Abenteuer auf dem Darß - Erna von der Ropp - E-Book

Abenteuer auf dem Darß E-Book

Erna von der Ropp

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Beschreibung

Wir schreiben das Jahr 1948 – Zeit des Neuanfangs, Zeit des Umbruchs. Für ein paar Wochen ist eine alte Mühle auf dem Darß das Ferienziel von vier Berliner Jungs. Nicht nur am Ostseestrand in Prerow oder dem Darßwald erleben sie ihre Abenteuer; es wird gesegelt, Wilderern nachgestellt, eine Ruine erkundet, einer der vier vor dem Versinken im Moor gerettet, ein Leuchtturm bestiegen, ein Floß gebaut, ein Brand gelöscht... Das Buch ist eine spannende Zeitreise auf die Ostseehalbinsel und in die damalige DDR.

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Seitenzahl: 302

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Erna von der Ropp

Abenteuerauf dem Darß

Ein Jugendbuch

Illustriert vonJürgen Ritter

Zur zweiten Auflage von»Abenteuer auf dem Darß«:

Erna von der Ropps »Abenteuer auf dem Darß« erschien erstmals im Jahre 1958 im Hinstorff Verlag. Ist es ein Jugendbuch? Ja, in den Fünfzigern und Sechzigern war es das wahrlich! Ist es eine spannende Abenteuergeschichte? Unbedingt! Sie werden mitfiebern! Zählt es zur Darßer Regionalliteratur? Auch das! Handelt es sich um sozialistische Propaganda? Ja, eindeutig!

Es ist aus heutiger Sicht empfehlenswert für Leserinnen und Leser des Buches, sich diese Fragen vorab zu stellen. Denn dann erschließen sich die »Abenteuer« auch als beeindruckendes Zeitdokument der Landes-, Regional- und Gesellschaftsgeschichte: Wir begegnen den jungen Protagonisten in der unmittelbaren Nachkriegszeit und erfahren vom Kriegsende in »Groß-Berlin«, von der Vertreibung aus den ehemals deutschen Gebieten, von den einfachsten Verhältnissen in ländlichen Regionen sowie von den schwierigen Bedingungen beim Wiederaufbau und Neuanfang eines zerrütteten, zerstörten und nun geteilten Landes. In der Mühle auf dem Darß lernen wir diese Jugendlichen als Vertreter ihrer bevorstehenden »Neuen Zeit« in der noch jungen DDR kennen. Erna von der Ropp zeigt uns ein aufs andere Mal – offen und auch zwischen den Zeilen, mal amüsant, dann wieder bitterernst –, mit welchen Erinnerungen, Wünschen und Hoffnungen sich die Menschen damals trugen. Und natürlich dürfen Orte, Landschaften und das Meer rund um die Ostseehalbinsel nicht fehlen. Denn genau hier erleben die Jungs ihre »Abenteuer auf dem Darß«.

Henry Gidom

Historiker und Lektor

Hinstorff Verlag Rostock, im Januar 2017

Inhalt

Eine Mühle wird auf dem Darß gemietet

Ankunft in Ribnitz am Bodden

Der Einzug in der Mühle und die erste Nacht, die aber nicht ganz ruhig verläuft

Die Freunde erleben das Meer – Prerow – Und wieder geschieht etwas Unvorhergesehenes in der Nacht

Begegnung mit dem Förster – Zusammentreffen mit einem fremden Jungen in der Ruine am Meer – Rudern auf dem Bodden

Briefe an daheim – Die Freunde helfen dem kranken Moorbauern – Und wieder das Meer, die Ruine und ein Segelkutter

Segeln nach Hiddensee – Rettung Schiffbrüchiger

Mit dem Förster auf Anstand – Erstes Begegnen mit den Wilderern – Wie kommt Strupp aus der verschlossenen Mühle?

Mit dem Förster Wildfallen suchen und anderes

Der Leuchtturm auf Darßer Ort – Sturm auf dem Meer – Schiffe in Seenot

Vogelschlingen im Walde – Überfall und eine große Keilerei – Aus Feinden werden Freunde

Ein Floß wird gebaut – Gewitter über dem Moor – Roland wird fast vom Moor verschluckt

Der Maler zeigt den Jungen sein »Museum« – Ein Vortrag findet im Dorfgasthof statt – Strupp benimmt sich schlecht

Sonnenwendfeier am Meer – Ein feindlicher Überfall aus der Ruine – Vier Unbekannte – Strupp ist verschwunden

Ein Friedensbote kommt mit einer weißen Fahne – Auf dem Arm trägt er … – Die Mühle brennt

Das Diebs- und Wilderernest wird von der Polizei ausgehoben

Murks erzählt, was er erlebt hat

Götz schreibt einen Brief und erhält Antwort

Abschied

Für Götz.

Eine Mühle wird auf dem Darß gemietet

Ein Schneetreiben jagte durch die Straßen. Kaum konnte man die Hand vor den Augen sehen. Große, schwere Flocken peitschte der Wind vor sich her und wirbelte sie hoch in die Luft, um sie dann an die Fenster oder auf den Asphalt zu schleudern, auf welchem sie sich aber sofort in schmutziges Wasser verwandelten.

Auf den Bäumen und Sträuchern, die schon über und über grün waren, blieb der Schnee ein Weilchen liegen und bog ihre Zweige tief zur Erde hernieder, dann rutschte er herunter, oder der Wind fegte ihn fort.

Es war ja aber auch schon der 10. Mai. Man schrieb das Jahr 1949. Die Eisheiligen zeigten sich in diesem Jahr besonders wild und unwirtlich. An den Gartenzäunen blühten die letzten Forsythien und sahen grau und verfroren unter dem Schnee hervor. Auch die Kirschbäume standen schon in voller Blüte.

Toll war das, noch so ein Schneetreiben im Mai!

Michael Wagner knöpfte seinen Mantel bis an den Hals hinauf zu und schlug den Kragen in die Höhe. Pfui Deubel, war das ein Wetter! Er zog die Mütze bis tief in die Stirn hinein, sonst würde sie ihm der Wind fortreißen und mit den Schneeflocken durch die Straßen wirbeln. Und die Mütze hatte er erst vor vier Wochen, zu seinem dreizehnten Geburtstage, geschenkt bekommen. Michael trat an einen Zeitungsverkäufer heran, der in einem Hausflur seinen Verkaufsstand aufgeschlagen hatte. Mit dem Manne war er befreundet. So durfte er in alle Zeitungen und Broschüren Einblick nehmen, denn alles zu kaufen, was er sich wünschte, war aus geldlichen Gründen nicht möglich. Er malte zwar Kacheln für ein Geschäft und half wöchentlich einen Nachmittag mit auf einem Bau. Dadurch verdiente er sich etwas Geld. Er tat dies mit seinen beiden Freunden Götz Martens und Jürgen Werner zusammen. Auf das Geld aber verzichtete er, bis auf eine kleine Summe. Er gab es seiner Mutter für die täglichen Ausgaben. Sie ging alle Morgen schon so früh in die Fabrik. Sie musste für vier Personen sorgen, für die kleine magere Mariella, seine Schwester, die Großmutter, die nur eine kleine Witwenrente bekam, und für ihn. Der Vater war aus dem Kriege nicht zurückgekommen.

Götz Martens und Jürgen Werner waren seine besten Freunde und nur ein Jahr älter als er, Jürgen 14 und Götz sogar schon 14 ½. Götz war Klassenerster. Sie besuchten alle drei die letzte Klasse der Grundschule, Jürgen und Götz in der A und Michael in der B. Jürgen nahm es mit der Schule nicht so genau. Er musste zu Hause schon so viel mithelfen. Jürgens Vater war auch nicht aus dem Kriege zurückgekommen und hatte seine Frau mit einer ganzen Stube voller Kinder zurückgelassen. Heti, die Älteste, verdiente als Verkäuferin, Jürgen, der Zweitälteste, war sozusagen Mädchen für alles. Er musste Kohlen und Holz heranschaffen, Kinder hüten und einholen. Aber er war nicht unbegabt und lief daher nicht Gefahr, sitzenzubleiben.

Götz Martens’ Eltern besaßen ein altes, kleines Haus in einem Obstgarten, und Herr Martens hatte eine feste Anstellung in dem Büro eines volkseigenen Betriebes.

Die drei Jungen hatten sich erst auf den Gruppennachmittagen der Jungen Pioniere näher kennengelernt und sich bald fest aneinander angeschlossen. Sie gaben sich alle drei mit derselben leidenschaftlichen Hingabe den Aufgaben und Plänen der Jungen Pioniere hin. Keine Tages- oder Wochenendwanderung, keinen Gruppennachmittag ließen sie vergehen, ohne sich froh und arbeitsfreudig einzustellen. Das Touristenabzeichen hatten sie sich alle drei auch schon längst geholt. Das war ja auch nicht schwer. Sie waren stolz, Junge Pioniere zu sein, und trugen selbstbewusst das blaue Halstuch und das Abzeichen der Jungen Pioniere.

Götz Martens, der langaufgeschossene Junge mit dem schmalen Schädel und den rotblonden Haaren, die er immer mit einer heftigen Bewegung aus der Stirn warf, hatte sich vorgenommen, so bald es möglich sein würde, auch einmal Gruppenleiter zu werden. Wie wollte er sich da immer wieder Neues und Schönes für die jungen Freunde ausdenken.

Jürgen Werner war untersetzt, breit und kräftig gebaut, mit einer ungebärdigen blonden Mähne, die ihm wild um den Kopf stand.

Michael dagegen war schmächtig, bedeutend kleiner und hatte dunkle, lockige Haare, ein Erbteil seiner Mutter, die italienisches Blut in den Adern hatte, aber in Berlin aufgewachsen war. Diese drei Jungen verband mitten unter den Jungen Pionieren eine herzliche Freundschaft.

Michael trat jetzt an den Tisch heran, auf welchem die Zeitungen ausgelegt waren, und überflog die Titel. Dann nahm er sich eine und blätterte sie durch. Da blieben seine Blicke auf einer Anzeige der letzten Seite hängen.

Umgebaute Mühle, am Waldrande gelegen, unweit vom Meer, vermietet für den Sommer, auch monatsweise an 3 bis 4 Jungen, nicht unter 14 Jahren, Maler Wunderlich, Mühlenhof, Wieck auf dem Darß.

Michael las und las. Er hatte die Anzeige sicherlich schon dreimal gelesen. Seine Augen weiteten sich, und er zitterte vor Aufregung. Das war etwas Großartiges! Eine Mühle, unweit vom Meer, sollte an drei bis vier Jungen vermietet werden! Und diese drei Jungen, die wollten sie sein, Götz, Jürgen und Michael. Das war sein erster Gedanke. Das musste er sofort Götz und Jürgen zeigen! So etwas gab es nicht ein zweites Mal! Es war schon lange ihr sehnlichster Wunsch, einmal zusammen auszufliegen, und das Meer war das Ziel ihrer Sehnsucht. Das Mietgeld für die Mühle würde bestimmt nicht allzu hoch sein, sonst würde dieser Maler Wunderlich sie nicht an Jungen vermieten.

Michael zahlte und ging, nein, er rannte davon. Er stürmte durch das Schneetreiben. Zuerst lief er zu Jürgen, klingelte unten an der Haustüre und trat in den Hausflur. Oben im vierten Stock, in welchem die Familie Werner wohnte, wurde die Türe aufgerissen. Michael pfiff: »Horch was kommt von draußen rein …«

Oben antwortete Jürgen sofort mit derselben Melodie.

»Komm doch rasch mal runter. – Aber bring deinen Mantel mit, es ist ein Hundewetter! Wir müssen unbedingt gleich einmal zu Götz gehen! Ich habe etwas ganz Feines, etwas ganz Großes!«

»Ich komme gleich, Ehrensache!«, tönte es von oben. Und gleich darauf rutschte Jürgen, trotz seiner vierzehn Jahre, auf dem Geländer der vier Stockwerke herunter und kam lachend bei Michael an. »Wo brennt es denn, Kleiner?«

»Das sage ich erst bei Götz. – Komm … los! Ihr werdet Augen machen!«

»Na, so sag doch, um was es sich handelt!«

»Nö … erst bei Götz!«

»Na, denn man los … Du Geheimniskrämer, du … dalli … dalli!«

»Ich kann ja auch einmal etwas Feines ausklamüsern, wenn ich auch der Jüngste bin von uns dreien … Und diesmal ist es etwas Einmaliges. – Das muss zustande kommen … auf alle Fälle!«

»Spann einen doch nicht so auf die Folter! Wir können vielleicht jetzt schon, so auf dem Wege –, so wir zwei … ein wenig beraten … so eine kleine Vorberatung abhalten, ehe wir zu Götz kommen!«

»Nöö«, lachte Michael, »so fängst du mich nicht! Abwarten …«, und er fuchtelte mit der Zeitung in der Luft herum. »Hier drin steht es. – Ganz groß, sage ich dir!« Rasch steckte er die Zeitung wieder ein, damit sie nicht nass wurde.

Sie rannten durch die Straßen, dass das Schmutzwasser um sie hoch aufspritzte. Dazu schneite es jetzt so toll, dass sie wie zwei Schneemänner vor Götzens Haustüre ankamen. Sie klingelten dreimal. Das war ihr Zeichen.

Sofort wurde oben im ersten Stock ein Fenster geöffnet und Götzens blonder Kopf sah heraus.

»Prima, Götz, dass du zu Hause bist! Michael hat eine ganz pfundige Sache!«

Michael schmunzelte, weil Jürgen so tat, als ob er es wüsste. »Ja, Götz, ganz groß …«, rief er hinauf.

Von oben klang es lustig herunter: »Dann kommt mal rasch herauf. – Aber möglichst nicht als Schneemänner, so etwas schätzt nämlich meine Mutter nicht gerade!«

Neben Götzens Kopf erschien auf einmal eine Hundeschnauze. Die gehörte dem kleinen Terrier Strupp, mit den schwarzen und gelben Flecken im Fell, dem getreuen Begleiter von Götz. Er hatte die Stimmen der beiden Freunde seines Herrn erkannt, war auf das Fensterbrett gesprungen und bellte nun seinen Gruß herunter.

»Guten Tag, Strupp!«, rief Michael und setzte hinzu: »Du kommst natürlich auch mit. – Das wird dir gefallen!«

»Also dem Strupp wird es auch gefallen. – Na, ich bin gespannt wie eine Trommel!«

Nun stürmten die Jungen die Treppe hinauf. Aber ehe sie die Wohnung betraten, zogen sie ihre Mäntel aus und schüttelten sie so, dass da mitten im Haus ein tolles Schneegestöber entstand.

Götz klappte schnell noch einmal die Türe zu und rief: »Wenn ihr da draußen fertig seid, dann klopft!«

Und schon donnerte es an die Türe.

Strahlend traten sie ein. Bald darauf saßen sie alle drei in Götzens kleinem, behaglichem Zimmer, mit den blau gestrichenen Möbeln, an seinem Arbeitstisch vor dem Fenster. Das Zimmer war nur so groß, dass außer seinem Schreibtisch und dem Bett gerade noch drei Stühle und neben dem Ofen noch ein Bücherregal Platz hatten. Aber es war eben ein eigenes Zimmer!

Jürgen, der sonst immer das Wort führte, schwieg erwartungsvoll und sah auf Michael, der bedächtig seine Zeitung hervorholte.

»Na, was gibt es denn da drin so Wichtiges?«, fragte Götz und wollte ihm über die Schulter in die Zeitung hineinschauen.

»Nein … ich lese vor!«

Und nun las er die Anzeige laut und vernehmlich vor:

Umgebaute Mühle, am Waldrande gelegen, unweit vom Meer, vermietet für den Sommer, auch monatsweise an 3 bis 4 Jungen, nicht unter 14 Jahren, Maler Wunderlich, Mühlenhof, Wieck auf dem Darß.

Dann schwieg er und sah erwartungsvoll auf.

Die beiden Freunde waren stumm. Dann nahm Götz Michael die Zeitung aus der Hand und las die Anzeige noch einmal laut vor.

»Das ist ja einfach … Da finde ich überhaupt keine Worte!«

»Nu … ganz große Klasse!«, brachte Jürgen endlich hervor. »Da hast du aber tatsächlich etwas ganz Feines ausklamüsert!«

»Da müssen wir hin. – Die müssen wir mieten. – Aber auch sofort! Dass uns da nur nicht noch irgendwer zuvorkommt!« Götz war ganz aufgeregt. »Mönsch, Michael, das ist was für uns! Und Strupp kommt natürlich auch mit! Ich werde gleich einmal meine Mutter holen. Die hat Verständnis für so etwas, und sie kennt ja auch den Darß. Vielleicht kennt meine Mutter sogar die Mühle. Das Geld treiben wir dafür schon auf. Ich habe da eine feine Idee. Da braucht ihr euch keine Sorgen zu machen.« Und raus war er und kam sogleich mit seiner Mutter wieder zurück.

Und zum dritten Male wurde die Anzeige laut vorgelesen.

»Ja, natürlich kenne ich Wieck und den Darß und die ganze Gegend dort«, fiel Götzens Mutter sofort ein und berichtete dann: »Wir waren im vergangenen Jahre, als Vater vom Betrieb als Leistungsprämie einen Aufenthalt von acht Tagen an der See erhielt, auch in Prerow und haben einen Ausflug nach Wieck gemacht. Und auf den Mühlenhof mit seinem gewaltigen Rohrdach kann ich mich genau besinnen … auf die Mühle selbst nicht. Sie liegt vielleicht mehr am entgegengesetzten Ende des Dorfes, nach Born zu, wo die Dampferhaltestelle für Wieck am Bodden ist. Der Darßer Wald ist sehr schön und zieht sich bis dicht an das Dorf heran. Es gibt dort auch ein Wiecker Moor, das berühmt ist wegen seiner seltenen Pflanzen. Wieck liegt direkt am Bodden, der so breit ist, dass man das gegenüberliegende Ufer kaum erkennen kann! Kinder, das wäre aber wirklich etwas für euch! Da müsst ihr in den großen Ferien hin!«

»Aber das Sommerlager der Jungen Pioniere und auch noch die Mühle … ist das nicht ein bisschen viel? Und zur Erntehilfe nach Lobeofsund möchten wir doch auch gerne wieder …«, meinte Götz nachdenklich.

»Ach, zur Erntehilfe gehen wir in den Herbstferien, zum Kartoffelnrausmachen, ist auch nötig. – Und drei Wochen geht es nach Wieck, in die Mühle, … und dann – dann bleiben uns immer noch drei Wochen für das Sommerlager. Aber die Mühle, die können wir uns nicht entgehen lassen!«

»Vielleicht können wir überhaupt die Mühle schon viel eher mieten und nicht erst in den großen Ferien«, sagte Götz auf einmal lebhaft. »Heute sprach Herr Lindner davon, dass einige Klassen unserer Schule wahrscheinlich auf vier bis sechs Wochen der Diphtherieepidemie wegen geschlossen würden. Und da sind unsere Klassen dabei.«

»Das wär aber Klasse … schon so bald!«, jubelte Michael auf.

»Ach«, sagte die Mutter, »ist es wirklich so schlimm? Sind so viele Kinder erkrankt?«

»Ja, es reicht zu, Mutter, bei uns in der Klasse fehlen schon acht.«

»Da wäre es ja um so besser, wenn ihr aus Berlin raus könntet! Ich glaube auch nicht, dass das Mietgeld für die Mühle sehr hoch sein wird.«

Jürgen wurde auf einmal ganz still und runzelte die Stirn. Dann sagte er, und es war eine große Enttäuschung in seiner Stimme: »Ach, es wird ja doch nichts draus! Das Geld für die Reise, die Mühle und das Leben dort … wo soll denn das herkommen? Wir wollen uns gar nicht erst so in diese Idee verrennen! Kann ja nichts draus werden! Für das Sommerlager der Jungen Pioniere habe ich meine Mutter schon rumbekommen. Sie hat mir das Geld, es sind immerhin etwas über zwanzig Mark, zugesichert. Da kann ich ihr nicht wieder mit einer Geldausgabe für mich kommen … Ihr müsst eben an meiner Stelle einen anderen Freund mitnehmen!« Und er seufzte tief auf.

»Das kommt gar nicht infrage!«, sagte Götz. »Darüber habe ich mir natürlich sofort meine Gedanken gemacht. Seht, ihr gebt euer Geld, das ihr euch auf dem Bau und durch das Kachelmalen verdient, euern Müttern, weil eure Väter im Kriege gefallen sind! Aber ich brauche das nicht, weil ich doch noch meinen Vater habe. Ich spare also das Geld. Glaubt ihr vielleicht, ich habe daran gedacht, es für mich allein auszugeben oder es so lange zu sparen, bis ich einen Vollbart trage und alt und grau bin? Nein!«, und sich an seine Mutter wendend, fuhr er fort: »Mutter, du verstehst es doch … nicht wahr, ich darf das Geld für uns drei für diese Fahrt ans Meer verwenden! Bitte sage doch: Ja!«

Die Mutter überlegte einen Augenblick, dann strich sie ihrem großen Jungen übers Haar und sagte: »Von mir aus … ja, Götz!«

Da schlang Götz einen Augenblick seinen Arm um den Hals der Mutter und sagte: »Du bist eine fabelhafte Mutter, du musst uns auch noch weiterhelfen, bei Vater!«

»Das werde ich schon!«

»Das … einfach herrlich wäre das«, meinte endlich Jürgen. »Meine Mutter könnte ich nämlich wirklich nicht um Geld bitten. Wo es bei uns so knapp zugeht!«

»Bei mir ist es ebenso«, seufzte Michael. »Natürlich gebe ich meiner Mutter alles Geld, sie hat es sowieso so schwer. Wenn du tatsächlich für Jürgen und mich zahlen willst … Das wäre ja gar nicht auszudenken … zu schööön … mordsanständig! Aber, Frau Martens, das ist doch zu viel! Nein, das geht eben nicht!«

»Doch, doch, es wird schon gehen. Also macht euch darüber keine Sorgen.«

»Ich stifte euch eine kleine Summe von meinem gesparten Wirtschaftsgeld. Und ihr besprecht es mit euren Müttern! Die müssen ihre Erlaubnis geben! Einen Tag hat es sicherlich Zeit. Aber ich glaube auch, wir müssen uns rasch entschließen. Ich mache mir nur eben Gedanken, wie ihr es mit dem Essen machen sollt! Aber da ist, soweit ich mich erinnere, in Wieck ein großer Gasthof. Da könnt ihr mittags essen, und abends müsst ihr euch eben allein eine dicke Suppe kochen, denn ihr werdet einen ungeheuren Hunger bekommen, wenn ihr so viel an der Luft seid … und noch dazu am Bodden und am Meer!«

»Wir können uns auch mittags das Essen selber kochen, Frau Martens, das kann ich nämlich prima … und wird auch billiger«, sagte Jürgen. »Wenn man so das Mädchen für alles zu Hause ist, da wird man auch fürs Kochen angelernt! Ich sage Ihnen, ich bringe Ihnen eine Erbssuppe auf den Tisch, die lassen Sie nicht stehen!«

»Das ist fein, da brauche ich mich also nicht zu sorgen«, meinte Frau Martens lächelnd, »aber ich bin doch dafür, dass ihr im Gasthof essen geht, denn ich kann mir vorstellen, dass du zum Kochen nicht gerade immer Lust haben wirst, denn es nimmt immerhin eine gewisse Zeit in Anspruch … und dann der Aufwasch!«

»Ja, da mögen Sie vielleicht doch recht haben. Daran hatte ich nicht gedacht!« Und Jürgen kratzte sich hinter den Ohren und bot seine Kochkenntnisse nicht weiter an.

Frau Martens blieb noch ein Weilchen bei den Jungen sitzen und erzählte von Prerow und dem Prerowstrom, der sich durch das ganze Dorf zieht und salziges Wasser führt, Brackwasser. Sie erzählte von den kleinen, sauberen Häusern dort, von dem Strand, dem fast weißen Sand und dem hellgrünen Wasser. Und von dem weiten Bodden sprach sie, an dem Wieck liegt, mit seinem hohen Schilf und grünen Ufern. Sie erzählte von den Adlern und Weihen, die mit ihren ruhigen, weitausladenden Flügelschlägen nach ihren Horsten im Darßer Wald fliegen, und von den vielen Möwen, die so weiß in der Sonne glitzern.

Ja, es musste alles geschehen, dass die Jungen die Mühle mieten konnten. Dafür wollte sie sorgen!

Es war spät am Abend, als sich die drei Freunde trennten.

Am nächsten Morgen war das Schneetreiben des vergangenen Tages vorüber und vergessen, und der Frühling war wieder in all seiner Pracht und Wärme über dem Land.

In der Pause trafen sich die Freunde im Schulhof.

Jürgen kam dahergerannt. »Kinder, tatsächlich, heute werden drei Klassen wegen Diphtherie geschlossen. – Und unsere Klassen gehören dazu … Hurra!« Und schon befanden sich sein Kopf zwischen den Händen auf dem Fußboden und die Beine in der Luft. Er lief auf den Händen um die Freunde herum und dabei krähte und sang er. Dann stand er wieder auf den Füßen und legte seine Arme um die Schultern der Freunde. »Haben wir ein Schwein! Du, Götz, da wird gleich heute telegrafiert und die Mühle gemietet … nicht auszudenken … nicht auszudenken!«

»Herrlich … herrlich …«, jubelte Michael, zog aus seiner Hosentasche eine kleine Mundharmonika hervor und blies immer abwechselnd einmal in den Diskant und einmal in den Bass hinein, ganz laut. Schön klang das nun nicht gerade. Dann aber ging er in eine lustige Melodie über.

»Was haben eure Mütter zu unserer Idee gesagt«, fragte Götz.

»Ganz ehrlich«, meinte Jürgen, »meine hat erst geschimpft. Sie hat gesagt: ›Alle Tage hast du andere Verrücktheiten im Kopf und nie was Gescheites! Guck lieber in deine Schulbücher und hilf mir etwas mehr, das wäre klüger. Und woher soll denn das viele Geld kommen? Du bist vollkommen verrückt!‹ Ich habe sie ein Weilchen schimpfen lassen. Dann habe ich ihr gesagt, dass sie diese Reise keinen Pfennig kosten würde; dass du dein gespartes Geld dazu nehmen wolltest, Michael und mich zu dieser Reise einzuladen. Da hättest du meine Mutter sehen sollen, wie sie die Augen aufgerissen hat, und dann hat sie natürlich gefragt, ob es denn schon Frau Martens oder Vater Martens erlaubt hat, dass Götz für so etwas das Geld ausgibt. ›Natürlich‹, sagte ich, ›ich war ja dabei, wie Frau Martens es erlaubt hat.‹ Da war meine Mutter plötzlich ganz still und sagte beinahe andächtig: ›Dass es so etwas überhaupt gibt!‹«

»Und deine Mutter, Michael?«

»Sie hat sich mächtig gefreut. Sie machte sich natürlich auch sofort Gedanken, woher wir das Geld nehmen sollten. Als sie aber hörte, dass du es stiftest, da war sie ganz gerührt und sagte nur: ›Der Götz Martens ist ein fabelhafter Kerl und ein guter Kamerad …‹ Na, und das – das weiß ich schon lange.«

»Bleibt auch so, Kleiner, fürs ganze Leben!«

»Ja, das weiß ich – und das ist sehr schön!«

»Ich gehöre auch dazu«, mischte sich jetzt Jürgen ein, »prima Kamerad bin ich nämlich auch!«

Nun lachten alle drei.

Plötzlich schlug sich Götz vor den Kopf. »Donnerwetter, da fällt mir etwas ein. Da muss ich mich sofort erkundigen. Ich glaube, wir dürfen jetzt gar nicht, so wie wir uns das denken, aus Berlin heraus. Da sind eine Quarantänezeit mit ärztlicher Untersuchung, Beobachtung und dann ein ärztliches Zeugnis nötig. Es kann nämlich einer Bazillenträger sein, ohne es zu wissen!«

»Das wäre aber gemein, wenn einer von uns dreien …«, sagte Jürgen. Und er spuckte sicherheitshalber dreimal aus!

»Ich schlage euch nun Folgendes vor«, fuhr Götz fort. »Ich werde sofort nach der Schule mit Dr. Lindner sprechen und mich dann auch noch auf dem Gesundheitsamt erkundigen. Sonst kann es uns passieren, dass wir nicht abreisen dürfen.«

Die Freunde verabredeten, sich nach dem Mittagessen bei Götz einzufinden, um das Telegramm aufzugeben. Es würde sich höchstens um einen späteren Termin handeln. Aber mieten wollten sie die Mühle auf alle Fälle!

Die Schulglocke läutete zum letzten Unterricht vor den so überraschenden Ferien.

Götz ging nach Schulschluss sofort zu Herrn Lindner, der ihm aber nichts Genaues sagen konnte. So machte er sich auf den Weg zum Gesundheitsamt. Hier wurde ihm mitgeteilt, dass sie sich, ehe sie Berlin verlassen dürften, einer ärztlichen Untersuchung und Kontrolle unterziehen müssten. Alle drei Tage hatten sie sich bei dem Arzt einzufinden, welcher einen Abstrich ihrer Mandeln vornehmen und zur Untersuchung einschicken würde. Fielen diese Untersuchungen negativ aus, wurden keine Bazillen gefunden, so durften sie am zehnten Tage abreisen.

Diese Nachricht teilte Götz seinen Freunden mit, als sie sich am Nachmittag bei ihm einfanden. Zuerst waren sie über diese Verzögerung etwas enttäuscht! Aber es handelte sich ja nur um zehn Tage.

»Ich bitte mir aber aus, dass keiner von euch Bazillenträger ist! Der bekommt es sonst mit mir zu tun … und nicht gerade sanft!«, schimpfte Götz. Aber sie glaubten alle nicht im Geringsten daran, dass das möglich sein könnte. Am 24. Mai würden sie, wenn alles glatt ging, reisen können! Und nun wurde das Telegramm aufgesetzt.

Miete Mühle ab 24. Mai für etwa 4 Wochen für 4 Jungen von 14 Jahren. Bitte um Preisangabe. Schicke Geld auf Wunsch umgehend. Götz Martens Berlin N Südweg 10. Antwort bezahlt.

Die Freunde brachten das Telegramm zur Post.

»Wann wird die Antwort da sein können?«

»Ungefähr in zwei bis drei Tagen.«

»Prima!«

Und in drei Tagen war die Antwort da.

Vermiete an Sie die Mühle für etwa 4 Wochen ab 24. Mai, Preis 40 Mk. Erwarte Nachricht wann Ankunft in Born am Bodden. Wunderlich. Wieck auf dem Darß.

Mit einem Indianergeheul wurde das Telegramm begrüßt. Wie war doch die Welt so schön! Nun wurde noch ein zweites Telegramm aufgegeben, und zwar an den Neubauern Herrn Becker, Lobeofsund, bei dem sie im vergangenen Jahr zur Erntehilfe gewesen waren. Sie hatten sich mit dessen Sohn Roland angefreundet, wenn er auch erst zwölf Jahre alt war. Das Telegramm lautete:

Wir haben ab 24. Mai eine Mühle unweit vom Meer gemietet. Bitte Roland zu erlauben mitzukommen. Unkosten außer der Reise gering. Götz Martens Berlin Südweg 10. Drahtantwort erbeten.

Am übernächsten Tage schon kam die Antwort aus Lobeofsund:

Roland wird mit Rucksack und allerlei am 23. nachmittags 6 Uhr eintreffen. Wir freuen uns alle. Bauer Becker Lobeofsund.

Fein war das! Nun kam auch noch Roland mit … und Strupp selbstverständlich auch.

Nein, da fand man gar keine Worte, und Jürgen sagte nur immer wieder: »Ganz groß …, einfach prima, primissimo!«

Sie hatten sich vorgenommen, über die Reise erst mit ihren Kameraden zu sprechen, wenn sie die Mühle fest gemietet hätten. Seitdem sie nun das Telegramm von Herrn Wunderlich in der Hand hielten, war das unumstößliche Tatsache geworden. Heute war der letzte Gruppennachmittag der Jungen Pioniere. Diese Zusammenkünfte durften der Diphtherieepidemie wegen bis auf Weiteres nicht mehr stattfinden. Das war ein lustiges Durcheinander der beiden Klassen. Alle trugen sie heute, Jungen wie Mädel, ihre weißen Hemden und blauen Halstücher. Und nun erzählten die Freunde von ihrem Vorhaben, das wie ein großes, herrliches Abenteuer vor ihnen lag.

Jürgen schnitt auf und prahlte, und er erfand sich allerlei Geschichten. »Na, und eine große blaue Fahne nehmen wir natürlich auch mit. Die hängt dann oben vom Dach der Mühle herunter. Prima wird das, wenn der Sturm vom Meer daherfegt. Wie ein blaues Segel wird sie wehen, unsere Fahne der Jungen Pioniere!«

Aber der Gruppenleiter meinte: »Das dürft ihr gar nicht, wenn es auch schön wäre! Nur ein Lager darf die Fahne hissen!«

»Da nehmen wir eine rote oder auch unsere Berliner Fahne mit!«

Die Kameraden waren alle mit aufgeregt. Da war kaum einer, der nicht brennend gern an der Fahrt teilgenommen hätte. Aber das ging ja leider nicht, denn die Mühle war nur an vier Jungen zu vermieten, und der vierte Junge war Roland, den sie auch schon alle kannten.

»Aber ins Sommerlager der Pioniere in den großen Ferien kommt ihr doch bestimmt mit?«

»Ehrensache! Darauf freuen wir uns doch schon. Es geht uns verteufelt gut … zweimal große Ferien in einem Jahre! Und Berichte werden wir euch auch schicken.«

»Aber Wort halten!«

»Nu klar!«

Jürgen lief die breite Straße entlang. Es war ihm so froh zumute! Da musste er immer singen. Und so sang er ihr Lied, das Michael gedichtet und komponiert hatte und das Jürgen immer singen musste, wenn er gar nicht wusste, wohin vor lauter Glück und Daseinsfreude. Laut erklang es durch die mittaghelle Straße:

Wir sind Junge Pioniere

Und sind immer bereit.

Wir lieben den blauen Himmel,

Die Sonne, das Flockengetümmel,

Wir lieben die neue Zeit.

Juchhei – juchhei!

Wir sind Junge Pioniere,

Wir wandern über das Land.

Die Jugend aller Völker

Ist Freund uns und gibt uns die Hand.

Wir wollen aufbauen die Heimat.

Juchhei – juchhei!

Er schmetterte das Lied so laut in den sonnigen Tag hinein, dass die Vorübergehenden sich nach ihm umsahen und auch mit vergnügt wurden.

Nun kamen die Reisevorbereitungen. Viel wollten die Jungen nicht mitnehmen, etwas für kalte und etwas für heiße Tage, vor allem aber die Badehosen! Alles wurde in den Rucksack verstaut. Als besondere Überraschung opferte Frau Martens zwei Betttücher und nähte selbst für alle drei Jungen kurze, weiße Hosen. Dazu sollten sie die weißen Hemden und die blauen Halstücher der Jungen Pioniere tragen. Prima würde das aussehen.

Und Götz lachte und nahm seine Mutter in seine Arme und tanzte mit ihr durch das Zimmer, bis sie ganz außer Atem war, und er sagte: »Du bist die allerbeste Mutter, die es überhaupt auf der Welt gibt.«

Dann schlang er seinen Arm um ihren Hals und drückte sie so heftig, dass es ihr ganz schwindelig wurde und sie lachend sagte: »Ich freue mich ja selber so sehr mit euch, ihr lieben Jungen.«

Beim Arzt verliefen die Kontrollen bei allen drei Jungen wunschgemäß.

Nun kam der Tag der Abreise. Am Abend vorher war Roland reiseselig eingetroffen. Sein Rucksack war verdächtig schwer.

»Den bringst du ja gar nicht alleine fort! Was hast du denn da Schweres drin?«

»Ach, Vater meinte nur, dass wir da oben am Meer nicht hungern sollten!«

»Das ist wunderbar, Roland, ganz fabelhaft! Da machen wir mit dir noch ein Geschäft!«

»Nö, das vielleicht nicht gerade! Aber mein Vater hat sich nämlich sehr gefreut, und auch meine Mutter, dass ihr an mich gedacht habt. Ich habe gerade vier Wochen Erholungsurlaub, weil ich krank war, die Masern hatte. Aber ihr braucht keine Angst zu haben, ich stecke keinen mehr an. Das tut man nämlich nur, solange man sich schält, die Haut sich erneuert. Aber das ist schon lange vorbei. Sonst hätte ich keinen Urlaub bekommen! Ich freue mich so sehr, dass ihr mich mitnehmen wollt!«

Am andern Morgen um vier Uhr waren die vier Freunde auf dem Nordbahnhof, und Strupp war natürlich auch dabei. Frau Martens war mit nach der Bahn gekommen und stand zwischen den großen, ein wenig schlaksigen Jungen, die ernsthaft miteinander sprachen. Sie waren bereits eine Stunde vor Abgang des Zuges auf dem Bahnsteig. Der Zug wurde hier zusammengestellt, also würden sie sicher Plätze bekommen. Die Jungen trugen ihre blauen Halstücher. Das sah fröhlich aus zwischen all dem Grau der anderen Menschen.

Strupp musterte erstaunt das Leben um sich herum. Alle rannten, alle waren irgendwie aufgeregt, sogar seine jungen Herren! Das spürte er genau, trotz ihrer äußeren Ruhe.

Frau Martens stand neben Götz. Sie hätte ihm zum Abschied so gern einen Kuss gegeben, denn ihr ganzes Herz hing an ihrem großen Jungen. Aber nein, das durfte sie ihm nicht antun! Zärtlichkeiten zu einem Jungen auf dem Bahnhof? Nein, das gab es nicht, da hätte er sich bestimmt geschämt.

Langsam fuhr der Zug ein.

Frau Martens sollte, so lange bis die Jungen ihre Plätze belegt hatten, Strupp halten. Da würde sie genug zu tun bekommen, denn bei seinem Temperament konnte sie auf allerlei Unvorhergesehenes gefasst sein.

Der Zug hielt. Die Jungen stürmten davon.

Strupp riss so an der Leine, dass Frau Martens, ob sie nun wollte oder nicht, ein ganzes Stück am Zuge entlang rennen musste, mit verschiedenen Menschen zusammenprallte, und sie in die Hundeleine verwickelte. Die Menschen schimpften auf die verrückte Person mit dem Hund, was aber Strupp nicht im Geringsten störte. Er konnte es nicht verstehen, dass sein Herr davonlief, ohne sich von ihm zu verabschieden oder ihn mitzunehmen. Nein, da musste er alles daransetzen, ihm nachzukommen. So wollte er unbedingt in einen Wagen hineinklettern, aus welchem Götz bereits schon wieder herausgestiegen war. Frau Martens hatte gar keine Zeit, sich umzusehen, so war sie mit Strupp beschäftigt.

Da scholl es laut aus einem Fenster heraus: »Muttiiiiii … hier … hier!« Götz wedelte mit seiner Mütze, und Strupp bellte laut.

Gleich darauf stand Götz neben seiner Mutter, von Strupp stürmisch begrüßt. Götz nahm die Leine mitsamt dem Hunde und stieg ein, Frau Martens auch. Sie wollte doch wenigstens sehen, wie ihre Jungen untergebracht waren. Sie hatten sich beide Fensterplätze erobert und die zwei anderen gleich daneben! Und dazu war es ein ausrangierter Wagen II. Klasse, also »Polsterklasse«.

»Wunderbar«, meinte Jürgen.

Frau Martens holte aus ihrer Tasche noch ein Päckchen heraus und gab es Götz.

»Was ist denn da drin?«

»Eine kleine Überraschung, etwas Süßes für die Reise, Haferflockenplätzchen, die isst du doch so gern!« Dann drückte sie jedem von den Jungen noch einen Geldschein in die Hand. »Für irgendeine kleine Freude!«

»Das ist aber anständig, ich wollte sagen sehr fein. Ich danke Ihnen auch sehr dafür«, sagte Jürgen erfreut, und Michael machte eine tadellose Verbeugung.

»Ich schreibe auch einmal eine Ansichtskarte … ich danke vielmals!«

Da wurden die Türen zugeschlagen und Frau Martens musste sich beeilen, herauszukommen, damit sie die Reise nicht mit antrat.

Götz begleitete seine Mutter durch den Gang bis an die Türe. Ehe sie ausstieg, nahm er sie auf einmal ganz rasch in seine Arme und gab ihr einen Kuss. »Ich danke dir auch so sehr, Mutter, für alles … mach’s gut und bleib gesund!«

Da stand sie draußen. Der Zug setzte sich mit lautem Fauchen in Bewegung. Vier Taschentücher und Mützen winkten zu einem Fenster heraus. Das waren ihre vier Jungen!

Und dann hörte sie Jürgens Stimme, die laut hinaussang: »Wir sind Junge Pioniere, sind immer bereit – Juchhei – juchhei!«

Das klang nun schon ganz leise und wurde von den anderen Geräuschen um sie übertönt. Nur noch ein kleiner schwarzer Punkt war der Zug … und dann war auch dieser verschwunden.

Ankunft in Ribnitz am Bodden

Hei, wie der Zug durch das Land jagte! Wunderbar war das! Die Telegrafenstangen rasten nur so am Fenster vorbei! Und oben am tiefblauen Himmel flogen kleine, weiße Wolken. Jetzt kam ein blassgelber Schein am Horizont herauf und die vielen kleinen Wolken bekamen plötzlich eine zarte, rosa Farbe. Dann schob sich die Sonne als großer, roter Ball herauf. Flach war hier das Land, keine Berge hinderten die weite Sicht. In das sommerliche Grün der Wiesen und Felder lagen kleine Dörfer mit roten Dächern und spitzen Kirchtürmen eingebettet. Dann und wann kam eine größere Stadt.

Die vier Jungen saßen eng beieinander. Götz hatte Strupp auf dem Schoß, der aufmerksam die Leute im Abteil und auf dem Gang kontrollierte. Er benahm sich tadellos.

»Du, das haben wir wieder einmal fein getroffen, dass wir sogar weich sitzen. So etwas ist meine allerwerteste Sitzfläche gar nicht gewohnt«, meinte Jürgen und rekelte sich behaglich. »Fändet ihr es nicht auch so an der Zeit, dass wir ein wenig frühstücken? Ich will nicht zuerst anfangen, weil das so gefräßig aussehen würde! Ich bin aber neugierig, was meine Mutter eingepackt hat. Sie tat so geheimnisvoll heute früh, überhaupt, das war komisch. Sie schimpft doch immer und lässt eigentlich kein gutes Haar an mir, aber heute war es gerade so, als ob es ihr schwer würde, dass ich wegging, nicht nur des Helfens wegen. Komisch …«, und dabei holte er aus seinem Rucksack ein großes Paket hervor und untersuchte die Schnitten. »Nun seht doch mal, da hat sie mir doch tatsächlich ein Ei darauf gegeben und ganz dünn etwas Speck darunter. Das spricht Bände! Ich schreibe ihr aber auch gleich eine Karte, wenn wir ankommen, das habe ich ihr versprechen müssen.« Und dann begann er zu futtern.

Die Leute im Abteil, die erst stumpfsinnig dagesessen hatten, wurden angesteckt und holten ihr Frühstück hervor. Das ist immer so, wenn einer anfängt zu essen, da verspüren die anderen auch auf einmal Appetit.

Götz, Michael und Roland hatten ebenfalls ihre Pakete ausgepackt. Roland kramte in seinem Rucksack herum und holte vier hartgekochte Eier heraus und gab jedem eins. Dann reichte er ein Tütchen Salz herum.

»Großartig, Möönsch«, sagte Michael, »aber wollen wir die nicht lieber für das Mittagessen aufheben? Jetzt genügen doch unsere Schnitten.«

Aber darauf ließ sich Roland in seiner Gebefreudigkeit nicht ein. Fein schmeckte das, so ein ganzes Ei zum Frühstück im Zuge, dann die Eierschalen weit zum Fenster hinauszuschleudern … haaach!