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B. H. Lager

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  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

Kriminalkommissar Gerry Köstner hat zurzeit andere Sorgen als das anstehende Champions League Finale. Aber dann wird Jahrhunderttalent und Jungstar des SV München Uwe Bärens mit einer Überdosis Heroin im Blut in seiner Villa aufgefunden. Ein Selbstmord? Und das acht Tage vor dem Finalspiel gegen Barcelona. Kein Wunder, dass nicht nur Clubmanager und Trainer die Sache schnell und diskret aus der Welt schaffen wollen. Gerry und sein Partner Marius Leitner geraten auch von ganz oben unter Druck, denn scheinbar hat man auch auf Regierungsebene nicht nur Sorgen um die Meisterschaft. Mit ihren Ermittlungen stechen die Kommissare in ein Wespennest und drohen in einem Spiel, bei dem es scheinbar keine Regeln gibt, eine tödliche Niederlage zu kassieren…

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Der AutorB.H. Lager lebt im beschaulichen Waldviertel in Österreich und ist auf einem bäuerlichem Betrieb aufgewachsen. Nach dem Abitur hat er sich für ein Studium der Bodenkultur entschieden. Neben seiner Tätigkeit als Autor arbeitet er als Berater und Publizist für Waldbewirtschaftung und Wildökologie.

Das Buch

Kriminalkommissar Gerry Köstner hat zurzeit andere Sorgen als das anstehende Champions League Finale. Aber dann wird Jahrhunderttalent und Jungstar des SV München Uwe Bärens mit einer Überdosis Heroin im Blut in seiner Villa aufgefunden. Ein Selbstmord? Und das acht Tage vor dem Finalspiel gegen Barcelona. Kein Wunder, dass nicht nur Clubmanager und Trainer die Sache schnell und diskret aus der Welt schaffen wollen. Gerry und sein Partner Marius Leitner geraten auch von ganz oben unter Druck, denn scheinbar hat man auch auf Regierungsebene nicht nur Sorgen um die Meisterschaft. Mit ihren Ermittlungen stechen die Kommissare in ein Wespennest und drohen in einem Spiel, bei dem es scheinbar keine Regeln gibt, eine tödliche Niederlage zu kassieren…

B. H. Lager

Abseitsfalle

Kriminalroman

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

Originalausgabe bei Midnight Midnight ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Mai 2017 (1)  © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic® Autorenfoto: © privat ISBN 978-3-95819-115-0  Hinweis zu Urheberrechten Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben. In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Freitag, noch acht Tage zum Finale

Genüsslich zog Gerry Köstner an seiner Zigarette. Er hatte es nicht eilig. Der Tote würde ihm nicht weglaufen. Außerdem konnte er von seinem Wagen aus die gesamte Szenerie gut überblicken. Vielleicht sogar jemand Verdächtigen entdecken. Wenn nur wer auf der Straße wäre. Obwohl das eines der teuersten Viertel Münchens war, war niemand zu sehen. Wahrscheinlich waren die Einwohner alle arbeiten. Um sich hier ein Haus leisten zu können, musste man viel arbeiten. Oder in die richtige Familie reingeboren sein. Gerry blickte auf seine Uhr. Es war kurz nach zehn. Wahrscheinlich waren die meisten Anrainer bereits irgendwo in der Innenstadt, um ihre Brötchen für die teuren Häuser zu verdienen. Oder in einem Beautysalon, um sich schön machen zu lassen. Auf der Straße ein Notarztwagen, zwei Streifenwagen sowie der nicht zu übersehende Transporter der Spurensicherung. Und rundherum keine Schaulustigen, keine neugierigen Blicke, niemand. Das war schon mal was anderes.

Gerry überquerte die Straße und machte sich auf den Weg zu dem Gartentor, das von einer jungen, blonden Polizistin bewacht wurde. Ständig gingen Menschen ein und aus, Sanitäter, Uniformierte und natürlich die Jungs von der Spurensicherung. Gerade rechtzeitig erinnerte er sich an deren Chefin, die militante Nichtraucherin war und ihn schon mehrmals am Tatort wegen seiner Raucherei angekeift hatte. Bevor Gerry durch das Gartentor ging, warf er seine Zigarette weg, dabei wurde er von der jungen Polizistin gegrüßt, indem sie ganz nach Vorschrift die rechte Hand an ihre Dienstmütze hielt. Gerry quittierte es nur mit einem knappen Nicken.

Als er im Garten war, blieb er erst mal stehen und musterte das Haus. Gerry war nur schwer für materielle Dinge zu begeistern, deswegen beeindruckte ihn die protzige Villa kaum. Er schloss aus ihr lediglich, dass die Bewohner dieses Hauses über sehr viel Geld verfügten – und das auch der ganzen Welt zeigen wollten. Oder zumindest den unmittelbaren Nachbarn. Auf seinem Weg in das Innere des Hauses wich er diversen Beamten aus, die meisten begrüßten ihn mit einem knappen »Hallo, Gerry!«.

Der Vorraum, der die Größe eines Einfamilienhauses hatte, bestand aus weißen Wänden und einem Boden aus schwarzen Marmorfliesen. Der Raum, ja das ganze Haus, strahlte etwas Klinisches, Künstliches aus. Es schien, als würden die Einwohner zeigen, dass sie hier wohnten, ohne wirklich in diesem Klotz zu leben. Ein Werbespot war die Villa, ein Ersatz für den Kontoauszug und kein Heim.

In der Mitte des großen Vorraums stand eine schwarze Ledercouch, auf der locker sechs, sieben Leute Platz hatten. Vor der Couch stand ein großer Glastisch, auf dem Zeitschriften, Fernbedienungen und anderes herumlag. Neben dem Couchtisch lag der Grund, warum Gerry und all die anderen hierherkamen.

»Haben wir schon eine positive Identifizierung?«, fragte Gerry an Marius gerichtet.

»Hast du dir die Leiche noch nicht richtig angesehen?«, gab Marius zur Antwort.

»Doch, aber wer soll das sein?«

»Ab und zu solltest du schon auch Medien konsumieren. Das ist Uwe Bärens.«

»Schön. Und wer ist Uwe Bärens?«, fragte Gerry.

»Das ist der Jungstar des SV München. Die Hoffnung für den Titelgewinn in der Champions League. Wir reden übrigens über Fußball«, fügte Marius nach einer Weile hinzu.

»Verstehe«, sagte Gerry. »Wie weit sind wir bisher gekommen?«

»Wie gesagt, der Tote ist Uwe Bärens, 21 Jahre alt. Todesursache dürfte laut Aussage des Notarztes eine Überdosis Heroin sein. Die Putzfrau hat ihn gefunden und uns dann angerufen. Die müsste hier noch irgendwo rumhängen. Ist aber nicht viel rauszuholen aus ihr. War total verheult, als ich eintraf, außerdem ist ihr Deutsch nicht besonders gut. Arme Herr Uwe, arme Herr Uwe, war alles, was sie rausgebracht hat. Willst du noch mit ihr reden?«

»Eigentlich nicht. Was haben wir sonst noch?«

»Bisher nichts Auffälliges, mal abgesehen von der Riesenpackung Heroin, die wir im Bad gefunden haben. Von der Menge her könnte man annehmen, er hätte eine Party geschmissen. Meiner Meinung nach war er aber alleine.«

»Wie kommst du darauf?«, fragte Gerry interessiert.

»Deshalb«, sagte Marius und bediente eine der großen Fernbedienungen, die auch die Steuerung eines Spaceshuttles hätte sein können.

An der Wand neben der Couch öffnete sich eine Luke, die einen überdimensionalen Bildschirm verbarg. Als die Luke ganz offen war, schaltete sich der Riesenfernseher ein. Drauf zu sehen war eine brünette nackte Schönheit, die auf einem durchtrainierten Athleten saß und laute Geräusche von sich gab. Marius begann zu grinsen. Die anderen Polizisten im Raum unterbrachen ihre Arbeit und verfolgten gebannt das Treiben auf dem Schirm.

»So ermittelt also die Mordkommission«, kam von hinten eine weibliche Stimme. Er war Julia Protz, die Leiterin der Spurensicherung.

Als wäre er ein kleiner Junge, der bei einem Streich erwischt wurde, schaltete Marius den Bildschirm schuldbewusst wieder ab. Ebenso lautlos, wie er erschienen war, verschwand der Fernseher wieder. Die anderen setzten ihre Arbeit fort.

»Wir müssen allen Aspekten nachgehen«, sagte Gerry. Seiner Miene war nicht zu entnehmen, ob er den Porno interessant gefunden hatte oder nur seinen Kollegen und Freund verteidigen wollte.

»Ja, ja, ich weiß Bescheid«, kam als knappe Antwort von der Ermittlerin. Als sie sich Gerry näherte, begann sie zu schnüffeln.

»Hast du am Tatort geraucht?«, fragte sie fast unbeherrscht.

»Aber natürlich nicht. Deinen letzten Vortrag über Tabak am Tatort hab ich nicht vergessen«, antwortete Gerry.

»Dann ist ja gut«, sagte Julia.

»Und was hast du für Erkenntnisse für mich?«, fragte Gerry.

»Nichts Besonderes. Keine Einbruchspuren, auch sonst keine Hinweise auf einen Kampf oder darauf, dass sich überhaupt jemand hier aufgehalten hat außer dem Toten«, berichtete Julia.

»Ich sagte ja, er war allein«, grinste Marius.

Julia sah ihn kurz scharf an. Dann schloss sie: »Meine Leute sind hier fast fertig. Bericht schick ich dir wahrscheinlich noch heute. Wird aber nichts Spannendes enthalten, so viel kann ich dir schon verraten.«

»O. k., danke! Aber nur keine Eile«, antwortete Gerry.

»Na ja, ein wenig Eile ist schon angebracht«, warf Marius ein. »In acht Tagen ist immerhin Finale«.

»Was für ein Finale?«, fragte Gerry.

***

Als die Spurensicherung fertig war und wieder ins Präsidium zurückfuhr, gingen auch Gerry und Marius zu ihren Wagen.

»Ich kann nicht gleich mitkommen«, sagte Gerry

»Wieso, was ist los?«

»Ich will noch im Krankenhaus vorbeischauen. Wegen Alexa.«

Marius sagte erst mal nichts und senkte die Augen. »Geht’s ihr wieder schlechter?«, fragte er nach einer Weile.

»Ja. Nein. Es ist eine Routineuntersuchung. Aber Samira meinte … Egal, ich will einfach nach ihr sehen. Ich sollte am frühen Nachmittag im Präsidium sein. Kannst du für mich inzwischen den Papierkram erledigen?«

»Klar, mach ich«, sagte Marius mit freundlicher Stimme. »Wird schon nichts sein«, fügte er noch hinzu, klopfte Gerry auf die Schulter und ging zu seinem Wagen.

Gerry blickte ihm noch eine Weile mit sorgenvoller Miene nach. »Wird schon nichts sein«, wiederholte er die Worte von Marius.

Er war schon später Nachmittag, als Gerry endlich im Polizeipräsidium eintraf. Obwohl er um einiges später ankam, als er es Marius angekündigt hatte, hatte er keine besondere Eile. Außerdem war er fröhlich und erleichtert. Alexas Untersuchungen waren gut verlaufen, die Ergebnisse zeigten keinen Grund zur Besorgnis. Er wäre gern noch mit der tapferen Kleinen und Samira ein Eis essen gegangen, aber er wollte Marius nicht so lange warten lassen. Auch wenn der es ihm nicht übel nehmen würde. Und selbst wenn, würde er schweigen. Denn er fühlte sich Gerry verpflichtet.

Gerry war froh über seinen Partner, der so ganz anders war als die meisten seiner Kollegen. Marius Leitner, 33, war ursprünglich bei der Bundeswehr und Mitglied des KSK, des Kommando Spezialkräfte. Marius war auch in Afghanistan gewesen. Er hatte Gerry nie erzählt, was er dort gemacht oder erlebt hatte. Bestimmt nichts Gutes. Denn bald nach seiner Rückkehr nach Deutschland entschloss sich Marius dazu, der Bundeswehr den Rücken zu kehren und zur Polizei zu wechseln. Mit seiner Erfahrung und seiner Ausbildung hätte Marius leicht in eine der Spezialeinheiten wechseln können, Sondereinsatzkommando, GSG 9, was auch immer. Aber Marius wollte keinen Helm und keine schusssichere Weste mehr tragen. Er wollte lieber seinen Verstand benutzen. Und meldete sich zur Kriminalpolizei.

So wurde er irgendwann der Partner von Gerry. Am Anfang war Gerry mit der Zuteilung nicht besonders glücklich. Er hatte Angst, einen durchgeknallten Rambo für Arme als Partner zu bekommen. Doch bald änderte er seine Meinung über Marius. Der war viel beherrschter als viele andere Polizisten. Und auch seine Denkweise unterschied sich stark von der üblichen Masche, in der Bullen dachten. Außerdem legte sich kein Verdächtiger ungestraft mit Marius an. Doch das kam nur selten vor, denn allein die große, durchtrainierte Statur von Marius machte den Großteil ihrer Klientel vorsichtig und gehorsam. Gerry fand das alles sehr erfrischend. Nur einmal hatte Marius die Beherrschung verloren. Nur einmal hatte er einen schweren, eigentlich nicht zu verzeihenden Fehler gemacht …

»Da bist du ja endlich«, sagte Marius fast vorwurfsvoll.

»Ja, tut mir leid«, erwiderte Gerry, und man konnte sein schlechtes Gewissen in seiner Stimme hören.

»Ist nicht meinetwegen. Der Alte fragt dauernd nach dir. Wir sollen sofort bei ihm antanzen. Was ist mit Alexa?«

»Alles okay«, sagte Gerry, und sein Gesicht überzog ein kurzes Lächeln. »Was will Schröder?«, fragte er.

»Es ist wegen unseres neusten Falls. Wir sollen sofort zu ihm kommen. Sofort.«

»Okay. Was mich noch wundert, ist diese große Menge an Heroin. Hing unsere Leiche an der Nadel?«

»Glaub ich nicht. Aber das kannst du im Obduktionsbericht nachlesen«, sagte Marius.

»Was, der ist schon da? Wieso ging das so schnell?«, fragte Gerry.

»Weil bald Finale ist. Hab ich dir doch schon gesagt. Los komm jetzt«, sagte Marius hektisch.

Gerry wollte nochmals fragen, was für ein Finale, aber er verkniff sich die Frage und folgte Marius, der sich mit raschen Schritten zum Büro von Hauptkommissar Schröder bewegte. Schröder war wie jeder ehrgeizige bayrische Beamte in Führungsposition bei der CSU aktiv. Obwohl er schon bald an die sechzig Jahre war, machte er sich immer noch Hoffnung darauf, irgendwann doch noch Polizeipräsident von München zu werden. Schröder und Gerry kamen miteinander aus, aber ihr gutes Verhältnis basierte auf Gerrys Erfolgen als Ermittler. Ihr Chef wusste, dass er mit Gerry und Marius ein erfolgreiches Gespann in seinem Stall hatte, und er wusste auch geschickt die Erfolge der beiden als die seinen auszugeben. Bisher hatte es noch keinen Vorfall gegeben, bei dem das Verhältnis von Gerry und Schröder auf die Probe gestellt worden war. Gerry war aber bewusst, dass er sich im Fall der Fälle auf die Loyalität Schröders nicht verlassen könnte. Würde er einen Fehler machen, dann gäbe es von dieser Seite keine Rückendeckung.

Gemeinsam mit Schröder wartete ein Mann auf Gerry und Marius, den beide nicht kannten. Sein gesamtes Äußeres roch für Gerry nach einem Beamten, der in der Hierarchie weit über Schröder stand, wahrscheinlich jemand aus dem Innenministerium oder der bayrischen Staatskanzlei. Als Marius und Gerry eintraten, begann Schröder sofort zu sprechen. Seine Stimme war tief und vom typisch bayrischen Akzent geprägt.

»Ah guat, da san ja endlich die Herren Ermittler. Darf i vorstellen, des is der Herr Kraus. Nur ums glei zu sogn, der Herr Kraus ist Staatsekretär beim Innenminister.«

»Meine Herren«, begann Kraus das Wort an sich zu reißen: »Wie mir mitgeteilt wurde, sind Sie beide verantwortlich für die Ermittlungen im Fall Bärens. Wirklich eine äußerst bedauerliche Geschichte. Als der Herr Innenminister von dem Unglück hörte, hat er mich gleich ins Präsidium geschickt, um mit den verantwortlichen Ermittlern die Brisanz des Falles zu erörtern.«

»Jo wissts, de Gschicht ist fei heikel«, sagte Schröder, ohne dem Gesagten mehr Inhalt hinzuzufügen, als es Kraus getan hatte. Gerry und Marius blickten die beiden fragend an.

»Also es gibt da ein gewisses Maß an Interesse, dass die Ermittlungen rasch und möglichst diskret abgeschlossen werden«, fügte Kraus zögernd hinzu.

»Welches Interesse hat das Innenministerium an einem toten Fußballer? Der war doch nicht mal Bayer«, fragte Gerry.

»Des hot eich gar ned vü zu interessieren«, mahnte Schröder. »Tats anfoch, wie wir eich oschoffn.«

»Lieber Herr Schröder, ich glaube wir können mit den beiden durchaus Klartext sprechen. Das würde vielleicht für alle die Gesamtsituation etwas entspannen«, sagte Kraus.

»Welche Gesamtsituation«, fragte Gerry nun gänzlich verwirrt.

»Sie interessieren sich nicht besonders für Fußball, oder?«, fragte Kraus.

»Nein, eigentlich gar nicht«, antwortete Gerry.

»Geh Leitner, tans doch Ihrem Kollegen a bissl aufklären über den Bärens. I was jo genau, dass Sie informiert san, i hob jo scho öfters den Kicka auf Ihrem Tisch gseng.«

»Also der Uwe Bärens ist, oder besser gesagt: war die größte Hoffnung im deutschen Fußball seit Jahren«, begann Marius zu erzählen. »Er stammt ursprünglich aus Hessen und hat dort den FC Frankfurt in die erste Liga geschossen. Wurde mit knapp zwanzig Jahren Torschützenkönig in der zweiten Liga, und das nicht mal als Stürmer, sondern als Mittelfeldspieler. Letzten Sommer hat ihn dann der SV München verpflichtet, für die Rekordsumme von rund achtundzwanzig Mille. So viel wurde in Deutschland noch nie für einen so jungen Spieler bezahlt.«

»Jo owa des is er a wert gwesen«, fügte Schröder, sichtlich Fan des SV, hinzu. »Der hot jo super gspüt, vor ollem in da Tschampionslig.«

Gerry blickte verständnislos zu Marius.

»Bärens hat den SV München quasi im Alleingang ins Finale geschossen. Insgesamt hat er diese Saison in der Champions League schon zwölf Tore gemacht, allein im Halbfinale gegen die Mailänder hat er dreimal getroffen.«

»Mei jo, und jetzt is des Finale, und wir miassn ohne erm spün gegen die Spanier«, trauerte Schröder.

»Gut, soweit hab ich’s kapiert, dass Bärens ein toller Kicker war und der SV München jetzt Probleme hat in diesem Finale. Aber was hat das mit dem Innenministerium zu tun?«, fragte Gerry weiter

»Sehen Sie, Herr Köstner«, ergriff Kraus wieder das Wort: »So ein gewonnenes Finale ist natürlich ein großer Gewinn für den Staat Bayern. Der SV hat über eine Million Mitglieder. Da kann die Stimmung im Land leicht kippen, in die eine oder andere Richtung.«

»Sie meinen wegen der Landtagswahlen dieses Jahr.« Jetzt bewies Gerry den Ermittler in sich.

»Ich sehe, Sie haben verstanden. Schauen Sie, Herr Köstner, alles, was wir von Ihnen und dem Herrn Leitner erwarten, ist, den Fall möglichst schnell abzuschließen und keinen Skandal daraus werden zu lassen. Ich bin natürlich nicht so nah dran am aktuellen Stand der Ermittlungen wie Sie, aber nach meinen Informationen ist das ja eh ein sonnenklarer Fall von Drogenmissbrauch, halt ein bedauerlicher Unfall.«

»Ma, dass der Bua ausgerechnet giftln hot miassn«, fügte Schröder hinzu. In seinem Blick war deutlich zu erkennen, dass er schon ein verlorenes Finale befürchtete.

»Wir stehen erst am Anfang der Ermittlungen«, warf Gerry ein. »Da gibt es schon noch ein paar kleine Ungereimtheiten.«

»Die Sie schnell und ohne großes Aufsehen aufklären werden. Dessen bin ich mir sicher«, sagte Kraus, und seine Worte klangen warnend und bedrohlich.

»Wie mir Kollege Schröder schon vorher erzählt hat, sind Sie ja geradezu ein Experte im Drogenmilieu. Also liegt der Fall eh in den besten Händen, bei Ihrer Vorgeschichte. Und seien Sie unbesorgt, sollten Sie irgendeine Art von Unterstützung brauchen, können Sie sich gleich an mich direkt wenden. Ich bin Ihnen gern behilflich.«

Jetzt wusste Gerry, dass Kraus eine deutliche Warnung an sie beide aussprach. Trotzdem konnte er nicht an sich halten.

»Als ehemaliger Drogenermittler kommen mir tatsächlich ein paar Dinge komisch vor: die ungeheure Menge an Stoff etwa, die wir in Bärens’ Bad gefunden haben. Bärens wird ja als Sportler kaum an der Nadel gehängt haben. Für mich sieht das eher nach Erstkonsum aus. Aber warum dann diese Menge an Heroin im Bad? Außerdem sind Erstkonsumenten normalerweise viel vorsichtiger. Tod durch Überdosis kommt da praktisch nie vor.«

»Jo kruzifix, jetzt tats do bitte net hirnwichsn«, fluchte Schröder und schlug mit der Faust auf den Tisch. »De Gschicht ist doch klor. Mei, hätt der Bua bloss net giftlt.«

»Ich sehe schon«, sagte Kraus. »Die Ermittlungen liegen bei Ihnen in guten Händen. Ich bin mir sicher, dass sie den Fall für alle zufriedenstellend auflösen werden. Und wie gesagt: vor allem rasch und ohne Skandal.«

»Oiso, es kennts eich aus. Spätestens Mittwoch hob i eichan Bericht, hobts mi? Und jetzt putzt eich.«

Und damit warf Schröder die beiden aus seinem Büro. Marius blickte Gerry an.

»Was hältst du davon?«

»Wir sollten uns wohl beeilen. Ist an sich ja eh bloß Routine, wie uns der Herr Staatssekretär klargemacht hat. Nur ..«

»Was nur?«

»Nur wenn alles so sonnenklar ist, warum schickt dann der Innenminister seinen Staatssekretär zu uns?«, fragte Gerry.

***

Gerry lag verschwitzt im verdunkelten Raum und wälzte sich auf dem Bett herum. Draußen war es sicher dreißig Grad heiß, und im Inneren des Zimmers herrschte eine noch wesentlich höhere Temperatur. Obwohl er nackt auf dem Bett lag, glänzte sein Körper vor Schweiß. Doch es war nicht nur die Hitze, die ihn Unmenge von Schweiß erzeugen ließ.

Am Rücken liegend, betrachtete er das Muster der Tapeten, das aus den Siebzigern stammen musste. Das Muster bestand aus Kreisen in verschiedenen Blautönen. Der innerste Kreis war am hellsten und gleichzeitig am kleinsten, und mit jedem weiteren Kreis wurde die Fläche größer und dunkler. Gerry spürte, wie sein Bewusstsein im Inneren eines großen blauen Kreises verschwand. Und auch er wurde immer größer, wuchs unaufhörlich. Bis er so groß war, dass der Nachbarkreis ihn bedrängte. Das Muster wollte ihn zerquetschen. Jetzt erkannte er dessen Absicht. Das Muster war böse, hatte etwas Diabolisches. Und er war darin gefangen. Er wehrte sich, strampelte und schlug um sich, doch die Nachbarkreise hatten sich gegen ihn verbündet. Gemeinsam würden sie ihn fertigmachen. Ja, das war ihre Absicht. Die ganze Welt hatte sich gegen ihn verschworen und wollte ihn fertigmachen. Keiner auf dieser Welt liebte ihn. Doch da war Samira. Ja, Samira liebte ihn. Aber warum sollte eine wunderhübsche Frau wie Samira ausgerechnet ihn lieben? Was hatte er ihr denn schon zu bieten. Er war nur ein kleiner Polizist. Ein kleiner Polizist, der von den bösen Nachbarkreisen verschlungen wurde.

Nein, da war noch was anderes. Gerry sah auf den Nachttisch. Jetzt erkannte er, was er war. Er war wieder ein Junkie. Langsam lichteten sich die Nebel, und die Nachbarkreise verschwanden aus seinem Bewusstsein. Seit wann er in diesem Zimmer lag, wusste er nicht mehr. Auch nicht, wie er hierherkam und wo er die Drogen herhatte. Er vermutete, dass er in irgendeiner billigen Münchner Absteige lag, allein, verlassen, ungeliebt. Und er war froh darüber. Denn was würde sein, wenn Samira ihn so finden würde. Würde sie ihn verlassen? Den unnützen, schwachen, kleinen Junkie. Plötzlich wuchsen die Kreise wieder an, und sie drohten ihn zu verschlingen. Gerry begann zu weinen und zu flehen.

»Samiraaa«, schrie er, immer und immer wieder. Doch keine Antwort kam. Hatte Sie ihn vielleicht schon verlassen. War er deswegen wieder auf Droge? Wahrscheinlich. Aber wenn sie ihn verlassen hatte, dann war eigentlich alles egal. Dann konnte er sich noch einen Schuss setzen. Dann konnte er etwas gegen diese bedrohlichen Kreise auf dem verdammten Tapetenmuster unternehmen. Mühsam setzte er sich auf. Das aufrechte Sitzen bereitete ihm Mühe. Die Kreise begannen zu wachsen. Er musste sich beeilen, musste schneller sein. Er erhitzte mit seinem Feuerzeug das Heroin in einem Löffel, während sich das Blau im Raum ausbreitete. Es wurde immer größer, und der Raum wurde immer enger, erfüllt von einem bedrohlichen, alles verschlingenden Blau, das sich ihn bald schnappen würde. Er musste sich beeilen.

Endlich hatte die Spritze das ganze Heroin aufgezogen. Endlich konnte er sich das erlösende Mittel spritzen, das die blauen Kreise verschwinden lassen würde. Doch noch war es nicht so weit. Hektisch setzte er sich die Spritze an. Die Nadel durchdrang seine Haut und stach in die Vene ein. Das Blau war schon ganz nah. Schon zum Greifen nah. Doch da spürte er, wie das Heroin in sein Blut eindrang und ihn stark machte. Jetzt war er wieder stark. Und das Blau verschwand. Alles war nun egal, und vor nichts mehr musste er sich fürchten.

Plötzlich ging seine Zimmertür auf. Jemand betrat den Raum, doch Gerry konnte sich nicht bewegen. Er wollte sich nicht bewegen, er war geschützt vor allem Bösen.

»Ja, das ist er«, hörte er eine Frauenstimme sagen.

»O. k.«, brummte eine männliche Stimme und schloss die Tür von außen.

Die Person mit der Frauenstimme kam näher, setzte sich ans Bett, berührte ihn. Gerry schreckte auf, zuckte zusammen, war panisch.

»Gerry, ich bin es, Samira«, sagte die Frauenstimme beruhigend. Ihre sanften Hände berührten ihn.

Samira. Sie war da. Sie hatte sich nicht von ihm getrennt. Aber sie sah, in welchem Zustand er war. Er begann wieder zu weinen.

»Ach, was hast du nur getan!«, sagte Samira enttäuscht. Und in Gerry verkrampfte sich alles. Jetzt würde sie sich von ihm trennen. Von ihm, diesem schwachen, nichtsnutzigen Junkie. Sein Weinen wurde stärker. Doch Samira war noch da. Noch war sie da. Er konnte sie hören. Sie sprach. Aber nicht mit ihm.

»… bitte, hilf mir, Marius! Ja, ist gut, danke!«

Mehr bekam Gerry nicht mehr mit, denn irgendwann verschwand sein Geist in einem großen Loch, und er lag nur noch regungslos auf dem Bett. Er kriegte nicht mehr mit, dass Samira ihn heftig schüttelte und nun auch zu weinen begann. Irgendwann kam Marius in das Zimmer. Er blickte Samira nur kurz an, dann fluchte er, und Panik war in seiner Stimme zu hören.

»Scheiße, Gerry, was hast du …? Schnell, Samira wir brauchen den Notarzt. Das schaut nach einer Überdosis aus. Verdammt, hättest du doch nie diesen scheiß Undercovereinsatz gemacht!«