80 Tage um die halbe Welt - Thomas Becher - E-Book

80 Tage um die halbe Welt E-Book

Thomas Becher

4,4

Beschreibung

Nach seiner Kündigung erfüllt sich Thomas Becher einen lange gehegten Traum: Einmal mit dem Motorrad über Land nach SO-Asien. Das östliche Anatolien, mit der Eskorte durch den Iran und Pakistan, erst eine Panne, dann ein Unfall in Indien und schließlich die Ankunft in Indochina. Als er nach 80 Tagen und 19.000 km um die halbe Welt wieder zu Hause ankommt, ist vieles anders.

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Für meine Töchter Irina und Corinna

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Wie es dazu kam

Vorbereitung

Das Bike

Die Ausrüstung

Die Route

Die Abfahrt

Anreise über Italien

Griechenland

Türkei

Iran

Pakistan

Indien

Nepal

Thailand

Laos

Kambodscha

Thailand

Deutschland

Resümee

Epilogue

Die größte Sehenswürdig keit, die es gibt, ist die Welt - sieh sie dir an.

Kurt Tucholsky

Vorwort

Seit ich denken kann, habe ich Fernweh. Das Gras war immer grüner auf der anderen Seite des Hügels und hätte ich die Zeit und das Geld, ich würde nur reisen.

Es war Ende der 70er Jahre des letzten Jahrtausends, ich war 13. Meine Mutter hatte einen EDEKA-Laden und zu ihrer Kundschaft zählte ein Herr mittleren Alters. Kein Führerschein, nur ein Mofa, eine Zündapp mit 3-Gang Handschaltung. Irgendwann fragte er mich, ob ich eine Runde drehen möchte.

Ein paar Mal starb mir der Motor beim Anfahren ab, dann raste ich dahin. Mit satten 25 km bewegte ich mich vorwärts, ohne selbst treten zu müssen! Die Haare wehten nach hinten, die Augen tränten, ein unbeschreibliches Gefühl. Der Virus ‚Motorrad‘ hatte mich gepackt. Ab diesem Moment sparte ich jeden Pfennig für ein Mofa.

Mein 16. Geburtstag kam und ich hatte kein Mofa. Der Geist strebte nach Höherem. In der damals neu kreierten Sparte der Leichtkrafträder bot Honda eine Enduro namens MTX 80 an. Ein Bike, das sich extremer Beliebtheit erfreute, vor allem, weil es ziemlich gut war. Der Führerschein dazu hieß 1b und kostete einen Tausender – Mark. Die hatte ich sogar zusammen und auch die Honda wär noch drin gewesen aber es passierte etwas anderes.

1980 brachte BMW ein komplett neues Motorrad heraus, ein Zwischending zwischen Enduro und Tourenmaschine, die R 80 G/S. Das war „mein“ Motorrad! Neupreis knapp 10.000,- Mark. Nachts um 3 hätte man mich wecken können und ich hätte alles gewusst, Bohrung/Hub-Verhältnis, Achsstand, Lenkkopfwinkel, einfach alles.

Keine Ahnung wie, aber die musste ich haben. Für 1b und andere Sperenzchen war da kein Platz mehr. Ich war Schüler und arbeitete nebenher, wie ein Bekloppter. Flugblätter verteilen und vor allem im Laden meiner Mutter. Die war so fair und bezahlte mich, wie jede andere Kraft.

Im Herbst 1983 war es soweit. Ein Werksangehöriger verkaufte mir seine blaue G/S für 7.000,- Mark und ich war BMW-Fahrer. Was habe ich dieses Motorrad geliebt.

Meine jüngere Tochter habe ich vor ein paar Jahren geschimpft, als sie mit Leggins und Jeansjacke auf ihre 125er gestiegen ist. Ich war nicht so viel besser. Cowboystiefel - auch bekannt als „Mantaletten“, Jeans und eine furchtbare grüne Jacke waren mein Dress.

Wie für vernünftige Kleidung, war auch für Werkstattaufenthalte kein Geld übrig, also musste die Wartung selbst gemacht werden.

Als ob es heute wäre, kann ich mich daran erinnern, wie ich das erste Mal die Ventile einstellen wollte, direkt vor der Haustüre. Treu-doof drehte ich die Schrauben heraus und zog den Deckel ein Stück zu mir. Öl ergoss sich auf den Asphalt. Schnell drückte ich den Deckel zurück und las nochmal im Handbuch nach: „Geeignetes Gefäß unterstellen“ – oh!

Aus Tagestouren in die Alpen wurden irgendwann Fernreisen. Mitte der 80er hatte ich über eine Fotostory in „Motorrad Abenteuer und Reisen“ die Gelegenheit, mit einem Journalisten – Christoph Altmann - das erste Mal nach Tunesien zu fahren. Später ging es dann häufiger in die Türkei, ans Nordkap und schließlich 1993 sechs Wochen in den Nahen Osten. Diese Reisen fanden tatsächlich auch schon Großteils mit dem Bike statt, mit dem ich noch heute unterwegs bin. Einer R 80 GS, die nach einiger Zeit 1000er Köpfe bekam und eine „scharfe“ Nockenwelle.

Dieses Motorrad hat mich inzwischen 180.000 km treu über Fernstraßen, Pisten, beim Austoben in Kiesgruben und Steinbrüchen, sowie zuletzt auf der Reise, von der dieses Buch handelt, 19.000 km nach SO-Asien getragen.

Der Mensch ist frei geboren und liegt doch überall in Ketten

Jean-Jacques Rousseau

Wie es dazu kam

„I had a dream“ und der wurde ausgelöst durch ein Buch: „Motorradreisen zwischen Urlaub und Expedition“ von Thomas Trossmann, erschienen im Reise Know-How Verlag, 1990. Darin befinden sich neben zahlreichen Tipps für Ausrüstung und Vorbereitung auch Reiseberichte. Einer davon beschreibt die Reise über Land von Deutschland nach Indochina. Geschrieben von Dr. Peter Falb, einem Zahnarzt in Stuttgart. Dieser Bericht hat mich nie losgelassen und seit 1990 zermartere ich mir mein Hirn, wie ich diese Reise machen kann. Dann half mir der Zufall:

Seit einigen Jahren leitete ich die Münchner Niederlassung eines Britischen Brokers. Am 29.06.2012 ging die Tür auf und herein kamen der stellvertretende Geschäftsführer und eine Mitarbeiterin aus der Personalabteilung in London. Man überreichte mir meine Kündigung – Betriebsschließung. Auf einmal hatte ich Zeit, unendlich viel Zeit.

Zu Hause nahm ich das Buch aus dem Regal. Auf Seite 195 steht dort: „Der ideale Startmonat ist der September. Warm in Europa, warm, nicht zu heiß in Anatolien und Westpersien, erträglich heiß in Südpersien und Belutschistan. Und in Südpakistan und Nordindien ist der Monsun Ende September auf dem Rückzug …“.

Ein paar Abende später fragte ich meine Frau auf der Terrasse: „Was würdest Du sagen, wenn …?“. Sie sagte: „Fahr! Diese Chance bekommst Du nie wieder.“

Dass diese Reise einen Einschnitt in meinem Leben bedeuten würde, das hatte ich gespürt. Arbeitslos, ein Viertel Jahr unterwegs, die Familie zu Hause. Da muss schon alles sehr perfekt und harmonisch sein, dass es danach genauso weiterläuft, wie vorher. Und das war es beileibe nicht.

Doch ich fuhr, wollte meinen Traum verwirklichen, mit allen Konsequenzen.

Veränderungen begünstigen nur den, der darauf vorbereitet ist.

Louis Pasteur

Vorbereitung

Viel Zeit hatte ich nicht. Abgesehen von Visa, Impfungen und der Reiseplanung war auch noch das Finanzielle zu regeln. Die Kündigung war nicht astrein und so zog ich Mitte August vor das Arbeitsgericht in München, um wenigstens eine Abfindung zu erstreiten. Ich setzte alles auf eine Karte - und gewann!

Parallel dazu war es dringend notwendig, mit dem Impfen zu beginnen, da die Zeitabstände zwischen den Spritzen unbedingt eingehalten werden müssen. „Tollwut endet immer tödlich“ meinte mein Doc. Daneben empfahl er Hepatitis A und B sowie irgendeine Mixtur aus Diphterie, Polio und Tetanus. Knapp 500 Euro war ich dafür los.

Dass ich die Visa alle bekäme, davon ging ich aus, schließlich hatte ich bisher nie ein Problem damit. Allerdings war ich noch nie im Iran und in Pakistan. Da wurde es dann in der Tat etwas spannend.

Für den Iran gibt es drei Arten von Visum: Business, Tourist und Transit. Ersteres scheidet aus, für das zweite habe ich keine Zeit, da der Prozess angeblich unglaublich langwierig ist und erst eine Registrierungsnummer in Teheran angefordert werden muss. So bleibt nur Option drei. Damit man aber ein Transitvisum erhält, ist das Visum des Ziellandes zwingende Voraussetzung - Pakistan.

Es gilt: Online ist alles verfügbar, so auch der Antrag. Im Falle Pakistans gibt es eine Aufteilung bzgl. des zuständigen Konsulats zwischen Frankfurt und Berlin, je nach Bundesland. Das entging meiner Aufmerksamkeit irgendwie und den ganzen Papierkram adressierte ich an das falsche. Dennoch hatte ich nach einem kurzen Telefonat mit einer mäßig freundlichen Mitarbeiterin tatsächlich zwei Wochen später das Visum im Briefkasten.

Damit, einer Kopie meiner frisch abgeschlossenen Unfallversicherung und einer Bestätigung meiner Krankenversicherung, dass diese auch im Iran die Kosten für eine Entfernung der Mandeln, einer Prostataoperation, o.ä. übernehmen würden, fuhr ich höchst persönlich nach München zum Iranischen Konsulat. In der Tat fordert man dort nämlich den Nachweis dieser beiden Policen.

Das Transitvisum ist nur 7 Tage gültig. Ohne nachzufragen stellte man mir eines über10 Tage aus. Vor Ort erfuhr ich, dass man das auch vollkommen problemlos verlängern lassen kann.

Die Inder als IT-Land werden ihrem Ruf gerecht und erlauben den Visumsantrag nur online. Der Prozess ist outgesourced und relativ problemlos, wenn man Internet-Zugang hat und auf die Größe des mitzuliefernden Passbildes achtet.

Ein mehrseitiger Fragebogen wird online ausgefüllt. Der Server in Delhi – oder wo auch immer dieser steht – stürzt derweil mehrmals ab. Schließlich hat man aber, inklusive der Schuhgröße sowie zahlreicher Flüche und Verwünschungen, alles eingegeben und erhält einen Ausdruck. Mit diesem geht man zu beauftragter Agentur und holt 3 Tage später das Visum ab. Alles ganz einfach also. Internet hat ja auch jeder – außer dem Typen, den ich bei der Abholung getroffen habe. Einzelschicksale!

Und dann braucht’s noch die Zollerklärung für das Krad, genannt Carnet de Passage. Diese erhält man bevorzugt von einem Automobilclub, in meinem Fall vom ADAC. Das ging dermaßen fix, dass ich direkt baff war. Nur etwas komisch geschaut hat er, der Herr Schüller, als ich da mit der Gebühr für das Carnet in bar im Foyer das ADAC in München stand.

Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt schnellere Pferde.

Henry Ford

Das Bike

Eine BMW R 80 GS, höchstpersönlich von mir selbst am 26. März 1992 auf dem Landratsamt München zugelassen. Zum Zeitpunkt der Reise war das gute Stück also bereits 20 Jahre alt und hatte 147.000 km auf der Uhr. Die alten luftgekühlten 2-Ventil Boxer waren noch immer auf allen Kontinenten unterwegs. Die legendäre Zuverlässigkeit, das schier unerschöpfliche Zubehör und vor allem die Möglichkeit, noch vieles an den Bikes selbst zu richten, waren nur einige Argumente, die für dieses Motorrad sprachen.

„Gummikuh“ so nannte sich die G/S seit jeher. Der Name stammt aus der ersten Serie mit nur einem Kardangelenk in der Hinterradschwinge. Dieses verhärtete sich beim Gas geben, sodass sich hierbei jedes Mal das Heck hob. Für die neuen Paralever-Modelle galt das zwar nicht mehr – man baute ein 2. Kardangelenk ein und der Effekt verschwand – der Name blieb jedoch.

Einiges hatte ich an dieser „Gummikuh“ geändert. Ursprünglich 800 cm3und mit rahmenfester Verkleidung kamen relativ früh 1000er Kolben und Zylinder drauf, eine „scharfe“ Nockenwelle mit 320°, ein langer 5er Gang und die Verkleidung mit den Wasserrohren außen flog runter. Stattdessen montierte ich das Windschild der ersten GS-Generation. Später spendierte ich der Kuh wegen der Reisen in die Türkei und den Nahen Osten einen Ölkühler. Nach meinen ersten Ausflügen ins Gelände dann straffere Gabelfedern von Wirth, ein hohes Schutzblech mit Lüftungsschlitzen und der Optik wegen vor einigen Jahren ein Acerbis Heck mit kurzem Kotflügelstummel und kleinem Nummernschild. Damit man mich nicht nur sah sondern auch hörte bekam die Kiste 2010 einen Zach Auspuff und kurz vor der Reise eine 320 Watt Lichtmaschine von Silent Hektik, weil mich die ewig leere Batterie nervte. Das Original ist einfach unterdimensioniert. Kramt man die alten Physik-Kenntnisse wieder hervor, kommt man schnell zu dem Ergebnis, dass bei eingeschaltetem Licht, Heizgriffen und GPS schlicht kein Ladestrom mehr vorhanden ist. Auch, wenn man stattdessen in warme Handschuhe investiert, unter 3000 U/min macht der Regler keinen Zucker.

Weder an Kardan noch Getriebe hatte ich jemals Hand anlegen müssen. Den einschlägigen Foren nach, war beides mit dieser Laufleistung Schrott. Begründet ist dies in der Verzahnung des Kardans am Hinterrad. Wegen des Ein- und Ausfederns muss sich die Welle in der Länge ändern können. Das erreicht man mit zwei Vielzahnwellen, die sich ineinander verschieben. Nirgendwo steht, dass dieses Bauteil alle 10.000 km mit einem speziellen Fett – Staburags – geschmiert werden muss. Erfolgt das nicht, dann „drückt“ die Kardanwelle beim Einfedern gegen die Getriebe-Ausgangswelle und diese wiederum gegen das vordere Lager. Dieses zerbröselt dann mit der Zeit und irgendwann sucht man bei ebay eine gebrauchte Schaltbox. Auch ich las erst kurz vor der Reise davon, hatte jedoch nie auch nur das geringste Problem.

Nachdem ich aber auch der Kupplung mit knapp 150.000 km nicht mehr ganz traute und das Getriebe nebst Kardan zum Wechsel sowieso heraus mussten, ließ ich zumindest das Getriebe von meinem Haus- und Hofmechaniker, Herbert Wimmer in Seibersdorf überholen. Anstelle der originalen Kupplung entschied ich mich für eine ölfeste von Siebenrock. Sollte mir also irgendein Dichtring unterwegs die Zusammenarbeit verweigern, konnte ich wenigstens noch fahren. Diese habe ich zwischenzeitlich übrigens wieder zurückgebaut, bzw. durch das Original von Sachs ersetzt, weil die andere schlicht Mist ist.

Mechanisch war’s das dann auch schon und ich konnte mich um kleine Details, wie mein Gepäck und die Beleuchtung, kümmern.

Seit jeher waren an meinen BMW Kofferhaltern Därr Aluboxen montiert. Was mich ebenfalls seit jeher nervte, war die Befestigung über U-Profile und irgendwelche Flügelschrauben. Gefühlt dauerte der An- und Abbau der Koffer Stunden. Touratech bietet hier eine gute, einfache und schnelle Lösung. Ich doppelte die Innenseite der 20 Jahre alten Boxen also mit einer weiteren Lage Alublech auf und schraubte die Touratech-Halter an. Außen an die Koffer kamen noch Krampen für 2,5 Liter Spritkanister, vor allem für die lange Strecke in Belutschistan. Die Funzel im Scheinwerfer tauschte ich für eventuelle Nachtfahrten gegen ein wahres Flutlicht von Osram.

Da drüben war ich verantwortlich für eine Million Dollar an Ausrüstung, und hier bekomme ich nicht mal einen Job als Parkwächter!

Rambo

Die Ausrüstung

Eines hatte ich auf meinen doch inzwischen zahlreichen Reisen gelernt: Weniger ist mehr. Das oberste Ziel bestand also darin, sich auf ein absolutes Minimum an Gepäck zu beschränken.

Die Reise sollte über ein Viertel Jahr gehen, Wäsche waschen musste ich unterwegs also sowieso. Folglich machte es keinen Sinn, mehr als zwei oder drei T-Shirts mitzunehmen. Gleiches galt für Unterhosen und Socken. Allerdings halte ich es für wichtig, wenigstens eine Garnitur „vernünftige“ Kleindung dabei zu haben. Früher oder später würde ich gezwungen sein, einem Beamten oder Angestellten gegenüber zu sitzen, das wollte ich nicht stinkend in dreckigen Motorradklamotten.

Auf Kocher und Töpfe verzichtete ich vollkommen. Ab der Türkei kostet ein Tee – falls man nicht sowieso eingeladen wird – wenige Cent, ein einheimisches Essen keine 2 Euro. Noch nie habe ich Menschen verstanden, die tonnenweise Nudeln oder Instantsuppen mit sich herumschleppen, um abends dann stundenlang zu kochen und ja keine einheimische Kost zu probieren.

Auf was ich ebenfalls verzichtete, war der absolute Standard, das Erkennungszeichen aller Camper dieser Welt, die stets am Mann (Frau) befindliche Rolle Klopapier.

a) ist das mitgenommene sowieso irgendwann aus, b) bekommt man in asiatischen Ländern nicht ohne weiteres neues und c) geht es ganz hervorragend auch ohne. Zugegeben, ich habe bereits zu Hause angefangen, zu üben. Der grandiose Nebeneffekt, man wird - ohne lange zu überlegen - ausschließlich mit der rechten Hand essen. Die linke ist in diesen Ländern genau aus diesem Grund die unreine.

Lange gezögert hatte ich bei Zelt und Schlafsack, mich aber dann doch dafür entschieden. Auf der Anreise durch Europa spart man bei der Übernachtung doch ein paar Euro und später als Backup sollte es sicher nicht schaden. Ich wollte ein günstiges und extrem kleines Zelt, dessen Inneres auch ohne Heringe steht. Das Saleva Micra II erfüllt genau diese Anforderungen. Neben einem Daunenschlafsack packte ich einen sehr dünnen aus Ägyptischer Baumwolle ein, für warme Nächte und dreckige Hotelbetten.

Überschlägig sind es nach SO-Asien 15 bis 20 tausend Kilometer. Montiert waren auf der BMW vorne und hinten Stollenreifen, Continental TKC 80. Beide waren noch in Ordnung. Der vordere hielt bei mir ewig, richtiger Luftdruck vorausgesetzt, für den hinteren musste ich aber leider Ersatz mitnehmen. Überlegt hatte ich alternativ die Versendung in irgendeines der Länder unterwegs, doch wohin genau und was sagt der dortige Zoll?

Zusätzlich belastet sich der Reisende heute mit den Errungenschaften des digitalen Zeitalters, so auch ich. Meine Kamera ist eine Nikon D90, die auch Videos aufnehmen kann. Daneben eine kleine Digitalkamera für die Jackentasche. An das Motorrad, den Helm oder die Nasenspitze angeflanscht, eine GoPro. Gesichert wird das ganze Material auf einem kleinen, betagten 10“ Netbook, auf dem sich auch die Navigationssoftware Mapsource von Garmin befindet.

Das entsprechende GPS befindet sich am Lenker in einer passenden Halterung mit Vibrationsdämpfern und hört auf den Namen GPSmap 60CSx. Vor einem halben Jahrhundert gebraucht gekauft und nach meinem Geschmack noch immer eines der besten GPS-Geräte, die es gibt.

Ein Handgerät, das sowohl über Bordnetz als auch Batterie betrieben werden kann, absolut Wasserdicht und sehr robust. Das passende Kartenmaterial kann man von Garmin käuflich erwerben, das kostet, und zwar einiges, oder man nutzt die kostenfreien Karten aus dem OpenStreetMap-Projekt. Erstellt werden diese Karten durch die Aufzeichnung von Tracks einzelner Reisenden. Diese laden gefahrene Strecken ins Netz und mit der Zeit erhält man so die Aufzeichnung des gesamten Straßennetzes eines Landes. Systembedingt ist diese in „höher entwickelten“ Ländern besser, als in anderen, in denen GPS-Geräte z.B. verboten sind. Andererseits findet man hier Pisten besser, als in proprietärer Software, da diese fast nur noch mit GPS befahren werden.

Dennoch, ohne analoges Kartenmaterial geht es nicht. Meine Wahl seit Erscheinen sind die Karten aus dem World Mapping Project des Reise Know-How Verlages. Mit Sicherheit findet man für jedes einzelne Land bessere doch insgesamt sind diese gerade für Motorradfahrer ideal. Sie sind nämlich mit einem GPS-geeigneten Gitternetz versehen, wasserfest und unzerreißbar. Jeder, der in einem Wolkenbruch schon einmal seine Karte wenden musste, weiß, wovon ich spreche.

Doch was hilft einem das beste Kartenmaterial und die digitalen Helferlein, wenn man nicht weiß, wohin?

Reiseführer können hier zur Problemlösung beitragen. In Griechenland und der Türkei war ich schon sehr häufig, für den Iran hatte ich nur extrem kurz Zeit, also lieh ich mir hier nicht ganz aktuelle aus der Stadtbücherei aus und kopierte die wichtigsten Seiten. Ich schäme mich hierfür, irgendwann muss man als Motorradfahrer aber einfach anfangen, an das Gewicht zu denken.

Gekauft hatte ich in Deutschland einen Führer über Pakistan, „Pakistan and the Karakorum Highway“ von Lonely Planet und „Indien“, ebenfalls von Lonely Planet. Einen wesentlichen Teil der Routenplanung führte ich mit diesen beiden in langen Abenden zu Hause durch.

Allein Indiens Straßennetz umfasst 3,3 Millionen km, wovon die Hälfte asphaltiert ist (was ich bezweifle). Der Reiseführer umfasst 1350 Seiten und ist exakt 53 mm hoch. Wo bitteschön fährt man also konkret hin?

Natürlich kannte ich Isfahan im Iran und das Taj Mahal in Indien, doch dann wurde es schon dünn, ohne Literatur daher keine Chance.

Aus den Reiseführern und dem Internet suchte ich mir die Sehenswürdigkeiten heraus, las die Beschreibungen, markierte die Orte in der Karte und schätzte die Zeit, um von A nach B zu kommen. Daraus wuchs langsam eine Route. Diese wiederum übertrug ich ganz konkret auf Straßen in die Kartensoftware und lud sie Land für Land auf mein GPS-Gerät.

Man mag dies als pingelig bezeichnen, doch weder hatte ich so viel Zeit, mich einfach „treiben“ zu lassen, noch Lust, die Abende unterwegs damit zu verbringen. Und in Stein gemeißelt war sowieso nichts – spätestens in Pakistan wurde mir das mehr, als deutlich.

Man reist ja nicht um anzukommen, sondern um zu reisen.

Johann Wolfgang von Goethe

Die Route

Irgendwann stand die Route fest. Damals war ich noch verheiratet und meine inzwischen geschiedene Frau, fuhr ebenfalls eine BMW R100GS.

Zwei Töchter haben wir, Corinna und Irina, zum Zeitpunkt der Reise 15 und 17 Jahre alt. Die beiden Mädels waren schon so selbständig, dass wir Sie ein paar Tage alleine lassen konnten oder bei den Großeltern „unterstellen“.

Geplant war, dass meine Frau und ich Ende August zusammen ganz gemütlich über Österreich und den Balkan nach Albanien fahren. Dort sollten sich unsere Wege trennen, sie mit der Fähre von Igoumenitsa in Griechenland wieder nach Hause und ich weiter Richtung Osten in die Türkei. Nach Anatolien ins Kurdengebiet, quer durch den Iran, an der Afghanischen Grenze entlang im Norden Pakistans nach Quetta, hinab zum Indus und wieder gen Norden. Aufgrund der Sicherheitslage in Belutschistan war die kürzeste Strecke von Quetta nach Osten, quer durch das Gebirge, für westliche Touristen gesperrt. Nach Möglichkeit wollte ich hinauf in den Karakorum. Ein Erdrutsch, der einen natürlichen Stausee gebildet hatte, erschwerte jedoch die Weiterfahrt an den Khunjerab Pass, der Grenze nach China.

Bei Lahore sollte es über die Grenze nach Indien hinein gehen, quer durch, über Agra und Varanasi nach Kalkutta. Der Landweg nach Thailand durch Myanmar war nicht möglich und gewöhnlich wurde das Bike per Luftfracht aus Indien oder häufiger Nepal nach SO-Asien transportiert, Zielflughafen: Bangkok.

Von hier in einem großen Bogen hinauf nach Laos, anschließend den Mekong hinunter nach Kambodscha und von dort zurück in Thailands Hauptstadt. Eventuell noch Malaysia, doch das war unwichtig. Diese Ecke der Welt kannte ich schon ganz gut, doch es gab einzelne Punkte, die wollte ich unbedingt mit der BMW ansteuern.

Ich erinnere mich noch an einen Urlaub in Laos im Winter 2007/2008. Auf einer kleinen Sightseeing-Tour durch Vang Vieng kamen wir an einem Guesthouse vorbei. Davor stand eine blaue R 80 G/S mit Dachauer Kennzeichen. Ich platze fast vor Neid und insgeheim schwor ich mir damals: „Hier stehst Du auch einmal mit Deiner Kiste“. Jetzt sollte es wahr werden.

Die genaue Dauer der Reise war ungewiss. Es gab so etwas, wie einen Fixpunkt, das war der 25. November 2012. Schließlich war ich arbeitslos und an diesem Tag fand das Assessment-Center für Tourguides bei Edelweiß Bike Travel statt, zu dem ich eingeladen war. Im Nachhinein vollkommener Unsinn, daran teilzunehmen. Der Tagessatz, der dort gezahlt wird, ist einfach lächerlich und deutlich unter deutschem Mindestlohn.

Unter „wordpress“ richtete ich einen Blog ein, den ich als tägliches online-Tagebuch nutzen wollte, neben dem kleinen A6 Taschenbuch, das ich immer mitführte. Ich verfasste eine E-Mail, in der ich Gott und die Welt davon unterrichtete, was ich plante.

Dann kam alles ganz anders.

Bedauern bringt im Leben nichts. Es gehört zur Vergangenheit. Alles, was wir haben, ist das Jetzt.

Marlon Brando

Die Abfahrt

Am 19. August morgens um 4 Uhr wecken mich Rufe. Ich gehe ins Erdgeschoss und sehe meine Frau auf dem Boden liegen, das linke Bein seltsam abgeknickt. Vermutlich gestolpert hatte sie sich tatsächlich den Unterschenkel gebrochen. Unfassbar! Ich rufe den Notarzt, der bringt sie ins Krankenhaus und schnell wird klar, mit einem Start die nächsten Tage wird das nichts.

Zwei Wochen liegt sie im Krankenhaus. Meine Gefühle schwanken zwischen Mitleid und Zorn. Der Unfall wäre vermeidbar gewesen, Details spare ich mir hier. Alles ist vorbereitet, das Bike ist startklar, ich habe alle Impfungen, alle Visa und das Carnet. Annähernd 1500 Euro in Impfstoffe, Behördenkram, Wartung und Ausrüstung gesteckt. Eine Abfindung vor dem Arbeitsgericht erstritten, die für ein halbes Jahr reicht. Dann muss ich wieder anfangen zu Arbeiten. Es gibt nur diesen einen Termin für mich - und meine Frau bricht sich das Bein.

Die täglichen Besuche im Krankenhaus verlaufen frostig. Eine Ehe, die den Namen verdient, führten wir schon lange nicht mehr und das erste Mal in meinem Leben traf ich eine Entscheidung, die rücksichtslos war, egoistisch und die eine Veränderung in meinem Leben herbeiführen sollte - Ich entschloss mich, zu fahren und meine Frau mit ihrem gebrochenen Bein zu Hause zurückzulassen. Ich buchte eine Deckspassage von Venedig nach Igoumenitsa in Griechenland.

Unser Auto hatte ein Automatik-Getriebe, Man konnte auch mit linkem Fuß in Gips damit fahren. Unsere Mädels waren alt genug, die mussten beim Einkaufen helfen. Sollte sonst etwas sein, gab es noch die Nachbarn, zu denen wir ein gutes Verhältnis hatten. Kurz vor der Abfahrt besorgte ich einen Rollstuhl, mit dem sie sich im Erdgeschoss bewegen konnte, kaufte einen Hocker für die Dusche und einen Bürostuhl mit Rollen, wenn sie am Computer arbeiten wollte.

Dann kam der 4. September 2012. Die große Tochter war den Rest der Ferien bei den Großeltern. Es war kurz vor 8 in der Früh, als ich das Bike aus der Garage schob und die Koffer montierte. Gefühlt wogen sie Tonnen. Um es genau zu sagen, jeweils 12 Kilo. Alle Sachen für die Fähre waren in dem Packsack, den brauchte ich mir nur zu schnappen und konnte auf Deck. Den Ersatzreifen sicherte ich mit einem Kettenschloss, das später in erster Linie mein Hinterrad vor Demontage bewahren sollte. Meine Frau lag auf dem Sofa im Wohnzimmer und sah zu mir auf, als ich in Enduroklamotten, mit Helm in der Hand vor ihr stand. „Du fährst also jetzt wirklich?“ waren ihre Worte und sie tat mir so unendlich leid in diesem Moment. Ich hätte sie drücken und umarmen können. Wer weiß, wenn ich den Blog nicht angelegt hätte, die Mail an die Freunde nicht geschrieben, vielleicht wäre ich in diesem Moment zu Hause geblieben. Doch so ging ich zu meinem Motorrad.

Sie folgte mir mit den Krücken. Meine jüngere Tochter, Corinna kam, drückte mich und überreichte mir mit einem trockenen Kommentar eine Tafel Ritter Sport Alpenmilch. „Hier, etwas Nervennahrung, Du wirst sie brauchen.“ Wie Recht sie hatte.

Schweren Herzens bockte ich die BMW ab, klappte den Seitenständer heraus, schwang mein Bein zwischen dem ganzen Gepäck über die Sitzbank und drehte mich nochmal zu den beiden um. Dann drückte ich auf den Anlasser.

Die Reise hatte begonnen.

Nur wer sich auf den Weg macht, wird neues Land entdecken

Hugo von Hofmannsthal

Anreise über Italien

Es ist komisch. Nicht im Sinne von lustig sondern im Sinne von anders. Wie oft bin ich schon losgefahren? Gemeinsam mit Freunden, mit meiner Frau, am liebsten aber – das muss ich zugeben – alleine. Ob es daran liegt, dass ich ein Einzelkind bin? Böse Zungen behaupten, ich sei nicht teamfähig. Möglich, das glaube ich selbst aber nicht. Im Gegenteil, ich behaupte, ich bin zu teamfähig, nehme zu viel Rücksicht. Das macht es für mich schwerer, oder besser: unentspannter.

Das erste Mal alleine gefahren bin ich Ostern 1993 nach Marokko. Resturlaub musste genommen werden, es ging nicht anders. Im Vorfeld überlegte ich mir: „Was machst Du denn abends alleine? Mit was beschäftigst Du Dich, wenn Du aufs Essen wartest? Mit wem teilst Du Deine Erlebnisse, Deine Eindrücke?“ Dass Reisen alleine gefährlicher ist, daran hatte ich nie gedacht, stimmt vermutlich. Es gibt Pisten, die kann oder sollte man nicht ohne wichtigen Grund alleine fahren. Doch darum geht es gar nicht.

Damals in Marokko habe ich gleich bei meiner Ankunft in Melilla Bekanntschaft mit einem anderen Motorradfahrer geknüpft, Andreas. Allein war ich so gesehen also nur auf der Anreise. Damals war diese Zweckgemeinschaft ok für mich, rückblickend bin ich viel zu viele Kompromisse eingegangen.

Meine Frau hatte ich 1993 über eine Annonce in der Zeitschrift Tourenfahrer kennengelernt. Beide suchten wir Mitfahrer für eine weite Reise in den Nahen Osten und reisten im Spätsommer ‘93 tatsächlich gemeinsam dorthin. Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet wäre ich auch damals besser alleine gestartet. Wir haben nie zusammen gepasst. Weder charakterlich und schon gar nicht fahrerisch. Nicht, dass ich ein besonders guter Fahrer wäre, im Gegenteil, ich glaube ich bin maximal ein durchschnittlicher Fahrer mit etwas Erfahrung inzwischen. Doch mir macht es nichts aus, einen kompletten Tag ohne zu Essen auf dem Bock zu sitzen oder abends, wenn es unbedingt sein muss eben nochmal 100 km in die nächste Stadt zu fahren.

Früher war es noch extremer. Da stieg ich in der Regel morgens auf das Motorrad und hielt entweder, um ein Foto zu machen, zum Tanken oder, um aufs Klo zu gehen. Bei italienischem Espresso an Autobahnraststätten werde ich inzwischen schwach. Aber wer macht das mit? Berechtigter Weise kann man sagen: „Das ist mir zu hektisch!“. Stimmt - für andere. Es ist aber mein Reisestil.

Nach Möglichkeit fahre ich jedoch nie bis spät in die Nacht. Spätestens um 6 Uhr abends werde ich unruhig, wenn ich noch keinen geeigneten Schlafplatz gefunden habe oder zumindest weiß, wo einer ist.

Für diese Reise hatte ich tatsächlich in diversen Foren nach Mitfahrern gesucht, auf die Schnelle jedoch niemanden gefunden. Bammel hatte ich vor zwei Regionen, dem Iran und dem Norden Pakistans. Beides hat sich im Nachhinein – zumindest für mich – als übertrieben herausgestellt. Doch es kann auch anders laufen, wie mir eine Bekanntschaft später in Quetta zeigen sollte.

So viele Jahre hatte ich genau diesen Moment herbei gesehnt. Die Seiten mit dem Reisebericht aus dem Trossmann-Buch sind Großteils lose, so oft hatte ich sie gelesen. Die letzten Wochen und Tage war ich voller Vorfreude. Natürlich liebte ich meine Familie, doch das Fernweh war größer.

Dann der Beinbruch kurz vor dem geplanten Start. Zehn lange Tage saß ich auf gepackten Koffern. Als es endlich losging, hatte ich ein gemischtes Gefühl aus Erwartung, Ungewissheit und so etwas, wie Behüterinstinkt. Ich merkte auf einmal, wie viel mir meine damalige Frau bedeutete. „Du fährst also jetzt wirklich.“ Der Satz mit dem Blick dazu, wie sie von ihrem Lager aufblickt, das war ein Stich ins Herz. Ein Satz, der mir jetzt, da ich losgefahren bin, erst in aller Deutlichkeit zeigte, was ich da mache. Eine Reise um die halbe Erde, quer durch Europa und Asien, durch Krisengebiete, Indien - die Hölle auf Rädern - um dann endlich in SO-Asien anzukommen. Vor dieser gewaltigen Reise habe ich auf einmal Respekt und ich verstehe, warum nicht jeder Motorradfahrer, der Zeit und Geld hat, eine solche unternimmt.