6 1/2 Wochen - Drucie Anne Taylor - E-Book

6 1/2 Wochen E-Book

Drucie Anne Taylor

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Beschreibung

Um den Unterhalt für ihre kleine Tochter bezahlen zu können, schlägt sich die junge Leah als Housesitterin durch. Eine Annonce mit dem Titel »6 ½ Wochen« weckt ihr Interesse. Leah stellt sich in dem alten viktorianischen Anwesen vor und rechnet nicht damit, den Job schon während des Vorstellungsgesprächs zu erhalten. Zweitausend Meilen weit weg von ihrer Tochter, die bei ihrem Vater lebt, hütet Leah das Anwesen und ist überrascht, als auf einmal der charismatische Lucian Castle, Sohn ihrer Arbeitgeberin, vor ihr steht. Die beiden sind sich zu Beginn nicht sonderlich sympathisch, doch als Lucian von Leahs trauriger Situation erfährt, setzt er alles daran, ihr zur Seite zu stehen. Aber ein Schatten aus Lucians Vergangenheit droht alles zu zerstören, was er sich aufgebaut hat, und bringt auch das Leben von Leah und ihrer Tochter in Gefahr.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2022

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6 1/2 WOCHEN

DRUCIE ANNE TAYLOR

ANGELWING VERLAG

Copyright © 2020 Drucie Anne Taylor

Korrektorat: S. B. Zimmer

Satz und Layout: Julia Dahl

Umschlaggestaltung © D-Design Cover Art

Angelwing Verlag / Paul Dahl

6 Rue Saint Joseph

57720 Obergailbach / Frankreich

angelwing-verlag.de

Alle Rechte, einschließlich das, des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte, Ähnlichkeiten mit lebenden, oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

DIESES BUCH

Um den Unterhalt für ihre kleine Tochter bezahlen zu können, schlägt sich die junge Leah als Housesitterin durch. Eine Annonce mit dem Titel »6 ½ Wochen« weckt ihr Interesse. Leah stellt sich in dem alten viktorianischen Anwesen vor und rechnet nicht damit, den Job schon während des Vorstellungsgesprächs zu erhalten.

Zweitausend Meilen weit weg von ihrer Tochter, die bei ihrem Vater lebt, hütet Leah das Anwesen und ist überrascht, als auf einmal der charismatische Lucian Castle, Sohn ihrer Arbeitgeberin, vor ihr steht. Die beiden sind sich zu Beginn nicht sonderlich sympathisch, doch als Lucian von Leahs trauriger Situation erfährt, setzt er alles daran, ihr zur Seite zu stehen. Aber ein Schatten aus Lucians Vergangenheit droht alles zu zerstören, was er sich aufgebaut hat, und bringt auch das Leben von Leah und ihrer Tochter in Gefahr.

INHALT

1. Leah

2. Lucian

3. Leah

4. Lucian

5. Leah

6. Lucian

7. Leah

8. Lucian

9. Leah

10. Lucian

11. Leah

12. Lucian

13. Leah

14. Lucian

15. Leah

16. Lucian

17. Leah

18. Lucian

19. Leah

20. Lucian

21. Leah

Epilog

Danksagung

Über die Autorin

Weitere Werke der Autorin

1

LEAH

6 ½ Wochen

Wir suchen jemanden, der Interesse daran hat, ein altes viktorianisches Anwesen zu hüten, während wir in den Ferien sind. Für die Dauer von sechseinhalb Wochen leben Sie auf dem Grundstück.

Zu Ihren Aufgaben gehören:

Das Versorgen der HundePflanzen gießenGartenarbeitPost reinbringenKleinere HaushaltsarbeitenAbschreckung von Einbrechern durch Ihre Präsenz.

Was wir bieten:

Kostenlose UnterkunftGute und faire BezahlungDie Möglichkeit, als Housesitter fest engagiert zu werden.

Für weitere Informationen rufen Sie bitte unter der 555-6997 an.

Ich überflog die Anzeige noch einmal, danach schaute ich durch das eiserne Tor auf das Anwesen. Hoffentlich würde ich den Job bekommen, denn die Suche nach einer Stelle als Grafikdesignerin erwies sich als unheimlich schwierig. Deshalb bewarb ich mich immer öfter auf Housesittingjobs, um mich über Wasser zu halten. Ich war extra von New Hampshire hierher gereist, um mich auf die Stelle zu bewerben. Ich hatte schon mit Mrs. Castle gesprochen, um mich vorzustellen, sie hatte mich hierher eingeladen, was zumindest in meinen Ohren vielversprechend klang.

Ich fuhr zur Gegensprechanlage, die etwas vor meinem Wagen stand, ließ das Fenster herunter und betätigte den grünen Knopf.

Es knisterte. »Hallo?«, fragte eine blecherne Stimme.

»Guten Tag, mein Name ist Leah Palmer, ich hatte mich auf die Stelle als Housesitterin beworben«, erklärte ich freundlich und verzog meine Lippen zu einem Lächeln, da Mom immer gesagt hatte, dass man es hören könnte.

»Fahren Sie vor«, erwiderte die Blechstimme, im nächsten Moment glitten langsam die Tore auf, die dabei bedrohlich quietschten.

Als sie vollständig geöffnet waren, fuhr ich auf das Grundstück. Ich hoffte wirklich, diesen Job zu bekommen, um meine Miete zahlen zu können – und den Unterhalt für meine kleine Tochter, die bei ihrem Vater lebte. Die Kleine fehlte mir, aber ich musste irgendwie an das Geld kommen, damit Walker mir keine Probleme bereitete. Er erpresste mich immer damit, dass ich Allie nicht sehen dürfte, wenn ich den Kindesunterhalt nicht zahlen würde. Nur ihretwegen machte ich diese Jobs, sonst würde ich vermutlich in irgendeiner Fast-Food-Klitsche arbeiten, nur um mich über Wasser zu halten.

Ich parkte vor der Villa, schaltete den Motor aus und schnallte mich ab, danach stieg ich aus dem Wagen. Mit meiner Bewerbungsmappe in der Hand und der Handtasche unterm Arm machte ich mich auf den Weg zur Haustür, die geöffnet wurde, als ich gerade die erste Stufe betreten hatte.

»Guten Tag, Ms. Palmer.«

Ich nickte. »Guten Tag, sind Sie Mrs. Castle?«

»Die bin ich«, erwiderte sie lächelnd und ergriff meine Hand, die ich ihr anbot, nachdem ich sie erreicht hatte.

»Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen«, sagte ich gut gelaunt.

»Ganz meinerseits. Kommen Sie doch herein, hier draußen ist es viel zu kalt«, meinte sie und deutete ins Haus.

»Vielen Dank.« Ich folgte ihr hinein und nachdem sie die Tür geschlossen hatte, gleich weiter ins Wohnzimmer.

»Nehmen Sie Platz, Ms. Palmer.« Sie zeigte auf eine Couch, auf der ich nur einen Moment später Platz nahm.

»Ich habe Ihnen noch einmal meine Bewerbungsunterlagen mitgebracht«, ließ ich sie wissen und reichte ihr die Mappe.

Mrs. Castle nahm sie entgegen. »Das ist nett, danke. Ich habe tatsächlich vergessen, mir die Unterlagen auszudrucken.« Sie schlug den Hefter auf und warf einen Blick hinein. »Sie sind eigentlich Grafikdesignerin?«

»Ja, allerdings hatte ich bisher kein Glück, eine Anstellung in diesem Beruf zu finden«, antwortete ich aufrichtig. »Deshalb arbeite ich meist als Housesitterin und designe hobbymäßig Grafiken. Das lässt sich ganz gut miteinander vereinbaren.«

Sie nickte. »Klingt interessant, dann kennen Sie sich sicher auch mit diesen ganzen Programmen aus, nicht wahr?«

»Ja, Ma’am.« Sie war sicher schon im Alter meiner Mom, aber ich wollte sie nicht darauf ansprechen. Mrs. Castle kleidete sich klassisch, sie trug ein korrallfarbenes Kostüm, das sie mit einer weißen Bluse und ebenso korallfarbenen Pumps kombiniert hatte. Um ihren Hals trug sie eine sehr teuer aussehende Kette, an der ein Bernsteinanhänger hing. Sie war unheimlich stilvoll.

»Wie oft haben Sie schon als Housesitterin gearbeitet?«, erkundigte sie sich.

»Seit meinem Studienabschluss habe ich mehrmals als Housesitterin gearbeitet. Unter anderem in Hollywood für Ashton Coulder, den Schauspieler, für die Rossums in New Hampshire und zweimal in New York für den CEO einer international erfolgreichen Firma«, antwortete ich aufrichtig.

»Und wie lange waren sie jeweils angestellt?«, fragte sie weiter.

»Für Mr. Coulder arbeitete ich etwa eineinhalb Monate, für die Rossums zwei Monate und zweimal für vier Monate in New York.«

Sie nickte. »Und die Zeugnisse, die Ihnen ausgestellt wurden, sind voller Lob.« Mrs. Castle hob den Blick. »Sie haben keine Allergien gegen Tiere, oder?«

»Nur gegen Katzenschuppen, aber da Sie Hunde haben, wird mich das nicht beeinflussen, Mrs. Castle.«

»Ich habe drei Yorkshire Terrier, die regelmäßig Auslauf brauchen. Ich kann sie leider nicht mit auf die Kreuzfahrt nehmen, sonst müssten Sie sich nicht um die drei kümmern.«

»Ich mag Hunde und die drei sind bei mir sehr gut aufgehoben«, ließ ich sie wissen.

Daraufhin verzog Mrs. Castle ihre Lippen zu einem sehr breiten Lächeln, das ihre weißen Zähne hervorblitzen ließ. »Das beruhigt mich.« Sie stellte noch einige Fragen über mein Studium, meine familiären Hintergründe, wobei ich Allie und Walker nicht erwähnte, und schließlich erklärte sie mir, was auf mich zukommen würde.

Ich würde bezahlt werden und musste glücklicherweise nicht für die Nebenkosten aufkommen, die ich verursachte. Das Haus gehörte ihrem Sohn, aber er hatte ihr ein lebenslanges Wohnrecht zugesprochen. Außerdem erzählte sie mir von ihrem verstorbenen Ehemann, der eine sehr erfolgreiche Softwarefirma gegründet hatte, die nun von ihrem Sohn geführt wurde.

»Also dann, Ms. Palmer, ich würde mich sehr freuen, wenn Sie für mich tätig werden«, sagte sie schließlich, nachdem wir uns geschlagene zwei Stunden unterhalten hatten.

»Wirklich?«, hakte ich verdutzt nach. Sicher gab es noch einige andere Bewerber und ich sollte mich durchgesetzt haben? Das überraschte mich wirklich.

»Ja, Ms. Palmer, Sie haben mich von sich überzeugt«, lächelte sie und erhob sich. »Ich werde Ihnen alles zeigen und würde mich freuen, wenn Sie schon morgen anfangen könnten, denn am Wochenende geht mein Flug nach New York.«

Ich nickte hektisch. »Ich kann morgen anfangen. Wann soll ich denn hier sein?«

»Am besten kommen Sie gegen neun Uhr her, dann habe ich noch genug Zeit, Ihnen alles zu zeigen, was wichtig ist. Ich habe Zettel geschrieben, auf denen steht, wann die Hunde welches Futter bekommen, zudem braucht mein Sorgenkind dreimal täglich seine Herztabletten. Natürlich erhalten Sie auch genug Geld, um sich und die Tiere zu verpflegen«, entgegnete sie.

»Alles klar.«

Wir erhoben uns und Mrs. Castle brachte mich zur Tür. »Also dann, Ms. Palmer, bis morgen.«

»Bis morgen, Mrs. Castle«, erwiderte ich und ergriff ihre Hand, die ich schüttelte.

»Sie sind in einem Hotel untergekommen, oder?«

»Ja, bin ich.«

»Dann checken Sie morgen bitte aus, damit wir genug Zeit haben, um alles durchzugehen und ich Ihnen noch ein wenig über die Schulter gucken kann.«

»Alles klar, Mrs. Castle.«

»Bis morgen«, wiederholte sie.

Ich nickte ihr zu, anschließend ging ich zu meinem Wagen. Erleichtert stieg ich ein und machte mich auf den zum Hotel.

Als ich in meinem Zimmer war, fing ich an, meine Sachen zu packen. Ich war gestern hier angekommen und froh, dass ich morgen schon wieder auschecken konnte, denn ich hatte sicher nicht im Four Seasons eingecheckt. Aber noch glücklicher war ich darüber, den Job bekommen zu haben. Mrs. Castle bezahlte wirklich gut, sogar mehr als andere meiner Auftraggeber und so würde ich zumindest für ein paar Monate problemlos den Unterhalt für Allie bezahlen können. Walker verlangte vierhundert Dollar pro Monat, die ich meist nur mit Hängen und Würgen aufbringen konnte, aber wenn ich nicht bezahlte, durfte ich Allie nicht sehen. Deshalb bemühte ich mich, immer gute Housesittingjobs zu kriegen. Manchmal hielt ich mich mit kleineren Grafikaufträgen über Wasser, die ich nun auch annehmen würde, denn ich würde bestimmt nicht den ganzen Tag das Haus putzen müssen. Und die Hunde müssten auch nicht den ganzen Tag beaufsichtigt werden. Vielleicht musste ich sie mal zum Tierarzt bringen, wenn überhaupt, aber mehr lag nicht vor mir. Mrs. Castle hatte mir gesagt, dass die Vorratskammer und die Gefriertruhen sowie der Kühlschrank voll waren. Davon würde ich zwar keine sechseinhalb Wochen leben können, aber zumindest ein Weilchen über die Runden kommen, dessen war ich mir sicher. Ich aß nicht besonders viel und meistens irgendwelche Instantsuppen oder -nudeln, weil ich mir nicht viel leisten konnte, wenn ich den Unterhalt bezahlt hatte. Ich wohnte bei meiner Grandma, da meine Eltern und ich nicht das beste Verhältnis zueinander hatten. Ich konnte mir keine eigene Wohnung leisten, weshalb ich bei ihr lebte, und glücklicherweise musste ich ihr nur eine kleine Miete bezahlen. Für meine Verpflegung sorgte ich selbst, auch wenn ich nur das Billigste vom Billigsten kaufte. Granny liebte Allie und wünschte sich, dass sie bei mir lebte, aber der Richter hatte damals zu Walkers Gunsten entschieden. Unter meiner Aufsicht hatte die Kleine einen Unfall, der sie ins Krankenhaus gebracht hatte, was dazu führte, dass er das alleinige Sorgerecht bekam. Seither bestimmte er darüber, wann und ob ich sie überhaupt sah. Mein Ex machte mir das Leben schwer und ich wusste nicht, wie ich ihn davon überzeugen konnte, mir mehr Besuchszeit einzuräumen. Walker war der festen Überzeugung, dass ich kein guter Umgang für unsere Tochter war, was er bei neuen Anhörungen immer deutlich machte. Da ich keine eigene Wohnung hatte, sondern bei meiner Großmutter lebte, wurden mir nie mehr Rechte zugesprochen. Ich hatte tierisches Pech und ich hoffte, dass sich das Blatt irgendwann wenden würde, damit ich endlich die Chance bekam, eine Mom zu sein. Aber bisher wurde mir von keiner Seite genug Vertrauen entgegengebracht, um zu beweisen, dass ich eine gute Mutter war. Ein Unfall, ein wirklich dummer Unfall hatte alles verändert und mein Leben zerstört. Allie wurde mir weggenommen und zu Walker gebracht, aber wenigstens war sie bei ihrem Dad, statt in einer Pflegefamilie. Ich war mir sicher, dass ich sie in dem Fall gar nicht mehr hätte sehen dürfen.

Am Abend hatte Walker mich wenigstens mit der Kleinen telefonieren lassen. Sie war erst sechs und via Videotelefonat hatte sie mir die Spielsachen gezeigt, die Walkers Mom ihr gekauft hatte. Immer wieder hatte Allie gefragt, wann ich sie besuchen käme, und ich hatte sie vertrösten müssen. Es tat mir in der Seele weh, die Tränen in ihren Augen zu sehen, aber was sollte ich machen? Ich musste arbeiten, sonst hätte ich sie sicher nicht mal mehr sprechen dürfen. Wenigstens sah ich sie so und konnte ihr sagen, wie sehr ich sie liebe, das war mehr, als ich manch anderes Mal bekam.

Meine Sachen waren gepackt, ich hatte etwas gegessen und mittlerweile war es spät geworden. Morgen müsste ich um neun Uhr bei Mrs. Castle sein und ich wollte sie nicht enttäuschen, indem ich gleich an meinem ersten Tag zu spät kam. Ich verstand zwar nicht, wieso ich schon auschecken sollte, denn die meisten Hauseigentümer wollten ihren Housesitter nicht sehen, wenn sie selbst noch im Haus waren, aber ich würde den Teufel tun und sie darauf ansprechen. Ich wusste ja nicht, ob sie bereits mit Leuten wie mir gearbeitet hatte. Ich arbeitete nicht mit einer Agentur zusammen, weil die sich meistens ziemlich viel Geld in die Tasche steckten, sondern machte das Ganze freiberuflich. So verdiente ich mehr und konnte mich auf die Stellen bewerben, die mich ansprachen.

Da ich bereits geduscht und umgezogen war, legte ich mich ins Bett. Ich löschte das Licht, deckte mich zu und drehte mich auf die Seite. Ich schloss die Augen und hoffte, in den Schlaf zu finden.

2

LUCIAN

Genervt saß ich im Flieger. Die Stewardess, die offenbar neu im Job war, hatte mir Kaffee über das Jackett gekippt und so meinen Anzug versaut. Meine Laune war in den Keller gesunken und ich hätte sie erwürgen können, mich dann aber gegen eine Szene entschieden. Ich hatte keine Lust, vom Air Marshall festgesetzt zu werden. Ich war beruflich in Kanada unterwegs gewesen, um den Kauf einer Softwareschmiede unter Dach und Fach zu bringen, die ihren Sitz nun hierher verlegen würde. Diese Firma entwickelte Spiele, wir Computerprogramme, und ich wollte das Feld erweitern. Also hatte ich ein Unternehmen gekauft, das kurz vor der Pleite stand, aber deren Titel immer sehr erfolgreich liefen. Eine Misskalkulation und man nagte am Hungertuch, so war es oft, aber das war mein Vorteil. Ich war zwar der CEO von Castle Working Systems, aber ich kümmerte mich lieber um das Schlucken anderer Firmen. Und jetzt konnten wir den Firmennamen noch um Entertainment erweitern. Ich wollte das Erbe meines Vaters vergrößern, auch wenn mein Onkel, der im Vorstand saß, dagegen war. Er war der Meinung, dass es reichte, bloß Computersoftware und Betriebssysteme zu verkaufen.

Ich war nun auf dem Weg nach Hause, weil ich einen Anruf meiner Tante bekommen hatte, dass meine Grandma gestorben war. Ich hatte kein besonders enges Verhältnis zu ihr, musste mich aber auf der Beerdigung blicken lassen. Ich war nicht begeistert, aber was sollte ich tun? Ab und zu musste ich allen vorspielen, dass mir diese Familie etwas bedeutete, sonst würde meine Mutter mir Probleme bereiten. Sie hatte ich noch nicht erreichen können, was mich wunderte, denn sie war immer zu Hause, weil sie den ganzen Tag nichts zu tun hatte. Aber ich würde sie bald sehen und dann konnte ich mit ihr sprechen.

»Mom?«, rief ich, nachdem ich das Haus betreten hatte. Es wunderte mich, dass Musik lief und es hier nicht so stickig war wie sonst. Ich stellte meinen Koffer ab, danach machte ich mich auf den Weg ins Wohnzimmer.

Leer.

Anschließend ging ich in die Küche und sah eine Frau mit braunen Haaren am Esstisch sitzen. Sie war in eine Zeitschrift vertieft. Mit einem Räuspern machte ich sie auf mich aufmerksam.

Sie zuckte zusammen, dann hob sie den Blick, der nur einen Sekundenbruchteil später entgleiste. »Wer sind Sie?«

»Die Frage ist wohl eher, wer Sie sind«, antwortete ich und sah sie mit einer gehobenen Augenbraue an. »Also?«

»Wenn Sie mir nicht auf der Stelle sagen, wer Sie sind, werde ich die Polizei rufen«, meinte sie und wollte wohl drohend klingen, stattdessen merkte ich, dass ihr der Arsch auf Grundeis ging.

»Wunderbar, dann zeigen Sie sich bitte wegen Einbruchs und des Besetzen meines Hauses an.«

Ihre Miene entrückte. »O Gott«, stieß sie aus und erhob sich, dann räusperte sie sich. »Mein Name ist Leah Palmer, Mrs. Mariah Castle hat mich als Housesitterin engagiert.«

»Wie bitte?«, hakte ich irritiert nach.

»Mein Name ist …«

»Das habe ich verstanden«, fuhr ich ihr über den Mund. »Wo ist meine Mutter?«

»Ist Mrs. Castle Ihre Mutter?«

Ich atmete tief durch. Wie dämlich war diese Frau denn bitte? »Ja, Mariah Castle ist meine Mutter und ich würde gern erfahren, wo sie sich herumtreibt.«

Ms. Palmer schluckte. »Sie sagte etwas von einer Kreuzfahrt und ich soll für sechseinhalb Wochen auf das Haus aufpassen.«

»Großartig«, stieß ich aus. »Wie lange sind Sie schon hier?«

»Seit einer Woche.«

»Und meine Mutter ist seit einer Woche weg?«

»Nein, sie fuhr vor drei Tagen zum Flughafen, ich schätze, der Dampfer, mit dem sie fahren wollte, hat inzwischen abgelegt.« Ihre Stimme zitterte ein wenig, war sie etwa so unsicher?

Die Köter meiner Mutter bellten. Ich mied diese wandelnden Teppichflusen, die mir schon so einige Möbel ruiniert hatten. Aber meine Mutter liebte diese kläffenden Terrier, weshalb ich sie ihr nicht absprach. Ich wollte sie bloß nicht in meinen Räumen haben, ansonsten war es mir egal, solange Mom den Dreck der Tölen wegräumte. Nun sah ich, dass die drei sich um Ms. Palmer herum versammelt hatten. Es wunderte mich, dass sie die kleinen Wadenbeißer unter Kontrolle hatte, denn selbst meiner Mutter war es bis heute nicht gelungen. »Sagte sie, wohin sie reist?«

Ms. Palmer schüttelte den Kopf. »Nein, ich weiß nur von einer Kreuzfahrt, mehr nicht. Tut mir leid, Mr. Castle.«

Ich winkte ab.

»Soll ich dann gehen? Ich meine, Sie sind ja nun im Haus.«

»Meine Mutter hat Sie wahrscheinlich auch engagiert, um auf ihre Kläffer aufzupassen, also machen Sie Ihren Job«, erwiderte ich und bemühte mich, sie nicht zur Schnecke zu machen. Ich war so angepisst, dass ich meine Mutter nicht im Haus vorgefunden hatte. »Haben Sie eine Telefonnummer, auf der Sie meine Mutter erreichen können?«

»Ja, Augenblick.« Sie erhob sich und ging an den Kühlschrank, an den ein Zettel gepinnt war. »Sie gab mir diese Nummer.« Ms. Palmer kam zu mir zurück und reichte ihn mir.

Aufgebracht wie ich war, entriss ich ihn ihr. »Haben Sie die Nummer gespeichert?«

Sie nickte.

»Gut, dann stört es Sie sicher nicht, wenn ich den Zettel an mich nehme.« Ich hatte kaum zu Ende gesprochen, da steckte ich die Notiz schon in meine Innentasche. Es war mir egal, ob Ms. Palmer die Nummer gespeichert hatte oder nicht.

Daraufhin schüttelte sie den Kopf.

Nur für einen Moment betrachtete ich sie skeptisch, anschließend verließ ich wutschnaubend die Küche.

»Mr. Castle?«

Ich blieb stehen. »Was ist?«

»Ich wollte später kochen, möchten Sie mitessen oder versorgen Sie sich selbst?«

Ich drehte mich um. »Es kommt ganz darauf an, was Sie zubereiten möchten, Ms. Palmer.« Nun gab ich mich freundlich, konnte aber nicht abstreiten, dass es mich einige Mühe kostete. Ich hätte ihr genauso wie meiner Mutter den Kopf abreißen können, weil mich niemand informiert hatte.

»Ich dachte an ein Pilzrisotto.«

Ich unterdrückte den Drang, das Gesicht zu verziehen. Pilze gehörten nicht zu meinen favorisierten Speisen, aber gut, ich würde ihr eine Chance geben, immerhin musste ich noch fünfeinhalb Wochen mit ihr auskommen. »Klingt gut«, sagte ich trotz meines Ekels lächelnd, danach wandte ich mich ab und machte mich mit meinem Koffer auf den Weg nach oben.

Meine Suite war immer noch verschlossen, worüber ich froh war, also hatte Mom sich nicht wieder Zutritt verschafft, wie während meiner letzten Geschäftsreise.

Ich betrat meine Räume, warf die Tür hinter mir zu und ging an den Schreibtisch. Ich griff zu der Notiz, die Ms. Palmer mir überlassen hatte, anschließend zum Mobilteil meines Telefons und wählte die Nummer.

Freizeichen.

»Sie sind verbunden mit der Mailbox von Mariah Castle, bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Signalton.«

Ein Piepen.

»Hey, Mom, ich bin’s, Lucian. Bitte melde dich, sobald du meine Nachricht abgehört hast. Es gibt Neuigkeiten, die auch dich interessieren dürften. Es ist wirklich wichtig. Bis dann.« Ich trennte die Verbindung und knallte den Hörer auf den Schreibtisch. »Das gibt’s doch nicht!«, fluchte ich und fegte ein paar Unterlagen von der Tischplatte. Beschissener konnte der Tag kaum werden. Grandma hatte das Zeitliche gesegnet, Mom war nicht erreichbar und ich hatte eine Fremde im Haus, die offensichtlich von der Wohlfahrt eingekleidet worden war.

So genervt wie heute war ich schon furchtbar lange nicht mehr und dieser Umstand nervte mich noch ein wenig mehr, wenn er mich nicht sogar ankotzte.

Ich erhob mich, lockerte die Krawatte und machte mich auf den Weg in mein Badezimmer. Eine Dusche würde mir jetzt guttun.

Tatsächlich hatte ich mich abgeregt, aber ich fragte mich immer noch, warum ich meine Mutter nicht erreichen konnte. So ein Kreuzfahrtschiff hatte sicher einen Sendemast und damit auch WLAN, aber meine Mutter hatte selbst meine WhatsApp-Nachrichten noch nicht gelesen. Da sie den Messenger so eingestellt hatte, dass man ihren letzten Onlinezeitstempel nicht sehen konnte, war ich darauf angewiesen, dass sich die Haken blau färben würden, andererseits wusste ich nicht, wie krass sie in den Datenschutzeinstellungen herumgepfuscht hatte. Aber ich hoffte wirklich, dass sie zeitnah reagieren würde. Jedoch kannte ich meine Mutter, manchmal war es Glück, wenn sie überhaupt ihre Nachrichten abrief. Aus diesem Grund schrieb ich ihr auch keine E-Mails mehr, denn ich war mir sicher, dass sie noch welche aus der grauen Vorzeit hatte, die ungelesen waren. Seufzend steckte ich das Handy in die Gesäßtasche meiner Jeans, danach verließ ich meine Suite. Barfuß, in Jeans und weißem Shirt machte ich mich auf den Weg nach unten. »Ms. Palmer?«

Keine Antwort.

Ich schnaubte genervt – ja, diesen Status erreichte ich heute verdammt oft – und ging an die Kochinsel.

Falls Sie mich suchen, ich bin mit den Hunden draußen. Sollte etwas Dringendes sein, erreichen Sie mich unter der Handynummer, die ich an den Kühlschrank gepinnt habe.

Leah Palmer

So dringend war mein Anliegen nicht, ich hatte bloß Hunger und wollte sie wissen lassen, dass sie mich beim Kochen nicht berücksichtigen musste, mehr nicht. Aber ich würde zweifellos noch hier sitzen, wenn sie zurückkommen würde.

Ich machte mir ein Sandwich, mit dem ich mich an den Esstisch in der Küche setzte. Kaffee hätte ich auch vertragen können, aber ich hatte keine Lust, noch mal aufzustehen. Wenn Ms. Palmer zurückkommen würde, würde ich sie ein wenig aushorchen. Ich wollte wissen, wer in meinem Haus gastierte, um es zu hüten. Ich fragte mich erst recht, was meine Mutter geritten hatte, auf einmal einen Housesitter zu engagieren. Sonst war sie auch in den Urlaub geflogen, ohne jemanden in diesen Bau zu setzen, der darauf aufpasste. Möglicherweise hatte das mit der Einbruchsserie der letzten Wochen und Monate zu tun, aber hier gab es so eine gute Alarmanlage, dass sie sicher jeden abgeschreckt hätte, der vorhatte, in das Haus einzudringen.

Ich hörte die Haustür, auch die kleinen Kläffer und schließlich wurde sie geöffnet. »So, lauft«, vernahm ich Ms. Palmers Stimme, die Leinen rasselten, dann näherten sich ihre Schritte der Küche. »Oh, Sie sind ja wieder hier unten.« Ihr Blick fiel auf meinen Teller, auf dem die beiden Sandwiches lagen. »Soll ich Sie noch beim Kochen berücksichtigen?«

Ich winkte ab. »Nicht nötig.«

»Okay«, sagte sie und ging an den Kühlschrank. Sie holte eine Flasche Wasser heraus. »Haben Sie Ihre Mutter erreicht?«

»Nein, habe ich nicht.« Ich räusperte mich. »Könnten Sie mir vielleicht einen Kaffee bringen?«

Ms. Palmer sah mich überrascht an. »Sicher«, entgegnete sie schließlich, holte eine Tasse aus dem Schrank und ging an den Vollautomaten. »Brauchen Sie Milch oder Zucker?«

»Nein, ich trinke den Kaffee schwarz.« Ich griff zu einem der Sandwiches und biss hinein. »Haben Sie schon mal versucht, meine Mutter zu erreichen?«

»Ja, ich sprach gestern mit ihr, da ging es ihr gut, allerdings hatte sie ziemlich schlechten Empfang.«

»Na super«, stieß ich aus.

»Ich kann ihr etwas ausrichten, wenn sie mich das nächste Mal anruft«, bot sie an.

»Falls es dazu kommen sollte, sagen Sie ihr bitte, dass sie mich unbedingt zurückrufen muss, weil es einen Trauerfall in der Familie gibt«, ließ ich sie wissen.

»Oh … Mein Beileid, Mr. Castle.«

»Danke.« Ich wollte nicht sagen, dass mir ihre Beileidsbekundung einen Scheiß bedeutete, ganz so unfreundlich musste ich ja nicht zu ihr sein, aber mehr als diesen kleinen Dank würde sie nicht bekommen. »Was machen Sie so, Ms. Palmer?«

»Na ja, ich bin Housesitterin«, antwortete sie, dann ließ sie den Vollautomaten meinen Kaffee zubereiten.

Solange das Mahlwerk seiner Arbeit nachging, konnte ich nicht mit ihr reden, weil es so unsagbar laut war. Ich hatte keine Lust, mich schreiend mit ihr zu unterhalten. »Und was machen Sie, wenn Sie nicht gerade auf Häuser aufpassen?«

»Dann suche ich nach einem Job als Mediengestalterin.«

»Mediengestalterin?«

»Ja, ich bin Grafikdesignerin und suche einen Job in der Branche.«

»Warum machen Sie sich nicht selbstständig?«

»Weil ich Berufserfahrung sammeln möchte«, entgegnete sie, als sie mir den Kaffee brachte.

»Aber niemand gibt Ihnen eine Chance?«

»Wie es Uniabsolventen oder Berufsanfängern eben geht«, meinte sie und holte sich ein Glas. »Ich werde Sie alleine lassen, damit Sie Ihre Ruhe vor mir haben.«

»Setzen Sie sich zu mir, Ms. Palmer.«

Ms. Palmer sah mich irritiert an, dann griff sie zur Wasserflasche, nahm ein Glas an sich und kam an den Tisch. Sie nahm mir gegenüber Platz. »Ich wusste nicht, dass hier noch jemand wohnt, aber Ihre Mutter hat mich bestimmt nicht grundlos engagiert.«

»In der Gegend kam es in den letzten Monaten häufiger zu Einbrüchen, ich schätze, dass Sie deshalb hier sind.«

Daraufhin nickte sie, schenkte sich Mineralwasser ein und trank einen Schluck.

»Außerdem müssen diese unsäglichen Tölen versorgt werden.«

Ihre Augenbraue glitt in die Höhe. »Mögen Sie keine Hunde?«

»Doch, aber keine Wadenbeißer, die ständig herumkläffen, sobald sie einen Regenwurm husten hören«, antwortete ich, was ihr ein Grinsen entlockte. Ihre braunen Augen wirkten klar und unschuldig, aber ich war mir sicher, dass sie es faustdick hinter den Ohren hatte.

»Sie haben nicht gebellt, seit ich hier bin.«

»Dann haben Sie die Hunde unter Kontrolle, ganz im Gegensatz zu meiner Mutter, sie kommt mit den Tieren nicht zurecht, aber wollte sie unbedingt haben.«

»Na ja, manche bekommen Kinder, obwohl sie nicht mit ihnen zurechtkommen, seien Sie froh, dass Ihre Mutter sich bloß Hunde angeschafft hat.«

Meine Miene entgleiste, bevor ich anfing zu lachen. »Sie haben recht.«

Ms. Palmer zuckte mit den Schultern. »Möchten Sie wirklich nicht mit mir zu Abend essen?«

»Ms. Palmer, Sie sind Angestellte im Haus und ich habe Besseres zu tun, als mich mit Ihnen an den Tisch zu setzen.«

Sie sah mich mit großen Augen an. »Da Sie bereits mit mir am Tisch sitzen, hätte ein Nein genügt.«

Daraufhin winkte ich ab und widmete mich meinen Sandwiches.

Ms. Palmer trank einen Schluck Wasser, anschließend erhob sie sich. Sie ging noch einmal an den Kühlschrank und holte Champignons heraus, außerdem Pfifferlinge.

Ich sah ihr bei der Zubereitung zu und einmal mehr war ich froh darüber, dass ich das Essen abgelehnt hatte, denn sie sah nicht so aus, als würde sie wissen, was sie macht.

Als ich fertig war, trank ich meinen Kaffee aus und stand ebenfalls auf. »Ich lasse Sie dann alleine.«

»Okay.«

»Schönen Abend noch, Ms. Palmer.« Anschließend verließ ich die Küche.

»Mr. Castle?«

»Was ist?«

»Wollen Sie Ihr Geschirr nicht wegräumen?«

»Wofür sind Sie denn im Haus?«

»Das gibt’s ja wohl nicht«, stieß sie aus, aber ich ignorierte es und machte mich auf den Weg in meine Suite. Sie war Hausangestellte, also konnte sie auch für mich aufräumen. Ich musste meinen Onkel anrufen und nachfragen, wann Großmutters Beisetzung stattfinden würde. Dafür musste ich meine Termine verschieben, um ihr die letzte Ehre zu erweisen. Scharf war ich nicht darauf, den alten Drachen zu seiner letzten Ruhestätte zu begleiten, aber es musste sein. Sie war die Mutter meines Vaters, war gegen die Hochzeit meiner Eltern und konnte mich nicht ausstehen, was sie mich zeit meines Lebens hatte spüren lassen. Aber die Antipathie beruhte auf Gegenseitigkeit. Meinen Großvater hatte ich verehrt, aber er war vor zehn Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Danach war ich nicht mehr zu meiner Großmutter gefahren. Sie interessierte sich nicht für mich, was ebenfalls auf Gegenseitigkeit beruhte. Aber mit Mom war sie seit Dads tragischem Unfall besser zurechtgekommen. Und deshalb wollte ich meine Mutter erreichen. Sie musste wissen, dass ihre Schwiegermutter das Zeitliche gesegnet hatte. Sicher würde sie auch zur Beisetzung kommen wollen, aber ich fragte mich, wie sie das anstellen wollte, wenn sie auf irgendeinem Kahn mitten im Atlantik unterwegs war.

3

LEAH

Dieser Kerl war so unfreundlich – und ein dummes Arschloch. Jeder Mensch konnte sein Gedeck wegräumen, aber Mr. Castle nicht. Er war sich wohl zu fein dafür. Ich hatte es ebenfalls nicht weggeräumt, denn ich wurde nur für das Housesitting bezahlt, aber nicht dafür, den Dreck des Hausherrn aufzuräumen. Ich erledigte nur meine Aufgaben und hoffte, dass Mr. Castle nicht bald das ganze Geschirr verschmutzt haben würde, aber dann würde ich auch so weit gehen und mir Papp- oder Plastikteller kaufen, von denen ich essen konnte. Die konnte ich nach dem Abwasch mit auf mein Zimmer nehmen, dann würde er früher oder später spülen müssen. Oder er würde einfach ein neues Service kaufen, das wusste ich nicht. Ich konnte ihn nicht einschätzen, aber Fakt war, dass dieser Kerl absolut unfreundlich war. Hielt er sich vielleicht für etwas Besseres? Zweifellos war dem so, sonst hätte er nicht gemeint, dass ich für ihn aufräumen soll. Ich konnte ihn nicht ausstehen. Schon als er heute Mittag hier aufgetaucht war, hatte er mich von oben herab behandelt. Ich war fest davon überzeugt, dass wir uns noch an die Gurgel gehen würden, wenn er sich weiterhin so verhalten würde. Wenn Mrs. Castle gewusst hätte, dass ihr Sohn hier auftaucht, hätte sie mich zweifellos nicht engagiert, aber ich brauchte diesen Job wirklich, weshalb ich mich mit ihm arrangieren musste.

Irgendwie.

Er mochte die Hunde nicht, also war ich hoffentlich eine willkommene Hilfe, auch wenn es nur um die drei Terrier ging. Ich konnte mir die Namen der Hunde nicht merken, ich wusste nur, dass jener mit dem schwarzen Fell dreimal täglich eine Entwässerungstablette bekommen musste, weil er Herzprobleme hatte.

»Ms. Palmer?«

Ich verdrehte die Augen. »Ja?«, rief ich meinerseits, während ich die Champignons putzte.

Seine Schritte näherten sich der Küche. »Wohin legen Sie die Post?«

»Auf den Sekretär im Wohnzimmer«, antwortete ich, als ich den Blick hob. »Sonst noch etwas?«

»Nein, das war’s schon.« Er ließ mich wieder allein.

Ich schaute ihm hinterher und musste zugeben, dass er in den Jeans und dem Hemd eine verdammt gute Figur machte. Er war barfuß unterwegs, was mich wunderte, denn besonders warm war es im Haus nicht. In den letzten Tagen hatte ich immer wieder den Kamin angefeuert, allerdings erst, nachdem Mrs. Castle das Haus verlassen hatte, denn sie mochte den Geruch des brennenden Holzes nicht.

Als das Abendessen fertig war, hörte ich ihn wieder durch das Haus laufen, aber ich wollte mich nicht bemerkbar machen. »Meine Güte, können Sie nichts kochen, das weniger stinkt?«, fragte er, als er in die Küche kam.

Ich sah ihn irritiert an. »Tut mir leid. Wenn ich gewusst hätte, dass Sie sich von dem Geruch belästigt fühlen, hätte ich draußen über einem Lagerfeuer gekocht. Ich werde gleich morgen eine kleine Grube dafür ausheben.«

Seine Miene entrückte für den Bruchteil einer Sekunde. »Wie bitte?«

Ich hob eine Augenbraue. »Soll ich es wirklich wiederholen oder wollen Sie nur sichergehen, dass ich es ernst gemeint habe?«

Mr. Castle schnaubte. »Sie sollten sich ein wenig zurücknehmen, immerhin arbeiten Sie für mich.«

»Falsch, ich arbeite für Ihre Mutter und sie ist die Einzige, die mich kündigen kann«, hielt ich dagegen. Ich sah es nicht ein, vor ihm zu kuschen, denn er war nicht mein Boss. Er war bloß der Nachkomme meiner Chefin, auch wenn ihm das Haus gehörte, aber ich hatte einen wasserdichten Arbeitsvertrag.

»Dieses Haus gehört mir, de facto arbeiten Sie zwar für meine Mutter, aber in meinem Haus«, sagte er ernst.

Ich zuckte mit den Schultern, dann widmete ich mich meinem Abendessen.

»Wie respektlos sind Sie eigentlich?«, hakte er nach.

»Wow«, stieß ich aus. »Ich bin respektlos? Sie benehmen sich wie ein Schwein, lassen Ihr Geschirr herumstehen und meinen auch noch, dass ich Ihnen den Arsch nachtrage, obwohl ich dafür nicht eingestellt wurde. Ich bin dafür da, um auf das Haus aufzupassen. Ihre Mutter hat mich eingestellt und ich werde erst gehen, wenn mein Auftrag erfüllt ist oder sie mir gekündigt hat, was wohl eher nicht der Fall sein wird. Also bitte, entweder wir gestalten das hier so angenehm wie möglich, oder wir gehen uns so lange an, bis Sie auf die nächste Geschäftsreise müssen, Mr. Castle. Was ist Ihnen lieber?«

Er sah mich überrascht an.

»Ich dachte mir doch, dass wir die Sache lieber friedlich gestalten, statt uns gegenseitig an den Hals zu gehen«, sagte ich gelassen, trank einen Schluck meiner Cola light und widmete mich wieder meinem Abendessen.

»Es ist unglaublich, was Sie sich herausnehmen.«

»Ich habe Ihnen lediglich meine Meinung gesagt«, erwiderte ich und aß weiter.

»Unglaublich«, stieß er wiederholt aus, dann ließ er mich allein.

So ein Vollidiot, schoß mir durch den Kopf, aber das würde ich ihm niemals an seinen werfen. Mir hatte es gereicht, sonst wäre ich nicht so aus der Haut gefahren. Ich hatte keine Lust, mich ständig mit ihm in die Haare zu kriegen, weil er mich von oben herab behandelte. Es wäre wohl am besten, ihm aus dem Weg zu gehen.

Nachdem ich fertig war, hatte ich den Abwasch erledigt und das übriggebliebene Risotto in eine Gefrierdose gefüllt, um es in den Kühlschrank zu stellen, wenn es abgekühlt war. Später musste ich noch eine Runde mit den Hunden der Hausherrin drehen, damit sie nicht ins Haus machten, und danach würde ich schlafen gehen. Ich hatte Walker eine Nachricht geschickt, um zu fragen, wie Allies Aufführung gelaufen war, von der sie mir am Vorabend erzählt hatte. Sie tanzte Ballett und ich hoffte, dass es ihr Spaß machte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Allie dem Ballett verfallen war, sie war immer mehr das Kind, das sich schmutzig gemacht und mit Jungs gerauft hatte. Wann war eine kleine Dame aus ihr geworden? Ich wusste es nicht, war mir aber sicher, dass ich es früher oder später herausfinden würde.

Die Küche war sauber, die Pflanzen gegossen und ich hatte die Hunde noch einmal ausgeführt. Ich war eine große, einstündige Runde mit ihnen gegangen und hoffte, dass ihnen in der Nacht keine Malheure passieren würden, die ich am Morgen beseitigen musste.

Ich hatte mich in mein Zimmer zurückgezogen und ins Bett gelegt, als auf einmal laute Musik durch das Haus schallte. »Der will mich doch verarschen«, stieß ich aus. Mr. Castle war so unglaublich rücksichtslos, dabei hatte ich gedacht, dass er nur unfreundlich war. Aber nein, ich hatte mich getäuscht und das ärgerte mich.

Seufzend ging ich ins Bad, aber musste mit einem Blick in meinen Kulturbeutel feststellen, dass ich keine Ohropax mitgebracht hatte. »Fuck«, brummte ich, danach lief ich zurück ins Schlafzimmer, griff nach meiner langen Strickjacke und zog sie über mein Nachthemd. So verließ ich mein Zimmer und machte mich auf die Suche nach Mr. Castle. Ich sah hinter jede unverschlossene Tür, bis ich jene fand, hinter der es dröhnte. Mit der Faust hämmerte ich regelrecht gegen das Türblatt, bis die Musik ausgeschaltet wurde.

»Was gibt’s, Ms. Palmer?«, fragte er und ich war überrascht, dass er so ungemein freundlich klang.

Ich holte tief Luft. »Mr. Castle, haben Sie eine Ahnung, wie spät es ist?«

Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Es ist elf Uhr.«

»Richtig und ich würde gern schlafen. Würde es Ihnen etwas ausmachen, die Musik etwas leiser zu drehen?«

»Ich werde meine Kopfhörer benutzen, dann werden Sie nicht belästigt.« Er räusperte sich. »Tut mir leid, dass ich Sie wachgehalten habe.«

»Zu Tode erschreckt trifft es eher«, erwiderte ich.

»Gute Nacht, Ms. Palmer.«

»Gute Nacht«, entgegnete ich, anschließend lief ich zurück in mein Zimmer. Ich hörte seine Tür erst, als ich es erreicht hatte. Ich legte mich wieder ins Bett und war froh, dass nun Ruhe im Haus herrschte und ich schlafen konnte.

Ich starrte an die Decke, bevor ich mich auf die Seite drehte und feststellen musste, dass es angefangen hatte zu schneien. Ich verzog meine Lippen zu einem Lächeln, zog die Decke etwas höher und sah mir das Schauspiel der Natur, das alles in eine wunderbare Stille hüllte, an.

Als ich am Morgen aufwachte, war es draußen noch dunkel, aber durch den Schnee wirkte es ungewöhnlich hell. Ich schwang die Beine aus dem Bett, anschließend ging ich ans Fenster und warf einen Blick in den Garten. Es sah wundervoll aus. Die Schneedecke ließ alles so harmonisch wirken, was mich zum Lächeln brachte.

Schließlich wandte ich mich von dem Anblick ab und lief ins Bad.

Nach einer belebenden Dusche hatte ich meine Haare geföhnt und zu einem Zopf geflochten, außerdem hatte ich eine Strumpfhose, Jeans, Wollsocken und einen dicken Wollpullover angezogen. Ich musste mit den Hunden spazieren gehen und hoffte, dass es Winterjacken oder so was für sie im Haus gab. Ich hatte einen Wollmantel mit hierher gebracht, von dem ich hoffte, dass er warm genug war. Ich machte mich auf den Weg nach unten, um die Hunde »einzusammeln«, damit ich mit ihnen rausgehen konnte. Und während des Spaziergangs würde ich meine Grandma anrufen können, um zu hören, wie es ihr ging. Vielleicht würde ich auch mit meiner Mutter telefonieren, aber sie würde mir sicher wieder Vorwürfe machen, weil Allie bei Walker lebte. So war es jedes Mal. Aus diesem Grund hatte ich das letzte Weihnachtsfest auch nicht mit meinen Eltern verbracht, sondern war bei Granny geblieben. Ich wollte mich nicht ständig dafür verurteilen lassen, dass meine Tochter nicht unter meiner Obhut aufwuchs. Ständig warf Mom mir vor, dass ich damals unachtsam gewesen sei, das war ich auch, aber das wusste ich selbst. Ich war neunzehn, als sie zur Welt kam, als ich einundzwanzig war, trennte sich Walker von mir und vier Monate später geschah dieser dumme Unfall, bei dem Allie vom Bett gefallen war und sich den Arm gebrochen hatte. Im Krankenhaus wurde mir vorgeworfen, sie zu schlagen, was ich niemals getan hatte, und dann wurde auch noch die Gerichtsmedizin eingeschaltet, die die Röntgenaufnahmen bewerten sollte, um festzustellen, dass ich sie wirklich nicht schlug. Dennoch hatte man mir das Sorgerecht entzogen und es Walker übertragen. Weil ich dann Unterhalt bezahlen musste, kündigte ich meine Wohnung, zog zu Granny und brachte – neben zwei Jobs – mein Studium zu Ende, damit Walker mir nicht seinen Anwalt auf den Hals hetzte. Er bestimmte über die Besuchszeiten und oftmals sagte er kurzfristig die vereinbarten Treffen ab, bei denen ich Allie sehen sollte. Dieser Mann wusste genau, was er tun musste, um mir wehzutun – und das tat er ständig.

Mein Leben war eine einzige Katastrophe und ich hoffte wirklich, dass ich bald eine Festanstellung finden würde, damit ich genug verdiente, um nicht länger bei Grandma leben zu müssen. Ich liebte sie, aber sie wollte, dass ich auf eigenen Beinen stand, was den Druck auf mich erhöhte. Ich hoffte nur, dass sie mich nicht einfach vor die Tür setzen würde, denn dann würde ich auf der Straße sitzen. Die Housesittingjobs gaben mir wenigstens ein bisschen Unabhängigkeit, die zwar befristet, aber besser als nichts war.

»Guten Morgen, Ms. Palmer«, sagte Mr. Castle, als er mir auf der Treppe entgegenkam.

»Guten Morgen«, entgegnete ich lächelnd und lief an ihm vorbei. »Oh«, stieß ich aus, blieb auf der vorletzten Stufe stehen und drehte mich um. »Mr. Castle?«

Er wendete sich ebenfalls um und sah mich fragend an. »Ja?«

»Können Sie mir sagen, ob Ihre Mutter irgendwo Wintermäntel für die Hunde hat?«

Mr. Castle hob eine Augenbraue. »Keine Ahnung, sehen Sie mal im Wandschrank nach. Vielleicht sind sie dort, ansonsten weiß ich es nicht.«

»Okay.«

»Wenn Sie nichts finden, sagen Sie mir Bescheid, dann bestelle ich welche«, sagte er.

»Danke«, nickte ich, danach begab ich mich zu dem Wandschrank neben der Haustür. Ich öffnete die Tür und fühlte mich beobachtet, weshalb ich zur Treppe schaute. Mr. Castle stand immer noch dort und betrachtete mich. Plötzlich schüttelte er den Kopf, drehte sich weg und joggte die übrigen Stufen nach oben. Schließlich verschwand er aus meinem Sichtfeld.

Nachdem ich die Hundemäntel nach kurzer Suche gefunden hatte, pfiff ich die Terrier heran. Nacheinander zog ich ihnen die Mäntel an, befestigte die Leinen an ihren Geschirren und griff zu meinem Wollmantel. Ich hängte die Hundeleinen an die Klinke der Wandschranktür, zog Mütze, Schal, Handschuhe und Mantel an, danach verließ ich mit den Yorkshires das Haus. Der Neuschnee knisterte und knarzte unter meinen Boots, was mich an diesem Morgen abermals lächeln ließ. Gut gelaunt machte ich mich mit den dreien auf den Weg zum Tor, um das Grundstück zu verlassen. Ich wollte nicht, dass sie Mr. Castle in den Garten machten.

Als ich die Straße erreicht hatte, griff ich in meine Manteltasche. »Scheiße«, stieß ich leise aus. Ich hatte mein Handy vergessen, also würde ich weder Granny noch Mom oder Walker anrufen können. Walker würde mich sowieso auf die Abendstunden vertrösten, vielleicht auch aufs Wochenende, weil er arbeiten musste. Ich langweilte mich, das konnte ich nicht abstreiten. Auf Castle Manor hatte ich nicht viel zu tun, außer die Post reinzubringen, die Pflanzen zu gießen und präsent zu sein, um Einbrecher abzuschrecken. Ich sollte mir später meinen Laptop nehmen und ein wenig arbeiten, um nicht aus der Übung zu geraten. Vielleicht konnte ich meine Grafiken auf Facebook oder Instagram stellen, um gesehen zu werden. So würde ich auch mein Portfolio ein wenig aufstocken können, auf das ich verweisen konnte, wenn ich Bewerbungen schrieb, denn meist ließen sich nur wenige Grafikdesigns in deren Eingabemasken hochladen. Und so hätte ich sie gebündelt an einem Ort, denn meinen OneDrive wollte ich nicht für Fremde öffnen.

Ja, das war ein Plan und das Vorhaben würde mich sicher eine ganze Weile beschäftigen, denn ich hatte zwei externe Festplatten zu durchforsten, auf denen meine grafischen Werke gespeichert waren.

Mit einem Kaffee setzte ich mich an den Esstisch. Die Hunde hatten Futter, der kranke Yorkshire hatte auch seine Entwässerungstablette von mir eingeflößt bekommen und nun hatte ich ein wenig Zeit für mich.

---ENDE DER LESEPROBE---