3 St. Pauli Krimis - Feronia Petri - E-Book
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3 St. Pauli Krimis E-Book

Feronia Petri

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Der Inhalt dieses E-Books entspricht ca. 450 Taschenbuchseiten. Die Romane enthalten explizite Darstellungen von Sex und Gewalt. Daher sind sie nur für Leser ab 18 Jahren geeignet. Rot-Licht-Tot Als Christian in einem Stundenhotel auf St. Pauli neben einem toten Transvestiten aufwacht, hat sich sein harmloser Musical-Trip nach Hamburg in einen Alptraum verwandelt. Er steht unter Mordanklage, hat kein Alibi, seine Frau ist spurlos verschwunden. Und wer ist die geheimnisvolle Killerin, vor der die halbe Stadt zittert? Was für eine Rolle spielt der brandgefährliche Psychopath Keder? Nachtherrin Die sexy Killerin Angstfrau ist aus Hamburg verschwunden, um in der holländischen Hauptstadt wieder aufzutauchen. Sie hat mit der Nachtherrin noch eine Rechnung offen. Und dann gibt es auch noch einen Serienmörder, der in ihrem Leben eine große Rolle spielt. An den Grachten geht es blutig, aber auch sehr heiß zu ... Eisenbraut Jasmin muss tagtäglich kämpfen, um hinter Gittern zu überleben. Sie kann ihrer dunklen Vergangenheit nicht entfliehen. Christian muss feststellen, dass die Dinge ganz anders sind, als er es glaubte. Wird seine Liebe zu Jasmin bestehen können? Und auch der durchgedrehte Psychopath Keder ist immer noch im Spiel. Er verfolgt ganz andere Pläne, die Jasmin erst viel zu spät durchschaut ...

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Feronia Petri

3 St. Pauli Krimis

Rot-Licht-Tot, Nachtherrin, Eisenbraut

Elaria81371 München

Rot-Licht-Tot

Inhalt:

Als Christian in einem Stundenhotel auf St. Pauli neben einem toten Transvestiten aufwacht, hat sich sein harmloser Musical-Trip nach Hamburg in einen Alptraum verwandelt.

Er steht unter Mordanklage, hat kein Alibi, seine Frau ist spurlos verschwunden. Und wer ist die geheimnisvolle Killerin, vor der die halbe Stadt zittert? Was für eine Rolle spielt der brandgefährliche Psychopath Keder?

 

 

Erstes Kapitel

Christians Finger tasteten über eiskalte Haut.

Im ersten Moment glaubte er, Jasmin würde frieren. Vielleicht hatte seine Frau ja im Schlaf die Decke abgestreift? Denn Christian lag im Bett, daran gab es keinen Zweifel. Das spürte er, ohne die Augen öffnen zu müssen. Die Matratze unter ihm fühlte sich butterweich und durchgelegen an. Dafür waren Christians Nackenmuskeln steinhart. Außerdem wurde ihm schwindlig, sobald er den Kopf drehte. Und seine Zunge kam ihm wie ein Stück alter Putzwolle vor.

Christian musste am Vorabend wirklich gewaltig abgestürzt sein. Ihm war übel, doch die Besorgnis um Jasmin gewann die Oberhand. Seine Frau würde sich noch erkälten, wenn er sie nicht wieder zudeckte.

Christian drehte sich voller Kraftanstrengung auf die andere Seite. Er fand den Schalter der Nachttischlampe, legte ihn um. Licht flackerte auf, und Christian öffnete vorsichtig seine Augenlider.

Im nächsten Moment schrie er vor Entsetzen.

Neben ihm im Bett lag nämlich nicht Jasmin, sondern ein toter Transvestit.

Der Leichnam war kalkweiß und vermutlich vollständig ausgeblutet. Dafür sprachen zumindest die riesigen roten Flecken auf der Haut, dem Bettlaken und dem ausgetretenen Teppichboden. Auch Christians eigener Körper war mit bereits getrocknetem Blut besudelt.

Sein Herz begann zu rasen, weit riss er seine Augen auf. Nur für Sekunden hatte Christian angenommen, der Tote neben ihm sei eine Frau. Gewiss, der erstarrte Körper verfügte über große Brüste. Doch auch der Penis dieser Leiche, der von Größe und Form her an ein Cocktailwürstchen erinnerte, konnte nicht übersehen werden. Und schließlich musste Christian auch noch angewidert feststellen, dass irgendein Satan in Menschengestalt den aufgespritzten Kussmund des Transvestiten zugenäht hatte. Die weit aufgerissenen toten Augen des Mordopfers starrten die rissige Zimmerdecke an.

Christian hielt es nicht mehr im Bett. Sein Magen rebellierte, er sprang auf, wollte ins Bad rennen.

Christian riss die Tür auf, doch in seiner Panik hatte er die falsche erwischt. Er stand nun nicht in der Nasszelle, sondern auf dem Hotelkorridor. Dort waren zwei junge Frauen mit Rollbags offenbar auf dem Weg zu ihrem Zimmer. Sie schrien erschrocken auf, als sie den nackten blutverschmierten Mann sahen.

Christian machte kehrte und eilte auf wackligen Beinen ins Zimmer zurück. Sein Mageninhalt wollte sich nun wirklich dringend von ihm verabschieden. Diesmal fand er das Bad, und gleich darauf kotzte er in die Toilettenschüssel. Danach ging es ihm zwar nicht gut, aber zumindest konnte er wieder halbwegs klar denken.

Was war während der Nacht geschehen?

Diese Frage konnte Christian sich selbst unmöglich beantworten. Jasmin und er waren in einer Vorstellung von "König der Löwen" gewesen. Sie hatten sich die Musicalreise nach Hamburg gegönnt, um ihren ersten Hochzeitstag zu begehen.

Wo war Christians Frau? Und wer hatte den Transvestiten erstochen?

Diese beiden Fragen trieben Christian um. Er kam aus seiner kauernden Position vor der Kloschüssel hoch und drehte den Wasserhahn auf. Die kalte Flüssigkeit war auf seiner heißen Gesichtshaut ein Labsal. Christian frottierte sich trocken, dann riskierte er einen Blick in den Spiegel.

Eine üble Visage starrte ihm entgegen.

Eigentlich sah Christian gut aus, was ihm auch von vielen Kundinnen mehr oder weniger direkt bestätigt wurde. Er arbeitete im Außendienst einer Versicherung, und sein natürlicher Charme verhalf ihm zu so manchem Abschluss. Er war 35 Jahre alt, schlank und dunkelhaarig. Christian hielt sich mit Joggen und Tennis fit.

Davon war momentan allerdings nichts mehr zu bemerken. Sein grauer Teint erinnerte Christian an Bilder von Crackrauchern, die er einmal im TV gesehen hatte. Die Augen waren blutunterlaufen, die Lippen bleich und rissig.

Crack?

Christian nahm keine Drogen, trank höchstens mal mit seinen Freunden ein paar Biere zu viel. Deshalb war ihm auch sein momentaner Zustand so unheimlich. Waren Jasmin und er vielleicht in schlechte Gesellschaft geraten, nachdem sie ...?

Christian konnte den Gedanken nicht zu Ende führen, denn in diesem Moment wurde die Zimmertür eingetreten.

"Polizei! Auf den Boden!"

Laute Rufe ertönten, Christian hörte das Klirren von Waffen und das Getrampel schwerer Stiefel. Die Badtür wurde aufgestoßen, und Christian erblickte mehrere maskierte Gestalten mit Helmen auf den Köpfen und Maschinenpistolen in den Fäusten. Sie rissen ihn zu Boden und legten ihm mit beachtlicher Geschwindigkeit Handschellen an.

Christian war zum letzten Mal während seiner Schulzeit in Hamburg gewesen. Meistens fuhr er vom heimatlichen Lingen aus lieber nach Berlin, wenn er Metropolenluft schnuppern wollte. Christian war Hauptstadt-Fan, er liebte das Flair der größten deutschen Stadt.

Doch diesmal hatte Jasmin sich den Musicalbesuch gewünscht, und deshalb war ihr Ziel die Hansestadt an der Elbe gewesen. Christian hatte bei dem Wochenendtrip noch einen Bummel über den Jungfernstieg und einen Zoobesuch in Hagenbecks Tierpark vorgeplant. Eine Begegnung mit dem Mobilen Einsatzkommando der Hamburger Polizei war nicht vorgesehen gewesen.

Immerhin musste Christian den Beamten zugestehen, dass sie mit einer beinahe meditativen Professionalität und Selbstsicherheit vorgingen. Obwohl das Hotelzimmer eher an ein Schlachthaus erinnerte und er als eine blutrünstige Bestie erscheinen musste, belehrten sie ihn kühl über seine Rechte als "Beschuldigter in einer Straftat".

Außerdem warfen sie ihm eine Wolldecke über, so dass er den Weg vom Zimmer zum hinter dem Gebäude parkenden Gefangenentransporter nicht splitternackt zurücklegen musste. Die eigentliche Verhaftung hatte Christian wortlos über sich ergehen lassen. Erst jetzt ließ sein Schockzustand allmählich nach.

„Hören Sie, ich habe den Mann nicht umgebracht“, krächzte Christian. Darauf erwiderte keiner der Polizisten etwas, und von ihren Mienen konnte Christian wegen der Gesichtsmasken auch nichts ablesen.

Dafür war die hinter dem Hotel lauernde Medienmeute umso mitteilsamer. Christian musste sich nicht fragen, woher die Pressegeier von seiner Festnahme wussten. Wahrscheinlich hatten Hotelgäste oder Angestellte nicht nur die Polizei, sondern auch TV und Zeitungen informiert. Die Sätze der Sensationsjournalisten trafen Christian wie Fausthiebe.

„Da ist der Transenkiller!“

„Sind Sie ein Schwulenhasser?“

„Sind Sie rechtsradikal?“

Christian hätte dem Mob am liebsten entgegen geschrien, dass er unschuldig war. Aber er fühlte sich immer noch verwirrt, konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Außerdem versuchten die MEK-Beamten, Christians Konfrontation mit den Pressebestien so kurz wie möglich zu halten. Sie drängten die Journaille ab und verfrachteten Christian im Handumdrehen in das vergitterte Transportfahrzeug.

Christian war fast erleichtert, als ein MEK-Maskenmann neben ihm auf der schmalen Bank Platz nahm und ansonsten die Tür von außen zugerammt wurde.

„Wo ist meine Frau?“, brachte Christian hervor. Der Polizist schaute ihn mit einem unergründlichen Blick an. Christian fürchtete schon, auf Granit zu beißen. Aber dann bekam er doch noch eine Antwort. Der MEK-Beamte hatte eine tiefe Stimme und einen breiten Hamburger Akzent.

„Die Mordkommission wird Sie schon bald vernehmen.“

*

Die nächsten Stunden kamen Christian vor wie ein nicht enden wollender Alptraum. Er wurde erkennungsdienstlich behandelt, ließ sich sogar freiwillig eine DNA-Probe abnehmen, um sein Entgegenkommen zu demonstrieren.

„Wo ist meine Frau?“

Diese Frage richtete Christian an mindestens fünf verschiedene Beamte, die sich mit ihm befassten. Eine brauchbare Erwiderung erhielt er nicht. Christian erinnerte sich zum Glück an den Namen des Hotels, in dem Jasmin und er abgestiegen waren. Und er berichtete auch von dem Musical-Besuch am Vorabend. Es kam Christian so vor, als ob seitdem eine halbe Ewigkeit vergangen wäre. Immerhin hatten die Polizisten ihn inzwischen mit einem Jogginganzug und Turnschuhen ausstaffiert, so dass er sich nicht ganz so entblößt vorkam. Sogar unter die Dusche hatte er gedurft - natürlich nicht, ohne dass die Beamten vorher eine Probe des auf seiner Haut getrockneten Blutes von seinem Körper gekratzt und dokumentiert hatten.

Schließlich war die Prozedur überstanden. Christian hatte inzwischen mitbekommen, dass er sich im Polizeipräsidium befand. Man schaffte ihn in einen kahlen Raum, der nur wenige Stühle sowie einen Tisch enthielt. Dort bekam Christian einen Becher Kaffee und ein Brötchen mit Jagdwurst vorgesetzt.

Er aß und trank mit Appetit, obwohl der Kaffee wässrig und das Brötchen staubtrocken war. Christian fühlte sich körperlich wieder halbwegs fit. Zu der erkennunhsdienstlichen Behandlung hatte auch eine ärztliche Untersuchung gehört. Aber da man ihm die Ergebnisse nicht mitgeteilt hatte, wurde er dadurch auch nicht schlauer.

Die Ungewissheit nagte an ihm wie eine Ratte, die sich an seinen Gedärmen gütlich tat. Warum sagte man ihm nicht, was mit Jasmin geschehen war? Hatte jemand Christians Frau umgebracht? Glaubte die Polizei, er hätte etwas damit zu tun? Und was war mit dem toten Transvestiten?

Die Gedanken schwirrten durch Christians Kopf, und je stärker er grübelte, desto mehr verschlechterte sich sein Zustand wieder. Da ging plötzlich die Tür auf. Eine Frau und ein Mann betraten den Raum, beide in Zivil.

Die Polizistin trug Jeans und ein Hoodie. Sie war ungefähr in Christians Alter, hatte eine blonde Kurzhaarfrisur und machte einen burschikosen Eindruck. Wenn Christian nicht vermutet hätte, dass sie eine Kriminalbeamtin war, wäre sie von ihm vielleicht für eine Krankengymnastin oder eine Sportlehrerin gehalten worden.

Ihr Kollege machte hingegen den Eindruck, sich in Uniform eigentlich wohler zu fühlen und nur deshalb widerwillig einen bürgerlichen Anzug zu ragen, weil es seine jetzige Stellung erforderte. Er hatte eine Stirnglatze, und der Blick seiner blassblauen Augen erinnerte Christian an den eines toten Fischs.

„Sie sind Christian Lange aus Nordhorn.“

Diesen Satz sprach die Polizistin aus. Es war schwer einzuschätzen, ob er als Frage oder als Feststellung gemeint war.

„Ja, der bin ich“, gab Christian schnell zurück. Und dann wiederholte er sein Mantra: „Wo ist meine Frau?“

„Eins nach dem anderen“, erwiderte die Blonde munter. Sie schlug ihren mitgebrachten Schnellhefter auf und schaute so bedeutungsschwanger hinein, als ob er den Stein der Weisen enthalten würde. Die beiden Kripoleute hatten am Tisch gegenüber von Christian Platz genommen.

Die Polizistin blickte Christian nun direkt ins Gesicht.

„Ich bin Kriminalhauptkommissarin Rabea Borchert, und das ist mein Kollege Kriminaloberkommissar Sönke Ahlers. Wir sind von der Hamburger Kriminalpolizei und vernehmen Sie als Beschuldigten einer Straftat. Sie müssen zur Sache keine Angaben machen, mit denen Sie sich selbst belasten würden. Wünschen Sie einen Anwalt?“

Christian wurde allmählich ungeduldig. Womöglich war Jasmin verletzt und brauchte Hilfe, während er hier seit einer gefühlten halben Ewigkeit mit diesen Polizei-Prozeduren in Atem gehalten wurde. Entsprechend ungehalten klang seine Erwiderung.

„Anwalt? Ich weiß nicht, ob ich einen brauche. Sagen Sie es mir. Und dann möchte ich erfahren, was mit meiner Frau geschehen ist. Oder können Sie mir das nicht sagen?“

Ahlers verzog sein Pokergesicht um keinen Millimeter, während Rabea Borchert Christian spielerisch mit dem Finger drohte - eine Geste, die ihm unglaublich albern und deplatziert vorkam.

„Nicht aufregen, Herr Lange. Das ist schlecht für die Gesundheit. Und die Ihrige ist ohnehin arg angeschlagen, wenngleich das nicht Ihre Schuld ist. Jedenfalls gehe ich nicht davon aus, dass Sie sich freiwillig GHB einpfiffen haben. Oder?“

„GHB?“, wiederholte Christian verständnislos.

„Das ist die Abkürzung für Gamma-Hydroxybuttersäure, auch als Liquid Ecstasy bekannt. Oder als K.O.-Tropfen. Eine bekannte Vergewaltigungsdroge“, schnarrte Ahlers. „Sie wird oft eingesetzt, um Opfer von Sexualdelikten willenlos zu machen. Eine weitere Wirkung dieser Substanz besteht in einem teilweisen Gedächtnisverlust des Geschädigten. Oder der Geschädigten, denn meistens fallen Frauen dem GHB-Einsatz zum Opfer.“

Vergewaltigungsdroge? Sexualdelikt? Sollte etwa wirklich etwas zwischen ihm und diesem Transvestiten gelaufen sein, bevor der Mann ermordet wurde? Christian merkte, dass bei dieser Vorstellung sein Magen erneut zu rebellieren begann. Rabea Borchert schien zu spüren, was in ihm vorging. Beruhigend redete sie auf ihn ein.

„Es gibt keine Hinweise darauf, dass Sie in den vergangenen 24 Stunden Geschlechtsverkehr hatten, Herr Lange. Weder aktiv noch passiv. Bei der ärztlichen Untersuchung wurden keine Verletzungen im Analbereich festgestellt, wie sie sonst für Vergewaltigungen von Männern typisch sind.“

Ahlers ergänzte: „Und das Bettlaken im Hotel weist auch keine Spermaspuren auf, weder von Ihnen noch von Flaviu Spirescu.“

„Flaviu Spirescu?“

„So heißt der Transvestit, dessen Leiche neben Ihnen im Bett lag, Herr Lange. Spirescu war rumänischer Staatsbürger und polizeilich bekannt, soviel kann ich Ihnen verraten. Allerdings ist uns noch ein Rätsel, weshalb jemand seinen Mund zugenäht hat.“

„Vielleicht mag der Mörder ja keine Blowjobs“, bemerkte Ahlers grinsend. Seine Kollegin warf ihm einen kalten Blick zu.

„Sönke, ich habe dich als einen humorlosen Menschen schätzen gelernt. Vielleicht solltest du es einfach bei dieser Eigenschaft belassen. Oder dir deine Witz-Ausbrüche für den Stammtisch aufheben.“

Daraufhin schwieg Ahlers beleidigt, aber das war Christian egal. Für ihn zählte nur eine andere Schlussfolgerung aus den Informationen.

„Heißt das, ich bin nicht mehr mordverdächtig?“

„Zumindest gibt es gewichtige Gründe, die gegen Sie als Transenkiller sprechen“, meinte die Kriminalistin. „Das Opfer wurde erstochen. Aber als meine Kollegen vom MEK das Hotelzimmer stürmten, konnten sie die Mordwaffe nirgendwo finden. Und der Raum war von innen abgeschlossen. In der Kriminalliteratur nennt man so etwas ein closed room mystery, aber das dürfte für Sie wohl weniger interessant sein.“

Christian atmete tief durch. Er versuchte, die Neuigkeiten zu verarbeiten. Aber das war gar nicht so einfach, denn sein Körper litt immer noch unter den Nachwirkungen der Droge. Oder war es die Ungewissheit über Jasmins Schicksal, die ihn innerlich auffraß? Vielleicht eine Mischung aus beidem.

Rabea Borcherts Stimme unterbrach seine Grübeleien.

„Momentan sieht es für mich so aus, als ob jemand auf stümperhafte Art versucht hat, Ihnen den Mord in die Schuhe zu schieben. Nach dem ersten Zwischenbericht des Pathologen weist Spirescus Körper Abwehrverletzungen auf. Er hat auch DNA-Material unter den Fingernägeln, das vermutlich von seinem Angreifer stammt. Es stimmt nicht mit Ihren Proben überein.“

„Ich bin also unschuldig“, stellte Christian fest. „Und was unternehmen Sie wegen meiner Frau?“

„Ich habe schon im Maxwell Hotel angerufen, das Sie im Rahmen Ihres Musical-Arrangements gebucht hatten“, erklärte die Kriminalistin. „Dort hat allerdings niemand Ihre Gattin gesehen, seit sie gemeinsam mit Ihnen gestern Abend zur Musical-Vorstellung gefahren ist.“

„Dann suchen Sie meine Frau endlich!“, forderte Christian. „Allmählich wird es mir zu bunt. Sie haben ja selbst gesagt, dass man mir den Mord anhängen wollte. Jasmin könnten die schlimmsten Dinge zustoßen, während wir hier stundenlang palavern.“

„Haben Sie Hinweise auf ein Verbrechen, dem Ihre Frau zum Opfer gefallen sein könnte?“, fragte Rabea Borchert. Christian schüttelte mürrisch den Kopf.

„Dank dieser verfluchten Droge erinnere ich mich an gar nichts mehr.“

„Wir sind hier jedenfalls nicht bei der Vermisstenabteilung“, stellte Ahlers trocken fest. „Jemand hat Sie gründlich verarscht, Herr Lange. Und vielleicht war dieser Jemand ja sogar Ihre Frau.“

Christian ging hoch wie eine Rakete. Er war eigentlich nicht sonderlich temperamentvoll, außer beim Fußball. Aber die Bemerkung des Kriminalisten kam ihm einfach unglaublich zynisch und unpassend vor. Er musste seine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um Ahlers keine Kopfnuss zu verpassen. Wenn Christian sich jetzt etwas absolut nicht leisten konnte, dann war es eine Anklage wegen eines Angriffs auf einen Polizeibeamten im Dienst.

Deshalb sprang er nur halb von seinem Stuhl auf, ließ sich dann aber wieder auf die Sitzfläche fallen. Sein Kreislauf rebellierte, ihm wurde schwindlig. Endlich schaffte Christian es, ein paar halbwegs verständliche Sätze hervorzustoßen.

„Glauben Sie ernsthaft, dass meine Frau die Transe umgebracht, ihr den Mund zugenäht und mich dann mit der Leiche alleingelassen hat?“

Ahlers schien nicht zu begreifen, dass die Frage ironisch gemeint war. Er wiegte sinnierend den Kopf.

„Wir erleben hier die unmöglichsten Dinge, das können Sie mir glauben.“

Christian war drauf und dran, Ahlers ein paar üble Beleidigungen an den Kopf zu werfen. Aber Rabea spürte die Anspannung zwischen den Männern. Sie versuchte, zu vermitteln.

„Seien Sie versichert, dass uns das Schicksal Ihrer Frau nicht gleichgültig ist, Herr Lange. Sie kann womöglich eine wichtige Zeugin sein und auf jeden Fall zur Aufklärung der Geschehnisse beitragen. Bitte geben Sie mir so viele Details wie möglich, damit ich eine Personenfahndung veranlassen kann.“

Christian nickte.

„Ich habe ein Foto von Jasmin in meiner Brieftasche. Aber die haben Ihre Kollegen an sich genommen.“

„Ja, für die kriminaltechnische Untersuchung. Dasselbe gilt natürlich für Ihre Kleidung, die wir auf dem Boden neben dem Bett im Red Hot gefunden haben.“

„Red Hot?“

„So heißt das Hotel auf St. Pauli, in dem wir Sie aufgegriffen haben. Es ist eine seltsame Mischung aus Absteige und Billigstherberge für Backpackers. Die Analyse von möglichen Spuren auf Ihrer Kleidung wird noch dauern. Aber zumindest Ihre Brieftasche samt Inhalt werden Sie in absehbarer Zeit zurückbekommen.“

„Aber nicht Ihr Handy“, gab Ahlers seinen Senf dazu. „Wir haben schon einen richterlichen Beschluss beantragt, um Ihre Verbindungsnachweise checken zu dürfen. Für mich sind Sie nämlich noch lange nicht aus dieser Nummer heraus, Freundchen.“

Der Kriminaloberkommissar wurde Christian von Minute zu Minute unsympathischer. Aber wenn er hier jetzt den wilden Mann spielte, konnte er bis zum St. Nimmerleinstag hinter schwedischen Gardinen bleiben. Christian ignorierte Ahlers, so gut es ging. Er konzentrierte sich ganz auf dessen Kollegin.

„Jasmin ist 34 Jahre alt. Sie hat Betriebswirtschaft studiert und arbeitet in Nordhorn als Filialleiterin eines Modehauses. Meine Frau wurde in Kassel geboren, ihre Eltern leben in Wiesbaden. Sie heißen Robert und Monika Ehler.“

Rabea Borchert machte sich Notizen.

„Hat Ihre Frau einen Bezug zu Hamburg? Kennt sie hier Menschen, die sie besuchen könnte? Vielleicht eine Freundin oder Studienkollegin?“

„Oder ein Ex-Freund?“, stichelte Ahlers. Christian biss die Zähne so fest aufeinander, dass sie zu schmerzen begannen. Er fragte sich, ob der Kriminalist ihn einfach nicht mochte oder ob es dieses Good-Cop-Bad-Cop-Spiel wirklich gab.

„Wir hatten vor, uns ‚König der Löwen‘ anzuschauen“, presste Christian hervor. „Und das ist der einzige Grund, weshalb wir in diese Stadt gekommen sind. Jasmin und ich wollten nach der Vorstellung noch etwas trinken gehen. Und ab diesem Zeitpunkt habe ich keine Erinnerung mehr.“

Nach einem Zeitraum, der Christian wie eine halbe Ewigkeit vorkam, erhielt er seine Brieftasche zurück.

„Sie können gehen, ein Haftgrund besteht zurzeit nicht“, erklärte die Kriminalistin. „Dennoch müssen wir Sie bitten, sich zur Verfügung zu halten. Wir benötigen Sie womöglich noch als Zeugen in der Mordsache Spirescu.“

Ein Zeuge, der mit K.O.-Tropfen betäubt wurde? Dachte Christian. Aber er gab keine Silbe von sich. Christian spürte, dass es Ahlers gar nicht recht war, ihn gehen zu lassen. Doch nach einigem Hin und Her geschah es dann doch. Christian musste noch seine Aussage unterschreiben, und plötzlich stand er vor dem Polizeipräsidium. Rabea Borchers hatte ihn nach draußen begleitet.

Sie griff in ihre Umhängetasche.

„Es ist zwar etwas unorthodox, aber ich möchte Ihnen ein kleines Geschenk machen. Eigentlich setze ich mich damit über die Dienstvorschriften hinweg. Aber ich bin guter Hoffnung, dass Sie mich nicht anschwärzen werden. Sie haben jetzt nämlich ganz andere Probleme, Herr Lange.“

Christian blinzelte verblüfft. Die Polizistin gab ihm einen Sudoku-Block sowie einen Kugelschreiber mit einem Reklameaufdruck der Hamburger Polizei. Es dauerte einen Moment, bis er seine Sprache wiederfand.

„Danke, aber – was soll ich damit anfangen?“

„Das Auflösen von Sudokus ist ein sehr gutes Gehirntraining. Es wird Sie möglicherweise dabei unterstützen, sich an die Ereignisse der zurückliegenden Nacht zu erinnern. Hinten im Block habe ich meine private Handynummer notiert. Sie können mich jederzeit anrufen, falls Ihnen noch etwas einfällt. Tag und Nacht, nehmen Sie das bitte wörtlich. Und ich habe mir erlaubt, für Sie ein Taxi zu bestellen, Herr Lange. Ich nehme an, dass Sie zunächst in Ihrem Hotel diesen nicht so kleidsamen Jogginganzug loswerden wollen?“

Rabea Borcherts letzter Satz machte Christian erneut wütend. Hielt sie ihn wirklich für so einen oberflächlichen Menschen?

„Mein Aussehen ist mir scheißegal“, erwiderte er heftig. „Merken Sie denn nicht, dass hier eine ganz große Sauerei im Gange ist?“

Die Polizistin warf ihm einen unergründlichen Blick zu.

Zweites Kapitel

Keders Laune war miserabel, weil er wieder von der Angstfrau geträumt hatte. Eine explosive Mischung aus Furcht und Wut überflutete sein Inneres. Doch er ließ nur das letztere Gefühl nach außen dringen, indem er sich an einem Wehrlosen abreagierte. Keder wandte sich dem einzigen anderen Anwesenden in diesem schalldichten Keller in Hamburg-Wilhelmsburg zu.

Roman konnte nicht zurückschlagen, weil er mit Klebeband an einen Stuhl gefesselt worden war. Nun machte sein Unterkiefer Bekanntschaft mit Keders beringter Faust. Romans Unterlippe platzte wie ein zu heiß gewordenes Würstchen.

Keders Laufbursche biss die Zähne zusammen. Die Stimme seines Bosses war von trügerischer Sanftheit.

„Wo ist die Angstfrau, Roman?“

Keder wusste selbst, dass seine Frage nur rhetorisch zu verstehen war. Hätte Roman nämlich seine Befehle wunschgemäß ausgeführt, dann würde die Angstfrau jetzt mit Kabelbinder gefesselt auf dem staubigen Kellerboden vor ihnen liegen. Und dann wären vermutlich zwei oder drei von Keders weiteren Schergen tot oder zumindest von dieser Furie schwer verletzt worden. Möglicherweise hätte auch Roman selbst zu den Opfern gehört. Aber das war Keder egal, ihn interessierte nur die Angstfrau.

„Boss ... sie war plötzlich verschwunden“, murmelte Roman. Das Sprechen fiel ihm nicht leicht, weil seine Unterlippe anzuschwellen begann. Außerdem hatten sich bereits einige seiner Zähne gelockert. Und Roman wusste, dass dies erst der Vorgeschmack sein würde. Roman war sehr stark. Und er hatte keine Hemmungen, diese Kraft gegen Schwächere einzusetzen.

„Plötzlich verschwunden“, äffte Keder sein Opfer nach. Dann schlug er erneut zu. Roman jaulte wie ein getretener Hund.

„Habt ihr das Handy dieses Miststücks orten können?“

„War abgeschaltet“, stieß Roman hervor. Zack! Erneut spritzte Blut.

„Und ihr Auto? Oder ist sie mit der U-Bahn abgehauen?“

„Sie fuhr zuletzt einen Corolla. Aber sie konnte uns abschütteln.“

„Ihr lasst euch von einem Corolla abhängen? Dafür gibt es eine Extra-Portion.“

Darunter verstand Keder zwei besonders brutale Fausthiebe, die einen stechenden Schmerz durch Romans Schädel schießen ließen. Er hätte gerne das Bewusstsein verloren, aber er wusste genau, dass Keder es nicht zu weit treiben würde. Nicht, solange sein Laufbursche noch mehr Informationen benötigte. Keder war ein Virtuose der Gewalt.

Er schlenderte um sein Opfer herum. Keder hatte Roman genau beobachtet, seit sein Handlanger zur Berichterstattung zu ihm zurückgekehrt war. Keder führte sich vor Augen, dass Roman schon schmerzerfüllt gewirkt hatte, bevor er den ersten Schlag seines Bosses wegstecken musste.

Keder beugte sich zu dem Sitzenden hinab, sodass sich ihre Nasen beinahe berührten. Romans Angstschweiß stieg ihm in die Nase.

„Du hast mir noch nicht alles erzählt, oder?“

„Bitte ...“, winselte Roman. Im Schritt seiner Jeans entstand ein großer dunkler Fleck. Es stank nun auch nach Urin.

„Du verbesserst deine Lage nicht, indem du dich vollpisst“, stellte Keder fest. „Sage mir die Wahrheit, das ist deine einzige Rettung.“

In Romans Augen flackerte das nackte Entsetzen. Sein Kehlkopf hüpfte schnell auf und ab.

„Ich habe die Angstfrau doch getroffen“, flüsterte Roman. „Bevor sie fortgegangen ist.“ Keders Augen waren dunkel wie Kohlenstücke.

„Und?“

Roman zögerte mit der Antwort so lange, bis Keder erneut die Faust ballte. Da öffnete der Gepeinigte dann doch wieder den Mund.

„Meine Füße ...“, brachte er kaum hörbar hervor. Keder warf sich vor seinem Gefangenen auf die Knie, riss Roman die Schuhe und Socken herunter. Schon beim Anblick der Strümpfe bemerkte Keder, dass sie blutverschmiert waren. Kein Wunder, dass Roman schon zuvor so schmerzverzerrt geglotzt hatte. Keder packte die Gelenke und hob Romans Beine so hoch, bis er die Fußsohlen sehen konnte. Jemand hatte vier Worte dort eingeritzt, vermutlich mit einem Rasiermesser.

LASST MICH IN RUHE!

Drittes Kapitel

Christian zog im Hotel seltsame Blicke auf sich. Oder bildete er sich nur ein, dass alle Leute ihn anstarren würden? Die Polizei hatte wegen Jasmin dort schon recherchiert. Ob die Gäste und das Personal in der Lobby glaubte, er selbst hätte etwas mit ihrem Verschwinden zu tun? Aber dann wäre er wohl kaum von den Behörden auf freien Fuß gesetzt worden.

Er ging auf das Zimmer. Zum Glück befand sich die Schlüsselkarte noch in seiner Brieftasche, sonst wäre eine weitere umständliche Erklärung fällig gewesen. Wie hatten Rabea und ihr schwachsinniger Kollege Ahlers nur annehmen können, er wäre in die Ermordung von Spirescu verwickelt gewesen?

Würde ein eiskalter Killer seine eigene Brieftasche auf dem Teppich liegenlassen und sich selbst zu seinem Opfer aufs Bett legen? Christians eigene Erfahrung mit Kriminalität beschränkte sich bisher auf die Lektüre einiger Bestseller-Thriller. Aber zumindest auf Buchseiten benahmen sich Mörder niemals so kreuzdämlich.

Christian war immer noch sauer. Doch vor allem fehlte ihm Jasmin so sehr, dass er den Verlust förmlich spüren konnte. Ein Hauch von ihrem Parfüm hing immer noch in der Luft, als er das Hotelzimmer betrat. Im Bad hatte sie ihre Schminksachen überall verteilt, er sah ihre Wäsche, ihre Gute-Nacht-Lektüre, ihr Smartphone …

Christian stutzte. Er starrte das Mobilgerät an, als ob es ein böses Omen sei. Die Erinnerung an die zurückliegende Nacht fehlte ihm immer noch größtenteils. Er hätte schwören können, dass seine Frau ihr Smartphone in ihre Handtasche gesteckt hatte, als sie gemeinsam das Zimmer Richtung Musicaltheater verlassen hatten.

Der kalte Schweiß brach ihm aus, seine Knie wurden weich. Christian hätte selbst nicht sagen können, weshalb ihn der Anblick des Smartphones so aus der Bahn warf. War Jasmin gar nicht verschleppt worden, sondern hatte selbst einen Anteil an ihrem spurlosen Verschwinden? Dieser Gedanke kam ihm völlig absurd vor, und er schlug sich mehrfach mit der Faust gegen die Stirn. War er auf dem besten Weg, den Verstand zu verlieren? Oder waren es die Nachwirkungen der Vergewaltigungsdroge, unter denen er immer noch litt?

Christian griff zum Haustelefon und rief die Rezeption an.

„Lange hier, Zimmer 111. Können Sie mir sagen, ob meine Frau gestern Abend nach 20 Uhr noch einmal ins Hotel zurückgekehrt ist?“

„Ich bedaure, Herr Lange, aber das können wir hier nicht nachvollziehen. Sie haben zwei Schlüsselkarten erhalten, nicht wahr? Ist etwas damit nicht in Ordnung? Hat Ihre Frau ihre Karte vielleicht verloren?“

„Nein, ich habe mich wohl geirrt. Entschuldigen Sie die Belästigung“, murmelte Christian und legte auf. Er wollte nicht mit der Rezeptionsangestellten das Verschwinden seiner Frau diskutieren. Es würde womöglich sowieso noch Ärger mit dem Hotel geben, falls nämlich diese Schlüsselkarte nicht wieder auftauchte. Vermutlich war dem Personal der Verbleib von dem rechteckigen Plastikstück viel wichtiger als Jasmins Schicksal …

Christian riss sich den ungeliebten Billig-Jogginganzug vom Leib und stieg unter die Dusche. Nachdem er sich auch rasiert hatte, fühlte er sich zwar nicht gut, aber wenigstens etwas weniger miserabel.

Er griff zu Jasmins Smartphone. Schon jetzt hasste er sich selbst dafür, dass er in ihren Daten herumschnüffelte. Aber er musste es tun, um einen Anhaltspunkt zu finden. Mit dem Gerät war seit längerer Zeit nicht mehr telefoniert worden. Allerdings gab es eine neue WhatsApp-Nachricht.

„Viel Spaß beim König der Löwen, und lasst euch nicht fressen. LG Mareike.“

Mareike war Jasmins beste Freundin in Nordhorn. Christian beschloss spontan, sie anzurufen. Sie meldete sich schon nach dem dritten Klingeln.

„Na, Süße? Habt ihr Spaß in der großen Stadt?“

„Mareike, hier ist Christian. Hast du eine Ahnung, wo Jasmin sein könnte?“

Jasmins Freundin lachte hell.

„Wo sie sein könnte? Wie jetzt? Sag‘ nicht, ihr hättet euch gezofft.“

„Nein, das haben wir nicht.“ Christian spürte die Trauer wie zähflüssigen schwarzen Schleim in seiner Kehle aufsteigen. Das Sprechen fiel ihm schwer. „Sie ist seit gestern Nacht nicht mehr da.“

„Echt?“ Nun klang auch Mareike beunruhigt. „Was ist denn geschehen?“

Christian erzählte, dass er betäubt worden war. Allerdings ließ er das Detail mit dem toten Transvestiten weg. Das klang nun doch zu krank für die Ohren einer jungen Frau aus der Provinz, wie er selbst fand.

„Das ist ja krass, Christian. Und Jasmin? Was ist mit ihr?“

„Wenn ich das wüsste, würde ich dich nicht anrufen!“

„Nun bleib mal cool. Du musst mich nicht gleich anschnauzen.“

„Sorry, aber ich stehe gerade ziemlich neben mir. Hast du wirklich keine Ahnung, wo Jasmin sein könnte? Frauen haben doch immer ihre kleinen Geheimnisse miteinander, oder etwa nicht?“

Christian versuchte, den letzten Satz witzig rüberzubringen, aber das ging völlig daneben. Er selbst fand, dass er sich nur erbärmlich anhörte. Mareikes Reaktion fiel dementsprechend aus.

„Du solltest dir keine Schwachheiten einbilden. Jasmin und ich sind wirklich beste Freundinnen, jedenfalls seit wir Kolleginnen sind. Sie hat mich nämlich nie spüren lassen, dass sie meine Vorgesetzte ist. Wenn Jasmin mir ein Geheimnis anvertraut hätte, würde ich es dir bestimmt nicht verraten.“

„Auch nicht, wenn ihr Leben davon abhängt, du dumme Nuss?“

Mareike beendete das Telefonat. Christian kochte vor Wut. Er drückte auf Wahlwiederholung, aber sie hatte ihr Gerät ausgeschaltet. Am liebsten wäre er sofort nach Nordhorn zurückgekehrt, um Mareike die Ohren langzuziehen. Christian hätte schwören können, dass Jasmin ihre Freundin in ihre Geheimnisse eingeweiht hatte.

Oder?

Jasmin hatte öfter erwähnt, dass Mareike sehr empfindlich sei und man bei ihr jedes Wort auf die Goldwaage legen musste. War sie nur deshalb so schroff gewesen, weil Christian sich im Tonfall vergriffen hatte?

Es fiel ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Zunächst forstete er alle Informationen auf dem Smartphone durch, die er aufrufen konnte. Doch es gab buchstäblich überhaupt nichts Verdächtiges. Die Rufnummern stammten von Familienangehörigen, Freunden, Arbeitskollegen und Behörden. Ob Christian bei Jasmins Eltern anrufen sollte?

Nach kurzer Überlegung entschied er sich dagegen. Seine Frau stand ihnen nicht besonders nahe, wie sie öfter betont hatte. Christian selbst war seinen Schwiegereltern nur ein einziges Mal begegnet, nämlich bei der Hochzeit. Sie begegneten ihm mit Entgegenkommen, aber doch mit Distanz. Sie kamen ihm kalt vor. Christian konnte verstehen, dass Jasmin den Kontakt mit ihnen auf ein Minimum beschränkte.

Nein, bei ihren Eltern war sie ganz gewiss nicht. Aber wo dann? Christian hatte sich inzwischen seine eigenen Kleider angezogen. In Jeans und Flanellhemd fühlte er sich normalerweise wohl. Aber er hätte auch diesen elenden Jogginganzug wieder angezogen, wenn Jasmin dadurch bloß zur Tür hereingekommen wäre.

Es war, als hätte Christian durch diesen Wunsch einen telepathischen Befehl gegeben. Plötzlich ertönte an der Tür nämlich ein leises Klacken, weil die Zimmerkarte von außen in den Schlitz gesteckt wurde. Christian Herz schlug einen rasenden Takt. Er stand lächelnd von dem Stuhl auf, wo er gehockt hatte. Endlich würde er wieder in Jasmins liebes Gesicht sehen können.

Viertes Kapitel

Victor war ein Gewinnertyp. Obwohl er aus dem Kaukasus stammte, war der Hamburger Kiez für ihn sehr schnell zu seiner natürlichen Umgebung geworden. Sein Deutsch reichte aus, um Leute einzuschüchtern, Schulden einzutreiben und Frauen klarzumachen. Im Zweifelsfall verließ er sich ohnehin lieber auf seine physische Präsenz als auf sprachliche Feinheiten.

Victor gehörte zu den Schlägern, die überhaupt keine Gewalt anwenden müssen.

Die meisten Widersacher knickten schon ein, wenn sie ihm bloß gegenüberstanden. Dabei war Victor nicht übermäßig groß, und es gab auf St. Pauli etliche Kerle mit größeren Muskelpaketen als er sie besaß. Aber Victor verstand es wie kaum ein anderer Mann, durch seine bloße Anwesenheit eine Todesdrohung auszusprechen. Dafür musste er noch nicht einmal die Hände aus den Hosentaschen nehmen.

An diesem Abend hatte Victor Zeit und außerdem die Taschen voller Geld. Eine gute Kombination, um sich auf der Reeperbahn zu amüsieren. Er war kein Mann, der sich in einer Nepp-Touristenfalle das Fell über die Ohren ziehen ließ. Außerdem fühlt sich ein Wolf in Gesellschaft von Schafböcken nicht unbedingt wohl, er wird zu schnell gelangweilt.

Victor ging langsam Richtung Spielbudenplatz. Er entschied sich für einen Drink in der Sanktpaulibar. Die auf Krawall gebürsteten betrunkenen Teenager wichen ihm instinktiv aus. Sie ahnten, dass sie sich mit diesem Mann besser nicht anlegten.

Victor würde vor dem Morgengrauen vielleicht noch jemanden töten müssen. Er war der Meinung, dass er sich deshalb einen Wodka verdient hatte. Alkohol machte ihm so gut wie nichts aus, und Trunkenheit beeinträchtigte seiner Meinung nach nur Schwächlinge. Auch mit einem beachtlich hohen Blutalkoholgehalt konnte Victor immer noch mit großer Präzision den Stecher seiner Waffe durchziehen.

Er fand einen Platz an der langen Theke und scannte seine Umgebung mit einem routinierten Blick. Staunende Provinzler, Hamburger Yuppies, Frauen mit Abenteuerlust im Blick. Die übliche Mischung eben. Nach dem zweiten Glas seines eiskalten Muntermachers fiel ihm eine seltsame Gestalt auf.

Die Frau passte nicht hierher. Sie wirkte weder spießig noch verkommen. Ein Junkie konnte sie nicht sein, obwohl ihr Blick etwas von der grenzenlosen Gier einer Süchtigen hatte. Victor stufte sie als durchgeknallte Psychotante ein, doch gleich darauf musste er sein eigenes Urteil revidieren. Er hatte in diesen St. Pauli-Nächten schon mehr als genug Tussis erlebt, die sich einen Cocktail aus Antidepressiva und hartem Alkohol genehmigt hatten und dann als Vereinsmatratze einer wilden Gangbang-Horde endeten.

Doch so war diese Frau nicht drauf, das spürte Victor. Sie spielte nicht mit dem Feuer, sie war Feuer.

Sein Interesse war geweckt. Doch Victor wäre nicht er selbst gewesen, wenn er sie plump angebaggert hätte. Er hob seine linke Augenbraue nur um wenige Millimeter, während sie näher kam. Ihr freches Grinsen gefiel ihm. Ihr Selbstbewusstsein musste einen Grund haben, der nichts mit dem Kontostand ihres Daddys zu tun hatte. Ihre Lederjacke und die Jeans stammten offenbar von dem Kiez-Kulttextiler Hundertmark. Und dort verkehrte die Hamburger Schickeria nicht. Und sie sah auch nicht aus wie eine auf Abwegen geratene Bürgerschnepfe, die unbedingt einmal für einen St. Pauli-Bad-Boy die Beine breitmachen will.

Victor hatte einst Philosophie studiert, bevor er sich auf seinen harten Körper und seinen noch härteren Willen zu verlassen begonnen hatte. Ein Zitat von Friedrich Nietzsche wurde durch den Wodka in seinem Gehirn wachgekitzelt: „Kein Sieger glaubt an den Zufall.“

Ein Zufall war es gewiss nicht, dass diese Frau ihm nun schöne Augen machte. Ob sie auf ihn angesetzt wurde, um seine Mission zu vereiteln? Nein, das konnte sich Victor nicht vorstellen. Niemals würde Anatoli ein Weib wie dieses auf seine Lohnliste bekommen. Der dicke Zuhälter hatte nur einen Stall voll rumänischer Billignutten, die für ihn anschaffen gingen. Im Grunde war der Tod für eine Kreatur wie Anatoli eine Erlösung, das war jedenfalls Victors Ansicht.

Er war ein überzeugter Sozialdarwinist mit großem Wodkadurst und Frauenhunger.

„Du und ich passen nicht hierher.“

Es waren die ersten Worte, die sie an Victor richtete. Er versuchte, ihren Akzent einzuordnen. St. Pauli war Multikulti-Areal, hier wurde Deutsch mit tausenderlei Zungenschlag gesprochen, in allen Abstufungen der Unverständlichkeit. Aber diese Frau sprach ganz neutral. Sie war vielleicht wirklich eine Deutsche, Holländerin oder Skandinavierin. Für eine Osteuropäerin hielt Victor sie nicht. Die waren einem Mann wie ihm gegenüber mehr oder weniger unterwürfig. Und davon konnte bei seiner neuen Bekanntschaft keine Rede sein.

„Ach, wirklich? Und wohin gehören wir, hm?“

„In dein Bett.“

Die Frau schaute Victor direkt ins Gesicht, während sie diese Worte aussprach. Sie stand direkt vor ihm. Ihr Atem war heiß, er roch nach Alkohol. Besonders betrunken schien sie ihm nicht zu sein, obwohl er das bei deutschen Frauen nie so genau einschätzen konnte. Victor nahm im Geist eine schnelle Kopfrechnung vor. Er konnte sich problemlos mit dieser Frau vergnügen und würde dann immer noch genügend Zeit finden, um Anatoli vor dem Morgengrauen ins Jenseits zu befördern. Es versprach eine ereignisreiche Nacht zu werden.

„Und wieso glaubst du, dass ich dich dort haben will?“

Das Grinsen der Frau wurde noch breiter. Ihre Antwort bestand darin, dass sie ungeniert an die Ausbeulung an Victors Lederjeans griff. Sein Schwanz hatte sich schon in dem Moment aufgerichtet, als sie ihm den ersten herausfordernden Blick zugeworfen hatte. Victor war eigentlich nicht leicht zu erregen. Der ständige Kontakt mit den zahlreichen dreiviertel bis halb nackten Huren und Partygänsen auf St. Pauli war eigentlich Gift für seine Geilheit. Er kam sich vor wie ein Konditormeister, der die ganze Zeit mit Törtchen und Cremeschnittchen befasst ist und sich nach einem blutigen Pfeffersteak sehnte.

Victor hätte jede Nacht mehrere willige Prostituierte haben können. Aber es war diese Abenteuerin, nach der ihm der Sinn stand. Und nicht nur der Sinn, wie sein Körper nur allzu deutlich bewies.

„Okay, gehen wir.“

Victor warf einen 50-Euro-Schein auf die Theke, um für seine und die Drinks der Unbekannten zu zahlen. Er fragte sie nicht nach ihrem Namen, weil es ihn nicht interessierte. Schließlich wollte Victor keinen Ring an ihren Finger stecken, in den etwas graviert werden musste. Er drängte sich zwischen den übrigen Gästen hindurch. Es war inzwischen noch voller geworden, nach der Vorstellung im St. Pauli Theater und Schmidt Theater drängten weitere Feierwütige hinein.

Die Frau folgte ihm. Sie bewegte sich lässig, doch ihre Körpersprache war nicht die eines It-Girls, sondern einer Elitesoldatin. Das entging Victor nicht. Ob sie wirklich nur Sex von ihm wünschte? Victor war nicht dumm. Es gab genug Leute auf dem Kiez, die ihn lieber tot als lebendig sehen wollten. Doch nicht nur Anatoli, auch seine anderen Feinde waren zu schmalspurig, um mit dieser Frau in einen Topf geworfen zu werden.

Oder hatte die Lust schon Victors Verstand vernebelt? Nein, das war unmöglich. Er war ein Überlebenskünstler, der in zerschossenen Hütten gehaust hatte und jetzt ein luxuriöses 100-qm-Apartment im Herzen von St. Pauli bewohnte. Victor war fest davon überzeugt, dass er sich nicht von seinem eigenen Penis aufs Glatteis führen lassen würde.

Er wohnte in der Seilerstraße, die vom Spielbudenplatz aus fußläufig zu erreichen war. Das Haus war von außen schäbig, was eine ausgezeichnete Tarnung gegenüber missgünstigen Neidhammeln darstellte. Aber Victors Wohnung war ein Traum, tadellos in Schuss gehalten von einer illegal nach Deutschland eingereisten Nigerianerin. Er führte die Abenteuerin ohne Umschweife in sein Schlafzimmer, warf sie auf sein Wasserbett.

Und dort zeigte sich, dass die Frau sich nicht mit der passiven Rolle abfinden würde.

Sie schnellte vom Bett wieder hoch, als ob sie eine Sprungfeder im Hintern hätte. Erneut stand sie direkt vor Victor. Sie packte seinen Kopf mit beiden Händen. Er glaubte schon an einen Angriff und wollte ihr sein Knie in den Unterleib rammen. Doch bevor das geschehen konnte, küsste sie ihn.

Das war kein Fließband-Hurenkuss. Und es war auch nicht die zarte Liebesbezeugung einer verträumten Romantikerin. Die Zunge dieser Frau war wie eine Waffe. Doch Victor hatte nichts dagegen, auf diese Art attackiert zu werden. Der Vorstoß in seine Mundhöhle ließ seinen Ständer noch härter werden, obwohl das kaum möglich schien.

Victor drückte die Frau an sich, ahnte harte Muskeln unter ihrer weichen Haut. Aber ihre Brustwarzen waren hart. Er konnte spüren, dass sie keinen BH trug. Die Nippel der Fremden stachen durch Victors Hemd und ihr eigenes T-Shirt.

Die Frau machte einige Schritte rückwärts auf das Bett zu. Sie ließ sich nach hinten fallen. Und weil Victor sie nicht losließ, landete er auf ihr. Er wusste, dass sein Körper mächtig und für die meisten Menschen furchteinflößend war. Doch falls seine neue Gespielin Angst vor ihm hatte, ließ sie es sich jedenfalls nicht anmerken. Nach seiner Einschätzung schien sie nur von einem einzigen Gefühl angetrieben zu werden, nämlich von Geilheit.

Ihre Finger hatten den Weg zwischen die beiden Körper gefunden, tasteten an Victors Gürtel entlang, öffneten den Reißverschluss der Lederjeans. Der Knüppel sprang seiner Befreierin förmlich entgegen. Victor und die Frau hatten ihre Lippen immer noch nicht voneinander gelöst. Er sog gierig Luft durch die Nasenlöcher ein. Sein Organismus brauchte dringend Sauerstoff, das Blut strömte mit Macht in seine Lenden.

Das war allerdings auch kein Wunder angesichts der Raffinesse, mit der die Fremde Victors Schwanz manipulierte. Ob sie doch eine Edelnutte war, die heute ihren freien Tag hatte und mal zur Abwechslung keine Viagra-gepushten Mittsechziger zwischen ihre Schenkel lassen wollte?

Victor fiel das Denken schwer. In diesem Moment nutzte ihm auch sein Philosophie-Studium nichts. Er wusste nur, dass er diese Frau jetzt unbedingt haben musste, ohne Umschweife. Victor stemmte sich hoch und begann damit, ihr die Kleider vom Leib zu reißen. Je mehr er von ihrer nackten Haut zu sehen bekam, desto größer wurde seine Vorfreude.

Es war der Körper einer Kriegerin, und Victor liebte das Kämpfen. Der Sex mit ihr würde keine Eroberung werden, sondern ein zähes Ringen. Und das war ihm nur recht, denn das ewige Dominieren hilfloser Weibchen ödete ihn unsagbar an. Endlich hatte das Schicksal ihn mit einer Frau zusammengeführt, die ihm selbst innerlich ähnelte. Eine wilde Draufgängerin, ein weiblicher Schlagetot, ein Haudegen mit Brüsten, eine Malefizfrau mit feuchter Spalte.

Victor zog nun auch seine Lederjacke aus. Sie war schwer, und das nicht nur aufgrund des Materials. Die Glock 22 in der Innentasche wog immerhin fast ein Kilo. Achtlos ließ Victor das Kleidungsstück neben das Bett fallen. Gleich darauf riss er sich die übrigen Textilien vom Leib.

Die Frau erwartete ihn bereits in der Bettmitte, sprungbereit wie eine Wildkatze. Es wurde mit ihr so, wie Victor es sich erhofft hatte. Und eigentlich sogar noch viel besser. Victors Gespielinnen brannten sich ihm normalerweise nicht ins Gedächtnis. Dafür waren sie zu beliebig, zu austauschbar. Aber mit dieser Frau war es anders. Zwischendurch war er immer wieder drauf und dran, sie nach ihrem Namen zu fragen. Aber seine Lippen und seine Zunge waren anderweitig beschäftigt, denn die Fremde forderte ihm einiges ab. Sie wollte nicht nur seinen Schwanz in sich spüren, sie verlangte von ihm auch noch viel mehr. Und sie wurde rabiat, wenn sie es nicht sofort bekam.

Victor mochte das.

Sie konnte ihm ruhig in die Schulter beißen und mit schmerzhafter Härte in seine Brustwarzen kneifen. Das alles stimulierte ihn noch viel mehr, als ob kleine Elektroschocks durch seinen Körper laufen würden. Und als es endlich vorbei war und er brüllend seinen Samen in sie pumpte, wollte er sie unbedingt bei sich behalten.

Doch genau das geschah nicht.

Victor war ein Überlebenskünstler, aber ausgerechnet in dieser Nacht behielt er die Deckung nicht oben. Er sah die Handkante der Fremden auf seine Schläfe zu rasen, konnte sie aber nicht mehr blocken. Sein Schädel schien zu explodieren, und er blieb bewusstlos auf dem Bett liegen.

Die Frau atmete schwer, ihr letzter Orgasmus klang nur langsam ab. Sie tastete nach seiner Halsschlagader und stellte befriedigt fest, dass sie den Mann nicht getötet hatte. Das tat sie nur, wenn es zweckmäßig war. Und in diesem Fall wäre es eine überzogene Reaktion gewesen. Der ledergekleidete Kieztyp war ihr aufgefallen, weil sie die Ausbeulung in seiner Jackentasche richtig gedeutet hatte. Und die Waffe in der Jacke war ihr längerfristig wichtiger als jene in seiner Hose, obwohl der Mann ein grandioses Stehvermögen bewiesen hatte.

Sie glitt vom Bett und zog die Glock aus der Lederjacke. Dann schlüpfte sie in ihre Kleider, wobei sie den ohnmächtigen Mann wachsam im Auge behielt. Schließlich steckte sie die Pistole hinten in den Hosenbund ihrer Jeans. Sie wollte sich schon davonschleichen, als sie von einem plötzlichen Anfall von Romantik überwältigt wurde.

Fünftes Kapitel

Der ungebetene Gast wurde noch bleicher, als er es ohnehin schon war. Er drehte sich fix um und wollte davon sprinten, aber Christian war schneller. Bevor der Kerl das Hotelzimmer wieder verlassen konnte, riss Christian ihn zurück und rammte die Tür von innen zu.

„He, was soll das? Geht’s noch?“

Die Stimme des Strichjungen klang hell, aber nicht tuntig. Christian ging jedenfalls davon aus, eine männliche Prostituierte vor sich zu haben. Der Junge war mager und feingliedrig, erinnerte an einen Elf aus einem Fantasyfilm. Allerdings hatte er keine spitzen Ohren, sondern eine modische Frisur, außerdem trug er sehr enge Hosen und eine Designer-Lederjacke im Boleroschnitt.

Christian baute sich vor dem einzigen Ausgang des Zimmers auf. Er war nicht besonders stark, und seine Gewalterfahrungen beschränkten sich auf Schulhofschlägereien in weiter Vergangenheit. Trotzdem traute Christian es sich zu, mit dem Bürschchen fertigzuwerden. Der Stricher war ungefähr zwanzig Jahre alt. Und er machte keinen besonders kampfeslüsternen Eindruck.

Christian richtete seinen Zeigefinger wie eine Waffe auf ihn.

„Du sagst mir jetzt sofort, woher du die Schlüsselkarte hast!“

Der kleine Kerl zögerte. Christian griff zum Telefon.

„Okay, vielleicht willst du es ja der Polizei verraten.“

„Nein, keine Bullen!“, rief der Stricher, die Augen weit aufreißend. „Ich will ja reden.“

„Dann fang‘ mal damit an. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.“

Die Worte sprudelten nur so aus dem Stricher hervor.

„Dieser Plastikchip lag im Dreck, hinter dem Red Hot Hotel. Ich hab‘ mich gewundert, weil es in der Absteige nur so altmodische große Schlüssel mit Bart gibt. Schließlich bin ich dort schon oft genug auf den Zimmern gewesen.“

Er schenkte Christian einen koketten Augenaufschlag und ließ seine feuchte Unterlippe sehen. Aber Christian beeindruckte das nicht, er liebte schließlich seine Frau. Er machte eine ungeduldige Handbewegung, ballte schließlich die Faust. Christian wollte bedrohlich wirken. Aber ob das klappte?

„Weiter!“

„Ich habe also die Karte aufgehoben und gesehen, dass sie vom Maxwell Hotel stammt. Die Zimmernummer steht ja auch drauf. Also sagte ich mir, dass sie einem besoffenen Touri aus der Tasche gefallen ist. Also hoffte ich, hier ein bisschen was mitgehen lassen zu können.“

Der Stricher lächelte Christian entschuldigend an. Aber das verfing nicht. Christian war nämlich überzeugt davon, nach Strich und Faden angelogen zu werden. Der Junge machte einen Schritt auf ihn zu, aber er streckte seinen Arm aus, die Handfläche nach vorne zeigend.

„Stopp! Glaub‘ bloß nicht, dass ich dich so schnell hier raus lasse. Wie heißt du überhaupt?“

„Leo. Und Sie?“ Leo strich sich über das modisch frisierte Haar. „Soll ich Ihnen helfen, sich zu entspannen?“

Sein Blick blieb an Christians Hose hängen. Der schüttelte mürrisch den Kopf.

„Mein Name ist Christian. Ich will keinen Sex von dir. Trotzdem könntest du dir Geld verdienen.“

„Wen soll ich umlegen?“, fragte Leo und lachte gleichzeitig selbstironisch. Die Vorstellung, dass Leo ein Auftragskiller sein könnte, hatte wirklich etwas Absurdes an sich. Christian zog seine Brieftasche, legte vier 50-Euro-Scheine auf das Bett. Leo wollte danach greifen, aber er fiel ihm in den Arm.

„Das Geld gibt es nur, wenn du mir alles sagst, was du über diese Frau weißt.“

Mit diesen Worten hielt Christian dem Stricher ein Foto von Jasmin vor die Nase. Dabei beobachtete er sein Gegenüber genau. Christian hätte schwören können, dass Leo seine Frau wiedererkannte.

„Ich weiß nichts. Kriege ich jetzt die Kohle?“

Christian nahm die vier Banknoten wieder an sich, faltete sie und schob sie in seine Hosentasche. Leo schob seine Unterlippe vor wie ein beleidigtes Kleinkind.

„Wieso traut mir niemand über den Weg? Sie tun das auch nicht.“

„Vielleicht, weil du in fremde Hotelzimmer einbrichst? Deine Story mit der Schlüsselkarte in der Gosse ist doch von vorn bis hinten erfunden!“

Christian führte sich vor Augen, dass er selbst in diesem obskuren Red Hot Hotel zu sich gekommen war. Es konnte also durchaus stimmen, dass Jasmins Zimmerkarte in der Nähe gefunden worden war. Aber was hatte das dann zu bedeuten? War seine Frau auch in die Absteige verschleppt worden? Befand sie sich vielleicht immer noch dort? Während Christian über diese Fragen grübelte, nickte Leo zu seiner größten Überraschung.

„Ja, ich habe geschwindelt. Aber nur halb. Die Karte ist einer Transe aus der Handtasche gefallen. Jedenfalls glaube ich, dass es eine Transe war. Aber das passierte hinter dem Red Hot Hotel.“

„Und wieso hast du nicht gleich die Wahrheit gesagt?“

„Weil ich mir dachte, dass ein Spießer wie Sie mit den Transen nichts zu tun haben will.“

Wirkte Christian wirklich so spießig? Aus Leos Sicht war er das wahrscheinlich wirklich. Aber ihn interessierte jetzt etwas anderes.

„Wie sah der Mann – oder die Frau – denn genau aus? Also, diese Transe?“

„Ich habe ihn nur kurz gesehen, hauptsächlich von hinten“, behauptete der Stricher. „Also, er war groß, brünettes schulterlanges Haar, trug ein Minikleid, das nur knapp über den Arsch reichte. Außerdem Pumps.“

Die Beschreibung konnte auch auf Jasmin zutreffen, denn Christians Frau war fast so groß wie er selbst. Allerdings passte die Kleidung nicht. Als sie zum Musical gefahren waren, hatte Jasmin ein dunkelblaues Kostüm mit knielangem Rock getragen. Und sie hatte Schuhe mit kleinem Absatz angehabt, um nicht noch größer zu wirken. Jasmin mochte es nicht, in einer Menschenmenge die meisten anderen Frauen um mindestens einen Kopf zu überragen. Christian tippte mit dem Finger auf das Foto.

„Und du bist wirklich sicher, dass es nicht diese Frau war, die den Plastikschlüssel verloren hat?“

Leo wand sich wie ein Aal.

„Keine Ahnung, Mann. Ich habe den Kerl – oder die Tussi – nur ganz kurz gesehen.“

Christian war immer noch davon überzeugt, teilweise angelogen zu werden.

„Weißt du, was ich nicht verstehe? Wie konnte der Transe einfach so die Schlüsselkarte aus der Handtasche fallen? So etwas muss man doch merken.“

„Die Transe hat mit der Tasche zugeschlagen“, sagte Leo. „Da war ein Kerl, der zu Boden ging. Er hatte reichlich Blut im Gesicht. Und die Transe hat sich aus dem Staub gemacht. Der Typ rappelte sich wenig später wieder auf und haute ebenfalls ab. Die Zimmerkarte blieb zurück. Ende der Geschichte.“

Ob es doch Jasmin gewesen war, die Leo in der Gasse gesehen hatte? Aber weswegen hatte sie plötzlich ein Minikleid getragen und einen Mann niedergestreckt? Das passte nicht zu ihr. Christians Frau ging normalerweise jedem Streit aus dem Weg. So hatte er sie jedenfalls immer erlebt. Oder war Jasmin angegriffen worden und musste sich ihrer Haut wehren?

„Versuche, dich zu erinnern!“, blaffte Christian seinen unfreiwilligen Gast an. Leo zuckte zusammen.

„Hey, Sie können ja richtig streng sein! Wow … Ehrlich gesagt war ich in der vorigen Nacht ein wenig High. Deshalb könnte ich nicht alles beschwören, was ich erlebt oder gesehen habe. Das ist ja auch der Grund dafür, dass ich erst am hellen Tag hier auftauche. Es wäre wahrscheinlich einfacher gewesen, im Schutz der Dunkelheit in dieses Hotel zu kommen. Zumal die Schlüsselkarte auch für den Seiteneingang angewendet werden kann. Wenn man dort hereingeschneit kommt, kriegen die Leute an der Rezeption nichts davon mit.“

Christian erinnerte sich voller Wehmut daran, wie lange Jasmin und er selbst sich auf diesen Wochenendtrip nach Hamburg gefreut hatten. Es war bei ihnen in letzter Zeit nicht immer einfach gewesen. Jasmin war oft gereizt, und es hatte öfter Streit gegeben. Christian und Jasmin wussten, dass sie zu viel arbeiteten und nicht mehr genug Zeit füreinander hatten. Der gemeinsame Musicaltrip war eine Art Rettungsanker gewesen, um ihre Beziehung wieder zu kitten. Er liebte sie noch immer. Aber war es umgekehrt genauso?

Christian grübelte vor sich hin, als ihm plötzlich bewusst wurde, dass Leo ihn lauernd anstarrte.

„Soll ich Ihnen nicht doch einen blasen? Ich mache das ziemlich gut, jedenfalls wird mir das nachgesagt. Sie sehen so aus, als ob Sie eine kleine Aufmunterung dringend gebrauchen könnten.“

Christian schüttelte heftig den Kopf. Er hatte sich noch nie mit einem Mann eingelassen. Und er verspürte auch in diesem Moment nicht das Bedürfnis danach. Doch Leos eindeutiges Angebot brachte ihn auf einen anderen Einfall.

„Kennst du eigentlich Flaviu Spirescu?“

Leo zuckte zusammen. Es dauerte nur einen Moment, dann hatte er sich wieder in der Gewalt. Der Stricher lächelte Christian auf die Art an, mit der er vermutlich seine Freier betörte.

„Flaviu? Was ist denn das für ein dämlicher Name? – Komm‘ schon, sei nicht so schüchtern. Ich wette, du hast ein ordentliches Gerät in der Hose …“

Leo ging wirklich vor Christian in die Knie. Er wollte zu dessen Gürtel greifen, aber Christian packte ihn hart an den Handgelenken und zog ihn wieder auf die Füße.

„Au! Du tust mir weh!“, kreischte Leo im Falsett.

„Wann kapierst du endlich, dass ich nichts von dir will, Kleiner? Aber du kennst Flaviu, oder? Das ist der Tote, den irgendein Dreckskerl zu mir ins Bett gelegt hat. Ich sollte als Transenkiller abgestempelt werden, aber das hat nicht funktioniert.“

Leo riss erschrocken die Augen auf.

„Du bist der Transenkiller?“

„Ich habe niemanden umgebracht“, stellte Christian fest. Er hielt Leos Gelenke immer noch umklammert. „Wir beide machen jetzt einen Ausflug zum Polizeipräsidium. Dort wirst du schön alles wiederholen, was du mir gerade berichtet hast. Vielleicht können die Beamten ja noch mehr aus dir herausholen.“

„Klar, was immer du sagst.“

Leo hatte sich scheinbar geschlagen gegeben. Aber das war nur eine Finte. Denn plötzlich hob er seinen linken Fuß und trat Christian mit voller Kraft gegen das Knie. Der Schmerz war so brutal, heiß und allumfassend, dass Christian das Gleichgewicht verlor und zu Boden ging. Leo riss sich von ihm los, machte einen Satz zur Tür. Er riss sie auf, wieselte hinaus und warf sie von hinten ins Schloss.

Sechstes Kapitel

Keder spürte die Anspannung in seinem Inneren, als er das Hamam betrat. Seine Muskeln verhärteten sich, und das war nicht gut. Er war es gewohnt, dass sein Körper stets einwandfrei funktionierte. Wie eine Maschine, eine Kampfmaschine.

Keder grinste selbstironisch, während er in der Umkleidekabine die Hüllen fallenließ. Ein Hamam-Aufenthalt hätte seiner Wellness dienen sollen anstatt ihn zu stressen. Das türkische Dampfbad sollte eigentlich zum Entspannen und Entschlacken dienen, doch Keders Besuch im Hamam hatte ausschließlich berufliche Gründe.

Er wollte sich mit dem Mann treffen, der sich von ihm Oleg nennen ließ. Oder besser gesagt: Oleg hatte ihn her zitiert. Und Oleg war kein Mann, den man warten ließ oder dem man widersprach.

Keder konnte nicht allein gegen die ganze Welt kämpfen, das war ihm selbst bewusst. Er brauchte Verbündete und zufriedene Kunden. Oleg konnte im Idealfall beides für ihn sein. Keder arbeitete nur auf Empfehlung, sein guter Leumund war sein wichtigstes Kapital. Doch wenn Oleg ihm nicht vertraute oder ihm einfach Keders Nase nicht gefiel, das war das mehr als nur ein geschäftlicher Rückschlag. Angeblich ließ Oleg gerne seinen Widersachern oder Gegnern bei lebendigem Leib die Haut abziehen. Keder hatte nicht den geringsten Zweifel am Wahrheitsgehalt dieses Gerüchts.

Keder betrat nun den eigentlichen Dampfraum. Er war nur noch mit einem Handtuch bekleidet. Keine Waffen, keine Bodyguards. Das waren Olegs Bedingungen für das Treffen gewesen. Allerdings war Keder ein Mann, der auch mit bloßen Händen töten konnte. Er hoffte allerdings, diese Fähigkeit heute nicht unter Beweis stellen zu müssen.

Es dauerte einige Momente, bis Keder sich an den Dunst und den allgegenwärtigen Qualm gewöhnt hatte. Und dann erblickte er Oleg, der ausgestreckt auf dem Nabelstein lag. Der Machtmensch war ein Koloss. Normalerweise verachtete Keder dicke Männer. Da er selbst kein Gramm überflüssiges Fett an seinem Kämpferkörper hatte, hielt er diese Fettklöße für willensschwach und undiszipliniert. Doch bei Oleg machte er eine Ausnahme.

Widerwillig musste Keder sich eingestehen, dass Olegs Leib ihm Respekt einflößte. Oleg erinnerte an einen Sumo-Ringer, der unter seinen Speckschichten harte Muskeln verbarg.

Oleg lag auf dem Bauch, hob den Kopf und blinzelte Keder aus kleinen Augen heimtückisch an.

„Sie sind also dieser Netrix-Mensch.“

Keder nickte. Die gekreuzten Nähnadeln, die er sich auf die Brust hatte tätowieren lassen, waren nicht zu übersehen.

„Ich bin Keder.“

„Es ist mir egal, wie Sie heißen. Für mich geht es nur um Ergebnisse.“

Keder wollte antworten, hielt aber inne. Denn in diesem Moment betrat ein hünenhafter Bademeister den Dampfraum. Er begann damit, Oleg mit Hilfe eines Ziegenhaar-Handschuhs abzurubbeln. Oleg bemerkte Keders Irritation.

„Sie können ruhig in Alis Gegenwart weitersprechen, Keder. Ali hat unglaubliche Angst vor mir, er würde mir nie schaden. Außerdem kann er nichts mehr weitererzählen, denn irgendjemand hat ihm schon vor Jahren die Zunge herausgeschnitten.“

Oleg lachte dröhnend, er fand das offenbar komisch.

„Es wird uns ein Vergnügen sein, für Sie zu arbeiten“, sagte Keder diplomatisch. Die Antwort zeugte von weitaus weniger Feingefühl.

„Ihr trauriger Haufen interessiert mich im Grunde nicht, Keder. Es geht mir nur um sie. Ich habe gehört, sie soll die Beste sein.“

Oleg sprach ausgezeichnet Deutsch. Keder konnte sich nicht vorstellen, dass er das grammatikalische Maskulinum mit dem Femininum verwechselte. Oleg sprach eindeutig von einer Frau. Und es gab nur ein weibliches Wesen bei Netrix. Oder besser gesagt: Es hatte nur eine Frau bei Netrix gegeben. Sie war jetzt nicht mehr vorhanden, Keder suchte selbst nach ihr. Doch diese Tatsache konnte er Oleg nicht unter die Knollennase reiben. Sonst konnte Keder sich nicht nur von seinen Kleidern, sondern auch von seiner Haut verabschieden.

Also nickte er eifrig und hoffte, dass Oleg seine Lüge nicht bemerken würde.

„Ja, sie ist sozusagen unsere Geheimwaffe.“

„Eigentlich halte ich nichts von Frauen in Männerberufen, Keder. Ich bin immer noch der Meinung, eine Frau sollte kochen und einem Mann das Bett wärmen. Doch diesen speziellen Auftrag kann ich nur in weibliche Hände geben.“

„Worum geht es denn genau, wenn ich fragen darf?“

„Sie dürfen, Keder. Deshalb sind Sie schließlich hergekommen. Ich hätte ja lieber mit dieser Frau selbst gesprochen. Aber mit ihr kann ich mich ja schlecht im Hamam treffen.“

Wieder lachte Oleg, doch dann wurde er schlagartig ernst.

„Ich habe mächtige Feinde, Keder. Deshalb darf Ihre Mitarbeiterin auf gar keinen Fall versagen. Falls ich untergehe, ziehe ich Sie mit ins Verderben. Darauf können Sie sich jetzt schon einstellen.“

Keder schwitzte, aber das fiel in einem türkischen Dampfbad zum Glück nicht auf. Doch ihm wäre auch heiß geworden, wenn er sich in einer Schlachthof-Kältekammer befunden hätte. Er wollte lieber gar nicht darüber nachdenken, was für Leute einen Mann wie Oleg vernichten konnten. Für einen Rückzieher war es jetzt jedenfalls zu spät. Keder trat die Flucht nach vorn an.

„Sie wird nicht versagen, Oleg. Sie führt den Auftrag perfekt aus, andernfalls können Sie mich höchstpersönlich töten.“

„Das würde ich sowieso tun, schon aus Gewohnheit“, erwiderte Oleg ungerührt. „Glauben Sie bloß nicht, dass mich Ihr jämmerliches Leben interessiert.“

Keder war es nicht gewohnt, beleidigt zu werden. Doch er war Überlebenskünstler genug, um zu wissen, wann er klein beigeben musste. Allerdings hasste er sich selbst für seine unterwürfige Haltung. Doch schon im nächsten Augenblick besserte sich seine Laune schlagartig.

„Eine halbe Million Euro soll mir diese Mission wert sein, Keder. Die Hälfte davon wird Ihnen noch heute auf ein Konto Ihrer Wahl überwiesen. Den Rest gibt es dann nach erfolgreicher Ausführung.“

„Es wird mir ein Vergnügen sein, Ihre Wünsche zu erfüllen. Und – wann soll der Auftrag ausgeführt werden?“

„In drei oder vier Tagen, das ist noch unklar. Ich lasse Ihnen Ort und genaue Uhrzeit vorher zukommen, auf dem üblichen Weg. Dann können Sie mir auch Ihre Bankdaten übermitteln.“

Oleg wedelte mit der Hand, als ob er eine lästige Fliege verscheuchen wollte. Die Audienz war beendet. Keder stand nun gewaltig unter Druck, noch schlimmer als zuvor. Gewiss, das Honorar war mehr als verlockend. Eine kräftige Finanzspritze würde Netrix gut zu Gesicht stehen. Aber wie sollte Keder in so kurzer Zeit die Angstfrau auftreiben? Und sie vor allem dazu bringen, wieder für ihn zu arbeiten?

Wenn sie mitbekam, in welcher Gefahr sich Keder befand, würde sie erst recht keinen Finger für ihn rühren. Das wusste er, denn sie war ihm nur allzu bekannt. Und wahrscheinlich würde Keder ihr wieder verfallen, sobald er sie vor Augen hatte. In dieser Hinsicht war er wie ein trockener Alkoholiker, der noch nicht einmal eine Kognakbohne zu sich nehmen darf, wenn er nicht rückfällig werden will.

Keder entfernte sich aus dem Dampfraum, duschte, frottierte sich ab und stieg wieder in seine Kleider. Er verließ das türkische Badehaus auf St. Pauli und ging auf seinen BMW zu, den er schräg gegenüber von dem Gebäude geparkt hatte.

Siebtes Kapitel

Die Schmerzen in Christians Knie ließen langsam nach, waren nicht mehr völlig unerträglich. Doch seine Verwirrung hatte sich potenziert. Was sollte er von Leos Informationen halten? Hatte dieser miese kleine Stricher ihn von vorne bis hinten belogen? Oder war Christian der Wahrheit zumindest häppchenweise nähergekommen?

Fest stand, dass Christian in dem elenden Stundenhotel wieder zu sich gekommen war. Er musste ins Red Hot zurückkehren. Dort gab es wenigstens eine kleine Chance, etwas über Jasmins Verbleib zu erfahren. Christian konnte sich allerdings nicht vorstellen, dass seine Frau dort gefangen gehalten wurde. Oder?

Die Polizei würde doch gewiss das ganze Hotel durchkämmt haben, nachdem dort der tote Transvestit gefunden worden war. Andererseits gab es ja von Anfang an einen Hauptverdächtigen, nämlich ihn selbst. Und als Christian in den Polizeigewahrsam geschafft wurde, gab es mehr als genug Zeit, um Jasmin unauffällig beiseite zu schaffen.

Aber wozu das alles?

Christian presste sich die Fäuste gegen die Schläfen. Ein hohles Gefühl machte sich in seinem Inneren breit. Er warf einen sehnsüchtigen Blick zur Minibar des Hotelzimmers. Am liebsten hätte er sich jetzt einen Whisky hinter die Binde gekippt. Aber das war keine gute Idee. Christian brauchte einen klaren Kopf.

Ob er die Polizei von Leos Besuch informieren sollte?

Christian hielt bereits den Telefonhörer in der Hand, änderte dann aber seine Meinung. Es kam ihm nicht so vor, als ob die Kriminalisten mit Hochdruck nach seiner Frau suchen würden. Außerdem konnte er nur eine äußerst dürftige Personenbeschreibung von Leo liefern. Vermutlich sah mindestens jeder zweite Stricher auf St. Pauli so aus wie dieser elfengleiche Junge.

Der Schmerz im Knie hatte sich in ein regelmäßiges Pochen verwandelt, es war einigermaßen auszuhalten. Christian hielt unentschlossen immer noch den Telefonhörer in der Hand. Aber er rief Rabea Borchert doch lieber nicht an. Stattdessen wählte er die Nummer seines Bruders.

Bernd meldete sich nach dem vierten Klingeln. Und er lachte, als er Christians Stimme erkannte.

„Hallo, alte Socke! Wie läuft es bei meinen Kurzurlaubern? Habt ihr schon die Reeperbahn unsicher gemacht?“

Mit dieser Bemerkung hatte Bernd ungewollt Salz in Christians Wunden gestreut. Entsprechend schroff war seine Antwort.

„Mir ist nicht nach Scherzen zumute, Bernd. Jasmin ist spurlos verschwunden. Hast du eine Ahnung, wo sie sein könnte?“

„Hey, deine Laune ist ja wirklich miserabel.“

Kein Wunder, dachte Christian, mir wäre ja auch beinahe von einem Strichjungen mein Knie zertrümmert worden. Aber davon erzählte er seinem Bruder nichts. Christian wollte die Dinge nicht unnötig verkomplizieren.

„Ja, ich bin nicht gut drauf, Bernd. Irgendein Dreckskerl hat mich betäubt. Als ich heute Morgen aufwachte, war Jasmin fort.“

Auch den toten Transvestiten ließ Christian einstweilen weg. Davon würde sein Bruder noch früh genug erfahren. Immerhin schien Bernd nun kapiert zu haben, dass es ernst war. Sein Tonfall änderte sich entsprechend.

„Fort? Meinst du, sie wurde gekidnappt? Oder ist sie abgehauen? Was sagt denn die Polizei dazu?“

„Die Besorgnis der Polizei scheint sich in Grenzen zu halten“, stieß Christian frustriert hervor. Darauf sagte sein älterer Bruder nichts. Das Schweigen dauerte so lange, bis Christian erneut redete.

„Hat es dir die Sprache verschlagen, Bernd?“

„Nein, das nicht. Aber ich musste mir gerade eine Bemerkung verkneifen. Ich weiß ja, dass du nichts auf Jasmin kommen lässt.“

„Kannst du das nicht verstehen? Sie ist meine Ehefrau, und ich liebe sie. Es gab noch niemals einen Menschen, der mir so viel bedeutet hat.“

Bernd stieß einen lauten Seufzer aus.

„Das weiß ich doch. Aber mir kam Jasmin immer schon merkwürdig vor.“

Christian spürte den Zorn in sich aufsteigen. Und er fragte sich, weshalb er sich seinem Bruder überhaupt anvertraute.

„Was soll das denn heißen? Jasmin ist eine völlig normale Frau. Sie hat es schon zur Filialleiterin gebracht, obwohl sie noch jung ist. Sie arbeitet hart, und mir gegenüber ist sie so sanft wie ein Engel. Es hat noch keine Frau gegeben, bei der es mir so gut gegangen ist.“

Während Christian diese Worte aussprach, wurde ihm klar, wie sehr ihm Jasmin jetzt schon fehlte. Das hohle Gefühl in seinem Inneren verstärkte sich. Es war wie ein Hunger, der durch keine Nahrung der Welt gestillt werden konnte.

„Ich kann auch nicht erklären, was mir an Jasmin nicht gefällt. Ich bin nie mit ihr warm geworden.“

„Wahrscheinlich ist genau das der Grund, Bernd! Du wärst selbst gern bei Jasmin gelandet, weil sie so gut aussieht und nicht in einer Vorstadtsiedlung versauert wie …“

„Pass‘ auf, was du sagst, Freundchen! Wenn du jetzt meinst, ich wäre mit meiner Elke unglücklich, nur weil dir deine Frau weggelaufen ist, dann wirst du es bereuen!“

„Weggelaufen? Du hast wohl zu heiß gebadet. Jasmin wurde entführt oder unter Drogen gesetzt. Sie vegetiert jetzt womöglich in irgendeinem Rattenloch vor sich hin, während du mir drohst und dich einen Dreck um meine Probleme kümmerst. Aber so war es früher schon, du hast immer nur an dich gedacht.“

„Ja, ist das so? Dann frage ich mich, weshalb du mich überhaupt angerufen hast. Erwartest du, dass ich hier alles stehen und liegen lasse und dir dabei helfe, deine entlaufene Luxustussi wieder einzufangen?“

Christian antwortete, indem er wortlos auflegte. Sein Pulsschlag hatte sich in beachtliche Höhen geschraubt. Wie kam Bernd dazu, Jasmin als Luxustussi zu bezeichnen? Sie war niemals hochnäsig gewesen, hatte sich tapfer in die kleinkarierte Welt von Christians Familie einzufügen versucht. Jasmin war eisern zu jeder Grillparty marschiert, hatte Nudelsalat gemacht und sich am Wohltätigkeitsbasar der Kirchengemeinde mit selbstgehäkelten Topflappen beteiligt.

Gewiss, das waren alles nur Kleinigkeiten. Aber Christian sah gerade diesen Alltagskram als den besten Beweis dafür an, wie sehr sich Jasmin in der kleinen Stadt integrieren wollte. Sie hatte sogar versucht, sich mit ihrer zänkischen und chronisch unzufriedenen Schwägerin Elke zu verstehen. Und das war nun wirklich nicht leicht, noch nicht mal ihr Ehemann schaffte es.

Was hatte Bernd noch gesagt? Ob er dabei helfen sollte, Jasmin wieder einzufangen? Christian entschloss sich, selbst auf die Suche nach seiner Frau zu gehen. Dafür brauchte er seinen heuchlerischen Bruder nicht. Aber vermutlich würde er dafür mehr Zeit benötigen. Momentan war Sonntag, eigentlich musste Christian am nächsten Tag wieder arbeiten. Aber daran war nicht zu denken.

Er rief seinen Chef an und sprach auf die Mailbox. Christian fand, dass sich seine Phrasen von „dringenden Familienangelegenheiten“ und „unvorhergesehenen Ereignissen“ ziemlich nach fauler Ausrede anhörten. Aber das war ihm in diesem Moment herzlich egal. Falls man ihn wegen Arbeitsverweigerung feuern würde, sollte ihm das auch egal sein. Jetzt zählte nur noch Jasmin.

Christian steckte das Smartphone seiner Frau ein, bevor er das Hotelzimmer verließ. Von einem Taxi ließ er sich nach St. Pauli fahren. Er konnte sich immer noch keinen Reim darauf machen, weshalb Jasmin das Telefon zurückgebracht hatte.

Und wenn sie es nun gar nicht selbst gewesen war? Wenn ihre Kidnapper es getan hatten, um später über das Smartphone mit Christian Kontakt aufnehmen zu können? Das war natürlich auch eine Möglichkeit, die ihm aber gar nicht behagte.

Christian ließ sich von dem pakistanischen Chauffeur am Hein-Köllisch-Platz absetzen, wo sich das Red-Hot-Hotel befand. Bei Tageslicht kam ihm St. Pauli schäbig und deprimierend vor. Es war gut möglich, dass der Kultstadtteil nach Einbruch der Dunkelheit an Glanz gewann – vor allem, wenn man sich die Umgebung mit Hilfe von Alkohol schöngesoffen hatte.

Christian betrat das schmale Gebäude, ging auf den Rezeptionstresen zu. Ein junger Mann in einem schmuddligen weißen Hemd drehte sich in Christians Richtung. Sein Namensschild wies ihn als Marcel aus. Er warf Christian einen abschätzenden und verächtlichen Blick zu. Doch Christian war sowieso nicht hierhergekommen, um neue Freundschaften zu schließen. Er hielt Marcel das Smartphone mit Jasmins Bild unter die Nase.

„Haben Sie diese Frau schon mal gesehen?“

Die Antwort bestand aus einem mürrischen Kopfschütteln.

„Wieso habe ich das Gefühl, Sie würden mich anlügen?“

„Und wieso habe ich das Gefühl, du willst was aufs Maul haben?“

Marcel beugte sich provozierend vor, während er diese Frage stellte. Christian packte ihn an seinem Hemd und riss den Portier in seine Richtung. Ein Knopf sprang ab. Im nächsten Moment waren sich die beiden Männer so nahe, dass höchstens noch ein dünnes Taschenbuch zwischen ihre Nasen gepasst hätte.

„Meine Frau ist fort, du Penner. Und ich rühre mich nicht von der Stelle, bevor ich eine vernünftige Auskunft bekommen habe.“

„Murat!“, krähte Marcel. „Der Transenkiller will mir an die Gurgel!“