Adel unter Verdacht - Rhys Bowen - E-Book

Adel unter Verdacht E-Book

Rhys Bowen

0,0
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Royale Hochzeit mit Mord – ein neuer Fall für Lady Georgie
Der neue Cosy-Krimi von Bestsellerautorin Rhys Bowen

London, 1932: Lady Victoria Georgiana Charlotte Eugenias, kurz Lady Georgies, Bruder Binky ist in der Stadt und bringt die junge Lady zur Verzweiflung. Da kommt ihr der Auftrag der Queen gerade recht. Georgie soll die königliche Familie bei einer Hochzeit in Transsylvanien vertreten – der legendären Heimat der Vampire. Freudig reist sie ab, aber kaum ist sie angekommen, beginnt die Braut, sich ein wenig verrückt zu benehmen. Dann wird auch noch ein prominenter Hochzeitsgast vergiftet und Georgie bleibt nichts Anderes übrig, als mal wieder selbst zu ermitteln.

Erste Leserstimmen
„ich liebe Lady Georgie und ihre skurrilen Fälle“
„ein herrliches Buch, ich habe es in einem Rutsch gelesen“
„ein leichter Cosy-Krimi zum Schmunzeln und Mitraten“
„die Protagonisten sind gut getroffen, ich hab sie sehr schnell ins Herz geschlossen“
„wer auf Cosy Crimes steht, ist mit diesem tollen Buch bestens bedient“

Weitere Titel dieser Reihe
Die königliche Spionin (ISBN: 9783960878117)
Adel verpflichtet ... zum Mord (ISBN: 9783960878124)
Königliche Verschwörung (ISBN: 9783960878131)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 464

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses E-Book

London, 1932: Lady Victoria Georgiana Charlotte Eugenias, kurz Lady Georgies, Bruder Binky ist in der Stadt und bringt die junge Lady zur Verzweiflung. Da kommt ihr der Auftrag der Queen gerade recht. Georgie soll die königliche Familie bei einer Hochzeit in Transsylvanien vertreten – der legendären Heimat der Vampire. Freudig reist sie ab, aber kaum ist sie angekommen, beginnt die Braut, sich ein wenig verrückt zu benehmen. Dann wird auch noch ein prominenter Hochzeitsgast vergiftet und Georgie bleibt nichts Anderes übrig, als mal wieder selbst zu ermitteln.

Impressum

Deutsche Erstausgabe Dezember 2019

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96087-814-8 Hörbuch-ISBN: 978-3-96817-254-5

Copyright © 2010 by Janet Quin-Harkin. Alle Rechte vorbehalten. Titel des englischen Originals: Royal Blood

Published by Arrangement with Janet Quin-Harkin. c/o JANE ROTROSEN AGENCY LLC, 318 East 51st Street, NEW YORK, NY 10022 USA.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Übersetzt von: Sarah Schemske Covergestaltung: Buchgewand unter Verwendung von Motiven von depositphotos.com: © Observer, © brebca stock.adobe.com: © Veronika shutterstock.com: © NWStock, © Vectorpocket, © Raftel Korrektorat: Dorothee Scheuch

E-Book-Version 23.08.2023, 12:06:37.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Unser gesamtes Verlagsprogramm findest du hier

Website

Folge uns, um immer als Erste:r informiert zu sein

Newsletter

Facebook

Instagram

TikTok

YouTube

Adel unter Verdacht

Jetzt auch als Hörbuch verfügbar!

Adel unter Verdacht
Rhys Bowen
ISBN: 978-3-96817-254-5

Royale Hochzeit mit Mord – ein neuer Fall für Lady GeorgieDer neue Cosy-Krimi von Bestsellerautorin Rhys Bowen

Das Hörbuch wird gesprochen von Arlett Drexler.
Mehr Infos hier

Danksagung

Wie immer danke ich meinem genialen Team bei Berkley: meinem Lektor Jackie Cantor, meiner PR-Agentin Megan Swartz und meinen Agentinnen Meg Ruley und Christina Hogrebe sowie meinen hauseigenen Ratgebern und Lektoren Clare, Jane und John.

Kapitel 1

Der November in London war ausgesprochen bescheuert. Ja, ich weiß, dass eine Lady nicht so reden sollte, aber ich kann den feuchten, beißend kalten und undurchdringlichen Nebel nicht anders beschreiben, der schon die ganze Woche über dem Belgrave Square lag. Rannoch House, unser Londoner Stadthaus, war selbst zu seinen besten Zeiten nicht unbedingt warm und freundlich, aber wenn die Familie sich dort aufhielt, es voller Bediensteter war und die Feuer im Kamin fröhlich brannten, war es wenigstens erträglich. Aber außer mir war niemand im Haus und weit und breit waren keine Bediensteten in Sicht. So war das Haus unmöglich zu heizen. Denkt bloß nicht, dass ich eine schwache und zarte Person war, der Kälte normalerweise etwas ausmachte. Zuhause auf Castle Rannoch war ich sogar eine der Abgehärtetsten. An frostkalten Morgen unternahm ich lange Ausritte und ich war es gewohnt, stets bei offenem Fenster zu schlafen. Aber diese Londoner Kälte war anders als alles, was ich kannte. Sie ging bis auf die Knochen. Ich war versucht, den ganzen Tag im Bett zu bleiben.

Nicht, dass es im Augenblick viele Gründe gegeben hätte das Bett zu verlassen. Es war nur der strengen Erziehung meines Kindermädchens zu verdanken, die Bettruhe nur in Fällen von doppelseitiger Lungenentzündung erlaubte, dass ich morgens aufstand, drei Pullover übereinander anzog und nach unten in die vergleichsweise warme Küche eilte.

An diesem Morgen hockte ich in der Küche und trank eine Tasse Tee, als ich hörte, wie die Morgenpost auf die Fußmatte im oberen Flur fiel. Da kaum jemand wusste, dass ich mich in London aufhielt, war das ein großes Ereignis. Ich rannte die Treppe hoch und fand nicht einen, sondern gleich zwei Briefe auf der Matte vor der Eingangstür vor. Zwei Briefe, wie aufregend, dachte ich, dann erkannte ich die gestochene Handschrift meiner Schwägerin auf einem der beiden. Oh, Mist, was um Himmels willen wollte sie von mir? Fig war niemand, der Briefe schrieb, wenn es nicht dringend war. Sie hätte niemals eine Briefmarke verschwendet.

Der zweite Brief ließ mein Herz noch schneller schlagen. Er trug das königliche Wappen und kam vom Buckingham Palace. Ich wartete nicht einmal ab, bis ich die warme Küche erreicht hatte, sondern riss ihn sofort auf. Er stammte von dem Privatsekretär Ihrer Majestät.

Liebe Lady Georgiana,

Ihre Majestät Königin Mary bittet mich ihre herzlichsten Wünsche zu überbringen und hofft, Sie sind abkömmlich, um ihr am Donnerstag, dem 8. November, im Palace zum Mittagsmahl Gesellschaft zu leisten. Sie wünscht, dass Sie vielleicht ein bisschen früher kommen könnten, gegen elf Uhr fünfundvierzig, da sie ein wichtiges Anliegen hat, das sie mit Ihnen besprechen möchte.

„Du liebes bisschen“, murmelte ich. Ich würde mir solche mädchenhaften Sprüche abgewöhnen müssen. Vielleicht würde ich mir sogar einige Kraftausdrücke angewöhnen, natürlich nur zum persönlichen Gebrauch. Man sollte meinen, dass eine Einladung in den Buckingham Palace zum Mittagsmahl mit der Königin eine Ehre wäre. Aber es kam für meinen Geschmack zu oft vor. Ihr müsst wissen, dass König George mein Cousin zweiten Grades ist und Königin Mary eine Reihe kleiner Aufgaben für mich gehabt hatte, seit ich in London lebte. Um ehrlich zu sein, waren die Aufgaben gar nicht so klein. Zum Beispiel der neuen amerikanischen Freundin des Prince of Wales nachzuspionieren. Und vor ein paar Monaten hatte sie mir eine deutsche Prinzessin und ihr Gefolge aufgehalst – ziemlich heikel, da ich weder Bedienstete noch Geld für Essen gehabt hatte. Aber natürlich schlägt man der Königin nichts ab.

Ihr fragt euch also, warum jemand, der mit der Königin verwandt ist, allein ohne Bedienstete oder Geld für Essen lebt. Die traurige Wahrheit ist, dass unser Zweig der Familie ziemlich verarmt war. Mein Vater hatte fast unser gesamtes Vermögen verspielt und den Rest im Börsencrash von ’29 verloren. Mein Bruder, Binky, der gegenwärtige Duke, lebte auf dem Familiensitz in Schottland. Ich schätze, ich hätte bei ihm wohnen können, aber seine liebe Gattin Fig hatte deutlich gemacht, dass ich dort eigentlich nicht erwünscht war.

Ich schaute Figs Brief an und seufzte. Was um alles in der Welt konnte sie von mir wollen? Es war zu kalt, um noch länger im Eingangsflur zu bleiben. Ich ging mit dem Brief in die Küche und setzte mich auf meinen Platz neben den Herd, bevor ich ihn öffnete.

Liebe Georgiana,

ich hoffe, dir geht es gut und das Londoner Wetter ist milder als die Stürme, die wir gerade erleben. Ich schreibe, um dich von unseren Plänen in Kenntnis zu setzen. Wir haben beschlossen, diesen Winter hinunter ins Londoner Haus zu kommen. Binky ist noch geschwächt, nachdem er durch seinen Unfall so lange ans Bett gefesselt war, und Podge hatte eine schlimme Erkältung nach der anderen, also denke ich, dass ein bisschen Wärme und Kultur angebracht sind. Wir werden in etwa einer Woche im Rannoch House eintreffen. Binky hat mir von deinem geschickten Händchen für Haushaltsführung erzählt, also sehe ich keinen Anlass, zusätzlich Geld dafür auszugeben Bedienstete vorauszuschicken, da ich weiß, dass du das Haus wunderbar für uns vorbereiten wirst. Ich kann doch auf dich zählen, Georgiana? Und Binky findet, wir sollten ein paar Partys für dich geben, wenn wir ankommen, obwohl ich ihn an die beträchtliche Summe erinnert habe, die wir bereits für deine Saison ausgegeben haben. Er möchte dich unbedingt gut versorgt wissen und ich stimme ihm zu, dass die Familie in dieser kräftezehrenden Zeit dann eine Sorge weniger hätte. Ich hoffe, du wirst deinen Teil dazu beitragen, Georgiana, und die jungen Männer, die wir für dich aussuchen, nicht so abweisen wie du es bei dem armen Prinz Siegfried getan hast, der wirklich ein äußerst manierlicher junger Mann zu sein scheint und eines Tages vielleicht sogar ein Königreich erben wird. Darf ich dich daran erinnern, dass du auch nicht jünger wirst. Denk daran, dass eine Frau, sobald sie über vierundzwanzig ist, worauf du zusteuerst, aufs Abstellgleis kommt. Ihre Blüte ist vorbei.

Also bereite das Haus bitte für unsere Ankunft vor. Wir werden nur die geringstmögliche Anzahl an Bediensteten mitnehmen, da das Reisen heutzutage so teuer ist. Dein Bruder bittet mich, dir seine besten Wünsche zu übermitteln.

Deine ergebene Schwägerin

Hilda Rannoch

Es wunderte mich, dass sie nicht noch „Duchess“ hinzugefügt hatte. Ihr richtiger Name war nämlich Hilda, obwohl sie sonst von allen Fig genannt wurde. Würde ich Hilda heißen, fände ich Fig ehrlich gesagt sogar besser. Der Gedanke, dass sie in naher Zukunft eintreffen würde, rüttelte mich wach. Ich musste eine Betätigung finden, damit ich nicht im Haus festsitzen und mir anhören müsste, welche Last ich für die Familie war.

Eine Anstellung zu finden wäre wunderbar, aber ich hatte die Hoffnung darauf fast schon aufgegeben. Einige der arbeitslosen Männer, die immer an den Straßenecken standen, hatten alle möglichen Abschlüsse und Qualifikationen. Meiner Ausbildung an einem schrecklich vornehmen Mädcheninternat in der Schweiz hatte ich lediglich zu verdanken, dass ich mit einem Buch auf dem Kopf herumlaufen konnte, gutes Französisch sprach und wusste, welchen Platz ein Bischof bei einer Dinnergesellschaft hatte. Ich war für die Ehe ausgebildet worden, das war alles. Außerdem waren die meisten Anstellungen für jemanden meines Rangs verpönt. Ich würde meine Familie enttäuschen, wenn ich an der Kasse im Woolworths oder beim Ale-Ausschank im örtlichen Pub gesehen würde.

Eine Einladung an einen weit entfernten Ort – das war genau das, was ich brauchte. Vorzugsweise nach Timbuktu oder wenigstens in eine Villa am Mittelmeer. Dadurch könnte ich auch den kleinen Aufträgen der Königin entkommen. „Es tut mir so leid, Ma’am. Ich würde liebend gern Mrs Simpson für Euch ausspionieren, aber man erwartet mich Ende der Woche in Monte Carlo.“

Es gab in London nur eine Person, an die ich mich in einer so misslichen Lage wenden konnte – meine alte Schulfreundin Belinda Warburton-Stoke. Belinda gehört zu den Menschen, die immer wieder auf den Füßen landen – oder in ihrem Fall auf dem Rücken. Sie wird ständig zu Hauspartys und Jachtausflügen eingeladen – weil sie, müsst ihr wissen, schrecklich verrucht und sexy ist, anders als ich. Ich hatte noch nie Gelegenheit, verrucht oder sexy zu sein.

Nachdem ich vor ein paar Wochen von Castle Rannoch in Schottland nach London zurückgekehrt war, hatte ich ihrem kleinen Cottage in Knightsbridge einen Besuch abgestattet, es aber verschlossen und ohne eine Spur von Belinda vorgefunden. Ich nahm an, dass sie mit ihrer neuesten Errungenschaft, einem hinreißenden italienischen Grafen, der leider mit jemand anderem verlobt war, nach Italien gereist war. Es war durchaus möglich, dass sie inzwischen zurückgekehrt war, und die Situation war dringlich genug, um mich in den schlimmsten Nebel hinauszuwagen. Wenn mich jemand vor der drohenden Gefahr namens Fig retten konnte, dann Belinda. Also wickelte ich mich in mehrere Lagen Schals ein und trat nach draußen in den undurchdringlichen Nebel. Du meine Güte, dort draußen war es unheimlich. Alle Geräusche waren gedämpft und die Luft war vom Rauch tausender Kohlenfeuer durchdrungen, was einen ekelerregenden metallischen Geschmack in meinem Mund hinterließ. Die Häuser rund um den Belgrave Square waren von der Düsternis verschluckt worden und ich konnte gerade so das Geländer um die Parkanlage inmitten des Platzes ausmachen. Niemand sonst schien unterwegs zu sein, als ich vorsichtig den Platz umrundete.

Mehrmals war ich kurz davor aufzugeben und sagte mir, dass umtriebige junge Menschen wie Belinda bei Wetter wie diesem unmöglich in London waren und ich meine Zeit vergeudete. Aber ich ging beharrlich weiter. Wir Rannochs sind dafür bekannt nicht aufzugeben, komme was wolle. Also dachte ich an Robert Bruce Rannoch, der unbeirrbar die Heights of Abraham in Quebec erklomm, nachdem er mehrmals angeschossen worden war. Am Gipfel angekommen, hatte er mehr Löcher im Körper als ein Sieb und schaffte es, fünf weitere Feinde zu töten, bevor er starb. Keine aufmunternde Geschichte, schätze ich. Die meisten Geschichten meiner tapferen Vorfahren endeten damit, dass der jeweilige Vorfahr aus dem Leben schied.

Es dauerte eine Weile, bis ich erkannte, dass ich mich hoffnungslos verirrt hatte. Das Cottage von Belinda lag nur ein paar Straßen weiter und ich war schon seit einer Ewigkeit unterwegs. Mir war klar, dass ich vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzen musste, wobei ich mit der Hand zur Sicherheit die Geländer vor den Häusern berührte, aber ich musste irgendwo falsch abgebogen sein.

Keine Panik, sagte ich mir. Irgendwann würde ich auf eine mir vertraute Umgebung stoßen und ich wäre gerettet. Das Problem war, dass niemand sonst unterwegs und es unmöglich war, die Straßenschilder zu erkennen. Auch sie waren von der Finsternis über mir verschluckt worden. Ich hatte keine andere Wahl als weiterzugehen. Sicherlich würde ich irgendwann nach Knightsbridge und zu Harrods kommen. Ich würde die Lichter in den Schaufenstern sehen. Harrods würde wegen des bisschen Nebels nicht schließen. In London gab es genügend Leute, die nicht auf ihre Gänseleberpastete und ihre Trüffel verzichten konnten, egal, wie das Wetter war. Aber Harrods tauchte nicht auf. Schließlich gelangte ich zu einer Art Parkanlage. Ich war mir nicht sicher, welche es wohl war. Ich hatte doch nicht Knightsbridge durchquert und befand mich nun am Hyde Park?

So langsam wurde mir schrecklich mulmig zumute. Da bemerkte ich die Schritte hinter mir - langsame, gleichmäßige Schritte, die mit mir mithielten. Ich drehte mich um, konnte aber niemanden sehen. Sei nicht so albern, sagte ich mir. Die Schritte waren bestimmt nur ein merkwürdiges Echo, das durch den Nebel erzeugt wurde. Ich fing wieder an zu laufen, blieb plötzlich stehen und hörte, wie die Schritte noch etwas weiterliefen, bevor sie ebenfalls anhielten. Ich begann immer schneller zu laufen und vor meinem inneren Auge spielte sich ab, was bei Nebel in Sherlock-Holmes-Geschichten geschah. Ich stolperte über etwas, das wohl ein Bordstein war, lief weiter und spürte plötzlich eine große gähnende Leere vor mir, bevor ich gegen ein hartes Hindernis stieß.

Wo zum Teufel war ich? Ich tastete wieder nach dem Hindernis und versuchte, mir ein Bild davon zu machen. Es bestand aus rauem, kaltem Stein. Gab es eine Mauer um den Serpentine-Fluss im Hyde Park? Ich fühlte, wie mir kalte, feuchte Luft entgegenschlug, und konnte den unangenehmen Geruch von verfaulenden Pflanzen wahrnehmen. Außerdem hörte ich ein Plätschern. Ich lehnte mich nach vorn und versuchte herauszufinden, was das Geräusch war, das ich unter meinen Füßen hörte. Ich überlegte, ob ich über die Mauer klettern sollte, um meinem Verfolger zu entkommen. Dann fuhr ich plötzlich zusammen, als ich von hinten an der Schulter gepackt wurde.

Kapitel 2

„Das würde ich nicht tun, Miss“, sagte eine tiefe Stimme mit Cockney-Akzent.

„Was tun?“ Ich wirbelte herum und konnte gerade so den Umriss eines Polizeihelms erkennen.

„Ich weiß, was Sie vorhatten“, sagte er. „Sie wollten in den Fluss springen, stimmt’s? Ich bin Ihnen gefolgt. Ich hab’ gesehen, dass Sie über die Brüstung klettern wollten. Sie hätten sich das Leben genommen.“

Ich verarbeitete noch immer die Information, dass ich irgendwie den ganzen Weg zur Themse gelaufen war, in die völlig falsche Richtung, und es dauerte einen Moment, bis ich verstand. „Mir das Leben nehmen? Keineswegs, Constable.“

Er legte seine Hand wieder auf meine Schulter, diesmal sanfter. „Kommen Sie schon, meine Liebe. Sie können mir die Wahrheit sagen. Warum sind Sie sonst an einem Tag wie diesem unterwegs und haben versucht, in den Fluss zu klettern? Kopf hoch. Ich erlebe so etwas ständig, meine Liebe. Diese Wirtschaftskrise schlägt allen auf die Stimmung, aber ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass das Leben trotzdem lebenswert ist, was auch immer passiert. Kommen Sie mit mir zurück zur Polizeiwache und ich mache Ihnen eine schöne Tasse Tee.“

Ich wusste nicht, ob ich lachen oder empört sein sollte. Letzteres gewann. „Hören Sie mal, Officer“, sagte ich, „ich habe nur versucht, eine Freundin zu besuchen, und muss falsch abgebogen sein. Ich hatte keine Ahnung, dass ich überhaupt in der Nähe des Flusses war.“

„Wenn Sie meinen, Miss“, sagte er.

Ich war versucht, ihm zu sagen, dass ich „Mylady“ und nicht „Miss“ war, aber inzwischen fühlte ich mich so unwohl, dass ich nur noch wegwollte. „Wenn Sie mir einfach den Weg zurück in Richtung Knightsbridge zeigen könnten“, sagte ich. „Oder Belgravia. Ich kam vom Belgrave Square.“

„Menschenskinder, dann sind Sie ja völlig falsch. Sie sind an der Chelsea Bridge.“ Er nahm meinen Arm und geleitete mich zurück über das Embankment und dann eine Straße entlang, bei der es sich laut ihm um die Sloane Street handelte, die zum Sloane Square führte. Ich lehnte sein erneutes Angebot einer Tasse Tee im Polizeirevier ab und sagte ihm, ich käme zurecht. Nun wüsste ich ja, in welcher Straße ich mich befand.

„Wenn ich Sie wäre, würde ich auf direktem Weg nach Hause gehen“, sagte er. „Bei diesem Wetter sollte man nicht vor die Tür gehen. Reden Sie mit ihrer Freundin über den guten alten Fernsprechapparat.“

Natürlich hatte er recht, aber ich benutzte das Telefon nur in Notfällen, da Fig es ablehnte, die Rechnung zu bezahlen und ich dafür kein Geld hatte. Mir wurde klar, dass es heute vernünftiger gewesen wäre, aber ich sehnte mich nach der Gesellschaft eines anderen Menschen. Es ist schrecklich einsam, sein Lager in einem großen Haus aufzuschlagen, wenn man nicht einmal ein Dienstmädchen hat, mit dem man reden kann, und ich bin jemand, der Gesellschaft mag. Also ging ich vom Sloane Square aus los und erreichte Belindas Cottage schließlich ohne weitere Zwischenfälle, wo allerdings meine Befürchtung bestätigt wurde, dass sie nicht zu Hause war.

Ich versuchte den Weg zum Belgrave Square wiederzufinden und wünschte mir wirklich, ich hätte den Rat des Polizisten befolgt und wäre direkt nach Hause gegangen. Dann hörte ich im Nebel ein Geräusch, das mir bekannt vorkam – das Pfeifen eines Zuges. Also fuhren trotz des Nebels noch einige Züge und die Victoria Station lag direkt vor mir. Wenn ich den Bahnhof fand, würde ich mich recht einfach zurechtfinden können. Plötzlich stieß ich auf eine Reihe von Menschen, überwiegend Männer, die niedergeschlagen mit vor die Münder gewickelten Schals dastanden, die Hände in den Taschen. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was sie hier taten, bis ich gekochten Kohl roch und mir klar wurde, dass sie vor der Suppenküche des Bahnhofs anstanden. Es würde meiner Familie gefallen, wenn ich dort ehrenamtlich arbeitete, und die Königin hatte sogar selbst vorgeschlagen, dass ich mich wohltätig engagierte. Wenigstens würde ich so eine ordentliche Mahlzeit am Tag bekommen, bis Binky und Fig eintrafen. Ich hatte nämlich ein furchtbar leeres, flaues Gefühl im Magen. Ich wollte an der Schlange vorbeigehen, um jemanden zu finden, der zuständig war, als eine Hand vorschoss und mich packte.

„He, wo willst du denn hin?“, wollte ein großer, kräftiger Mann wissen. „Wolltest dich vordrängeln, was? Du gehst ans Ende der Schlange und wartest wie wir anderen auch.“

„Aber ich wollte nur mit den Leuten sprechen, die die Küche betreiben“, sagte ich. „Ich wollte dort ehrenamtlich arbeiten.“

„Pah – ich hab’ schon jede Ausrede gehört. Na los, zum Ende der Schlange.“

Ich drehte mich peinlich berührt um und wollte gerade nach Hause schleichen, als der Mann hinter ihm vortrat. „Schau sie dir an, Harry. Sie ist nur Haut und Knochen und jeder kann sehen, dass sie schwere Zeiten durchmacht. Gehen Sie ruhig vor, Küken. Sie sehen aus, als würden Sie jeden Moment in Ohnmacht fallen, wenn Sie nicht bald eine ordentliche Mahlzeit bekommen.“

Ich wollte dieses freundliche Angebot gerade ablehnen, aber dann stieg mir der Geruch der Suppe in die Nase. Man kann sich denken, wie hungrig ich war, wenn ich sogar gekochten Kohl wohlriechend fand. Was konnte es schon schaden, wenn ich die Ware testete, bevor ich meine Dienste anbot? Ich schenkte dem Mann ein dankbares Lächeln und schlüpfte in die Schlange. Wir bewegten uns langsam vorwärts und kamen schließlich ins Bahnhofsgebäude. Es machte einen unnatürlich verlassenen Eindruck, aber ich hörte das Zischen von Dampf, der aus einer Lokomotive ausgestoßen wurde und eine körperlose Stimme kündigte die Abfahrt des Fährzugs nach Dover an, was ein sehnsüchtiges Gefühl in mir weckte. Auf dem Fährzug nach Dover in Richtung Festland zu sein – wäre das nicht fantastisch?

Aber meine Reise endete ein paar Meter weiter an einem mit Wachstuch bedeckten Tisch neben den Bahnsteigen. Mir wurden ein Teller und ein Löffel gereicht. Ein Kanten Brot wurde auf den Teller geworfen und dann ging ich weiter zu einem der großen Töpfe mit Eintopf. Ich konnte Fleischstücke und Karotten sehen, die in einer reichhaltigen braunen Soße schwammen. Ich sah zu, wie sich die Schöpfkelle hob und über meinen Teller senkte, dann verharrte sie in der Luft.

Ich blickte verärgert auf und schaute in Darcy O'Maras eindringliche Augen. Sein dunkles, lockiges Haar war noch widerspenstiger als sonst und er trug einen weiten königsblauen Sherman-Pullover, der perfekt zum Blau seiner Augen passte. Kurz gesagt, er war so wunderschön wie immer. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus.

„Georgie!“ Er hätte nicht schockierter klingen können, wenn ich ohne Kleidung dagestanden hätte. Wie ich Darcy kannte, hätte er es vielleicht sogar genossen, mich nackt in der Victoria Station zu sehen.

Ich spürte, wie ich rot anlief und versuchte mich locker zu geben. „Hallöchen Darcy. Lange nicht gesehen.“

„Georgie, was hast du dir dabei gedacht?“ Er schnappte mir den Teller weg, als wäre er glühend heiß.

„Es ist nicht so, wie es aussieht, Darcy.“ Ich versuchte zu lachen, was missglückte. „Ich kam hierher, um herauszufinden, ob ich in der Suppenküche aushelfen könnte, und einer der Männer in der Schlange dachte, ich wäre zum Essen hier und bestand darauf, dass ich seinen Platz einnehme. Er war so freundlich, dass ich ihn nicht vor den Kopf stoßen wollte.“

Während ich sprach, wurde mir bewusst, dass hinter mir in der Schlange Gemurmel laut wurde. Die Wohlgerüche drangen offensichtlich auch zu ihnen. „Dann geh zur Seite“, sagte eine wütende Stimme. Darcy nahm die weite blaue Schürze ab, die er getragen hatte. „Übernimm für mich, Wilson, ja?“, rief er einem anderen Helfer zu. „Ich muss diese junge Lady hier herausbringen, bevor sie in Ohnmacht fällt.“

Dann sprang er beinahe über den Tisch, um mich zu stützen, nahm meinen Arm und führte mich mit festem Griff davon.

„Was tust du da?“, wollte ich wissen und war mir der vielen Blicke, die auf mich gerichtet waren, bewusst.

„Ich bringe dich hier raus, bevor dich jemand erkennt, was sonst“, zischte er mir ins Ohr.

„Ich verstehe nicht, warum du so viel Aufhebens darum machst“, sagte ich. „Wenn du nicht so reagiert hättest, hätte mich niemand bemerkt. Und ich bin wirklich gekommen, um meine Dienste anzubieten, weißt du.“

„Das mag schon sein, aber es kommt nicht selten vor, dass die Gentlemen von der Presse in den großen Londoner Bahnhöfen herumschleichen in der Hoffnung, eine Berühmtheit zu erwischen“, sagte er mit seiner rauen Stimme, in der eine Spur Irisch mitschwang, während er mich immer noch schnellen Schritts mit sich zog. „Es ist nicht schwer dich zu erkennen, Mylady. Ich selbst habe dich in einem Londoner Teeladen erkannt, weißt du noch? Und kannst du dir vorstellen, was für ein gefundenes Fressen das für sie wäre? Ein Mitglied der Königsfamilie unter den Glücklosen? ‚Vom Buckingham Palace zur Bettlerin‘? Denk an die Peinlichkeit, die das deinen königlichen Verwandten bescheren würde.“

„Ich verstehe nicht, warum ich mir darüber Sorgen machen sollte, was sie denken“, sagte ich. „Sie bezahlen nicht für mein Essen.“

Wir verließen das rußige Bahnhofsgebäude durch eine Seitentür. Er ließ meinen Arm los und fixierte mich mit seinem Blick. „Wolltest du wirklich diese ekelhafte Brühe essen, die sie Suppe nennen?“

„Wenn du es genau wissen willst, ja. Das wollte ich wirklich. Seit meinem letzten Karriereversuch vergangenen Sommer – eine Karriere, die du übrigens vorzeitig beendet hast – habe ich kein Geld verdient und soweit ich weiß, braucht man Geld, um Essen zu kaufen.“

Sein Gesichtsausdruck veränderte sich und wurde weicher. „Mein armes, liebes Mädchen. Warum hast du niemandem Bescheid gesagt? Warum hast du mir nichts erzählt?“

„Darcy, ich weiß nie, wo ich dich finden kann. Außerdem scheinst du selbst die meiste Zeit pleite zu sein.“

„Aber im Gegensatz zu dir weiß ich, wie man überlebt“, sagte er. „Ich passe im Moment auf das Haus eines Freundes in Kensington auf. Er besitzt einen außerordentlich guten Weinkeller und hat die Hälfte seiner Bediensteten dort gelassen, also kann ich mich nicht beklagen. Du bist also noch immer allein im Rannoch House?“

„Ganz allein“, sagte ich. Nun, da der Schreck darüber, dass ich ihm in einer so aufwühlenden Situation begegnet war, nachließ und er mich zärtlich ansah, war mir zum Weinen zumute.

Er brachte mich zu einer Straßenecke und machte ein Taxi ausfindig, das dort stand.

„Glauben Sie, Sie schaffen es, den Belgrave Square zu finden?“, fragte er.

„Werd’ mir verdammt viel Mühe geben, Kumpel“, antwortete der Taxifahrer, der offensichtlich nur zu froh war, etwas zu verdienen. „Wenigstens müssen wir nich’ befürchten, im Stau zu stehen, was?“

Darcy half mir einzusteigen und wir fuhren los.

„Arme kleine Lady Georgie.“ Er legte seine Hand an meine Wange und streichelte sie sanft, was mich noch mehr durcheinanderbrachte. „Du hast wirklich nicht das Zeug dazu, in der großen, weiten Welt zu überleben, nicht wahr?“

„Ich gebe mir Mühe“, sagte ich. „Es ist nicht einfach.“

„Das letzte Mal, als ich von dir gehört habe, warst du mit deinem Bruder auf Castle Rannoch“, sagte er, „was nicht der fröhlichste Ort auf der Welt ist, da muss ich dir recht geben, aber wenigstens bekommst du dort drei anständige Mahlzeiten am Tag. Was in Gottes Namen hat dich dazu gebracht, um diese Jahreszeit fortzugehen und hier herunterzukommen?“

„Ein Wort: Fig. Sie ist wieder so fies wie eh und je geworden und hat immer wieder Bemerkungen darüber fallen lassen, dass sie zu viele Münder stopfen und auf ihre Marmelade von Fortnum’s verzichten müsste.“

„Es ist das Heim deiner Vorfahren, nicht ihrer“, sagte er. „Dein Bruder ist sicher dankbar für alles, was du für sie getan hast, oder? Wenn du nicht gewesen wärst, wäre ihr Sohn tot und Binky vielleicht auch.“

„Du kennst doch Binky. Er ist ein liebenswürdiger Kerl, aber er ist zu nachgiebig. Fig hat die Hosen an. Und er war wegen dieser schrecklichen Entzündung an seinem Knöchel ans Bett gefesselt; sie hat ihn sehr geschwächt. Also war es alles in allem vernünftiger abzuhauen. Ich hatte gehofft, ich würde eine Arbeit finden.“

„Es gibt keine Arbeit“, sagte er. „Niemand verdient Geld, außer den Buchmachern bei den Pferderennen und den Spielclubs. Nicht, dass sie mein Geld bekommen würden.“ Er grinste selbstgefällig. „Letzte Woche beim Hindernisrennen in Newmarket habe ich fünfzig Mäuse gewonnen. Ich weiß vielleicht nicht viel, aber mit Pferden kenne ich mich aus. Wenn mein Vater den Rennstall nicht verkauft hätte, wäre ich jetzt zu Hause in Irland und würde ihn leiten. Aber wie die Dinge liegen, bin ich ein Heimatloser wie du.“

„Aber du arbeitest im Geheimen, nicht wahr, Darcy?“, sagte ich.

„Wie kommst du denn darauf?“ Er lächelte mir herausfordernd zu.

„Du verschwindest wochenlang und sagst mir nicht, wohin du gehst.“

„Vielleicht habe ich ja nebenher ein heißes junges Ding in Casablanca oder Jamaika“, sagte er.

„Darcy, du bist unverbesserlich.“ Ich schlug ihm auf die Finger. Er packte meine Hand und hielt sie fest.

„Es gibt gewisse Dinge, die ich nicht in Taxis bespreche“, sagte er.

„Ich glaube, das ist der Belgrave Square.“ Der Taxifahrer schob die gläserne Trennwand herunter. „Welches Haus?“

„In der Mitte der Längsseite“, sagte Darcy.

Wir hielten vor Rannoch House an. Darcy stieg aus und ging um den Wagen herum, um mir die Tür zu öffnen. „Weißt du, es ist sinnlos, in diesem Nebel irgendwohin zu gehen“, sagte er. „Es wird unmöglich sein, ein Taxi dazu zu bringen, uns nach Anbruch der Dunkelheit irgendwohin zu fahren. Aber morgen soll es ein wenig besser werden. Also hole ich dich um sieben ab.“

„Wohin gehen wir?“

„Wir werden natürlich ordentlich essen gehen“, sagte er. „Zieh dich schick an.“

„Wir schleichen uns nicht wieder heimlich auf die Hochzeit von irgendjemandem?“, fragte ich, weil wir genau das getan hatten, als wir das erste Mal zusammen ausgegangen waren.

„Natürlich nicht.“ Er hielt meine Hand fest, als ich die Stufen zur Eingangstür hinaufstieg. „Dieses Mal wird es das Dinner der Buchhaltergesellschaft.“ Dann sah er mein Gesicht und lachte. „Ich mache nur Spaß, altes Haus.“

Kapitel 3

Rannoch House

Mittwoch, 9. November

Der Nebel hat sich verzogen. Heute Abend Dinner mit Darcy. Hurra.

Ich verbrachte den Tag damit, das Haus für das aufziehende Unwetter vorzubereiten. Ich zog Staubbezüge ab, fegte Teppiche und machte Betten. Ich verschob das Anzünden der Feuer auf ein andermal. Ich wollte keinen Kohlenstaub im Haar haben, wenn ich mit Darcy ausging. Ihr seht, wie furchtbar häuslich ich geworden war. Ich eilte mehrmals zum Fenster, um sicherzugehen, dass der Nebel nicht wieder aufzog, aber eine steife Brise war aufgekommen und als ich mich für mein Rendezvous mit Darcy bereitmachte, hatte es angefangen zu regnen.

Da ich zu Hause in Schottland gewesen war, waren meine eleganten Kleider von meinem Dienstmädchen gereinigt und gebügelt worden. Ich entschied mich für eines aus flaschengrünem Samt und versuchte sogar mein Haar zu glatten Wellen zu bändigen. Dann beschloss ich, aufs Ganze zu gehen und bearbeitete mein Gesicht mit Lippenstift, Rouge und Mascara. Vervollständigt wurde es durch eine Biberstola, die zu den abgelegten Sachen meiner Mutter gehörte, und um sieben Uhr sah ich einigermaßen zivilisiert aus. Dann machte ich mir natürlich Sorgen, dass Darcy nicht auftauchen würde, aber er war auf die Minute pünktlich und ein Taxi wartete schon auf uns. Wir rasten die Pall Mall entlang, fuhren um den Trafalgar Square herum und hinein in das Gewirr der Gassen hinter der Charing Cross Road.

„Wohin gehen wir?“, fragte ich vorsichtig, da dieser Teil der Stadt spärlich beleuchtet war und nicht besonders respektabel wirkte.

„Meine Liebe, ich nehme dich mit in mein Versteck, um mich mit dir zu vergnügen“, sagte Darcy mit gespielter Bösewicht-Stimme. „Eigentlich gehen wir ins Rules.“

„Rules?“

„Du hast bestimmt schon einmal im Rules gespeist – Londons ältestes Restaurant. Gutes, herzhaftes, britisches Essen.“

Das Taxi hielt vor einem unscheinbaren Bleiglasfenster. Wir gingen hinein und freundliche Wärme begrüßte uns. Die Wände waren mit dunklem Holz getäfelt, die weißen Tischdecken gestärkt und das Besteck auf Hochglanz poliert. Ein Maître d’ im Frack nahm uns an der Tür im Empfang.

„Mr O’Mara, Sir. Wie reizend, Sie wiederzusehen“, sagte er und führte uns durch das Restaurant zu einem Tisch in einer hinteren Ecke. „Und wie geht es Seiner Lordschaft?“

„Den Umständen entsprechend gut, Banks“, sagte Darcy. „Sie werden gehört haben, dass wir das Haus und den Rennstall an Amerikaner verkaufen mussten und mein Vater nun im Pförtnerhaus lebt.“

„Etwas in der Art habe ich tatsächlich gehört, Sir. Es sind schwere Zeiten. Nichts ergibt mehr einen Sinn. Bis auf das Rules. Hier ändert sich nichts, Sir. Und ich glaube, das muss die Tochter des alten Duke of Rannoch sein. Es ist eine Ehre, Sie hier zu begrüßen, Mylady. Ihr verstorbener Vater war ein häufiger Gast. Wir vermissen ihn sehr.“

Er zog einen Stuhl für mich zurück, während Darcy auf eine rote Lederbank glitt.

„Jeder, der ein Teil der Londoner Geschichte ist, hat hier gespeist.“ Darcy wies auf die Wände, die mit Karikaturen, Unterschriften und Theaterprogrammen bedeckt waren. Und tatsächlich konnte ich die Namen von Charles Dickens, Benjamin Disraeli, John Galsworthy und sogar, wie ich meinte, Nell Gwynn ausmachen.

Darcy studierte die Speisekarte, während ich meinen Blick über die Wände wandern ließ und zu erkennen versuchte, ob meine Mutter oder mein Vater es in die Sammlung der signierten Fotografien geschafft hatten.

„Ich denke, heute Abend beginnen wir mit einem Dutzend Whitstable-Austern für jeden“, sagte er. „Zum Suppengang dann Lauch-Kartoffelsuppe, die ist hier so gut. Dann geräucherter Schellfisch und natürlich den Fasan.“

„Eine bewundernswerte Wahl, Sir“, sagte der Ober, „und darf ich einen sehr schönen Claret zum Fasan vorschlagen? Und vielleicht eine Flasche Champagner, um die Austern zu begleiten?“

„Warum nicht?“, sagte Darcy. „Das klingt perfekt.“

„Darcy“, zischte ich, als der Ober sich entfernte, „das wird ein Vermögen kosten.“

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich letzte Woche beim Hotte-Hü fünfzig Pfund gewonnen habe“, sagte er.

„Aber du solltest nicht alles auf einmal ausgeben.“

„Warum nicht?“ Er lachte. „Wofür ist Geld sonst da?“

„Du solltest etwas für dich behalten, falls du in die Klemme gerätst.“

„Unsinn. Irgendwas findet sich immer. Carpe diem, junge Georgie.“

„Ich habe nie Latein gelernt“, sagte ich. „Nur Französisch und nutzlose Dinge wie Klavierspiel und Etikette.“

„Es bedeutet: Nutze den Tag. Schieb niemals etwas auf, das du tun willst, weil du dir Sorgen um das Morgen machst. Das ist mein Motto, danach lebe ich. Das solltest du auch.“

„Ich wünschte, das könnte ich“, sagte ich. „Du scheinst immer auf den Füßen zu landen, aber für ein Mädchen wie mich, das keine vernünftige Ausbildung hat, ist es nicht so einfach. Ich werde schon jetzt als hoffnungsloser Fall gehandelt – zweiundzwanzig und auf dem Abstellgleis.“

Ich schätze, ich hatte gehofft, er würde sagen, dass ich ihn eines Tages heiraten würde, oder etwas in der Art, aber stattdessen meinte er: „Oh, ich schätze, irgendwann wird ein passendes Prinzlein auftauchen.“

„Darcy! Ich habe bereits Prinz Siegfried abgewiesen, sehr zum Ärger meiner Familie. Sie sind alle gleichermaßen schlecht. Und sie werden bemerkenswert häufig hinterrücks ermordet.“

„Tja, würdest du Siegfried etwa nicht hinterrücks ermorden wollen?“, fragte er lachend. „Ich für meinen Teil durchaus. Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, juckt es mich in den Fingern ihn zu erwürgen. Aber ein paar der Bulgaren sind in Ordnung. Ich bin mit Nicholas zur Schule gegangen und er ist der Thronerbe. Er war ein verdammt guter Rugbyspieler.“

„Und aus Männersicht macht ihn das zum aussichtsreichen Ehemann?“

„Selbstverständlich.“

Die Champagnerflasche wurde mit einem befriedigenden Ploppen geöffnet und unsere Gläser wurden gefüllt. Darcy prostete mir zu. „Auf das Leben“, sagte er. „Möge es voller Spaß und Abenteuer sein.“

Ich stieß mit ihm an. „Auf das Leben“, flüsterte ich.

Ich bin keine große Trinkerin. Nach dem dritten Glas Champagner fühlte ich mich ausgesprochen sorglos. Ich bemerkte kaum, wie ich die Suppe aß, ebenso den geräucherten Schellfisch. Zum Fasan, der mit winzigen Silberzwiebeln und Pilzen garniert in einer sahnigen rotbraunen Bratensoße schwamm, wurde eine Flasche Claret geöffnet. Ich beschloss kurzerhand, dass es dumm von mir gewesen war, zu versuchen, meinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Das Leben war dazu da, Spaß zu haben und Abenteuer zu erleben. Weg mit der niedergeschlagenen Stimmung.

Ich verputzte jeden Bissen auf dem Teller, dann arbeitete ich mich durch den süßen Bread-and-Butter-Pudding und ein Glas Port. Als uns ein Taxi zurück zum Rannoch House fuhr, war ich mit der Welt im Reinen. Darcy begleitete mich die Treppe hinauf und half mir, die Tür aufzuschließen, da ich Probleme hatte, das Schloss zu finden. Eine Stimme in meinem Hinterkopf flüsterte mir zu, dass ich wahrscheinlich nur ein bisschen betrunken war, während eine andere raunte, dass ich Darcy vermutlich nicht spät abends, wenn ich ganz allein war, ins Haus lassen sollte.

„Heilige Mutter Gottes, hier ist es ja kalt und trostlos“, sagte Darcy, als wir die Tür hinter uns schlossen. „Gibt es an diesem verfluchten Ort denn kein warmes Eckchen?“

„Nur im Schlafzimmer“, sagte ich. „Ich versuche dort ein Feuer am Leben zu halten.“

„Das Schlafzimmer. Gute Idee“, sagte er und führte mich in Richtung der Treppe. Gemeinsam stiegen wir hinauf, sein Arm um meine Taille gelegt. Mir war nicht bewusst, dass ich die Stufen erklomm. Ich schwebte halb, berauscht vom Wein und seiner Nähe.

Die letzten Funken eines Feuers glommen noch im Kamin des Schlafzimmers und nach der Kälte des restlichen Hauses fühlte es sich angenehm warm an.

„Ah, viel besser“, sagte Darcy.

Ich sah das Bett vor mir und warf mich darauf. „Ah, mein Bett. Himmlisch“, sagte ich.

Darcy stand da und schaute belustigt auf mich herab. „Ich muss schon sagen, dieser Wein hat Wunder gewirkt, was deine Hemmungen angeht.“

„Wie du sehr genau wusstest“, sagte ich und wedelte mit einem Finger in seine Richtung. „Ich kenne deine bösen Absichten, Mr O’Mara. Glaub nicht, dass ich sie nicht durchschaue.“

„Und trotzdem habe ich noch nicht bemerkt, dass du mich fortschickst.“

„Du sagtest gerade, dass der Sinn des Lebens ist, Spaß zu haben und Abenteuer zu erleben“, sagte ich und streifte einen Schuh so energisch ab, dass er durchs Zimmer flog. „Und du hast recht. Ich war zu lange niedergeschlagen und langweilig. Zweiundzwanzig Jahre alt und eine langweilige Jungfrau. Was soll das bringen?“

„Überhaupt nichts“, sagte Darcy sanft, zog seinen Mantel aus und legte ihn über die Lehne eines Stuhls. Seine Jacke folgte, dann lockerte er seine Krawatte.

„Lass mich hier nicht ganz allein, Darcy“, sagte ich mit einer, wie ich hoffte, verführerischen Stimme.

„Ich bin nicht dafür bekannt, Einladungen wie diese abzulehnen“, sagte Darcy. Er setzte sich, um seine Schuhe auszuziehen, dann hockte er sich auf die Bettkante. „Du wirst dieses hübsche Kleid ganz zerknittern. Lass mich dir beim Ausziehen helfen, Mylady.“ Er hob mich in eine sitzende Position, was nicht ganz einfach war, da meine Gliedmaßen mir nicht länger zu gehorchen schienen und ich musste zugeben, dass das Zimmer sich eine Winzigkeit drehte. Ich nahm seine Hände auf meinem Rücken wahr, als er die Haken meines Kleides öffnete. Ich spürte, wie es über meinen Kopf glitt und fühlte dann die kühle Luft auf der Seide meines Unterkleids.

„Mir ist kalt.“ Ich schauderte. „Komm und wärme mich.“

„Dein Wunsch ist mir Befehl“, sagte er und schloss mich in seine Arme. Ich drehte mein Gesicht zu ihm und seine Lippen fanden meine. Der Kuss war so intensiv und fordernd, dass mir das Atmen schwerfiel. Seine Zunge erforschte meinen Mund und ich schwebte auf einer rosafarbenen Wolke der Ekstase.

Das ist himmlisch, sagte ich mir. Genau danach habe ich mich gesehnt.

Ich hob auf der rosafarbenen Wolke ab und flog mit Darcy an meiner Seite über Felder, bis ich bemerkte, dass seine Lippen nicht mehr auf meinen waren und mir wieder kalt wurde. Ich öffnete die Augen. Darcy saß aufrecht an der Bettkante und zog seine Schuhe an.

„Was ist los?“, fragte ich benommen. „Willst du mich nicht mehr, Darcy? Seit wir uns zum ersten Mal begegnet sind, hast du versucht, mich ins Bett zu bekommen und jetzt sind wir hier in diesem großen, leeren Haus und du gehst wieder?“

„Du bist eingeschlafen“, sagte er. „Und du bist sturzbetrunken.“

„Ich gebe zu, dass ich ein kleines bisschen angeheitert bin, aber lag das nicht in deiner Absicht?“

„Das war meine Absicht, als ich an Austern und Champagner dachte. Aber ich habe gemerkt, dass ich, was dich angeht, ein moralisches Rückgrat besitze, von dessen Existenz ich nichts wusste.“ Er lachte beinahe bitter. „Wenn wir uns zum ersten Mal lieben, meine süße Georgie, will ich, dass du wach bist und dir völlig bewusst ist, was du tust. Ich will nicht, dass du mittendrin einschläfst und auch nicht, dass du denkst, ich hätte dich ausgenutzt.“

„Das würde ich niemals denken“, sagte ich. Ich setzte mich auf. „Warum dreht sich auf einmal alles im Kreis?“

„Komm“, sagte er. „Lass mich dir ins Bett helfen. Allein, meine ich. Ich schaue morgen früh vorbei. Du wirst wahrscheinlich teuflische Kopfschmerzen haben.“

Er half mir aus meinem Unterkleid. „Du meine Güte, dein Körper ist wunderschön“, sagte er. „Ich sollte meinen Kopf untersuchen lassen.“

Plötzlich erstarrte er. „Was war das?“

„Was?“

„Es klang, als sei die Eingangstür ins Schloss gefallen. Hier ist gerade niemand sonst, oder?“

„Nein, ich bin ganz allein.“ Ich setzte mich auf und lauschte. Ich glaubte, Schritte und Stimmen von unten zu hören.

„Ich werde nachsehen, was los ist“, sagte Darcy. Er ging auf den Flur hinaus, während ich meinen Morgenmantel von dem Haken hinter meiner Tür holte. In diesem Zustand war es nicht ganz einfach aufzustehen und ich musste mich an der Tür festhalten, um mein Gleichgewicht zu halten.

Dann vernahm ich die Worte, dich mich sofort nüchtern werden ließen.

„Binky, Fig, Ihr seid zurück.“

Kapitel 4

Rannoch House

9. und 10. November

Ich ging schwankend auf den Flur hinaus und merkte, wie der Boden mir entgegenkam und die Treppe sich bis in die Unendlichkeit ausdehnte. Auf dem Weg hinunter in den ersten Stock klammerte ich mich am Geländer fest. Am Fuß der Treppe im Flur des Erdgeschosses standen zwei Kleckse in Pelzmänteln mit rosafarbenen Spitzen auf dem schwarz-weiß gemusterten Marmor. Nach und nach nahmen sie Gestalt an: zwei erschrockene Gesichter mit offenen Mündern.

„Grundgütiger, O’Mara, was tun Sie denn hier?“, wollte Binky wissen.

„Man sollte meinen, dass es selbst für jemanden mit deiner beschränkten Vorstellungskraft eindeutig ist, was er hier trieb“, sagte Fig empört und starrte zu mir hoch. „Wie kannst du es wagen, Georgiana. Du hast unser Vertrauen missbraucht. Wir haben dir gnädigerweise die Benutzung des Hauses gestattet und du verwandelst es in eine Höhle des – was ist es für eine Höhle, Binky?“

„Löwen?“, sagte Binky.

Fig seufzte und verdrehte die Augen. „Völlig hoffnungslos“, murmelte sie.

„Eine Lasterhöhle?“, schlug Darcy vor. Er schien die einzige Person zu sein, die nicht im Mindesten verärgert war. Ich stieg immer noch schwankend die Stufen hinunter und wagte nicht, das Geländer loszulassen. Ich traute auch meiner Stimme nicht.

„Ganz genau“, fuhr Fig ihn an. „Eine Lasterhöhle, Georgiana. Dem Himmel sei Dank, dass wir Klein-Podge nicht mitgenommen haben. Das mitzuerleben hätte ihn bestimmt sein Leben lang verfolgt.“

„Zu erfahren, dass normale Menschen ab und an vielleicht Sex haben möchten?“, fragte Darcy.

Bei der Erwähnung des Wortes „Sex“ fasste Fig sich an die Kehle. „Sag doch was, Binky“, drängte sie und schob ihn vorwärts. „Rede mit deiner Schwester.“

„Hallöchen Georgie“, sagte er. „Schön, dich wiederzusehen.“

„Nein, du Idiot, ich meinte, rede mit ihr.“ Fig tänzelte beinahe vor Wut. „Sag ihr, dass ihr Verhalten einfach unziemlich ist. So verhält sich eine Rannoch nicht. Sie wird wie ihre Mutter, nach allem, was wir für sie getan haben und all dem Geld, das wir für ihre Schulbildung ausgegeben haben.“

„Hört“, sagte Darcy, aber sie schnitt ihm das Wort ab.

„Sie hören jetzt zu, Mr O’Mara.“ Fig machte einen drohenden Schritt auf ihn zu, aber Darcy blieb tapfer stehen. „Ich nehme an, Sie sind an alldem schuld. Georgie ist sehr behütet aufgewachsen. Sie hat keine Erfahrung mit weltlichen Dingen und ihr fehlt eindeutig das Urteilsvermögen, Sie nicht ins Haus zu lassen, wenn sie ganz allein ist. Ich denke, Sie gehen besser, bevor ich weiterspreche, obwohl ich fürchte, dass der Schaden bereits angerichtet ist. Nun will Prinz Siegfried sie ganz sicher nicht mehr.“

Aus irgendeinem Grund fand ich das sehr lustig. Ich sank auf eine Stufe nieder und begann unkontrolliert zu kichern.

„Keine Sorge, ich gehe“, sagte Darcy. „Aber ich würde Euch gern daran erinnern, dass Georgie über einundzwanzig ist und selbst entscheiden kann, was sie tut.“

„Nicht in unserem Haus“, sagte Fig.

„Das ist das Zuhause der Rannochs, nicht wahr? Und sie ist verdammt nochmal länger eine Rannoch, als Ihr es gewesen seid.“

„Aber nun gehört es dem neuen Duke und das ist mein Ehemann“, sagte Fig in ihrer eisigsten „Ich bin eine Duchess und du nicht“-Stimme. „Georgiana lebt hier dank unserer Güte und Mildtätigkeit.“

„Ohne Heizung und ohne Bedienstete. Unter Mildtätigkeit verstehe ich etwas anderes, Euer Gnaden“, sagte Darcy. „Besonders, wenn Euer lieber Ehemann, der Duke, ohne Georgie jetzt im Familiengrab beerdigt wäre und Euer kleiner Sohn neben ihm. Mir scheint, Ihr schuldet ihr mehr als nur ein wenig Dankbarkeit.“

„Oh, natürlich sind wir dankbar für alles“, sagte Binky. „Ausgesprochen dankbar.“

„Natürlich sind wir das. Es ist ihre Moral, die uns Sorgen bereitet“, fügte Fig schnell hinzu, „und der Ruf von Rannoch House. Fremde Männer, die ein und aus gehen, fallen im Belgrave Square auf.“

Die Wortwahl brachte mich wieder zum Kichern. Fig schaute zur Treppe und richtete ihren prüfenden Blick auf mich. In diesem Moment fiel mir auf, dass mein Morgenmantel nicht ganz zugebunden war und ich darunter nichts trug. Ich versuchte, ihn enger zu ziehen, um den letzten Rest meiner Würde zu bewahren.

„Georgiana, bist du betrunken?“, wollte Fig wissen.

„Nur ein bisschen“, gestand ich und presste meine Lippen aufeinander, damit ich nicht wieder loskicherte.

„Der Champagner ist ihr zu Kopf gestiegen, fürchte ich“, sagte Darcy, „weshalb ich sie nach Hause begleitet habe und es für klug hielt, sie ins Bett zu bringen, damit sie nicht hinfällt und sich verletzt, da sie kein Dienstmädchen hat, um ihr behilflich zu sein. Wenn Ihr also schmutzige Details wissen möchtet, ich habe sie ins Bett gebracht, sie schlief sofort ein und ich wollte gerade gehen.“

„Oh“, sagte Fig, der nun der Wind aus den Segeln genommen worden war, „ich wünschte, ich könnte Ihnen glauben, Mr O’Mara.“

„Glaubt, was Ihr wollt“, sagte Darcy. Er sah zu mir auf. „Ich wünsche dir eine gute Nacht, Georgie“, sagte er und warf mir einen Kuss zu. „Wir sehen uns bald wieder. Pass auf dich auf und lass dich nicht von ihr herumkommandieren. Denk daran, dass in deinen Adern königliches Blut fließt, anders als bei ihr.“

Er zwinkerte mir zu, klopfte Binky auf die Schulter und ging zur Tür hinaus.

„Also wirklich“, sagte Fig und brach das Schweigen.

„Verdammt kalt hier drin“, sagte Binky. „Ich schätze, in unserem Schlafzimmer wartet kein Feuer auf uns, was?“

„Nein, tut es nicht.“ Ich hatte mich genug von meiner Trunkenheit erholt, um ganze Sätze zu bilden, und war mehr als nur ein wenig wütend. „Ihr habt gesagt, ihr plant, nächste Woche herzukommen, nicht in den nächsten Tagen. Und warum reist ihr ohne Bedienstete?“

„Wir machen diesmal nur eine Stippvisite, weil Binky einen Termin mit einem Spezialisten in der Harley Street für seinen Knöchel ergattert hat“, sagte Fig. „Und ich muss auch einen Londoner Arzt aufsuchen, da dachten wir, wir könnten uns die Kosten sparen, Bedienstete mitzubringen, da mir Binky erzählt hat, wie geschickt du dich im Haushalt anstellst. Er hat offensichtlich übertrieben, wie üblich.“

Ich stand auf, ein wenig unsicher. Meine bloßen Füße auf den Stufen waren eiskalt. „Ich glaube nicht, dass mein Vater von mir erwarten würde, dass ich auf meinem Familiensitz als Zimmermädchen herhalte“, sagte ich. „Ich gehe wieder ins Bett.“

Damit drehte ich mich um und stieg wieder die Treppe hinauf. Es wäre ein herrlicher Abgang gewesen, wenn ich nicht über den Gürtel meines Morgenmantels gestolpert und mich auf die Stufen gelegt hätte, wobei ich vermutlich einen Teil meines nackten Hinterns entblößte.

„Uups“, sagte ich. Ich richtete mich auf und quälte mich die Treppe in den zweiten Stock hinauf. Dann kletterte ich ins Bett und rollte mich zu einer kleinen Kugel zusammen. Ich hatte keine Wärmflaschen, die ich neben mich legen konnte, aber um nichts in der Welt wäre ich nach unten gegangen. Und es verschaffte mir eine gewisse Befriedigung zu wissen, dass Fig in ein ebenso eisiges Bett schlüpfen würde.

*

Ich öffnete meine Augen, sah kaltes graues Licht und schloss sie dann sofort wieder. Darcy hatte Recht gehabt. Ich hatte einen Kater. Mein Kopf pochte wie verrückt. Ich fragte mich, wie spät es war. Halb elf, laut dem kleinen Wecker auf meiner Kommode. Dann fielen mir alle Einzelheiten der vergangenen Nacht ein. Oh, Gott, das bedeutete, dass Binky und Fig im Haus waren, und inzwischen musste ihnen aufgefallen sein, dass in der Küche nichts zu essen war. Ich zog mir hastig Pullover und Rock an und machte mich auf den Weg nach unten, fast so wackelig wie in der Nacht zuvor.

Ich wollte gerade die mit Fries bespannte Tür öffnen, die in die Küche und den Dienstbotentrakt führte, als ich Stimmen von rechts kommen hörte. Binky und Fig waren anscheinend im Morgensalon.

„Für dich ist es schön und gut“, hörte ich Fig sagen, die ein wenig mit den Zähnen klapperte. „Du kannst in deinen Club gehen, wo du es gemütlich hast, aber was ist mit mir? Ich kann nicht hierbleiben.“

„Es ist nur noch für zwei Nächte, altes Haus“, sagte Binky. „Und es ist wichtig, dass du zu diesem Arzt gehst, nicht wahr?“

„Ich schätze schon, aber diese Kälte tut mir nicht gut. Wir werden uns einfach in ein Hotel einquartieren und die Kosten tragen müssen. Das Claridge’s können wir uns für ein paar Nächte doch sicher noch leisten.“

„Nach einem Happen Frühstück wirst du dich besser fühlen“, sagte Binky.

„Es ist Zeit, dass Georgie aufwacht, nicht wahr?“

In diesem Moment spähte ich durch die Tür. Binky und Fig saßen in ihre Pelzmäntel gewickelt da und wirkten verhärmt und mürrisch. Ohne ein Dienstmädchen oder einen Kammerdiener, um sie anzukleiden, sahen sie auch ziemlich zerknittert aus.

Nicht nur die Temperatur war eisig, als Fig mich erblickte, aber Binky brachte ein Lächeln zustande. „Ah, du bist endlich wach, Georgie. Verflixt kalt hier drin, nicht wahr? Wir könnten nicht vielleicht ein Feuerchen bekommen?“

„Vielleicht später", sagte ich. „Es erfordert einige Arbeit, ein Feuer anzuzünden, weißt du. Man muss ziemlich viel im Kohlenloch herumkratzen. Vielleicht möchtest du mir helfen.“

Fig erschauderte, als hätte ich ein schlimmes Wort gesagt, aber Binky fuhr fort: „Dann bist du vielleicht so nett und kochst uns einen Happen zum Frühstück. Das wird uns schön aufwärmen, nicht wahr, Fig?“

„Ich wollte gerade Tee und Toast machen“, sagte ich.

„Wie wäre es mit ein paar Eiern?“, fragte Binky hoffnungsvoll.

„Keine Eier, fürchte ich.“

„Speck? Wurst? Nierchen?“

„Toast“, sagte ich. „Man kann ohne Geld kein Essen kaufen, Binky.“

„Aber, ich meinte …“, stotterte er. „Verdammt, Georgie, du musstest doch nicht von Tee und Toast leben, oder?“

„Woher sollte ich denn das Geld nehmen, liebster Bruder? Ich habe keine Anstellung. Ich habe kein Erbe. Ich bekomme keine Unterstützung von meiner Familie. Wenn Fig sagt, sie habe kein Geld, dann meint sie damit, dass sie sich keine Marmelade von Fortnum’s mehr leisten kann. Ich meine damit, dass ich mir überhaupt keine Marmelade leisten kann. Das ist der Unterschied.“

„Also ich bin baff“, sagte Binky. „Aber warum zum Teufel bist du dann nicht zurückgekommen, um auf Castle Rannoch zu leben? Dort oben haben wir wenigstens genug zu essen, nicht wahr, Fig?“

„Deine Frau hat sehr deutlich gemacht, dass ich ein Mund zu viel bin, der gestopft werden will“, sagte ich. „Außerdem will ich euch nicht zur Last fallen. Ich will mich selbst in der Welt behaupten. Ich will mein eigenes Leben führen. Es ist gerade nur so furchtbar schwer.“

„Du hättest Prinz Siegfried heiraten sollen“, sagte Fig. „Das sollte ein Mädchen deines Ranges tun. Deine königlichen Verwandten wollten es so. Die meisten Mädchen würden ihren rechten Arm opfern, um Prinzessin zu werden.“

„Prinz Siegfried ist eine abscheuliche Kröte“, sagte ich. „Ich beabsichtige, aus Liebe zu heiraten.“

„Lächerlicher Gedanke“, fuhr Fig mich an. „Und wenn du deinen Mr O’Mara im Sinn hast, dann schlag dir das aus dem Kopf.“ Fig redete sich langsam in Rage. „Ich weiß zufällig, dass er keinen Penny besitzt. Seine Familie ist völlig mittellos. Sie musste sogar ihren Familiensitz verkaufen. Er könnte niemals eine Ehefrau versorgen – falls er überhaupt vorhat, sich fest zu binden, versteht sich. Also verschwendest du mit ihm nur deine Zeit.“ Als ich nicht antwortete, fuhr sie fort: „Es geht nur um deine Pflicht, Georgiana. Man ist sich seiner Pflicht bewusst und man handelt danach, nicht wahr, Binky?“

„Völlig richtig, altes Haus“, sagte Binky geistesabwesend.

Fig warf ihm einen so frostigen Blick zu, dass es ein Wunder war, dass er sich nicht in einen Eiszapfen verwandelte. „Obwohl es Menschen gibt, die froh sein können, dass sie Liebe und Glück gefunden haben, sobald sie verheiratet waren, nicht wahr, Binky?“

Binky starrte aus dem Fenster auf den Nebel, der über den Belgrave Square kroch. „Wie wäre es mit der Tasse Tee, die du erwähntest, Georgie?“

„Ihr kommt besser in die Küche, um sie zu trinken“, sagte ich. „Dort unten ist es wärmer.“

Sie folgten mir wie die Kinder dem Rattenfänger. Ich zündete den Gasherd an und setzte den Teekessel auf, während sie mir zusahen, als wäre ich eine Magierin, die einen spektakulären Zaubertrick vorführte.

Dann legte ich den letzten Rest Brot auf den Rost, um Toast zu machen. Binky sah mir zu und seufzte. „Um Himmels willen, Fig, ruf bei Fortnum’s an und bitte Sie um eine Lieferung mit Vorräten. Sag ihnen, es ist ein Notfall.“

„Wenn du mir etwas Geld gibst, werde ich sehr gern die Küche wieder mit Vorräten füllen – und kostengünstiger als eine Lieferung von Fortnum’s.“

„Das würdest du tun, Georgie? Du bist unsere Rettung. Unsere Rettung in der Not, verdammt noch mal.“

Fig schaute giftig drein. „Ich dachte, wir hätten uns auf ein Hotel geeinigt, Binky.“

„Wir werden auswärts zu Abend essen, meine Liebe. Wie wäre es damit? Ich weiß, dass Georgie ein fantastisches Frühstück kochen kann, wenn wir ihr die Zutaten dafür zur Verfügung stellen. Das Mädchen ist ein verfluchtes Genie.“

Schweigend tranken sie Tee und aßen Toast. Ich versuchte, meinen herunterzubekommen, obwohl es bei jedem Bissen so klang, als würde in meinem Kopf ein Becken schellen. Ich fragte mich gerade, wann Belinda wohl zurückkehren würde und wie viel besser es wäre, auf ihrem unbequemen modernen Sofa zu schlafen, als es an der Tür klingelte.

„Wer mag das um diese Zeit sein?“, sagte Fig und starrte mich an, als glaubte sie, dass es sich um einen weiteren meiner Liebhaber handelte, der mir einen Besuch abstattete. „Es ist wohl besser, wenn Georgiana zur Tür geht. Es ziemt sich nicht, wenn du oder ich gesehen werden, wie wir unsere eigene Haustür öffnen. So etwas spricht sich schnell herum.“

Ich war ebenso neugierig wie Fig zu erfahren, wer an der Tür war, und ging los. Ich hatte halb gehofft, es wäre Darcy, der gekommen war, um mich zu retten, obwohl ich vermutete, dass er nicht zu den Menschen gehörte, die vor dem Mittag aufstanden. Stattdessen fielen mir zuerst ein vor der Tür geparkter Daimler und ein junger Mann in Chauffeursuniform auf, der auf der Schwelle stand.

„Ich bin hier, um Lady Georgiana abzuholen“, sagte er und schien nicht im Mindesten zu ahnen, dass ich keine Bedienstete war. „Der Palace schickt mich.“

Da fiel mir die Royal-Standard-Flagge auf, die der Daimler gehisst hatte. Oh mein Gott. Donnerstag. Mittagessen mit der Königin. Mein Gehirn war vom Alkohol so benebelt gewesen, dass ich es völlig vergessen hatte.

„Ich werde ihr Bescheid geben“, brummte ich. Ich schloss die Eingangstür und wollte gerade panisch die Treppe hinaufeilen, als Figs Kopf am oberen Ende der Küchentreppe erschien.

„Wer war das?“, fragte sie.

„Der Chauffeur der Königin“, sagte ich. „Ich bin heute zum Lunch in den Palace geladen.“ Ich deutete an, dass ein Mittagessen mit Ihrer Majestät für mich eine gewöhnliche Angelegenheit wäre. Es ärgerte Fig immer maßlos, dass ich mit der Königsfamilie verwandt, sie aber nur angeheiratet war. „Ich gehe besser los und ziehe mich um. Ich sollte den Chauffeur nicht warten lassen.“

„Lunch im Palace?“, fragte sie herausfordernd und funkelte mich an. „Kein Wunder, dass du dich nicht darum kümmerst, Essen im Haus zu haben, wenn du immer so gehoben speist. Hast du das gehört, Binky?“, rief Fig die Treppe hinunter. „Die Königin hat einen Wagen für sie geschickt. Sie geht zum Mittagessen in den Palace. Sie wird etwas Ordentliches zu essen bekommen. Du bist der Duke. Warum sind wir nicht eingeladen?“

„Wahrscheinlich, weil die Königin mit Georgie sprechen möchte“, sagte Binky, „und außerdem, woher sollte sie wissen, dass wir hier sind?“

Fig sah noch immer zornig drein, als ob ich dieses kleine Tête-à-Tête nur arrangiert hätte, um sie zu ärgern. Ich musste zugeben, dass es mir enormes Vergnügen bereitete.

Kapitel 5

Buckingham Palace

Donnerstag, 10. November

Obwohl sich mein Kopf so anfühlte, als sei er gespalten, und meine Sicht verschwommen war, brachte ich es fertig, in nur fünfzehn Minuten zu baden und mich präsentabel zu machen. Dann saß ich auf dem Rücksitz des königlichen Daimlers auf dem Weg zum Palace. Es war nicht allzu weit vom Belgrave Square zum Constitution Hill und ich hatte die Strecke bereits früher zu Fuß zurückgelegt. Heute war ich allerdings äußerst dankbar für das Auto, da der Nebel sich in einen scheußlichen Novemberregen verwandelt hatte. Man trat der Königin nicht unter die Augen, wenn man wie eine nasse Katze aussah.