2 1/2 Jahre Freigang - Achim Merz - E-Book

2 1/2 Jahre Freigang E-Book

Achim Merz

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Beschreibung

"Musstest du ausgerechnet über das dunkelste Kapitel deines Lebens ein Buch schreiben" , fragte mich meine Mutter Wegen Marihuana-Schmuggels zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, erzählt der Autor von seinen Erlebnissen in- und außerhalb der Haftanstalt. Mit Mut und Raffinesse versucht der Musiker zu retten was zu retten ist und findet eine Offenbacher Buchhandlung, in der er als Freigänger arbeiten kann. An freien Wochenenden unternimmt er unerlaubte Reisen mit seiner Band und riskiert dabei die Privilegien des offenen Vollzugs. Eine biografische Erzählung vor aktuellem Hintergrund. Eine besondere True Crime Story aus seltener Perspektive.

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Seitenzahl: 142

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2025 novum publishing gmbh

Rathausgasse 73, A-7311 Neckenmarkt

[email protected]

ISBN Printausgabe: 978-3-7116-0564-1

ISBN e-book: 978-3-7116-0565-8

Lektorat: Leon Haußmann

Umschlagfoto- & Innenabbildungen: Achim Merz

Umschlaggestaltung: Rafael Jiménez

Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Vorwort

Offenbach, den 15.1.2025

Geschätzte Leser,

es ist kompliziert. In der folgenden Geschichte werden Fragen von Schuld und Gerechtigkeit berührt, auf die es oft keine eindeutige Antwort gibt. Auch Gesetze geben uns leider keine letzte Sicherheit. Haben wir uns schuldig gemacht, oder doch nicht? Die letzte Instanz, denke ich, ist aber kein Gericht, sondern unser Gewissen.

Der Anfang dieses Kapitels meines Lebens liegt fünfundzwanzig Jahre zurück. Nachdem im Jahr 2024 in Deutschland Cannabis teillegalisiert wurde, müssen einige Aussagen deshalb im geschichtlichen Kontext gelesen werden. Die Geschichte würde aufgrund der veränderten rechtlichen Situation auch heute, da bin ich sicher, so nicht mehr geschehen.

Dieses Buch handelt von meiner Zeit als Freigänger, davon, wie es dazu kam, und den Erlebnissen in und außerhalb der Haftanstalt. Für mich kann ich sagen, dass meine Führung nicht immer astrein, aber niemals kriminell war. Die Justiz hätte dies sehr wahrscheinlich anders bewertet, aber, wie ein Blick auch in die jüngere Geschichte unseres Landes zeigt, nach einem Gesetz zu urteilen heißt nicht immer, dass man im recht ist. Leicht finden sich dafür Beispiele, wie die widerwärtigen und unmenschlichen Rassen- und Euthanasie Gesetze der NS-Diktatur, oder Gefängnisstrafen für missglückte Republikfluchten.

Ich persönlich bin froh über die Teillegalisierung von Cannabis und hoffe, dass dies zu einer erwachsenen und offenen Auseinandersetzung dieses oft viel zu heiß diskutierten Themas beiträgt. Da in vielen Ländern unserer Welt Cannabis bereits seit Längerem legal ist und die Folgen oft wissenschaftlich begleitet und untersucht werden, kann man sich als interessierter Mensch mit den daraus folgenden Ergebnissen beschäftigen. Um sich der Realität ideologiefrei zu vergewissern, wäre eine ergebnisoffene und möglichst nüchterne Herangehensweise dabei freilich von Vorteil. Und wird nicht seit ein paar Jahren bald in jedem Krimi wie selbstverständlich und folgenlos gekifft? Ein realistisches Statement der Kulturschaffenden unseres Landes, was meinen Sie?

Vielleicht wird aber die Teillegalisierung von Cannabis schon bald wieder Geschichte sein, weil es ein Merkmal wechselnder Mehrheiten in einem Rechtsstaat ist, dass es manchmal einen Schritt nach vorne und dann zwei wieder zurück geht. Ich gebe meine Hoffnung und Überzeugung aber nicht auf, dass es eine ganz neue Denkweise in Bezug auf Drogen geben kann und eine Freigabe aller möglichen dieser Substanzen, unter gewissen Umständen, in Erwägung gezogen wird. Denn wir Menschen, ich möchte sogar sagen, insbesondere Juristen und Politiker gehören, wie wir in unserer Geschichte gelernt haben und fast täglich erleben, zu den anpassungsfähigsten Geschöpfen dieses Planeten. Vielleicht führen ja dann einmal der auf uns zurollende Pflegenotstand und die damit einhergehende Kostenexplosion ein Umdenken herbei. In manchen Berufsgruppen jedenfalls ist dies längst Praxis, und nein, ich bleibe dabei und werde auch in der folgenden Geschichte keine Klarnamen nennen und niemanden und nichts verraten, was nicht bereits bekannt ist, Ehrensache. Auch weil es zu viele Beispiele in unserer Zeit gibt, bei denen der Überbringer der Nachricht bestraft wurde, und nicht deren Verursacher. Denn wie heißt es in einem chinesischen Sprichwort so schön: »Wer die Wahrheit sagt braucht ein schnelles Pferd«.

Eine nicht neue Idee ist, wer ab einem gewissen Alter seinen Führerschein abgibt, bekommt in der Apotheke rezeptfrei was er möchte. Ich spüre es, manchen Lobbyisten stehen die Haare zu Berge.

Ob sie sich nun aufregen oder zustimmend mit dem Kopf nicken, möchte ich Ihnen und mir ein schmerzfreies und glückliches Leben bis zum großen persönlichen Finale, das wir alle erleben werden, und gute Unterhaltung beim Lesen dieses Buches wünschen. Mit einem Zitat aus einer Imagekampagne für das deutsche Handwerk beende ich dieses kurze Vorwort.

»Himmel und Erde waren schon da, den ganzen Rest haben wir gemacht.«

Für meinen großen Bruder Oliver, in liebendem Gedenken

2 ½ Jahre Freigang

Mai 1999, Justizvollzugsanstalt Preungesheim

Heute ist Antrittstermin.

Vor bald zwei Jahren wurde ich verurteilt, vier Jahre wegen Marihuanaschmuggels, Bandenkriminalität, natürlich, sonst wäre die Strafe als Ersttäter angeblich nicht so hoch ausgefallen. Und Letzttäter, das sei hier schon mal vorweggenommen.

November 97, Landgericht Darmstadt

Die Kurierin ist mit Bewährung davongekommen, weil sie als erste erwischt und zwei von uns verpfiffen hatte. Ein Angebot der Justiz, Kronzeugin, in dem Fall war reden Gold. Sie erschien am ersten Verhandlungstag noch nicht mal vor Gericht. Der Vorsitzende forderte daraufhin den sie vertretenden Anwalt dazu auf, sie beim nächsten Verhandlungstag mitzubringen, immerhin sei auch sie Mitglied der Bande gewesen. An den folgenden Gerichtstagen war sie zwar anwesend, sprach jedoch kein Wort, und wurde dazu vom Richter auch nicht aufgefordert. Ihre Bewährung war bereits beschlossene Sache, die Belohnung für ihren Verrat. Ihre Strafe sollte es wohl sein, dass bei der Urteilsbegründung in ihrer Anwesenheit dieser offen ausgesprochen und allen Prozessteilnehmern und Beobachtern, die Verhandlung war öffentlich, als Begründung für ihre Bewährungsstrafe genannt wurde. Sie war allerdings die Einzige unserer sogenannten Bande, die in Deutschland bereits einen polizeilichen Eintrag wegen BtMG hatte. Wie sich während der Verhandlung herausstellte und wovon wir anderen gar nichts wussten, hatte sie in Holland auf eigene Rechnung Magic Mushrooms gekauft und ein kleines Nebengeschäft am Laufen. Um jedoch die vor der Verhandlung bereits abgesprochene Bewährung nicht zu gefährden, tat der Vorsitzende so, als wüsste er gar nicht, um was es sich dabei handelt. Dies war unglaubwürdig, zudem ziemlich schlecht gespielt, und wurde durch vereinzeltes Lachen aus dem Publikum kommentiert. Damit wäre er wohl bei einem Vorsprechen als Bewerbung für eine Laien-Theatergruppe gescheitert. Dass das Strafgesetz keine Bestrafung für den Handel mit dieser Art von Pilzen vorsieht, aber für den mit Cannabis, ist zumindest bemerkenswert.

Diese psychedelisch wirkenden halluzinogenen Pilze gibt es natürlich zuhauf auf unseren heimischen Feldern und sind bei Pilzkennern unter ihrem Namen »Spitzkegeliger Kahlkopf« oder auch »Zauberpilz«, bestens bekannt. Ich würde vom Genuss abraten, da die Menge psychoaktiver Substanzen in den Pilzen stark variieren kann, Botaniker wissen das.

Spitzkegeliger Kahlkopf

Dass das Strafgesetz den Kauf nicht sanktioniert, liegt wahrscheinlich an der Unwissenheit einer im Bundestag, dem gesetzgebenden Organ unseres Landes, vertretenen großen Mehrheit der Abgeordneten von Juristen und Beamten. Weil der Pilz bei uns fast auf jeder Wiese wächst, ist der Konsum allerdings auch nicht zu überwachen, weshalb einzig Aufklärung bei ernstgemeintem Gesundheitsschutz sinnvoll wäre, meine Meinung. Dass die Kurierin diese in Holland gekauft hatte, wäre also nicht nötig gewesen, zeigte damit ihr Desinteresse an botanischer Bildung, und, weil sie selbst nach Aussage ihres Anwalts diese nie konsumiert hatte, dass es ihr beim Handel damit nur ums Geld ging.

Meine Verteidigungsstrategie, zu erzählen wie es war, spielte bei der Strafbemessung keine Rolle. Auch dass ich mich als einziger Angeklagter für die Legalisierung von Marihuana ausgesprochen habe, war eher negativ, wie mein Anwalt meinte. Ich frage mich bis heute warum, denn dann wäre unser Handeln eigentlich überflüssig gewesen, und es hätte keine Anklage gegeben. Mein Kumpel dagegen fand das Verbot ausdrücklich gut, was durchaus auch logisch war, hatte er doch einige Jahre dadurch gutes Geld verdient. Er war schon länger im Visier der Fahnder, wie sich während der Verhandlung herausstellte, und wie er wohl auch ahnte, da er in Holland bereits einmal erwischt worden war.

Das Marihuana, das man damals bei ihm gefunden hatte, wurde konfisziert, man sprach ein Einreiseverbot aus, weshalb er das Geschäft jetzt nicht mehr alleine durchziehen konnte, und ließ ihn laufen. Sein Hobby waren Oldtimer, eher kostspielig, und mein Vorschlag, zufrieden zu sein mit seinen zwei Autos, fand er wohl langweilig. Nach Wochen des Widerstands und der ständigen Fragerei müde, fuhr ich los und kaufte ein. Einer finanziert, einer kauft, einer fährt, einer verkauft, und alle bekommen den gleichen Anteil, meinte der Kumpel. Eigentlich blöd, im Nachhinein, weil hätte ich alles selbst gemacht, das weiß ich heute, hätte ich das Dreifache verdient und wäre nicht in den Knast gegangen. Aber alleine machen, wär’ ich nie drauf gekommen, deshalb, mitgegangen, mitgefangen, war die Strafe rechtmäßig, wenn auch viel zu hoch. Er bekam auch vier Jahre. Weil er den vierten Mann verpfiffen hatte, wurden ihm zwei Jahre erlassen, sonst wären es, als Bandenchef und Initiator sozusagen, sechs! Jahre gewesen, meinte der Richter streng bei der Urteilsverkündung am Darmstädter Landgericht. Den beiden beisitzenden Schöffen waren die hohen Urteile sichtlich unangenehm, auf den Zuschauerbänken spürte man Bewegung und hörte Unmutsäußerungen. Nachdem sich die entstandene Unruhe etwas gelegt hatte, sagte der Vorsitzende Richter, dass wir drei zu einer Gefängnisstrafe verurteilten vom Gericht als Freigänger tauglich eingestuft werden, wodurch er das harte Urteil abmildern wollte. Es läge an uns, durch gute Führung die Strafdauer zu beeinflussen, wodurch er einen Teil seiner Verantwortung an uns abgab. Eine,wie mein Anwalt meinte, schon vor der Verhandlung so beschlossene, gut durchdachte Inszenierung. Mit drei zu zwei Richterstimmen, die hauptamtlichen hatten die beiden Schöffen überstimmt, wurde dann das Urteil gefällt. Nachdem wir alle das Gerichtsgebäude verlassen hatten, klopfte mir der vierte Mann, der »Bankier«, 3,5 Jahre, zum Trost auf die Schulter und meinte nur, »jetzt weiß ich Bescheid«. Er wanderte vor Haftantritt aus, ich hab vergessen wohin, und heiratete.

JVA Preungesheim

So kam es also, dass ich heute Mittag am Eingangstor der Justizvollzugsanstalt klingelte und meine Haft antrat.

Zuerst saßen wir in einer Art Büro, zwei Verurteilte auf ungemütlichen Stühlen, vor uns mit ernster Miene ein uniformierter Gefängnismitarbeiter, der uns die Hausordnung vorlas. Wichtig nur die Uhrzeiten für die Mahlzeiten in der Kantine, meinte er streng, sonst hieß es ruhig Verhalten in der Zelle und auf Anordnungen warten. Jeder bekam eine Nummer, ich die 766, wenn Durchsage, dann auf Nummer achten und bei selbiger im Sprint zur Dienststelle, Gebäude B.

Er fragte noch, ob wir Drogen nehmen, und mein Leidensgenosse sagte, dass es drauf ankomme, was es so gäbe, da sah ich dann das erste Mal einen cholerischen Beamten, die Frage war aber auch doof gestellt.

Weiterstadt September 97, Untersuchungsgefängnis

Bald zwei Jahre zuvor in der U-Haft, der ich durch Verrat des vierten Mannes beim ersten Haftprüfungstermin einen Tag nach der Verhaftung hätte entgehen können, meinten zumindest die mich nach Weiterstadt fahrenden Zollbeamten, kam ich schon am ersten Tag mit Marihuana in Kontakt. Nach der Aufnahme mit medizinischer Eingangsuntersuchung, inclusive Leistencheck, wurde ich zu einer Gruppe von acht Häftlingen in einen kleinen Raum gebracht, zum Essen, und da zirkulierte als erstes mal ein Joint. Ich habe dankend abgelehnt, mir war nicht danach. Nach dem Kiffen und dem Essen kam ich zum Direktor, der mich als großen Fang titulierte, wo ich mir ein Lächeln nicht verkneifen konnte. Natürlich fragte er, was es da zu lachen gäbe und ich erzählte ihm vom gerade rumgereichten Joint. Nennen sie mir Namen, sagte er, und da tat er mir wirklich etwas leid. Er wollte mich zum Denunzianten machen, aber, ich bin sicher, er wusste ganz genau, was in diesem, seinem Gefängnis, das im März Neunzehnhundertdreiundneunzig von der RAF kurz vor seiner Fertigstellung zum Teil in die Luft gejagt wurde, alles so lief.

Die erste Nacht saß ich alleine in einer Zelle, in der das Licht nicht gelöscht wurde. Nach einiger Zeit, ich hatte mein ansonsten gutes Zeitgefühl verloren und war in einer nie gekannten Weise völlig in mir versunken, hatte ich ein bis heute einmaliges Erlebnis. In einer Art Wachtraum sah ich ein von einem auf das andere Bein hüpfendes, lachendes Männchen in meinem Körper, genauer in meinem Bauch.

Ich schlug die Augen auf, überrascht von einem Gefühl des Glücks. Diese erste Nacht gab mir Kraft, und ich begegnete dem erstaunt blickenden Schließer in einer munteren und aufgeräumten Stimmung, als er mich um sieben Uhr morgens abholte und mich in eine Zweimannzelle brachte, die ich während meiner Zeit in der U-Haft allerdings alleine bewohnte.

Wir Gefangenen hatten dort täglich eine Stunde Hofgang und konnten nach dem Essen in der Zelle noch eine Stunde im Gang unseres Traktes Tischtennis spielen, duschen oder Gespräche führen. Ich saß dann meistens in meiner Zelle bei geöffneter Tür, rauchte und spielte ein bisschen auf einer alten Wandergitarre mit abgenutzten Saiten, die mir eine Sozialarbeiterin gebracht hatte.

Zehn Tage später hatte ich den zweiten Haftprüfungstermin und wollte mich deshalb, auf Rat eines Mitgefangenen, rasieren. Tags zuvor ging ich also zu dem Gefangenen auf meiner Etage, der die Einmalrasierer rausgab, aber natürlich war er der größte Verbrecher im Trakt und wollte zehn Mark. Ich wartete, bis die Sozialarbeiterin im Flur auftauchte und hatte Glück. Sie sprach mit diesem wirklich unangenehmen Zeitgenossen, und ich nahm in ihrer Anwesenheit die Gelegenheit wahr, nochmal nach dem Rasierer zu fragen. Ich war froh, dass ich am nächsten Tag, nachdem mein Vater eine Kaution hinterlegt hatte, aus der U- Haft entlassen wurde, weil er wirklich sehr böse geschaut hat. Meine noch übrigen zwei Tabaksbeutel schenkte ich einem osteuropäischen Gefangenen, dessen Hände verkrüppelt waren, jemand hatte sie ihm regelrecht zerquetscht. Er saß manchmal bei mir, wenn ich auf der Gitarre spielte, und schaffte es trotz seiner deformierten Finger, eine Zigarette zu drehen.

JVA Preungesheim

Nachdem also die Hausordnung und die Vorhaltungen endlich vorgelesen und im strengen Ton aufgesagt waren, wurden wir beiden Neuzugänge leider in zwei verschiedene Zellen gesteckt. Die lässige Antwort meiner ersten Knastbekanntschaft hatte mir gefallen und Hoffnung gemacht, einen pfiffigen Zellengenossen zu bekommen. Dem war leider nicht so.

Als ich die Zelle betrat, wurde hinter mir abgeschlossen. Das allein hätte schon genügt, meine bis dahin eher von Neugier geprägte Stimmung zu dämpfen, aber was ich jetzt zu sehen und zu riechen bekam, löste in mir einen sofortigen Fluchtreflex aus. Ich hatte praktisch im selben Moment vergessen, dass die Tür verschlossen war, denn ich versuchte tatsächlich, sie zu öffnen, um aus diesem Raum, und dem in ihm herrschenden Geruch nach kalter Asche, Schweiß und Müll zu fliehen. Nach wenigen Augenblicken wurde mir dann auch noch die schlimmste Sinnesqual bewusst, der krachend laute Fernseher und das laufende RTL-Programm. Einen Moment lang war ich völlig desorientiert, ich stand unter Schock.

Der vielleicht zehn Quadratmeter große Raum bestand aus einem Etagenbett, einem kleinen Tisch, auf dem die Glotze stand, einem kleinen Kühlschrank und einem Spind. Das Fenster war blind und an der Decke hing eine Glühbirne, die einzige Lichtquelle.

Nach etwa zwei Stunden, in denen ununterbrochen der Fernseher kreischte und hier und da mein Zellengenosse etwas sagte, wie »Ich bin froh hier zu sein, meine Alte, die blöde Sau, mal nicht zu sehen«, oder »Das ist ein echter scheiss Fraß hier, aber besser als von der Schlampe«, und ich völlig erschöpft auf der oberen Matratze des Hochbetts saß und angestrengt versuchte, mich auf mein mitgebrachtes Buch zu konzentrieren, wurde die Tür aufgeschlossen.

Wir durften in die Kantine zum Essen laufen, und ich fühlte sowas wie Erlösung.

Mein Zellengenosse, wie sich später herausstellte, ein Zuhälter aus Darmstadt, hatte, das muss man ihm lassen, nicht übertrieben. Das Essen war scheußlich, aber dass seine Frau noch schlechter kochen würde, konnte nicht wahr sein. Jetzt fühlte ich sowas wie Verzweiflung.

Erst ein Schock, dann Erlösung, dann Verzweiflung, ziemlich große Emotionen innerhalb kürzester Zeit, wenn das so weitergeht, dachte ich, und bereute zum ersten Mal ehrlich meine Taten, ohne schlechtes Gewissen.

Landgericht Darmstadt

Nicht gut, denn Knast ist jedenfalls doppelt anstrengend, wenn man denkt, nichts Unrechtes, oder wenigstens Schlimmes getan zu haben. Ich dachte nämlich, das alles sei mehr ein Fehler im System als mein eigener. Der Richter jedoch beharrte auf seiner Ansicht, wir würden durch unsere Taten Kinder zu Junkies machen, aber wir haben, entgegen seiner Andeutungen, niemals vor Schulen an Minderjährige Gras verkauft. Kompletter Unsinn sowieso, aber er wollte sich einfach nicht vom Gegenteil überzeugen lassen. Ich habe dann noch aus einer vom Statistischen Bundesamt 1998 herausgegebenen Erhebung der Bundesregierung vorgelesen, indem die Zahlen zum Vorjahr, auch den Drogenmissbrauch betreffend, zusammengefasst waren. Danach über 50 000 Tote durch Alkoholkonsum, 0 Tote durch Cannabis. Nicht zu vergessen, versuchte ich es noch, die von alkoholisierten Menschen ausgehende öffentliche und häusliche Gewalt, über die ebenfalls in dieser Veröffentlichung referiert wurde. Unser Richter, meine Mutter meinte, ihm sehe man seine Sucht an der zerschundenen Nase des Trinkers an, sagte, dass Alkohol nicht verboten sei, und damit war das Gespräch über den für Nichtjuristen etwas willkürlich anmutenden Unterschied zwischen Alkohol und Marihuana in der Rechtsprechung beendet.

So kann es sein, dass jemand Recht spricht, ohne recht zu haben, sagte ich noch, und verwies auf die Todesurteile während des Naziregimes wegen Hörens des falschen Radiosenders oder auch mal für das Stehlen eines Huhnes. Der Richter fasste das als eine nicht zur Sache gehörende Belehrung auf und wies mich zurecht, belehren durfte hier nur er.