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Felix Zieder

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Beschreibung

Felix hat mit 42 eigentlich alles erreicht, nur eine Frau fürs Leben an seiner Seite fehlt. Da begegnet er plötzlich nach 24 Jahren Maria wieder. Damals hatten sie Gefühle füreinander, dennoch gingen sie getrennte Wege.

Aber heute ist alles anders: Alte Gefühle sind wieder da, und schnell verlieben sich beide ineinander. Aber Liebe ist manchmal nicht genug, denn nach einer gescheiterten Ehe ist Maria vorsichtig geworden, und Felix weiß damit nicht umzugehen.
Um für ihre Liebe zu kämpfen, müssen sich Maria und Felix gemeinsam ihrer Vergangenheit stellen und innere Barrieren einreißen, damit sie endlich zueinanderfinden können.

24 Jahre bis zur Liebe erzählt die Geschichte von zwei Menschen, die gemeinsam wieder lernen müssen, der Liebe zu vertrauen.

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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24 Jahre bis zur Liebe

Felix Zieder

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FELIX ZIEDER

24 JAHRE BIS ZUR 

LIEBE

 

Für Mareike.

Gestern, heute und morgen. Zeit hat keine Bedeutung.

Inhaltsverzeichnis
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Epilog
Nachwort

Prolog

Es gibt Menschen, die reden viel, sagen aber wenig.

Das galt nicht für Felix. Er redete meist nicht viel und sagte nur dann etwas, wenn er es für notwendig hielt. Über viele Jahre hatte er gelernt, seine Gefühle im Zaum zu halten und sich nie äußerlich etwas anmerken zu lassen, um möglichst niemandem eine Angriffsfläche zu bieten. Und stets war er damit gut gefahren, sei es im Beruf oder in seinem Privatleben, denn oft hatte er die Erfahrung gemacht, dass zu viele Gefühle zum eigenen Schaden sein konnten.

Doch kurz nach seinem 42. Geburtstag würde er mit dieser Strategie an seine Grenzen stoßen, weil ihm eine schicksalhafte Begegnung mit einer Frau bevorstand, die für ihn alles auf den Kopf stellen würde.

Kapitel 1

Dasdarf doch nicht wahr sein!, fluchte Felix innerlich, während seine linke Hand den Kugelschreiber so über das Papier zu führen versuchte, dass seine Unterschrift erscheinen würde. Das geschah auch, aber heraus kam nicht das gewohnte, elegante Schriftbild, das er über viele Jahre verfeinert hatte, sondern ein unschönes Geschmiere, dessen dahinterstehende Unsicherheit er glaubte, schon vor vielen Jahren überwunden zu haben.

Der Grund für das in seinen Augen jämmerliche optische Ergebnis war einfach: Er war ziemlich aufgeregt. Seine Hand hatte etwas gezittert. Das kam völlig überraschend. Und es geschah ausgerechnet an jenem Tag, an dem er diese lang ersehnte Unterschrift für seine Zukunft leistete. Er hoffte, dass es niemandem aufgefallen war, weder dem Rechtsanwalt oder dem Verkäufer noch der jungen Büroangestellten.

Er fühlte sich mit einem Mal unsicher, fast so wie früher, als er noch zwanzig Jahre jünger war, zu einer Zeit, in der die Unsicherheit sein ständiger Begleiter gewesen war. Doch er war Gott sei Dank von Profis umgeben. Selbst wenn jemand seine Nervosität bemerkt hätte, dann würde sich niemand etwas anmerken lassen. Hier ging es schließlich ums Geschäft. Es ging ums Geld. Da verkniff man sich jegliche Bemerkungen.

Felix beäugte seine Unterschrift misstrauisch und blinzelte. Und siehe da: Beim zweiten Anblick sah sie nicht mehr ganz so schlimm aus. Überhaupt nicht schlimm. Eigentlich sah sein Schriftbild fast wie immer aus. Seine Nervosität hatte ihm größtenteils einen Streich gespielt. Dennoch hatte seine Hand leicht gezittert, daran gab es keinen Zweifel. Und er fühlte, wie sich die Unsicherheit weiterhin hartnäckig an ihn klammerte, obwohl es dafür keinen rationalen Grund gab, denn heute sollte eigentlich ein Tag der Freude sein.

Die restlichen Formalitäten waren schnell erledigt. Felix registrierte sie nur am Rande, da ihn seine unangenehme Gefühlsregung immer noch beschäftigte und ihn einfach nicht losließ. Es war fast so, als beschlich ihn das Gefühl, mit dem Kauf einen großen Fehler begangen zu haben. Absurd! Er hatte den Kaufvertrag für ein Ferienhaus an der Costa del Sol unterschrieben und sich damit einen lang gehegten Traum erfüllt.

Er hatte so viele Jahre darauf hingearbeitet und Entbehrungen in Kauf genommen, welche die meisten Menschen nicht lange ertragen würden. Allein der Kaufprozess hatte sich als Albtraum entpuppt. Man konnte nicht einfach nach Spanien reisen und einen Kaufvertrag für ein Haus unterschreiben. Man brauchte eine spanische Steuernummer, ein spanisches Bankkonto für einen Bankscheck, einen Optionsvertrag vor dem Kauf, einen Grundbuchauszug, ein Energiezertifikat, eine Bewohnbarkeitsbescheinigung, man musste Grunderwerbssteuer zahlen und erst am Ende standen die Kaufvertragsurkunde und die Unterschriften.

»Herzlichen Glückwunsch. Jetzt ist ihr Traum wahr geworden.« Der Rechtsanwalt, der den notariellen Kaufvertrag aufgesetzt hatte, lächelte, sagte noch irgendetwas, das an Felix vorbeirauschte, und sortierte Papiere. Die letzten Unterschriften vom Verkäufer und von Felix waren geleistet, der Scheck wurde überreicht und Felix bekam die Schlüssel für Haus und Grund seines zukünftigen Feriendomizils in zweifacher Ausfertigung in einem Kuvert gereicht. Er musste nur noch zugreifen, dann war es getan.

Irgendetwas, der Himmel wusste was, ließ ihn für einen Herzschlag zögern. Der Moment war viel zu kurz, als dass jemand stutzig geworden wäre. Er schnappte sich dann die Schlüssel und verstaute sie zusammen mit sämtlichen Unterlagen in seiner Aktentasche. Er hatte plötzlich das Bedürfnis, den Raum so schnell wie möglich zu verlassen.

Der Verkäufer, ein deutscher Rentner mit anständigem Übergewicht, verabschiedete sich zufrieden und verließ nach der Schlüsselübergabe das Büro.

»Werden Sie noch ein paar Tage bleiben, oder müssen Sie wieder zurück nach Berlin?«, fragte der Rechtsanwalt, der seinen Job wirklich gut gemacht hatte. Sein größtenteils mit Gel eingefettetes Haar glänzte im grellen Licht der heißen Mittagssonne, die durchs Fenster in sein Büro schien.

»Ich werde eine Nacht bleiben. Morgen muss ich wieder abreisen. Aber in ein paar Wochen komme ich zurück, dann habe ich Zeit und Muße, um mich hier einzurichten«, sagte Felix und erhob sich von seinem Sessel.

Sein Rechtsanwalt tat es ihm gleich, überrascht, dass er schon gehen wollte.

»Na, schön, dann will ich Sie nicht aufhalten.« Er gab Felix die Hand zum Abschied, hielt sie aber fest. »Und wenn Sie sich entscheiden, Ihr Objekt für Urlauber zu vermieten, dann melden Sie sich bei mir, in Ordnung? Ich berate sie diesbezüglich gern.« Er würde seine Hand nicht loslassen, bis Felix zugestimmt hatte.

»Das mache ich, versprochen«, antwortete er nachdenklich und immer noch unfähig, Freude zu empfinden oder irgendetwas, das sich auch nur annähernd so anfühlte. Was zur Hölle war los mit ihm? Er hielt inne, ohne zu wissen, wieso.

»Lächeln Sie doch endlich mal«, hörte Felix den Rechtsanwalt plötzlich nach einem Moment des Schweigens sagen. Ein Moment, der offenbar so lange gedauert hatte, dass man ihn nicht mehr ignorieren konnte. Unbehaglich blickte Felix sein Gegenüber an.

Der Rechtsanwalt hatte den Kopf schräg gelegt und sah ihn versteckt hinter seinem professionellen Dauerlächeln, forschend aber auch auffordernd an. »Sie haben sich gerade einen Lebenstraum erfüllt, das haben Sie mir selbst gesagt.« Er hob die Hände. »Feiern Sie das!«

Hastig bemühte sich Felix, seine Gesichtsmuskeln so zu bewegen, dass er ein halbwegs glaubwürdiges Lächeln zustande bringen konnte. Darin war er geübt: Gekonnt Lächeln, auch wenn einem im Augenblick gar nicht danach war. Er fragte sich, wie viele Menschen genau das tagtäglich tun mussten.

»Ich freue mich natürlich. Vielleicht bin ich nur ein wenig überwältigt, dass ich es nun bis hierhin endlich geschafft habe.« Hatte er sich seine Verunsicherung wirklich so deutlich anmerken lassen?

Der Rechtsanwalt winkte ab, als wisse er ganz genau, wovon sein zurückhaltender Klient sprach. »Machen Sie sich keine Gedanken. Ich habe schon jeden Käufertyp gesehen. Die einen strahlen bis über beide Ohren und andere können es noch gar nicht richtig begreifen, wenn sie sich ihren Wunschtraum erfüllt haben.« Er legte ihm mit gebührendem Abstand und einer überraschend aufrichtig anmutenden Fürsorglichkeit die Hand auf die Schulter. »Schlafen Sie eine Nacht, dann werden Sie morgen schon mit einem Lächeln aufwachen, das versichere ich Ihnen.«

»So werde ich das, ja?«, grinste Felix plötzlich erheitert. Er hatte seinem Rechtsanwalt dessen Bemerkung über seine ausbleibende Freude über den Kauf nicht übel genommen. Im Gegenteil. Felix war dankbar dafür, denn der rätselhafte Schatten, der wie ein Geist durch seine Seele im Moment der Vertragsunterzeichnung gehuscht war, schien plötzlich genauso schnell verschwunden zu sein, wie er aufgetaucht war. Er war wieder der Alte, aber erledigt war die Sache für ihn damit noch nicht. Felix hatte schon geahnt, dass die Umsetzung seines Vorhabens, ein Haus hier in Südspanien zu kaufen, alte Geister hervorrufen könnte. Nur hatte er womöglich in diesem Moment deren Wirkung auf ihn unterschätzt.

 

Kapitel 2

»Ich begleite Sie noch nach draußen«, sagte der Rechtsanwalt, als gerade sein Smartphone klingelte. Er holte es hervor, schaute aufs Display und blieb stehen. »O, das ist wichtig. Verzeihung, aber da muss ich rangehen. Frau Martínez wird Sie begleiten.«

Seine Büroangestellte lächelte pflichtbewusst, öffnete die Bürotür und hielt sie für Felix auf.

»Entschuldigung«, murmelte der Rechtsanwalt noch, während er schon das Smartphone an sein Ohr gepresst hielt, die andere Hand zum Abschied hob und sich dann abwendete. Sein Verhalten war nur zu verständlich. Er war eben schrecklich wichtig und musste ein schrecklich wichtiges Gespräch führen, um einen neuen, schrecklich wichtigen Auftrag an Land zu ziehen. Felix hatte in seinem Berufsleben gelernt, dass, je weniger Zeit man für jemand anderen hatte, desto wichtiger war man – schrecklich wichtig.

Frau Martínez war Spanierin und sprach perfekt Deutsch. Sie war Mitte zwanzig und würde vielleicht eines Tages selbst als Rechtsanwältin voll durchstarten wollen. Felix tauschte mit ihr auf dem Weg ins Freie, der sich durch mehrere Gänge und zwei Etagen in einem unübersichtlichen Bürokomplex erstreckte, ein paar höfliche Belanglosigkeiten aus.

»Vielen Dank, nochmal«, verabschiedete er sich draußen, als ihr strahlendes Lächeln ihn stutzig machte.

»Gern geschehen. Auf Wiedersehen.« Sie drehte sich um, aber ihr Blick klebte noch für eine Sekunde an seinem Gesicht, ehe sie wieder im Gebäude verschwand.

Felix fiel auf, dass er sich diese Art von Lächeln in letzter Zeit häufiger von Frauen einfing, vor allem wenn sie deutlich jünger waren als er. Doch es fiel ihm schwer, daran Gefallen zu finden, wofür es auch einen Grund gab: Er war einigermaßen attraktiv, war aber mit Sicherheit kein Adonis, daran lag es nicht. Aber er hatte sich immer ein jüngeres Aussehen bewahrt. Einige seiner Freunde hatten ihn schon mehrfach darauf angesprochen und wollten wissen, wie er das anstellte, mit Anfang vierzig immer noch knapp zehn Jahre jünger auszusehen. Wie genervt er von solchen Bemerkungen über seine Erscheinung war! Er antwortete immer, das seien die Gene, und für die müsse man sich nicht rechtfertigen. Das stimmte wohl auch, denn er unternahm nichts Besonderes, um jung und fit auszusehen. Er trank zwar so gut wie keinen Alkohol, achtete auf sein Gewicht, bewegte sich gerne und hatte eine leicht sportliche Statur mit breiten Schultern. Er war aber niemand, der einer bestimmten Sportart regelmäßig frönte, niemand, der einem speziellen Ernährungsplan folgte, der vielleicht so etwas Furchtbares wie Dinkel enthielt, oder jemand, der sich generell mit Anti-Aging beschäftigte. Das musste er gar nicht. Mit seinen eher weichen Gesichtszügen hatte er schon immer jünger ausgesehen als er war. Und genau das hatte ihm oft geschadet.

Gerade in den Zwanzigern und Dreißigern hatte er als Mann den Nachteil, jünger zu erscheinen, stets zu spüren bekommen. Manchmal waren es unbedachte, aber verletzende Bemerkungen über sein Alter, manchmal aber reichte auch nur ein Blick. Demütigend wurde es, wenn es Leute während seiner Studienzeit gab, die glaubten, er würde noch zur Schule gehen. In jungen Jahren als Erwachsener in einer Welt von Erwachsenen jugendlich auszusehen, war eben in einer von Stereotypen geprägten Gesellschaft alles andere als männlich. Schwer, sich dann auch so zu fühlen.

Erst jetzt mit über 40 bekam er Jahr für Jahr immer deutlicher von seiner Umwelt Signale zu spüren, dass sich dieser einstige Makel allmählich ins Gegenteil verkehrte. Mit jedem weiteren Jahr, das verging, gewann er offenbar an Attraktivität. Er war jetzt in einem Alter, in dem sich viele ihr jüngeres Ich zurückwünschten. Und nicht wenige setzten erstaunliche Energien frei, um wenigstens etwas von dem früheren Ich auf die eine oder andere Weise wieder heraufzubeschwören. Sei es durch Sport, Ernährung, Kosmetik oder durch Spritzen. Viele seiner Bekannten und Freunde beneideten ihn insgeheim für sein scheinbar langsames Altern. Er schätze, dass etwa die Hälfte seiner männlichen Freunde teils schon herbe Haarverluste zu betrauern hatten. Und die Haare, die noch übrig waren, ergrauten schon. Weder mit dem einen, noch mit dem anderen hatte Felix Probleme. Auch das lag in der Familie. Er bildete sich deswegen auch nichts darauf ein, sein dichtes Haar, das er etwas gerne länger trug, im Spiegel bewundern zu dürfen. Es war Veranlagung, nichts weiter.

Andere Herren seines Alters trugen auch schon teils beachtliche Fettreserven mit sich herum, was in der Männerwelt gerne verniedlichend als Speckröllchen oder als Bäuchlein bezeichnet wird. Auch damit hatte Felix bislang keine Probleme. Er besaß keinen Waschbrettbauch, wirkte aber bei Normalgewicht immer schlank bei durchschnittlicher Körpergröße.

Sein bis heute anhaltendes jüngeres Erscheinungsbild war lange Zeit ein Fluch gewesen. Sollte es dann nicht jetzt ein Segen sein? Eine Ausstrahlung zu haben, die nahezu perfekt auf seine Lebensmitte zugeschnitten zu sein schien, weil sie ihn attraktiver erscheinen ließ? Es fühlte sich für ihn nicht so an. Wollte man diese Wandlung als Ironie des Schicksals bezeichnen, so konnte Felix jedenfalls nicht darüber lachen – zu oft hatte er in seiner Vergangenheit darunter gelitten.

Wenn ihn daher wie gerade eben eine Frau, die vom Alter her schon fast seine Tochter sein könnte, bewundernd ansah, dann wusste Felix nicht damit umzugehen. Er würde sogar so weit gehen, zu behaupten, er würde es ignorieren. Nur sein Freund Christian, mit dem er die letzten Wochen regelmäßig kleine Stand Up Paddle Touren im Sommer unternommen hatte, hätte ihm jetzt die Leviten gelesen und ihm gesagt, er wäre ein Stockfisch, wenn er nicht bemerken würde, dass diese oder jene Frau interessiert an ihm wäre. »Ich wünschte, mich würde jemand so ansehen«, hätte er gejammert.

Felix ging zu seinem Leihauto, stieg ein und atmete einmal tief durch. Zum Vertragsabschluss heute hatte er sich noch einmal in Schale geworfen. Ein zweiteiliger Maßanzug, knitterfrei, schwarz mit weißem Hemd, wobei er die Farbe Weiß nur wegen der Hitze heute trug. Er mochte lieber dunkle Hemdenfarben. Dazu noch eine Krawatte mit schmalem Krawattenknoten, dem Kentknoten, den er seit einigen Jahren bevorzugte. Kaum hatte er versucht durchzuatmen, glaubte er auch schon, keine Luft mehr zu bekommen. Unwirsch zerrte er die Schlaufe seiner Krawatte auf und öffnete den Knopf am Hemdkragen. Schon immer hatte er sich in einem Anzug mit Krawatte beengt gefühlt. Unzählige Male hatte er geglaubt, keine Luft mehr zu kriegen. Damit würde demnächst Schluss sein. Bald würde er seinen Beruf als Steuerberater an den Nagel hängen und sich auf ein neues Leben ohne Stress und Arbeit freuen dürfen. Er war gespannt, wann sich das Gefühl der Vorfreude endlich bei ihm einstellen würde.

Kapitel 3

Bei einer Geburtstagsfeier von Bekannten, auf die Felix eines Tages eingeladen worden war, hatte ihn jemand scherzhaft als grumpy Felix bezeichnet. Mürrischer Felix. Er war aber nicht mürrisch, nur oft nachdenklich. Er besaß einen ausgeprägten Sinn für Humor und war eigentlich gerne fröhlich und konnte aus dem Stegreif witzig sein. Nur fühlte er sich, je älter er wurde, zunehmend von der Realität entzaubert. Er hatte das Gefühl, sich nicht mehr so für bestimmte Dinge begeistern zu können wie früher. Und das fand er schade, machte ihn aber nicht depressiv. Wahrscheinlich waren seine auf den ersten Blick mürrisch anmutenden Phasen Vorboten einer sich anbahnenden Midlife-Crises.

Ein ehemaliger Arbeitskollege hatte ihm mal anvertraut: »Jeder muss da eines Tages durch. Glaub mir, Junge. Jeder. Auch dich wird es treffen.«

Felix dachte früher, so etwas würde ihn nie ereilen. Heute war er sich da nicht mehr so sicher. Wenn man lange Zeit, also über viele Jahre, alleine lebte, so glaubte er, neigte man eher dazu, ständig über sein Leben nachzudenken. Man hinterfragt regelmäßig die eigenen Angewohnheiten, Vorlieben, Schwächen und Gott weiß was sonst noch alles.

»Sinnlose Zeitverschwendung. Alles Psychologisieren hilft nicht«, hatte sein drei Jahre älterer Bruder Robert mal zu ihm gesagt. »Was du brauchst, ist eine Frau.« Weise und zugleich so extrem hilfreiche Worte. Such dir doch einfach eine Frau, und gut ist! Robert hätte Psychotherapeut werden sollen. Er hatte auch gut reden. Er hatte früh geheiratet und führte eine nahezu perfekte Ehe mit zwei Kindern. Er hatte es immer leichter im Leben gehabt, fand Felix. Er musste sich für seinen beruflichen Werdegang nie wirklich anstrengen und privat schien es auch immer wie von selbst zu laufen. Felix empfand keinen bewussten Neid, aber Besserwisserei konnte sich sein Bruder sparen. Denn für Felix waren die Herausforderungen, vor die er im Leben gestellt wurde, bisher nie leicht gewesen.

Felix fuhr die Küstenstraße entlang von Málaga zurück nach Westen zur Urbanisation, in welcher sich sein Traum vom eigenen Ferienhaus in Südspanien erfüllen sollte. Hier an der Costa del Sol hatte er als Kind die schönsten Urlaube mit seiner Familie verbracht, die er sich vorstellen konnte. Damals waren sie noch zu viert im Auto angereist. Flugtickets in den frühen Neunzigern für vier Personen waren damals viel zu teuer gewesen. Also fuhren sie im Familienwagen die ganzen gut dreitausend Kilometer an mehreren Tagen hin und zwei Wochen später wieder zurück – ohne Klimaanlage. Als Kind hatte ihn das nie gestört. Fast jeden Tag waren sie im Meer baden gewesen, hatten gegrillt, Ausflüge gemacht und einfach eine unbeschwerte Zeit genießen können.

Felix hatte mit dem Erwerb der Immobilie nicht versucht, seine verlorene Kindheit zurückzuholen, sondern einen Ort zu finden, der Frieden bot. Und den gab es hier zweifelsohne. Die Urbanisationen, wie sie genannt wurden, waren relativ isolierte Anhäufungen von Grundstücken mit Villen unterschiedlichster Couleur. Hier gab es alles - von alten kleineren Villen bis hin zu modernsten Luxusvillen neuester Bauart mit riesigen Fenstern und Infinity-Pool im Garten. Auch hier an diesem paradiesischen Ort hatte die Inflation heftig zugeschlagen. Die Preise lagen oft im siebenstelligen Bereich, selbst für ältere Villen mit kleinem Grundstück. Das hatte Felix Möglichkeiten allerdings schon überstiegen. Es war ihm gelungen, etwas Passendens unterhalb einer Million zu finden, ein älteres Haus, das an einigen Stellen sanierungsbedürftig war, mit einem Grundstück, das eines von wenigen war, das keinen Pool besaß. Wozu ein Pool, wenn das Meer nur fünf Minuten zu Fuß entfernt war?

Felix hatte auf sehr viel verzichtet, um jetzt mit 42 Jahren finanziell unabhängig zu sein und sich zudem noch so einen teuren Spaß erlauben zu können. Allein durch Sparen wäre allerdings beides nicht möglich gewesen. Er hatte ein glückliches Händchen bei einigen Investments gehabt. Und dann war da auch die Sache mit der Kryptowährung, die er aus einer Laune heraus vor vielen Jahren gekauft hatte, was sich später von einer blödsinnigen Schnapsidee zu einem kleinen Vermögen gewandelt hatte. Felix war alt genug, um sich nicht einzureden, dass er ein genialer Investor war, sondern dass er einfach mal schlicht Glück hatte. Davon gab es ja im Leben bekanntlich nicht viel.

Er erreichte die Urbanisation und lenkte den Wagen durch die engen Gassen zwischen den zumeist blendend weißen Villen hindurch zu seinem Grundstück. Ihm fiel auf, wie eng die Häuser dicht an dicht standen. Privatsphäre wurde an den Grundstücksgrenzen meist durch weiße Mauern, Palmen und Hecken geschaffen. Die besten Objekte waren selbstredend die, die auf einer Anhöhe standen und einen Blick aufs Meer boten. Das steigerte den Wert zusätzlich, auch wenn man das Mittelmeer manchmal nur von der höchsten Terrasse aus sehen konnte. Es war nicht dieselbe Gegend, in die er sich in seiner Kindheit verliebt hatte, war ihr aber sehr ähnlich.

Er hielt vor seinem Grundstück. Als er aus dem Auto stieg, wurde er gleich von seinen neuen Nachbarn, einem Ehepaar im Rentenalter aus Rheinland Pfalz, abgefangen. Beide kamen wohl gerade vom Einkaufen zurück. Felix hatte sie schon bei seinem Besichtigungstermin vor einigen Wochen kennengelernt und gleich einen Draht zu ihnen gefunden.

»Alles unter Dach und Fach?«, rief sein Nachbar zu ihm herüber. Felix kannte seinen Vornamen noch nicht.

»Ja, jetzt gehört es mir. An den Gedanken muss ich mich erst noch gewöhnen«, sagte Felix und lächelte unbehaglich.

»Das ging uns genauso. Beziehen Sie schon heute Quartier? Wir würden Sie dann gerne mal einladen, wenn Sie sich eingerichtet haben, Sie und ihre Frau.«

Meine Frau?Na toll, dachte Felix. Das musste ja passieren, dass er jetzt auch noch in Verlegenheit gebracht wurde. Er konnte es seinem Nachbarn aber nicht verübeln. Es war aus dessen Sicht abwegig, anzunehmen, jemand würde sich dieses Kleinod in Südspanien kaufen, um dort ganz allein einzuziehen. Ein Gedanke, der Felix jetzt in diesem Moment, in dem er peinlich berührt wurde, ebenfalls absurd erschien. Warum hatte er das eigentlich getan?

»Ich bin zurzeit Single. Habe aber nicht vor, es zu bleiben«, versuchte er möglichst locker zu antworten. Es anders zu formulieren, kam ihm gerade nicht in den Sinn.

»O, na dann haben Sie ja schon ein gutes Argument für ihre Zukünftige.« Felix sah, wie seine Nachbarin ihren Mann am Arm zog, er solle ihr beim Auspacken der Einkäufe helfen, nicht weil sie so ungeduldig war, sondern weil sie gemerkt hatte, dass Felix die Situation äußerst unangenehm war.

»Na dann, man sieht sich«, verabschiedete er sich und widmete endlich seine Aufmerksamkeit seiner Frau.

»Bestimmt. Bis dann.« Auf einmal hatte Felix gar keine Lust mehr, sein Haus zu betreten. Immer wieder hämmerte die Stimme des Zweifels in seinem Kopf. War das hier alles wirklich eine gute Idee gewesen? Er versuchte, diesen Zweifel abzuschütteln und bemühte sich einzureden, dass er einfach nur Bammel vor seinem neuen Lebensabschnitt hatte. Außerdem könnte er das Haus ja auch jederzeit vermieten und damit nur als Anlageobjekt betrachten, was er aber anfangs nie ernsthaft erwogen hatte. Und wenn es ganz hart auf hart käme? Wenn er statt des ersehnten Friedens nichts als Einsamkeit in seinen spanischen vier Wänden vorfinden würde, dann würde er es einfach weiterverkaufen. Und das sogar eventuell ohne Verlust. Dem Anwalt würde bei diesem Gedanken sicher der Sabber runterlaufen.

Felix musste einfach an etwas Positives denken. Die Grübelei führte zu nichts. Er hatte auch schon eine Idee. Er schloss den Wagen ab und marschierte zum Strand. Es war später Nachmittag, und es waren nur noch wenige Leute dort. Die Hauptsaison hatte sich ihrem Ende zugeneigt, und bald würde es hier noch leerer werden.

Felix zog die Schuhe aus und ging über den heißen Strand, bis er unter seinen Füßen den feuchten, kühlen Sand des anlandenden Meeres hatte. Er sah aufs Wasser hinaus, das heute ruhig in der Sonne lag. Irgendwo hinter dem Horizont begann Afrika. Eine Erinnerung war es, die sein betrübtes Gemüt aufhellen sollte.

Er wusste nicht zu sagen, wie alt er damals war. Zwölf? Vielleicht auch jünger. Er sah es vor seinem geistigen Auge, als würde er es gerade wieder erleben:

Er und sein Bruder spielten am Strand. Sie waren allein, ihre Eltern verweilten im Ferienhaus, und eine Badeaufsicht gab es damals dort nicht. Das Meer war nicht so ruhig wie heute. Die Wellen konnten sich hier in der Gegend zu beachtlicher Größe auftürmen. Gefühlt waren sie haushoch. Das waren sie natürlich nicht. Der Wind peitschte einem den Sand ins Gesicht und die Wellen brachen sich in der gleißenden Sonne lautstark am Strand. Genau das waren die perfekten Bedingungen für ihre Mutprobe. Robert und er stellten sich brusttief ins Wasser, drehten dem Meer den Rücken zu und warteten auf die nächste Welle. Felix konnte nicht mehr sagen, wie oft sie das gemacht hatten, aber wenn er jetzt die Augen schloss, spürte er die Angst vor der heranrollenden Welle. Er sah sie vor sich. Nein, sie war nicht haushoch, aber sie war viel größer er selbst. Und sie war groß genug, um über ihm hereinzubrechen und ihn mit ihrer schieren Masse unter sich zu begraben. Genau das wollten Felix und sein Bruder. Sie wollten ihre Angst vor den Kräften des Meeres austesten.

Wie in einem Tagtraum sah Felix es genau vor sich: Die Welle brach über ihm. Er wollte wieder an die Oberfläche tauchen, aber das ungestüme Wasser hielt ihn für einige Sekunden in seinem unnachgiebigen Griff gefangen. Aus Angst wurde Panik. Der Drang, Luft zu holen, war kaum noch zu unterdrücken. Aber dann gelang es ihm doch, mit dem Kopf die Wasseroberfläche zu durchbrechen und nach Luft zu schnappen. Blitzartig flüchtete er zum sicheren Strand, vollgepumpt mit Adrenalin, nur um nicht mal eine Minute später wieder erneut ins Meer zu steigen, wissend, dass die nächste große Welle dasselbe mit ihm anstellen würde. Und er wiederholte es solange, wie sein älterer Bruder es aushielt. Felix wollte nicht aufgeben. Er war ein Kämpfer.

Aus heutiger Sicht, so glaubte Felix, war das völliger Wahnsinn gewesen. Niemand hätte sie beide gerettet, wenn etwas schiefgelaufen wäre. Dazu war an jenem Tage viel zu wenig los am Strand gewesen. Hätte er heute einen Sohn in diesem Alter, hätte er ihm an einem windigen Tag, wie er es damals war, strikt verboten, auch nur einen Fuß ins Wasser zu setzen. Felix erinnerte sich genau wie lebendig er sich gefühlt hatte, als er die Welle bezwungen hatte – und seine Angst vor ihr. Er musste bei diesem Gedanken lächeln.

Er ging zurück zu seinem Haus. Er hatte die meisten Möbel übernommen, so dass er in einem richtigen Bett schlafen konnte. Erst später wollte er alles neu einrichten.

In letzter Zeit gab es Tage, an denen er gut schlafen konnte, an anderen aber nicht oder gar nicht. Heute Nacht aber schlief er bis zum nächsten Morgen durch und wachte mit einem guten Gefühl auf.

Zwei Tage noch. Dann würde er die Frau treffen, die ihm mehr als nur eine schlaflose Nacht bereiten würde.

Kapitel 4

Eigentlich begegnete er dieser Frau schon am nächsten Tag. Beide liefen auf dem Parkplatz eines Supermarktes einfach aneinander vorbei, so dass es keine richtige Begegnung war. Abgelenkt durch die eigenen Gedanken, hatten sie sich verpasst. Und beide würden sich später dessen nie bewusst werden. Wer weiß, wie oft das schon geschehen sein mag? Sicherlich mehr als einmal, denn beide wohnten, ohne es zu ahnen, nicht weit voneinander entfernt. Irgendwann musste es daher zwangsläufig zu einem bewussten Zusammentreffen kommen. Es war nur eine Frage der Zeit. Aber warum mussten sage und schreibe 24 Jahre vergehen, ohne dass sie je etwas voneinander gehört und gesehen hatten? Diese Frage würde vor allem Felix bald schwer beschäftigen.

Schon gegen drei Uhr Nachmittag war Felix wieder zurück in Berlin. Es war Mittwoch, und er hatte noch einiges zu erledigen. Heute, wie auch die nächsten Tage, würde er damit zu tun haben, für die Beendigung seines Jobs Klarschiff zu machen. Er konnte ja nicht einfach seine Bürotür schließen und das Telefon abstellen. Er musste dafür sorgen, dass seine langjährigen Kunden von jemand anderem verlässlich beraten werden würden. Deshalb und aus zahlreichen anderen Gründen gab es noch reichlich Papierkram zu erledigen.

Gegen sechs traf er sich dann mit Christian, einem Freund, der in derselben Straße ein paar Häuser weiter irgendwo im grünen Norden Berlins wohnte. Es war warm und nahezu windstill. Damit herrschten perfekte Bedingungen für ihre mindestens einmal pro Woche anberaumte Tour mit ihren Stand Up Paddle Boards. Wie immer trafen sie sich auf einem Parkplatz am See, auf dem um diese Uhrzeit im Sommer meist Hochbetrieb herrschte. Nur am Wochenende war es noch voller. Da kamen zu den Ruderern, Seglern, Paddelbooten, Ausflugsschiffen und Stand Up Paddle Fahrern noch die vielen kleinen Jachten hinzu, die durch die Gegend tuckerten. Das machte dann nicht mehr so viel Spaß, weil man mit seinem schmalen Board ständig von der Seite die Bugwellen der anderen Boote abbekam, die einen oft kräftig ins Schaukeln brachten.

Alle, die an das Wasser oder auf das Wasser wollten, einte derselbe Wunsch: Jeder wollte seine Akkus aufladen, Kraft schöpfen und Ruhe finden. Felix erging es nicht anders. So oft er konnte, wollte er hierher. Vom Frühling mit seinen ersten Knospen bis hin zum späten Herbst, wenn das goldene Laub der Bäume das Ufer bedeckte: Die magische Anziehungskraft des Wasser gewann immer.

Heute, an dem Tag vor seiner schicksalhaften Begegnung, ließen es Felix und Christian ruhig angehen. Sie hatten keine bestimmte Strecke geplant, die sie unbedingt schaffen wollten. Sie schipperten ein wenig umher. Als sie beide merkten, dass es doch noch ganz schön heiß auf dem Wasser unter der glühenden Augustsonne war, und sie sich müde fühlten, machten sie im Schatten der Bäume am Ufer eine Pause, setzen sich bequem auf ihre Bretter und ließen die Füße im kühlen Wasser baumeln. Oft nutzten sie die kleinen Touren dazu, miteinander zu reden.

Wie nicht anders zu erwarten war, drehten sich ihre Themen um Sachen, die Männer in ihrem Alter interessierten (außer Fußball, das war für Felix ungefähr so spannend wie einem Pilz beim Wachsen zuzusehen). Sie konnten stundenlang über die neuesten Verführungen der Autoindustrie schwadronieren, Trauerreden auf den aussterbenden V8-Motor halten oder über die nachlassende Qualität der Actionszenen beim letzten Kinobesuch sinnieren. Selten, aber auffallend immer öfter sprachen sie auch mal über Privates. Wobei das eher eine einseitige Angelegenheit war. Christian war derjenige, der oft etwas loswerden musste. Felix hatte sich schon früh angewöhnt, das meiste, das ihn bedrückte, in sich hineinzufressen und sich niemandem anzuvertrauen. Darin war er geübt. Und er war sich dessen auch bewusst. Auch wusste er um den zermürbenden Effekt, dem dieses Verhalten innewohnte, dem er aber mehr als zwanzig Jahre lang standgehalten hatte. Weil er auch heute noch glaubte, es im Griff zu haben. Dass dies eine Fehleinschätzung war, würden ihm die nächsten Wochen vor Augen führen.

Zum Glück hatte er aber gerade keine Sorgen, ganz im Gegenteil. Er fühlte sich gelöst. Seine Bedenken, der Hauskauf könnte ein dummer (und teurer) Fehler gewesen sein, waren an diesem sonnigen Tag wie weggewischt.

Anders dagegen erging es Christian. Er war mit Anfang 50 älter als Felix. Und er hatte ein Problem. Er war einsam. Und das schon seit Felix ihn vor zwölf Jahren kennengelernt hatte. Immer wieder suchte er Rat bei Felix, was ihn stets verblüffte, hatte er doch im Gegensatz zu Christian nie in seinem Leben eine ernsthafte Beziehung angestrebt.

Wenn Christian also über seine Einsamkeit reden wollte, dann sagte er nicht: »Ich muss mal über meine Gefühle sprechen.« Nein, die meisten Männer würden ums Verrecken einen solchen Satz nicht zueinander sagen. Er sagte stattdessen so etwas wie : »Also, Autos beschäftigen mich gerade nicht so.« Das hieß übersetzt: »Ich bin einsam.«

Diese Art der Kommunikation war furchtbar ausweichend und zugleich doch wunderbar effektiv, da beide wussten, was der jeweils andere gerade meinte. Felix war angesichts Christians wiederholt gescheiterter Versuche, eine Frau fürs Leben zu finden, auch ein wenig ratlos. Sein Freund verdiente gutes Geld, hatte einen festen Job, eine schöne Wohnung am Stadtrand in bester Lage, ein großes Auto, er war sportlich und er war ein sympathischer Typ. Dafür hatte er Makel, die – und da machte Christian sich nichts vor – offensichtlich waren: Er war zu klein und er hatte kaum noch Haare. Immer wieder behauptete er, Signale bekommen zu haben, dass allen voran die fehlenden Haare für Frauen unattraktiv seien. Felix stimmte dem nicht zu, denn er kannte einige Paare, bei denen der Mann kahlköpfig war. Lag es dann an seiner Körpergröße? Beide waren sich einig, dass weder das eine noch das andere ein Hemmnis sein sollte. Aber irgendwie war es das bei einem ersten Date vielleicht doch. Vielleicht taten sie aber damit auch den Frauen Unrecht. Felix konnte ja nicht bei Christians Dates dabei sein und sich über sein Auftreten und sein Betragen eine Meinung bilden. Und Ferndiagnosen konnte er auch nicht stellen, zumal er dazu mit Sicherheit alles andere als qualifiziert war.

Felix selbst hatte stets, wenn es drohte mal ernst zu werden, rechtzeitig einen Rückzieher gemacht. Und zwar spätestens dann, bevor es ihm zu nahe ging oder peinlich werden konnte. Aber anders als Christian hatte Felix weniger Probleme, die Aufmerksamkeit einer Frau auf sich zu ziehen, und das war schon immer so, nur hatte er nie daraus einen Vorteil ziehen wollen. Er konnte sich gut in andere Menschen hineinfühlen und hatte kaum Mühe, auch mit schwierigen Zeitgenossen, egal ob Mann oder Frau, zurechtzukommen. Aber was genau es war, das manche Frauen in Felix sahen, hatte er nie verstanden. Weil er nämlich nie bereit gewesen war, denjenigen in sich zu sehen, der er wirklich war. Auch diese Einstellung würde schon bald auf eine harte Probe gestellt werden.

Wie immer, wenn Christian auf seine ganz spezielle Art sein Herz ausschütten musste, blieb Felix am Ende nichts anderes übrig, als seinem Freund Mut zuzusprechen und ihm zu versichern, dass da draußen irgendwo die eine Frau sein würde, nach der er gesucht hatte. Er dürfte nur nicht aufgeben und sollte mit offenen Augen durch die Welt gehen. Eine Plattitüde? Möglich, aber was sollte er ihm denn sonst sagen? Felix wusste es doch auch nicht besser. Das war aber auch gar nicht so wichtig. Wichtig war, dass Felix zugehört hatte.

»Also, wollen wir wieder?«, fragte Christian, während er sich wieder erhob und sein Paddel ins Wasser stach. Das hieß übersetzt: »Danke, dass du zugehört hast.«

»Ja, wird Zeit«, meinte Felix, schaute konzentriert auf seine Armbanduhr und stellte sich auch wieder auf sein Board hin. Übersetzung: »Gern geschehen.«

Gegen Abend kehrte Stille auf dem See ein, obwohl zu dieser Zeit am meisten los war. Es schien, als hätten die Leute gegen Ende des Tages die Entspannung gefunden, nach der sie hier gesucht hatten. Der Wind hatte nachgelassen und ließ das Wasser weitgehend unbewegt ruhen. Diesen Moment fand Felix immer am schönsten, weil er im Sommer so selten war.

»Du wirst also bald nach Spanien fliegen?«, fragte Christian wie beiläufig mit geradeaus gerichtetem Blick. Dahinter steckte selbstredend auch etwas ganz anderes: Es war ein Bedauern, dass sie bald nicht mehr gemeinsam auf dem Wasser fahren konnten und dass er nicht mehr über seine Probleme würde sprechen können. Und zu guter Letzt: die Befürchtung, Felix könnte Berlin vollends den Rücken kehren. Letzteres hatte er aber nicht vor.

»Ja, demnächst werde ich verschwinden, denke ich. Ich bleibe allerdings nur für ein paar Wochen, maximal zwei Monate oder so. Am Haus muss einiges gemacht werden, und darum möchte ich mich kümmern. Außerdem will ich mal sehen, ob ich mich da ein wenig einleben kann.«

»Einleben. Wie meinst du das? Das war die größte Investition deines Lebens! Du kannst das Haus nicht einfach so zurückgeben, wenn du dich dort unwohl fühlst. Na ja, du kannst schon. Aber dann wirst du wahrscheinlich dafür bluten müssen. Die Immobilienpreise waren sehr hoch, und fallen jetzt eher.«

»Ich weiß, ich weiß. So habe ich das auch nicht gemeint. Es geht ja nur darum, wie oft oder wie lange ich dort Zeit verbringen möchte. Sehr wahrscheinlich werde ich es als Ferienhaus vermieten. Ich weiß nur noch nicht, wann.« Ja, ja. Das war jetzt wohl neuerdings Felix’ Lieblingsausrede, wenn ihn das Gefühl beschlich, mit dem Kauf daneben gelegen zu haben. Ursprünglich hatte er nie auch nur in Erwägung gezogen, das Haus zu vermieten, weil er es für sich haben wollte.

»Ach so. Ich meine ja nur. Wenn du da nur alleine rumhängst, könntest du einen falschen Eindruck bekommen. Deshalb solltest du dir auch Freunde ins Haus holen und ein bisschen Leben in die Bude bringen.« Aha. Das war jetzt wohl die Bewerbung für einen künftigen Besuch von Christian.

»Das werde ich schon tun«, lächelte Felix bemüht. »Du wirst natürlich auch eingeladen, wenn du mal Zeit hast.

---ENDE DER LESEPROBE---