2850 Kilometer - Miriam Faßbender - E-Book

2850 Kilometer E-Book

Miriam Faßbender

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  • Herausgeber: Westend
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Fremd unter Flüchtlingen Gefangen in der Warteschleife vor Europa - das ist das Schicksal tausender junger Afrikaner, die sich jedes Jahr auf den Weg ins scheinbar "gelobte Land" machen, getrieben von der Not und der Illusion nach einem besseren Leben. Miriam Faßbender hat zwei junge Männer auf diesem Weg begleitet, erzählt sehr persönliche Geschichten und gewährt Einblick in den zermürbenden Alltag von Migranten auf dem gefährlichen Weg nach Europa. Miriam Faßbender hat ein Privileg: Sie kann sich jederzeit in ein Flugzeug setzen und Not und Entbehrungen in der Peripherie Afrikas hinter sich lassen. Zigtausende Afrikaner haben diese Wahl nicht. Miriam Faßbender hat zwei junge Afrikaner über Monate auf ihrem Weg von Westafrika nach Europa begleitet - der eine ist seit drei Jahren unterwegs, der andere hat seine vierte Abschiebung hinter sich. Sie befragt Flüchtlinge zu ihrem Leben, das geprägt ist von Entbehrungen und Hoffnung, Flucht und Stillstand; sie berichtet vom Leben auf der Flucht und vom Überleben in der Fremde und in sogenannten Auffanglagern. Und sie erzählt von ihren Erfahrungen als Europäerin unter afrikanischen Flüchtlingen, als Privilegierte unter Menschen, die ihre Freiheiten nicht haben - Erfahrungen, die so persönlich wie erschreckend, so anrührend wie brenzlig, so mutmachend wie niederschmetternd sind.

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Seitenzahl: 410

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WESTEND

Ebook Edition

Miriam Faßbender

2850KILOMETER

Mohamed, Jerry und ichunterwegs in Afrika

Tagebuch einer Flucht

WESTEND

Alle Fotos sind dem Film »Fremd« entnommene Filmstills, die Rechte liegen bei Miriam Faßbender und Max Milhahn.

Die Namen und Lebensgeschichten in diesem Buch wurden aus Personenschutzgründen teilweise geändert. Übereinstimmende Details und Ähnlichkeiten in den Lebensläufen zu realen Personen und Namen(sgebungen) sind reiner Zufall.

Mehr über unsere Autoren und Bücher:www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-551-7© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2014Satz: Publikations Atelier, DreieichDruck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, LeckPrinted in Germany

Inhalt

Einleitung

Mali – das Tor zur Wüste

Bamako – viele junge Menschen, wenig Perspektiven • Erste Bekanntschaften in Gao • Gaos Busbahnhof, Drehscheibe für Reisende und Geflüchtete • Erfolgloses Treffen am Ufer des Niger • Mohamed – einmal aufgebrochen, einmal abgeschoben, zum zweiten Mal unterwegs nach Europa • Das Leben in der Fremde • Ankunft und Festnahme auf Fuerteventura • Direktflug Fuerteventura-Bamako – Mohameds Abschiebung aus Europa • Daheim in Markala – die Familie und die Last der Erwartungen • Wieder in Gao, zum zweiten Mal unterwegs • Hope – einmal abgeschoben, einmal zurückgeschoben, zum dritten Mal auf dem Weg nach Europa • Mein zweiter Monat in Gao • Im Exil

Algerien – zwischen Arbeit und Abschiebung

Zurück in Berlin und der Ärger mit der Botschaft • Endlich geht es los • Ein Willkommensessen in Algier • Warten auf Mohamed • »Miriam, ich bin in Algerien, ruf mich baldmöglichst an!« • Aufbruch in den Süden nach Adrar • Zweiter Anlauf Richtung Süden • Endlich in Adrar • Auf Umwegen zu Mohamed • Zu Hause bei Abenteurern • Schicksale und Geschichten • Alltagskampf ums Überleben • »Es brennt in Algerien!« • Unterwegs an die marokkanische Grenze • Algerische Gastfreundschaft, zumindest für Europäer • Das Ghetto im Garten • Afrika in Miniatur mitten im Niemandsland • Brennende Ghettos • Dreizehn Kilometer weiter westlich im Grenzgebiet • Vor dem Tribunal • Zum Opferfest auf der Polizeiwache

Marokko – in der Warteschleife vor Europa

Zurück im Maghreb • Polizeirazzia und Automafiacafé • Jerry, der zweite Protagonist • »Businessmen« • Wiedersehen mit Mohamed • »Ohne Geld brauche ich nicht nach Hause zurückzukehren« • »Europa ist nicht das Paradies« • Jerrys Weg durch Afrika • Die modernen Verdammten dieser Erde • Oujda, die marokkanische Grenzstadt • Ein Anruf mit Folgen • Die Fundgrube von Nador • Warten auf dem Gourougou mit Blick auf Europa • Das Ziel in Sichtweite • »Fuck up« • Das Tribunal im Bambushain • Beng

2014

Dank

Karte

Einleitung

Im Oktober 2005, als ich für ein Projekt in Marokko war, hatte ich ein Schlüsselerlebnis. Viele Hundert Migranten, die damals teilweise schon jahrelang in Marokko festhingen und dort vor allem aufgrund der europäischen Politik drangsaliert wurden, wagten organisierte Anstürme auf die Grenzzäune der spanischen Enklaven Melilla und Ceuta. Sechzehn Menschen kamen damals ums Leben, als der marokkanische Grenzschutz und die spanische Guardia Civil auf sie schossen. Ich fasste den Entschluss, einen Dokumentarfilm über Geflüchtete zu machen, die den Weg nach Europa suchen. Der Film »Fremd« ist über fünf Jahre hinweg entstanden, in denen ich mit Migranten und Geflüchteten in Mali, Algerien und Marokko an den Orten ihres Festhängens, ihres teilweise jahrelangen Zirkulierens vor Europa, gedreht habe.

Neun Jahre später, im Februar 2014, hat sich das Drama von 2005 wiederholt. An derselben Stelle. Wieder mussten Menschen sterben beim Versuch, auf unserem Kontinent Schutz zu suchen. Diesmal sind jene, die auf sie geschossen haben, Beamte von Frontex, der europäischen »Grenzschutzagentur«, die mit Rückendeckung der EU handelt.

Heute sitze ich in Berlin, und was seit meinem Schlüsselerlebnis 2005 in Ceuta und Melilla, aber auch an anderen Stellen rund um unsere Außengrenzen passiert ist, ist bekannt und brauche ich nicht aufzuzählen. Zur Erinnerung einzig ein paar Ereignisse der letzten Monate: Im Oktober 2013 gab es in zwei aufeinanderfolgenden Wochen über 500 tote »Boatpeople« vor Lampedusa, denen von europäischer Seite Hilfeleistung in Form von Seenotrettung verwehrt wurde; und illegale Push-Back-Operationen in der Ägäis, denen vor allem Syrer zum Opfer gefallen sind. Ganz zu schweigen von den Mauern und Zäunen, die Europa in den vergangenen Jahren an seinen Grenzen erhöht, verlängert und errichtet (hat); den Rücknahmeabkommen, die es mit autoritären Diktatoren schließt; den Kriegen, die es unter dem Vorwand der »Terrorismusbekämpfung« meint legitimieren zu können, die aber in erster Linie Rohstoffinteressen zum Hintergrund haben und Menschen zwingen zu fliehen. Diesen Menschen, seien sie nun aus der Zentralafrikanischen Republik, aus Mali, Syrien oder Libyen, werden dabei nicht einmal legale Möglichkeiten gewährt, auf unserem Kontinent Schutz zu suchen.

Dieses Buch ist eine Art Making-of, eine Art Chronik des Films. Es ist eine Mischung aus Zeitdokument, Sachbuch und Reisebericht, in dem ich meine Erlebnisse schildere. Chronologisch und aufgeteilt nach Ländern, durch die meine Protagonisten Mohamed und Jerry gezwungen waren zu fliehen, gebe ich ihnen (und den vielen anderen Geflüchteten) den Raum zu erzählen: Was sie bewogen hat zu fliehen, wie sie unterwegs leben und was sie sich von ihrer Zukunft erwarten.

Dazu habe ich mir die Perspektive von »Critical Whiteness« zunutze gemacht und versuche zu beschreiben, wie es mir selbst erging an diesen Orten, an denen die Geflüchteten teilweise jahrelang feststecken, an denen sie durch unsere Politik der zunehmenden Militarisierung und Exterritorialisierung der europäischen Außengrenzen und deren Auswirkungen all ihrer Rechte und Privilegien beraubt werden. Ich erzähle, was an den Orten und in den Momenten ihres Verharren-Müssens passiert, und ich versuche, meine eigene privilegierte Position in Relation zu jener der Geflüchteten zu setzen.

Was schon einer der Gründe für meinen Film war, bleibt eines meiner Hauptanliegen für das vorliegende Buch: Es gibt sie nicht, die eine Geschichte der vielen Geflüchteten, die versuchen, es nach Europa zu schaffen. Das widerlegen rational allein schon die Zahlen: Von 20 000 Geflüchteten hat nur ein Bruchteil den europäischen Kontinent zum Ziel. Zwei Drittel bleiben Binnenflüchtlinge. Ich möchte daher mindestens eine weitere Geschichte hinzufügen. Zum Glück ist die mediale Resonanz in den vergangenen Jahren etwas differenzierter geworden. Vor allem dank der »Refugee-Proteste« und der zunehmenden und lauter werdenden Stimmen der »People of Colour« gibt es vielschichtigere Erkenntnisse und eine andere Wahrnehmung über Europas Verrat an seinen eigenen Werten.

Dennoch wird der Bogen zu den existierenden Machtverhältnissen viel zu selten gespannt. Obwohl Geschichten so definiert werden: Wie und wann sie erzählt werden, wer sie erzählt, vor allem aber wie viele Geschichten erzählt werden, hängt von Macht ab. Deshalb habe ich gezögert, das Angebot des Westend Verlags anzunehmen und über meine Erfahrungen ein Buch zu schreiben. Eine weitere Geschichte einer weißen Europäerin, mit den fragwürdigen Privilegien ausgestattet, im Zusammenleben mit den Geflüchteten, aber immer mit der Gewissheit, bestimmte Situationen in absehbarer Zeit mit dem Flugzeug, dank des Passes oder einer Geldzahlung wieder verlassen zu können? Warum eine Geschichte von mir, wo es mittlerweile vor allem die Geflüchteten selbst sind, die ihre Geschichte am eindrucksvollsten erzählen und damit endlich ein Gleichgewicht der Geschichten zu schaffen vermögen?! Immer noch wird ihnen viel zu wenig zugehört, werden sie viel zu einseitig wahrgenommen, und immer noch ist es mir ein Anliegen, ihnen den Raum zu geben, ihnen zuhören zu können und uns vor Augen zu führen, dass sie uns ähnlicher sind, als wir denken. Dass wir mehr Gemeinsamkeiten teilen, als wir Unterschiede haben, die uns trennen. Dass ihre Lebensvorstellungen den unsrigen gar nicht so fern sind.

Es ist notwendig zu realisieren, dass unsere Erfahrungen, Privilegien und Denkstrukturen eurozentrisch (und weiß) sind. Die Betrachtungen aus unserer Perspektive sind nur eine der vielen bestehenden Sichtweisen und sind nicht universell. Deswegen ist es umso wichtiger, ihnen zuzuhören, auch in ihrem Schweigen. Deswegen dieses Buch.

Ich bin keine Fürsprecherin der Geflüchteten, sondern habe meine eigene Motivation, mich gegen die vorhandenen Verhältnisse zu wehren. Schmerzlich sah ich mich während der Dreh- und der Schreibphasen immer wieder damit konfrontiert, dass ich selbst Nutznießerin der vorherrschenden Machtverhältnisse bin. Das ist schwer zu ertragen.

Was Mohamed, Jerry und all die anderen Menschen aus diesem Buch brauchen, ist eine europäische Asylpolitik, die sie ernst nimmt. Die ihnen den Schutzraum bietet, der ihnen als Hilfesuchenden, auch aus Gründen der Armut, gebührt.

Wir sollten uns immer wieder diese hypothetischen Fragen stellen: Was wäre passiert, wenn die Europäer in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts in umgekehrter Richtung nicht die Möglichkeit gehabt hätten, nach Nordafrika ins Exil flüchten zu dürfen? Wenn die Deutschen Ende des 18. Jahrhunderts nicht die Freiheit gehabt hätten, nach Amerika auszuwandern, um ihrer Armut zu entkommen? Und sind die Wünsche der afrikanischen Geflüchteten jenen der ostdeutschen vor dem Mauerfall nicht vertraut?

Nehmen Sie sich die Zeit und hören Sie den Stimmen dieses Buches zu. Und entscheiden Sie anschließend selbst, ob es sich nicht doch lohnen würde, dafür zu demonstrieren, die Welt nicht noch weiter aus dem Gleichgewicht geraten zu lassen und eine Vielzahl an Lebensgeschichten in Europa zu respektieren. Abschottung ist keine Lösung, zu einer humanistischen Idee gehört das Wohlergehen aller. Auch über unsere Grenzen hinaus.

Für Jerry R. Salomon

Mali – das Tor zur Wüste

Im Air-France-Flug von Paris nach Bamako hätten die Dreharbeiten eigentlich direkt beginnen können. Die Maschine ist schon abflugbereit, da kommen noch vier französische Polizisten und zwei europäische Grenzschutzbeamte an Bord. Zwischen ihnen ein Mann mit afrikanischen Wurzeln. Als sie an mir vorbeilaufen, fällt mir die Handschelle auf, die dessen Handgelenk mit dem hinter ihm laufenden Zivilbeamten verbindet. Ich traue meinen Augen nicht. Ein Abschiebeflug in der bis auf den letzten Platz belegten Maschine? Vor aller Augen? Und alle schweigen. Die Gruppe entfernt sich bis in die vorletzte Sitzreihe. Dort wird der Mann auf den Mittelsitz gelotst. Zwei der Polizisten nehmen links und rechts von ihm Platz.

Ich packe meine Kamera aus und beginne zwischen den Sitzreihen hindurch zu filmen. Kons, unserem Tonmann, ist es unangenehm. Unsere Sitznachbarn beginnen zu raunen und sich umzudrehen. Unvermittelt schreit der Abgeschobene auf einmal laut um Hilfe. Hat er als Einziger die Kamera wahrgenommen, seine Chance erkannt, sie als Waffe gegen die systematische Ungerechtigkeit zu nutzen? Nein, denn plötzlich stürmt einer der Polizisten auf mich zu, greift grob an das Objektiv und befiehlt mir, die Kamera umgehend auszuschalten. »Geben Sie mir sofort das Band«, herrscht er mich an. Sonst müsse ich das Flugzeug auf der Stelle mit ihnen verlassen. Ich bin perplex und gebe ihm zu verstehen, dass die Kamera noch gar nicht gelaufen sei. Er glaubt mir nicht und macht mir klar: Entweder gebe ich ihm sofort die Kassette oder er konfisziert sie mitsamt der Kamera und wirft mich aus dem Flugzeug, da ich einen Polizeieinsatz störe. Um Zeit zu gewinnen, frage ich ihn, warum der Grenzschutz sich an Abschiebungen beteiligen würde? Sei der Pilot mit der Abschiebung an Bord einverstanden? Widerwillig gebe ich ihm dann doch das Band, in der Angst, sonst das bevorstehende Projekt zu gefährden. Das Flugzeug hebt ab.

Als ich Stunden nach dem Abflug die hintere Toilette an Bord aufsuche, um nach dem auf einmal erstaunlich ruhigen Abgeschobenen zu schauen, verharrt dieser mit apathischem Blick in sich zusammengesackt auf seinem Platz. Die Handschellen sind an seinem Sitz befestigt. Sicherlich wurde er mit einem Beruhigungsmittel in diesen Zustand versetzt.

Das Schweigen der Reisenden in den Nachbarreihen beschäftigt mich bis heute genauso wie die Frage, was passiert wäre, wenn ich mich geweigert hätte, ihnen die Kassette zu geben. Ich habe mich im Nachhinein oft über dieses egoistische Verhalten von mir geärgert. Wäre es nicht bei dem Vorhaben, einen Film über transkontinental Flüchtende zu drehen, das Mindeste gewesen, einem von ihnen durch couragiertes Verhalten die Abschiebung zu ersparen? Mich lautstark dafür einzusetzen, diese Abschiebung zu verhindern? Mich nicht einschüchtern zu lassen von dem Verhalten der Polizei?

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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