365 Tage - Chantal Schlatter - E-Book

365 Tage E-Book

Chantal Schlatter

0,0
14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Idee für das Tagebuch entstand ganz spontan, als wir meinen Laptop mit dem aktuellen Betriebssystem updaten mussten. Bei jedem Start winkte mir nun ein violettes „N“, das sich beim Anklicken als Notiz-Programm offenbarte. Sobald ich eine Seite öffnete, wurde automatisch das Datum eingefügt. Das hat mich so stark an ein Tagebuch erinnert, dass ich mich entschlossen habe, ein Jahr lang Tagebuch zu führen. Neben dem üblichen Tagesgeschäft als 6-fache Mutter und Chefredaktorin einer Gesundheitszeitschrift hat sich diese Aufgabe ziemlich rasch als grosse Herausforderung entpuppt. Ich habe versucht, nicht nur die alltäglichen Ereignisse zu schildern, sondern genau diejenigen Feinheiten einzufangen, die jeden Tag zu einem einzigen unter 365 werden liessen. Ich habe es für meine Kinder geschrieben, die sich darin mit lustigen Kommentaren, schönen Erlebnissen, aber auch ihren Ängsten und Nöten wiederfinden und erkennen werden, wie viel mir an ihnen liegt. Ich habe es für mich geschrieben, weil es mir geholfen hat, die Dinge mit einer Prise Humor zu nehmen, die schönen Momente bewusst zu geniessen und über die weniger schönen nachzudenken. Ich habe es stellvertretend für alle Familien geschrieben, die sich in vielen Situationen wiedererkennen werden. Trotzdem ist das Tagebuch ein sehr persönliches Spiegelbild meiner eigenen Stärken und Schwächen. Es ist kein allgemeingültiger Ratgeber über Kindererziehung oder Haushaltsführung, denn ich kann dazu nicht mehr sagen, als jede andere Mutter auch. Jede von uns steht auf einem anderen Platz und muss ihren eigenen Weg finden. Mein Tagebuch ist ein Hoch auf alle Mütter und das, was sie tagtäglich leisten. Ein Hoch auf alle Väter, die ihre Familien lieben und unterstützen. Ein Hoch auf alle Kinder, weil sie das grösste Glück auf Erden sind. Wenn man es unter der Unordnung, dem Wäscheberg und den Windeln gefunden hat... Solidarische Grüsse, Chantal Schlatter

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 709

Veröffentlichungsjahr: 2013

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



www.tredition.de

Das Erste, das der Mensch im Leben vorfindet, das Letzte, wonach er die Hand ausstreckt, das Kostbarste, was er im Leben besitzt, ist die Familie.

Adolf Kolping

Für meine Kinder

Dr. pharm. Chantal Schlatter

365 Tage

Tagebuch einer Mutter

“Alles in allem”

www.365tage.ch

www.tredition.de

© 2013 Chantal Schlatter

Autorin: Dr. pharm. Chantal Schlatter

Umschlaggestaltung: Dr. pharm. Chantal Schlatter

Illustrationen: von den Kindern der Familie Schlatter

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN: 978-3-8495-6830-6

Das Werk, einschliesslich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Vorwort

Die Idee für das Tagebuch entstand ganz spontan, als wir meinen Laptop mit dem aktuellen Betriebssystem updaten mussten. Bei jedem Start winkte mir nun ein violettes „N“, das sich beim Anklicken als Notiz-Programm offenbarte. Sobald ich eine Seite öffnete, wurde automatisch das Datum eingefügt. Das hat mich so stark an ein Tagebuch erinnert, dass ich mich entschlossen habe, ein Jahr lang Tagebuch zu führen.

Neben dem üblichen Tagesgeschäft als 6-fache Mutter und Chefredaktorin einer Gesundheitszeitschrift hat sich diese Aufgabe ziemlich rasch als grosse Herausforderung entpuppt. Ich habe versucht, nicht nur die alltäglichen Ereignisse zu schildern, sondern genau diejenigen Feinheiten einzufangen, die jeden Tag zu einem einzigen unter 365 werden liessen.

Ich habe es für meine Kinder geschrieben, die sich darin mit lustigen Kommentaren, schönen Erlebnissen, aber auch ihren Ängsten und Nöten wiederfinden und erkennen werden, wie viel mir an ihnen liegt. Ich habe es für mich geschrieben, weil es mir geholfen hat, die Dinge mit einer Prise Humor zu nehmen, die schönen Momente bewusst zu geniessen und über die weniger schönen nachzudenken.

Ich habe es stellvertretend für alle Familien geschrieben, die sich in vielen Situationen wiedererkennen werden. Trotzdem ist das Tagebuch ein sehr persönliches Spiegelbild meiner eigenen Stärken und Schwächen. Es ist kein allgemeingültiger Ratgeber über Kindererziehung oder Haushaltsführung, denn ich kann dazu nicht mehr sagen, als jede andere Mutter auch. Jede von uns steht auf einem anderen Platz und muss ihren eigenen Weg finden.

Mein Tagebuch ist ein Hoch auf alle Mütter und das, was sie tagtäglich leisten. Ein Hoch auf alle Väter, die ihre Familien lieben und unterstützen. Ein Hoch auf alle Kinder, weil sie das grösste Glück auf Erden sind. Wenn man es unter der Unordnung, dem Wäscheberg und den Windeln gefunden hat …

Solidarische Grüsse,

Chantal Schlatter

Montag, den 12. September 2011

Heute habe ich den Arbeitsvertrag unterschrieben. Irgendwie zwischen Mittagessen und Abwasch sitze ich an meinem Schreibtisch im Büro. Hinter mir sind Joana und Jared mit Kreativem beschäftigt, Jonas schiebt den Puppenwagen über den mit Essensresten übersäten Boden. Den Gedanken an den zerquetschten, klebrigen Reis verdränge ich einfach. Julischka ist bereits wieder zur Schule gegangen, und wo Jelena steckt, weiss ich in dem Moment gar nicht so genau. Wahrscheinlich ist sie oben am Spielen. Janina schläft. Zum Glück.

Ich sitze also da und schiebe den unterschriebenen Vertrag ins Couvert und habe jetzt schon ein schlechtes Gewissen, weil ich mich hier ausklinke und am Schreibtisch sitze statt mich um Kind und Haus zu kümmern. Wo soll das denn hinführen? Der ganze Haushalt wird verlottern und die Kinder verwildern. Bald schon wird Joanas Lehrerin auf mich zu kommen und über ihre Schwierigkeiten in der Schule berichten (dabei hat sie gerade erst angefangen). Jareds Kindergärtnerin wird mir unmissverständlich zu verstehen geben, wie schade es sei, dass Jared unter meiner Berufstätigkeit leiden müsse. Vermutlich wird es niemand gutheissen. Ich beschliesse deshalb, dass alles so lange wie möglich geheim bleiben muss.

Am Nachmittag versuche ich, mein schlechtes Gewissen mit besonders viel Aufmerksamkeit für die Kinder zu kompensieren. Das gelingt mir nur zur Hälfte. Die Mittagsruhe habe ich um eine halbe Stunde überzogen, weil ich im Internet mit dem Suchen einer geeigneten Kinderbetreuung beschäftigt war. Erst als ich gegen halb fünf endlich mit den Kindern draussen im Garten ankomme, finde ich so langsam den Weg zurück in diesen wolkenlosen Spätsommertag. Kurz vor sechs drücke ich Julischka die heute ewig unzufriedene Janina in die Arme, damit ich mit den beiden Kleinen noch die letzten 20 Minuten vor Sonnenuntergang im Planschbecken baden kann. Das geniesse ich sehr.

Um 18:30 h kommt Philipp von der Arbeit nach Hause und überrascht uns mit seiner Version eines Spätsommerabends. Er macht Feuer, und ich durchwühle den Tiefkühler nach etwas Grillbarem. Zum Glück hat die Mikrowelle eine Auftaufunktion und der Dorfladen bis um 19 h geöffnet…

Nach dem Abendessen und bei einbrechender Dunkelheit begehen wir unseren allwöchentlichen Familienheimabend bei Pommes Chips und Feuerschein. Ich schaue in die Runde und während ich hoffe, dass mir keines der Kinder von der wackeligen Bankgarnitur fällt, blicke ich in ihre Gesichter und sehe, wie zufrieden sie sind. Da ist keine Spur mehr von einem schlechten Gewissen.

Dienstag, den 13. September 2011

Heute ist die Stanzzange gekommen, die ich im Internet bestellt habe. Ich verspreche mir von diesem Werkzeug eine immense Arbeitserleichterung. Wenn man rechnet, dass acht Gesichter mal fünf Ämtchen bereits 40 Kreise ergeben und dann mindestens noch einmal acht mal zwei Kreise für die Organsiation des Familienheimabends dazukommen, die alle zuerst einzeln aus dem Papier und nach dem Laminieren noch aus der Folie ausgeschnitten werden müssen, kommt mir so eine runde Stanzzange vom Durchmesser XXL doch wie gerufen.

Es wird auch höchste Zeit, die Gesichter auf den Magneten zum Ämtliplan am Kühlschrank zu erneuern: Der mittlerweile eineinhalb jährige Jonas sieht aus wie frisch geschlüpft und Janina ist noch nicht einmal vorhanden. Nicht dass ein drei Monate altes Baby schon tatkräftig beim Tisch abräumen, Bad putzen oder Staubsaugen helfen könnte, aber antreten muss sie wie alle anderen auch. In diesem Haushalt müssen alle zusammenhalten!

Joana sitzt im Büro an ihrem Schreibtisch und produziert – angeregt von meiner eigenen Bastelarbeit – ein Kunstwerk nach dem anderen, die dann alle laminiert werden müssen. „Mami, es ist rot!“, ruft sie in regelmässigen Abständen zu mir nach draussen, was so viel heisst wie „das Laminiergerät ist betriebsbereit.“

Jared ist bei einem Kindergartenfreund. Julischka hat diesen Nachmittag schulfrei und ist zu Hause. Etwas irritiert nehme ich zur Kenntnis, dass sie sich über Langeweile beklagt. „Wie kann es einem Teenager von 15 Jahren in der dritten Klasse Bezirksschule mit so vielen Hausaufgaben, Rechten und Pflichten, einem Stapel Bücher und einem neuen iPod inkl. Lautsprecher in diesem Haus bloss langweilig sein?“, frage ich sie. Seither habe ich sie nicht mehr gesehen.

Nur Jelena setzt sich neben mich, schaut mich neckisch an und eröffnet das Spiel: „Mami, wer ist der Boss?“ „Na, ich bin der Boss“, antworte ich. „Du? Nein, ich!“, kontert sie und geht erwartungsvoll in Deckung. Ich forme zwei riesige Monsterhände und kitzle sie so lange aus, bis sie sich ergibt: „Du bist der Boss, Mami!“ Und das spielen wir so lange, bis Joana mit dem Telefon angerannt kommt. Die Mutter von Jareds Freund ist ganz aufgeregt. Abgehauen seien die beiden Jungs, einfach fortgegangen, ohne zu sagen, wohin. Ob sie denn bei mir seien? Noch während ich mit dem Hörer am Ohr die ganze Nachbarschaft mit meinem lauten Rufen in Alarmbereitschaft versetze, kommen die beiden Lausbuben zu ihr zurück. Sie schickt Jared postwendend nach Hause.

Schuldbewusst öffnet Jared die Tür. Fürs Protokoll erkläre ich ihm, was ihm zur Last gelegt wird: „Ihr dürft im Dorf spazieren gehen, aber wir Mamis müssen immer wissen, wo ihr seid. Ihr müsst uns immer sagen, wo ihr hingeht. Du hast eine Woche Abmachverbot.“ „Ich wollte ja etwas sagen, aber David hat gesagt…“, verteidigt er sich. „Jared“, erwidere ich streng. „Du bist ein kluger Junge, du weisst genau, was richtig ist und was nicht. Nächstes Mal machst du einfach das Richtige, egal was andere tun.“ Überraschenderweise scheint Jared mit meiner Rede zufrieden zu sein und geht ins Zimmer nach oben.

Als ich im Garten gerade die Decke zusammenlege, kommt Jared unerwartet zu mir und sagt: „Ich helfe dir, Mami“. Er nimmt die Badetücher und legt sie über die Gartenstühle. „Danke, mein Schatz. – Du weisst aber schon, dass du trotzdem Abmachverbot hast?“, frage ich misstrauisch. „Ja, ich weiss, und ich habe mein Zimmer aufgeräumt!“, antwortet er stolz.

Sobald Philipp zu Hause ist, gehe ich nach unten in die Waschküche und werfe dabei einen Blick in den Hobbyraum. Ich kann es nicht glauben! Julischka hat am Nachmittag die beiden Schuhregale zusammengeschraubt, die seit Monaten in der Originalverpackung herumgestanden und auf Erlösung gewartet haben. Sie hat nicht nur alles ordentlich zusammengeschraubt, sondern auch noch den Karton und allen Abfall entsorgt!

Keine schlechte Bilanz für diesen Tag: „Alle für einen und einen für alle“, aber ich bin der Boss!

(Natürlich auch Philipp, wenn er zu Hause ist.)

Mittwoch, den 14. September 2011

Heute Morgen gehe ich einkaufen, wie jeden Mittwoch. Seit Jahren gehe ich dafür nach Deutschland, die Grenze ist nur sechs Autominuten entfernt. Ganz abgesehen vom enormen Sparpotenzial, befindet sich dort im Städtchen auch die grösste Auswahl an Geschäften weit und breit.

Ich parkiere im Schatten, greife nach zwei Ein-Euro-Münzen und öffne die seitliche Autotür. Jonas hat sich bereits selber losgeschnallt. (Der Erste in der Schlatter-Dynastie, der das bereits mit 1 ½ Jahren beherrscht). Er bereitet mir mit dieser neuen Fertigkeit einigen Ärger, wenn ich unterwegs alle paar Kilometer rechts ranfahren muss, um ihn wieder anzuschnallen. Ich schare meine Kinder also um mich wie eine Henne ihre Küken und weise standardmässig darauf hin: „Achtung, hier kann es Autos haben“. Ein Satz, der in dieser Art wohl nur jemand formuliert, dessen Kinder in absolut ländlicher Idylle aufwachsen.

Einen Einkaufswagen fülle ich allein schon mit Jonas und Janina im Maxikosi, meiner Tasche und dem Babybjörn als Backup, falls Janina doch lieber getragen werden möchte. Den anderen Wagen brauche ich für die Einkäufe. Jelena geht neben mir her. Vorne und hinten mit je einem Einkaufswagen bewaffnet, betreten wir den Penny-Markt. Ich habe gerade einmal ein paar Trauben und Bananen geladen, als Jonas laut wird und aus dem Wagen raus will. Damit bin ich nicht einverstanden, aber weil er andauernd aufsteht und ich nicht gleichzeitig mit beiden Händen seine Füsse nach unten halten und einkaufen kann, versuche ich es mit einem Deal: „Du darfst aus dem Wagen raus, wenn du bei mir bleibst. Sobald du wegrennst, musst du wieder in den Wagen rein, ok?“ Kaum habe ich ihn auf den Boden gesetzt rennt er mir freudestrahlend davon. „Nein, Jonas, so geht das nicht. Wenn du wegläufst, musst du wieder in den Wagen.“ Ich setze ihn wieder rein und schon geht das Gebrüll von vorne los. Die Leute orten die Lärmquelle, aber in diesem Stadium werde ich noch nicht nervös. „Also gut, noch einmal. Wenn du bei mir bleibst, darfst du runter.“ Aber auch dieses Mal läuft er weg. Das geht ein paar Mal hin und her bis der Deal geplatzt ist und ich mich unerbittlich zeige: Jonas bleibt im Wagen sitzen. Basta.

Aber schon beim Gemüse übernimmt Jelena seinen Part und rennt mir bis zur Wurst davon, sodass spätestens beim Käse keines der Kinder mehr frei herumläuft, dafür aber Janina weint, weil sie eigentlich schon lange einschlafen will, es auf der Autofahrt hierher aber gerade nicht mehr geschafft hat. Jetzt fühle ich einen Hauch von Nervosität in mir hochsteigen, besinne mich aber auf die drei goldenen Regeln für das Einkaufen mit kleinen Kindern:

Schau dich niemals um, du könntest sonst sehen, wie die Leute sich über euch aufregen.

Werde bloss nicht nervös, die Nervosität überträgt sich auf die Kinder und macht alles noch schlimmer.

Wisse, dass deine Kinder im Grunde genommen brave Kinder sind und dass du sie eigentlich liebst.

Ich nehme Janina aus dem Maxicosi und setze sie in den Babybjörn, so dass sie auf meiner Brust liegt. Ich laufe mit ihr langsam den Mehl-Ketchup-Nudeln-Gang rauf und runter (die Kinder habe ich solange aus dem Wagen befreit), während ich leise singe: „Schlaf mein Kind, der Tag ist vorbei…“ (Von wegen!). Jelena und Jonas schlecken derweil mit dem Finger den Zucker, der aus einer kaputten Packung auf der Palette herausbröselt. Nach dem Waschpulver und den Haushaltsartikeln ist Janina eingeschlafen. Bei der Milch und den Säften war ich schon, denn die Erfahrung hat mich gelehrt, dass diese Dinge zu allererst in den Wagen rein müssen, auch wenn ich dafür zuerst den halben Laden durchquere. Andernfalls muss ich noch einmal den ganzen Wageninhalt umkrempeln, bevor ich die 24 Liter Milch einladen kann, die meine Familie pro Woche umsetzt.

Seit die neuen Einkaufswägelchen keine separate Ladefläche für Getränke mehr haben, hat sich die Lage dramatisch zugespitzt. Mein Einkaufswagen quillt über, die beiden Packungen Toilettenpapier lege auf den leeren Maxicosi. Von hinten nähert sich mir ein Mann. Er übergibt mir die Hefe und die Reiswaffeln, die Jonas ein paar Meter vorher aus meinem Wagen befördert hat. In diesem Moment erkenne ich, dass Jonas bereits in die Butter hineingebissen hat, die er in der Hand hält. Ich lächle den Herrn etwas verlegen an und mache mich mit meinem Monstertruck auf den Weg in Richtung Kasse. Mir scheint jedes Mal, dass es die Leute besonders eilig haben, sich in die Schlange zu stellen, sobald es sich abzeichnet, dass ich auf dem Weg dorthin bin, und die Kassiererin ruft regelmässig ihre Kollegin, damit sie die zweite Kasse besetzt. Mich lässt das alles kalt, schliesslich bin ich mit meinem Einkaufsvolumen wahrscheinlich die beste Kundin der Stadt.

Der Herr von vorhin spricht mich noch einmal an. „Kann ich Ihnen beim Schieben helfen?“ „Nein, danke, es geht schon“, antworte ich. Warum fällt es mir bloss immer so schwer, Hilfe anzunehmen? Ich überlege, was ich ihm dazu sagen könnte: „Wissen Sie, Sie sind mir die grösste Hilfe…“ – Ich mache eine Pause, sehe ihm direkt in die Augen und beginne noch einmal mit Nachdruck: „Die grösste Hilfe sind Sie mir, wenn Sie sich nicht über uns aufregen!“ „Ach, wieso sollte ich mich über Sie aufregen“, sagt er, „ich habe selber fünf Kinder!“

Donnerstag, den 15. September 2011

Heute ist mein Inserat erschienen. Ich kann es zwar in der Zeitung nicht finden, aber es muss dort sein, denn just beim dritten Mal Durchblättern klingelt mein Handy zum ersten Mal und seither in so regelmässigen Abständen wie die Wehen. Ich bin dermassen überrascht vom Ansturm, schlecht vorbereitet und völlig naiv. Bei den ersten acht Anruferinnen denke ich nicht einmal daran, dass es vielleicht ganz nützlich sein könnte, wenn ich ihre Telefonnummern hätte. Vielleicht kommt mir ja etwas dazwischen oder ich möchte jemandem absagen. Vor allem Letzteres wird gegen Ende des Tages immer offensichtlicher. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg, im Moment lade ich sie alle ein: „Ja, wann möchten Sie denn kommen, um uns kennenzulernen? Ach, schon heute um 13 h?“ „Am Samstag?“ „Ja, am Montagnachmittag hätte ich noch einen Termin um 16:30 h!“

Und so geht das den ganzen Morgen. Kaum habe ich aufgelegt, klingelt es wieder. Ich bekomme einen leichten Anflug von Panik. Wie soll ich es denn schaffen, das Mittagessen rechtzeitig fertig zu haben, wenn ich andauernd ans Handy gehen muss? Aber vielleicht ist der nächste Anruf ja genau der, auf den ich gewartet habe? Also gehe ich wieder ran. „Kann ich Ihre Festnetznummer haben?“, ist das erste, was ich überhaupt verstehe. Etwas irritiert diktiere ich der Dame meine Telefonnummer. Ich überlege gerade, ob ich zu hart urteile, wenn ich das als dreist empfinde, als es wieder klingelt. Die Fortsetzung des Gesprächs läuft nicht besser als der Anfang, und als ich sie frage, ob sie denn Erfahrung habe mit Kindern antwortet sie gereizt: „Wissen Sie, ich bin nicht von gestern!“ Für mich ist die Sache klar: „Nein, danke, ich glaube lieber nicht!“

Eine andere Frau ruft stellvertretend für ihre 23-jährige Tochter an, was ich aber eher zufällig herausfinde. „Wissen Sie“, sage ich, „ich hätte schon gerne zuerst mit Ihrer Tochter persönlich gesprochen, bevor ich mit Ihnen einen Termin für sie vereinbare.“

Die Bilanz des Tages sieht folgendermassen aus: 16 Anrufe, 4 Vorstellungsbesuche, weitere neun abgemachte Vorstellungsgespräche bis Montag und Null Zeit für die Kinder. Ausserdem ein trotz allem sehr gelungenes „Riz Casimir“. Die Kinder (meine eigenen plus die drei vom Mittagstisch) wollen nächstes Mal mehr von den gebratenen Bananen haben. Ausserdem zwei wirklich sehr sympathische Bewerberinnen. Und wie das im Leben so ist, findet man es immer dort, wo man es am wenigsten erwartet.

Das Inserat habe ich immer noch nicht gefunden und die Zeitung liegt inzwischen im Altpapier.

Freitag, den 16. September 2011

Heute bin ich den ganzen Tag hin- und hergerissen. Es heisst, wir sollen uns auf unser Bauchgefühl verlassen und wir Frauen seien so gut darin. Ich nicht. Ich habe schon Gefühle, aber die ändern sich, je nachdem, aus welchem Blickwinkel ich die Situation betrachte. Und selbst wenn ich glaube, zu wissen, was ich fühle, dann weiss ich immer noch nicht, ob das was ich fühle, auch richtig ist.

Ich liege im Bett mit Janina eng an mich gekuschelt und versuche, sie zu beruhigen. Sie ist eigentlich satt, aber schon so müde, dass sie vor lauter Müdigkeit nicht einschlafen kann. Ich bin selber müde und sollte eigentlich noch einen Artikel schreiben heute Abend. Ich spüre, dass ich das heute nicht mehr schaffen werde und werde sogleich ärgerlich darüber. Zusätzlich bedrückt mich der Gedanke, dass ich bald entscheiden muss, wem ich meine Kinder anvertrauen soll.

Das einzige Jahr, in dem ich ausser Haus gearbeitet habe, war das Jahr, bevor Jonas auf die Welt gekommen ist. Sonst habe ich immer alles von zu Hause aus getan, abends, wenn die Kinder im Bett waren: Meine Anstellung an der Uni, meine Dissertation in Pharmazie, meine Selbstständigkeit als Medizinjournalistin und meine Fernstudien.

Als ich damals das Angebot eines meiner Auftraggeber für eine Festanstellung angenommen hatte, war Jelena erst acht Monate alt. Es ist offensichtlich, dass ich ein schlechtes Gewissen deswegen habe. Aber der Job war toll: Als Redaktorin gestaltete ich diverse Fortbildungsangebote für Hausärzte und schrieb zahlreiche Artikel. Ich war nicht nur intellektuell wieder in Topform. Mit einer Figur wie anno dazumal als Studentin fühlte ich mich attraktiv und bestätigt.

Trotzdem bin ich mit dem Spagat nie ganz zurecht gekommen. Ständig plagte mich ein schlechtes Gewissen. Als Umstrukturierungen in der Firma das Arbeitsklima verdarben und ich durch die Schwangerschaftshormone geläutert wurde, kam ich gegen Ende des Jahres zu einer befreienden Erkenntnis: „Wenn du dich im Geschäft anstrengst“, so sagte ich mir, „kommt das in erster Linie dem Geschäft zugute. Wenn ich mich zu Hause anstrenge, kommt das in erster Linie den Kindern zu Gute. So oder so komme ich erst an zweiter Stelle. Dann arbeite ich doch lieber für meine Kinder!“

Also, was ist passiert? Heute stehe ich wieder am genau gleichen Punkt: Ich suche nach einer Kinderbetreuung, weil ich ein Jobangebot angenommen habe, das an mich herangetragen worden ist: Chefredaktorin von astreaApotheke, der offiziellen Kundenzeitschrift der Schweizer Apotheken. Kling gut, nicht? Wäre da nicht dieses drückende Gefühl, schon Wochen bevor es überhaupt losgeht. Zum Glück sind die Umstände dieses Mal besser: Zwei bis drei Sitzungen im Monat, der Rest als Home Office. Trotzdem bekomme ich ein 70% Pensum nicht in Form von Nachtschichten unter, wenn ich am nächsten Tag für die Kinder da sein muss. Spätestens seit ich die 35 überschritten habe, sind meine Nerven nach sechs Stunden Schlaf eindeutig besser als nach drei.

Damit ich also auf meine Stunden komme und an die Sitzungen gehen kann, muss ich tagsüber ein Pensum von 30% abdecken, und für diese 30% bin ich auf der Suche nach einer perfekten Vertretung für mich (als ob es das gäbe!). Erst als mein Mann vorschlägt, selbst die Hälfte von diesen 30% zu übernehmen – er wird in Zukunft am Freitagnachmittag zu Hause sein, und er ist fast so gut wie ich – ist mein Widerstand gebrochen. Sechs Stunden Fremdbetreuung in der Woche, sechs Stunden müssten doch zu schaffen sein. Das wird doch niemandem schaden, oder? Schliesslich bekommt man nicht jeden Tag eine solche Stelle angeboten, die man dazu noch flexibel gestalten kann.

Und warum liege ich dann hier und habe gerade das Gefühl, einen grossen Fehler zu machen? Ich setze mich auf, nehme Janina in den Arm und wische mir die Tränen aus den Augen.

Samstag, den 17. September 2011

Heute Morgen ist Philipp mit Jared zum Fussballmatch gefahren. Julischka bleibt den ganzen Morgen im Bett und Jelena schläft bis zwanzig nach neun. Von allen Kindern schläft sie morgens eindeutig am längsten. Ganz die Mama! Joana hingegen hat bereits gefrühstückt, ein Bild gemalt sowie aus Knete eine Schnecke, ein Herz, einen Schneemann und eine Katze geformt. Jonas räumt mir zum x-ten Mal die Schublade mit den elektrischen Küchengeräten aus, zieht seine Errungenschaft am Kabel quer durch die Küche und das Esszimmer zur einzigen ungesicherten Steckdose im ganzen Erdgeschoss – schliesslich möchte ich auch einmal etwas an den Strom anschliessen können, ohne vorher eine Dreiviertelstunde lang nach dem Schlüssel zur Entsicherung der Steckdose suchen zu müssen. Nur noch ein kleiner Moment, und Jonas hat die Saftpresse in Betrieb genommen.

Das Telefon klingelt. Es ist Lorli, eine 83-jährige Frau aus der Nachbarschaft. „Gehst du heute einkaufen?“, fragt sie mich. „Nein, am Samstag nie. Da hat es mir viel zu viele Leute! Warum? Brauchst du etwas?“ Eine viertel Stunde später ist sie bei mir und wartet geduldig, bis ich alle Kinder verladen habe und sie in den alten Toyota hochsteigen kann. Anschnallen will sie sich nicht, ich aber bestehe darauf. Es ist dies das erste Mal, dass wir zuammen einkaufen gehen.

Früher war sie jeden Donnerstag zum Mittagessen bei uns. Seit Janinas Geburt kommt sie nicht mehr regelmässig, ich glaube, sie getraut sich nicht mehr. Trotzdem koche ich immer noch jeden Donnerstag etwas, was sie besonders gerne mag. „Ich komme nicht wegen dem Essen“, betont sie immer, „Ich komme auf einen Schwatz vorbei!“ Es ist absolut bewundernswert, wie sie das Mittagsspektakel erträgt und dabei nicht aufhört, sich an den Kindern zu freuen, für das bisschen Zeit, dass ich ihr nach dem Essen schenke.

Unterwegs fällt mir auf, dass wir uns genau dort kennengelernt haben, wo wir jetzt gemeinsam hinfahren: Beim Einkaufen im Coop in Stein. Jonas war damals acht Monate alt. Sie hat so grosse Freude gehabt an ihm, dass sie stehengeblieben ist und mit ihm gespielt hat. Dann hat sie geweint und erzählt, dass sie vor kurzem die Todestage von ihrem Mann und einem ihrer Söhne begangen hat. Das muss ungefähr ein Jahr her sein. Nein, das ist ziemlich genau ein Jahr her, denn auch jetzt weint sie, während sie mir erzählt, dass ihr Mann am 15. September 87 Jahre alt geworden wäre.

Um 16 h und 17 h kommen die nächsten zwei Bewerberinnen für den Kinderbetreuungsjob. Nummer „16 h“ ist eine halbe Stunde zu früh und raubt mir meinen Mittagsschlaf. Kein guter Start. Mit den Kindern macht sie einen sehr guten Eindruck (Joana liebt sie wegen ihren blonden langen Haaren), bloss ist sie viel zu schön! Eine Nanny sollte nie schöner sein als die Herrin des Hauses!

Die Nächste wird pünktlich um fünf vor unserer Haustüre abgeladen. Sie verhält sich sehr passiv dafür, dass sie eine Stelle will. Irgendwann frage ich sie gerade heraus, was denn ihre Motivation sei für diese Stelle. Sie erzählt mir etwas vom Arbeitslosenamt und den Rest kann ich mir denken. Als sie geht, lese ich in ihren Augen: „Bitte, seien Sie so nett, nehmen Sie mich nicht!“ Das ist doch mal was anderes…

Es wird schon dunkel, und ich bin in der Küche beschäftigt. Während ich den Abwasch mache, rufe ich meinen Vater an und frage ihn, wie gefährlich das mit den Steckdosen in Wirklichkeit sei. Dieses Mal hat sich Jonas den Föhn gekrallt, der noch rumgelegen hat, weil wir die Kinder gebadet haben. Mein Vater schlägt vor, ihm mit einer 9-Volt-Batterie die unangenehme Seite der Elektrizität auf verhältnismässig sanfte, aber äusserst eindrückliche Art und Weise zu vermitteln. Das mache ich zu meinem Plan B. Als Erstes werde ich nun auch noch die letzte der Steckdosen verschliessen.

Sonntag, den 18. September 2011

Heute hat der Herbst begonnen. Die Meteorologen sprechen von einem „markanten Wintereinbruch“. Bei 14°C sitzen wir in oder zwischen Kindersitzen eingepfercht vollzählig im Auto. Philipp fährt und plaudert mit Janina, die neben ihm auf dem Beifahrersitz im Maxicosi angeschnallt ist. „Gut, dass du dir schon so viel Speckli angefuttert hast, jetzt wo der Winter kommt!“ Wir parkieren in Bad Säckingen auf unserem Spezial-Parkplatz. Unter der Woche gehört er der Bank, am Sonntag uns. Zumindest hat bis jetzt niemand reklamiert. Wenig später hüpfen lauter rote, türkise und froschgrüne Tupfer durch den Regen in Richtung Innerstadt: Ich bin dieses Jahr dem Modezwang erlegen und habe alle Kinder mit Softshelljacken eingedeckt.

Weil wir in Bad Säckingen und Umgebung nur eine kleine Gemeinde sind, besitzen wir kein eigenes Kirchgebäude, sondern haben oberhalb der Sparkasse Räumlichkeiten gemietet. Steigt man oben aber aus dem Lift aus, unterscheidet sich der Anblick kaum von dem eines „echten“ Gemeindehauses unserer Kirche. Wir sind so gut wie pünktlich, obwohl wir erst um zehn vor acht aufgestanden sind. Es braucht schon einiges an logistischem Knowhow, um Sonntag für Sonntag mit sechs hübsch in Sonntagskleidern verpackten Kindern punkt neun auf der Matte zu stehen.

In der ersten Stunde finden verschiedene Klassen statt. Joana, Jared und Jelena gehen zu den anderen Kindern in die „Primarvereinigung“, Julischka geht zu den „Jungen Damen“, Philipp geht in die „Priestertumsversammlung“ und ich sollte eigentlich in die FHV, zu den anderen Frauen in die Frauenhilfsvereinigung. Da war ich aber schon seit Jahren nicht mehr. Weil Jonas heute mit Papa mitgehen möchte, ziehe ich mich mit Janina in den Kindergarten zurück. Dort lege ich mich mit ihr auf eine Matratze. Ich geniesse diese Kuschelmomente mit ihr ganz alleine.

Aber nicht lange. Die Tür geht auf und Philipp bringt Jonas zu mir. Er müsse spontan eine Klasse geben, weil der Lehrer ausgefallen sei. Ich überlege kurz, was das für mich bedeuten würde, wenn ich spontan eine Klasse aus dem Ärmel zaubern müsste und verdränge den Gedanken gleich wieder. Lieber er als ich!

Nach kurzem Spiel schnappt sich Jonas den Puppenwagen. Wir gehen nach draussen in den Korridor. Ich setzte mich auf einen Stuhl, während Jonas den Wagen den Gang rauf und runter schiebt. Die Türen zu den Klassenzimmern sind alle mit Glas versehen – der Zufall will es, dass ich von meinem Platz aus gerade auf meinen Mann blicke. Ich beobachte, wie er gestikuliert und spricht und zwischendurch lacht. Es ist ein Wunder, dass er heute an dieser Stelle steht. Er ist ein grosser Segen für mich, ohne ihn wäre alles nichts.

Aus dem PV-Zimmer klingt Musik, die Kinder lernen gerade ein neues Lied. Nebenan höre ich Julischka lachen. Jetzt klimpert sie eine Melodie auf dem Klavier. Ich weiss, dass sie es ist, weil ich die Melodie wiedererkenne.

In der zweiten Stunde sitze ich mit Jonas und Janina im Kindergarten, wo die Lehrerin nach einer Mini-Lektion Papier und Stifte zum Malen verteilt.

In der letzten Stunde findet die Abendmahlsversammlung statt. Hier treffen wir uns alle wieder. Für die Kleinen ist diese letzte Stunde ziemlich anstrengend. Wir halten sie mit Apfelschnitzen und Vollkornkräckern bei Laune. Nach dem Abendmahl dürfen sie sich frei bewegen, solange sie ruhig sind und dabei niemanden stören. Joana setzt sich zu Wolfgang, der ihr mit seinem Kulli eine Palme und eine Meerjungfrau auf den Arm malt. Jelena zapft bei Sigi ihre Gummibären-Quelle an und Jared borgt sich Leifs iPhone zum Spielen. Philipp und ich haben abwechselnd Janina und Jonas bei uns. Heute erreicht Philipp den Gipfel der Unkompliziertheit. Selbst ich schaue etwas blöd aus der Wäsche, als er Janinas „Bisi-Windel“ an Ort und Stelle (und auf seinem Anzug) wechselt.

Für Julischka kommt ein besonderer Moment. Sie steht heute zum ersten Mal vor allen Leuten und dirigiert die Musik. Seit Tagen übt sie dafür, hat alle Rhythmen intus und beherrscht Aufschläge und Fermaten. Sie hat sich diesen Job nicht ausgesucht, sie wurde angefragt, ob sie diese Aufgabe übernehmen würde und hat angenommen. Jetzt steht sie da vor all den Leuten. So eine hübsche, junge Dame! Erst noch war sie mein Baby und jetzt – schaut sie euch an! Spätestens beim Refrain von „Ich weiss, dass mein Erlöser lebt“ steigen mir die Tränen hoch. Etwas schüchtern zwar, aber schwungvoll und völlig korrekt dirigiert sie uns durch die Lieder.

Zu Hause angekommen lobe ich Julischka, aber statt sich zu freuen, bricht sie in Tränen aus: „Niemand ist zu mir gekommen und hat mir gesagt, dass ich es gut gemacht habe. Nur Peter.“ (Aber der zählt anscheinend nicht, was ich verstehen kann, schliesslich hat er ihr das eingebrockt.) „Und Adina hat auch noch so eine doofe Bemerkung gemacht. Das Klavier hat einfach angefangen zu spielen und niiiiiiiiiiiemand hat zu mir hergesehen!“ (Wir zählen anscheinend auch nicht.)

Während ich auf meinem Bett liege und Janina stille, hören wir, wie Julischka in ihrem Zimmer immer noch weint. Joana und Jared fragen mich, was sie hat. Ich erkläre ihnen, dass Julischka traurig ist, weil ihr niemand gesagt hat, dass sie ihre Sache gut gemacht hat. „Nun ist sie verunsichert und weiss nicht, ob sie es richtig gemacht hat oder nicht. Darum ist es wichtig, dass man den Menschen sagt, wenn sie etwas gut gemacht haben.“ Jared nickt die ganze Zeit beipflichtend, und sobald ich mit meinen Ausführungen fertig bin, bestätigt er: „Ja, Julischka hat sehr gut dirigiert. Ich gehe und sage es ihr.“ Er geht also zu ihr herüber, und ich stehe hier ein paar bange Momente aus, weil ich befürchte, dass der verwundete Tiger äh Teenager nun seinerseits einem kleinen Jungen das Herz brechen wird. Der aber kommt zurück und erzählt schlicht: „Sie hat Danke gesagt“. (Später im Verlauf des Tages wird mich Jared noch fragen, was „dirigieren“ denn eigentlich heisst.)

Beim Mittagessen greifen wir das Thema noch einmal auf: „Ich habe eine Idee!“, sage ich zu Julischka. „Du musst dich mit der Pianistin absprechen. Sie muss sowieso lernen, auf dich zu achten. Ihr müsst vereinbaren, dass sie nach dem Vorspiel nicht spielt, bevor du ihr das Zeichen gibst. Und du fängst einfach nicht an zu dirigieren, bis nicht mindestens zwei Drittel der Leute nach vorne schauen. Was meinst du, wie lange es dauert, bis alle ihre Nasen aus dem Gesangbuch hervorholen und aufblicken, wenn vorne einfach nichts passiert!? Das wird lustig! Es dauert nicht lange, und alle blicken nach vorne, sobald das Vorspiel beginnt!“

Manchmal muss man die Erwachsenen erziehen wie die Kinder.

Der Nachmittag plätschert so vor sich hin, drinnen wie draussen. Wir begehen den meteorologischen Herbstbeginn mit dem ersten Käse-Fondue dieser Saison und schauen uns alle gemeinsam den Rapunzel-Film an, „den Film mit den echten Menschen“, wie Joana betont. Überhaupt war das der echteste Tag der ganzen Woche!

Montag, den 19. September 2011

Heute habe ich etwas Furchtbares getan. Ich weiss nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Am Telefon hat sie mir zu verstehen gegeben, dass sie uns nicht in ihre Wohnung hinein lassen möchte. „In dem Fall treffen wir uns doch lieber draussen!“, hat sie gemeint. Gut, das kann ich verstehen. Aber es regnet in Strömen – wo sonst soll sie sich mit Janina auseinandersetzen, wenn nicht in ihrer Wohnung? Im Kinderwagen unter der Regenhaube geht das schlecht.

Mit einer halben Stunde Verspätung klingle ich bei ihr. Sie kommt herunter und öffnet mir die Eingangstür. „Es regnet ziemlich stark. Das mit dem Park wird wohl nichts. Möchten Sie zu uns ins Auto kommen, um zu besprechen, was wir tun sollen?“ Ich räume Jelenas Sitz aus dem Weg und lasse sie einsteigen. Etwas verlegen erkläre ich ihr, warum es hier so riecht. „Wir haben gestern mit den Kindern einen Film geschaut und da war noch Popcorn übrig.“ Dann komme ich gleich zur Sache, der Blick auf die Uhr lässt mir kaum eine andere Wahl. „Ich habe mir überlegt, dass Sie Janina vielleicht am besten kennenlernen, wenn ich Sie Ihnen für 15, 20 Minuten in Ihrer Wohnung überlasse.“ Sie erschrickt ein bisschen. „Sie haben selbst keine Kinder?“, frage ich. Sie schüttelt den Kopf. „Haben Sie überhaupt schon einmal Kinder gehütet?“ „Babys schon“, antwortet sie, „grössere Kinder nicht.“ Ok, das reicht ja für den Moment. „Aber können Sie mir vielleicht Ihren Ausweis geben? Als Garantie sozusagen. Theoretisch könnten Sie sich ja mein Baby schnappen und irgendwo auf dem Schwarzmarkt verhökern!“

Und so tausche ich mein Baby gegen Ihren Pass. „Halten Sie sie so“, rufe ich ihr nach und zeige dabei auf die Brust, „damit sie Sie nächstes Mal am Geruch wiedererkennt.“ Unter den verwirrten Blicken einer alten Nachbarin geht sie mit Janina ins Haus hinein, während ich mit Jonas und Jelena durch den Regen davon stapfe. „Aber Mami – Janina!“ ruft Jelena. „Wir holen Janina gleich wieder ab“, beruhige ich sie. Mir aber läuft es in diesem Moment heiss und kalt den Rücken hinunter. Meine Güte, was mache ich da bloss? Ist Jelena denn die einzige, die sich wundert, dass ich mein Baby einer wildfremden Frau überlasse?

„Wenigstens habe ich ihren Pass“, denke ich. „Wenn sie meinem Kind etwas antut, werde ich den Rest meines Lebens damit verbringen, sie zu jagen.“ – Ist es überhaupt ihr Pass? Ich hole ihn aus meiner Jackentasche und schlage ihn auf. Ja, das ist sie, oder? Sie sieht etwas anders aus, aber ah ja, der Pass ist ja auch schon sechs Jahre alt. In dieser Zeit kann man sich schon ein wenig verändern, oder? Das ist normal. Und warum sollte sie dem Baby etwas antun?

Wir überqueren die Brücke. Ich kenne mich hier gut aus, wir befinden uns nur wenige Meter von der Grenze zu Binningen entfernt. Hier habe ich während den Jahren meines Studiums gelebt.

Während ich meine Kinder durch den Regen treibe, bin ich bei Gedanken in der Wohnung dieser Frau. Was sie wohl gerade macht? Ich kann nichts dafür, aber es steigen unheimliche Bilder in mir auf. Vielleicht ist sie eine Psychopathin und in medizinsicher Behandlung. Was, wenn sie sich in diesem Moment über Janina beugt unbd sie mit der rosa Babydecke erstickt? Vielleicht hasst sie alle Babys, weil sie selbst keine hat? Vielleicht hat sie nur auf meine Annonce geantwortet, um an mein Baby ranzukommen? – Aber nein, da wird schon nichts sein. Schliesslich ist sie Theologie-Studentin. Sie ist bestimmt ein guter Mensch.

Ich habe bewusst den Stellenmarkt der Universität für meine Anfrage benutzt. Ich wollte zusätzlich zu einer Kinderbetreuerin noch jemanden finden, der mich mit Janina zusammen zu meinen Sitzungen begleitet, damit ich Janina zum Stillen in der Nähe habe. Da ich nur alle zwei Wochen eine Sitzung haben werde und dieses Jobangebot zeitlich befristet ist (nämlich nur solange ich Janina voll stille), habe ich gedacht, dass diese Stelle vielleicht für eine Studentin interessant sein könnte. Doris war die erste, die sich gemeldet hat.

Inzwischen sind wir auf der Post angekommen. Ich mache eine Kopie von ihrem Pass und kaufe meinen Kindern einen Lutscher – ich bin ganz eindeutig ziemlich durch den Wind! Auf dem Rückweg werden meine Schritte immer schneller, dann nehme ich Jonas auf den Arm, damit wir noch schneller vorwärts kommen.

Aber vielleicht studiert sie auch nur Theologie, weil sie sich davon die Absolution verspricht? Als ich sie im Auto darauf angesprochen habe, was sie vor ihrem Studium gemacht hat, hat sie bloss mit den Schultern gezuckt. Was, wenn sie etwas zu verbergen hat? Vielleicht ist sie eben erst aus dem Gefängnis entlassen worden. Oder aus der Psychiatrie. Oh Mann, warum habe ich nicht mehr gefragt, und warum lässt sie mich nicht in ihre Wohnung rein? Was hat sie zu verbergen? Zeitungsausschnitte von vermissten Babys? Beweisstücke? Mir schlägt das Herz bis zum Hals.

„Mami, ich muss unbedingt ganz dringend aufs WC!“, unterbricht Jelena meine Gedanken. „Ich kann das Bisi nicht mehr festhalten!“ „Hier gibt es kein WC“, sage ich, „aber wir können Doris fragen, ob du bei ihr die Toilette benutzen darfst.“ – War das eben gerade mein Vorschlag?

Endlich kommen wir in Sichtweite des Blockes. Ich lasse den Eingang nicht mehr aus den Augen. Wir sind fast da. Da bemerke ich, wie sie mit Janina aus dem Haus kommt. Sie wartet schon auf uns, Janina weint. Ich strecke meine Arme nach ihr aus und nehme sie zu mir. „Darf Jelena bei Ihnen die Toilette benützen? Sie muss ganz dringend!“ Keine Reaktion. „Ich kann auch solange draussen warten, wenn Sie möchten.“ Und schon wieder schaue ich zu, wie eines meiner Kinder mit dieser Frau verschwindet. Was ist bloss los mit mir? Die Tür fällt ins Schloss und ich warte und warte. Nichts passiert. Sie kommen nicht zurück.

Ich habe endgültig genug und klingle solange bei den Nachbarn, bis mir jemand die Eingangstüre aufdrückt. Ich klopfe an ihre Wohnungstür. Nichts. Ich klopfe noch einmal. Endlich kommen sie zurück. „Ist alles gut gegangen?“, frage ich. „Soweit schon“, antwortet sie und schliesst ganz schnell die Türe hinter sich.

Beim Abendessen werde auch ich gefragt: „Mami, was war dein ‚Dümmstes und Bestes‘ vom Tag?“ „Mein Bestes vom Tag war, dass ich Janina lebendig zurückbekommen habe, nachdem ich sie einer wildfremden Frau anvertraut hatte. Das war das Dümmste.“ „Waaas?“, ruft Philipp entsetzt.

Dienstag, den 20. September 2011

Heute sind Joana und Jared schon früh auf. Dabei hatte ich ihren Wecker gestern extra noch abgestellt, weil sie heute etwas später los müssen. „Warum seid ihr denn schon wach? Der Wecker hat doch gar nicht geklingelt, oder?“, frage ich verschlafen. „Nein, aber deiner!“, sagt Joana. Gut, dass den wenigstens einer hört.

Aber die wahre Motivation für die Frühaufsteher liegt wohl im Geschenk, das Jared letzte Nacht von der Zahnfee bekommen hat. Ohne Spektakel ist ihm gestern der erste Milchzahl herausgefallen, kurz vor der Bettruhe. Joana, die schon einige Erfahrung mit der Zahnfee vorweisen kann, gibt ihm sogleich eine Anleitung: „Jetzt müssen wir aber ganz schnell ins Bett gehen. Die Zahnfee kommt nämlich nur, wenn wir ganz fest schlafen“. Sehr praktisch. Es war schon lange nicht mehr so schnell ruhig in dem Zimmer. Jetzt zeigt mir Jared stolz das Auto, das ihm die Zahnfee im Austausch für den Zahn dagelassen hat. „Wer hat das Auto denn gekauft?“, fragt Jared. Während ich noch überlege, was ich sagen soll, verkündet Joana voller Überzeugung: „Dänk d‘Zahnfee!“ „Und wie hat sie das gemacht?“, fragt Jared zurück. „Sie ist doch unsichtbar, das hast du doch gesehen!“, erklärt Joana ihm.

Während Joana und Jared beim Frühstück sitzen, packe ich ihr Proviant: je ein Wienerli (für Jared eine Bratwurst und ein Wienerli), ein Weggli, eine Wasserflasche, ein Päckli Kinderchips, Gummibären, ein Schoggistängeli und die Matschhose. Nur weil Jared mich gestern beschwört hat, es sei „absolut sicher erlaubt“, all diese Dinge auf den Ausflug mitzunehmen, gestatte ich mir diesen ketzerischen Angriff auf die Ernährungslehre. Ich bin ja auch für gesunde Ernährung. Ich zerbreche mir jede Woche im Voraus den Kopf darüber, was ich an welchem Tag kochen werde, damit alles ausgewogen und gesund ist. Ich serviere jeden Tag Rohkost und Früchte. Aber wenn ich nach 99 zucker- und praktisch fettfreien Znünis und Zvieris meinen Kindern nicht einmal eine Banane einpacken darf, ohne vom Zahnputzfräulein im Kindergarten einen ZS* zu kassieren (die musste natürlich ausgerechnet an dem Tag dort sein), macht mich das echt fertig.

Manchmal geht mir die Einmischung zu weit. Von der Schule habe ich ein Schreiben bekommen, dass das Turnzeug nach jedem Sportunterricht zu waschen sei. Joana hat an vier von fünf Tagen Sportunterricht. Wie stellen die sich das denn bitte vor? Ich hab doch noch anderes zu tun! Ausserdem halte ich das für völlig überflüssig. Ein Kind von sechs Jahren stinkt einfach noch nicht genug, um diesen ökologischen Unsinn zu rechtfertigen.

Heute fällt das Turnen aus, dafür muss ich den beiden Wanderschuhe montieren. Ich habe im letzten Jahr dazugelernt und weiss mittlerweile, wie viel Zeit ich dafür einplanen muss. Ich werfe einen Blick auf die Uhr und ja, heute sind wir gut mit dabei. Ruhig, fast schon genüsslich, sitze ich auf dem Boden vor den beiden und schnüre ihnen die Schuhe: „Ist es gut so? Sind beide Füsse gleich?“ Ganz aufgeregt machen sie sich auf den Weg. Heute werden sie zu den ersten gehören.

Als Jared und Joana am frühen Nachmittag nach Hause kommen, haben sie alles Proviant aufgegessen und schon wieder Hunger. Jonas mache ich nach dem Mittagschlaf mit einem der übriggebliebenen Schoggistängeli munter (das andere esse ich), quasi als Vorspeise zu den Schoggi-Reiswaffeln, die es anschliessend gibt (die gibt’s sonst auch nie, schon wegen den schmutzigen Fingern nicht). Zum Znacht gibt’s – wer weiss es? – Nutella-Brote. (Philipp ist nicht da, dann geht so etwas.)

Jared spricht das Tischgebet: „Lieber Vater im Himmel, danke für den Tag, danke für die Wanderung und danke für das coole Auto, das mir die Zahnfee gebracht hat. Im Namen Jesu Christi, Amen. – Mist, ich habe das Essen vergessen!“

Ist heute vielleicht besser so …

* Zusammenschiss (Militärjargon. Das habe ich von Philipp)

Mittwoch, den 21. September 2011

Heute fühle ich mich ins Studium zurückversetzt. Damals waren wir frisch verliebt. Das ganze Leben lag vor uns wie ein ungeschriebenes Buch. Ich war jung und schön – auf jeden Fall verglichen mit heute. Die Kombination aus Leben, Lernen und Lieben war so unglaublich sexy!

Damals war ich eine Freundin, heute eine Ehefrau. Den Glanz auf dem Hochzeitsfoto habe ich schnell verloren. Auch die Figur. Die vielen Jahre der Revolte und Konfrontation belasten unsere Beziehung, am allermeisten aber mich. Wie gerne würde ich doch die Zeit zurückdrehen und wieder so unschuldig sein wie damals.

Wir tragen viel zu wenig Sorge zu einander, verglichen mit den fast übermenschlichen Anstrengungen, die wir im Beruf, in der Kirche und hier zu Hause zu erbringen haben. Und trotzdem kommt ein Gefühl immer wieder durch: Dass wir uns wirklich lieben. Da ist irgendetwas – und ich kann es nicht beschreiben – das uns verbindet, als hätten wir schon immer zu einander gehört.

Und es ist ja nicht so, dass es überhaupt keine Entwicklung gäbe. Irgendwann werden auch wir aus dem Stadium der Kindergartenprügeleien herausgewachsen sein und mit einem weisen Lächeln auf unsere Kämpfe zurückblicken. Jeden Mittwochabend nehmen wir uns Zeit, um das ein wenig zu üben.

Ich lege meinen Kopf auf seinen Brustkorb und kuschle mich an ihn. Ich mache das so selten, dass ich jedes Mal überrascht davon bin, wie gut das tut. Wie damals, als wir noch Studenten waren! Um uns herum malt die 20-Franken-Kinderlampe von Ikea farbige Sterne, Monde und Planeten auf das schwarze Baumwolltuch über uns und die Kissen um uns herum. Bunte Vorhänge trennen uns vom Rest der Welt. Sonst kuscheln hier die Kinder mit uns.

Ich spreche schon wieder über die verschiedenen Frauen, die sich bei mir für den Job als Kinderbetreuerin vorgestellt haben. Ich erläutere ihm die Vor- und Nachteile der einzelnen Kandidatinnen. Und obwohl ich ihm das zum x-ten Mal erzähle, und er im Moment ziemlich sicher lieber etwas anderes machen würde, hört er einfach nur zu. Ich meine richtig. Ohne die Zugabe von Analysenergebnissen und Lösungsvorschlägen. Das soll sich auch für ihn lohnen. Ich höre mit dem Sprechen auf und ziehe mich aus. Heute Nacht werden wir uns auf jeden Fall einig.

Donnerstag, den 22. September 2011

Heute Morgen habe ich mich hingesetzt, um ein wenig Milch abzupumpen. Am Freitag muss ich zur Übergabesitzung nach Winterthur, sie soll vier Stunden dauern! Nach langem Hin und Her habe ich mich dazu durchgerungen, meine kleine Janina hier bei ihrem Papi zu lassen.

Zuerst wollte ich ja jemanden anstellen, der mich die erste Zeit mit Janina zu den Sitzungen begleitet, damit ich sie zum Stillen in der Nähe habe. Aber dann habe ich mir vorgestellt, wie ein verzweifelter Babysitter und die schreiende Janina durch die Strassen irren und nicht wissen, wohin sie gehen sollen. Vier Stunden sind lang, was soll man in dieser Zeit mit einem Baby tun, wenn man keinen Raum hat, wohin man sich zurückziehen kann und es draussen immer kälter wird?

Also sitze ich noch vor dem Frühstück auf dem Sofa, um Milch abzupumpen. Es will einfach nicht klappen. Jared und Joana hören mein Gejammere und kommen neugierig dazu. Wir diskutieren kurz, warum ich in das Fläschchen nicht einfach Milch aus dem Kühlschrank füllen kann und weshalb die 10 ml schlicht nicht reichen. Dann setze ich Janina an die andere Brust, sie muss für mich den Milchflussreflex auslösen. Als auch noch Jonas dazukommt und für einmal mehr an der Pumpe als an meinen Brüsten interessiert ist, schiele ich zur Seite um zu sehen, ob vielleicht auch noch der Nachbar draussen mit seiner Zeitung etwas näher kommen möchte. Nein, der stapft zurück in sein Haus. Jonas drückt fleissig auf der Pumpe rum und da – tatsächlich – endlich fliesst die Milch! Im Nu kommen 60 ml zusammen. Das ist doch ein vielversprechender Anfang!

Ich bin sichtlich erfreut. Jared ebenso: „Wow, so viel Milch! So eine coole Milchpumpe! Mit der kann man sehr gut deine Brüste aufpumpen!“, meint er. Ich schaue ihn fragend an: „Ja“, erklärt er mir, „mit der kann man deine Brüste aufpumpen wie zwei grosse Ballone, dann kannst du damit davonfliegen!“

Freitag, den 23. September 2011

Heute könnte ich mich wieder einmal selbst ohrfeigen. Beim Vorstellungsgespräch habe ich so cool dagesessen, weil ich den Job ja eigentlich gar nicht wollte. Ich meine, ich war nicht auf der Suche nach einer Stelle, es stand nichts auf dem Spiel für mich. Zu jenem Zeitpunkt wollte ich mir nur einmal anhören, worum es überhaupt ging. Ich war total entspannt und natürlich. Aber jetzt, jetzt wo ich den Job habe und alle so grosse Erwartungen in mich setzen, verhalte ich mich wie ein Huhn. Meine Vorgängerin (und ehemalige Auftraggeberin) führt mich heute in meine zukünftigen Aufgaben ein. Sie hat alles wunderbar vorbereitet, aber ich muss andauernd nachfragen, weil ich etwas nicht verstanden habe. Jetzt holt die Arme schon Papier und Stift hervor, um es mir aufzuzeichnen.

Das passiert mir jedes Mal: Wenn ich selbstunsicher werde, dann verhalte ich mich auch so und mache damit alles noch schlimmer. Es ist wie mit einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung. In Wikipedia heisst es darüber: „Selbstprophezeiung ist eine Vorhersage, die sich deshalb erfüllt, weil derjenige oder diejenigen, die an die Prophezeiung glauben, sich – meist unbewusst – aufgrund der Prophezeiung so verhalten, dass sie sich erfüllt.“ Also, diesen Satz sollte man vielleicht auch einmal redigieren. Im Moment aber bräuchte ich selbst dringend Hilfe beim Formulieren. Dabei muss ich nicht einmal gross etwas sagen, keine Meinung äussern, keine Ideen verkaufen, keine Informationen weitergeben oder Rechenschaft über den Stand der Dinge ablegen. Bloss dasitzen und zuhören.

Und trotzdem. Ich bin ganz angespannt, mein Bauch ist verkrampft und nach drei Stunden Sitzung habe ich solche Schmerzen von den Blähungen, dass ich kaum mehr aufrecht gehen kann. Nun gut. Ich betrachte das als Feuertaufe und hoffe nur, dass ich mich an der ersten offiziellen Sitzung am 17. Oktober in meiner Funktion als Chefredaktorin würdevoller verhalten werde. Auf der Rückfahrt beginne ich mit den Vorbereitungen:

„Ich bin gut. Nicht perfekt, aber ich bin gut. Ich weiss viel. Ich weiss nicht alles, aber das ist ok. Ich kann einiges, alles andere kann ich lernen. Ich gebe mein Bestes und ich werde meine Sache sehr gut machen.“ – Ich bin gut. Nicht perfekt, aber ich bin gut. Ich weiss viel. Ich weiss nicht alles, aber das ist ok. Ich kann einiges, alles andere kann ich lernen. Ich gebe mein Bestes und ich werde meine Sache sehr gut machen.“ – Wenn’s wirkt?

Samstag, den 24. September 2011

Heute bittet das CERN in Genf die Wissenschaftler in aller Welt um Hilfe. Physiker haben in einem mehrfach wiederholten Experiment festgestellt, dass Neutrinos noch schneller fliegen als Licht. Laut Albert Einsteins Relativitätstheorie gibt es aber nichts Schnelleres als Licht! Deshalb stellen die Physiker die Messungen mit allen Details ins Internet und fordern die Fachwelt auf, nach Fehlern im Experiment zu suchen oder die Messungen selbst zu wiederholen. Denn wenn das wahr ist, steht unsere ganze Welt Kopf.

Bei uns zu Hause hat das heute schon begonnen. Zwar sind hier nicht die Neutrinos schuld (zumindest nicht dass ich wüsste) und auch keine Meldung aus der Forschung. Es ist ganz einfach Samstag und die Schlatter-Familie befindet sich im Ausnahmezustand. Überall in und ums Haus finden diverse Events statt. Wenn wir ein Tagungsprogramm schreiben würden, ständen zahlreiche Diskussionsrunden und Workshops zur Auswahl. In einem Dokumentarfilm wären mindestens drei bis vier Kameras gleichzeitig im Einsatz, um jede Etage des Hauses und zusätzlich den Bereich um das Haus herum abzudecken, plus ein Helikopter für die Vogelperspektive. Und dann bräuchte man ebenso viele Monitore, um einigermassen zu erfassen, was heute hier alles geschieht.

Ich sammle den Altkarton, das Altpapier, die Büchsen, die PET-Flaschen, das Glas und das Metall zusammen, um es zur Sammelstelle zu bringen. Früher konnten wir die Sachen in den Kofferraum laden und auf dem Weg irgendwohin unterwegs rasch ausladen. Heute müssen wir dafür zwei Kindersitze ausbauen und die hintere Sitzbank flachlegen. Nachdem ich in der Landi für Philipp noch Dünger und für mich in der Papeterie noch mehr Magnete für den Ämtliplan eingekauft habe, bleibt mir jetzt keine Zeit mehr zum Kochen. Zum Mittagessen gibt’s nur Reste von Gestern, aus denen ich einen Reissalat kreiere, den die Kinder gar nicht schätzen.

Eigentlich ist der Swimmingpool ja gar nicht mehr da, wir haben ihn vor zwei Tagen extra schon abgebaut, damit wir das Trampolin an seinen Stammplatz verschieben konnten, damit Philipp gestern den Rasen machen konnte, was aber nicht ging, weil der Keilriemen des elektrischen Vertikutierers gerissen ist. Heute Morgen hat Philipp mit den Kindern schon wieder zwei Ersatzriemen gekauft, aktuell ist noch einer davon ganz und in Betrieb. Jared arbeitet mit dem Handvertikutierer und Jonas zieht den Streuwagen. Ihn hat heute Morgen eine Wespe ins Augenlid gestochen, es ist dick zugeschwollen. Jelena rächt im Rasen herum. Joana würde auch gerne, aber wir haben zu wenig Rächen.

Nach dem Mittagessen gibt’s für die Hälfte der Familie einen Mittagsschlaf. Wenn immer möglich gehöre ich am Samstag zu dieser Hälfte der Familie. Was die andere Hälfte in der Zwischenzeit macht, entzieht sich meiner Kenntnis, ich delegiere die Verantwortung in die Hände von Philipp. In der Regel aber schauen sie sich eine Kinder-DVD an und Philipp arbeitet weiter im Garten. Julischka legt seit ungefähr drei Stunden die Wäsche zusammen, die sich seit mehr als zwei Wochen stapelt. Ich habe entschieden, dass ich mich per sofort nicht auch noch um das Zusammenlegen der Wäsche kümmern kann und schon gar nicht mehr, wenn mein neuer Job beginnt. Viele Dinge kann ich nur abends tun, wenn die Kinder im Bett sind und da hat die Wäsche einfach keine Priorität. Ich wollte diese Aufgabe ja meiner zukünftigen Putzfrau übertragen, aber Julischka hat sich um den Job beworden. So bleibt das Geld wenigstens in der Familie.

Am Nachmittag essen wir Zvieri, liegen auf der Decke im Gras, lesen Geschichten vor, bauen ein Zelt aus der Swimmingpool-Abdeckplane, rächen den Rasen fertig, pumpen Fahrräder auf, bringen den Grünabfall weg, räumen die Geschirrspülmaschine aus und saugen das Auto, sprechen mit Nachbarn, sammeln Eicheln, suchen nach dem McQueen-Spiel, malen Bilder, spielen mit Lego, schlichten Streit, trösten, stillen, wickeln und kleiden neu ein. Ein paar Mal.

Nach vollendetem Tageswerk sieht das Haus aus „wie schomol gässe“. „Worum hämmer wiidr überall so nes Buff?!“, lautet meine Standardfrage. Der Boden ist eine Mischung aus Heuschober und Kuhstall, einfach ohne den Geruch. Die Küche ist verspritzt, das Katzenfutter verkleckert, der Tisch (drinnen wie draussen) mit lauter Philipp-Sachen belegt und im Badezimmer liegt überall Klopapier herum. Ich erstelle eine Schadensanalyse und teile die Truppen zum Aufräumen ein.

Also eines haben wir heute mit Sicherheit bewiesen: Die Chaos-Theorie gilt immer noch!

Sonntag, den 25. September 2011

Heute findet Philipp sein Blackberry wieder. Vor ungefähr zwei Wochen war dieses eines Morgens, als er seine Sachen für die Arbeit packen wollte, spurlos verschwunden. Wir suchten an den üblichen Orten und speziell entlang den Spiel- und Laufstrecken der Kleinen. Nichts. Als Philipp im Büro auch nicht fündig wurde und mithilfe von Posteingang und neu gemachten Termineinträgen den Tag vor dem Verschwinden rekonstruieren konnte, war er sich sicher, dass er sein Blackberry auf dem Schreibtisch im Büro liegen gelassen haben müsse und dass es dort abhanden gekommen sei. Er hat schon von solchen Vorfällen gehört.

Was es natürlich auch gibt, ist, dass Jonas wichtige Dinge verschleppt. Meinen Schlüsselbund zum Beispiel. Schon zweimal. Das eine Mal habe ich ihn hinter dem kleinen Heizkörper im Eingang eingeklemmt wiedergefunden. Wo er das andere Mal gesteckt hat, weiss ich bis heute nicht, Jonas hat ihn mir auf mein Fragen hin von selbst wiedergebracht. Von draussen. Seither bin ich vorsichtiger geworden.

Inzwischen hat Philipp vom Geschäft ein neues Blackberry bekommen. Und noch dazu ein iPad, auf das wir alle ganz neidisch sind. Aber das ist eine andere Geschichte. Auf jeden Fall wird es sich nun aber nicht vermeiden lassen, seinen Arbeitgeber darüber zu informieren, dass er sein altes Gerät wieder gefunden hat: „Sehr geehrte Damen und Herren, ich möchte Sie darüber informieren, dass ich mein altes Blackberry wiedergefunden habe. Jonas (so vermuten wir) hat es in meinen braunen Lederschuh gesteckt, den ich nur deshalb hervorgeholt habe, weil ich meine schwarzen Sonntagsschule nicht finden konnte.“ So etwas in der Art.

Hier noch die Orginal-Korrespondenz:

From: Schlatter, Philipp

To: Helga

Cc: Beatrice; Mona; Cathrin

Sent: Mon Sep 26 08:09:24 2011

Subject: Blackberry found again

Dear Helga

Yesterday, whilst preparing for our regular church visit, I had to use another pair of shoes (which I use rarely). Apparently my youngest son managed to open my bag and to hide my blackberry in these pair of shoes. You should have seen my face!

My sincerest apologies ofhaving drawn the wrong conclusion. At that time point with the facts I had and my (poor) memory to me this was the only logical conclusion.

In the end I am glad, that it was not stolen.

I contacted the IT department to return the new device.

Sorry for all the hassle. My lessons learnt:

1. Never leave anything on my desk,

2. Check all impossible places if I can’t find it. ☺

Kind regards

Philipp

Montag, den 26. September 2011

Heute habe ich mich Jelena gegenüber falsch verhalten. Jelena und ich sind wie „Katz und Maus“, sage ich immer. Vielleicht, weil wir uns so ähnlich sind, vielleicht ist es einfach das Alter. Ich weiss noch, wie es war, als Joana und Jared in dem Alter waren. Ich war damals oft traurig und unzufrieden. Ich wäre am liebsten davongelaufen. So konnte es nicht weiter gehen, aber jede Veränderung beginnt bei sich selbst. Ich erinnere mich an drei Dinge, die ich in jener Zeit gelernt habe:

„Was kann ich für dich tun?“

Die Kinder sind anstrengend? Die Kinder nerven? Halte es wie die Profis vom Kundendienst! Auf jede Anfrage der Kinder (und bei kleinen Kindern ist dies das Hauptgeschäft) habe ich mit dieser Gegenfrage reagiert. Das war der Schlüssel zu innerer Ruhe und Zufriedenheit.

„Ich bin auch jemand!“

Ich arbeite den ganzen Tag für die Kinder, ich habe auch ein wenig Respekt verdient. Man kann mit mir nicht machen, was man will! Auf diese Weise habe ich gelernt, Grenzen zu ziehen und Regeln aufzustellen. Das war am Anfang anstrengend, hat sich aber sehr gelohnt.

„Ich habe dich lieb, aber … “

Das ist eine weitere Formatvorlage, mit der ich sehr gut gefahren bin, wenn ich die Kinder korrigieren musste. Diese Worte kann man nicht schreien. Um sie zu sagen, muss zumindest der Ton stimmen, und dann hat man einfach die grösseren Chancen, dass die Vorlage vom Volk angenommen wird.

Was aber mache ich heute anders als damals? – Vielleicht von allem ein bisschen weniger. Vielleicht habe ich die Kindererziehung mit sechs Kindern schlicht weniger im Griff als damals mit drei? Der Haushalt einer Wohnung ist auch einfacher zu führen als der eines ganzen Hauses.

Erziehe ich Jelena zu wenig? Ich meine, setze ich ihr zu wenig Grenzen, so dass sie nicht weiss, wie viel mir an ihr liegt? Oder nehme ich mir zu wenig Zeit für sie? Die Grossen sind schon ziemlich selbstständig und ich bin richtig froh darüber, ich gebe es zu. Die Kleinen hingegen sind noch sehr klein und beanspruchen mich sehr. Und Jelena steht irgendwo dazwischen.

Im Moment sitzt sie unten im Hobbyraum und schaut sich mit Jared zusammen eine Kinder-DVD an, wie sie das oft tut, seit sie aufgehört hat, einen Mittagsschlaf zu machen. Ich bin nebenan im Keller am Aufräumen. Janina liegt neben mir auf einer Decke. Im Moment ist sie noch zufrieden, aber die Stimmung ist eindeutig am kippen. Ich bringe etwas in den Hobbyraum, da fragt mich Jelena: „Mami, kannst du bitte ganz kurz mit mir kuscheln?“ Ich sage: „Nein, ich möchte das noch zu Ende aufräumen. Danach können wir kuscheln.“ „Biiiiiiiiitte!“ ruft sie und ich merke, dass es ihr wirklich ein Bedürfnis ist. Ich weiss genau, dass ich mir die Zeit einfach nehmen sollte. Und ich weiss, dass „danach“ nicht eintreten wird, weil dann Janina weint, Jonas vom Mittagsschlaf geholt werden muss und Joana Ballettunterricht hat. Ich weiss, dass ich ganz einfach zu ihr hingehen und mich neben sie setzen sollte. – Warum mache ich es nicht?

Ich bin fertig mit Aufräumen und der Film ist es auch. „Mami, kannst du mir mit dem Badekleid helfen?“ fragt mich Jelena. „Ja, das mache ich gleich“, antworte ich. Der Pool ist zwar weg, aber es bleibt immer noch der Hasenstallboden aus der Landi, den ich zum Planschbecken umfunktioniert habe. Jelena war diesen Sommer viel im grossen Schwimmbecken. Immer mit Flügeli und Schwimmreif. Das Ertrinken war ein grosses Thema. Ich habe allen antrainiert, die Leiter aus dem Swimmingpool zu nehmen, sobald keiner mehr drin ist. „Denn Jonas klettert die Leiter hoch, fällt hinein und ist innerhalb von drei Minuten tot. Und keiner merkt es“, habe ich gepredigt. Jelena weist mich seither bei jedem tiefen Gewässer darauf hin: „Gäll Mami, das ist zu tief, da gehe ich unter ohne Flügeli!“

Als ich Jelena das Badekleid endlich anziehe, ist es eigentlich schon Zeit zum Gehen. Sie zieht sich ihr Kleid darüber und wir fahren mit Joana zum Ballettunterricht. Auf dem Nachhauseweg fragt mich Jelena: „Kann ich jetzt baden gehen?“ „Nein“, antworte ich, „bei uns zu Hause ist die Sonne jetzt schon untergegangen!“ „Dann musst du halt besser auf sie aufpassen!“, sagt sie.

Ja, das muss ich, aber nicht auf die Sonne!

Warum habe ich mir heute nicht einfach die Zeit genommen für sie?

Ich füge einen 4. Punkt hinzu:

4.

„Verpasste Gelegenheiten kommen nie wieder.“

Kuschle mit den Kindern, so viel sie wollen! Wer weiss, wie oft sie dich noch danach fragen werden.

Dienstag, den 27. September 2011

Heute habe ich meine Putzfee Erika und meine Kinderbetreuerin unter Vertrag genommen. Ich habe mich für Jacqueline entschieden und ein gutes Gefühl dabei. Ausserdem hat Philipp alle meine unregelmässigen Sitzungen fürs Jahr 2012 in seinen Kalender eingetragen. Damit sind doch schon einmal die grundlegenden Voraussetzungen erfüllt!

Den Mittagstisch werde ich trotzdem weiterführen. Statt Mittwoch ist nun einfach der Montag frei, der Tag, an dem ich in Zukunft bis 14h arbeiten werde. Natürlich bedeutet der Mittagstisch zusätzlichen Stress, aber er macht mir einfach Spass! Ich koche gerne, und ich mag es, wenn man mein Essen mag. Das ist gut für mein Ego. Je mehr Esser am Tisch, desto besser!

Nur habe ich mir heute selbst ein Ei gelegt. Ich publiziere den Menüplan für den Mittagstisch jede Woche auf unserer Familienhomepage. Das hat Vor- und Nachteile: Die Kinder wissen im Voraus, an welchem Tag sie besonders viel Znüni essen müssen, um den Tag bis zum Zvieri notfalls ohne Zmittag zu überstehen. Zum Beispiel, wenn Gemüsewähe auf dem Speiseplan steht. Auf der anderen Seite sollte es dann auch ungefähr das zum Mittagessen geben, was ich öffentlich ankündige. Dieses Mal habe ich bei der Planung nicht berücksichtigt, dass mein Kühlschrank gähnend leer ist, weil ich erst morgen einkaufen gehe.

Der ausserplanmässige Einkauf im Dorfladen kostet mich ein Vermögen und verschlingt den Mittagstisch-Reingewinn von einem halben Monat. Dafür schmeckt es den Kindern. Alle paar Monate gibt es selbstgemachte Hamburger und Pommes frites: Die Kinder sind begeistert!

„Wer mag alles Hamburger?“, fragt Jared. Alle Hände gehen hoch.

„Wer mag alles Shrimps-Burger?“, fragt er weiter. (Er hat gestern eine Geschichte von Spongebob gehört. Ich persönlich mag Spongebob ja gar nicht.)

„Shrimps ist kein Fleisch, Shrimps sind Krebse!“, belehrt ihn eines der älteren Kinder!

„Igitt!“, tönt es im Chor.

„Wer kann alles bis zum Himmel fliegen?“, Jared stellt eine neue Frage. „Ich kann bis zum Himmel fliegen und die Wolken essen!“

„Das ist doch gar nicht wahr, du kannst nicht fliegen!“, sagt Soraya.

„Doch, wenn man eine Sternschnuppe sieht, kann man sich wünschen, dass man fliegt!“, meint Joana.