6,99 €
Nur ein Fleck auf dem Fussgänger Streifen vor dem Firmensitz von Sauber&Frisch, welcher vage die Umrisse einer Ratte erahnen lässt, erinnert heute noch an das Schicksal von Adora TE. Und vielleicht auch noch die von unsichtbarer Hand (Zeugen behaupten, jener der Sekretärin des Vormaligen Direktionspräsidenten) gepflanzten saisonalen Blumen, in den sonst nur grünen Rabatten vor dem Bürogebäude. Nichts jedoch erinnert an das traurige Ende des einstigen Firmenoberhauptes.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 34
Veröffentlichungsjahr: 2025
Für Ruth
ADORA TE
Illustrationen
ADORATTE
Nachwort
Im Dunkel Geboren
Im verborgenen Gelebt
Im stillen Gewirkt
Im Licht Gestorben
Trauer
1
Paradies
2
Kopflos
3
Festmahl
4
Neugier
5
Wohltat
6
Unglück
7
Zuneigung
8
Gefangenschaft
9
Flucht
10
Begegnung
11
Überschwang
12
(Ein Rattenleben)
Es war ein ungewöhnlicher Anblick – der Direktionspräsident auf den Knien, den Blick auf eine unappetitliche Masse aus Blut und Resten von grau-braunem Fell gerichtet.
Er war den Tränen sichtlich nahe. Seine Stellung als Firmenoberhaupt erlaubte es ihm jedoch nicht, einfach so loszuheulen – so sehr ihm auch danach zumute war –, schliesslich hatte er eine Vorbildfunktion: So stand er wieder auf und wischte sich die Knie ab; er musste jetzt Beherrschung zeigen, dachte er, sonst würde womöglich noch seine Autorität in Frage gestellt werden.
Die Umstehenden wunderten sich ob der ungewöhnlichen Szene, welche sich da vor ihren Augen abspielte. "Peinlich, einfach peinlich", meinte einer der Zeugen des Geschehens. Ein anderer jedoch befand, dass es auch einem Firmenoberhaupt erlaubt sein sollte, Gefühle zu zeigen. Schliesslich wisse man ja nichts über die Gründe für seinen Schmerz.
Eine, die nur zu gut um den Schmerz des Direktionspräsidenten wusste, war seine Sekretärin, welche, vom schlechten Gewissen geplagt, hinter ihrem Vorgesetzten in der Eingangstür zum Bürogebäude von Sauber&Frisch stand.
Doch der Reihe nach.
Sie hatte schon lange im Dienste von Sauber&Frisch gestanden: unwissentlich zwar – und auch ohne dass die Firma von ihrer Existenz wusste –, doch mit grossem Engagement. So manches Kabel hatte sie durchgenagt, unter Einsatz ihres Lebens (etliche Brandnarben zeugten davon), und auf diese Weise der Firma zu einem Reparaturauftrag verholfen.
Manch eine ihrer Artgenossen hatte ihren selbstlosen Einsatz für die Firma Sauber&Frisch tatsächlich mit dem Leben bezahlt. Oft war von ihnen nur noch ein Häufchen Asche übrig geblieben, nachdem sie vom Stromschlag getroffen wurden.
Sie war deshalb zufrieden mit ihrem Los. Wäre es nach ihr gegangen, es hätte noch lange so weitergehen können, auch wenn sie wusste, dass die meisten Menschen ihr und ihrem Treiben nicht gerade zugetan waren. Leben und leben lassen, das war ihre Devise.
Doch die Zeiten änderten sich. Neue Technologien bei der Verarbeitung von Kabeln und der Einsatz von Elektronik erschwerten, ja oft verunmöglichten ihr die Arbeit. Und so trugen die Bemühungen, ihr und ihrer Zunft das Handwerk zu legen, letztlich Früchte.
Die Hochkonjunktur tat ein Übriges. Sie führte dazu, dass immer mehr gute alte Geräte durch neue ersetzt wurden. Maschinen hielten Einzug in die Haushalte, die mit für ihre Zwecke eher ungeeigneten Kabeln angeschlossen waren – und diese erst noch so angeordnet, dass es schwierig wurde, an sie heranzukommen. Das geschah in einem solchen Tempo, dass es für sie immer schwieriger wurde, eine Beschäftigung zu finden, um ihre Nagezähne in Schuss zu halten.
Nach langer Suche war es ihr dann allerdings doch noch gelungen, ein antiquiertes Gerät zu finden, an dem sie sich gütlich tun konnte. Doch schon kurz nachdem sie sich häuslich eingerichtet hatte, fuhr ein Servicewagen von Sauber&Frisch vor und tauschte das gute alte Stück gegen ein Gerät der neusten Generation aus, welches zwar der Hausfrau die Arbeit erleichtert, Ratten jedoch ein würdiges Dasein verunmöglicht.
Sie musste wohl eingeschlafen sein, erschöpft von der Anstrengung, ein besonders fettes Kabel durchzunagen, und so bekam sie nicht mit, wie das alte Gerät samt ihr abtransportiert wurde. Selbst die Fahrt verschlief sie. Als sie schliesslich aufwachte und ihre neue Bleibe verliess, erschrak sie. Dies war nicht mehr derselbe Ort, wo sich eben noch ihr Zuhause befunden hatte.
Der Schreck über die ungewohnte Umgebung wich dann aber schnell schierer Verzückung angesichts dessen, was sie sah, als sie sich umblickte; fühlte sie sich doch beim Anblick der Antiken Waschraumgeräte - sie war samt der Maschine ins firmeneigene Museum gebracht worden - ins Paradies der Nager versetzt. Da standen sie, die Prachtstücke (Traum schlafloser Nächte), rings um sie herum angeordnet - ein Gerät begehrenswerter als das andere. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen und Erinnerungen kamen auf, an die gute alte Zeit.