80 Days - Die Farbe der Liebe - Vina Jackson - E-Book

80 Days - Die Farbe der Liebe E-Book

Vina Jackson

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Beschreibung

Das Finale der erfolgreichen Bestseller-Serie

Im Zentrum des abschließenden Bandes der erfolgreichen 80-Days-Serie steht Aurelia, ein Londoner Waisenkind, das an ihrem 18. Geburtstag erfährt, dass es einen unbekannten Gönner hat, der ihr ein gutes Leben ermöglicht. Doch er stellt eine pikante Bedingung ... Neben Aurelias Abenteuern erfahren die Leser im letzten Roman »Die Farbe der Liebe« wie die Geschichten von Lily und Lauralynn, aber auch Summer und Dominik enden – der furiose Abschluss der englischen Erfolgsserie.

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Seitenzahl: 444

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Die Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel »Mistress of Night and Dawn, an Eight Days Novel« bei Orion Books Ltd, London.

1. Auflage

Copyright © 2013 by Vina Jackson

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2013 bei carl’s books, München, in Verlagsgruppe Random House, München

Umschlaggestaltung: semper smile, München

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-11884-6www.carlsbooks

Prolog DAS KIND AM SEE

Das Baby schlief.

Ein blasser Streifen Mondlicht lugte in das Zimmer des Motels, und vom nahe gelegenen See drang das leise Plätschern des Wassers durch die Nacht. Reglos lagen sie auf dem schmalen Bett. Der Ingenieur und die Ball-Maîtresse schwiegen und lauschten gedankenversunken den regelmäßigen Atemzügen ihres Kindes, dem einzigen Geräusch, das vor dem Hintergrund der zirpenden Zikaden der Stille einen Rhythmus gab.

»Ich wusste gar nicht, dass Zikaden auch nachts zirpen«, meinte sie.

»Vielleicht liegt es an der Lampe am Steg«, sagte der Mann. »Oder an der Hitze.«

»Ja, es ist wirklich heiß …« Unwillkürlich strich sie mit ihren verschwitzten Händen über das Laken, das ihre Körper bedeckte, als könnte sie durch das Glätten des Stoffs die drückende Hitze mildern. »Möglicherweise sind es aber auch Grillen oder Heuschrecken«, überlegte sie.

»Nein, eindeutig Zikaden«, stellte der Mann fest. »Ich kenne ihren Klang.«

Die junge Frau antwortete nicht. Sie drehte sich zu ihm und legte die Hand sacht auf seine behaarte Brust.

Überwältigt von Dankbarkeit seufzte der Ingenieur auf. Sie lagen nebeneinander, Seite an Seite, mit offenen Augen, und der Babykorb stand auf dem Boden neben ihr, in ihrer Obhut und unmittelbaren Reichweite.

Er drehte sich zu ihr um. Zu seiner Frau.

Wenn auch erst seit zwei Wochen.

Ihre blonde Mähne, die über das Kissen flutete, schimmerte golden und gab ihr etwas Königliches.

In Gedanken durchlebte er noch einmal die kurze Trauungszeremonie im Rathaus des malerischen Dorfes, in dem sie nach ihrer Flucht vom Ball untergetaucht waren. In diesem Ort hatte auch ihr Kind das Licht der Welt erblickt; die kleine Gemeinde in einem abgelegenen, von Seen durchzogenen Tal, in das sie der Zufall geführt hatte, war nun ihr schützender Hafen vor dem Sturm.

Sie hatten hitzig diskutiert, ob es sich wirklich als Versteck eigne, dieses hübsche, aber eben auch bei Touristen beliebte Örtchen mit Landhäusern wie aus dem Bilderbuch, mit Andenkenläden und Ferienhäusern rings um das Ufer des halbwegs abgeschiedenen Sees. Doch dann war es ihnen richtig erschienen, sich ganz offen unter die ständig an- und abreisenden Besucher zu mischen. Der Frühling hatte sich dem Ende zugeneigt, im Frühsommer sollte das Baby geboren werden. Bevor sie mit dem Greyhound-Bus in dem Dorf angekommen waren, hatten sie im Vorbeifahren ein kleines Krankenhaus am Ortsrand gesehen. Und ihnen war klar gewesen, dass sie nicht ewig auf der Flucht sein konnten. Dieser Ort sei genauso gut oder schlecht wie jeder andere, hatten sie gemeint.

Die Trauung war recht nüchtern über die Bühne gegangen. Der Standesbeamte hatte einen schwarzen Anzug mit schwarzer Krawatte getragen, und Trauzeuginnen waren die Hebamme, die die Geburt des Babys betreut hatte, und die Wirtin der Pension, in der sie anfangs untergeschlüpft waren. Sonst kannten sie niemanden hier. Nach zehn Minuten war alles vorüber gewesen, und lediglich die roten Rosensträuße, die der Ingenieur in letzter Minute hatte auftreiben können, hatten dem Ganzen etwas Farbe und Glanz verliehen. Das Baby in seinem Korb war still geblieben, als sie sich ewige Treue geschworen und die Worte des Gelübdes nachgesprochen hatten, die sie so rasch zu Mann und Frau machten.

Der Ingenieur streckte den Arm aus und fuhr seiner Frau mit den Fingern durch das lange Haar. Es war, als striche er über Seide, ein Gefühl, das er erregend und beruhigend zugleich empfand. Er holte tief Luft, weil er sich voll und ganz in diesen Augenblick versenken wollte, der, wenn es nach ihm ginge, niemals enden sollte.

Wenn sie einen Jungen bekommen hätten, wäre es vielleicht möglich gewesen, eine Weile an ein und demselben Ort zu verweilen und nach der kopflosen Flucht sich sogar irgendwo richtig niederzulassen. Doch so war ihnen diese Möglichkeit verwehrt. Der Ball würde es niemals zulassen, dass die Tochter einer Ball-Maîtresse sich ihrem Schicksal entzog.

»Kannst du nicht schlafen?«, fragte ihn seine Frau.

»Nein.«

Sie rutschte näher an ihn heran, überwand mühelos die Kuhle in der Mitte des Betts, die hunderte Paare vor ihnen in der Matratze hinterlassen hatten, und schmiegte sich an ihn. Er schlief nackt, sie trug wie üblich ein dünnes Baumwollnachthemd, das sich bis zur Taille hochgeschoben hatte.

Sofort sprang der Funke zwischen ihnen über. So wie es immer geschah, seit sie sich zum ersten Mal berührt hatten – damals, in jener Sommernacht vor gut einem Jahr, als sie beide auf dem Ball gearbeitet hatten.

Ihre Lippen berührten sich.

Wie an jenem schicksalhaften Abend. Auf der Wiese wurden gerade Feuerwerkskörper in den Himmel geschossen, die mit ihren farbenprächtigen Funken, ihrem Glitzern und ihrem Feuer die Landschaft mit Magie erfüllten und den Beginn des Bacchanals ankündigten.

Ihre Herzen schlugen im Takt.

Damals wie heute.

Der Ingenieur nahm seine Frau in die Arme und verdrängte die Erinnerung an das Getöse jenes letzten Balls, an dem sie teilgenommen hatten. Lieber dachte er an ihre beglückende erste Umarmung, die ihm endlos vorgekommen war und alles um sie herum in weite Ferne gerückt hatte. Plötzlich hatten sie sich in einem hauchfeinen Kokon aus Stille und Liebe befunden, hatten gebannt den Atem, die weiche Haut des anderen gespürt und das Verlangen in seinen Augen gesehen.

Und beide hatten sie in diesem Augenblick gewusst, dass dies die Begegnung war, auf die sie ihr Leben lang gewartet hatten.

Sie hatte seinen Namen so leise ausgesprochen, als dürfte ihn niemand außer ihr hören. Und der Ingenieur hatte ihren geflüstert und dabei jede einzelne Silbe gedehnt und den Klang liebkost.

Sie hatten einander umklammert, als bedeutete es ihr Leben, und auf der Suche nach Worten, den richtigen, den falschen, nach etwas, an dem sie sich festhalten konnten, hatten sie sich angesehen.

»Das dürfen wir nicht«, hatte sie gesagt, ihn aber dennoch weiterhin fest an sich gedrückt. »Wir beide.« Sie hatte gebebt. »Du weißt doch, was im Morgengrauen passieren wird.«

»Natürlich«, hatte der Ingenieur entgegnet. Schließlich hatte er das Podest für die Zeremonie konstruiert. Wie hätte er da so tun können, als wüsste er von nichts?

Sie würde zum ersten Mal gezeichnet werden.

Und künftig das unauslöschliche Mal einer Ball-Maîtresse tragen.

Deshalb waren sie geflohen.

Obwohl sie genau wussten, dass man sie verfolgen würde.

Bis ans Ende der Welt.

»Halt mich fest.« Ihre Stimme rief ihn in die Gegenwart zurück. In das stickige Motelzimmer, in die bleierne Hitze, die nicht einmal das weit geöffnete Fenster vertreiben konnte. Seine Finger ruhten auf ihrem Haar, dann glitten sie langsam zu ihren nackten Schultern. Ihre Haut war feucht.

Die Frau strich mit ihrer schmalen Hand über seinen bloßen Rücken und fuhr ihm sanft mit den Nägeln über die Haut. Dabei zog sie ihn näher an sich. Sein Herz schlug schneller. Seit der Geburt des Kindes hatten sie sich nicht mehr geliebt, ohne allerdings je darüber gesprochen zu haben. Irgendwann würde der richtige Zeitpunkt schon kommen.

In der Früh hatte sie die Tür zum Badezimmer halb offen gelassen, und er hatte sie beim Duschen beobachtet. Ihr alabasterweißer Körper hatte, als die Wassertropfen von ihm abperlten, geglitzert wie ein Diamant, und er hatte ein Ziehen in der Brust gespürt. Eine wohltuende, vertraute Begierde nach seiner Frau überwältigte ihn, die, wie er wusste, nie vergehen würde.

Mit einem gedämpften Laut meldete sich das Baby. Entweder hatte es aufgestoßen oder sich verschluckt.

Die beiden fuhren auseinander.

»Wird sie wach?«

Seine Frau spähte über den Bettrand nach unten.

»Nein, dazu ist es wohl noch zu früh.«

Doch als wollte die Tochter ihre Mutter Lügen strafen, schlug sie in diesem Moment die Augen auf, die in ihrem pausbäckigen Gesichtchen dunkelbraun schimmerten.

Die Eltern lächelten.

Das Baby sah still zu ihnen hoch, neugierig und zugleich voller Weisheit und Erfahrung, wie ein kleiner Buddha. Als wüsste es bereits alles, was es zu wissen gab.

»Hast du Hunger?«, fragte die Mutter.

»Das hat sie doch immer«, meinte der Ingenieur.

Seine Frau hob die Kleine hoch, dann streifte sie den Träger ihres Nachthemds nach unten und entblößte eine pralle Brust mit einem zartrosa Nippel. Ebenso ernst wie zuvor umschloss das Baby ihn rasch mit den Lippen und begann zu saugen.

Mit einem eigentümlichen Anflug von Eifersucht sah der Mann ihnen zu.

»Wir haben immer noch keinen Namen für sie«, sagte er.

Bisher hatten sie ihre Tochter zärtlich »Knuddel« genannt, sich jedoch noch nicht auf einen Vornamen für sie einigen können. Sobald sie glaubten, sich einen passenden ausgesucht zu haben, erschien er ihnen am nächsten Tag langweilig oder zu alltäglich, oder er gefiel ihnen schlichtweg nicht mehr.

»Na, wir werden schon noch einen für sie finden«, entgegnete der Mann, ohne seine Frau und das Neugeborene aus den Augen zu lassen.

Satt und in frischen Windeln schlief die Kleine rasch wieder ein.

»Ein paar Stunden haben wir jetzt Ruhe«, meinte seine Frau.

Das erste Morgenlicht fiel durch das offene Fenster und tauchte den Raum in seinen Schimmer. Die Temperatur stieg bereits, und das eintönige Gezirpe der Zikaden wurde deutlich lauter.

Das Baby in seinem Korb schien von all dem unberührt, friedlich und ohne zu schwitzen schlummerte es. Die dünnen dunklen Haarsträhnen auf dem Köpfchen waren ein bisschen verstrubbelt, sein Atem ging beruhigend regelmäßig.

»Ich brauche frische Luft«, meinte die Frau und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Draußen ist es auch nicht kühler«, wandte er ein.

»Aber vielleicht am See.« Sehnsüchtig blickte sie zu der glatten Wasserfläche hinter den Bäumen an der Grenze des Motel-Grundstücks. Auf dem Parkplatz vor den Häuschen stand nicht ein Auto, sie waren die einzigen Gäste an diesem Tag.

Er sah hinunter auf das Babykörbchen auf dem Boden zwischen dem zerwühlten Bett und der Wand. »Und was ist mit der Kleinen?«

»Ich habe sie doch gerade erst gestillt«, antwortete seine Frau. »Sie schläft jetzt durch bis zum Mittag oder zumindest bis elf. Sie ist versorgt. Und in spätestens einer Stunde sind wir wieder zurück. Komm, wenigstens kurz!«

»Gut«, willigte er widerstrebend ein.

Als wollten sie sich das Einverständnis des Babys sichern, ehe sie es allein ließen, beugten sie sich über den Korb und küssten es auf die Stirn. Erst dann gingen sie hinaus und liefen die hundert Meter zum See.

»Wir bleiben ja in der Nähe, wir hören sie, wenn sie schreit. Sie hat kräftige Lungen, unsere Kleine«, sagte die Frau. Hand in Hand gingen die beiden barfuß über die Wiese und unter den hohen Eichen hindurch, bis sie den Uferstreifen des kleinen Sees erreichten. Ein schmaler, wackliger Steg ragte ein Stück über die spiegelglatte Fläche, und wundersamerweise stieg von dem seichten Wasser eine sanfte Brise auf, die ihnen über die Haut strich und die Hitze des neuen Tages etwas erträglicher machte.

Die rauen Planken waren warm unter ihren nackten Füßen. Sie gingen fast bis zum Ende des Stegs. Dort wandte sich die Frau zu ihrem Mann und lächelte ihn auf jene besondere Weise an, die sein Herz jedes Mal zum Schmelzen brachte. Fast wie in Zeitlupe schob sie sich die Träger des Nachthemds von den Schultern und ließ das zarte Wäschestück zu Boden gleiten. Nun war sie nackt. Morgendliche Sonnenstrahlen fielen auf ihre langen blonden Locken, sodass sie wie von zartem Dunst umhüllt goldenen schimmerten.

Das beharrliche Zirpen der Zikaden war hier, ein Stück von der Wiese und den Bäumen entfernt, kaum noch zu hören. Plötzlich fanden sich die beiden von einer fast schon unheimlichen Stille umgeben.

Gebannt von der Schönheit seiner Frau, die mit leicht gespreizten Beinen erwartungsvoll vor ihm stand, hielt der Ingenieur die Luft an. Er saugte jede Einzelheit ihres unverhüllten Körpers in sich auf: das unbeschreibliche Rosa ihrer Nippel, die sich unter der weißen Haut abzeichnenden Rippen, das honigblonde Feuer ihres Schamhaars, die elegante Kurve ihrer Hüften, ihre ausnehmend schmalen Fesseln und das Goldkettchen, ohne das er sie nicht kannte. Dann sah er auf, und als sich ihre Blicke trafen, tauchte seine Seele in die grünen Tiefen ihres Wesens.

Als sie bemerkte, wie bewundernd er sie musterte, kräuselte sie die Lippen. Ihr Lächeln hatte etwas Rätselhaftes. Seine Mona Lisa vom See.

»Komm her«, forderte er sie auf.

Mit einem Schritt auf den Holzplanken trat sie zu ihm.

Als er sie küsste, gab er sich ganz ihren weichen Lippen hin, und ihre nackte Haut schmiegte sich an seine. Der Augenblick schien kein Ende zu nehmen. Die Zeit stand still.

Schließlich löste sie sich aus seiner Umarmung. Er hatte die Augen geschlossen. Sie trat einen Schritt zurück, kniete sich hin und zog ihm den weißen Slip herunter, den er vor ihrem Aufbruch noch rasch übergestreift hatte. Dann nahm sie seinen weichen Schwanz in die Hand und umfing ihn mit ihren Lippen. Der Mann erschauderte.

Die Sonne hob sich über den hitzeflirrenden Horizont hinter ihm und brannte mit jeder Minute stärker auf sie herab. Ihre kräftigen Strahlen trafen auf seinen nackten Rücken, und kurz überlegte er benommen, was wohl heißer sei, das stetig brennende Feuer auf seinen Schultern oder die Glut ihrer Lippen, die sein Glied neckten und mit ihm spielten, wie nur seine Frau es verstand.

Der Ingenieur rang nach Luft. »Nicht hier. Und nicht so«, keuchte er. »Ich möchte in dir sein.« Wenn sie sich zum ersten Mal seit der Geburt des Kindes liebten, wollte er es mit jeder Faser auskosten. Es sollte ein unvergessliches Erlebnis werden.

Als die Frau ihn freigab, kniete er sich neben sie. Die rauen Planken riefen ihn schmerzhaft in die Wirklichkeit zurück. Rasch hangelte er nach ihrem abgelegten Nachthemd, breitete es auf dem Steg aus, half ihr zärtlich, sich darauf auszustrecken, und spreizte ihre Beine.

Mit weit ausgestreckten Armen hieß sie ihn willkommen und sehnte sich danach, ihn gleich in sich zu spüren.

Er fühlte mit dem Finger, ob sie feucht war, dann schob er sich zwischen ihre Schenkel und machte sich bereit, in sie einzudringen.

Durch die Baumkronen hinter ihnen fuhr unvermittelt eine Bö, mit einem Mal hörte der Ingenieur Äste knarzen und Blätter rauschen. Als er sich aus einer Ahnung heraus umdrehte, meinte er, einen huschenden Schatten zwischen zwei Bäumen zu sehen, der aber wie ein Geist sofort verschwand. Ihm wurde schwer ums Herz.

»Was ist?«, fragte sie.

»Ich weiß nicht«, sagte er. »Einen Augenblick habe ich geglaubt, da steht jemand zwischen den Eichen und beobachtet uns.«

»Siehst du schon wieder Gespenster?«, fragte sie. »Außerdem, was macht es schon? Vergiss nicht, wir sind jetzt verheiratet. Und es wäre auch nicht das erste Mal, dass man uns nackt sieht, oder?«

Er spähte noch eine Weile auf die schmale Lücke zwischen den Bäumen, dann wandte er sich wieder ihr zu. »Es war wohl nichts. Kein Grund zur Sorge.«

Er hatte ihr nicht erzählt, dass ihm am Tag zuvor im Dorf, als er Milch und andere Lebensmittel besorgte, ein Paar aufgefallen war, das nicht wie normale Touristen aussah. Aus den Augenwinkeln hatte er beobachtet, dass ihn die Frau eine Spur zu aufmerksam musterte; doch in seiner Zeit beim Ball war er weder ihr noch ihrem Begleiter jemals begegnet. Die Befürchtung, die beiden seien gedungene Helfer, die sie aufspüren sollten, hatte er rasch wieder verworfen, doch offenbar war der Kern des Gedankens tief in ihm verankert, denn jetzt meldete er sich erneut.

»Ich liebe dich«, sagte der Ingenieur.

»Na, was ist«, neckte sie ihn. »Traust du dich nicht?«

Sie rannte zum Ende des Stegs und sprang ins Wasser. Unendlich viele glitzernde Ringe breiteten sich aus, als sie in den glatten, stillen See eintauchte.

Ihr Lachen perlte durch die Luft.

Kurz zögerte der Ingenieur, dann sprang er ihr hinterher. Eine neue Galaxie konzentrischer Kreise entstand auf der bereits gekräuselten Oberfläche.

Das kühle Wasser war erfrischend, sie planschten herum wie Kinder und genossen das kalte Nass auf ihrer erhitzten Haut.

»Fang mich«, rief seine Frau plötzlich und kraulte auf den See hinaus.

Der Mann, der noch nie ein guter Schwimmer war, machte sich langsam an ihre Verfolgung. Es ging ihm nicht darum, sie einzuholen, was ihm ohnehin nicht gelingen würde, sondern er wollte einfach nur bei ihr sein und weiter mit ihr herumtollen. Er hatte die Hälfte der Strecke zu ihr zurückgelegt, als er für eine Verschnaufpause innehielt. Sie wartete auf ihn, noch etliche Meter entfernt, und winkte und kicherte wie ein Teenager. Wieder überwältigten ihn seine zärtlichen Gefühle, und die Liebe, die ihn durchströmte, war so mächtig, dass es ihn Mühe kostete, ruhig zu atmen. Als sie ihn näher kommen sah, schoss sie hoch und tauchte in die Tiefe, um sich spaßeshalber vor ihm zu verstecken und ihr Spiel noch ein bisschen in die Länge zu ziehen.

Als er die Stelle erreichte, wo sie abgetaucht war, konnte er sie nicht mehr entdecken. Hier war das Wasser nicht mehr seicht wie am Ufer, sondern ziemlich tief. Er wartete kurz, doch nun packte ihn die nackte Angst. Verzweifelt ließ er sich unter die Oberfläche sinken. Es dauerte schmerzlich lange, bis seine Augen sich an das trübe Licht unter Wasser gewöhnt hatten, und er musste sich zwingen, nicht dem natürlichen Impuls zu folgen und sie zu schließen.

Während er sich panisch in alle Richtungen drehte, um seine Frau zu finden, hielt er die Luft an, ohne auszuatmen. Nach einem Augenblick hatte er das Gefühl, seine Lungen würden platzen. Unkontrolliert schlug er um sich, das Wasser erdrückte ihn wie eine sich zuziehende Fessel.

Gerade als er wieder an die Oberfläche stoßen wollte, um Luft zu holen für einen neuen Versuch, entdeckte er nur wenige Armlängen von sich entfernt die verschwommenen Umrisse einer Gestalt. Sie. Seine Frau.

Ein Bild in Bruchteilen einer Sekunde. Aus weit aufgerissenen Augen sah sie ihn flehendlich an. Ihr goldblondes Haar schwebte wild über ihrem Kopf, ihre Arme schlugen rhythmisch auf und ab. Er wusste, dass sie ihn sah, und versuchte, zu ihr zu kommen. Doch der Druck in seiner Brust wurde unerträglich, als würde es ihn gleich zerreißen. Er sah nach unten. Ihr Fuß hatte sich in den am Seeboden wuchernden Schlingpflanzen verfangen. Verzweifelt versuchte sie, sich zu befreien. Aber ihre Kräfte schwanden, und mit jedem Ruck schienen die Pflanzen sich enger um ihren Knöchel zu schließen.

Er war nur noch halb bei Bewusstsein, als er sie erreichte, und ihm fehlte die Kraft, sie aus der Gewalt der Pflanzen zu befreien.

Er sah sie ein letztes Mal an und wusste, dass sie verstand.

Und als er sich in sein Schicksal ergab, dachte er zuerst: Welche Erleichterung, dass hierfür nicht der Ball verantwortlich ist! Und sein letzter Gedanke galt seiner Tochter, die nur einen Steinwurf entfernt friedlich in ihrem Körbchen schlief.

Das Wasser lastete so schwer auf ihm, dass es ihn alle Mühe kostete, die Hand zu heben, um seiner Frau mit einer letzten zärtlichen Geste die Wange zu streicheln. Es sollte ihm nicht gelingen. Seine Finger streiften gerade noch ihre linke Brustwarze, dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Am Ostufer des Sees schob sich eine Wolke vor die Sonne.

Das Kind in der Hütte wurde wach und schrie.

1 GEISTERJAGD

Sie standen mitten im Trubel, von allen Seiten strömten Geräusche, Gerüche und Lichter auf sie ein. Sie hatten das unbestimmte Gefühl, als läge etwas in der Luft, als wäre dieser Abend nur der Auftakt zu einem großen, wundervollen Abenteuer.

Siv wandte sich zu Aurelia um.

»Ist das nicht irre?«, fragte sie ihre Freundin.

»Ja, und wie«, erwiderte Aurelia. Mit großen Augen betrachtete sie die schillernden Attraktionen. Doch irgendetwas war schräg an diesem Abend, als hätte die Atmosphäre rundum eine tückische Wirkung auf sie.

Auf der Rasenfläche des Parks war eine Vielzahl von Zelten aufgeschlagen, eines farbenprächtiger und reicher geschmückt als das andere. Bei näherem Hinsehen erkannte Aurelia, dass die Wände der Fahrgeschäfte nur aus Stahlstangen und Planen bestanden, und all das Rot, Gelb und Blau, das wie bunte Flammen von ihren Dächern in den Himmel züngelte, lediglich Fähnchen waren. Von Weitem aber schien es, als wären auf Hampstead Heath über Nacht Pilze in allen Farben des Regenbogens aus dem Boden geschossen. Es sah so unwirklich aus, dass sie einen Moment dachte, alles könne sich schlagartig vor ihren Augen in nichts auflösen. Die kandierten Äpfel aus der Bude am Eingang waren so groß wie kleinere Kürbisse, und als sie von Sivs Zuckerwatte naschen wollte, war die so leicht und fluffig, dass sie ihr der Wind fast vom Mund wegriss. Unbeaufsichtigte Kinder, deren Gesichter im Schein der vielen bunten Lichterketten aufleuchteten, tobten wie Kobolde zwischen den Zeltstangen hin und her. Alles schien lauter als normal, sogar das Brutzeln der Bratwürste, das Brummen der Motoren und das Ploppen des Popcorns. Schon als die beiden Freundinnen die Hecke am Eingang des Rummels hinter sich gelassen hatten, hatte alles viel intensiver gewirkt, selbst die sanfte Brise, die Aurelia über die Arme strich. Sie hatte eine Gänsehaut bekommen, die ihr den ganzen Rücken hinuntergelaufen war.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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