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Jürgen Zichnowitz

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Beschreibung

Eine gewaltige Explosion im Hafen reißt am 13. Oktober 1969 frühmorgens die Hamburger aus dem Schlaf. Unbekannte haben versucht, auf der Werft Blohm + Voss eine Korvette zu versenken, ein Kriegsschiff zur Bekämpfung von Aufständischen in den portugiesischen Kolonien. Fluchtpunkt Paris - danach wieder politisch bewegte Zeiten in Hamburgs alternativer Szene. Manch leidenschaftliche Liebe begleitet die beiden Aktivisten im Kampf gegen AKWs und für den Frieden. Trotz unterschiedlicher Lebenswege bleiben sie enge Freunde und stoßen auf neue rechte Netzwerke, die ihre persönlichen Pläne vehement bedrohen.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Erster Brief von Alda an Hans, Paris, Oktober 1969

„Bonjour Hans, vielleicht bist Du überrascht, von mir zu hören. Ich wollte Dir nur schnell schreiben, dass ich Dir viel Erfolg für Eure Aktion wünsche. Es wäre schön, wenn wir uns danach einmal wiedersehen könnten. Liebe Grüße, Alda!“

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 - 13. Oktober 1969, 6.32 Uhr

Kapitel 2 – 1. Oktober 1968

Kapitel 3 – November 1968

Kapitel 4 – Februar 1969

Kapitel 5 – April 1969

Kapitel 6 – Mai 1969

Kapitel 7 - 13.Oktober 1969

Kapitel 8 – 13. Oktober 1969 nachmittags

Kapitel 9 – 14. Oktober 1969

Kapitel 10 – 15. Oktober 1969

Kapitel 11 – 16. Oktober 1969

Kapitel 12 – Ende Oktober 1969

Kapitel 13 – Februar 1970

Kapitel 14 – März 1970

Kapitel 15 – Juni 1970

Kapitel 16 – Juni 1970

Kapitel 17 – Juni 1970

Kapitel 18 - Juli 1970

Kapitel 19 – Juli 1970

Kapitel 20 – Juli 1970

Kapitel 21 – Juli 1970

Kapitel 22 - 12. September 1970

Kapitel 23 – September 1970

Kapitel 24 - März 1971

Kapitel 25 – April 1971

Kapitel 26 – Juni 1971

Kapitel 27 – Jahreswechsel 1971/1972

Kapitel 28 - März 1972

Kapitel 29 – März 1972

Kapitel 30 – April 1972

Kapitel 31 – September 1972

Kapitel 32 – Mai 1973

Kapitel 33 – Sommer 1973

Kapitel 34 – August 1973

Kapitel 35 – August 1973

Kapitel 36 – September 1973

Kapitel 37 – September 1973

Kapitel 38 – April 1974

Kapitel 39 – März 1975

Kapitel 40 – Sommer 1976

Kapitel 41 – Herbst 1976

Kapitel 42 – 13.11.1976

Kapitel 43 – 16. November 1976

Kapitel 44 – Weihnachten 1976

Kapitel 45 – Februar 1977

Kapitel 46 – Frühjahr 1978

Kapitel 47 – November 1979

Kapitel 48 – 26. September 1980

Kapitel 49 – November 1980

Kapitel 50 – Frühjahr 1981

Kapitel 51 – Juni 1981

Kapitel 52 – 10. Oktober 1981

Kapitel 53 – Mai 1982

Kapitel 54 – Juni 1982

Kapitel 55 – 22. Oktober 1983

Kapitel 56 – Frühjahr 1984

Kapitel 57 – Frühjahr 1984

Kapitel 58 – 8. Juni 1986

Kapitel 59 – Juni 1988

Kapitel 60 – Mai 1989

Kapitel 61 – 19. August 1989

Kapitel 62 – 9. November 1989

Kapitel 63 – Dezember 1989

Kapitel 64 – August 1990

Kapitel 65 – September 1990

Epilog – 3. Oktober 1990

Glossar

Kapitel 1 - 13. Oktober 1969, 6.32 Uhr

Eine Explosion erschüttert den Hamburger Hafen

„Wann macht der Kerl eigentlich mal Pause?“

Ole guckt vorsichtig über die Mauer und stöhnt leise. Der Werkschutzfritze von Blohm + Voss latscht den Kai rauf und runter und blickt aufs Wasser. Ole kauert sich wieder hinter die Mauer. Sein Kumpel Hans ist allmählich genervt:

„Mann, hat der Zeit.“

Gar nicht lange her, da haben die beiden noch bei Blohm + Voss gelernt. Jetzt haben sie ihren Gesellenbrief in der Tasche und planen etwas ganz anderes – eine revolutionäre Aktion für die internationale Solidarität. Vor ein paar Tagen schnitten sie ein Loch in den Zaun und tarnten es sorgfältig mit Büschen. Nur einen Steinwurf entfernt im Dock liegt ihr Ziel, die „João Coutinho“. Die Korvette soll, nach Fertigstellung auf der Werft, Richtung südliches Afrika auslaufen – Seeunterstützung im Kampf Portugals gegen die Aufständischen in seinen Kolonien Angola und Mozambique.

Ole und Hans haben sich ein paar Nächte um die Ohren geschlagen und die Routinerunden der Werkschutzmänner ausgekundschaftet: Irgendwann unterbrechen die ihren Rundgang und steuern den Getränkeautomaten an. Der ist weit weg. Ole peilt wieder über die Mauer: Der Werkschützer blickt zu den Sternen empor. „Hat der heute überhaupt keinen Durst!?“

Dann bricht der Wachmann die Erkundung des Himmels ab und setzt die Runde fort. „Bald wird’s hell, und um sieben fängt die Frühschicht an“,

Hans wird langsam nervös.

„Komm, wir verschieben die Sache auf morgen“, sagt Ole.

„Nee, wir ziehen das jetzt durch!“

Prompt verschwindet der Wachmann in seiner Bude. Er knipst eine Lampe an, schaltet das Radio ein und setzt sich mit einem Heft an den Tisch.

„Western oder Landser?“

„Wichsvorlage“, tippt Ole.

Der Werkschützer reißt eine Bierdose auf. „Sieh mal an“, staunt Hans, „na ja, wenn’s keiner mitkriegt – uns kann’s nur recht sein.“

Es geht los. Sie schnappen sich Plastiksprengstoff und Zeitzünder, den alten Wecker von Oles Großmutter. „Oma Martha war Anfang der dreißiger Jahre bei den Roten aktiv – sie wäre stolz auf uns.“

Auf Höhe der Korvette hat eine Schute festgemacht, Hans klettert die Leiter an der Kaimauer runter, Ole behält die Gesamtlage im Auge. „Scheiße, die „Coutinho“ ist zu weit weg!“

„Häng` die Ladung neben der Schute ins Wasser, das Zeug ist stark genug! Gibt ein schönes Loch!“

In einem Meter Wassertiefe zwischen Schute und Kriegsschiff deponiert Hans den Sprengstoff, kraxelt wieder zurück auf die Kaimauer und läuft gemeinsam mit Ole geduckt zurück zu ihrem Zaunloch.

„Ich hab‘ den Wecker auf halb sieben eingestellt, jetzt schnell die Polizei anrufen.“

Menschenleben wollen sie auf keinen Fall gefährden, das haben sie sich vorher geschworen. Also warnen, damit niemand dem Schiff zu nahe kommt. Schon sind sie auf der Straße, atmen tief durch und wollen eben zur Telefonzelle rennen, als Ole voller Panik einfällt „wir haben die Zange am Kai liegen lassen, damit können sie uns auf die Schliche kommen.“

Zurück zum Zaun, wieder durchgekrabbelt, die Zange sofort entdeckt und erneut zum Durchschlupf. „Halt, stehenbleiben!“

Ein anderer Wachmann ist aufgetaucht. Ole denkt nicht ansatzweise daran zu stoppen und schlüpft wieder auf die Straße. Glück gehabt, der Wächter unternimmt weiter nichts. Er hat seine Pflicht erfüllt und glaubt wahrscheinlich, Werftarbeiter seien eben mal ausgebüxt, um in der nahe gelegenen Kaffeeklappe etwas zu trinken. Das kommt häufiger vor. Rasch in die Telefonzelle, die vorbereiteten Groschen rausgeholt, den Hörer von der Gabel genommen, Groschen rein, klack, klack, sie fallen durch. Nochmal, die Finger zittern. Gleiches Ergebnis. Da erst entdeckt Ole den Zettel „Dieser Münzfernsprecher ist vorübergehend…“ „Scheiß, Mann, das geht schief!“

Richtung Haupteingang der Werft steht ein weiterer Apparat.

„Der ist zu nahe dran!“ „Egal, selbst wenn uns jemand sieht, weiß der doch nicht, wer wir sind, mit wem wir telefonieren und was wir sagen.“

Nach dreimal Tuten ist die Polizei an der Strippe.

„Dies ist eine ganz ernste Warnung. In einer Viertelstunde fliegt die João Coutinho bei Blohm und Voss in die Luft. Sorgen Sie dafür, dass absolut niemand in der Nähe ist.“ Nächster Anruf beim Werkschutz, gleicher Text.

„Und, haben sie’s geglaubt?“

„Weiß nicht, wenn nicht, geht eben einer vom Werkschutz drauf, hätte sich ja einen vernünftigen Job suchen können“, tut Hans jetzt ganz cool.

„Ey, du spinnst wohl!“

„War nicht ernst gemeint, ich ruf noch mal an.“ Die Reaktion des Werkschutzes ist jedoch eindeutig: Man ist in heller Aufregung und wird dafür sorgen, dass kein Mensch in die Nähe der Korvette kommt.

„Jetzt nicht laufen, aber schnell und unauffällig zu unserem Auto“.

Ole gibt sich umsichtig, atmet aber doch recht hektisch. In dem Moment, als sie den Wagen aufschließen, hören sie einen gewaltigen Rrumms, der wohl selbst an der Alster noch zu hören ist.

„Ha, es hat geklappt!“ Stolz grinsend sehen sie sich an und starten ihren Käfer.

„Jetzt folgt die zweite Phase“, meint Hans, „Paris, wir kommen!“

Sie haben vor, für einige Zeit das Land zu verlassen. Möglichst rasch, bevor man nach ihnen sucht. „Der 13. Oktober 1969 wird später als Gedenktag im Kalender stehen!“ ist sich Hans sicher.

Kapitel 2 – 1. Oktober 1968

Rückblick: Erste Sabotage-Pläne

Theaterbesuche waren eigentlich nicht Oles Sache. Als Kind hatte er sich mit seinen Eltern im Fernsehen Willy Millowitsch oder Stücke aus dem Ohnsorg-Theater angeguckt. Die Namen Schiller und Goethe sagten ihm natürlich was, für ihn waren das aber olle Kamellen. Zudem erlebten sie gerade turbulente Zeiten. Demos und Teach-ins, das war seine Welt, den plüschigen Theatersessel überließ er gern langweiligen Spießern. Irgendwann würden auch diese Typen merken, dass die Zeit überreif war, die alte Welt aus den Angeln zu heben. Doch ein Plakat des „Jungen Theaters“ an der Mundsburg hatte ihn neugierig gemacht. Ein Stück wurde angekündigt, dessen Autor er im Februar auf dem Vietnam-Kongress in der Westberliner TU erlebt hatte: Peter Weiß.

„Die Straße ist unser legitimes Massenmedium“ – diesen Spruch von Weiß hatte sich Ole gemerkt. Vor allem aber seinen Satz „Handeln muss zur Sabotage werden, wo immer diese möglich ist“. Den hatte Ole sich mit einem dicken schwarzen Filzstift in großen Lettern auf die Raufasertapete seines WG-Zimmers geschrieben.

„Der Gesang vom Lusitanischen Popanz“ hieß das Stück. Ein Musical. Ole musste an „My Fair Lady“ denken – und so etwas von Peter Weiß? Doch es geht um die Diktatur in Portugal unter Salazar und die Unterdrückung der Bevölkerung in seinen afrikanischen Kolonien. Kurz entschlossen kaufte er zwei Karten für sich und seine Kollegin Beate, die bei Blohm + Voss als Sekretärin des Betriebsrats arbeitete. Mit ihrem kecken, resoluten Auftreten genießt sie die Anerkennung ihres Chefs und das Vertrauen der Belegschaft. Ole war nach einem kurzen Moment der Verblüffung begeistert, das hier war ein anderer Schnack als Heidi Kabels „Tratsch im Treppenhaus“.

Das Bühnenbild äußerst schlicht, mit einer riesigen und rostigen Blechfigur, dem Popanz, im Mittelpunkt, dessen Maul scheppernd und rasselnd auf- und zugeht. Dazu sieben Schauspieler, die in elf Nummern das Kolonialsystem anklagen, verhöhnen und bekämpfen. Teils gesungen, teils in bewusst einfachen Reimen. Sie nennen Zahlen und Namen der Unterdrücker – „klasse Agitation, das geht unter die Haut“, flüsterte Ole seiner Kollegin ins Ohr.

Beate wohnte auf der anderen Seite der Norderelbe, in Wilhelmsburg, und hatte ihrem Freund dort schon angekündigt, er solle nicht auf sie warten. Sie fuhren zu Ole in die Bismarckstraße. „Das ist ja absurd“, meinte Beate beim Blick auf den Straßennamen, „der Sozialistenhasser! Und wir haben gerade sozialistische Propaganda vom Feinsten erlebt.“ Sie kroch zu Ole unter die Decke und ergänzte den kulturellen um weitere Höhepunkte.

Am nächsten Tag war Ole in der „Eichenburg“ verabredet, die nicht weit von seiner Wohnung entfernt lag. Ein kurzer Wink zum Wirt Uwe genügte, und der setzte sofort den Zapfhahn in Gang. Ole und seine Kumpel warfen sich auf die lederbespannte Bank und die dunkelbraunen Stühle um den runden Ecktisch, der deutliche Spuren von so manchem Gelage aufwies. Sie waren heute die ersten Gäste, abgesehen von dem alten Willi, der am Tresen saß und vor sich hin brabbelte. Kalter Zigarettenrauch vom Vorabend hing im Raum. Ziemlich eklig, dachte Hans, diesen Geruch müssen wir auffrischen, steckte sich eine Reval ohne an und spuckte ein paar Tabakkrümel auf den Boden. Das machte er schon ganz automatisch, aber zu Filterzigaretten wechseln kam nicht in Frage.

„Moin“, Uwe brachte die Halben an den Tisch, „was lag heute an?“ Ganz selbstverständlich setzte er voraus, dass sie gerade von einer Demo oder einem Go-in kamen, „welches Denkmal habt ihr heute umgeschmissen?“

Gut konnte der Wirt sich erinnern, dass einige von ihnen nach dem Sturz des Wissmann-Denkmals bei ihm eingekehrt waren. Das hatte zum Andenken an Hermann von Wissmann, den „Kolonialhelden“ und brutalen Gouverneur von Deutsch-Ostafrika, neben dem Hauptgebäude der Uni gestanden. Erst vor kurzem wurde es nach einem gescheiterten Versuch im Vorjahr endgültig vom Sockel gestürzt. Um afrikanische Kolonien sollte es auch heute gehen. Ole erzählte vom gestrigen Theaterabend.

„Das ist doch verrückt: Lusitanien hieß Portugal zu der Zeit, als es von den Römern unterdrückt wurde“, sagte Hans, „und heute ist das Land selbst der Unterdrücker.“

Das Wort „Sabotage“ von Peter Weiß machte die Runde. Sie waren sich einig, dass die Zeit vorbei sei, wo man nur redete. Handeln war angesagt, direkte Aktion. „Morgen kommt ein Team vom holländischen Fernsehen ins Lehrlingszentrum“, berichtete Frank später, einer der Wortführer des sozialistischen Studentenverbands in Hamburg, „die zeigen uns ihren Film über deutsche Waffenlieferungen. Waffen, die die Portugiesen im Kolonialkrieg einsetzen wollen. Dann sehen wir weiter. Ich hab da schon so ne Idee.“ Das wollten sie aber lieber nicht in der Kneipe diskutieren.

Der UN-Sicherheitsrat hatte ein Waffenembargo gegen Portugal verhängt, doch im Film der holländischen Fernsehleute war zu sehen, wie dieses von westdeutschen Konzernen unterlaufen wurde. Im Mittelpunkt: die drei bei Blohm + Voss auf Kiel liegenden Korvetten, schnelle, modern ausgerüstete Kampfschiffe für den Einsatz an der afrikanischen Küste. Hinzu kamen Maschinengewehre und Militärflugzeuge.

„Da geht einem ja das Messer in der Tasche auf!“, meinte eine junge rothaarige Germanistikstudentin aus der Gruppe im Sozialistischen Lehrlingszentrum in der Hochallee empört. „Das Messer lass mal stecken“, sagte Frank, „wir müssen erst mal die Werftarbeiter auf unsere Seite kriegen.“ Hans guckte skeptisch, als ob er seinen eigenen Kollegen auf der Werft nicht allzu viel zutraute.

„In Holland gibt es schon seit längerem ein Solidaritätskomitee“, so Frank, „die haben einen direkten Draht zur angolanischen Befreiungsbewegung, der MPLA.“ Dann erzählte er noch, dass beim AStA der Uni ein Schreiben von Amilcar Cabral aus Guinea-Bissau eingegangen sei, der für alle anti-portugiesischen Befreiungsbewegungen sprach. Es sei müßig, lang und breit über Solidarität zu reden, hatte er geschrieben. Was nötig sei, sei der Kampf, auch in Europa. Er wolle aber ihnen nicht vorschreiben, wie sie zu kämpfen hätten.

Jetzt redeten alle wild durcheinander, alle möglichen Ideen schwirrten durch den Raum. Frank schwieg ein paar Minuten – ungewöhnlich für ihn – und zwirbelte seine blonden Locken.

„Die MPLA verfasst je einen Brief an die Arbeiter und den Vorstand von Blohm und Voss“, schlug er dann vor, „und wir verteilen die vor den Werfttoren als Flugblatt.“ Einigen ging das nicht weit genug, doch Ole und Hans unterstützten Frank, und ihr Wort als Lehrlinge auf der Werft hatte in dieser Angelegenheit Gewicht. Ihnen schwante, dass Frank noch etwas in der Hinterhand hatte.

Später, als sie nur noch in kleinem Kreis zusammensaßen, rückte Frank mit seinen Gedanken heraus.

„Wir müssen die Kollegen auf der Werft überzeugen. Wenn sie den Bau der Kriegsschiffe boykottieren, wäre das eine große Hilfe für den Befreiungskampf in Angola. Wenn nicht, müssen wir es sein, die ein Fanal setzen.“

Sabotage! „Wir jagen die Dinger in die Luft!“

Am liebsten wären sie sofort losgezogen. Dann kamen die Bedenken. War das nicht zu gefährlich? Für die Kollegen und sie selbst? Und woher sollten sie den Sprengstoff kriegen? Praktische Erfahrungen damit hatte ohnehin keiner von ihnen. Wieder war es Frank, der die weiteren Schritte skizzierte. Hans und Ole sollten sich einen genauen Überblick verschaffen, wie man an die Schiffe herankäme, er wolle sich um die Finanzierung von Reisen, Material und Propaganda kümmern. „Michael, du hast dich ja mit den Holländern ausführlich unterhalten“, wandte er sich an den Bärtigen neben sich, „kannst du wegen der Flugblätter Kontakt zu ihnen aufnehmen?“

Und Helmut, der etwas dickliche Soziologie-Student, sollte an der Uni die Öffentlichkeitsarbeit über portugiesischen Kolonialkrieg ankurbeln.

„Denk auch an die Presse, dein Vater arbeitet doch beim Spiegel. Vielleicht hilft er dir, noch weitere Kontakte zu knüpfen.“

Das konnte sich Helmut zwar nicht vorstellen. Sein Vater sah sich als Linksliberaler, nahm die außerparlamentarische Opposition, die APO, aber nicht ernst. Doch die Machenschaften der Rüstungsindustrie unter Bruch der UN-Beschlüsse wären vielleicht auch für den Spiegel ein Thema.

„Und wer legt den Sprengstoff?“ fragte Ole noch. „Na, ihr beiden natürlich“, sagte Frank ganz trocken.

Nachdenklich gingen die beiden B + V-Lehrlinge Richtung Dammtor-Bahnhof. Von hinten betrachtet hätte man sie für Brüder halten können, beide groß, kräftig und mit dichtem schwarzem Haar. Doch während Ole ein rundliches Gesicht mit einem pfiffigen Ausdruck hatte, blickte Hans eher energisch. Einerseits waren sie stolz darauf, mit einem erfolgreichen Anschlag auf die Korvetten einen wichtigen Beitrag für die Befreiungsbewegungen leisten zu können. Die APO noch mehr in den Blick der Öffentlichkeit zu rücken. Zu Helden der sozialistischen Bewegung in Hamburg zu werden. Andererseits...

„Ist das nicht ne Nummer zu groß für uns?“

In den vergangenen zwei Jahren hatten sie mehr erlebt als manch Älterer in seinem ganzen Leben. Der Kampf gegen den Vietnamkrieg, gegen die Notstandsgesetze, gegen den Schah, die Diktatur in Griechenland, die Blockaden vor dem Springer-Verlag, wo sie mit Polizeiknüppeln mehr Erfahrung gemacht hatten als ihnen lieb war – aber Schiffe in die Luft zu jagen war noch eine ganz andere Nummer.

„Zugesagt haben wir ja noch nicht…“ „Morgen fahr ich erstmal mit Michael nach Amsterdam“, sagte Ole, „gucken wir mal, welche Unterstützung die uns geben können.“

Kapitel 3 – November 1968

Kontakte in Amsterdam

„So, nun aber mal los!“ Ole wirft die Reisetasche auf den Rücksitz. Michael startet seinen Renault R4. „So bequem hattest du dir das nicht vorgestellt, oder?“ Freunde mit einem geschickten Händchen hatten in den spartanisch ausgestatteten R4 weich gepolsterte Sitze eines ausrangierten Citroën DS eingebaut. Michael hatte noch am Vorabend mit den niederländischen TV-Leuten ihren Besuch arrangieren können.

„Die sind sehr locker drauf“, erzählt Michael. „Heute Vormittag haben wir noch einmal telefoniert, und die haben mir eine Adresse gegeben, wo wir pennen können.“

Er blickt zur Seite, Ole ist schon eingeschlafen. Michael selbst hatte als Handelslehrerstudent den Tag ganz ruhig angehen lassen. In Amsterdam stupst er Ole an.

„Komm mal hoch, du musst mir jetzt helfen. Die Adresse ist etwas merkwürdig: ‚Karavaan‘ am Sarphatikade. Wir müssen uns am Amstelhotel orientieren, das soll so aussehen, dass wir es uns nicht leisten können“. Der Straßenname stimmt. Sie haben Glück und können ihren R4 in eine enge Parklücke quetschen. Am Kai gegenüber des Luxushotels liegen Dutzende von Hausbooten. Keine schicken Designerboote, sondern umgebaute Frachtkähne, denen man die langen Dienstjahre deutlich ansieht. Ein schlaksiger junger Typ mit wilden Locken und Vollbart löst sich von einem der Poller und kommt zu ihnen herübergeschlendert.

„Ihr seid also die beiden aus Hamburg?“ fragt er mit nur leichtem holländischen Akzent und deutet auf ihr Autokennzeichen. Ole und Michael nicken.

„Na, dann kommt mal mit, ich bin Willem.“ Über eine lose auf die Reling gelegte Planke geht es an Bord eines Hausboots. Karavaan hat jemand mit weißer Farbe auf den dunklen Stahlrumpf gemalt. „Das ist Lisbeth“, stellt Willem eine schwarzhaarige junge Frau vor, die gerade barfuß und gut gelaunt aus dem Bauch des Schiffes an Deck kommt, „meine Liebste, Skipper und Admiral.“

„Willkommen an Bord. Wir können uns auf Deutsch unterhalten“, sagt sie, „das haben wir in der Schule gelernt.“

Der große frühere Laderaum ist mit Tisch und Stühlen, einem breiten Bett, einigen Regalen, einem kleinen Fernseher und einem mit gesammelten Holzresten befeuerten Ofen möbliert. Hinter einer Bretterwand verbergen sich noch zwei kleine Räume, ein Mini-Atelier von Lisbeth, die an der Kunstschule in Amsterdam studiert, und ein Mehrzweckraum, der regelmäßig auch als Gästezimmer herhält.

„Auf den Matratzen hier könnt ihr schlafen. Aber erst einmal gibt’s einen Schluck zu trinken.“

Willem hat einige Flaschen Amstel-Bier geöffnet und dazu einen Imbiss vorbereitet, mit Bitterballen, panierten Bällchen aus Kartoffelpüree mit Fleischfüllung. Dazu Goudawürfel und Roggenbrot. „Ich arbeite beim Angola-Comité mit, das gibt es schon seit einigen Jahren. Aber morgen kommt jemand, der euch die Kontakte vermitteln kann.“

Irgendwann ziehen sich die beiden Hamburger in ihre Schlafkammer zurück. Den nach der langen Fahrt erschöpften Michael schaukeln die leichten Bewegungen des Hausboots schnell in den Schlaf. Ole lässt noch die ersten Eindrücke auf sich wirken. Amsterdam würde ihm auch bei Tageslicht gefallen. Und mit ihren beiden Gastgebern, von denen aus dem Nebenraum zärtliche Laute zu hören sind, könnte er sich gut anfreunden.

Morgens nur kaltes Wasser und keine Dusche, doch Willem hat schon Witte bolle, fluffige Weizenbrötchen, und einige Kaneelmonsters, Zimtschnecken, zum Frühstück besorgt. Auch heißer Kaffee kommt bei dem recht frischen Wind sehr recht. Energische Schritte auf der Planke, ein beherzter Sprung aufs Boot.

„Das ist Klaas“, übernimmt Willem die Vorstellung. Abenteuerlich sieht er schon aus, denkt Michael, fast wie Che Guevara, mit den dunklen Haaren, dem Bart und dem forschenden Blick. Klaas ist bereits über 30 Jahre alt, studiert Psychologie und hatte mit anderen vor einigen Jahren die Niederländische Studentengewerkschaft gegründet.

„Lange Jahre war ich aktiv in der Vietnam-Bewegung. Jetzt liegt mein politischer Schwerpunkt auf Angola und den anderen portugiesischen Kolonien in Afrika.“ Kurze Pause. „Ihr habt da in Hamburg was vor? Und braucht einen Kontakt?“

Ole und Michael nicken. Natürlich weiß Klaas, dass in Hamburg portugiesische Korvetten für die Kriegsschauplätze in Angola und Mozambique gebaut werden.

„Polizeiaktionen werden diese Kriege gern genannt. Das hört sich besser an, und so kann man mögliche Ausfuhrbeschränkungen von Waffen für Kolonialkriege leichter umgehen“, meint er. „Auch die Niederlande haben direkt nach dem Zweiten Weltkrieg so genannte Polizeiaktionen in Niederländisch-Indien, dem späteren Indonesien, durchgeführt. Sie endeten mit rund 100 000 toten Indonesiern. Wir würden es stark finden, wenn ihr auf der Werft in Hamburg ein deutliches und laut hörbares Zeichen setzen könntet.“

Klaas sagt ihnen, wie sie mit den westeuropäischen Vertretern der MPLA, der Movimento Popular de Libertação de Angola, in Kontakt treten können und überreicht ihnen einen kleinen Zettel mit einer Telefonnummer. „Wenn irgendwas passiert, ihr zum Beispiel durchsucht werden sollt, werft den Zettel weg, schluckt ihn runter, verbrennt ihn – er darf auf keinen Fall in die Hände des der Polizei fallen.“ Dank, Umarmungen mit den drei äußerst sympathischen Aktivisten, Dreifachkuss rechts, links, rechts zum Abschied. Dann, wieder auf festem Land, zurück mit Michaels Renault in Richtung Hamburg.

„Ein strammer Trip, aber sehr ergiebig“, zieht Ole kurz Bilanz. „Wir haben unseren Job gemacht“, bestätigt Michael.

Kapitel 4 – Februar 1969

Zweifel vor der Aktion

Über Gewalt hatten sie in den vergangenen Wochen und Monaten davor viel diskutiert. Sie hatten brutale Polizeieinsätze erlebt, bei denen die Bullen auf Protestierende bei friedlichen Sit-ins einprügelten und sie an den Haaren wegschleiften.

„Da kann man nicht länger einen auf Mahatma Gandhi machen“, dachte Hans. Aber Steine oder faule Eier werfen bringt ja auch nichts. Ein Zeichen von Ohnmacht. Aufrufe zu Gewalt, zu Mord und Totschlag? „Konterrevolutionär“ hatte Rudi Dutschke das in einem Interview mit dem „Spiegel“ genannt. Das sah Hans genauso. Der kapitalistische Staat hatte solche Skrupel nicht, tödliche Schüsse wie die auf Benno Ohnesorg kamen eben mal vor. Rudis Meinung hatte sich allerdings auf die Metropolen hochentwickelter Industrieländer bezogen. Gegen Diktatoren wie Ky in Vietnam oder Duvalier in Haiti, die Kriege gegen das eigene Volk führten, halfen keine Luftballons oder lustige Parolen auf Spruchbändern. Dort war Gewalt nicht nur richtig, fand Hans, sondern geradezu notwendig.

Aber in Hamburg? Nächtelang wälzte er diese Gedanken hin und her. Würde eine Zerstörung der Korvetten nicht eine Spirale der Gewalt nach sich ziehen? Könnte er dann überhaupt noch schlafen, wenn die Polizei nach dem Attentat alle Aktivisten verfolgte, inhaftierte, die Büros und Treffs zerstörte, mit Verletzten und womöglich sogar Toten? Andererseits: Wie lange wollte man sich noch alles gefallen lassen und auf Gewalt mit Pudding-Attentaten und anderen spaßigen Happenings antworten? In seinen wirren Träumen rannte er übers Werftgelände, kam jedoch überhaupt nicht voran. Die Beine wurden schwerer, seine Verfolger kamen näher und näher. Arbeiter auf den Schiffen hielten Zettel mit Wertungsnoten wie beim Eiskunstlaufen hoch, Ausflügler auf einer vorbei fahrenden Barkasse feuerten ihn an. Auf einem Baum saß ein Typ vom Werkschutz und stieß ein meckerndes Lachen aus. Hans stürzte, bekam einen Wadenkrampf – und wachte mit wild klopfendem Herzen und einem Wadenkrampf auf. ‚Merkwürdig, dachte er, ein Krampf im Traum und in der Realität‘? Wieder einmal eine Nacht, in der er das Gefühl hatte, kaum eine Minute geschlafen zu haben.

„Wollen wir zusammen frühstücken?“, er hatte Ole aus dem Bett geklingelt. Heute am Sonnabend wollte der eigentlich mal ausschlafen. Aber an Hans‘ Stimme hörte er, dass es Probleme gab. Sie verabredeten sich bei „Nagel“ am Hauptbahnhof, für beide mit U- und S-Bahn einfach zu erreichen. Fast gleichzeitig trafen sie vor der Kneipe ein, die schon seit den 20er Jahren existierte. Draußen hatte eine große dänische Gruppe Stühle und Tische zusammen geschoben, bereits recht fröhlich, wohl um nach einer durchzechten Nacht auf der Reeperbahn von hier zum Einkaufsbummel in die nah gelegene Mönckebergstraße zu wanken. Innen alles in dunklem Holz, Vierertische an den Wänden ringsum, ein Kachelofen und ein großer runder Tisch in der Mitte, darüber ein gewaltiger Deckenventilator – die Einrichtung hatte sich seit 40 Jahren nicht verändert. Die Kellner offenbar auch nicht. Äußerlich seriös, traditionell mit weißem Hemd und schwarzer Hose gekleidet, waren sie gegenüber den Gästen oft ruppig, und bei Schwierigkeiten mit renitenten Zechern machten sie nicht viel Federlesens. Der schnauzbärtige Hartwig, auch er Bestandteil des Inventars, begrüßte die beiden mit Handschlag, einem freundlichen „Moin“ und fragend hochgezogenen Augenbrauen.

„Zwei Halbe“, orderte Hans. „So früh?“ Ole hatte eigentlich einen Kaffee bestellen wollen. „Bier kennt keine Tageszeit“, beschied ihn Hartwig, „wir sind hier kein Mädchenpensionat.“ Als Frühstück bestellten sie Hamburger Pannfisch und Rundstück warm.

„Man merkt, dass ihr keine Quiddjes seid“, kommentierte der Kellner, „Zugereiste kennen diese Namen nicht.“

Nach dem ersten Schluck Bier kam Hans zur Sache. Ole lauschte den Bedenken seines Freundes und Genossen. Klar, er hatte sich ähnliche Gedanken gemacht. Seine Oma Martha hatte ihm mal erzählt, dass sie Anfang der Dreißigerjahre bei jeder Aktion des Rotfrontkämpferbunds davon ausgehen mussten, dass die SA-Banden sich auch bei Unbeteiligten rächen würden. Aufgeben aber war nicht, dann hätten die Nazis ja ihr Ziel erreicht.

„Der Sturz des Wissmann-Denkmals war auch Gewalt. Nicht gegen ihn als Person, der ist ja lange tot. Gegen das Denkmal, also eine Sache. Und was ist das im Vergleich zu den Gräueltaten, die der Kerl in der damaligen deutschen Kolonie gegenüber den Einheimischen verübt hat?“

Hans hörte schweigend zu. „Genauso ist es mit diesen blöden Schiffen. Wenn wir sie in die Luft jagen, müssen weniger Angolaner sterben. Gewalt gegen Sachen, um Menschenleben zu retten. Außerdem richtet sich der Anschlag ja nicht gegen die Bundesrepublik als Staat, sondern gegen die Produktion und den Export von Rüstungsgütern. Völkerrechtswidrig.“ Schon einleuchtend, was Ole da erzählte. Sie diskutierten noch eine Weile, und Hans fühlte sich allmählich wieder wohler. Nach dem Frühstück brauchte er noch ein Bier, dann konnte er zuhause nach langer Zeit endlich wieder einmal ruhiger schlafen.

Kapitel 5 – April 1969

Konkrete Vorbereitung - ein Trip nach Paris

Alle hatten ihre Aufgaben erfüllt. Das „Linkskartell“ aus mehreren linken Gruppierungen hatte die Wahlen zum Studentenparlament gewonnen. So konnte Helmut dafür sorgen, dass der AStA seine Aktivitäten zur Unterstützung der afrikanischen Befreiungsbewegungen verstärkte. Wie erwartet biss er bei seinem Vater jedoch auf Granit – an einen Artikel im „Spiegel“ war nicht zu denken. „Na wart’s ab“, dachte Helmut, „wir liefern dir noch den Stoff für eine Geschichte.“ Frank war mit der Geldbeschaffung erfolgreich gewesen. Auch Ulrike, die „konkret“-Kolumnistin, hatte etwas dazu gegeben und sich das ausdrückliche Versprechen geben lassen, dass keine Menschen zu Schaden kämen. Bei Hans und Ole hatte das revolutionäre Pflichtbewusstsein über ihre Bedenken gesiegt. „Es wird leichter als wir dachten“, sagte Hans und verbreitete einen Optimismus, den er selbst insgeheim gar nicht teilte.

Eins der drei Schiffe, die „João Coutinho“, war weitgehend fertig gestellt, der Stapellauf sollte am dritten Mai erfolgen. Dann würde es am relativ einfach zugänglichen Ausrüstungskai liegen.

Michael hatte über den holländischen Kontakt die Schreiben der MPLA organisiert. Im April wurden sie als Flugblatt von Mitgliedern des sozialistischen Studentenverbands vor Blohm und Voss verteilt. Die Vorderseite informierte die ‚Genossen Arbeiter und Angestellte‘ über den geplanten Einsatz der Korvetten.

„Ihr vernichtet Kräfte des angolanischen Volkes, das von nun an auch noch gegen das Produkt Eurer Arbeit anzutreten hat.“

Die Rückseite wandte sich an Vorstand und Geschäftsleitung der Werft sowie an „den Genossen Betriebsratsvorsitzenden“: „Mit der Herstellung von Kriegsmaterial für Portugal tragen Sie dazu bei, dass die von der portugiesischen Regierung ausgeübte Unterdrückung aufrecht erhalten wird.“

Flugblätter vor den Werfttoren waren etwas Neues, nur die älteren Arbeiter kannten solche Aktionen noch aus den frühen 1950er Jahren. Entsprechend groß war die Aufmerksamkeit, bei Arbeitern und Vorstand gleichermaßen. Ole rief bei Beate im Betriebsratsbüro an:

„Na, was hat der ‚Genosse‘ Betriebsratsvorsitzende gesagt?“ „Der hat getobt!“, Ole hörte förmlich Beates Grinsen durchs Telefon,

„‚Unruhestifter‘, ‚Nestbeschmutzer‘ hat er geschrien.“

„Was anderes hätte ich von dem auch nicht erwartet.“

Der erhoffte Erfolg der Aktion blieb aus. Der Bau der Korvetten ging ohne Verzögerung weiter.

„Also zünden wir die nächste Stufe“, sagte der lang aufgeschossene, bärtige Michael, „als wir in Holland waren, haben die vom Solidaritätskomitee uns Infos gegeben, wie wir Kontakt mit den Genossen vom portugiesischen Widerstand aufnehmen.“

Vereinbart wurde ein Treffen in Paris, in einer Buchhandlung im Quartier Latin.

„Ein Zimmer ist für euch reserviert. Nehmt euch lieber einen Leihwagen“, sagte Frank zu Hans und Ole, „ihr müsst absolut pünktlich sein, sonst kommt der Kontakt nicht zustande. Bei Hans‘ altem Käfer wär ich nicht so sicher, dass das klappt.“

Mit dem gemieteten Opel Rekord ging es Mitte Mai in der Nacht von Freitag auf Sonnabend nach Paris.

„Der Kasten fährt über 150!“ Hans drückte ordentlich aufs Gas. Sie kamen mehr als pünktlich an und fanden sogar einen Parkplatz in der Nähe der Buchhandlung „Librairie Internationale“.

Punkt 14 Uhr betraten sie den Laden und nannten auf einen fragenden Blick hin das vereinbarte Losungswort. Der Buchhändler nickte kurz, ging in einen Nebenraum und kam mit einem schlanken, südeuropäisch aussehenden Mann zurück. Kein Gespräch, keine Frage, nur ein „bonjour“, dann nach draußen zu seinem Auto. Die Fahrt dauerte etwa 20 Minuten. Gegenüber einem schlichten Mehrfamilienhaus machten sie endlich Halt. Sie wurden in einer schmucklosen Wohnung im ersten Stock erwartet. Außer ihrem Fahrer waren drei weitere Personen anwesend, noch ein Südeuropäer sowie zwei afrikanisch aussehende, ein stämmiger Mann und eine junge zierliche Frau. Nach der knappen Begrüßung stellten sie sich mit ihren Vornamen vor, von denen Hans und Ole allerdings nicht annahmen, dass es die Namen waren, die ihnen ihre Eltern gegeben hatten. Über einen Anschlag wurde nicht gesprochen. Sie diskutierten mit ihnen über Politik. Luis stellte Fragen zur Studentenbewegung in Deutschland, Rafael wollte ihre Meinung zum Sozialismus in der Sowjetunion und in China hören, Armando fragte, ob Kuba für sie ein Vorbild sei, Alda interessierte sich für ihre Kenntnisse über die Befreiungsbewegungen in den portugiesischen Kolonien. Die beiden Hamburger antworteten ausführlich, die Reaktionen auf ihre Gegenfragen waren eher verhalten. Hans konnte sich zeitweise nur schlecht konzentrieren, seine Augen wanderten immer wieder zu der bildhübschen Alda, die ab und zu ebenfalls verstohlen zu ihm herüber sah. Nach etwa zwei Stunden dann das erste Lächeln von Luis. Er stand auf.

„Wir melden uns bei euch in der Pension.“

Unbemerkt von den anderen drückte Alda beim Abschied Hans einen kleinen Zettel in die Hand und flüsterte ihm etwas zu. Die Rückfahrt zur Buchhandlung war kurz, Rafael nahm jetzt den direkten Weg, das Haus war tatsächlich nur 200 Meter Luftlinie entfernt.

Bei ihrem Treffen am Tag darauf war die Begrüßung ungleich herzlicher. Umgehend kamen sie zur Sache, man würde für die Aktion im Hamburger Hafen 20 Kilo Plastik-Sprengstoff zur Verfügung stellen, und eine Einweisung, wie man daraus einen Sprengsatz baut, bekämen sie gleich hier an Ort und Stelle. Mit dem Versprechen, sich bald bei ihnen zu melden, wurden die deutschen Besucher verabschiedet.

Kapitel 6 – Mai 1969

Erneute Zweifel

Schon zwei Wochen später kam die Nachricht, das Marzipan sei eingetroffen. Sie erhielten den Schlüssel für ein Schließfach im Hamburger Hauptbahnhof und machten sich sofort auf den Weg. „Wenn jetzt was schief geht…“, dachte Ole gerade eben noch und mochte sich die Folgen gar nicht ausmalen. Da erhob sich plötzlich Geschrei in den Gängen zwischen den Schließfächern. Scheiße, Scheiße!

„Hilfe, Polizei!“, eine Dame in bayerischem Lodenmantel wurde von einem rotgesichtigen Typen bedrängt, kreischte und klammerte hektisch ihre Tasche fest. „Was nun, helfen oder unauffällig abhauen?“, flüsterte Ole noch, da hatte Hans den Kerl schon gepackt und gegen die Wand gedrückt.

„Hau ab, sonst gibt’s so einen an die Backen, dass deine eigene Mutter dich nicht mehr erkennt!“ Der Typ zog sich bis zur Tür zurück. Aus sicherer Entfernung pöbelte er noch weiter, verschwand aber schnell, bevor Hans ihm zu nahe kommen konnte. Überschwänglich bedankte sich die Dame, wovon die beiden nur die Hälfte verstanden. „Bayerisch hatten wir nicht in der Schule“, sagte Ole zu ihr und grinste. Die Bemerkung verstand sie wiederum nicht und lächelte verlegen. Sie warteten noch ein wenig, aber die Bahnhofspolizei hatte den Zwischenfall offenbar nicht mitbekommen. Dann öffneten sie das Fach, verstauten das Paket in den mitgebrachten Rucksack und gingen gemessenen Schrittes nach draußen. „Wir müssen noch mal üben“, beschlossen sie während der Heimfahrt. Und so fuhren sie zum Truppenübungsplatz Höltigbaum. Dort ballerte es den ganzen Tag, eine Explosion mehr fiel gar nicht auf. Sie befestigten etwas Sprengstoff an einer dicken Eiche etwas außerhalb des Geländes, gingen in Deckung und staunten nicht schlecht, wie die Explosion den Baum völlig zerlegte hatte.

„Toll. Nur schade um die Eiche.“