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Eigentlich verlief das erste Collegejahr für Nadine ganz nach ihren Vorstellungen. Trotz anfänglicher Startschwierigkeiten hatte sie am Ende einen guten Notenschnitt geschafft, nicht zuletzt dank ihrer Fährigkeit, sich bei den Profs einzuschmeicheln. Und nun stand endlich die Belohnung für die harte Arbeit an: Summerbreak! Das bedeutete: Feiern und nicht an morgen denken und alles, was Vorlesungen und Klausuren ihr während des Semesters beigebracht hatten, aus dem Kopf verbannen. Doch in der zweiten Ferienhälfte läuft plötzlich alles aus dem Ruder und Nadine beginnt zu ahnen, dass ihr Leben nie wieder so sein wird, wie es einmal war.
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Seitenzahl: 260
Veröffentlichungsjahr: 2021
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Epilog
New York mitten in den Sommermonaten war etwas Besonderes. Die Natur erstrahlte in ihrer ganzen Pracht, die Vögel zwitscherten im Central Park und selbst die meist hektische Bevölkerung schien sich gelassener, fast fröhlicher durch die Straßen zu zwängen.
Das konnte zusätzlich an den sehr heißen Temperaturen liegen, mit denen wohl jeder zu kämpfen hatte, aber alles war besser als Regen und Kälte.
Für Nadine Mackintosh war es das erste Jahr auf dem College, vielleicht aber gleichzeitig das letzte. »Wenn ich gewusst hätte, wie stressig dieser ganze Kram ist, wäre ich lieber auf eine Weltreise gegangen.«
Aber zum Glück hatte dieser Schulzirkus ja auch seine guten Seiten: Summer Break ‒ Semesterferien! Was gab es Schöneres? Nun vielleicht noch die restlichen Feiertage, jedoch halfen die nicht, das College und die Profs aus dem Kopf zu verdrängen. Nadines Motto lautete: Feiern, Feiern und Spaß haben!
Genauso hatte sie den ersten Teil ihrer Ferien verbracht, in der Hoffnung, dass es so weiterging. Noch ahnte sie nicht, dass diese Vergnügungen ein schlimmes Ende finden würden …
Diese Sorgen kannte Larry Anderson nicht. Statt sich um solche banalen Dinge Gedanken zu machen, packte er seine neue Minikamera aus, die er bei einer Firma für Sicherheitssysteme erstanden hatte. »Jetzt muss ich nur noch ein Plätzchen finden, an dem sie unsichtbar ihre Arbeit verrichten kann«, grinste er bei dem Gedanken an seine künftigen Filmaufnahmen.
Da er sein geheimes Unterfangen nicht in dem Apartment seiner Eltern ausführen konnte, nutzte er ein leerstehendes und etwas abseits gelegenes Haus am Ende einer kleinen Seitenstraße. Zum Glück befand sich das Objekt bereits seit Jahren in dem Immobilienfundus seines Vaters, der es kaum aktiv in seinem Immobiliengeschäft offerierte. So lag es in Larrys Verantwortung die für seine Zwecke notwendigen Räume entsprechend den verschiedenen Anlässen oder besser gesagt Szenen auszustatten.
... Wenige Stunden später saß Larry ungeduldig in seinem Studio-Zimmer und wartete auf die Tochter des Collegedirektors, die sein neues Equipment ohne ihr Wissen testen durfte. »Man kann nie wissen, wofür man die Aufnahmen später noch verwenden kann, und sie sieht immer so sexy aus, dass sie mich zu diesem Akt förmlich zwingt.«
Es klingelte. Gazellenartig sprang er auf und aktivierte das Kamerasystem. »Komme sofort!«, rief er durch das elternfreie Apartment, um seine Verabredung nicht unnötig warten zu lassen.
Am Morgen des zweiten Augusts machte sich Nadine Mackintosh auf den Weg zum Central Park. Dort wollte sie einen kleinen Spaziergang unternehmen, um die gestrige Nacht zu verdauen. Eine wilde Geburtstagsparty, die erst am frühen Morgen ihr Ende gefunden hatte, lag hinter ihr. Die frische Luft sollte ihren noch vernebelten Geist befreien.
Der abgeklungene Wolkenbruch hinterließ seine Spuren. Fahrzeuge zischten über die nassen Straßen: ein typisches New Yorker Wetter. Aber das machte einen Spaziergang durch den Park erst richtig schön. Von den Blättern der Bäume perlten die letzten Tropfen langsam ab.
Nadine beeilte sich, aus dem trüben Asphaltgrau in das taufrische Grün zu gelangen. Sie wünschte sich einen klaren Kopf, den sie ganz bestimmt nicht auf der Straße bekam. Der Park lag direkt vor ihr, sie konnte die Vögel zwitschern hören. Obwohl sie in einer Großstadt lebte, fühlte sie sich zur Natur hingezogen.
Gegen sechs Uhr betrat sie die Grünanlagen. Nadine sog den würzigen Geruch in ihre rauchgeschwängerten Lungen. Sie war sichtlich erstaunt darüber, dass sich bereits so viele Menschen hier aufhielten, das konnte sie erst nicht glauben, immerhin war es noch sehr früh. Es handelte sich aber hauptsächlich um ältere Leute, so um die vierzig. Allmählich kam sie sich etwas komisch vor. Sie selbst war erst neunzehn Jahre alt, genauer gesagt zwanzig, wenn man die zwölf fehlenden Tage bis zu ihrem Geburtstag außer Acht ließ.
Ihr schoss unweigerlich ein Gedanke durch den Kopf: »Hoffentlich sieht mich keiner meiner Freunde, wer weiß, was die sonst noch denken würden!«
Während ihrer kleinen Tour fiel ihr auf, dass einige der Männer gar nicht so schlecht aussahen. Nur für ihren Geschmack waren diese doch zu alt.
Nadine war blond, etwa 1,60 Meter groß und schlank. Sie bevorzugte gleichaltrige oder jüngere Männer, da diese meistens besser in Form waren und so mit ihren sportlichen Ambitionen eher mithalten konnten.
Nadine überlegte, ob sie morgen nicht im Hallenbad schwimmen gehen sollte. Dieser Gedanke gefiel ihr auf Anhieb. Aber sie war ja nicht in den Park gegangen, um über morgen nachzudenken, so widmete sie sich wieder der Natur. Langsam ging es ihr immer besser, und sie fragte sich, wie spät es wohl inzwischen wäre. Als sie auf ihre Uhr schauen wollte, stellte sie mit Entsetzen fest, dass sich diese nicht an ihrem Platz, dem linken Handgelenk, befand. Hatte sie die Uhr etwa verloren oder lag sie noch bei ihrer Freundin Amanda, von deren Geburtstagsfete sie gerade kam? Amanda war achtzehn Jahre alt geworden.
Nadine und Amanda waren zwei unterschiedliche Charaktere. Während Nadine lieber Sport trieb, gluckte die zierliche, schwarzhaarige Amanda mit ihren Freundinnen zusammen und tuschelte über Männer.
Das sollte nicht heißen, dass Nadine nicht scharf auf Männer war. Doch ihr letzter Freund, Larry, war nicht gerade das Gelbe vom Ei gewesen. Er hatte sie mehrere Male sitzengelassen, um mit seinen Freunden auf Mädchenjagd zu gehen. Schlussendlich hatte Nadine ihn mit einer anderen erwischt, das bedeutete das Aus für ihre Beziehung. Nun brauchte sie erst mal etwas Abstand vom männlichen Geschlecht.
Nadine wollte unbedingt ihre Uhr wiederhaben. Wenn es sich um eine x-Beliebige gehandelt hätte, wäre sie einfach in einen Laden gegangen, um eine Neue zu kaufen. Aber diese Uhr hatte sie von ihrem leiblichen Vater bekommen. Sie war das Einzige, was sie noch von ihm besaß.
Nur was sollte sie tun? Ich bin jetzt fast zu Hause, soll ich etwa noch mal zurückgehen? Nein, schließlich kann ich Amanda auch gleich anrufen. Nur so recht konnte sie nicht glauben, dass sie ihre Uhr bei Amanda vergessen hatte. Habe ich die Uhr gestern getragen? Leider wusste sie hierauf keine Antwort. Also entschloss sie sich, erst mal zu Hause nach der Uhr zu suchen.
Das half ihr in dieser Situation nicht weiter, deshalb fragte sie einen Passanten nach der Uhrzeit. Es war bereits 9:45 Uhr, sie verlängerte ihre Schritte, sonst würde sich ihre Mutter womöglich noch Sorgen machen.
Ohne lange zu überlegen, stieg sie in ein Taxi ein und ließ sich zum Broadway 1440 fahren.
Erschöpft ging sie zur Eingangstür des Apartmenthauses.
Der Pförtner öffnete die Tür. »Einen schönen guten Morgen, Miss Mackintosh.«
Sie winkte kurz mit der Hand und betrat das Gebäude. Schnurstracks durchquerte sie die Eingangshalle in Richtung der Fahrstühle und fuhr in den zwölften Stock.
Im Tran nahm sie ihren Schlüssel aus der Jackentasche und wollte ihn in das Schlüsselloch stecken, ohne zu merken, dass die Tür offen war.
Ihr Stiefvater, Anthony Mackintosh, stand in der Tür, um die Zeitung hereinzuholen. Er verharrte auf der Stelle, wo er sich im Augenblick befand, um sie zu beobachten. Zuerst dachte er: »Sieht mich Nadine nicht oder will sie mich nicht sehen?« Den zweiten Gedanken wollte er nicht wahrhaben, da er stets bemüht war, ein gutes Verhältnis zu seiner Stieftochter aufzubauen. Darum entschloss er sich, die Stille zu durchbrechen. »Guten Morgen, Nadine. Wie geht es dir?«
Als sie die Stimme ihres Stiefvaters hörte, schaute sie schnell zu ihm auf und antwortete: »Oh! Morgen. Mir geht es gut, und selbst?«
Daraufhin schien sich die Miene ihres Stiefvaters etwas zu erhellen, was so viel zu sagen hatte, wie »Nett, dass du mit mir redest!«. Nun konnte er auch sein Gewissen beruhigen, da Nadine immer noch mit ihm sprach. Letzte Woche hatte er einen heftigen Streit mit ihr gehabt, es ging mal wieder um ihr fehlendes Verantwortungsgefühl und die wilden Partys, die sie dem College vorzog. Höflich erwiderte er: »Danke, ausgezeichnet, aber möchtest du nicht lieber hereinkommen?« Anthony trat einen Schritt zur Seite, damit sie eintreten konnte.
Das war Nadine nur recht, draußen gab es auch nichts Besonderes. In dem Moment, als sie über die Türschwelle schritt, fühlte sie bereits die Wärme, die von der Wohnung ausgestrahlt wurde. Sie schmiegte sich förmlich an ihren von der Kälte angegriffenen Körper.
Aber es lag auch noch ein Duft in der Luft.
Sie musste gar nicht lange überlegen. Es roch nach Essen, genauer gesagt nach Frühstück. Getrieben von ihrem Bärenhunger, ließ sie ihren Vater einfach an der Tür zurück und lief in die Küche.
Dort stand ihre Mutter, Clara Mackintosh, und bereitete gerade das Frühstück.
Nadine grüßte sie mit einem »Morgen, Mom.«
Ihre Mutter schaute sie mit großen Augen an. Sie hatte sich Sorgen um Nadine gemacht, und nun schneite diese ganz gelassen hier herein. »Morgen, Nadine. Ich … beziehungsweise dein Dad und ich haben uns Sorgen um dich gemacht. Natürlich wissen wir, dass du inzwischen erwachsen bist, aber du hättest doch wenigstens anrufen und uns Bescheid sagen können, dass es später wird.« Daraufhin senkte Nadine den Kopf und ließ ihren Blick auf dem Boden umherschweifen. Erst als sie die richtigen Wörter beisammenhatte, konnte sie ihrer Mutter wieder in die Augen schauen. »Meinst du nicht eher, du hast dir Sorgen gemacht? Anthony bin ich doch egal. Er ist nicht mein Vater, und immerhin bin ich alt genug, um auf mich selbst aufzupassen. Denn was würdest du machen, wenn ich nicht mehr hier wäre, sondern bei einem Freund oder einer Freundin wohnen würde? Würdest du dann immer noch verlangen, dass ich euch über jeden meiner Schritte informiere?«
Diesen Konter musste Clara erst mal verarbeiten, damit hatte sie nicht gerechnet. Doch was sollte sie erwarten, ihre Tochter war erwachsen. Aber Clara vermochte es nicht, sie so schnell loszulassen. Nach dem Tod ihres Mannes hatte sie sich an Nadine geklammert, die ihr Ein und Alles war, bis Anthony in ihr Leben trat. Sie bemühte sich, ganz ruhig zu antworten. »Anthony liebt dich genauso wie ich. Du solltest ihm wenigstens eine Chance geben, immerhin finanziert er alle deine Wünsche und Bedürfnisse. Schließlich willst du doch ein großes Mädchen sein. Also verhalte dich dementsprechend, und vielleicht fällt es mir dann auch leichter, das zu akzeptieren.« Weiter konnte sie nicht sprechen, da ihr bereits die ersten Tränen über die rechte Wange liefen. Um ihren Schmerz vor Nadine zu verbergen, drehte sie sich schnell in die andere Richtung und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht.
Nachdem sich Clara beruhigt hatte, wandte sie sich wieder ihrer Tochter zu. »Wenn du wie eine Erwachsene behandelt werden willst, werde ich dir den Gefallen tun. Nur denk daran, dass du dann auch auf eigenen Füßen stehen musst. Was so viel heißt wie, wohnen darfst du hier weiterhin kostenlos, aber deine persönlichen Wünsche musst du selbst bezahlen. Okay?«
Nadine schaute ihre Mutter kurz an. »Okay, ich bin einverstanden, und du bist nicht mehr böse, weil ich nicht angerufen habe?«
Clara fing an, zaghaft zu lächeln.
Nadine war nun sichtlich verwirrt.
Clara merkte, dass diese Reaktion ihre Tochter etwas aus der Bahn geworfen hatte. »War ich dir gegenüber jemals böse? Soweit ich mich erinnern kann, ist das noch nie geschehen, und in diesem Fall wird es nicht anders sein.«
»Da wir das geklärt hätten, werde ich nun etwas essen und danach ins Bett gehen, um mich zu erholen.«
Das letzte Wort kam gerade über Nadines Lippen, da saß sie schon am Esstisch und fiel über das Rührei her.
Nachdem sie einen Teller voll verdrückt hatte, stand sie auf und machte sich auf den Weg in ihr Zimmer, welches sich ein Stockwerk höher befand. Es lag nur die Treppe zwischen ihr und ihrem lang ersehnten Bett. Zum Glück waren es nur zwölf Stufen.
Durch den Drang, endlich ins Bett zu fallen, flog sie fast die Treppe hinauf. Von unten sah es so aus, als wäre sie betrunken gewesen, was man an ihrem Zickzack-Kurs gut erkennen konnte.
Ihr Zimmer lag am Ende des Flures. Es war zwar nicht sehr groß, so um die sechzehn Quadratmeter, schätzte sie, dafür war es sehr gemütlich eingerichtet und besaß einen begehbaren Kleiderschrank, wo sie ihre vielen Schuhe und Klamotten unterbringen, konnte. Nadine marschierte geradewegs auf ihr Bett zu – ein Futonbett aus Kiefernholz mit einem rot-schwarzen Bettbezug, auf dem sich zwei Plüschtiere tummelten. Das eine war ein brauner Bär, den sie von ihren Eltern zum zehnten Geburtstag bekommen hatte, und das andere war ein schwarz-weißer Dalmatiner, den ein früherer Freund für sie auf einem Jahrmarkt gewonnen hatte. Neben dem Kleiderschrank gab es einen Wohnzimmerschrank, ein Zweisitzer-Sofa, einen Fernseher, eine Stereoanlage mit vier Boxen und einen Couchtisch, den man aber nur schwer als solchen bezeichnen konnte, da auf diesem alles Mögliche herumlag, z. B. Collegebücher, Zeitschriften und andere Dinge.
Nadine zog noch schnell ihre Schuhe aus und ließ sich ins Bett fallen. Nach fünf Minuten war sie eingeschlafen.
In der ganzen Aufregung hatte sie vollkommen vergessen, nach ihrer Uhr zu suchen.
Schweißgebadet wachte sie auf. Ihr erster Blick galt ihrem linken Handgelenk. Doch ihre Uhr war nicht da.
Es traf sie wie ein Blitz! »Die Uhr habe ich verloren, und wenn ich mich recht erinnere, wollte ich Amanda anrufen und fragen, ob sie dort liegt.«
Sie griff nach ihrem Telefon auf dem Nachttisch. Über die Kurzwahltaste hatte sie schnell Amandas Nummer eingegeben.
Als sie Amandas Stimme am anderen Ende der Leitung vernahm, sagte sie: »Hi, Amanda. Kann es sein, dass ich meine Uhr bei dir vergessen habe? Es wäre echt nett, wenn du mal nachschauen würdest.«
Daraufhin antwortete Amanda: »Okay, ich gucke mal nach, kann aber ein paar Minuten dauern. Soll ich dich gleich zurückrufen?«
»Das wäre großartig, wenn du das für mich machen könntest, danke.«
Die beiden verabschiedeten sich mit einem »Bis gleich« und legten auf.
Ohne weitere Umschweife fing Nadine an, ihr Zimmer nach der Uhr abzusuchen. »Wo fange ich nur an? Sollte ich vielleicht zuerst den Wohnzimmerschrank durchsuchen oder lieber den Kleiderschrank? Ich glaube, der Wohnzimmerschrank könnte eher der Ort sein, wo ich meine Uhr lassen würde. Also Schrank, pass auf, denn jetzt komme ich!«, murmelte sie laut vor sich hin.
So machte sich Nadine daran, den Schrank zu durchforsten. Sie fing oben bei den Schubladen an, doch alles, was sie fand, waren ein paar Kopfhörer für den Discman und MP3-Player, zwei Päckchen Batterien und zu guter Letzt den Kasten für die Uhr. »Ja!«, freute sie sich, »endlich habe ich die Uhr wieder.«
Mit Entsetzen stellte sie fest, dass die Schatulle leer war. »Zu früh gefreut! Aber ich werde die Suche nicht aufgeben, auch wenn es das Letzte ist, was ich tue«, dachte sie. Doch die restlichen Schrankfächer gaben auch nicht mehr preis als der leere Kasten. »Nein, nicht der Kleiderschrank! Den habe ich gerade letzte Woche mal richtig aufgeräumt.« Aber was sein muss, muss halt sein!
Ehrfürchtig öffnete sie die Spiegeltüren ihres Kleiderschranks, um sich über den Inhalt herzumachen. Leider hatte sie die Rechnung ohne ihre Schuhkollektion gemacht, die sie in eine Art Trance versinken ließ.
Das Klingeln des Telefons riss sie aus ihrem Dämmerzustand. Sollte das die Rettung für den Schrank sein?
Schnell eilte sie zum Apparat und nahm den Hörer ab. »Hi!«, sagte Nadine.
Am anderen Ende der Leitung war eine vertraute Stimme zu hören, die ebenfalls »Hi« in den Hörer hauchte ‒ Amanda.
»Nadine, ich habe überall nachgesehen, aber deine Uhr ist nicht bei mir. Also rief ich alle an, die bei der Party waren. Da sind einige noch richtig blau, hängen über Schüssel oder haben einen kompletten Filmriss. Trotzdem konnte ich von zwei Leuten die gleiche Info abgreifen, nur wie sage ich es dir … « Amanda zögerte, den Satz zu beenden.
»Jetzt sag schon, wo ist die Uhr?«, drängte Nadine.
»Die Uhr ist bei …, bei … « Weiter kam sie auch diesmal nicht.
Nadine wurde innerlich ganz kribbelig. »Kann es denn so schwer sein, mir den Namen zu sagen?«
Allmählich schien sich Amanda wieder beruhigt zu haben und wagte einen neuen Anlauf. »Die Uhr ist bei Larry!«
Insgeheim wünschte sie sich, dass Amanda es lieber für sich behalten hätte. Sie konnte Larry auf den Tod nicht ausstehen. »Warum muss es ausgerechnet Larry sein, Amanda? Wie kam der an meine Uhr?«
Darauf musste Amanda eine gut formulierte Antwort finden, denn nur ein falsches Wort und Nadine würde wahrscheinlich toben. »Er hat sie auf dem Fußboden gefunden und einfach mitgenommen. Als ich ihn anrief, hat er sich dafür entschuldigt. Er meinte, du könntest die Uhr natürlich jederzeit bei ihm abholen, wenn du willst. Ich kann sie auch von Larry wiederholen, sollte dir das lieber sein? Was hältst du davon?«
»Ich gehe selbst zu Larry und hole meine Uhr ab, danke für dein Angebot. Ich marschiere mal lieber los, sonst hat er die Uhr nachher verkauft oder noch schlimmer … Na ja, dann bis später, bye.« Nadine wartete nicht einmal, bis Amanda sich verabschiedet hatte, sondern legte gleich nach Beendigung ihres Satzes den Hörer auf.
»Ich sollte gleich losgehen, bevor es zu spät dafür wird, denn ich habe keine Lust, abends wieder zurückzulaufen, und wer weiß, was dieser Kerl mit meiner Uhr anstellt?«
Sie machte sich sofort auf den Weg. Doch bevor sie das Apartment verließ, ging sie ins Wohnzimmer, wo ihre Eltern saßen und sich gerade die Nachrichten im Fernsehen ansahen. »Ich gehe noch mal weg. In zwei Stunden, also so gegen 16:00 Uhr, bin ich wieder da. Bye«, verabschiedete sich Nadine von ihren Eltern, da sie nicht wollte, dass sie sich wieder Sorgen machten.
Ihr Stiefvater nickte nur. »Ist in Ordnung, bis nachher.«
Daraufhin verließ sie das Wohnzimmer und ging den Flur entlang bis zur Tür. Für einen Moment blieb sie stehen, bevor sie nach draußen trat. Innerlich haderte sie laut mit sich: »Soll ich wirklich? Ich habe so viel wegen des Kerls durchgemacht. Vermutlich wird er mich gleich wieder vollquatschen und sich bei mir entschuldigen, dass es ihm leidtut, was damals passiert ist, aber ich muss da durch! Es ist meine Uhr, ich werde sie wiederholen, egal, wo sie sich befindet. Ich muss nicht auf das hören, was der Typ sagt!«
Sie musste sich beeilen, wenn sie pünktlich zu Hause sein wollte, denn Larry wohnte in der 5th Avenue, die nicht gerade in der Nachbarschaft lag.
Draußen war es inzwischen wärmer geworden, nach Regen sah es nicht aus, also schien es doch ein guter Tag zu werden.
Schnellen Schrittes ging sie Richtung Central Park, den sie in fünfzehn Minuten erreichte. Der Park schien um diese Uhrzeit auch wieder recht gut besucht zu sein. Es waren ihrer Meinung nach nicht viel mehr Menschen im Park als heute Morgen. Aber sie war nicht hierhergekommen, um die Leute zu zählen, nein sie wollte nur ihre Uhr wiederhaben, deshalb schritt sie noch schneller aus.
Zu sich selbst sagte sie: »Wenn ich mich beeile, bin ich früher da und kann auch früher wieder weg.« Den Park hatte sie in einer halben Stunde durchquert, nun musste sie nur noch ein Stück die 5th Avenue entlang.
Nach weiteren fünf Minuten erreichte sie das Apartmenthaus, in dem Larry mit seinen Eltern lebte. Sie fuhr mit dem Fahrstuhl in den fünften Stock und ging zur Wohnungstür. Vor dieser verharrte sie einen Augenblick, bevor sie die Klingel betätigte. Die Tür wurde geöffnet, als sie sich gerade auf den Rückweg machen wollte.
In der Tür stand Larrys Mutter, Kathryn Anderson, die Nadine etwas verwirrt ansah. Kathryn brauchte einen Moment, um die richtigen Worte zu finden, sie wusste natürlich, was zwischen Nadine und ihrem Sohn vorgefallen war. »Wie geht es dir Nadine? Ich hätte nicht gedacht, dass du uns noch mal besuchen würdest, nach dem, was passiert ist.«
Nadine schaute sie etwas verständnislos an. »Mir geht es gut. Aber das soll hier kein Höflichkeitsbesuch werden. Ich möchte nur meine Uhr von Larry wieder abholen, mehr nicht! Ist er in seinem Zimmer?«
»Ja«, erwiderte Kathryn, »du kannst zu ihm gehen, wenn du willst, oder soll ich ihn holen?«
Nadine wusste im ersten Augenblick nicht, was sie antworten sollte. Wenn sie ging, würde sie wieder an alte Zeiten erinnert. Sollte sie lieber hier auf ihn warten? Das hätte den Vorteil, dass er sie nicht so vollquatschen konnte.
Sie entschloss sich trotzdem für die erste Variante.
Natürlich wusste sie genau, wo sich das Zimmer von Larry befand. Zielstrebig steuerte sie es an und stürmte, ohne anzuklopfen, hinein.
Larry saß auf seinem Bett. Er schien hypnotisiert zu sein, denn er bewegte sich überhaupt nicht, seine Augen waren starr auf sie gerichtet.
Nadine durchbrach die Stille: »Hi, Larry. Ich bin nicht gekommen, um mich wieder mit dir zu versöhnen, ich will nur meine Uhr!«
Nun schien sich Larry zu bewegen. Langsam öffnete sich sein Mund. »Nadine, du siehst mal wieder umwerfend aus. Schade, dass wir nicht mehr zusammen sind! Es tut mir leid, was damals passiert ist. Judy war ein Ausrutscher, ich habe sie nicht geliebt. Ich wollte nur mal für eine Nacht eine Abwechslung. Ich konnte nicht wissen, dass du ausgerechnet an diesem Abend vorbeikommst, was aber nicht heißen soll, dass ich es dir nicht gesagt hätte. Ich werde dich immer lieben. Es war nur ein Fehler. Warum kannst du mir diesen nicht verzeihen?«
Nadine hatte genug von seinen Ausreden. Sie konnte nicht mehr anders, gleich würde er live einen Vulkanausbruch miterleben. »Nur ein Ausrutscher! Dann waren Sabrina und Emily nur zwei Bekannte, mit denen du aber nichts hattest! Oder waren das etwa zwei nicht nennenswerte Ausrutscher? Ich habe genug von deinen Ausreden und Entschuldigungen, du hättest dir früher überlegen müssen, mit wem du zusammen sein willst! Jetzt gib mir endlich meine Uhr, damit ich hier schnell wieder wegkomme, bevor mir von deinem Geschwafel noch schlecht wird!«, fauchte sie ihn an.
Sie hatte damit gerechnet, dass er sich wieder bei ihr einschmeicheln würde, und sie hatte es in Kauf genommen. Nur seine Hartnäckigkeit schien ihr in dem Moment entfallen zu sein.
So schnell wollte er Nadine nicht ziehen lassen und startete einen neuen Versuch. Diesmal setzte er seinen treuen Hundeblick auf, der jedes Mädchen schwach gemacht hätte. »Ich habe mich wie ein Idiot benommen. Aber erst jetzt weiß ich, was es heißt, ohne dich zu leben. Ich vermisse dich so sehr, ohne dich ist mein Leben langweilig und öde geworden. Bitte gib mir noch eine letzte Chance! Ich flehe dich an! Jeder Mensch kann sich ändern, sogar ich.«
Nadine probierte es, gelassen zu bleiben, um ihre nächsten Worte mit der richtigen Betonung auf ihn wirken zu lassen. »Du hast recht, Menschen können sich ändern, doch um sich zu ändern, muss man vorher ein Mensch gewesen sein, und das warst du mit Sicherheit nicht. Deine zweite Chance kannst du vergessen. Wir beide wissen, dass du dein Versprechen sowieso nicht halten kannst, dafür fehlt es dir an Durchhaltevermögen! Und jetzt gib mir endlich die Uhr!«
»Du willst also deine Uhr wiederhaben? Dann hol sie dir doch!« Mit diesen Worten warf Larry die Uhr auf sein Bett.
Nadine zögerte zuerst, weil sie nicht wusste, was Larry damit beabsichtigte. Ihr kamen in diesem Moment gleich zwei Gedanken. Der eine war, dass er sie ärgern wollte, und der andere, dass er sie in die Enge treiben wollte, um sie vielleicht sexuell zu nötigen. Nur war Nadine auch nicht ganz ohne, immerhin hatte sie den braunen Gürtel in Taekwondo, und wenn Larry ihr dumm kommen würde, sollte er am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlte, auf einer Intensivstation zu erwachen.
Mit diesen Informationen im Hinterkopf steuerte sie auf sein Bett zu, nahm die Uhr von dem Bettlaken und drehte sich wieder zu Larry um. Dieser stand zu ihrer Verwunderung nicht mehr an derselben Stelle wie noch vor einer halben Minute. Er hatte jetzt vor der Tür Stellung bezogen.
Natürlich musste Nadine mit einer solchen Attacke rechnen, immerhin hatte er sie nicht zum Bett verfolgt. Nur was sollte das jetzt werden, wollte er ihr etwa den Weg versperren?
Wild entschlossen ging sie auf die Tür zu, um so zu erfahren, was er vorhatte. »Tja Larry, tut mir leid, aber ich muss dich wieder allein lassen!«, sagte sie mit einem gestellten Schluchzen in der Stimme. »Vielleicht solltest du dir eine aufblasbare Freundin anschaffen. Die meckert nicht, wenn du mit einer anderen rummachst. Und wenn du sie nicht mehr brauchst, kannst du ihr einfach die Luft rauslassen.«
»Nadine, du kannst nicht gehen, ohne mir einen Abschiedskuss zu geben!«
»Ich habe dir tausendmal gesagt, dass du keine Chance mehr bei mir hast!«
»Nadine«, wiederholte er mit lauterer Stimme, »du kannst nicht gehen, ohne mir einen Kuss gegeben zu haben, sonst …!«
Jetzt wollte es Nadine wissen und provozierte ihn weiter. »Was ist sonst! Willst du mich etwa am Gehen hindern?«
Sie hatte offensichtlich eine schwierige Frage gestellt, die er nicht sofort verarbeiten konnte. »Jawohl, ich werde dich daran hindern, und wenn es das Letzte ist, was ich tue!« Diese Worte drangen zwar etwas schüchtern aus seinem Mund, aber sie schien sie verstanden zu haben, jedenfalls hoffte er es.
Für den Bruchteil einer Sekunde behielt er recht, danach marschierte Nadine weiter auf ihn zu. Es war ihr egal, ob Larry den Weg freiwillig freigab oder nicht.
»Was soll ich jetzt tun?«, fragte er sich. »Soll ich sie etwa mit Gewalt dazu bringen, hierzubleiben, oder lasse ich sie einfach gehen?« Er entschied sich für das Erste, denn wenn Nadine jetzt verschwand, würde sie nie wieder zu ihm zurückkehren.
Sie stand direkt vor ihm und griff mit der linken Hand nach dem Türknauf. Ein Schlag auf den linken Unterarm ließ sie innehalten. Das war genug für Nadine. Sie verabscheute es zwar, Gewalt anzuwenden, aber in diesem speziellen Fall machte sie mal eine Ausnahme.
Larry wusste im ersten Moment gar nicht, wie ihm geschah. Das Einzige, was er mit Sicherheit sagen konnte war, dass Nadine ihn mit irgendeinem Trick aus dem Taekwondo zu Boden befördert hatte.
Nun stand sie direkt über ihm und schüttelte den Kopf. »Larry, was soll aus dir nur mal werden, wenn du nicht mal auf deinen eigenen Füßen stehen kannst? Ich weiß auch nicht!« Mit einem Lächeln auf dem Gesicht verließ sie das Zimmer und spazierte geradewegs aus der Wohnungstür nach draußen, wo sie sich erst einmal richtig über ihn amüsierte.
Aber ein Blick auf ihre Uhr brachte sie schnell in die Wirklichkeit zurück. 15:30 Uhr. Jetzt musste sie sich beeilen, um pünktlich wieder daheim zu sein.
»Alles nur wegen dieses Kerls«, dachte sie. »Hätte er mich gleich gehen lassen und nicht erst ein Spiel mit mir gespielt, wäre ich längst wieder zu Hause! So muss ich halt durch den Park sprinten!«
Im Prinzip störte sie die kleine Laufeinlage nicht, vielleicht konnte sie sogar ihren Rekord brechen. Wie ein geölter Blitz durchquerte sie den Park in zehn Minuten – eine neue persönliche Bestzeit. »Das schaffe ich in zwanzig Minuten locker bis nach Hause«, dachte sie.
Doch sie ahnte nicht, wem sie noch begegnen würde.
Auf halber Strecke kam ihr Amanda entgegen, die sofort losschrie, nachdem sie sie gesichtet hatte. »Na wie war’s bei Larry?«
Nadine antwortete nicht gleich, immerhin sollte nicht die ganze Straße davon erfahren. Erst als sich die beiden Mädchen gegenüberstanden, fing sie an, Amanda alles zu erzählen, was wenige Minuten zuvor vorgefallen war.
Diese regierte auf einige Stellen des Reports sehr wütend und kommentierte die Geschehnisse nur mit: »Wie konnte er dir nur so etwas antun!«
Mehr kam von ihrer Freundin nicht. Sie führte lieber in ihrem Innern den Kampf, den sie eigentlich mit Worten ausdrücken sollte, aber Nadine wollte ihr in dieser Hinsicht keine Vorschriften machen. Jeder Mensch musste selbst entscheiden, was richtig oder falsch für einen war.
Eines Tages würde auch Amanda diese Erfahrung machen.
Als Nadine sich von ihr verabschiedete, bemerkte sie jedoch einen merkwürdigen Gesichtsausdruck, der wahnsinnige Wut widerspiegelte. Sie stutzte kurz. »Geht es dir gut, Amanda? Soll ich dich lieber nach Hause begleiten oder möchtest du mit zu mir kommen?«
»Nein! Mir geht es gut. Ich gehe jetzt wohl lieber nach Hause. Bis dann, Nadine!«
»Na gut, wenn du meinst! Hast du eventuell Lust, morgen mit mir schwimmen zu gehen?«
Sichtlich erleichtert darüber, dass sich Nadine keine Sorgen mehr um sie machte, flötete sie: »Ich komme gerne mit! Soll ich dich heute Abend anrufen, damit wir eine Zeit ausmachen können?«
»Ja! Dann bis heute Abend am Telefon.«
Die beiden schauten sich noch einmal gegenseitig in die Augen und gingen danach ihrer Wege. Amanda marschierte sehr schnellen Schrittes Richtung Osten.
Mit schweren Schritten betrat Nadine das Apartment. Sie wusste genau, dass sie zu spät kam. Für gewöhnlich kümmerte sie das nicht sonderlich, nur dieses Mal war es anders. Ein Versprechen musste man halten, egal, worum es sich handelte.
Doch als sie das Apartment betreten, nach ihren Eltern gerufen hatte und keine Reaktion von ihnen gekommen war, nahm sie an, dass diese wohl einen Spaziergang machten. Erleichtert atmete sie auf, so musste sie sich keine Ausrede mehr ausdenken, um ihre Verspätung zu entschuldigen. Jedenfalls konnte sie ihnen wohl kaum den wahren Grund nennen, sonst würden sich ihre Eltern noch mehr Sorgen um sie machen als bisher.
»Ich glaube, ich gönne mir jetzt erst mal eine Erfrischung«, dachte sie sich. Schließlich sollte eine heiße Dusche die Durchblutung anregen, außerdem hatte sie das Gefühl, sich reinigen zu müssen.
Nach einer halben Stunde verließ sie regeneriert das Badezimmer, dicht gefolgt von dicken Dampfschwaden, die vor irgendetwas oder irgendjemandem zu fliehen schienen.
»Nadine?«, rief ihre Mutter durch das Apartment.
Verwundert sah sie in die Richtung, aus der die Stimme kam.
»Ich bin im Bad.« Ungeduldig stürmte Nadine die Treppe herunter, um ihre Mutter in Augenschein zu nehmen. »Wart ihr spazieren?«
»Ja, wir wollten uns mal die Beine vertreten! Und warst du auch pünktlich wieder hier, oder wurde es etwas später?«, neckte sie ihre Tochter.
»Ich war … äh … nicht gerade auf die Minute genau pünktlich, vielleicht kam ich so etwa fünf Minuten später«, gab Nadine etwas zögernd zu. Sie wusste genau, dass Lügen immer kurze Beine hatten, zudem wollte sie es sich nicht mit ihren Eltern verderben, da diese immer noch für sie da waren, wenn sie etwas brauchte.
Später gesellten sich die beiden zu Anthony, der es sich auf der Couch gemütlich gemacht hatte und gerade die aktuellen Börsen-Nachrichten im Fernsehen verfolgte.
Während sich Nadine mit ihren Eltern einen Film im Fernsehen anguckte, machte sich Amanda auf den Weg zu Larry. Sie wollte sich mit ihm wegen der Sache mit Nadine unterhalten.
Die Geschichte war ihr gefühlsmäßig näher gegangen, als sie sich hätte träumen lassen. Sie wollte unbedingt etwas unternehmen.
Zwar war Amanda bewusst, dass sich ihre Freundin auch sehr gut allein verteidigen konnte, aber innerlich spürte sie, dass Nadine bei dieser Sache ihre Hilfe brauchte.
»Vielleicht kann ich so meine Schuld bei ihr abbauen. Nadine hat mir oft aus der Patsche geholfen, jetzt bin ich mal dran.«
Gegen sieben Uhr abends erreichte Amanda ihr Ziel, Larrys Zuhause. Mit dem Fahrstuhl fuhr sie in den fünften Stock. Ihr Herz pochte wie ein Lamborghini, der gerade in den siebten Gang schaltete. Langsam ging sie auf die Wohnungstür zu. »Was mache ich hier? Ist das das Richtige?« Aber ihr Gewissen ließ sie sich schnell wieder an Nadines Bericht erinnern, und Empörung kochte in ihr hoch. Ihre neu gewonnene Entschlossenheit trieb sie weiter. »Los, Higgs, das schaffst du!«
Sie klingelte.
Es dauerte einen Moment, bis sie jemanden kommen hörte.
Larry öffnete schweigend die Tür mit einem breiten Grinsen im Gesicht, während er sie von oben bis unten begutachtete.