50 Jahre in Amerika und sechs Ehemänner - Barbara Knauf - E-Book

50 Jahre in Amerika und sechs Ehemänner E-Book

Barbara Knauf

4,8

Beschreibung

50 Jahre – ein Stück Zeitgeschichte mit der Barbara Knauf so untrennbar verbunden ist, wie Berlin mit der Mauer. Dort – im vom Krieg verwüsteten Berlin – wächst die Autorin mit drei Geschwistern auf. 1962 fängt sie an, für die legendäre Pan Am zu fliegen und damit beginnt eine Reise durch die ganze Welt. Ihre Zeit bei der Airline ist nur der Auftakt eines abenteuerlichen und spannenden Weges durch ein halbes Jahrhundert Zeitgeschichte, zuerst als Stewardess ohne Sorgen, später als fürsorgliche Mutter und beruflich erfolgreiche Frau alleine in Amerika. Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten lernt die Autorin allerdings schnell, dass nicht alles Gold ist, was glänzt und nicht zuletzt, dass vor allem die Politik einen großen Einfluss auf die amerikanische Lebensweise nimmt. Barbara Knauf kann von sich behaupten, dass sie schon Einiges erlebt hat. Man kann sogar sagen, dass genug Lesestoff für fünf weitere Leben vorhanden ist! Sie ist und war immer eine emanzipierte und furchtlose Frau und stand in ihrem Leben mehr als einmal vor einer grundlegenden Veränderung...

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 507

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,8 (12 Bewertungen)
10
2
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

Gedicht: Berlin, Juni 2006

Kapitel I

Journal: 20. April 2016

20. April 1941: Frohnau, Berlin

Sommer und Herbst 1945

1947-1959: Schuljahre in Frohnau und Hermsdorf

Sommer 1958 und Paris

Berlin in den 60er Jahren

Kapitel II

England, 1960: Erste große Liebe und Pan Am Berlin

Sommer 1961: Mike Ebert und South Carolina

1963: Versetzung nach San Francisco

1963: Vietnam und die erste Ehe, die keine war

Kapitel III

7. Oktober 1963: Gustaf Gründgens’ Tod in Manila

1964: Der Flug nach Tahiti, fast eine Bruchlandung

1964: Dramatische Flugzeugereignisse

1964: Rettung vorm Ertrinken in Guam

1964: Reise nach Acapulco, Anchorage und

Nordpolflüge, Versetzung nach New York

Kapitel IV

Sommer 1968 und mein erster Ehemann Robert

1968: Rückkehr nach West-Berlin und Pan Am

1969: Übersiedlung nach Connecticut und

„Gilbey’s Gin“

1970: Ridgefield, Connecticut und das verhexte Haus,

Geburt der ersten Tochter

Kapitel V

1970: Ridgefield, ein neuerlicher Umzug

1971 und 1972: Stamford, Connecticut

Dezember 1973: Teheran und Terrorattacke in Rom

1974: Der mexikanische Drogenschmuggel und die erste Scheidung

Kapitel VI

Gedicht: Papierschwerter

1975: Zweiter Ehemann und

Baskin-Robbins-Eisgeschäfte in Köln

1985: Westport und ein neuer Anfang mit Vernon

& Wedding Bears

27. September 1985: Hurrikan Gloria, Westport

1985: Umzug nach Kalifornien, Vernon

und eine neue Scheidung

Kapitel VII

1990: Kalifornien, Alec und die Kinder, ein neuer Beruf

1989/1990: Berlin-Besuch, die Mauer und

das Brandenburger Tor

Dezember 1997: Yale und der Unfall von Diane

4. Oktober 1998: Hochzeit von Dana und Steve

11. September 2001: Terroranschlag in New York

26. Mai 2002: Block Island, Hochzeit Diane und Robert

2003 im Herbst: Brief aus Berlin

2003: Raymond, fünfte Heirat,

Palm Beach, Via de Mario

Gedicht: Verlangen

Kapitel VIII

Jupiter 2005: Operation

Journal: 6. Oktober 2005

13. Oktober 2005

16. Oktober 2005

18. Oktober 2005

23. Oktober 2005: Hurrikan Wilma

Gedicht: Beach Comber

Kapitel IX

Journal: 24. Oktober 2005

25. Oktober 2005

26. Oktober 2005

27. Oktober 2005

28. Oktober 2005

Kapitel X

30. Oktober 2005

2. November 2005

10. November 2005: Am Abend

Kapitel XI

18. November 2005: D. und der goldene Rolls-Royce

23. November 2005: Thanksgiving

30. November 2005

Kapitel XII

5. Januar 2006: Weihnachten in Kalifornien

25. Januar 2006

21. September 2006: Augenoperation und Gliom

22. September 2006: Seereise-Planung

23. September 2006: Krebsbehandlung?

25. September 2006: Karibische Schiffsreise

26. September 2006: Erster Tag auf See

27. September 2006: Zweiter Tag auf See

28. September 2006: Dritter Tag auf See

29. September 2006: Vierter Tag auf See

1. Oktober 2006: Besuch aus Orlando

2. Oktober 2006

Kapitel XIII

3. Oktober 2006: Brustkrebs?

Abends, 9:30 Uhr

4. Oktober 2006

7. Oktober 2006: Epilepsie-Medikamente

8. Oktober 2006: Meditation

10. Oktober 2006: Kampf gegen Krebs

12. Oktober 2006: MRTs und J. B.

13. Oktober 2006: Danas Verlust, Chirurg in

West Palm Beach

14. Oktober 2006: Mette, die Heilerin aus Norwegen

16. Oktober 2006: Gute Nachricht aus Miami

Gedicht: Das Spiel des Lebens

17.Oktober 2006: Spiritueller Tanz am Strand

19. Oktober 2006: Erdmütter

20. Oktober 2006: Meditationen, Seelenleben und Wiedergeburten

23. Oktober 2006

25. Oktober 2006: Träume, Tanz auf den Toten

27. Oktober 2006: Migränen, Tiefpunkt

31. Oktober 2006: Halloween

Yale University und neue CAT-Scans

2. November 2006

Kapitel XIV

5. November 2006: Axis of Evil

11. November 2006: Demokratischer Wahlkampf

und Kajakfahren

13. November 2006: Miami-Untersuchungen

14. November 2006: Professor Heros

18. November 2006

29. November 2006

10. Dezember 2006

Januar 2007: Sklaven der Männer

8. Januar 2007: Weihnachten in Kalifornien,

Flugkapitän Phillip

17. Januar 2007

19. Januar 2007

23. Januar 2007

2. Februar 2007

Kapitel XV

Gedicht: Der Weg

5. Februar 2007

6. Februar 2007: Reisepläne

19. Februar 2007: Italienische Kochkünste

11. März 2007: Geplatzter Kaufabschluss

17. März 2007: Kein Brustkrebs

19. März 2007

Kapitel XVI

20. April 2007: Besuch in Kalifornien, Dallas und Arizona

3. Mai 2007: Golfspielen

17. Mai 2007: Gedicht von Hafis

25. August 2007: Phil

16. September 2007: Royal-Caribbean-Schiffsfahrt

Kapitel XVII

15. Oktober 2007: Geburt von Antonia

17. Oktober 2007: Besuch in der Toskana

2. Dezember 2007: Kalifornien-Besuch

4. Dezember 2007: Künstlicher Weihnachtsbaum

22. Dezember 2007: Verlobung mit Phil

24. Dezember 2007: Weihnachten in Jupiter

Kapitel XVIII

28. Dezember 2007: Der Strand von Jupiter

4. Januar 2008

4. Februar 2008

3. März 2008: Besuch aus Kalifornien und der

Jungbrunnen der Menschen

15. März 2008: Krisenüberwindung und Kunst

Kapitel XIX

23. März 2008: Bankkrisen und Immobilienverlust

24. August 2008: Zusammenbruch der Wall Street,

Schildkröteneier

26. August 2008: Börsenverluste, Korruption

19. April 2009: Hochzeit vom 22. Dezember 2008

25. April 2009: Immobilien und Malen

Kapitel XX

10. Mai 2010: Phils Krebsbehandlung

Mai 2011: Besuch beim Grab von Phils Vater

Herbst 2011: Der Hausverkauf in Jupiter

2012: Ankunft in Kansas City

September 2014: Familientreffen in München,

die Zugspitze und Venedig

Spätseptember 2015: Brand in Kalifornien

28. November 2015: Besuch bei Dana und ein Wunder

Kapitel XXI

30. November 2015: Deutschland und Amerika

23. Dezember 2015: Florida

28. Dezember 2015

3. Januar 2016: Kansas City

18. Januar 2016: Kansas City

10. Februar: Cabo San Lucas, Mexiko

Kapitel XXII

28. Februar 2016: Kansas City, ein Geburtstag und

Washington

3. März 2016

16 März 2016: Die Hurrikans von 2004

24. März 2016: Terroranschläge

26. März 2016: Parkplatzsituation,

Linus Pauling jun. und Hawaii

15. April 2016: AFN Berlin, Bernie und Jesus

Nachwort

Gedicht: 8. November 2016

8. November 2016

9. November 2016

Schlusswort

Morgen

Barbara Knauf

50 Jahre in Amerika und sechs Ehemänner

Zeitgeschichte einer deutschen Frau im Ausland

AUGUST VON GOETHE LITERATURVERLAG

FRANKFURT A.M. • LONDON

Die neue Literatur, die – in Erinnerung an die Zusammenarbeit Heinrich Heines und Annette von Droste-Hülshoffs mit der Herausgeberin Elise von Hohenhausen – ein Wagnis ist, steht im Mittelpunkt der Verlagsarbeit. Das Lektorat nimmt daher Manuskripte an, um deren Einsendung das gebildete Publikum gebeten wird.

©2018 FRANKFURTER LITERATURVERLAG

Ein Unternehmen der

FRANKFURTER VERLAGSGRUPPE

AKTIENGESELLSCHAFT

Mainstraße 143

D-63065 Offenbach

Tel. 069-40-894-0 ▪ Fax 069-40-894-194

E-Mail [email protected]

Medien- und Buchverlage

DR. VON HÄNSEL-HOHENHAUSEN

seit 1987

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de.

Websites der Verlagshäuser der

Frankfurter Verlagsgruppe:

www.frankfurter-verlagsgruppe.de

www.frankfurter-literaturverlag.de

www.frankfurter-taschenbuchverlag.de

www.publicbookmedia.de

www.august-goethe-von-literaturverlag.de

www.fouque-literaturverlag.de

www.weimarer-schiller-presse.de

www.deutsche-hochschulschriften.de

www.deutsche-bibliothek-der-wissenschaften.de

www.haensel-hohenhausen.de

www.prinz-von-hohenzollern-emden.de

Dieses Werk und alle seine Teile sind urheberrechtlich geschützt.

Nachdruck, Speicherung, Sendung und Vervielfältigung in jeder Form, insbesondere Kopieren, Digitalisieren, Smoothing, Komprimierung, Konvertierung in andere Formate, Farbverfremdung sowie Bearbeitung und Übertragung des Werkes oder von Teilen desselben in andere Medien und Speicher sind ohne vorgehende schriftliche Zustimmung des Verlags unzulässig und werden auch strafrechtlich verfolgt.

Lektorat: Melanie Winter M.A.

Titelbild: privat

ISBN 978-3-8372-2025-4

Vorwort

Dieses ist die Geschichte einer Frau, die mit jungen Jahren Berlin verließ und nach Amerika ging und dort über fünfzig Jahre gelebt hat. Es ist meine Geschichte. Es ist kein intellektuelles Werk oder Erfundenes. Alles, was Sie hier lesen werden, ist passiert und wahr, und zum Teil sind es Auszüge aus meinen Tagebüchern, die ich lange führte und aus dem Englischen übersetzt habe.

Seit Jahrtausenden waren Frauen die Sklaven der Männer – ich hatte das sehr früh erkannt. Meine Mutter lebte viele Jahre allein, und als ich sie fragte, warum sie nach dem Tod ihres zweiten Mannes nicht wieder heiraten wollte, sagte sie nur: „Ich will nicht mehr für einen Mann die Socken waschen.“ Das leuchtete mir ein. Warum sind es immer die Frauen, die waschen, kochen, das Haus saubermachen und die Kinder aufziehen sollen, während die Männer bequem in ihrem Sessel sitzen? Selbst wenn die Frau in ihrem Beruf arbeitet, wird von ihr verlangt, dass sie die anderen „Pflichten“ als Ehefrau auch ausübt.

Ich wollte niemals die Sklavin eines Mannes sein, wollte meinen Unterhalt selbst verdienen und habe dies auch sehr erfolgreich getan. Ich habe niemals für Geld geheiratet und wenn ich mich scheiden ließ, nie um Geld gefragt, dazu war ich viel zu stolz.

Seit Tausenden von Jahren wird diese unterwürfige Rolle der Frau von der Kirche, der allgemeinen Gesellschaftsordnung und verschiedensten Glaubensarten gefördert und verlangt. Am schlimmsten ist der Islam, der Frauen kaum Rechte irgendeiner Art zugesteht.

Einleitung

Man fragt mich des Öfteren, warum ich so häufig geheiratet habe. Darauf kann ich nur antworten: Ich verstehe nicht, wie Menschen mit einem anderen Menschen ein Leben lang zusammen sein können. In jedem Leben ändern sich sowohl die Umstände, die einen umgeben, als auch die Zeiten und somit auch die Menschen. Das ist besonders in der heutigen Zeit der Fall, in der man so vielen verschiedenen Einflüssen ausgeliefert wird und denen man sich nicht entziehen kann. Mein Leben in den Vereinigten Staaten von Amerika war ungewöhnlich und ich habe es gemeistert, so gut ich konnte. Ich bin dankbar über die Vielfalt meiner Erlebnisse, meine wunderbaren Töchter und Enkelkinder.

Ich halte es für unmöglich, mit einem anderen Menschen ein halbes Jahrhundert wirklich glücklich zusammen zu leben. Meist ist es ein Kompromiss oder nur Gewohnheit und ein Aufgeben der Möglichkeit, anderswo besser und zufriedener leben zu können. Diesen Kompromiss wollte ich nie machen, lieber ging ich ein Risiko ein und wagte es, mich aus einer toten oder gequälten Schablone zu befreien wie ein Schmetterling aus seiner Hülle. Ich habe meine Scheidungen niemals bereut.

Im Gegenteil – sie öffneten mir die Tür zu neuen Erfahrungen, neuen Lieben und einem neuen Anfang. Es gehörte sehr viel Mut dazu, aber man hatte mir mehr Mut mit in die Wiege gegeben als alles andere. Sicherlich hatte diese Tatsache auch etwas mit meiner Jugend in Berlin zu tun. Ich glaube, dass Berliner immer mutiger waren als so manche andere Menschen. Auch brauchte meine Künstlernatur immer neue Eindrücke, ich wäre sonst erstickt im Schlamm der Langenweile.

Vor allen Dingen habe ich mich immer geweigert, bei der Eheschließung zu sagen, dass ich meinen Mann gehorchen würde. Selbst vor Jahrzehnten, als man hier bei jedem Ehegelöbnis als Frau Gehorsam versprechen musste, habe ich das nicht einmal bejaht.

Jeder Mensch, auch eine Frau, hat das Recht, das eigene Leben so zu leben, wie er oder sie es am besten meistern kann. Aufopferung oder Gehorsam gehörten nie in mein Vokabular.

Gedicht: Berlin, Juni 2006

Wie ein Affe

ganz hoch oben

in dem Baum

sägt der agile Mann

große Äste ab.

Sie krachen

ohne Widerstand

zum Boden

wo wilde Erdbeeren

reifen, uns zu erfreuen

mit sanftem Aroma

und Jasmin blüht

ganz dicht daneben.

Ich erinnere mich

an heiße Sommer

träge Nachmittage

verbracht in hölzernen

und gestreiften Liegestühlen

verborgen hinter hohem Grass

gefüllt mit blauen

Vergiss-Mein-Nicht

kleinen weißen Margeriten

Johannisbeer- und grünen

Schneeball-Büschen

rote Himbeeren duften

wo Moos und Butterblumen wachsen

grüner Klee blüht weiß

Düfte so verlockend und vertraut.

Eines Tages

der Kirschbaum gleich daneben

nie gepflegt

mit wilden Ästen

fiel plötzlich zu Boden

krachte in einen Bombenkeller

vergessen nach dem langen Krieg

und noch immer da.

Eine vermodernde Katze

schwarz und steif

auf dem dunklen schimmeligem Boden.

so war das Leben –

eine endlose Reise zurück

zur widerwärtigen Vergangenheit.

Die erdrückende Last

zu schwer

für mein zaghaftes

Gemüt und meine Seele.

Und so ist es heute noch

die Welt

will nicht vergessen

oder vergeben

diese unsere Vergangenheit

die meine Liebe zerquetschte

vor über vierzig Jahren –

als ich nicht atmen konnte

in diesem Land

verfolgt von Myriaden

von gequälten Menschenseelen.

Und doch –

dieser familiäre Platz

der mein Inneres formte

erweckt jetzt in mir

den starken Wunsch

zurückzukehren zum Lande

meiner Geburt.

Ich nehme sie an

diese unerwünschte Last

der Vergangenheit dieses Landes

ich habe meine Schuld bezahlt

will meinen Ursprung

nicht mehr verneinen.

Ich habe Ruhe.

Ich kann zurück.

(2014) Translation of an original english poem into German

by Barbara Knauf

Kapitel I

Journal: 20. April 2016

Ich erwachte schweißgebadet aus einem äußerst bedrückenden Traum und musste erst einmal die Bettdecke loswerden. Es ist sechs Uhr morgens, viel zu früh zum Aufwachen. Das fahle Licht des jungen Morgens scheint durch die weißen IKEA-Baumwollgardinen, die ich vor einem Jahr aufgehängt habe. In meinem Traum erzählte mir mein Mann, dass er mich wegen einer jüngeren Frau verlassen würde. Und dann sah ich sie. Eine junge Weiße lag auf dem Boden, schlank, mit vollem, dunklem Haar. Ich fragte meinen Mann: „Liebst du sie? Dann lasse ich dich gehen“. Aber ich fragte auch die junge Frau: „Wissen Sie, dass mein Mann impotent ist?“ Das geht doch nicht, wenn man so jung ist. Aber ich bekam keine Antwort von ihr und dann wachte ich mit diesem traurigen Gefühl, das ich nicht haben wollte, auf.

Plötzlich erinnere ich mich, dass heute mein fünfundsiebzigster Geburtstag ist. Ein Dreivierteljahrhundert! Eigentlich macht es mir nicht so viel aus, wie ich dachte. Es ist besser als gar nicht mehr zu leben oder im Altersheim zu sitzen und Topflappen zu häkeln, die niemand haben will. Ich lebe und ich hatte vorgestern eine wunderbare Zeit mit einer Freundin, die mich aus Florida besuchte. Sie war auf ihrer Durchreise zu einer Hundeschau von Russischen Windhunden oder auch Barsois genannt, von denen sie zwei besitzt. Sie hat mir Fotos von ihren Tieren gezeigt, die ich bereits kenne und zu schätzen weiß, denn sie sind wunderschön. Wir waren in der Bar vom Raphael-Hotel, eine der besten von Kansas City. Zur Unterhaltung spielte neben uns ein Duo leichten Jazz, es war eine sehr angenehme Atmosphäre. Wir erzählten und lachten wie in früheren Zeiten, meine Freundin ist ein schöne, rassige und sehr gepflegte Frau mit schwarzen Haaren und haselnussbraunen Augen.

Sie war meine Nachbarin in Jupiter, Florida, denn sie wohnte direkt neben meinem großen Grundstück. Ihr Mann und sie selbst tranken gerne ein Gläschen mit uns.

Auch diesmal nahm sie zwei Martinis und ein Glas Wein und vergaß bei der Essensbestellung, dass sie „green fried tomatoes“ schon einmal eine halbe Stunde vorher gegessen hatte. Wir mussten sehr lachen. Nach dem Essen zeigte ich ihr Fotos von den herrlichen Frühjahrsblüten, die dieses Jahr um mein Haus besonders schön in allen Farben blühten. Diese Farbenpracht war vor allem dem vielen Regen geschuldet: Es blühte weiß (mein Dogwood-Baum), stark rosa-rot von meinen Azaleen-Büschen und lila-blau von den Stiefmütterchen, die in ihren hohen Urnen vor dem Hauseingang stehen. Daneben blühte ein riesiger Topf mit Hortensien-Stauden in allen Farben. Ich überlegte, ob ich diesen schönen Anblick nicht malen sollte.

Meine Freundin war zum Schluss sehr beschwipst und ging in ihre Suite zurück, ich werde sie in zwei Wochen in Jupiter wiedersehen.

Gestern lud meine Nachbarin mich zum Lunch ein, wir wollten ins Nelson-Atkins-Museum gehen, eines der besten und größten Museen hier in Kansas City. Es lockt mit Ausstellungen über Kunst aus aller Welt, römischen und griechischen Statuen, Henry-Moore-Skulpturen, deutschen Expressionisten, französischen Impressionisten, russischen und amerikanischen Meistern. Dies alles gibt es zu bewundern. Auch kann man dort sehr angenehm sitzen im glasüberdachten Courtyard-Restaurant mit einem nicht gerade erstklassigen, aber ausreichenden Menü. Als ich in die Garage fahren wollte, stellte sich heraus, dass an diesem Tag, einem Dienstag, das Museum geschlossen war. Das empfanden wir als sehr ärgerlich und so fuhren wir weiter in das Kansas-City-Plaza hinein. Das erste Einkaufszentrum Amerikas wurde vor etwa hundert Jahren gebaut und ist mit seinen vielen brunnen- und skulpturengeschmückten Straßen und den antiken Straßenlaternen, von denen im Frühjahr und Sommer riesige Körbe voller Blumen hängen, wunderschön anzusehen. Der Stil der Gebäude ist spanisch-maurisch und ist mit blauen und bunt bemalten Kacheln versehen sowie mit Türmen, die über allem empor ragen. Man glaubt, in Süd-Spanien zu sein, die Geschäfte hingegen sind international, von Cartier bis zu „Vom Fass“, kann man hier alles finden und kaufen. Vor allem kann man auch sehr gut in den vielen Restaurants essen, vom amerikanischen Barbecue bis zum Dim-Sum-chinesischen Menü oder argentinischen Steakhouse ist alles vertreten.

Ich parke im nahegelegenen Parkhaus und wir gehen ein paar Schritte in der Frühlingssonne bis zu einem meiner italienischen Lieblingsrestaurants, Brio, wo wir ein vorzügliches Lunch zu uns nehmen, das auch in New York oder London nicht besser hätte sein können. Meine Nachbarin ist neunzig Jahre alt, sehr intelligent und absolut fit. Sie mäht ihren riesigen Rasen um ihr großes Haus selbst, um beweglich zu bleiben. Mit ihr fühle ich mich jung, da ich ja fünfzehn Jahre jünger bin als sie. Man sagt doch immer, um sich jünger zu fühlen, muss man sich mit älteren Menschen umgeben. Später bringt sie mir Schneeglöckchen aus ihrem Garten, die ich sofort mitsamt der Wurzeln in meinen Garten einpflanze. Ich hoffe, dass sie noch blühen werden, obwohl sie umgepflanzt wurden. Meine rüstige Nachbarin bewundert meine neuen Gemälde, eines heißt „Venedig im Regen“, das ich gerade eingerahmt habe. Ich habe es von einem Foto abgemalt, das ich vor zwei Jahren in Venedig von einer Brücke aufgenommen hatte.

Sie verabschiedet sich von mir, um selbst in ihrem Garten zu arbeiten, der wunderschön anzuschauen ist. Die alte Dame ist sehr stolz auf ihn. Ich hoffe, dass ich mit neunzig auch noch im Garten arbeiten kann. Wir verabreden uns, es in der kommenden Woche nach meiner Rückkehr aus Kalifornien wieder mit dem Museumsbesuch zu versuchen.

Fast glaube ich, dass mein Mann heute Morgen meinen großen Geburtstag vergessen hat. Ich liege dösend im Bett in meinem blauen Schlafzimmer mit den vielen Malereien an den Wänden, als die Tür aufgeht und er im Schlafanzug mit einer Schachtel in der Hand da steht und mir „Happy Birthday“ wünscht. Er gibt mir einen Kuss und überreicht mir die Schachtel. Als ich sie öffne sehe ich, dass darin ein goldenes Armband im byzantinischen Stil liegt, das ich mir gewünscht hatte. Er legt es vorsichtig um mein Handgelenk und ich bin glücklich, dass mein schlechter Traum wirklich nur ein Traum war.

„Du bist eine teure Frau“, sagt er und ich antworte, dass er das doch sicher gewusst hat, als er mich kennengelernt hat und in mein riesiges Haus in Jupiter am Golfplatz eingezogen ist. Wie hätte er es nicht wissen können?

20. April 1941: Frohnau, Berlin

Zwei Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde ich im Schlafzimmer meiner Eltern in Frohnau am Donnersmarckplatz geboren. Ich war das zweite Kind und vielleicht war im Krankenhaus wegen der vielen verletzten Soldaten, die von der Front zurückkamen, auch kein Platz für eine Geburt. Es war der Geburtstag des Führers. Alle Eltern, die ein Kind am Geburtstag Hitlers in die Welt brachten, bekamen vom Staat ein Geschenk. Meine Mutter holte ihr Geschenk nie ab. Sie hielt nichts vom Krieg und wollte eigentlich nur ihren Mann zu Hause haben. Der aber kam nur ab und zu von der Front wieder und jedes Mal machte er ihr ein neues Kind. Nach seiner Abreise musste sie damit dann wieder alleine zurechtkommen.

Der 20. April 1941 war ein Sonntag. Meine Mutter sagte immer, dass Sonntagskinder besonderes Glück im Leben haben. Damit hatte sie Recht, denn trotz der Steine, die man mir in den Weg legte, war das Glück mir immer hold.

Nach mir kamen meine Zwillingsbrüder, zweieiig, und nun hatte meine Mutter vier Kinder zu versorgen. Ohne Vater.

Meine Mutter hasste Hitler. Mein Vater, auch kein Freund vom Krieg, der seine Laufbahn als Architekt auf Jahre verhinderte, war Jeep-Fahrer für höhere Tiere der Armee. Als er eingezogen wurde, hatte er seine akademische Erziehung verschwiegen und war dadurch nicht automatisch zum Offizier geworden. Er war ein einfacher Soldat.

Gegenüber von unserem schönen Haus war ein Park, und ich erinnere mich an Fotos, von Großeltern und meiner Mutter mit meiner drei Jahre älteren Schwester und mir im Baby-Korbwagen spazierengehend im Park. Meine Mutter trug einen schwarzen Filzhut auf dem Kopf, der wie ein Vogelnest aussah mit einem weißen Ei in der Mitte.

Das Los meiner Mutter war schwer genug, aber es sollte später viel schlimmer werden mit dem Anmarschieren der verwilderten und unzivilisierten russischen Armee.

Es gibt ein anderes Foto, im Sommer 1942 aufgenommen, auch im Park gegenüber. Ich schaue eine abgerissene Blume in meiner Hand an, während ich meine Hosen nassmachte. Man hatte mir die Windeln zu früh weggenommen.

Unser Haus hatte einen Wintergarten in dem eine Zimmertanne und eine große, eingetopfte Lilie, die einmal im Jahr eine riesige orangefarbene Blüte hatte, standen. Der Wintergarten war auf drei Seiten verglast; es folgten ein Esszimmer, ein Wohnzimmer und ein Arbeitszimmer für meinen Vater mit großem Schreibtisch, den er sicher fast nie benutzen konnte. Wie viele Schlafzimmer es gab, wusste ich nicht und ich habe meine Mutter nie danach gefragt. Es gab einen netten Garten, und auf einigen Fotos sitzt meine Mutter im hölzernen Liegestuhl und wir zwei Mädchen spielen in der Sonne daneben – idyllisch. Mit der Idylle war es bald vorüber. Mein Vater wurde wieder an die Front geschickt, es war vier Jahre später, und die Deutschen mit ihrem Größenwahn waren dabei, den Krieg an allen Fronten zu verlieren. Dieses kleine Land wollte die Welt erobern, es war ein totaler Wahnsinn und tödlich für Millionen, und nicht nur in Deutschland. „Wollt Ihr den totalen Krieg?“, im Olympia-Stadion Berlins von Goebbels geschrien, und die verdrehten Menschen schrien zurück „Ja!!!!“

Hitler hatte nichts vom Schicksal der Franzosen und Napoleon Bonaparte gelernt, und glaubte, er könne es besser machen als die Franzosen. Es hat noch nie ein anderes Volk Russland erobern und die Strapazen des sibirischen Winters bestehen können. Mein Vater war auf dem Weg nach Stalingrad, dem Schlusskapitel des Deutschen Marsches in Russland. Aber er hatte großes Glück, was nicht von den Tausenden von Soldaten geteilt wurde, die alle in der Einkesselung von Stalingrad umkamen. Er floh und versuchte, seinen Weg zurück nach Deutschland zu finden. Viel hat er von dieser schrecklichen Zeit nicht gesprochen, nur dass er an seinen Händen erfror, die man aber später noch retten konnte. Das war sein Glück, denn als Architekt brauchte er offensichtlich seine Hände. Aber er schaffte es nicht, bis zu uns zurückzufinden, er wurde irgendwo von amerikanischen Soldaten gefunden und festgenommen. Vielleicht hatte er sich in einem falschen Zug versteckt, er erklärte es nie.

Er wurde in ein amerikanisches Gefangenenlager nach Belgien abtransportiert, und alle Gefangenen mussten in einem Loch in der Erde leben, dass sie sich selbst graben mussten. Dort wurden sie von einem schwarzen Sergeant misshandelt und gefoltert, sechs lange Monate lang.

Als am 8. Mai 1945, nach der Einkesselung Berlins durch die alliierten Truppen und der vollständigen Aufgabe der Deutschen, der Frieden erklärt wurde, kehrte er endlich zu uns nach Berlin zurück. Er fand uns in einem anderen Haus. Wir bewohnten ein älteres Haus am Fürstendamm in Frohnau, das meiner Mutter zugewiesen worden war, als die französische Besatzung unser komfortables Haus am anderen Ende des Villenvorortes Berlins beschlagnahmte und zu einem Offiziersquartier machte. Meine Mutter konnte einige Möbel, ihre Zimmertanne und die eingetopfte Lilie, die weiterhin einmal im Jahr blühte, mitnehmen, aber das Haus hatte keine Heizung, nichts funktionierte, Wasserrohre waren geborsten und in der Küche gab es nur einen einfachen Herd. Die Toilette war im überaus kalten Winter von 1945 mit minus 20 Grad Celsius eingefroren und unser Klo war ein Eimer. Wir hausten in zwei Zimmern, weil die übrigen Räume zu kalt waren, mit dicken Eisschichten an den zugigen Fenstern und dünner Eisschicht an den Wänden. Die Berliner Regierung setzte dann noch Flüchtlinge in unser Haus, eine Familie mit zwei Kindern aus Sachsen. Die Frau schüttete ganze Eimer von Wasser auf dem Boden über uns aus, um den Boden zu säubern, und es tropfte durch die Decke auf unsere Köpfe, bis meine Mutter erklärte, dass man so nicht saubermachen kann.

Später kam noch eine dritte Familie mit zwei Söhnen, die dann unter uns wohnten und die zwei hässliche, französische Terrier mit schwarzem Fell besaßen. Diese fraßen den Kot der Hühner, die meine Mutter im Garten hielt. Die Tiere versorgten uns mit frischen Eiern und einem gelegentlich gebratenen Huhn.

Es wurde sehr eng im Haus und ich denke, dass meine Mutter einfach alles geschehen ließ, denn sie war zu müde, um sich zu wehren. Außerdem gehörte ja das Grundbuch dieses Hauses nicht meiner Mutter. Wir lebten zum größten Teil von „Kirchen-Käse“, Kartoffeln und getrockneten Mohrrüben, die wir von der katholischen Kirche und dem Roten Kreuz bekamen. Die Sowjets hatten alle Wege nach Berlin abgesperrt, um die Bevölkerung auszuhungern, denn sie hofften, damit ganz Berlin einnehmen zu können.

Gott sei Dank wurden wir durch die Luftbrücke der Amerikaner am Leben erhalten, die alle zwei Minuten in Tempelhof Lebensmittel und Care-Pakete aus Flugzeugen verteilte. Ohne diese Hilfe wären sicher viel mehr Berliner verhungert, als es sowieso der Fall gewesen ist. Heute noch esse ich gerne Käse aus Wisconsin, den gelben, weichen Käse, der allerdings damals oft mit Schimmel bedeckt war, den meine Mutter dann abkratzte.

Die süßen, getrockneten Karotten deckten auch unseren Hunger nach Zucker, es gab ja keine Schokolade oder Leckereien irgendeiner Art. Meine erste Apfelsine aß ich später erst mit 12 Jahren und sie war besonders sauer. Wir waren alle sehr dünn, aber vielleicht gesünder als die vielen überdicken Menschen von heute.

Ein paar hundert Meter weiter nördlich die Straße hinauf, lebte der französische Kommandant Berlins in einer großen Villa mit seiner Familie, dem Chauffeur und dem Kindermädchen. Wir selbst wohnten ja im französischen Sektor Berlins. Wenn ich am Haus des Kommandanten vorbeiging, kamen manchmal die Kinder aus dem schmiedeeisernen Tor und trugen nur weiße Söckchen, keine langen Strümpfe oder Hosen, um warm zu bleiben. Ich wunderte mich immer, wie heiß es in ihrem riesigen Haus sein musste, wenn sie dünne Söckchen im Winter tragen konnten. Meine Großmutter mütterlicherseits arbeitete beim Kommandat als Schneiderin, und ich besuchte sie einmal dort. Sie war eine regelrechte Künstlerin am Faden und ich schaute gerne zu, wie sie mit flinken Händen und dem rechten Fuß auf der alten Singer-Nähmaschine Kunstwerke herstellte. Sie konnte mit Leichtigkeit aus einem kleinen Fetzen Stoff eine hübsche Bluse zaubern. Meine Kleidung – wie wenig es auch war – nahm nur den kleinsten Teil des Schrankes im Schlafzimmer ein und war gänzlich von ihr genäht. Ich liebte meine Großmutter sehr und besuchte sie oft in der Stadt, wo sie schon seit Jahrzehnten mit meinem Großvater lebte.

Mein Großvater Arthur Orth war durch einen Zufall 1945 dem Tode entkommen. Als die Russen einmarschierten, gingen sie von Häuserblock zu Häuserblock, die in der Mitte der Stadt wie im Quadrat aufgebaut waren; holten alle Männer – auch alte Männer – aus den Wohnungen, stellten sie im Hof auf und erschossen sie kaltblütig. Mein Großvater, der den schrecklichen Kampf von Verdun in Frankreich im Ersten Weltkrieg trotz aller Widrigkeiten überlebt hatte, war zu der Zeit nicht zu Hause. Vielleicht hatte er uns gerade in Frohnau besucht, was er oft tat, indem er stundenlang an den Eisenbahnschienen entlangging, bis nach Frohnau hinaus. Es war die kürzeste Strecke, um zu uns zu kommen. Er hatte Sorgen wegen meiner Mutter, seiner einzigen Tochter und wegen uns Enkeln. Er war mein Vaterersatz und er nahm jede Strapaze auf sich, um uns zu helfen.

Vor der Villa des Kommandanten gab es einen kleinen Park mit einem hübschen Gehweg. Ich versteckte mich oft im Wäldchen hinter den Sträuchern und legte eine alte Geldbörse, angebunden an eine Schnur, auf den Weg, die ich mit Blättern bedeckte. Ich wartete oft stundenlang, denn es war kein Weg, auf dem viele Leute entlanggingen. Sobald sich endlich jemand mit erwartungsvollem Gesicht über den unerwarteten Geldbeutel senkte, riss ich ihn mitsamt der Schnur ganz schnell weg und rannte auch ebenso schnell lachend davon.

Obwohl ich 1945/46 sehr klein war, bekam ich alles mit und war den Amerikanern sehr dankbar, weil ich verstand, dass wir ihnen unser Leben verdankten. Ich träumte von Amerika, dem Land der ungeahnten Schätze, wo die Leute so reich waren, dass sie Essen verschenken konnten. Wir bekamen auch Care-Pakete mit Kleidungsstücken. Einmal bekam ich eine Nordpol-Mütze mit Ohrenklappen, grau und sehr hässlich, und ich weigerte mich, sie zu tragen. Von meiner lieben Großmutter hatte ich wohl meinen Sinn für Mode geerbt.

Als mein Vater wieder erschien, baute er einen niedrigen Ziegelsteinofen, und wir hatten es endlich warm. Mit seiner Ankunft erschien gab auch wieder besseres Essen auf unserem Tisch. Ich war sehr glücklich, aber mein Vater war es nicht. Als Künstler und Architekt aus vornehmem Hause mit Hausmädchen und Chauffeuren, gefiel ihm diese Situation nicht, denn er war und blieb immer ein Träumer. Für Architekten gab es keine Arbeit, die ausgebombten Häuser wurden zunächst erst abgerissen, nicht aufgebaut. Aber dann fand er schließlich eine Einstellung bei der Stadt Berlin und konnte doch beginnen, seinem Beruf mit Entwürfen zum Wiederaufbau der Stadt nachzugehen.

Wie viele Menschen in der Nachkriegszeit wollte man die traurigen und katastrophalen Erinnerungen des Krieges vergessen und so tanzte man in den Straßen von Berlin, als der Krieg endlich vorüber war. Man trank, als gäbe es kein Morgen. Es wurde viel Alkohol in dieser Zeit verbraucht. Es gab wieder Bier und andere alkoholische Getränke; einige Leute hatten sogar amerikanischen Whiskey und Zigaretten. Aber die meisten rollten ihre eigenen Zigaretten mit billigem Tabak. Sogar die Zigarettenstummel von Soldaten wurden in den Straßen aufgelesen und bis auf den letzten Krümel wieder gebraucht. Meine Mutter hatte vorher ihre Schreibmaschine für Mehl eingetauscht, ihre Perlen für Margarine, Gold für Brot. Aber jetzt feierte man das Ende der letzten grausamen acht Jahre Krieg und ging tanzen.

Auf einem dieser Tanzfeste lernte mein Vater eine andere Frau kennen und verließ schließlich meine Mutter und uns vier Kinder. Meine beiden Zwillingsbrüder waren damals ein Jahr alt. Wie er es übers Herz brachte, werde ich nie verstehen. Es gehört eine riesige Menge von Egoismus dazu und davon hatte er weiß Gott genug. Das war das Los von vielen Müttern und Frauen in dieser Zeit, entweder waren die Männer gefallen, verschollen oder wollten einfach nicht in das alte Leben zurück. Ich denke, es gab viele Männer, die gar nicht verschollen waren, aber irgendwo in Frankreich oder Russland ein neues Leben begonnen hatten. In acht Jahren kann Einiges passieren.

In der kurzen Zeit, in der er mit uns nach 1945 lebte, zeugte er mit meiner Mutter wieder ein Kind, es wäre das fünfte geworden. Meine Mutter aber entschied sich für eine Abtreibung und ich kann mich erinnern, dass es viel Blut rings um ihr Bett herum gab. Ich hatte große Angst um meine Mutter und beobachtete alles genau, aber fühlte mich hilflos. Was damals wirklich passiert war, wurde mir erst später im Leben klar.

Nachdem mein Vater uns dann verließ, lebten wir vier Kinder mit unserer Mutter in großer Armut weiter, da mein Vater nur den Mindestsatz, der vom Staat angesetzt war, für uns zahlte. Es waren damals 40 DM pro Monat oder 10 DM pro Kind, was nicht einmal für die Miete reichte. Der Betrag entspricht etwa 10 Euro heute. Meine arme, noch so junge Mutter war gebrochen und musste außer für sich selbst auch für uns vier Kinder sorgen. Sie begann mit Näh- und Heimarbeit etwas zu verdienen. Ich sehe sie heute noch, wie sie Stunde über Stunde tief gebeugt über ihrer Nähmaschine sitzt. Wir waren ein, vier und sieben Jahre alt, unfähig zu helfen. Meine Mutter war 1913 geboren und bei Kriegsschluss gerade 32 Jahre alt. Sie hatte wenig Aussicht, wieder einen Mann zu finden. Die meisten jungen deutschen Männer waren an der Front gefallen oder Invaliden geworden. Welcher gesunde, junge Mann würde eine Frau mit vier kleinen Kindern in diesen schweren Zeiten heiraten?

Mein katholischer Vater hatte in den Augen der Kirche eine schwere Sünde begangen. Er hatte seine Familie verlassen, so wie es sein Vater vor ihm nach dem Ersten Weltkrieg getan hatte. Ich habe diesen guten Großvater nie kennengelernt, sein Ingenieursunternehmen wurde ausgebombt, nachdem er seine Sekretärin geheiratet und meine Großmutter mit neun Kindern verlassen hatte. Vielleicht war es die Strafe Gottes, denn er verlor sein ganzes Vermögen und die Villa in Berlin-Hermsdorf. Mit Chauffeuren und Dienstmädchen war es nun vorbei. Mein Vater war das jüngste der neun überlebenden Kinder (meine Großmutter hatte elf Kinder geboren), ein kleiner, weißblonder Junge, der nie sehr stark oder groß wurde.

Seine Mutter, meine Großmutter Anna, geborene Schröder, die überaus religiös war, ging in ein Kloster und verbrachte den Rest ihres Lebens mit Beten. Als Teenager besuchte ich sie einmal dort. Sie war sehr klein und ganz in Schwarz gekleidet, aber äußerst ruhig und friedvoll. Man konnte es ihr nicht verübeln, ein Kloster dem entsetzlichen Leben, das sie kannte, vorzuziehen. Manchmal, wenn ich allen Mut verloren hatte, dachte ich an sie und dass diese Möglichkeit mir auch immer bleiben würde: Das Leben in einem Kloster mit einem ruhigen Leben ohne Stress und mit sehr viel Beten – hoffentlich im schönen Rom oder in Südfrankreich in einem idyllischen Städtchen gelegen. Ein Rosenkranz hängt immer über meiner Nachtischlampe und oft haben Beten oder Meditation mich vor einem Zusammenbruch gerettet. Ich hüte die kleinen, über hundert Jahre alten Heiligenbilder von der Erstkommunion meiner Großmutter Anna in Berlin, die mit altdeutschen Aufzeichnungen versehen sind, als einen meiner größten Schätze. Außer seiner Armbanduhr habe ich nur diese Bildchen von meinem Vater geerbt.

Sofort nach Kriegsende ging meine Mutter oft stundenlang in die Dörfer, die hinter Frohnau im Norden liegen. Sie ging mit einem Rucksack auf den Rücken los, voll mit Dingen, die sie hoffte, eintauschen zu können, und kam mit Brot oder Kartoffeln wieder. Im Herbst gingen wir sehr oft in die Wälder und suchten nach Pilzen, die sie dann abends für uns mit viel Petersilie kochte. Wir hatten Glück, dass wir uns ziemlich gut mit den Pilzsorten auskannten und wir sammelten ganze Körbe voll. Am Abend schwirrten mir vor dem Einschlafen lauter Bilder von Pilzen und Blättern im Wald im Kopf herum. Meine Mutter hatte die giftigen Sorten in einem Buch über Pilze in Norddeutschland studiert. Dennoch war es immer ein Risiko für uns alle. Nach ein paar Monaten waren alle Silberwaren, Gemälde und Wertsachen eingetauscht, wir hatten nichts mehr.

Sommer und Herbst 1945

Ich war vier Jahre alt und kann mich an den Einmarsch der Russen in unsere Berliner Gegend sehr gut erinnern. Wir wohnten noch im alten Haus am Donnersmarckplatz, und wir hatten die Bombenangriffe überstanden. Die ewigen, heulenden Sirenen, die vor den fallenden Bomben aus der Luft warnten, trieben uns mitten in der Nacht oft in den Kohlenkeller, nur mit Nachthemden und Hausschuhen bekleidet und in Decken gewickelt. Mit einjährigen Zwillingsjungen war das traumatisch, und einmal klemmte sogar einer meiner Brüder mit einem Finger in einer Tür fest. Als wir ihn befreien konnten, hing der Finger lediglich an einer Sehne, man konnte ihn aber später retten. Es war ein ständiges Schreien und Weinen und alle wurden vor Panik und Angst fast verrückt. Oben waren alle Fenster mit schwarzen Verdunkelungs-Papierrollen bedeckt, damit nur kein Licht aus der Luft gesehen werden konnte. Am Morgen schleppte man sich dann todmüde wieder nach oben. Um uns herum waren viele Häuser ausgebombt, sie bestanden nur noch aus Trümmerhaufen. Die öffentlichen Wasserzuleitungsrohre waren von Bomben getroffen worden und wir mussten jedes Glas Wasser von einer Straßenpumpe holen, die es Gott sei Dank gleich neben unserem Haus gab.

Die armseligen Menschen mit grauen Gesichtern standen Schlange an dieser Pumpe.

Dann kam die Ungewissheit, was nun mit Berlin passieren würde. Ich erinnere mich daran, dass ich an einer Straßenecke am Park stand und ein Lastwagen voller Soldaten rollte vorbei; ein Soldat beugte sich runter und gab mir ein Stück Brot, was ich sofort aufgegessen habe. Es war ein unvergessliches Ereignis! Dann begann das Elend mit der russischen Armee, die in Berlin vom Norden und Osten einrollte. Da wir ja im Norden Berlins lebten, bekamen wir alles hautnah mit. Russische Soldaten, meist betrunken mit Wodka, stampften mit ihren schweren, lauten Stiefeln in unserem Haus die Treppen rauf und runter. Es gab viel Schreien und Brüllen nach „Frau, Frau“ und „Wodka, Wodka“ oder „Uri, Uri“. Sie suchten nach Armbanduhren und Frauen, die sie vergewaltigen konnten. Alles wurde genommen, ganz junge und ebenso alte Frauen, es spielte keine Rolle, die Soldaten waren nicht wählerisch. Mehrere meiner Tanten waren aus dem Stadtinneren in das Haus meiner Mutter geflüchtet, aber konnten ihrem Schicksal nicht entgehen.

Ich musste mich oft auf den Deckel einer schwarzen, hölzernen und schön geschnitzten, großen Bank setzen, unter der sich meine Tanten versteckten. Die erbarmungslosen russischen Soldaten pissten in die Waschbecken und tranken das Wasser aus den Toiletten, sie warfen unsere Federbetten aus den Fenstern und ihre Pferde trampelten auf ihnen herum. Es gab eine Szene im Kohlenkeller, an die ich mich sehr gut erinnern kann, weil ich schreckliche Angst um meine Mutter und meine kleinen Brüder hatte. Betrunkene, grölende Soldaten, total verschmutzt und schwankend, hatten uns im Kohlenkeller gefunden, meine Mutter hatte beide Jungen auf dem Arm und flehte die Soldaten an, sie zu verschonen: „Bitte, bitte, nein!“ Ein Soldat hatte ein mit Blut verschmiertes Gesicht und ich fürchtete mich sehr vor ihm. Was danach passierte, weiß ich nicht mehr, vielleicht hat mein kleines Gehirn diese Erinnerungen gelöscht, um mich davon zu befreien.

Viele Jahre später, als ich in Kalifornien lebte, sah ich einmal auf einer Auktion eine hölzerne Bank mit Deckel. Sie war verziert mit einer geschnitzten, hohen Wand und Füßen, die eine Jagd darstellten. Ebenso konnte man Gewehre, Eichhörnchen, Hasen und Schlangen erkennen. Sie war genauso schwarz wie die Bank in Frohnau, an die ich mich so gut erinnern konnte. Ich kaufte sie sofort, irgendjemand hatte sie aus Deutschland mitgebracht, vielleicht ein Soldat als Teil einer Kriegsbeute. Vielleicht war es auch die Bank, die meine Tanten gerettet hatte. Ich stellte sie in meine Eingangshalle und schaute sie oft verwundert an. In Florida habe ich sie schließlich verkauft, denn ich dachte, sie brächte mir mehr Unglück als Glück.

1947-1959: Schuljahre in Frohnau und Hermsdorf

Meine Schuljahre waren nicht außergewöhnlich. In der Grundschule in Frohnau bekamen wir eine Mahlzeit, meist eine dünne Graupensuppe ohne Fleisch, die in eine von uns mitgebrachte Blechbüchse gekippt wurde. Alle Kinder waren sehr dünn und sahen traumatisiert aus. Wenn ich heute die alten Fotos ansehe, ist es klar, dass diese Kinder wenig Freude kannten. Mein Lehrer war ein dicker, alter Mann namens Schultz (möge er in Frieden ruhen), der mich, sowie andere Mädchen auch, oft ans Pult nach vorne rief und mir unter den Rock ans Höschen griff um meinen kleinen Hintern zu betatschen. Ich fand es merkwürdig und es war mir unangenehm, aber da er es auch mit anderen tat, dachte ich, so machen es die Lehrer eben.

Wenn wir Kinder nach der Schule schreiend aus dem Hof liefen, führte mein Weg über den Park vom Frohnauer Poloplatz. In diesem Park versteckte sich oft ein Psychopath, der sich vor den kleinen Kindern entblößte, was zur Folge hatte, dass wir noch lauter schreiend wegliefen. Aber ich glaube, dass kein Kind jemals den Eltern davon erzählte, denn der Geisteskranke erschien immer wieder.

Wir lernten schön schreiben und lesen, wie es sich in einer deutschen Schule gehört. Und es machte mir Spaß, obwohl ich einen langen Schulweg hatte und einmal von einem Boxerhund angegriffen wurde, der über seinen Zaun sprang und mich zu Boden riss. Irgendetwas an mir hatte ihn gestört. Gott sei Dank rief sein Besitzer ihn wieder fort, aber seither ging ich auf der anderen Straßenseite in die Schule.

Eines Tages zog eine neue Familie in das Haus gegenüber ein. Sie hatten einen Sohn, Martin, in meinem Alter und bald gingen wir beide Hand in Hand völlig unschuldig in die Schule. Meine Mutter hatte nie Zeit, in meine Schule zu kommen, auf jeden Fall kann ich mich nicht an einen einzigen Tag erinnern. Wir hatten eine Weihnachtsfeier in einem Jahr, vielleicht in der zweiten oder dritten Klasse. Viele Eltern saßen hinten und ein Weihnachtsmann erschien, um uns Kindern Geschenke aus einem Sack zu geben, den er mitgebracht hatte. Wie alle diese Kinder freute ich mich auf mein Geschenk, meine Mutter war wieder nicht dabei. Die Lehrerin rief mich nach vorn und sagte plötzlich vor allen: „Barbara bekommt kein Geschenk, sie hat Schlimmes mit Martin getan und muss sich schämen.“ Martin war genauso verstört wie ich es war, wir hatten keine Ahnung, wovon sie sprach. Es war demütigend vor den anderen Schülern und den Eltern. Ich lief aus dem Klassenzimmer und ging nie wieder mit Martin zusammen in die Schule. Lehrer können großen Schaden bei Kindern anrichten, ihr Verhalten war unverzeihlich!

Endlich wurde ich in die Oberschule geschickt, sie hieß Hans-Thoma-Schule, wie der berühmte Maler, und war der Kunst und den Sprachen gewidmet. Diese Schule gibt es heute nicht mehr. Sie war eigentlich eine große Villa mit einem weiträumigen Hof, und hinten im Hof hatte man behelfsmäßige Räume in einer Baracke angebaut. Das Gelände zwischen beiden Gebäuden war groß und hier hielten wir uns in den Pausen auf. Das Lehrprogramm war reichhaltig, die Lehrer waren gut ausgebildet und man bereitete sich auf das Abitur vor. Ich hatte Latein, Französisch, Englisch, Kunst, Mathematik, Physik, Geschichte, Geographie usw., und fand alles sehr interessant. Es gab auch ein Auditorium.

An einem Tag im Jahr 1957 wurde plötzlich die ganze Schule zu einer Versammlung in den Hof gerufen. Der regierende Bürgermeister von Berlin war erschienen und stand auf einem Podium, wir warteten gespannt, was er sagen würde. Zu meinem riesigen Erstaunen wurde ich nach vorn gerufen und der Bürgermeister übergab mir eine Rettungstats-Auszeichnung mit dem Stempel vom Senat von Berlin und ein handgemaltes Bild von der Bildhauerin Renée Sintenis vom kleinen „Berliner Bären“. Das hängt heute noch gerahmt in meinem Büro, und die Auszeichnung mit dem Wappen von Berlin habe ich auch noch. Die von Sintenis kreierte Skulptur vom Berliner Bären steht bei der Avus-Autobahn auf einem Sockel in Berlin.

Einige Monate zuvor im März 1956 hatte ich einem Mitschüler das Leben gerettet. Er hieß Günther von Gräfenitz und war in meinem Alter, fünfzehn. Wir waren zusammen mit anderen Freunden mit dem Fahrrad durch die Wälder gefahren und kamen an einem See an, der vorn zugefroren war, aber weiter hinten schon wieder auftaute. Er sah wie ein kleiner Fluss aus. Es war schon ziemlich warm im März diesen Jahres und Günther fuhr plötzlich mit dem Fahrrad auf das Eis raus. Wir riefen ihm zu, er solle zurückkommen, aber er wollte nicht hören und wollte sicher ein wenig vor uns anderen angeben.

Plötzlich brach das Eis ein und sein Fahrrad verschwand unter ihm.Er klammerte sich durchnässt an die Eisstücke um sich herum und versuchte, sich aus dem Wasser hochzuziehen, was ihm aber nicht gelang. Das Eis brach immer wieder weg. Das Wasser war natürlich noch eisig kalt. Ich schaute um mich, es gab einige erwachsene Spaziergänger um uns herum, aber niemand wollte helfen. Sie standen alle stumm da.

Also nahm ich kurzentschlossen einen Ast, den ich dort am Ufer fand, legte mich aufs Eis und robbte langsam auf dem Bauch auf Günther zu. Es war eine gefährliche Sache, aber ich dachte nicht daran, nur daran, ihn wieder aus dem Eiswasser zu holen. Endlich angekommen, reichte ich ihm den Ast und er klammerte sich daran. Nur langsam konnte ich ihn aus dem Wasser ziehen, zurückkriechen und ihn so retten. Wir waren beide klatschnass und froren. Wie wir von dort nach Hause zurückkamen, habe ich vergessen, ich denke dass Erwachsene uns mit einem Auto zurückgefahren haben.

Diesen Zwischenfall hatte ich längst vergessen und niemand hatte ihn je wieder erwähnt. Umso größer war meine Überraschung, als ich plötzlich meine Auszeichnungen und das Lob des Bürgermeisters, sowie der Lehrer erhielt. Eigentlich war es mir mehr peinlich als alles andere, und ich war froh, als ich wieder in meine Klasse zurückgehen konnte. Irgendjemand hatte es doch weitergegeben und nicht wie ich selbst vergessen.

Meine Zeugnisse, die ich zum großen Teil noch immer habe, waren im Allgemeinen gut, nur mit Mathematik haderte es bei mir. Kunst war ein Kinderspiel für mich, ich zeichnete Portraits von allen Schülern. Im Abitur wurde ich mündlich vor allen Lehrern in Mathematik geprüft. Sie saßen im Halbkreis vor mir und neben mir war eine Tafel mit einer mathematischen Formel. Sie warteten darauf, dass ich dieses Problem lösen würde. Ich schaute diese Formel an, mein Geist setzte aus und ich sagte nur: „Es tut mir leid, ich habe keine Ahnung.“ und ging aus dem Raum. Auf meinem Abiturzeugnis stand „mangelhaft“ unter Mathematik, was mich aber nicht davon abhielt, später im Leben sehr viel Erfolg zu haben. Meine Lehrerin, eine Frau Dr. Zunft (möge sie in Frieden ruhen), mochte mich nie und gab mir die mündliche Prüfung nur aus Bosheit, denn normalerweise hätte ich das Problem mit ein wenig mehr Zeit sicher lösen können.

Sommer 1958 und Paris

Der Zug nach Paris ächzte dahin, die Räder drehten sich rhythmisch immer schneller und lauter und der Rauch der Lokomotive wischte an den Fensterscheiben meines Abteils vorbei. Ich war Berlin entflohen und hatte mit meinem wenigen ersparten Geld von Ferienarbeiten (ich hatte am Kurfürstendamm in einem Kino mit einer Taschenlampe als Platzanweiserin gearbeitet und litt unter der ständigen Angst, dass Klassenkameraden mich sehen würden) eine Karte nach Paris gekauft. Ich hatte kein Ziel, wusste nur, dass ich unbedingt nach Paris wollte, der Stadt meiner tiefsten Träume. Meine lebenslange Freundin Liese hatte mir die Adresse von einem Freund gegeben, bei dem ich wohnen könne. Es war meine erste Reise nach Paris! Ich war glücklich und voller Spannung. Obwohl die schlecht riechende und mit altem, braunem Plüsch gepolsterte Bank sehr unbequem war und das Abteil ständig ruckelte, konnte ich ein paar Stunden schlafen.

Am Morgen kamen wir in Paris an. Der große Bahnhof war überwältigend, obwohl ich vieles von Berlin gewöhnt war. Ich fuhr vom Bahnhof Zoo früh los und kam etwa acht Stunden später am Gare du Nord an. Ich nahm meinen kleinen Koffer, sah mir den Metro-Stadtplan an und suchte auf der Pariser Stadtkarte die Straße dieses Freundes. Trotz Müdigkeit war ich sehr aufgeregt und lief erst einmal durch die Straßen von Paris, um die Pariser Luft zu atmen.

Wie konnten gewöhnliche Menschen hier leben? Es schien mir unmöglich, dass so viel Menschen ein so großes Glück hatten! Vom vergangenen Krieg war nichts mehr zu sehen, nicht so wie in Berlin. Keine Ruinen, keine verkrüppelten Menschen, keine Ostzone, keine Russen, kein politisches Beil, das einem in Berlin ständig über dem Kopf hing. Man war hier frei, ganz frei, und außerdem war die Sprache Musik für mich! Ich konnte meine sprachlichen Kenntnisse anbringen, versuchte zuerst ein paar Worte und wurde sogar verstanden. Ich fühlte mich wie in einem Rauschzustand, mein Glück war überwältigend. Und dazu schien sogar die Sonne. Es war kein verhängter, grauer Himmel, wie meist in Berlin, als wäre Gott den Deutschen böse, sondern es war warm und die Menschen lachten. Sofort versprach ich mir, so schnell es ging wieder herzukommen. Aber zunächst suchte ich den Freund meiner Liese auf. Er war Künstler und lebte in einer kleinen Wohnung im vierten Stock irgendwo in einer Nebenstraße.

François begrüßte mich zwar nett, aber es war schnell klar, dass er erwartete, dass ich mit ihm schlafen würde, so lange ich dort wohnte. Damit hatte ich keine Erfahrung und wollte es nicht, hatte es naiverweise nicht erwartet. Also verabschiedete ich mich sofort und machte mich mit meinem kleinen Koffer wieder auf den Weg. Ich hatte durch Liese viel vom „Boulevard Saint-Germain“ gehört, der „Sorbonne“ und „Sacré-Cœur“, dem Café „Les Deux Magots“, und fing an, mit meinem Stadtplan in der Hand, dorthin zu laufen. Im „Deux Magots“ setzte ich mich ins Café und trank erst einmal Café au Chocolat und aß ein Brioche mit riesigem Hunger.

Brioches und Croissants sollten meine Hauptnahrungsmittel werden, sie waren nicht teuer. Kurz darauf kam eine blonde, sehr junge Schwedin ins Café, sie erkannte mich als Deutsche und wir begannen miteinander zu sprechen. Ich fragte, wo sie wohne. Es war ein kleines, damals sehr billiges Hotel und gleich um die Ecke gelegen. Die Toilette war auf dem Gang und musste mit anderen Leuten auf der Etage geteilt werden, zudem lag sie gleich neben dem Aufzug. Es war nur minimal sauber und man musste Toilettenpapier mitbringen. Aber es störte mich nicht, denn es war billig, und wir waren sowieso nur zum Schlafen dort und wechselten uns mit dem Schlafen in dem kleinen Bett in einer Ecke im winzigen Zimmer ab.

Den Namen der Schwedin habe ich vergessen und ich sah sie selten, sie auch war wie ich auch immer unterwegs, um Paris zu ergründen und kennen zu lernen. Ich wollte zudem meine Sprachkenntnisse verbessern, also so viel wie möglich sprechen, mit wem auch immer. Eines Tages wurden wir beide von Freunden, die wir im Café kennenlernten, in ein Landhaus eingeladen, es war ein Ausflug ins Grüne. Paris war damals überhaupt nicht gefährlich, man konnte sich überall frei bewegen.

Der Besitzer war sehr freizügig und lud immer Leute dorthin ein, ohne etwas zu erwarten. Er war sicher einsam dort allein auf dem Land. Sein Hund hatte gerade Junge bekommen und er schenkte mir einen kleinen Welpen, den ich beglückt mit meiner Freundin zurück mit nach Paris nahm. Leider sah die Frau am Empfang (ein großartiges Wort für ein kleines Loch in der Wand neben dem Aufgang, in dem sie hauste) meinen kleinen Hund. Ich musste ihn draußen vor dem Hotel anbinden, rannte schnell nach oben, aber als ich wieder zurückkam, war mein kleiner, niedlicher Hund verschwunden. Es hatte ihn irgendjemand mitgenommen, und ich weinte in Paris meine ersten Tränen.

Aber nach zwei Wochen war mein Geld zu Ende, die herrliche Zeit der totalen Freiheit war vorüber und ich musste zurück nach Berlin und mich wieder auf mein Abitur vorbereiten.

Als ich im Zug saß, versprach ich mir, einmal im Leben für längere Zeit wieder in Paris zu leben, länger als nur ein oder zwei Wochen, frei und ohne Sorgen, und dieses Versprechen muss ich mir noch erfüllen.

Berlin in den 60er Jahren

In Berlin gab es den ersten Schnee oft schon im November, am Geburtstag meines Großvaters mütterlicherseits, den 12. November. Während des Zweiten Weltkrieges und viele Jahre danach ging er an den Bahnschienen entlang, von der Mitte Berlins bis zu uns in den Norden, dem Ort Frohnau. Er lief neben den Bahngleisen, weil es der kürzeste und schnellste Weg zu uns war. Er lief, ob es regnete oder schneite und er brauchte viele Stunden dazu.

Meine Mutter und wir vier Kinder waren immer glücklich, ihn zu sehen, er kam, weil er sich um seine Tochter und seine Enkelkinder sorgte. Wir alle liebten ihn sehr und er brachte uns oft etwas zum Essen oder Kleidung, die meine Großmutter für uns genäht hatte, um uns warmzuhalten. Er blieb immer eine Weile und lief dann, bevor es dunkel wurde, an den Bahngleisen zurück zu seiner Wohnung. Niemand, den wir kannten, besaß ein Auto, es war Krieg und alle waren arm. Seine große Liebe und die unserer Großmutter umgab uns wie ein schützender Mantel.

Beide Großeltern waren vor der Jahrhundertwende von 1900 geboren, ich wusste nie genau, wann. Aber mein Vater war 1911 und meine Mutter 1913 geboren, vor jetzt über einhundert Jahren.

Viele Jahre später sah ich in der Oberschule in Nord-Berlin, wie ein junger Amerikaner, der ein Austauschstudent in unserer Schule war, etwas aus seiner Hosentasche nahm, was aussah wie ein Lippenstift. Aber als er es über seine Lippen strich, war keine Farbe da. Ich was davon fasziniert, denn ich hatte es nie zuvor gesehen. Er schien nervös zu sein, da so viele deutsche Schüler ihn anstarrten, denn er strich diesen glänzenden Stift immer wieder über seine Lippen. Er hatte einen „Crew Cut“, ganz oben auf dem flachen Kopf. Auch trug er eine Brille und es war offensichtlich, dass er kein Wort Deutsch sprach. Ich wunderte mich, warum er nach Berlin gekommen war. Ich sah ihn noch ein paar Mal, dann verschwand er wieder. Ebenso wie die vielen amerikanischen, englischen und französischen Soldaten, die in Berlin angekommen waren und viele Jahre überall in der Stadt herumliefen, nachdem die Sowjets Berlin zuerst überrannten und eine Hölle für Frauen, Kinder und alte Männer, ohne jegliche Differenz, mit sich gebracht hatten. Die russischen Soldaten waren nicht wählerisch was Weibliches betraf, jedes Alter war ihnen für eine Vergewaltigung recht: Alte Frauen, junge Frauen, junge Mädchen. Sie hatten ja jede Menge von Wodka, frei ausgegeben vom sowjetischen Militär, und sie tranken es wie Wasser.

Die amerikanischen Soldaten aber benahmen sich nicht wie Tiere. Man sah sie nie betrunken und sie waren nett, wie die französischen, auf jeden Fall habe ich niemals etwas Derartiges wie bei den Sowjets gesehen. Sie vergewaltigten nicht und verhielten sich zumindest in der Öffentlichkeit zivilisiert. Sie schossen nicht wild um sich herum, oder nahmen jedem die Armbanduhren ab, sofern die Menschen welche durch die Kriegsjahre gerettet hatten. Sie stürmten nicht wild in Wohnungen und Häuser und zerstörten was sie konnten, sie waren ohne Hass gekommen und schienen unsicher und verwundert, was nun mit diesem Deutschland geschehen würde. Sie waren höflich und neugierig auf dieses merkwürdige Deutschland der Nazis, genau wie der Austauschstudent später an meinem Gymnasium.

Obwohl der Krieg vorüber war, wurden Menschen noch immer erschossen, wenn sie versuchten, aus Ost-Berlin zu fliehen. Sie wurden von deutschen und sowjetischen Soldaten erschossen, wenn sie versuchten, über die Mauer zu klettern oder durch Tunnel zu entkommen, die man unter der Mauer gegraben hatte. Sie wollten in das freie West-Berlin und riskierten ihr Leben. Viele dieser Leute wurden sogar von der eignen Familie für eine lächerliche Belohnung vom kommunistischen Staat denunziert.

„Du kannst jetzt laufen, schnell!“ Mein Großvater flüsterte diesen Satz und hielt meinen Arm nach einer letzten Umarmung fest. Wir mussten sehr leise sprechen aus Angst, dass uns jemand im Mietshaus hören könnte und meinen Großvater für eine armselige Belohnung anzeigen würde. Das wäre eine Gefängnisstrafe geworden für meinen Großvater, jetzt im hohen Alter, und meine Großmutter wäre dann allein gewesen. Ich küsste seine stoppelige Wange noch ein letztes Mal und sagte: „Ihr werdet mir sehr fehlen und ich denke immer an euch!“

Die Soldaten waren mit ihrer Patrouille fast am Ende der Straße und damit fast an der Mauer angekommen, würden bald umdrehen und zurückmarschieren. Sie hatten ihre Gewehre an der Seite parat und waren jede Sekunde bereit, zu schießen. Sie konnten Deutsche oder Sowjets sein, man konnte es nicht sehen und es spielte auch keine Rolle.

Ich musste aus dem schweren, hölzernen Tor des Wohnhauses, dass voller Schusslöcher war, entkommen, bevor sie sich umdrehten. Meine Großeltern hatten hier über sechzig Jahre gelebt. Leider lag es genau hinter der Mauer und die unteren Stockwerke hatte man zugemauert. Die Straße davor war voller Stacheldraht und Granaten. Ich rannte so schnell ich konnte zu der nächsten Ecke und in die Seitenstraße. Ich atmete schwer, hatte aber wieder meinen Besuch bei meinen Großeltern geschafft. Ich hatte ihnen Kaffee, Schokolade und Orangen gebracht – alles, was man in Ost-Berlin nicht kaufen konnte.

Ihre Wohnung lag in der „Todeszone“, in die niemand gehen durfte, und selbst meine Großeltern mussten einen Pass zeigen, nur um einkaufen zu können. Sie lebten wie in einem Gefängnis. Meine Traurigkeit war etwas gelindert durch das Wissen, dass ich ihnen eine Freude machen konnte. Genauso wie sie uns, als wir klein waren, große Freuden mit ihren Besuchen bei uns in Frohnau gemacht hatten. Schokolade, Kaffee und Orangen waren Leckerbissen, die nur den ostzonalen Parteibossen gestattet waren, denn die allgemeine Bevölkerung bekam so etwas nicht zu sehen.

Obwohl ich diese Besuche jedes Mal machte, wenn ich Berlin besuchte, war es dieses Mal der letzte Besuch. Ich kehrte zu meinem Leben in Amerika zurück, wo ich jetzt für Pan Am arbeitete. Ich hatte die schreckliche Situation des geteilten Berlins, einer Insel im sowjetischen Deutschland – der DDR oder der Deutschen Demokratischen Republik (die alles andere als demokratisch war), wieder hinter mir gelassen. Meine geliebten Großeltern starben hinter der Mauer innerhalb eines Jahres, noch immer Gefangene einer irrsinnigen, politischen Situation. Sie waren zu alt, um fort zu gehen und ein neues Leben zu beginnen. Sie waren ein Leben lang die Opfer von zwei Weltkriegen. In ihrem Alter noch nach Amerika auszuwandern, war unmöglich geworden, sie wollten ja nicht einmal nach West-Berlin umziehen, was man durchaus erlaubt hätte, denn dann hätte die ostzonale Regierung ihre Renten eingespart. Sie hatten fast ihr ganzes Leben in derselben Wohnung verbracht und waren nicht einmal in ihrem Leben verreist, denn sie waren immer sehr sparsam. Meine Großeltern haben zweimal alles Ersparte verloren, im Ersten und dann wieder im Zweiten Weltkrieg, als die Banken Bankrott machten. Es war mir eine Lehre, ich habe niemals viel Geld auf Banken aufgehoben, sondern legte, was ich konnte, in Immobilien an.

Meine Großmutter hatte zum Schluss starke Demenz, nur so konnte sie mit der fürchterlichen Wirklichkeit fertigwerden, die sie umgab. Beide Großeltern hatten Schreckliches erlebt und zum Ende ihres Lebens außerdem nur die dürftigste Nahrung.

Ich denke sehr oft an sie und wünsche mir immer, ich hätte ihr Leben ändern können. Aber selbst Pakete mit Lebensmitteln wurden beschlagnahmt und hätten sie nicht erreicht.

Es war und blieb ein großes Dilemma und ich fühle noch heute – mich nun selbst in ihrem damaligen Alter befindend – eine große Traurigkeit, wenn ich an sie denke.

Kapitel II

England, 1960: Erste große Liebe und Pan Am Berlin

Im Jahr 1960 war ich verliebt in einen Schauspieler aus Berlin, der mit mir grausame Spiele trieb, für die ich viel zu jung war. Auch aus diesem Grund wollte ich Berlin verlassen. Leider verliebte ich mich in diesen zehn Jahre älteren Mann, der nach dem Krieg als Flüchtling aus einer Ostsee-Provinz vor der sowjetischen Besetzung geflohen war. Er hatte sich in München und auch in Berlin als Schauspieler niedergelassen. Ich traf ihn eines Abends in einem Jazz-Tanzlokal in Berlin-Charlottenburg in der Nähe des eleganten Kurfürstendamms. Er war groß und sehr gutaussehend mit viel männlichem Charme. Ich war in Kürze sexuell von ihm abhängig geworden, da ich vorher keine richtigen Erfahrungen mit Sex gehabt hatte.

Ich war achtzehn, stand vor meinem Abitur und konnte nur an ihn denken. Ich sehnte mich jede Minute nach ihm. Klaus bewohnte eine Dach-Mansardenwohnung einer alten Dame, die Zimmer in ihrer großen Alt-Berliner Wohnung vermietete, wovon sie lebte. Auch sie war Klaus und seinem Charme verfallen und oft bezahlte er seine Miete nicht. Von seiner idyllischen Abode kletterten wir viele Male hoch auf das steile Ziegeldach über dem vierten Stockwerk und sonnten uns nackt auf den Ziegeln. Es war aufregend und gefährlich zugleich. An der ganzen linken Beinseite hatte Klaus eine immer blutige und suppende Narbe, von einer Phosphorbombe, die ihn auf der Flucht verletzt hatte. Diese Narbe heilte nie, so lange ich ihn kannte, aber das machte seinem großen Sex-Drang nichts aus.

Eines Abends nahm er mich mit zu einer Sex-Party mit anderen Leuten, einer schwarzhaarigen Frau, die für BEA flog und einigen anderen, unter anderem seinem besten Freund, der Geschäftsmann war. Ich war sehr unglücklich dort, als ich Klaus mit den anderen Frauen sah, und wollte wieder gehen, aber er bestand darauf, dass ich mich seinem Freund hingab. Ich fühlte nichts, nur Abscheu, und weinte die ganze Zeit über, was seinen Freund nicht störte. Als es endlich vorüber war, rannte ich aus der Wohnung auf den Hohenzollerndamm und lief überwältigt und weinend durch die Straßen. Es war nun klar, dass ich Klaus nichts bedeutete. Plötzlich hielt ein Auto neben mir und ein alter Mann fragte aus dem Wagen, ob er mir helfen könne. Ich war so verstört, dass ich in sein Auto stieg, es war vier Uhr morgens. Er redete wenig, aber sah mein großes Unglück und fuhr mit mir durch die Straßen Berlins, bis ich mich beruhigt hatte.

Später dachte ich, dass ein „Schutzengel“ gekommen war, um mich zu schützen, so naiv es sich auch anhören mag. Denn ich hatte daran gedacht, mir das Leben zu nehmen, nachdem ich nach dem abscheulichen Vorfall aus der Wohnung gekommen war. Als der alte Mann mich vor dem Haus meiner Mutter absetzte, dankte ich ihm und ging hinein. Meine Mutter war dabei, in ihr Büro zu gehen, sie war so beschäftigt, dass sie nichts fragte. Der Gedanke, dass der Mann auch ein Verbrecher hätte sein können, kam mir nicht, und es wäre mir sowieso egal gewesen, wenn er mich irgendwo in einem Wald getötet hätte. Aber er war sehr nett und redete sehr wenig, nur ein paar beruhigende Worte die ganzen Stunden des Fahrens über. Ich sah ihn nie wieder. Es war das erste Mal in meinem Leben, so kindisch es klingen mag, dass ich einem „Schutzengel“ begegnet war. Es gibt sonst keine Erklärung für das merkwürdige und plötzliche Erscheinen von immer älteren Menschen, die mir aus einer gefährlichen Situation halfen. Es sollte später noch öfter in meinem Leben passieren.