaber in Portugal Salazar, weil man damit nämlich noch das Letzte rausholen kann. Jedes Quäntchen rausquetschen. Indem sie wenigstens die Teigschaber Salazar nannten, hat sich die Bevölkerung gewehrt.

Die Diktatur ist zum Glück seit 40 Jahren vorbei, aber Portugal hat es im Moment trotzdem nicht einfach. Ganz besonders nicht, seit es unter dem Rettungsschirm der EU ist und die Regierung eine Sparmaßnahme nach der anderen verordnet. Die Renten werden gesenkt, die Steuern erhöht und die Kontrollen verstärkt. Und für alles soll eine Rechnung ausgestellt und verlangt werden (was ja auch sinnvoll ist).

Und dann antwortet doch in der Tat ein hochrangiger Politiker auf die Frage, ob er für die Anmietung seines Ferienhauses in der Algarve eine Rechnung verlangt hat, das wäre seine Privatsache und ginge die Öffentlichkeit nichts an. Da reicht es dann irgendwie.

Was also machen die Portugiesen? Sie veröffentlichen die Steuernummern des Ministerpräsidenten und der Minister im Internet und fordern alle Portugiesen dazu auf, bei jedem Kauf eine dieser Steuernummern anzugeben. Wie viele es dann wirklich gemacht haben, weiß ich natürlich nicht, aber die Idee ist originell.

Wunderbar zu diesem Thema passt auch eine Karikatur zum Tag des Kindes. Ein kleines Mädchen zieht ein Spielzeug hinter sich her, und ein Politiker rennt dem Kind nach und fragt: »Hast du dafür auch eine Rechnung, Mädel?«

Solche Sachen gehen natürlich durch das ganze Land. Und das ist ja heutzutage dank Internet und Facebook kein Problem.

Wenn sie nicht über ihre Politiker lachen, machen die Portugiesen gerne Witze über die Alentejaner. Der Alentejo ist für Portugal das, was für Deutschland Ostfriesland ist. Und die Witze sind wohl vergleichbar. Die Alentejaner gelten als langsam, faul und schwerfällig. Seit einer Rundmail wissen wir, wie ihr Notfallkoffer aussieht: Ein Koffer wie ein Werkzeugkasten, nur statt Bohrmaschine und Co. enthält er Schweinefleisch, Würste und Schinken.

Ein älterer Witz aus der Zeit der deutschen Wiedervereinigung geht so: Warum haben die Alentejaner Berlin verlassen? – Weil es keine Mauer mehr zum Anlehnen gibt.

Früher hieß es, die Alentejaner könnten nicht lesen. Das hat sich anscheinend geändert: Warum lesen die Alentejaner ihre Zeitung an der Straßenecke? – Damit der Wind die Seiten umblättert.

Das sind die harmlosen Witze, aber es gibt auch andere, gemeine, unter die Gürtellinie gehende, die ich hier natürlich nicht wiederhole.

Früher war es Salazar, der das Land auspresste, jetzt sind es die Sparmaßnahmen.

»Das neue Sparschwein«, steht unter der Abbildung eines mageren Schweines, dessen Rippen kantig hervorstehen.

»Früher erreichten mich Wünsche, jetzt bekomme ich Bewerbungen«, steht auf dem Schild des Weihnachtsmannes in einem Cartoon.

»Hast du es satt, jeden Cent am Ende des Monats zu zählen? Hättest du doch weniger studiert! Dann wärst du heute Politiker«, lautet ein auf Facebook zirkulierender portugiesischer Witz, der sich auf die Tatsache bezieht, dass immer mal wieder ein portugiesischer Politiker auffliegt, weil es berechtigte Zweifel an seinem Studienabschluss gibt.

Eine wahre Fundgrube für diesen portugiesischen Humor ist die Facebook-Seite Eu sou Português – ich bin Portugiese.

Über 280.000 Leuten gefällt diese Seite, was auch zeigt, dass die Portugiesen über sich selbst lachen können. Denn egal, wie ernst die Lage ist, und egal, wie hoch die Schulden sind: Tristezas não pagam dívidas – mit Traurigkeit zahlt man keine Schulden. Und Lachen ist eben manchmal wirklich die beste Medizin.

10. GRUND

Weil es in Portugal sieben Naturwunder gibt

15 Kilometer südlich von Fátima, der Stadt, in der den drei Hirtenkindern die Jungfrau Maria erschienen ist, gibt es noch ein Wunder. Ein Wunder der Natur. Und zwar die Grutas de Mira de Aire,die Höhlen von Mira de Aire. Sie gehören zu den sieben Naturwundern Portugals. Drei davon liegen auf den Azoren und Madeira, die vier anderen befinden sich auf dem Festland (mehr zu dem Wunder von Fátima in Grund Nr. 84).

Die Höhlen befinden sich in dem Ort Mira de Aire. Wir holen uns Tickets und warten dann mit den anderen Besuchern vor dem Eingang. Stimmt nicht – zuerst gehen wir mittagessen, denn es ist ein Uhr, und die Essenszeit wird in Portugal ernst genommen (wie ernst steht in Grund Nr. 2). Die Touristenattraktion ist eine große Anlage und so gibt es hier auch ein entsprechend großes Restaurant mit Mittagstisch. Und erst nach Essen und Cafezinho gehen wir zu dem Eingang der Höhlen und warten.

Zwei Tauben sitzen auf dem blauen Entrada-Schild am Eingang. An der Wand gegenüber ist eine große Tafel, die die Höhlen erklärt. Ein kurzer Film, und dann geht es runter in die Unterwelt. 680 Stufen gehen wir tiefer und tiefer in die Höhle.

Zum Glück gibt es Geländer, denn die Stufen sind durch die Feuchtigkeit in der Höhle ziemlich glitschig. Hier ist es kühl, es herrscht eine konstante Raumtemperatur von 17 Grad. Die Höhle ist fantastisch beleuchtet, das ist natürlich nicht das Wunder der Natur, aber es macht sich sehr gut. Gelb-grüne Lichter leuchten die Anfänge von Tunneln aus, die in den Berg führen. Helle Stalaktiten (das sind die, die von oben kommen) glänzen an orangefarbenen Wänden. Die Stufen winden sich nach unten. Manche der Stalaktiten sehen aus wie zum Trocknen aufgehängter Bacalhau, Stockfisch. (Das ist weniger verfänglich als die Form, die wir in den Höhlen von Aracena in Spanien gesehen haben. Wo die Frauen alle gegrinst haben und die Männer ganz stumm wurden.) Die Formation und die Farben fügen sich zu abstrakten Gemälden, es wäre eine Traumkulisse für einen Märchen- oder Fantasyfilm. Tief unten in der Höhle liegt ein grüner See. Und sogar beleuchtete Springbrunnen gibt es. Zum Glück müssen wir die Stufen nicht wieder hochlaufen, sondern fahren mit dem Aufzug.

Die Grutas de Mira de Aire sind vielleicht das spektakulärste der sieben Naturwunder. Aber die anderen sind natürlich auch einen Besuch wert. Die Ria Formosa, das weite Lagunengebiet im Südosten der Algarve, ist ein großes Naturschutzgebiet, in dem viele Vögel leben und viele Zugvögel auf ihrem Weg in den Süden rasten. Die Bucht von Portinho da Arrábida liegt pittoresk in der Nähe von Sesimbra und ist durch die Nähe zu Setúbal und Lissabon ein beliebtes Ausflugziel.

Und der Parque Nacional da Peneda-Gerêsist der einzige Nationalpark Portugals. Er liegt ganz oben im Norden im Minho und Trás-os-Montes, an der spanischen Grenze. Dieser Naturpark ist berühmt für seine Wandermöglichkeiten, also haben Catarina, Elsa und ich beschlossen, dort demnächst wandern zu gehen. Und da Jugendherbergen so günstig sind, wollen wir dort übernachten.

Elsa ruft an, um das Zimmer zu buchen, und kann sich vor Lachen gar nicht mehr einkriegen. Bei der Buchung eines Zimmers in der Jugendherberge wird einem eine Sexualberatung angeboten. Brauchen wir nicht, finden wir. Und klar lachen wir erst mal, aber eigentlich ist es ein vernünftiges Angebot und wieder ein gutes Beispiel für den portugiesischen Pragmatismus.

Und so wird der Parque Nacional da Peneda-Gerês die nächste Station unserer sieben Naturwunder, mit Übernachtung in der Jugendherberge (ohne Beratung).

KAPITEL 2

Boa viagem – Gute Reise!

11. GRUND

Weil es an jeder Ecke mindestens eine Pastelaria gibt

»Komm, wann du willst«, sagt Catarina, »und wenn ich nicht da bin, ist der Schlüssel unten im Café.«

Diese Worte zeigen schon, dass ein Café oder eine Pastelaria in Portugal sehr viel mehr ist als einfach nur ein Ort zum Kaffeetrinken oder Kuchenessen. Und in der Tat, auch Nicht-Portugiesen gewöhnen sich schnell in die Pastelaria-Kultur ein.

Eine Pastelaria ist einfach alles: ein öffentliches Wohnzimmer, ein Treffpunkt für die Nachbarn, ein Ort, um sich mit Freunden zu verabreden, der Umschlagplatz für Klatsch, eine Möglichkeit, um Nachrichten, Schlüssel oder Ähnliches zu hinterlegen, eine Verkaufsstelle von Brot, Brötchen und Croissants. Ein Ort, an dem man ungestört Zeitung lesen kann. Entweder die eigene mitgebrachte oder eine der Zeitungen, die dort ausliegen. Keine Pastelaria ohne eine Tageszeitung wie Correio da Manhã oder Jornal de Notícias, plus selbstverständlich eine Fußball-Tageszeitung wie Record oder A Bola.Und weil wir schon bei Fußball sind: Hier ist auch der Ort, an dem man ein Fußballmatch verfolgen kann.

Eine Pastelaria ist somit der zentrale Punkt eines jeden Viertels. Kein Wohnviertel ohne, denn die Nähe einer Pastelaria ist für Portugiesen wichtig (für mich übrigens auch). Ein Tag ohne Besuch im Café? Kommt nicht infrage!

Morgens vor der Arbeit noch schnell eine Bica trinken und einen Kuchen essen oder zwischendurch mal eben kurz auf einen Cafezinho ins Café gehört zum Leben in Portugal. Der Angestellte ist gerade nicht da? Foi tomar um cafezinho – er ist im Café um die Ecke und trinkt einen Kaffee. Und abends nach dem Jantar, dem Abendbrot, geht man gemeinsam ins Café einen Kaffee trinken.

Natürlich gibt es auch in Deutschland Cafés, aber die sind anders. In Deutschland geht man in ein Café, trinkt gepflegt seine Tasse oder sein Kännchen Kaffee und isst ein Stück Kuchen oder Torte, während man gesittet am Tisch sitzt.

In Portugal sind die Pastelarias Teil des Lebens. Brot holen, schnell was essen, einen Espresso trinken. Ir ao café,ins Café gehen, gehört in Portugal einfach dazu. Eine wissenschaftliche Studie bestätigt das. In seiner Arbeit über »Soziale Tendenzen und Perspektiven des Kaffeekonsums in Portugal« schreibt Tiago Oliveira, dass 80 Prozent des in Portugal konsumierten Kaffees im Café getrunken werden und nur 20 Prozent zu Hause. Im restlichen Europa ist das in etwa umgekehrt. Da werden nur 30 Prozent des Kaffees im Café konsumiert und 70 Prozent zu Hause.

Auch ehe ich die genauen Zahlen kannte – vermutet habe ich das schon immer. Allein die Anzahl der Cafés und Pastelarias spricht ja dafür. Wo so viel Kaffee außer Haus getrunken wird, muss es auch entsprechend viele Orte dafür geben. Mit anderen Worten: Urlauber in Portugal müssen sich überhaupt keine Sorgen darüber machen, wo sie ihren nächsten Espresso, Galão, Bica Cheia oder Café duplo (sem ou com leite) bekommen. Und sie werden nicht verhungern, obwohl die Zeiten für reguläre Mahlzeiten ausgesprochen streng sind (siehe auch Grund Nr. 2 und Grund Nr. 71).

Und hier der Wortschatz, um den passenden Kaffee zu bestellen:

•Café, Bica – Espresso (Bica im Süden, Café im Norden)

•Curto