Abenteuer Tiefe - Robert D. Ballard - E-Book

Abenteuer Tiefe E-Book

Robert D. Ballard

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Beschreibung

Bekannt wurde der Unterwasserarchäologe Robert Ballard durch die Entdeckung zahlreicher Schiffswracks, darunter die legendäre Titanic und die Bismarck. Unter anderem davon berichtet der Abenteurer in seiner Biografie. Doch neben streng geheimen Marinemissionen erzählt Ballard auch von seinen privaten Erfolgen und Niederlagen: den Ehren der Wissenschaft, seiner Legasthenie und dem Tod seines Sohns ... Verschriftlicht von Bestsellerautor Christopher Drew.

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Seitenzahl: 516

Veröffentlichungsjahr: 2021

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ABENTEUERTIEFE

DIE UNGLAUBLICHE GESCHICHTE DES MANNES, DER DIE TITANIC ENTDECKTE

ROBERT D. BALLARD

CHRISTOPHER DREW

IMPRESSUM

Verantwortlich: Susanne Caesar

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Susanne Döllner, Katharina Franke, Barbara Jilek, Marian Singer

Lektorat: Dr. Juliane Braun

Korrektorat: Constanze Lüdicke

Satz: satz & repro Grieb, München

Umschlagadaption: Nina Andritzky

Herstellung: Bettina Schippel

Printed in Slovenia by Florjancic

Unser komplettes Programm finden Sie unter

In diesem Buch wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Weibliche und andere Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.Reproduktionen, Speicherungen in Datenverarbeitungsanlagen oder Netzwerken, Wiedergabe auf elektronischen, fotomechanischen oder ähnlichen Wegen, Funk oder Vortrag, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Copyrightinhabers.

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NATIONAL GEOGRAPHIC and Yellow Border Design are trademarks of the National Geographic Society, used under license.

Titel der englischen Originalausgabe: Into the Deep. A memoir from the man who found Titanic

Text Copyright © 2021 Odyssey Enterprises, Inc. All rights reserved.

Layout Innenteil: Nicole Miller

Deutsche Ausgabe veröffentlicht von NG Buchverlag GmbH, Infanteriestr. 11a, 80797 München. Lizenznehmer von National Geographic Partners, LLC

This edition is published by NG Buchverlag GmbH through licensing agreement with National Geographic Partners, LLC.

Alle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-86690-781-2

eISBN 978-3-86690-810-9

Seit ihrer Gründung 1888 hat sich die National Geographic Society weltweit an mehr als 14 000 Expeditionen, Forschungs- und Schutzprojekten beteiligt. Die Gesellschaft erhält Fördermittel von National Geographic Partners LLC, unterstützt unter anderem durch Ihren Kauf. Ein Teil der Einnahmen dieses Buches hilft uns bei der lebenswichtigen Arbeit zur Bewahrung unserer Welt. Das legendäre NATIONAL GEOGRAPHIC-Magazin erscheint monatlich. Darin veröffentlichen namhafte Fotografen ihre Bilder und renommierte Autoren berichten aus nahezu allen Wissensgebieten der Welt. National Geographic im TV ist ein Premium-Dokumentationssender, der ein informatives und unterhaltsames Programm rund um die Themen Wissenschaft, Technik, Geschichte und Weltkulturen bereithält. Falls Sie mehr über National Geographic wissen wollen, besuchen Sie unsere Website unter www.nationalgeographic.de.

Für Barbara

INHALT

Prolog

Kapitel 1 | AUF DEN SPUREN VON NEMO

Kapitel 2 | SCHWEIZER TASCHENMESSER

Kapitel 3 | WEG IN DIE WISSENSCHAFT

Kapitel 4 | ZEIT FÜR NEUE LEHRBÜCHER

Kapitel 5 | DIE NAVY UND ICH

Kapitel 6 | GOTTE SEGNE DIESE SEELEN!

Kapitel 7 | ZEIT FÜR EINE BILANZ

Kapitel 8 | EINE ASCHENPUTTEL-GESCHICHTE

Kapitel 9 | AUSSER GEFECHT

Kapitel 10 | EINE NEUE PARTNERSCHAFT

Kapitel 11 | EIN NEUES SPIEL

Kapitel 12 | MISSION IM SCHWARZEN MEER

Kapitel 13 | NAHAUFNAHMEN DER VERGANGENHEIT

Kapitel 14 | ICH WERDE KAPITÄN NEMO

Kapitel 15 | WAS DIE NAUTILUS VERMOCHTE

Kapitel 16 | SELBSTFINDUNG

Kapitel 17 | DIE SUCHE NACH AMELIA

Epilog

Expeditionen, Publikationen & Medien

Dank

Quellenangaben

Register

Bildnachweise

Über die Autoren

PROLOG

Es war einer der Höhepunkte meines Lebens. Wir hatten am Meeresboden in fast vier Kilometern Tiefe im eisigen Wasser des Nordatlantiks das Wrack der Titanic gefunden und damit einen Medienrummel ausgelöst. Namhafte Nachrichtensprecher, Talkshow-Moderatoren und Journalisten überall auf der Welt rissen sich um ein Interview mit mir – dem Mann, der ein 73 Jahre altes Rätsel gelöst hatte; dem Entdecker des berühmtesten Schiffswracks der Welt. Erst als ich wieder in meinem Landhaus auf Cape Cod war, merkte ich, dass ich all das noch gar nicht mit meinen Eltern hatte teilen können.

Da klingelte das Telefon. Ein Anruf aus Kalifornien: meine Mutter. Seit meiner Kindheit war sie immer meine größte Unterstützerin gewesen. Sie hatte mir nach Stürzen aufgeholfen, mich in meinen Träumen bestärkt und die nötige Disziplin gelehrt, um Meeresforscher zu werden.

»Dein Vater, deine Schwester und ich haben alles mitbekommen«, sagte sie. »Alle Fernsehsender berichten und ständig klingelt das Telefon, weil sich Freunde und Verwandte bei uns melden.« Ich lehnte an der Küchentheke und ließ alles auf mich wirken. Dann änderte sich ihr Tonfall.

»Aber es ist doch zu schade«, sagte sie. »Von jetzt an wird sich niemand mehr an deinen Namen erinnern können, ohne gleich an diesen rostigen alten Kahn zu denken.«

»Dieser rostige alte Kahn.« Den Ausdruck habe ich bis heute im Ohr. Und wissen Sie was? Sie hatte recht – Mütter haben immer recht. Wer heute den Namen Bob Ballard hört, denkt sofort an »den Entdecker der Titanic«. Zweifellos war das ein einmaliges Erlebnis und eine Leistung, auf die ich stolz bin. Und dabei steckt doch hinter meiner Geschichte weit mehr als das:

Die Entdeckung neuer Existenzformen, wodurch unsere Definition von Leben auf der Erde – und vielleicht auch darüber hinaus – weiter gefasst werden musste.

Das Finden anderer versunkener Schiffe – Lusitania, Bismarck, Yorktown, PT-109 – und damit die Antwort auf viele Fragen über ihr Schicksal und das der Menschen, die mit ihnen versanken.

Das Nachzeichnen antiker Handelswege im Mittelmeer und im Schwarzen Meer, die Bergung wertvoller antiker Artefakte und die Bestätigung von Hypothesen über eine große Flut zu biblischen Zeiten.

Die Entwicklung von Robotern, die in der Lage sind, den Meeresboden rund um die Uhr zu durchkämmen. Und deren Videosignale bessere Einblicke ermöglichen als alles, was wir durch bemannte Tauchboote gewinnen können.

Die Einführung von Telepräsenz für Kinder aus aller Welt, die so das Gefühl bekommen, live vor Ort zu sein. Auch wenn sie nie zuvor ein Boot betreten oder offene Gewässer gesehen haben, können sie den Meeresboden erkunden und dabei Wissenschaftlern zuhören.

Es gibt so viele Geschichten – voller Abenteuer, Wagnisse, Nervenkitzel und Gefahren. Hinzu kommt meine eigene Selbstfindung: Ich lernte, das Versagen als größten Lehrmeister zu akzeptieren und mir ehrgeizige Ziele zu setzen, die mir bei der Realisierung meiner Träume halfen. Warum einer von vielen sein? Warum den Dreitausender besteigen, wenn niemand den Achttausender daneben in Angriff nimmt?

Vielleicht kennen auch Sie mich nur als den Entdecker »dieses rostigen alten Kahns«. Dann lassen Sie mich Ihnen jetzt den Rest erzählen.

KAPITEL 1

AUF DEN SPUREN VON NEMO

Ich war noch ein Kind und strotzte nur so vor Energie, als ich zum ersten Mal die Gezeitentümpel an der südkalifornischen Küste für mich entdeckte. Jeden Tag, wenn sich das Meer bei Ebbe zurückzieht, bleibt eine ganze Menagerie von gestrandeten Meerestieren in jedem Winkel und jeder Vertiefung zurück, die dann beim nächsten Gezeitenwechsel wieder fortgespült wird. Wie ein Schauspiel, bei dem alle zwölf Stunden die Besetzung ausgetauscht wird. Mal sehen wir Seeigel oder einen kleinen Oktopus, der versucht, sich vor uns zu verstecken, dann wieder eine Ansammlung von Schnecken und kleinen Fischen. Vielleicht auch eine Krabbe, die erbitterten Widerstand leistet, wenn man sie aufheben möchte, oder eine Seeanemone, die sich im sanften Spiel des Wassers verführerisch auf und ab wiegt.

Ich liebte es, an der Küste entlangzulaufen und dabei Muscheln oder auch mal eine von Seepocken bedeckte Fischerkugel aufzuheben – bis heute sammle ich gern Strandgut. In der Grundschule überlegte ich mir, wie ich einen Kleiderbügel so zurechtbiegen könnte, um Rasiermessermuscheln aus dem Sand zu fischen. Ich brannte darauf zu entdecken, wie weiter entfernte Strandabschnitte aussehen könnten – vielleicht wartete ja schon hinter der nächsten Landspitze etwas Geheimnisvolles auf mich.

Bei einem Strandausflug mit meinem Vater und meinem älteren Bruder Richard fand ich im zarten Alter von zwei Jahren das erste Mal Geschmack am Meer – im wahrsten Sinne des Wortes. Mit großen Augen bestaunten wir den Ozean, als sei es das Tollste, was wir je gesehen hätten, so erzählte Dad später. Und noch ehe er uns aufhalten konnte, stürzten wir uns auch schon kopfüber in die Brandung. In Sekundenschnelle hatten uns die Wellen herumgewirbelt; während Dad uns zurück auf den trockenen Sand schleifte, lernte ich so die erste Lektion, die das Meer für mich bereithielt.

Zu dieser Zeit ging man als Kind in Südkalifornien nur zum Essen und Schlafen ins Haus, und kaum war ich wieder zur Tür hinaus, konnte mich nichts und niemand mehr aufhalten. Ich war ein echtes Energiebündel, und wenn Richard und ich unsere Zeit nicht am Strand verbrachten, war ich draußen im Garten und setzte mich über alle möglichen Einschränkungen hinweg. Hinter dem Haus, in dem ich meine ersten Jahre verbrachte, befand sich ein Garten mit einem 1,80 Meter hohen Zaun und einem alten Hühnerstall. Eines Tages erhielt meine Mutter, die mich hinter dem Haus vermutete, den Anruf eines Lebensmittelhändlers aus der Nachbarschaft, der erklärte, ich sei gerade in seinem Laden aufgekreuzt. Ich wurde abgeführt, bekam den Hintern versohlt und landete wieder draußen im Garten. Bald rief der Händler erneut an, inzwischen etwas verärgert. Ich war schon wieder bei ihm. Es stellte sich heraus, dass ich in der Seitenwand des Hühnerstalls ein Astloch entdeckt hatte, über das ich aufs Dach und von dort aus über den Zaun klettern konnte.

Das nächste Mal plumpste ich dabei jedoch direkt in die Arme meiner Mutter, die mich bereits erwartete.

Aber so schnell gab ich nicht auf; ein anderes Mal baumelte ich, als sie mich entdeckte, an den Hosenträgern vom Zaun herab. Da band sie mich mit einem Seil am Wäscheständer fest. »Wie ein Hündchen«, jammerte ich. Ich war hyperkinetisch, so nannte man das damals. Meine Mutter unterstützte mich immer, doch manchmal verzweifelte sogar sie bei dem Versuch, mit mir Schritt zu halten. Ich erinnere mich noch, wie sie augenzwinkernd sagte: »Hätte ich zwei von deiner Sorte, dann würde ich euch beide ertränken.«

Es heißt, das Meer ruft nach dir. Melville und Conrad haben ganze Bücher darüber verfasst. Vielleicht waren es bei mir die ständig wechselnden Lebewesen in den Gezeitentümpeln oder der Klang und Geruch der Brandung, die mich anzogen. Ich weiß nur, dass meine Liebe zum Meer schon sehr früh begann und dass es mir – einem Jungen, der kaum still sitzen konnte – mit seiner hypnotischen Wirkung die Möglichkeit bot, zur Ruhe zu kommen.

Ich war das mittlere von drei Kindern. Richard, mein Bruder, war zwei Jahre älter und meine Schwester Nancy Ann vier Jahre jünger als ich. Richard und ich standen immer im Wettbewerb miteinander – worin unser Vater uns noch bestärkte. Aber während Richard schlicht genial war, fiel mir schon das Lesen schwer und ich fühlte mich in der Schule eingeengt. Ich lernte weniger durch Texte und Übungen als durch Anschauung und Praxis. Irgendwann zog mich ein mythischer Tiefseeforscher in seinen Bann und ich absolvierte ein Praktikum, das mir einen ersten Eindruck vom Leben an Bord eines wissenschaftlichen Forschungsschiffs erlaubte. Mit jedem dieser Schritte fühlte ich mich stärker zum Meer hingezogen. So war mein Lebensweg vorgezeichnet, noch bevor ich die Highschool abgeschlossen hatte.

ICH WURDE IN KANSAS GEBOREN – und weil man dadurch zwangsläufig als Landratte gilt, lachen die meisten, wenn ich ihnen erzähle, dass alle Meeresforscher von dort stammen. Ich kam während des Kriegs auf die Welt, knapp sieben Monate nach dem Angriff auf Pearl Harbor, kurz bevor mein Vater einen verantwortungsvollen Posten in einer Boeing-Fabrik in Wichita antrat, die B-29-Langstreckenbomber produzierte. Als ich zwei Jahre alt war, zogen wir für seine nächste Stelle in einen Vorort von Los Angeles und danach wohnten wir für kurze Zeit in der Mojave-Wüste, wo Dad mit Chuck Yeager und anderen tollkühnen Testpiloten zusammenarbeitete. Dort machten Richard und ich Erkundungstouren in der Wüste. Manchmal kletterten wir in Flugzeugwracks herum und spielten Pilot. Nachts gingen wir mit der Taschenlampe auf Vogelspinnenjagd, in der Gegend wimmelte es nur so von den giftigen Tieren. Das war sicher nicht ungefährlich – doch schon als Kind ließ ich es gern einfach drauf ankommen.

Dad war Testflugingenieur und saß mit im Flugzeug, wenn die Piloten sich auf die Jagd nach Geschwindigkeitsrekorden machten. Da die Arbeit gefährlich war, verschwieg er meiner Mutter die Details. Wenn sie anrief, während er in der Luft war, sagte man ihr nur, er sei gerade »oben« – und sie ging dann davon aus, dass es im zweiten Stock keine Telefone gab.

Als meine Mutter schließlich erfuhr, was »oben« wirklich bedeutete, bestand sie darauf, dass Dad kündigte und wir zurück nach Kansas zogen. Schweren Herzens willigte er ein, doch schon bald waren wir zurück in Kalifornien, und seit meinem sechsten bis kurz vor meinem elften Geburtstag wohnten wir in Pacific Beach, dem palmengesäumten Teil von San Diego nördlich der Mission Bay – wo ich dann meine Gezeitentümpel entdeckte. Von da an sollte ich nie wieder weit vom Ozean entfernt leben.

In vielerlei Hinsicht waren wir eine klassische Ozzie-and-Harriet-Familie, so wie in dieser amerikanischen Sitcom aus den 1950er-Jahren. Meine Mutter hieß sogar Harriet. Mein Vater hatte etwas Geheimnisvolles an sich und beim Abendessen lag neben Liebe immer auch ein Hauch von Anspannung in der Luft.

Über die frühen Jahre meines Vaters wussten wir nie viel, außer dass sein Vater, ein Polizist in Kansas, einen Kopfschuss erlitten hatte und verstorben war, als Dad fünf Jahre alt war. Als er zwölf war, starb seine Mutter und er wurde in den Zug nach Montana gesetzt, um fortan bei einer Tante und derem gefühlskalten Ehemann auf einer Ranch zu leben. Uns erzählte er nur, er sei als Cowboy aufgewachsen; mehr erfuhren wir über seine Kindheit nicht. Er hatte das College nach etwa einem Jahr abgebrochen – was er uns erst verriet, als wir selbst bereits aufs College gingen. Trotzdem hatte er einen Weg gefunden, Ingenieur zu werden, bis hin zum leitenden Ingenieur beim Flugzeughersteller North American Aviation, betraut mit dem Leitsystem der Minuteman-Interkontinentalraketen.

Für einen Jungen, der eigentlich schon abgeschrieben war, hatte er eine Menge erreicht, und unsere Familie bedeutete ihm alles. An den meisten Wochenenden machte er Ausflüge mit uns: zum Campen, Fischen oder einfach an den Strand. Jeden Sommer fuhren wir in die Sierra Nevada, um Forellen zu angeln, oder in die Monterey Bay, wo es Makrelen und weißen Thunfisch gab. Doch ehrlich gesagt hatte ich nicht viel Gelegenheit, Zeit mit ihm zu verbringen. Meinen Bruder nahm Dad mit ins Büro, um ihm die anderen Ingenieure vorzustellen, mich jedoch nie. Ich glaube heute, dass er in Richard etwas sah, was ihm selbst immer verwehrt geblieben war.

Sicher habe ich einen Teil meiner Entschlossenheit und Hartnäckigkeit von meinem Vater geerbt, doch insgesamt kam ich viel eher nach meiner Mutter. Sie war gesellig und lebensfroh, wir nannten sie eine Quasselstrippe. Sie war eine ausgezeichnete Schülerin gewesen, hatte aber keinen Collegeabschluss. Stattdessen heiratete sie meinen Vater und blieb zu Hause bei den Kindern. Sie war meine Beschützerin und setzte sich stets heldenhaft für mich ein. Wann immer ich stolperte, war sie sofort zur Stelle und bereit, mich in die Arme zu nehmen. Sie brachte emotionale Intelligenz und Menschlichkeit in die Familie.

Über ihren Hintergrund wusste ich deutlich mehr. Ihr deutscher Großvater hatte im Bürgerkrieg für die Nordstaaten gekämpft und sich dann in Kansas niedergelassen. Sie kam aus einer dieser grundsoliden Familien aus dem Mittleren Westen, von der ich viel über Disziplin und Lebensziele lernte. Meine Großmutter war eine tiefgläubige Lutheranerin. Als wir im Unterricht die Evolution durchnahmen, war ihr Kommentar: »Jetzt habe ich meinen Enkel an den Teufel verloren.« Sie steckte voller Weisheiten. »Wahrhaft groß ist, wer Bäume pflanzt, obwohl er weiß, dass er nie in ihrem Schatten sitzen wird«, sagte sie zu mir. Solche Gedanken regten mich zur Auseinandersetzung mit Dingen an, die weit größer waren als ich selbst. In unserer Familie fühlte ich mich immer schon den Frauen mehr verbunden als den Männern und meine Wurzeln in Kansas sind bis heute ein wichtiger Bestandteil meiner Identität.

Sobald ich dem Kleinkindalter endgültig entwachsen war, gestand mir Mom weitreichende Bewegungsfreiheit zu. »Sei einfach zu Hause, bevor es dunkel wird«, sagte sie – und weg war ich. Von San Diego aus konnte ich mit dem Rad zu einem Angelsteg fahren, an dem sich Weiße Umbern, Brandungsbarsche, Makrelen und Corbinas, mein liebster Speisefisch, tummelten. Mom setzte mich oft mit dem Auto an der La-Jolla-Bucht ab, wo ich den Tag mit Angeln und Schwimmen verbrachte. Gleich nördlich davon konnte ich den langen Steg der Scripps Institution of Oceanography ausmachen, des ältesten und größten Zentrums für Meeresforschung in den Vereinigten Staaten.

Von meiner Mutter ermutigt, baute ich schon bald den Fischfang zu einer Einkommensquelle aus. Dafür konstruierte ich eine Reuse aus Hühnerdraht und mein Freund Johnny Binkley und ich bestückten sie mit Brotstücken. Nach weniger als einer Stunde war unser Wagen voll frischer, noch zappelnder Stinte. Ich war freundlich zu den Leuten, als Händler ein Naturtalent und es machte mir Spaß, auf dem Heimweg von Tür zu Tür zu gehen und Fisch zu verkaufen – wobei ich stets darauf achtete, dass genug für unsere Familien übrig blieb.

Die Dynamik am heimischen Esstisch war kompliziert. Auf der einen Seite saßen Richard und mein Vater, die sich in ihrer Ernsthaftigkeit glichen wie ein Ei dem anderen; das Gegengewicht bildeten meine Mutter und ich, zwei Dauerquassler, und mittendrin saß Nancy Ann. Bis heute bin ich der Meinung, dass Richard der klügste Mensch ist, dem ich je begegnet bin – und das, obwohl ich mein Leben lang von klugen Menschen umgeben war. Ihm nachzueifern war alles andere als einfach. Immer glaubte ich, etwas beweisen zu müssen – dieses Gefühl hat mich mein ganzes Leben lang angetrieben. Bei Schulnoten ist zwischen einer Eins plus und einer Mischung aus Einsen und Zweien durchaus ein Unterschied. Die Lehrer, die schon Richard unterrichtet hatten, erwarteten von mir ebensolche Glanzleistungen und manche gingen hart mit mir ins Gericht, wenn ich das nicht erfüllte. In Sozialverhalten – damals die beschönigende Bezeichnung für Betragen – erhielt ich mittelmäßige Noten und Anmerkungen, ich müsse lernen, nicht dazwischenzureden und größere Selbstbeherrschung an den Tag zu legen.

Beim Lesen konnte ich schon in der Grundschule nicht mithalten. Doch was tun, wenn es einem einfach nicht gelingt, schneller zu lesen? Für jeden Text brauchte ich doppelt so lange. Richard war längst im Bett, während ich noch an meinen Hausaufgaben saß. Genauso war es mit dem Schreiben. Wenn wir Streit hatten, verlangte Dad, wir sollten aufschreiben, was uns nicht passte. Richard hatte in Nullkommanichts eine Seite oder mehr zu Papier gebracht, während ich mich mit einem einzigen Satz abquälte. Ich hasste diese Übung so sehr, dass ich mich oft mit meinem Bruder »außergerichtlich« einigte, nur um mir die Tortur zu ersparen. Meine Mutter arbeitete mit mir an meiner Selbstorganisation und Konzentrationsfähigkeit. Sie erklärte mir immer, dass mir Lesen und Schreiben deswegen so schwerfielen, weil ich während eines Umzugs eine Unterrichtseinheit über das Alphabet verpasst hatte. Das reichte mir als Erklärung. Okay, gut, sagte ich mir. Dann muss ich mich eben einfach mehr anstrengen.

Meine Schwester hatte gesundheitliche Probleme, die unser Familienleben massiv beeinflussten. Aufgrund einer Genmutation kam sie mit einem ungewöhnlich kleinen Unterkiefer zur Welt und konnte trotz dessen Rekonstruktion niemals sprechen. Auch schriftlich konnte sie sich nur rudimentär verständigen; sie war jedoch clever genug, um Sportteams im Blick zu behalten und nicht zuletzt die hochverzinsten Darlehen, die sie mir und Richard von ihrem Taschengeld gewährte. Meine Eltern zogen mit ihr von einem Facharzt zum nächsten. Um ihren Hirndruck zu senken, bohrte einer von ihnen ein Loch in ihren Schädel – die reinsten Voodoo-Methoden. Aber kein Arzt fand eine Erklärung, die Mischung von dem, was sie beherrschte oder eben nicht, war zu ungewöhnlich. Schließlich sprach mein Vater ein Machtwort: Wir würden es auf sich beruhen lassen und sie nicht länger mit Untersuchungen quälen. Er behandelte sie nie von oben herab und unsere Wochenendausflüge führten immer an Orte, die auch Nancy Spaß machten. Erst spät in ihrem Leben konnte ich mittels einer DNA-Analyse die Ursache ihrer Behinderung in Erfahrung bringen: Eine Mutation zum Zeitpunkt der Empfängnis hatte dazu geführt, dass sich zusätzliche Aminosäuren an ihr 15. Chromosom hefteten und so ihren Körper umprogrammierten.

Trotz ihrer Beeinträchtigungen wurde Nancy nie wütend und verlor fast nie ihr Lächeln. Zu sehen, was sie bewältigen musste, half mir, meine eigenen Unsicherheiten besser einzuordnen. Dann wurde mir auch klar, wie unbedeutend meine Probleme waren und dass ich keine Sekunde meines Lebens verschwenden wollte.

Auf der Suche nach Aufmerksamkeit von meinem Vater entwickelte ich mich zum Familienclown, zum Witzbold. Richard war eher introvertiert, also wurde ich zum drittklassigen Schauspieler und übernahm im Grundschultheater die Rolle des Peter Pan. Richard war auch nicht einfach nur Pfadfinder, sondern ein hochrangiger Eagle Scout und sammelte Abzeichen wie andere Briefmarken. Meine Interessen waren breiter gefächert; meine Hyperaktivität kanalisierte ich im Sport, durch Engagement in der Schülervertretung und als Verkäufer. Meine Mutter schickte mich mit Weihnachtsmännern aus Bastelschaum und Schwimmkerzen von Tür zu Tür zu meinen alten Stint-Kunden.

Als ich elf war, zogen wir in eine Vorstadt von Los Angeles, nach Downey. Nach wie vor hatte ich Schwierigkeiten mit dem Lesen – in meinem ersten Zeugnis dort erhielt ich eine Vier – und meine Eltern schickten mich nun jeden Tag zur Nachhilfe. Ein bisschen hat das schon geholfen, schätze ich. Trotzdem waren mir Kinofilme lieber als Bücher. Ich sehe heute noch, wie ich mich mit zwölf Jahren in den Kinosaal zwängte, um den neuesten Kassenschlager von Disney anzusehen – eine Verfilmung von Jules Vernes 20 000 Meilen unter dem Meer. Ich war vollkommen überwältigt.

In einer Szene stößt Kirk Douglas zufällig auf Kapitän Nemos Unterseeboot, die Nautilus, die scheinbar verlassen im offenen Wasser treibt. Er erkundet das Innere des eigenartig prunkvollen U-Boots und beobachtet durch ein Bullauge Taucher, die in einem Wald von Seetang eine Unterwasserbestattung vornehmen. Sie wandeln auf dem Meeresboden umher in ihren grandiosen Tauchanzügen. Bei diesem Anblick war es um mich geschehen.

So viel Zeit ich auch am Wasser verbracht hatte – nie war mir der Gedanke gekommen, dass da ein gewaltiger dreidimensionaler Raum unterhalb der Meeresoberfläche lag, in dem alle nur erdenklichen Arten von wundersamen Wesen lebten. Ich wollte Kapitän Nemo sein. Ich wollte auf dem Meeresboden umherwandeln! Meinen Eltern rechne ich hoch an, dass sie mich niemals auslachten, wenn ich davon sprach.

Meine schulischen Leistungen verbesserten sich allmählich. Jetzt hatte ich einen Traum und brauchte gute Noten, um ihn zu verwirklichen. Schlank und bald 1,88 Meter groß, war ich auch ein guter Sportler; ich spielte Fußball, Basketball und Tennis. Mein gesellschaftliches Leben fand in Klubs statt, die von der christlichen Jugendorganisation YMCA gefördert wurden und Namen trugen wie »die Kreuzritter« oder »die Westgoten«.

Es war eine schöne Zeit. In Downey gab es damals eines der allerersten McDonald’s-Restaurants. Ein Burger kostete fünfzehn Cent, eine Portion Pommes frites zehn Cent. Der Benzinpreis lag bei etwa sieben Cent pro Liter. Das amerikanische Jahrhundert war in vollem Gange und wer jung war und in Kalifornien lebte, profitierte davon. Dad kaufte einen zehn Meter langen Kabinenkreuzer aus Holz und taufte ihn Nancy Ann; fast jedes Sommerwochenende stachen wir damit in See.

Als ich in der Mittelstufe war, begann Richard sein Studium in Berkeley, Dads Firma verschaffte ihm ein Stipendium; sein Hauptfach war Physik. Allerdings erlitt er auf dem College einen schweren gesundheitlichen Schlag: Wegen einer Entzündung im Darm mussten ihm Teile davon entfernt werden. Zwar meisterte er trotzdem seinen Abschluss bravourös, doch deuteten sich hier schon Probleme an, mit denen er den Rest seines Lebens zu kämpfen haben würde.

Nun, da Richard aufs College ging, hatte Dad mehr Zeit für mich. Das fühlte sich großartig an. Er legte sich sogar mit meinem Deutschlehrer an: Auslöser war eine schlechte Note in Sozialverhalten, die mir eine Mitgliedschaft in der kalifornischen Stipendienorganisation CSF hätte verwehren können – und die war wichtig für meinen Lebenslauf. Außerdem veranlasste Dad einen Besuch bei Scripps, dem Meeresforschungszentrum, das ich beim Angeln in La Jolla schon aus der Ferne gesehen hatte.

DIE FORSCHUNGSEINRICHTUNGEN AM SCRIPPS-INSTITUT, das heute zur University of California gehört, erstrecken sich entlang der Küste vor der schäumenden Brandung des Pazifiks. Da mein Vater den Direktor, Roger Revelle, von einem seiner Militärprojekte kannte, erhielten wir eine VIP-Tour. Ich erzählte Dr. Revelle von meinem Traum, Meeresforscher zu werden. Er riet mir, zunächst ein Grundlagenstudium in einem naturwissenschaftlichen Fach – Mathematik, Chemie, Geologie oder Physik – abzuschließen und dann den Aufbaustudiengang Meeresforschung an einer Hochschule wie dem Scripps zu absolvieren. Ich war so begeistert, dass wir erneut hinfuhren, um auch den Dekan, Norris Rakestraw, kennenzulernen. Zu Hause dann bewarb ich mich für ein von der Wissenschaftsstiftung gefördertes Sommerprogramm am Scripps und mit einem Brief von Dr. Rakestraw erhielt ich die Einladung zur Teilnahme. Im Juni schließlich – es war der Sommer vor meinem letzten Jahr an der Highschool – fand ich mich am Institut ein, um als Nachwuchspraktikant an drei Exkursionen teilzunehmen. Meinen 17. Geburtstag feierte ich auf See. Zunächst trugen wir mit unserer Arbeit zu einer Studie bei, die untersuchte, warum Sardinen – unsterblich gemacht durch John Steinbecks Die Straße der Ölsardinen – vor der kalifornischen Küste verschwunden waren.

Meine erste offizielle Seefahrt – von meinen bis heute 157 – dauerte sechs Tage und war auf einem früheren Frachtschiff der U.S. Army. Um Strömungen zu kartieren, warfen wir sogenannte Treibflaschen ins Wasser. Die darin enthaltene Nachricht stellte jedem, der eine Flasche fand und einsendete, eine Belohnung in Aussicht. Neuankömmlingen spielte die bunt zusammengewürfelte Besatzung gern Streiche, wovon auch ich nicht verschont blieb. Einmal sollte ich die Larven und anderen Kleinlebewesen, die uns ins Netz gegangen waren, in den stickigen Maschinenraum bringen und in eine ganz bestimmte Flasche legen. Natürlich sagten sie mir nicht, dass die mit Formaldehyd gefüllt war – einem Konservierungsmittel, das so stechend riecht, dass es Erbrechen auslösen kann. Wie ich es schaffte, mein Mittagessen bei mir zu behalten, weiß ich nicht mehr, aber von da an war ich wachsam.

Meine zweite Seefahrt in diesem Sommer – an Bord des Forschungsschiffs R/V Orca, eines alten Schleppers der Navy – war deutlich abenteuerlicher. Wir sollten drei Wochen auf See verbringen und uns entlang der Küste hoch nach Oregon vorarbeiten. Sehr viel Zeit verbrachte ich festgeschnallt im »Heldeneimer«, wie der seitlich vom Schiff hängende offene Metallkorb direkt oberhalb der Wasseroberfläche genannt wurde. Während die Wellen über mir zusammenschlugen, befestigte ich eine Reihe von Flaschen an einem Draht, der ins Meer hinabgelassen wurde, um Wasserproben zu entnehmen und die Temperatur in verschiedenen Tiefen zu messen.

Wir hielten einen 24-Stunden-Betrieb aufrecht, indem jeder vier Stunden arbeitete und dann acht Stunden Zeit hatte, sich zu erholen, soweit möglich. Die Orca war klein und rollte in den Wellen unentwegt hin und her, dennoch machte mir das Ganze unglaublich viel Spaß. Besonders gern fing ich Weißen Thunfisch, was bei voller Fahrt schnell ein Kunststück werden kann. Ich war darin so gut, dass die Besatzung mir fortan keine Streiche mehr spielte.

In Santa Barbara dann wurden wir von Robert Norris begrüßt, einem Professor des örtlichen Campus der University of California, UC. Er war eine herausragende Persönlichkeit und seine Doktorarbeit am Scripps hatte Francis Shepard betreut, der »Urvater« der modernen Meeresgeologie. Als ich ihm von meinen Interessen erzählte, ermutigte er mich, ein Studium der Meeresgeologie an der UC Santa Barbara in Erwägung zu ziehen.

Bald schon waren wir wieder die Küste hinauf unterwegs. Wogenartige Wolken standen Spalier, während die Sonne im Meer versank, und in der gleichen Nacht zwang uns ein Sturm, an einem kleinen Hafen anzulegen. Da ich noch keinen Alkohol trinken durfte, blieb ich an Bord, während der Rest der Besatzung einen nächtlichen Landgang genoss. Sturzbetrunken wieder an Bord gerieten der Koch und der Windenführer in einen Streit, der in einer Schlägerei mündete. Der Koch verlor dabei seine Brille – mit Gläsern dick wie Flaschenböden – und er stolperte in die Kombüse. Als er wieder herauskam, fuchtelte er mit einem Fleischermesser herum und richtete es auf den Erstbesten, der ihm über den Weg lief – und das war zufälligerweise ich. Ich sprang auf den Esstisch und hangelte mich an den Rohren unter der Decke hoch, bis man ihn überwältigt hatte.

Als wir einige Hundert Meilen auf offener See waren, gerieten wir in einen Sturm, der für fast alle an Bord der mächtigste ihres Lebens war; der Wind kam in heftigen Böen und riesige Wellen brachen über dem Bug. Wir richteten das Schiff auf die Wellen aus und ritten jede Woge bis zum Gipfel, nur um wieder in ein Wellental zu fallen und uns erneut nach oben durchzukämpfen. Der Windenführer wurde durch den Wellengang aus seiner Koje geworfen und brach sich dabei die Hüfte. Wir konnten ihm nur Morphium gegen die Schmerzen verabreichen. In Richtung Küste abzudrehen war unmöglich – die Wellen hätten das Schiff überrollt – und so blieb uns nichts übrig, als die Augen offen zu halten und auf Hilfe zu warten. So verging ein Tag, dann der zweite.

Endlich entsandte die Küstenwache ein Boot. Während es sich näherte, beobachtete ich mit dem Fernglas, wie eine Monsterwelle seine Steuerbordseite mit solcher Kraft traf, dass das Boot um ein Haar gekentert wäre. »Oh Gott, schau …« – mehr bekam ich nicht heraus, bevor dieselbe Welle auch uns mit einer derartigen Wucht erwischte, dass um mich herum die Fenster auf der Brücke zersplitterten, mehrere Bullaugen auf dem Mannschaftsdeck barsten und ein weiteres Besatzungsmitglied verletzt wurde. Wir liefen wie wild herum, stopften Rettungswesten in jedes erkennbare Loch und bauten dann aus Matratzen einen provisorischen Damm um eine Öffnung zum Maschinenraum. Endlich beruhigte sich das Wetter, wir konnten umkehren und unseren Heimathafen ansteuern; doch das Schiff war so stark beschädigt, dass die Exkursion damit vorüber war.

Die Macht unseres Planeten Erde mitzuerleben löste Staunen und auch Demut in mir aus. An ein Gefühl von Angst kann ich mich jedoch nicht erinnern. Dieser Sturm lehrte mich, dass es Kräfte gab, die ich zu achten hatte. Ich konnte nicht einfach mit meiner Energie über alle Hindernisse hinwegrollen.

Als ich nach diesem Abenteuer wieder zu Hause ankam, erwarteten mich ein Heldenempfang und eine stürmische Umarmung von meiner Mutter. Das Abendessen verlief sehr angenehm, bis ich ganz unüberlegt jemanden bat, mir »die Scheißbutter« zu reichen. Stille im Esszimmer. Schließlich sagte meine Mutter, betont heiter: »Nun, offensichtlich wird mein Sohn allmählich zum gestandenen Seemann.«

DIE LETZTE SCRIPPS-EXKURSION wurde von Carl Hubbs geleitet, einem Inbegriff des zerstreuten Professors. Er hatte eine Feldstation errichtet, um das Meeresleben nahe Punta Banda auf der mexikanischen Halbinsel Niederkalifornien zu erforschen. Ich kletterte in seinen Pickup und wir machten uns auf in Richtung Grenze. Als wir uns einer Militärkontrollstelle näherten, blickte er mich an: »Du hast kein Visum, oder?« Ich wusste noch nicht einmal, was das war. In Mexiko war ich schon einmal gewesen, damals hatte ich nur meinen Führerschein dabei, doch um dort zu arbeiten, brauchte man ein Visum. Dr. Hubbs riss das Steuer herum und steuerte direkt in ein Feld, mähte eine Pflanzenreihe um und umging den Checkpoint. Ich war kurz davor, mich zu übergeben. Immerhin landeten wir nicht in einem mexikanischen Gefängnis.

Die Feldstation war dürftig ausgestattet und bestand nur aus ein paar Armeezelten auf einer felsigen Klippe, mit Blick auf eine Siedlung aus Strandhütten. Da die Zelte sich wie Öfen aufheizten, schliefen wir unter freiem Himmel. Die Arbeit war monoton und anstrengend. Ich stapfte umher und maß Windgeschwindigkeit und Wassertemperatur. Einmal zog ich los zum Angeln, um den alltäglichen Konservendosen zum Essen zu entgehen. Doch als ich mit meinem ersten Fang zurückkam, wurde er sofort von Dr. Hubbs beschlagnahmt und in Formaldehyd versenkt.

Kurze Zeit später musste Dr. Hubbs für eine andere Studie nach Alaska reisen und ließ mich in der Obhut von zwei frisch promovierten Scripps-Forschern zurück. Noch am selben Abend fuhren sie mit mir in die Stadt – um, wie sie sagten, sich endlich ein echtes Abendessen zu gönnen. Ehe ich mich versah, fand ich mich in der ersten Reihe eines mexikanischen Stripklubs wieder. Meine Begleiter waren vermutlich nicht unschuldig daran, dass irgendwann eine der Oben-ohne-Damen mit wackelndem Oberkörper auf mich zutanzte. Ich verfiel in Schockstarre. Na ja, ich war einfach ein argloser Junge, der einen ersten Eindruck davon erhaschte, wie es in der Welt da draußen wirklich zuging. Egal wie sehr sie sich auch bemühte – mein Blick blieb fest auf ihr Gesicht gerichtet, während die beiden anderen ihr einen Geldschein nach dem anderen in den Stringtanga steckten.

Noch etwas anderes brachten mir die beiden bei. Ich erzählte, dass ich im Hauptfach Meeresbiologie studieren wollte, genau wie sie, doch sie zerrissen meine Idee förmlich in der Luft: »Alles, nur nicht das!«, sagten sie. »Es gibt in diesem Gebiet einfach überhaupt keine Jobs.«

Das spukte noch in meinem Kopf herum, nachdem sie mich allein im Lager zurückgelassen hatten, um wieder nach San Diego zu fahren. Es herrschte schreckliche Hitze und ich kippte rund um die Uhr Wasser in mich hinein. Einmal auch aus einem offenen Fass, auf dem »Quellwasser« stand. Ich verlor das Bewusstsein, und als ich wieder zu mir kam, musste ich mich pausenlos übergeben. Phasenweise halluzinierte ich. Ich hatte Angst zu sterben; dann Angst, nicht zu sterben. Später stellte sich heraus, dass das Wasser nicht für Menschen gedacht war, sondern als Kühlwasser für den Jeep. Damit nicht genug, hatte ich mir auch noch einen Kaktusdorn in den Fuß gerammt, der sich dort entzündete.

Endlich kehrte Dr. Hubbs zurück. Er entfernte den Dorn aus meinem Fuß und brachte mich nach Hause. Als ich dort ankam, sagte ich: »Dad, ich will ganz bestimmt kein Meeresbiologe werden.«

Doch für irgendeine Universität und irgendein Hauptfach musste ich mich entscheiden. Unaufhaltsam kam die Collegezeit auf mich zu. Trotz all der schlechten Erlebnisse wusste ich, welche Zukunft mir vorschwebte. Ich wollte da draußen sein, im praktischen Einsatz, das Gebiet hinter der nächsten Landspitze erkunden, wissenschaftliche Leistung mit körperlicher Betätigung verbinden.

Ich wollte Kapitän Nemo sein. Nach Hollywood würde ich es vielleicht nicht schaffen; doch auf dem Meeresboden umherzuwandern, das war mein Ziel.

KAPITEL 2

SCHWEIZER TASCHENMESSER

Das College stand vor der Tür, und erst kurz zuvor waren wir nach Long Beach gezogen, in eines dieser klassisch-kalifornischen Häuser mit Halbgeschossen, die oft in Fernsehserien zu sehen waren, wenn es um die Sonnenseite des Lebens ging – mit Palmen und dem ganzen Drumherum. Ich weiß noch, wie ich am Küchentisch das Vorlesungsverzeichnis der University of California in Santa Barbara wälzte. Es war zweieinhalb Zentimeter dick.

Eifrig blätterte ich von Seite zu Seite, von Hauptfach zu Hauptfach, von Kurs zu Kurs. Das College kam mir vor wie ein einziges riesiges Bufett, und ich wollte mir nicht einen Bissen davon entgehen lassen.

Dass ich Meeresforscher werden wollte, wusste ich. Das war beschlossene Sache. Aber Meeresforschung war ein Aufbaustudiengang. Voraussetzung war eine solide Grundlage in einer der Naturwissenschaften. Wegen meiner Verbindungen zum Scripps und meiner Teilnahme an den Exkursionen war ich ziemlich zuversichtlich, später dort promovieren zu können. Also machte ich mich auf die Suche nach einem Hauptfach, das mich in eine perfekte Ausgangsposition dafür bringen würde. Dr. Revelle hatte mir empfohlen, Mathematik, Chemie, Physik oder Geologie zu studieren. Dann stieß ich auf etwas, das sich »Studium der Naturwissenschaften« nannte. Der Studiengang war ambitioniert. Aus den obigen vier Fächern waren zwei im Hauptfach, die anderen beiden im Nebenfach zu belegen und die Studiendauer betrug fünf Jahre. Vielleicht hätte ich es angesichts meiner Schwierigkeiten mit Texten und Prüfungen etwas langsamer angehen sollen. Im sprachlichen Teil des Eignungstests hatte ich nur 444 von 800 möglichen Punkten erzielt, im mathematischen Teil 538. Trotzdem war ich optimistisch, durch zusätzliche Sommerkurse sogar die Studiendauer auf viereinhalb Jahre verkürzen zu können. Das Studium war eine frisierte 450-PS-Version dessen, was Dr. Revelle vorgeschlagen hatte, und es würde ohne Zweifel Eindruck auf die Scripps-Jury machen – ganz zu schweigen von meinem Vater und meinem Bruder, der gerade im Turbogang sein Physikstudium in Berkeley absolvierte und auf die Promotion zusteuerte.

Also ging es ab an die UC Santa Barbara, deren Campus direkt oberhalb des Pazifiks lag und sich entlang traumhaft schöner Klippen und rund um eine eigene Lagune ausbreitete. Es verstand sich von selbst, dass ich mich einer Studentenverbindung anschließen würde, da mir die YMCA-Klubs so gut gefallen hatten. Für männliche Studenten waren zwei Jahre Mitgliedschaft im Ausbildungskorps für Reserveoffiziere (ROTC) verbindlich, und obwohl unser Campus an der Küste lag, konnte man den Dienst nicht bei der Navy, sondern ausschließlich bei der Army ableisten. Ich trat gerne bei, da ich in der Nähe von Militärstützpunkten groß geworden war und eine Verantwortung spürte, meinem Land zu dienen. Ein Basketballstipendium hatte ich zwar abgelehnt, weil mein Vater fürchtete, das könnte meinem Studium im Weg stehen, doch in der Mannschaft meines Jahrgangs spielte ich trotzdem. Nach der Schule und in den Ferien hatte ich gejobbt und ein bisschen Geld angespart, und eines Abends setzte sich mein Vater mit mir an den Küchentisch und ließ mich ein Budget aufstellen. Ich steigerte mich so sehr in die Planung hinein, dass ich Mom sogar nach der Zahl der Blätter auf einer Rolle Klopapier fragte, um meinen Bedarf zu ermitteln. Dad meinte, so genau müsste ich es nun auch wieder nicht nehmen.

In meinem ersten Semester schaffte ich in Chemie eine Eins, aber in Mathematik und Deutsch III konnte ich mich gerade noch so auf eine Drei retten. Während der Vorbereitung auf die Abschlussprüfung in Deutsch musste mir ein Weisheitszahn entfernt werden. Mitten beim Eingriff, so erzählte mir der Zahnarzt später, fing ich plötzlich an, seine Fragen auf Deutsch zu beantworten.

Als Hauptfächer wählte ich Geologie und Chemie – Geologie, weil Dr. Norris Meeresgeologe war, und Chemie wegen meiner Eins im ersten Kurs. Die Grundlagenkurse musste ich auch in Physik und Mathematik belegen.

In den meisten Fächern konnte ich mich mithilfe eines Tricks behaupten, den ich mir in meiner Highschool-Zeit beigebracht hatte: Ich machte gedanklich Fotos von meinen Aufzeichnungen und rief diese Bilder während der Prüfung wieder ab. Umso größer war der Schock, als ich in den Kursen zu Differenzialgleichungen und Organischer Chemie nur eine Vier bekam. Die Prüfungen bestanden zum Teil aus Textaufgaben und ich hatte Schwierigkeiten, mir eine begriffliche Vorstellung davon zu machen. Sobald die Wörter in meinem Kopf ankamen, zerbrachen sie einfach in 1000 Teile. Ich las sie aufs Neue, wieder und wieder, aber es war zwecklos.

Im Sommer darauf war ich für ein paar Ferienkurse eingeschrieben und arbeitete außerdem für die Ocean-Systems-Abteilung in der Firma meines Vaters, der North American Aviation. Nach Präsident John F. Kennedys Ankündigung eines bemannten Flugs zum Mond hatten Unternehmen wie North American, das heute zum Boeing-Konzern gehört, ihren Tätigkeitsbereich auf die Raumfahrt ausgedehnt und betrachteten zunehmend auch die Tiefsee als das nächste Gebiet, dessen Erkundung sich lohnen würde. Meine Aufgabe in diesem Sommer bestand darin, Hunderte von Karteikarten über die Geschichte von Tiefsee-Tauchbooten zusammenzustellen.

In meinem ersten Studienjahr wurde ich zum Jahrgangssprecher gewählt und schaffte es, ein Mädchen von klassisch-kalifornischer Schönheit und messerscharfem Verstand davon zu überzeugen, mit mir auszugehen. Ihr Name war Lana Rose. Gemeinsam gingen wir auf Verbindungsfeiern und Bälle, und einfach nur, weil ich derjenige war, mit dem sie ausging, gewann ich an Ansehen. Schon bald wollte ich sie voller Begeisterung meinen Eltern vorstellen. Leider kamen wir so spät zu Hause an, dass wir sie fürs erste Kennenlernen aus dem Bett werfen mussten. Doch sogar zu dieser späten Stunde erlagen alle ihrem Charme.

Es waren die frühen 1960er-Jahre und an den meisten Colleges wurden innenpolitische Debatten zunehmend hitzig geführt. Ich war in einem Eisenhower-Republikaner-Haushalt aufgewachsen und Santa Barbara war ein sehr konservatives Pflaster. Von JFKs Wirken in seinem Schloss Camelot in Washington bekam man nur wenig mit. Wir wussten, dass sich Collegestudenten in anderen Städten den Freedom Riders angeschlossen hatten, um sich für die Bürgerrechte im Süden des Landes einzusetzen. Doch von den tiefgehenden Erschütterungen, ausgelöst von den sozialen Unruhen, die schon bald jeden amerikanischen Campus in Aufruhr versetzen würden, war noch nichts zu spüren. Hier war nach wie vor die örtliche Gruppe der John Birch Society einflussreich, einer rechtsaußen-antikommunistischen Organisation. Ihre Mitglieder protestierten gegen einen Campusbesuch von Margaret Mead, der Anthropologin, deren Studien über Urkulturen einigen Rechten nicht in den Kram passten. Ich setzte mich in dieser Auseinandersetzung früh für das Recht auf freie Meinungsäußerung ein und schließlich konnte sie ihre Rede halten.

Das amerikanische Engagement in Vietnam war noch in einem frühen Stadium. Das Pentagon unterstützte Südvietnam, den Angriffen des Vietcong im Norden des Landes entgegenzutreten, indem es Berater entsandte. Allerdings zweifelte von den Offizieren, die unser ROTC-Programm leiteten, keiner daran, dass die Vereinigten Staaten letztlich Truppen dorthin entsenden würden. Richtig bewusst wurde mir das zu Beginn des dritten Studienjahrs, als ich mich entscheiden musste, ob ich Offizier der Army werden oder aus dem ROTC ausscheiden wollte – wobei dann die Gefahr bestand, nach dem Abschluss zum Militärdienst eingezogen zu werden.

Wenn die Pflicht ohnehin bald rufen würde, wollte ich ihr mit dem goldenen Streifen eines Offiziers oder dem Abzeichen eines einfachen Soldaten begegnen? Und vielleicht noch wichtiger: Hatte ich Talent für Menschenführung und fand ich Gefallen daran?

Das wollte ich herausfinden.

Offen gestanden: Das ROTC-Programm machte mir Spaß. Schon in Sportteams und bei den Pfadfindern hatte ich gern Uniform getragen – ich verband damit positive Eigenschaften wie Disziplin und Teamfähigkeit. Beim ROTC kleideten wir uns jeden Donnerstag vor dem Exerzieren in Khaki oder Wintergrün und verbrachten folglich die Mittwochabende damit, unsere Schuhe mit Spucke auf Hochglanz zu polieren. Außerdem war ich ein talentierter Schütze. Als ich noch ein Junge war, hatte mein Vater mir sein .22-Gewehr geschenkt, und es kam auch zum Einsatz – beim Besuch bei meinen Großeltern in den Hügeln um San Diego, wo die Walnussfarmer von einer Eichhörnchenplage belästigt wurden. Pro Schwanz erhielt ich 25 Cent, und da ich die Munition selbst bezahlte, musste jeder Schuss sitzen. Jahr für Jahr stieg ich in der ROTC-Hierarchie weiter auf. Im zweiten Studienjahr wurde ich mit dem Spitzenplatz unter den Kadetten ausgezeichnet, und nachdem ich mich entschieden hatte, dabeizubleiben und Offizier zu werden, wurde mir dieser Titel im Jahr darauf erneut verliehen.

Beim ROTC bekam ich auch ein Gefühl dafür, wie stark visuell orientiert ich bin. Offiziere der Air Force besuchten unsere Einheit mit einem Flugsimulator: Wir sollten sie informieren, sobald wir Hunderte Meter unter uns auf dem Boden einen Panzer ausmachen konnten. Kaum hatten sie den Simulator gestartet, sagte ich: »Da ist er.« Einer von ihnen meinte: »Verdammt, du hast recht!« Nachdem mir das wieder und wieder gelungen war, fragten sie mich, ob ich in die Air Force eintreten wollte.

Die wichtigere Prüfung erwartete mich im Sommer nach dem dritten Studienjahr, als ich sechs Wochen in Fort Lewis südlich von Tacoma im Bundesstaat Washington verbrachte, um an einem sogenannten Reaktionstraining für Führungskräfte der Army teilzunehmen. Im Prinzip ging es den Ausbildern darum, uns in Belastungssituationen aus dem Gleichgewicht zu bringen, um uns zu testen – und sie waren nicht zimperlich. So konnte einer von ihnen plötzlich sagen: »Sie sind tot!«, obwohl man alles richtig gemacht hatte. Man hatte dann einfach Pech gehabt und war von einer imaginären Mörsergranate erwischt worden. Einmal wurde tatsächlich ein Drill Sergeant getötet, als ein Kadett aus nächster Nähe versehentlich einen Schuss in seine Nierengegend abfeuerte. Wir benutzten Platzpatronen, doch aus so kurzer Entfernung können sogar die tödlich sein.

Wir wurden in Trupps aufgeteilt, die üblicherweise aus je vier Kadetten bestanden. Zwei Trupps bildeten eine Gruppe und vier Gruppen einen Zug. Jeden Abend wurde uns ein Rang für den nächsten Tag zugewiesen. Immer einer von uns leitete einen Trupp und erhielt eine Mission, und wenn die im Gange war, änderten die Ausbilder das Missionsziel oder »töteten« den Anführer – einfach nur um zu sehen, wie wir uns an die neue Situation anpassten. Dabei schrien sie einen ständig an. So wusste man rasch, ob man das alles schaffen würde. Irgendwann musste sich jeder fragen: Bin ich Anführer oder Mitläufer?

Eine der Missionen bestand darin, einen feindlichen Soldaten gefangen zu nehmen, während die eigene Gruppe sich durch bewaldetes Gelände auf die Frontlinie zubewegte. Dort befand sich ein Minenfeld zu unserer Linken, ein Minenfeld zur Rechten und eine Barriere aus NATO-Draht direkt vor uns. Der erste Kadett kam noch durch den Stacheldraht, doch dann, als sich der zweite am Hindernis befand, eröffnete der Feind das Feuer. Was tun? Die Gruppe war jetzt zweigeteilt. Wird der Anführer dem im Stacheldraht gefangenen Kameraden befehlen, sich flach hinzulegen, damit der Rest der Gruppe auf seinem Rücken das Hindernis passieren kann – auch wenn dieser eine dabei in den rasiermesserscharfen Draht gedrückt wird? Das wollte man mit diesem Test herausfinden. Der Grundgedanke war, den Feind zurückzudrängen, die Gruppe wieder zu vereinen und dann den Mann aus dem Draht zu befreien und seine Wunden zu versorgen, bevor die Mission fortgesetzt wurde.

Ein anderes Mal inspizierte der Drill Sergeant beim Morgenappell unsere Gesichter, ob wir eine »ordentliche Militärrasur« hatten, wie er das nannte. Er gab sich erst zufrieden, als wir uns so gründlich rasiert hatten, dass jeder kleine Schnittwunden im Gesicht hatte. Zur ersten Übung traten wir zwischen Zelten auf einem Feld an. Wir wurden angewiesen, Gasmasken aufzusetzen und in eines der Zelte zu gehen, wo aus einer Blechmülltonne Tränengas ausströmte. Man befahl uns, die Maske abzunehmen und Name, Rang sowie Kennziffer zu nennen. Sobald wir unsere Masken abgenommen hatten, fingen die Rasurverletzungen an zu brennen, als ob uns jemand Säure ins Gesicht geschüttet hätte. Manche schafften es gerade noch, Namen und Rang richtig zu sagen. Aber spätestens bei der Kennzahl verloren alle die Beherrschung und brachen in heftiges Husten aus.

Dann – vor dem Hintergrund des schneebedeckten Gipfels von Mount Rainier, im einsetzenden Regen – versammelten wir uns auf einer Metalltribüne und der Sergeant erklärte uns, was im Fall eines Nervengasangriffs zu tun war. Jeder von uns erhielt ein Röhrchen mit einer Nadel daran, die als Spritze mit dem Gegenmittel dienen sollte. »Stehen Sie auf«, hieß es, »lassen Sie Ihre Kampfanzüge bis zu den Knöcheln runter und setzen Sie sich wieder hin.«

»Jetzt nehmen Sie das Röhrchen fest in Ihre Hand und die Nadel zwischen Zeige- und Mittelfinger«, sagte der Sergeant. »Das Kommando lautet ›eins, zwei, rein damit‹, und auf ›rein damit‹ stoßen Sie die Nadel in Ihren Oberschenkel; etwas seitlich versetzt, damit Sie den Knochen nicht erwischen.«

Angespannt warteten wir auf das Kommando – mit der Hose an den Knöcheln und der Nadel in der Hand. »Eins, zwei, los!«, schrie der Sergeant, und alle stießen die Nadel in den Oberschenkel.

Der Sergeant sah uns böse an. »Ich habe nicht ›rein damit‹ gesagt«, knurrte er. »Also ziehen Sie sie wieder heraus; wir beginnen noch mal von vorn.«

Wir rissen die Nadeln heraus. Mit Regentropfen vermischtes Blut rann an unseren Beinen hinab. Ich konnte das Geräusch von Helmen hören, die auf die Metalltribüne krachten; einige Kadetten waren ohnmächtig geworden. Der Rest von uns hörte beim nächsten Mal genauer hin.

»Jetzt werde ich herumgehen und hinten auf das Röhrchen klopfen, um zu prüfen, ob die Nadel tatsächlich ganz eingedrungen ist«, sagte er. Nach dieser reizenden Einweisung und nach Abschluss seines schmerzhaften Klopftests wurden wir angewiesen, uns erneut in Formation aufzustellen.

Als Brigadekommandeur an diesem Tag musste ich die Züge beim Marsch über das Feld anführen. Dabei wurden wir aus heiterem Himmel von der Seite mit Gaskanistern beworfen, woraufhin die meisten Männer zu Boden fielen und einen Würgekrampf bekamen. Da ich an der Spitze marschierte, war ich vom Gas verschont geblieben; doch der Sergeant machte mir Beine, als ich vom Feld herunterkam. »Kadett Ballard! Wo sind Ihre Männer? Zurück aufs Feld! Und kommen Sie erst zurück, wenn jeder einzelne Ihrer Männer versorgt ist!« Wenig später lag ich genau wie meine Kameraden auf dem Boden und erbrach mich.

Im Laufe dieser sechs Wochen kämpften wir mit Bajonetten und robbten unter Stacheldraht entlang, während scharfe Schüsse über unsere Köpfe hinwegpfiffen. Ich wurde zu einem erfahrenen Gewehrschützen, erzielte 94 von 100 möglichen Punkten, und in Bezug auf körperliche Leistungsfähigkeit landete ich von 1400 Kadetten auf dem sechsten Platz. Außerdem gewann ich Erkenntnisse, die in gefährlichen Momenten später auf See von entscheidender Wichtigkeit für mich waren. Ich lernte, dass man erst im Ernstfall beurteilen kann, wie ein Mensch wirklich gestrickt ist – ob er sich davonmacht oder die Stellung hält. Einige verließ der Mut, wenn der Sergeant sie anbrüllte; andere flippten aus, wieder andere schmissen hin. Mir aber kam es in diesen Augenblicken höchster Anspannung so vor, als liefe alles in Zeitlupe ab. Ich wurde äußerst ruhig, beobachtete, dachte nach und versuchte zu begreifen. Ich lernte, dass Führung auch bedeutet, seine Leute um sich zu versammeln, wenn etwas schiefläuft.

Doch ebenso wurde mir beigebracht, dass ich jeden Deserteur sofort erschießen sollte, da ich sonst alle anderen mit verlieren könnte. Hätte ich das an der Front jemals getan? Wahrscheinlich. Hätte ich danach je wieder meinen Frieden gefunden? Wahrscheinlich nicht.

ICH WAR IM HÖHENFLUG, als ich aus Fort Lewis zurückkam. Im Spätsommer absolvierte ich ein paar Ferienkurse in Los Angeles an der UCLA. Ich traf Arthur Ashe, den späteren Wimbledonsieger, der nach Erhalt seines Tennisstipendiums frisch hier angekommen war – und ich schlug ihn sogar in einem Tennisturnier. Wieder zurück in Santa Barbara, wo das vierte Studienjahr anstand, lief alles hervorragend. Ich wurde stellvertretender Brigadekommandeur unserer ROTC-Einheit. Wenn nötig, konnte ich einen mürrischen Monolog halten wie ein grummeliger General oder auch in einer mitreißenden Ansprache alle zusammentrommeln. Menschenführung lag mir. Meine Fortgeschrittenenkurse in Geologie und Chemie genoss ich. Außerdem hatten Lana und ich uns verlobt und meine Bundesbrüder in der Verbindung beneideten mich darum.

Doch dann, im Frühjahr des darauffolgenden Jahres, verdüsterte sich alles. Aus heiterem Himmel ließ Lana mich sitzen. Ich war wie benommen und schämte mich. In jenem Sommer verbrachte ich sehr viel Zeit beim Gerätetauchen – häufig an der Küste von Big Sur, südlich der Monterey-Halbinsel. Meinem Vater erzählte ich, dass es mir dabei um wissenschaftliche Erkenntnis ging. Aber vermutlich spürte er, dass ich meine Gedanken in andere Bahnen lenken wollte, weit weg von Lana – und vielleicht auch von meiner Zukunft.

Für mein Aufbaustudium hatte ich fest das Scripps im Visier. Immer wieder redete ich mir ein, dass die eine schlechte Note sie nicht abhalten würde, mich in ihr Promotionsprogramm aufzunehmen. Schließlich hatte ich während der Highschool ein Praktikum dort gemacht und den Kontakt zu einigen der Funktionsträger gehalten. Da das Scripps Forschung für das Militär betrieb, war ich auch im Glauben, dass mein Aufenthalt in Fort Lewis und mein Titel als Ausgezeichneter Absolvent einer militärischen Ausbildung des ROTC dort auf Anerkennung stoßen würde.

Aber ganz im Hinterkopf war da auch schon ein kleines Fragezeichen. Als ich mein neuntes und letztes Semester an der UC Santa Barbara begann, lag mein Notendurchschnitt etwa bei 2,0. Nicht sonderlich gut für eine Bewerbung am Scripps, aber ich hoffte, mein interdisziplinärer Studiengang würde das wettmachen.

Zur Bewerbung fuhr ich hinunter nach La Jolla, um dort ein Aufnahmegespräch mit Fred Noel Spiess zu führen, dem Direktor des Labors für Meeresphysik am Scripps-Institut. Er hatte im Zweiten Weltkrieg 13 U-Boot-Patrouillen mitgemacht und überlebt, wofür er mit militärischen Ehrenmedaillen ausgezeichnet worden war. Er hatte einen Harvard-Abschluss als Master im Bereich Ingenieurwesen und war in Berkeley zum Doktor der Physik promoviert worden. Und er war ein respekteinflößender, herausragender Meeresforscher.

Ich hatte ihn nie zuvor getroffen und ging voll Begeisterung in unser Gespräch. Er hingegen war kalt und distanziert. Die Unterredung dauerte nicht sehr lang und ich erinnere mich, wie ich beim Hinausgehen dachte: »Oh je, ob daraus etwas wird?«

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten und kam in einem Brief von Dr. Spiess. Man hatte mich abgelehnt.

Ich wusste, dass das passieren konnte. Trotzdem kam es mir jetzt vor, als würden alle meine Träume platzen. Verzweifelt stellte ich mich selbst infrage. »Ich bin einfach nicht zum Meeresforscher geschaffen«, dachte ich.

Schlimmer noch war der Gedanke, dass ich es anders hätte angehen können. Ich hatte mich für einen irrsinnig schweren Studiengang entschieden. Es war einfach zu viel. Der Sport, die Studentenvertretung, das Verbindungsleben, das ROTC. Ich war wie ein Schweizer Taschenmesser – in vielen Bereichen ziemlich gut, aber auf keinem Gebiet meisterhaft. Ich hätte mich einschließen und mehr lernen sollen.

Außerdem fand ich später heraus, dass die Empfehlungsschreiben, auf die ich gebaut hatte, scharfen Tadel enthielten. Mein Studienberater, Dr. Norris, nannte mich darin »umgänglich«, doch mit etwas zu starkem Interesse am »gesellschaftlichen Treiben«. Ein anderer Professor lobte meine »dynamische, aufgeschlossene Persönlichkeit« und betonte, wie überaus vielseitig ich war, von »ungewöhnlicher Begabung« – doch »nur bereit, so viel zu leisten wie nötig, um das Studium mit Prädikat abzuschließen, mehr jedoch nicht«.

Wahrscheinlich erzählte ich auch meinem Bruder von der Absage, doch zu diesem Zeitpunkt standen wir uns nicht mehr so nahe, als dass ich seinen Rat gesucht hätte. Außerdem war er inzwischen verheiratet und saß gerade in Berkeley an seiner Doktorarbeit im Bereich Teilchenphysik. Angesichts seiner Erfolge fühlte ich mich noch mehr wie ein Versager.

Die Flamme wurde ganz schwach. Alle schienen mir zu raten, hinzuschmeißen und stattdessen Verkäufer zu werden, ins Geschäftsleben einzusteigen oder Ähnliches. Mir war klar: Ich musste mich aufraffen, mich selbst so aufmuntern, wie ich es im Umgang mit der Truppe gelernt hatte. Im Angesicht der feindlichen Bedrohung weiter vorwärtsmarschieren. Ich dachte an mexikanische Boxer im Fernsehen, wie diese kleineren Kämpfer ihren Gegnern zu sagen schienen: »Du wirst dir noch in meinem Gesicht die Hand brechen.« Kaum hatten sie einen Schlag erlitten, rappelten sie sich schon wieder auf. Diese Eigenschaft bewundere ich an Menschen.

Also rappelte auch ich mich wieder auf.

MEINE LEIDENSCHAFT FÜR DAS MEER kehrte zurück und wie besessen begab ich mich auf die Suche nach neuen Optionen. Da ich nur Scripps vor Augen hatte, hatte ich keine Recherchen über andere Graduiertenprogramme angestellt. Meine Verlobte war verloren, mein Traum zerplatzt – ich wollte an einen Ort, wo ich niemanden kannte. Da fand ich heraus, dass die Universität von Hawaii in Manoa, einem Stadtteil von Honolulu, einen Masterstudiengang in Meeresforschung anbot und ihn bald um ein Doktorandenprogramm erweitern wollte. Das war zwar nicht Scripps, aber es verschaffte mir wieder eine Perspektive.

Ich musste so schnell nach Honolulu reisen, dass ich sogar die Abschlussfeier in Santa Barbara verpasste. Nachdem ich die Army um einen Aufschub vom aktiven Dienst gebeten hatte, machte ich mich auf die Suche nach einem Nebenjob. In seinem Unterstützungsschreiben war Dr. Norris vielleicht nicht als mein größter Fürsprecher aufgetreten, aber er erzählte mir doch von seinem Bruder Ken – einem UCLA-Professor, der im Sommer Wal- und Delfinforschung am Oceanic Institute östlich von Honolulu betrieb. An das Institut war der Sea Life Park angeschlossen, ein Aquarium mit Delfin- und Walshows. Ich lieh mir ein Moped, brauste dorthin und hatte kurz darauf gleich zwei Jobs in der Tasche: Ich sollte Delfine und Wale für die Touristenshows trainieren und Ken Norris im Sommer bei der Forschung unterstützen.

Die Sonne, die tropische Brise und das Herumtoben mit Delfinen entpuppten sich als großartige Mittel, um mich wieder aufzubauen. Delfine sind soziale Wesen. Sie genießen es, wenn man sie streichelt. Wir schrieben das Jahr 1965 und an einem Ort wie dem Sea Life Park kamen damals niemandem ernsthafte Zweifel, wenn es darum ging, den Tieren allerlei unterhaltsame Tricks beizubringen. In der Walfängerbucht paddelten hawaiianische Mädchen in Kanus im Becken herum und schwammen mit den Tieren. Im gläsernen Tümmlerschaubecken zeigten wir das Training und die Intelligenz der Delfine. Sie schwammen nicht einfach nur herum, machten Luftsprünge oder führten auf der Schwanzflosse stehend Hula-Tänze auf. Wir schafften es, ihre Fähigkeiten auf eine höhere Ebene zu heben.

Einem meiner Lieblinge – Keiki, einem Großen Tümmler – brachte ich bei, Schwimmringe in sein »Sparschwein« zu befördern, einen Fahrradkorb knapp unter der Wasseroberfläche. Danach sollte er die Ringe zu mir bringen. Ich gab ihm je einen Fisch für einen weißen, fünf Fische für einen roten und zehn für einen blauen Ring. Er begriff schnell und brachte mir fortan die blauen Ringe zuerst. Während der Show »verdiente« er sich diese Ringe, die er aber so lange in seinem »Sparschwein« aufbewahrte, bis er sie in Fische umtauschen konnte.

Es gab vier Auftritte am Tag, und so lernte ich, das Publikum einzuschätzen und durch improvisierte Einlagen bei Laune zu halten. Die Abende verbrachte ich mit den anderen Delfintrainern in Waikiki. Eine Trainerin war die Tochter eines lokalen Radiomoderators und dadurch genossen wir in unseren Stammrestaurants ein kleines bisschen PromiSonderstatus. Nach dem Essen besuchten wir oft die Auftritte von Don Ho, dem hawaiianischen Sänger, dem bald darauf mit seinem Lied Tiny Bubbles der landesweite Durchbruch gelingen sollte. Der Trick war, erst kurz vor dem Ende seiner letzten Show anzukommen, sodass wir nur noch einen Drink bestellen mussten statt der üblichen zwei.

Ich war wieder auf der Suche nach einer Partnerin. Ein hübsches, braunhaariges Mädchen, Marjorie Hargas, wohnte auf der anderen Straßenseite und kam eines Tages herüber, um sich vorzustellen. Sie hatte einen Teil ihrer Kindheit genau wie mein Vater in Montana verbracht und sich dann aufgemacht, allein die Welt zu erkunden; ihr erster Stopp war Hawaii. Ich fand das ziemlich mutig. Zusammen kurvten wir in meinem heiß geliebten 1958er Chevy-Impala-Cabriolet herum. Die Impalas waren in dem Jahr erstmals auf den Markt gekommen und seitdem wollte ich so einen besitzen. Diesen fand ich zum Schnäppchenpreis direkt in Honolulu, die Farbe war eine Art Lila, also nannten wir ihn »Die Traube«.

Als ich in jenem Winter über Weihnachten nach Hause kam und Mom erzählte, dass ich Margie weinend am Flughafen in Honolulu zurückgelassen hatte, schickten ihr meine Eltern ein Flugticket, damit sie mit uns feiern konnte. Damals heiratete man früher als heute. Auch wenn mich meine Eltern nicht unter Druck setzten, wusste ich doch, dass sie sich über eine Hochzeit freuen würden. Richard war seit drei Jahren verheiratet und sie hatten bereits einen Sohn. Margie einen Antrag zu machen kam mir also einfach richtig vor. Wir hatten Spaß zusammen und mein Idealbild einer Ehe war noch immer das, mit dem ich selbst aufgewachsen war. Ich kaufte einen Ring für sie, und als wir nach Hawaii zurückkehrten, waren wir verlobt.

AN DER UNIVERSITÄT LIEF ALLES NACH PLAN und meine Arbeit für Dr. Norris war faszinierend. Wir untersuchten, wie schnell Delfine schwimmen und warum sie in große Tiefen tauchen können, ohne Embolien zu erleiden so wie andere Säugetiere oder Menschen.

Ich wusste nicht, dass Delfintrainer des Instituts an einem streng geheimen Navy-Forschungsprojekt mitarbeiteten, bis mich eines Tages die Anfrage erreichte, Delfine zur Tötung feindlicher Taucher in Vietnam abzurichten. Offenbar entsandte der Vietcong nachts Schwimmer in die Bucht von Cam Ranh, um Sprengstoff an amerikanischen Versorgungsschiffen anzubringen. Da die Bucht voller Treibgut war, konnte man die Schwimmer nur schwer von anderen Sonarzielen unterscheiden. Man erhoffte sich von den Delfinen, dass sie die Taucher entdecken und ihre Trainer informieren würden. Die Trainer sollten dann einen Speer mit einem Gaskanister auf der Nase des Delfins befestigen. Das Tier würde zurückkehren und den Speer in die Brust des Tauchers rammen und ihn damit töten.

Mir erschien es nicht richtig, die Tiere dieser Situation auszusetzen, darum lehnte ich das Angebot höflich ab.

Wenig später hatte ich ein weiteres verstörendes Erlebnis in Bezug auf den Vietnamkrieg. Einer meiner Kameraden aus dem ROTC arbeitete inzwischen beim militärischen Nachrichtendienst und war auf Heimaturlaub, als ich mich mit ihm und einem Freund am Fort DeRussy, einem Militärstützpunkt am Waikiki-Strand, auf ein paar Drinks traf. Mehrmals fragte ich, was genau ihre Aufgabe in Vietnam sei, bis mein Freund schließlich sagte: »Das willst du gar nicht wissen.« Oh doch, beteuerte ich, weil ich wahrscheinlich selbst bald dort im Einsatz sein würde.

Einige Drinks später wurde er offener. »Na schön, ich sage dir, was dich erwartet«, sagte er. »Du nimmst drei frisch von der Patrouille aufgegriffene Vietcong mit auf einen Flug im Hubschrauber, wirfst zwei von ihnen raus und verhörst dann den dritten.«

In dieser Nacht tat ich kein Auge zu. Nie im Leben wollte ich mich an so etwas beteiligen. Gleich am nächsten Morgen ging ich zur Rekrutierungsstelle des Marinestützpunkts Pearl Harbor und füllte ein Formular aus, in dem ich einen Wechsel von der Army zur Navy beantragte, was jedem Ausgezeichneten Absolventen einer militärischen Ausbildung zustand. Dann flogen Margie und ich nach Kalifornien, um zu heiraten – und, wie ich dachte, um uns dort niederzulassen. Mein Chef während des Praktikums in der Firma meines Vaters – Andreas »Andy« Rechnitzer, eine Legende im Bereich der Tiefseeforschung – hatte mir eine Vollzeitstelle in meiner alten Heimat Long Beach angeboten, wo ich helfen sollte, ein Tiefsee-Tauchboot für die Ölindustrie zu entwerfen. Das Unternehmen war auch bereit, mir eine Promotion an der University of Southern California finanziell zu ermöglichen. Das Angebot erschien mir als perfekte Gelegenheit, wieder ein höheres Tempo anzuschlagen.