Afrika – Das letzte Abenteuer - Mark Ross - E-Book

Afrika – Das letzte Abenteuer E-Book

Mark Ross

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Beschreibung

Das Porträt eines Kontinents. Ein Muss für jeden Afrika-Fan! Afrika – Inbegriff von Abenteuer, Wildnis und Schönheit der unberührten Natur. Eine Safari in der Serengeti bedeutet für viele die Erfüllung eines Lebenstraumes. Mark Ross kennt die Landschaft und die Tierwelt Ostafrikas wie kaum ein anderer und entführt uns in eine Welt voll Zauber, Schönheit und Gefahr. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 602

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Mark Ross

Afrika – Das letzte Abenteuer

Die Geschichte eines Safariführers

Aus dem Amerikanischen von Gabriele Werbeck und Andrea Stumpf

FISCHER Digital

Inhalt

Gewidmet Judy und Mike [...]»Man sagt, dass wir [...]»Was uns dieses Abenteuer [...]1 DAS LEBEN VOR DEM TOD2 DIE ANKUNFT3 WILLKOMMEN IM BUSCH4 ZU HAUSE IN DER SAVANNE5 GUTE VORSÄTZE6 GESCHICHTEN IM SAND: ZU FUSS AUF SAFARI7 AUF PIRSCH IN DER SERENGETI8 DIE JAGD IM KRATER9 DIE ÜBERQUERUNG DES GRUMETI10 FREMDE IN EINEM FREMDEN LAND11 DER IMPENETRABLE FOREST12 DER WEG ZURÜCK13 »SOBAT!«Danksagung

Gewidmet Judy und Mike Rainy, Susan und Rob

»Man sagt, dass wir alle auf der Suche nach dem Sinn des Lebens sind. Ich denke, wir suchen nach dem Gefühl, lebendig zu sein, sodass unsere rein physischen Lebenserfahrungen mit unserem innersten Wesen und unserer innersten Wirklichkeit in Verbindung kommen: Damit wir wirklich den Glückstaumel verspüren werden, am Leben zu sein.«

JOSEPH CAMPBELL, Die Kraft der Mythen

»Was uns dieses Abenteuer schenkt, ist reine Freude. Und Freude ist letztlich das Ziel des Lebens.«

GEORGE MALLORY

1 DAS LEBEN VOR DEM TOD

25. Februar 1999, fünf Uhr dreißig

Es war ein kühler Morgen. Ich lag auf dem Bauch und lauschte dem heiseren Ruf der Afrikanischen Zwergohreneule. Sie musste irgendwo in der Nähe sein, vermutlich saß sie in der Schirmakazie; in den niederen Büschen würde sie sich nicht sicher genug fühlen. Während ich überlegte, wohin ich meine Safarigruppe an diesem Morgen führen sollte, kroch das erste Tageslicht vom Ngorongoro-Krater her über die Serengeti. Wir kampierten schon seit vier Tagen am Ndutu-See und waren in dieser Zeit mehr als hundert Löwen und fünfzehn Geparden begegnet. Es war der reine Zufall gewesen, der uns zu einem Leopardenweibchen und seinen beiden Jungen geführt hatte. Sie taten sich an einem jungen Gnu gütlich, das sie auf eine niedrige und dicht belaubte Akazie geschleppt hatten. Damit hatten wir unser »Programm« eigentlich erledigt, und heute war einer der seltenen Tage, an denen ich nicht das Gefühl hatte, noch irgendeine Attraktion aus dem Hut zaubern zu müssen. Abgesehen davon, bekämen wir sicher noch genug Interessantes zu sehen, das uns für die viertägige, staubige Fahrt, die uns hierher gebracht hatte, belohnen würde.

Genau siebenundneunzig Stunden später sollte mich statt einer knapp fünfzehn Zentimeter großen Eule das Geknatter eines Maschinengewehrs wecken. Noch vor Ende des Tages würde man in dem Dschungelgebiet an der Grenze zwischen Uganda und dem Kongo einunddreißig Leute gefangen genommen, sechzehn gekidnappt und zehn umgebracht haben. An diesem Morgen jedoch, als ich die Eule hörte und mir vorstellte, wie ihr aufgeplustertes Gefieder bei jedem Ruf erzitterte, spürte ich wieder das Versprechen, das Afrika von jeher für mich dargestellt hat.

Dafür, dass der Februar am afrikanischen Äquator zur heißen Jahreszeit gehört, war es kalt. Nach sieben Wochen Safari war ich mittlerweile erschöpft. Ich rollte mich aus dem Bett, streifte mir ein paar Klamotten über und schlüpfte in die Sandalen mit den Sohlen aus Autoreifen. Dann griff ich nach meinem Fernglas und der Safarijacke und stolperte durch die offenen Klappen des Zeltes in die Dunkelheit heraus in Richtung Lagerfeuer und Kaffeeduft. Einen Moment hielt ich inne und lauschte noch einmal dem Ruf der Eule aus der Akazie, während aus dem knöchelhohen feuchten Gras die Kälte meine Beine hochkroch. Der Kaffee wärmte mir Hände und Magen, ich setzte mich vor das flackernde Feuer und beschloss, meine Reisegruppe noch etwas schlafen zu lassen. Rob Haubner und Susan Miller hatte ich schon ein paar Jahre zuvor während ihrer Flitterwochen auf einer Safari begleitet. Damals hatten sie praktisch keine Sekunde voneinander gelassen, als wären sie an Armen oder Beinen zusammengewachsen. Auch auf dieser Tour trennten sie sich kaum einmal. Sowohl Susan und Rob als auch Bob McLaurin und Susan Studd, das andere Paar meiner Reisegruppe, schliefen in Zelten mit Doppelbetten. Ich beneidete Rob und Susan, wenn ich mir vorstellte, wie sie verschlungen nebeneinander lagen, friedlich, voller Vertrauen, tief schlafend. Ich war zufrieden mit meinem Leben, aber manchmal fühlte ich mich in meiner ausschließlichen Liebe zu Afrika eben doch etwas einsam.

Unser Fahrer Emanuel begrüßte mich mit leiser Stimme, so wie es in Afrika üblich ist, selbst wenn etwas Dringendes ansteht. Wir sprachen kurz darüber, das Frühstück einzupacken und uns auf den Weg nach Norden zu den großen Felseninseln der Gol Kopjes zu machen, die sich über die ausgedehnten Ebenen der Serengeti erhoben. Sie waren wegen der Deckung, die sie boten, ein bevorzugtes Jagdrevier für Raubtiere. Dann verschwand Emanuel wieder in einem der Küchenzelte, und ich stand auf und goss wie immer den letzten Schluck Kaffee aus meinem Emaillebecher auf dem Boden aus.

Ich hasse es, Leute zu wecken. Ein, zwei Mal schlug ich mit der flachen Hand gegen die Wand des Zelts von Bob McLaurin und Susan Studd und wünschte ihnen einen guten Morgen. Bob brummelte: »Wir kommen gleich«, und ich machte mich auf den Weg zu dem anderen Zelt, das zwanzig Meter entfernt stand und Rob Haubner und Susan Miller gehörte. Es stand offen, und ich rief laut, dass es schon hell sei oder zumindest fast. Robs Antwort kam prompt und mit klarer Stimme, begleitet von Susans Grunzen, und ich kehrte zum lockenden Feuer zurück.

Vor genau einem Jahr hatten wir fünf uns an derselben Stelle befunden. Damals hatten uns die von El Niño verursachten Regenfälle vertrieben. Sie hatten es fast unmöglich gemacht zu fahren, und als wir es mit dem Flugzeug versuchten, hatten wir drei Anläufe gebraucht, um in die Luft zu kommen, da die Räder immer wieder im Schlamm stecken geblieben waren. Diese Safari hatte die Unbilden des letzten Jahres wieder wettgemacht: Erst gestern hatten wir den großartigen und zugleich schrecklichen Kampf zwischen zwei Hyänen und einem Weißschwanzgnu beobachtet. Das Gnu, dem bereits die Eingeweide aus dem aufgerissenen Bauch hingen, hatte seinen beiden Angreifern eine Dreiviertelstunde widerstanden, bis es schließlich erschöpft von den Hyänen getötet worden war. Bob McLaurin und Susan Studd hatten dem Kampf verständlicherweise nicht zusehen wollen und zur Weiterfahrt gedrängt. Zu guter Letzt hatten sie aber doch nachgegeben, und Rob, Susan Miller und ich hatten dieses einzigartige Erlebnis mit unseren Kameras festhalten können. Vielleicht hatten Susan und Bob ja Recht gehabt, aber der Biologe in mir hatte diese Aufnahmen einfach haben müssen, und wie die beiden anderen war ich vollkommen gefesselt gewesen von dem Lebenswillen und der Lebenskraft, die in diesem Kampf zum Ausdruck gekommen waren.

»Morgen, Mark«, ertönte es hinter mir. Erschrocken fuhr ich zusammen. Rob hatte sich von hinten angeschlichen und ließ sich nun neben mir auf einen Stuhl fallen. Er hatte einen Becher mit Kaffee in der Hand, und als er sich hinsetzte, blitzten seine Sandalen für einen Moment im Feuerschein auf. Er ließ sich in seiner ganzen Länge tief in den Stuhl sinken, und nur sein Dreitagebart, der im Feuer aufleuchtete, verriet, dass er nicht mehr so jung war, wie er auf den ersten Blick wirkte. Die Flammen züngelten nach oben. »Wunderschön«, sagte er, als er zu den kristallklaren Sternen hinaufsah, die Löcher in das Blauschwarz des Himmels stachen.

Susan Miller strich mir mit der Hand über die Schultern, als sie an mir vorbeiging. Bei Rob angelangt, beugte sie sich nach vorne und ließ sich schläfrig über ihn sinken. Sein Kaffee schwappte über den Becherrand, als sie ihn von hinten umarmte und ihren Kopf in seiner Halsbeuge verbarg. Er beschwerte sich nicht. Nach kurzer Zeit richtete sie sich wieder auf und setzte sich neben ihn. Rob holte ihr Kaffee.

Rob und Susan stammten beide aus Portland im Nordwesten der USA, hatten aber schon überall auf der Welt einmal ihre Zelte aufgeschlagen. Rob war von seinem Arbeitgeber Intel auf die Philippinen und nach Südostasien versetzt worden und hatte von da aus die ganze Dritte Welt bereist. Susan organisierte weltweit Multimedia-Konferenzen und -Präsentationen; sie verkörperte in Reinkultur das, was man »soziale Kompetenz« nennt. Die beiden hatten im Zoo von Portland geheiratet und 1997 ihre Flitterwochen – unsere erste gemeinsame Safari – im Massai-Mara-Reservat verbracht.

Emanuel trat zu uns und erklärte mir auf Kisuaheli, dass Frühstück und Lunch im Laster verstaut seien und er auch für Kaffee, Tee und Wasser gesorgt habe. Alles war bereit.

Susan Studd hatte uns in aller Unschuld davor gewarnt, sie morgens in der ersten Stunde anzusprechen, egal ob sie schon Kaffee getrunken habe oder nicht. Und als die beiden ein paar Minuten später auftauchten und sich zu uns setzten, sagte keiner von uns auch nur Hallo. Titus, der Camp-Kellner, bot ihnen auf einem Silbertablett zwei der blauen Blechtassen mit Kaffee an. Der Dampf stieg zum sternenübersäten schwarzblauen Himmel auf und bildete im orangefarbenen Licht der Flammen kleine Wirbel, bevor er sich in der Dunkelheit verlor.

Wir waren schweigsam, noch gar nicht ganz wach. Nur unwillig störte ich die Stille und bemerkte, dass wir uns vielleicht auf den Weg machen sollten, wenn wir bei Tagesanbruch in Naabi Hill sein wollten.

Emanuel saß am Steuer des Landrovers, den er schon seit zehn Jahren souverän durchs afrikanische Gelände steuerte und in dem wir schweigend die nächsten vierzig Minuten bis zum Posten des Parkwächters bei den Gol Kopjes verbrachten. Ich saß wie immer auf dem Dach, und der kalte Wind trieb mir unablässig Tränen in die Augen. Als ich ein Jahr später mit einer anderen Safarigruppe im Schlepptau zum Ngorongoro-Krater fuhr, sollten mir in Erinnerung an dieses Camp und die friedliche Morgendämmerung erneut die Tränen kommen.

 

Wir entdeckten eine Gepardin und folgten ihr mehr als zwei Stunden lang, bis sie ihre Beute gefasst hatte. Es dauerte eine weitere halbe Stunde, bevor sie die junge Thomson-Gazelle verschlungen hatte und wir uns an das Frühstück machen konnten, das Arthur, der Verwalter des Camps, für uns vorbereitet hatte. Da es noch früh war und wir immer noch froren, suchten wir uns einen sonnigen Platz auf einem Granitvorsprung, der wie ein Walrücken an die Oberfläche des Grasmeers brach. Rob und Susan saßen eng aneinander gedrängt auf der Erde und lehnten sich mit dem Rücken gegen den Felsen. Wir unterhielten uns über die Fotos, auf denen wir zu sehen hofften, wie der Gepard die Gazelle zur Strecke brachte, und kamen regelrecht ins Schwärmen, als wir uns die Bilder mit dem blutbefleckten Gesicht des Raubtieres vorstellten. Dieser Ort war nicht nur in geographischer Hinsicht Welten vom Leben Susans und Robs bei Intel in Portland entfernt. Die Gepardin hatte in der frühen Morgendämmerung einen Durchsetzungswillen bewiesen, der so gar nichts mit dem zu tun hatte, was der Wettbewerb auf dem Softwaremarkt oder das Leben in der Großstadt erforderte. Die Aufgaben, die das Leben hier stellte, waren elementarer und eindeutiger, auch wenn sie dem menschlichen Auge manchmal brutal erscheinen mochten. Ich glaube, Rob und Susan genossen es auch deswegen, hier zu sein – hier konnten sie die Dringlichkeiten des eigenen Lebens vergessen und den Pulsschlag der Natur spüren.

Um elf Uhr saßen wir wieder im Landrover und waren auf dem Weg Richtung Norden. Während einer Pause suchte ich mit meinem Fernglas die Umgebung ab und entdeckte in einer Entfernung von drei Kilometern ein paar Löwen. Sie befanden sich zwar am Fuße eines kleinen Hügels, waren aber mit ihrem tiefgelben Fell deutlich im kurzen grünen Gras zu erkennen. Je näher wir kamen, desto mehr Junge konnten wir ausmachen, und schließlich war vor unseren Augen das Rudel auf stolze sechzehn Tiere angewachsen. Bei ihnen würden wir unseren Lunch einnehmen.

Anderthalb Stunden lang beobachteten wir die Löwen und machten Fotos. Die Löwenjungen tollten in der zunehmenden Hitze herum und gingen auf alles los, was sich bewegte, und auch auf vieles, was sich nicht bewegte. Selbst in der Enge des Landrovers verging die Zeit wie im Flug, und es war bereits halb drei, als wir zu einer Gruppe von Feigenbäumen fuhren, die in einiger Entfernung an der Westseite einer Felsformation standen. Da die Ebene offen vor uns lag und sich fast zwanzig Kilometer in jede Richtung überblicken ließ, konnten wir hier sicher und in aller Ruhe Pause machen. Ich suchte die Felsen nach Verstecken von Raubtieren ab. Dann stiegen alle aus, nahmen die Sitzkissen aus dem Auto, und wir ließen uns, Löwinnen gleich, mit einem Seufzen auf dem Boden nieder. Wie ein grünes, von weißen Balken gestütztes Dach spendeten uns die großen Blätter eines Feigenbaums Schatten.

Ich hatte mich auf den Rücken gelegt; in dieser Haltung würde ich nicht wegdämmern. Zufrieden stellte ich fest, dass es sich die vier aus meiner Reisegruppe auf der blanken Erde bequem gemacht hatten und bald darauf eingeschlafen waren. Über mir segelten die allgegenwärtigen Raubvögel durch das endlose Blau, das sich über ein ebenso endloses Grün erstreckte. In Afrika wartet immer irgendwo ein Räuber auf seine Beute.

 

Unser Tag wurde durch ein paar Löwenjungen, die wir an den Simba Kopjes beobachteten, und einen atemberaubenden Sonnenuntergang über dem Moru-Gebirge abgerundet. Zurück im Camp, gönnten wir uns eine Dusche beim Licht der Laternen und versammelten uns dann müde und schweigend um das Feuer. Es war wieder eine wunderschöne Nacht; die paar Wolken, die wir in der nachmittäglichen Hitze gesehen hatten, waren mit der Sonne im Westen verschwunden. Über uns strahlte Jupiter in seiner ganzen Pracht, während Venus über den westlichen Nachthimmel herrschte.

Ich hatte meine Mitarbeiter gebeten, den langen Esstisch mit der Leinentischdecke aus dem Speisezelt zu holen, sodass wir unter dem Sternenhimmel essen konnten. Von den Kerzen, die wir vor der leichten Brise unter Glasstürzen geschützt hatten, blitzten winzige Lichter, die von dem Silber und den Gläsern zurückgeworfen wurden.

Ich weiß nicht mehr, welche Suppe wir gegessen haben, Erdnuss vielleicht, und auch an das Hauptgericht erinnere ich mich nicht, Grillhähnchen möglicherweise oder Beef Wellington. Aber die Gesichter bei Tisch sehe ich noch genau vor mir. Nach den neun Tagen unter der Äquatorsonne erglühten im Kerzenlicht alle in verschiedenen Schattierungen eines gesunden Brauns und Rots – besonders Susan Miller strahlte, was aber vielleicht auch von ihrem breiten Lächeln und dem leisen gutturalen Lachen herrührte. Susan Studd stand diese Tageszeit ebenfalls gut. Die düstere Spannung, die morgens auf ihrem Gesicht gelegen hatte, war schon lange vom Wind der Serengeti weggefegt worden. »Ich bin froh, dass wir nicht den Katzentisch bekommen haben«, bemerkte sie trocken. »Schon allein die Aussicht hier!« Um ihren Mund spielte ein leichtes Lächeln. Rob grinste nur.

Nachdem die beiden Paare müde eine gute Nacht gewünscht hatten und Arm in Arm zu ihren Zelten gegangen waren, saß ich noch allein am Feuer, schläfrig und froh, das Meine dazu getan zu haben, dass der Tag rundum gelungen war. Aus der Ferne hörte ich unsere Helfer leise miteinander plaudern, während sie das Geschirr spülten und das Küchenzelt aufräumten. Seit unserer Ankunft waren jede Nacht Hyänen, Leoparden und Ginsterkatzen um das Lager geschlichen. Das bisschen, das sie stibitzt hatten, war nur ein kleiner Preis, den wir ohne weiteres für ihre Anwesenheit zu zahlen bereit waren. Aber morgen würden wir die Serengeti verlassen, und deshalb machte sich die Crew schon mal ans Packen. In der Früh würden alle acht Hand anlegen und die riesigen Zelte mit den stählernen Rahmen und die dazugehörigen Duschkabinen abbauen, alles einpacken und im Laster verstauen.

Irgendwann konnte ich schließlich kaum noch die Augen offen halten, stand auf und machte mich auf den Weg zu meinem Zelt. Meine feste Matratze und das flache Kissen waren ganz kalt, und ich trat ein paar Mal auf der Stelle, bevor ich mich hinlegte und auf den Bauch drehte. Eine Weile noch lauschte ich, ob Löwen in der Nähe waren, aber es waren nur die Hyänen vom westlichen Ende des Sees zu hören, die sich wieder zu einem Raubzug auf der nächtlichen Ebene zusammenriefen.

26. Februar 1999, fünf Uhr dreißig

Das Gebrüll der Löwen musste mich geweckt haben. Offenbar waren sie in der Nacht näher herangekommen und waren jetzt nordwestlich von uns, irgendwo in dem bewaldeten Gelände. Ich ließ mich wieder zurücksinken, an diesem Morgen musste ich ja niemanden in aller Frühe wecken. Wir mussten nur frühstücken, packen, das Flugzeug besteigen und Richtung Nordwesten nach Kisumu in Kenia fliegen, möglicherweise über die Löwen hinweg, die ich im Moment hörte. An der Grenze in Kisumu wartete der übliche Papierkram für die Einreise auf uns, und dann wollten wir uns auf eine zwanzigminütige Flugreise nach Südwesten machen, zu der von den warmen und klaren Wellen des Viktoriasees umspülten Insel Rusinga.

Auch nach der zweiten Tasse Kaffee war ich immer noch der einzige Weiße, der schon wach war, und so ging ich zu der Piste, die hinter dem Lager vorbeiführte. Schon in meiner Kindheit in Illinois war ich gerne draußen gewesen. Mit meinem Hund Tumbleweed verbrachte ich endlose Stunden im Wald. Oft kamen wir erst bei Einbruch der Nacht nach Hause. Noch heute lese ich gerne »die Morgenzeitung« – jene Spuren und Zeichen, die die bei Nacht umherziehenden Tiere hinterlassen. Der hiesige Boden, der vor allem aus der feinen, von den Vulkanen im Osten hergewehten Asche besteht, lässt auch die feinste Spur so deutlich erkennen, als habe ein Künstler eine Lithographie in die Erde gekratzt.

Kurz nach einem Leoparden waren eine Weißschwanzmanguste und ein Honigdachs vorbeigekommen. Um einiges später, als der Tau schon gefallen war, hatten die Löwen die Nähe unseres Camps aufgesucht. Nur drei der Löwen hatten die Piste benutzt, die anderen hatten lieber den Weg über das kurze, von den Gnus niedergetrampelte Gras nördlich der Reifenspuren genommen. Schon tagsüber gibt es hier keinen Stillstand, dachte ich; Leben und Tod, der Übergang der Kraft des einen Wesens auf ein anderes, sind hier stets gegenwärtig. Aber die Nächte sind noch sehr viel geschäftiger und gefährlicher.

»Hey, Mark, kannst du die Löwen nicht dazu bringen, endlich mal Ruhe zu geben?«, rief Susan Miller vom Lagerfeuer her. Sie knuffte Rob in die Seite, und ich musste grinsen, als sie Emanuel wegen seines Fahrstils am gestrigen Tag aufzog. »Du musst durch jedes Erdferkelloch zwischen dem Camp und dem Gol-Gebirge gefahren sein, Emanuel. Durch manche sogar zwei Mal.« Sie kippte mir den Kaffeesatz aus ihrer Tasse vor die Füße, als ich mich neben sie stellte.

»Es ist wohl an der Zeit, dass sie in eine neue Umgebung kommt«, stellte Rob fest.

»Wenn sie immer so ist«, antwortete ich, »würde ich sie, glaub ich, nicht mit auf Reisen nehmen.«

Susan tat so, als hätte sie uns nicht gehört, und ging zum Frühstückstisch. »Ich fang schon mal an«, sagte sie und setzte sich.

Eine Stunde später zogen wir eine Staubwolke hinter uns her, als wir langsam in Richtung der unbefestigten Startbahn fuhren, wo ich mein leuchtend blau und grün gestrichenes Flugzeug stehen gelassen hatte. Auf dem Weg dorthin fuhren wir um den See und hielten ein letztes Mal an der Höhle der Löffelhunde an. »Auf Wiedersehen, ihr kleinen Hunde!«, rief Susan Studd, und beim Klang ihrer Stimme wandten uns die Tiere ihre spitzen Gesichter zu. Während der ganzen Zeit, die wir hier verbracht hatten, waren wir morgens und abends, manchmal sogar in der Mittagszeit, an ihrer Höhle vorbeigekommen. Sie mussten mittlerweile unser Auto, unsere Stimmen, möglicherweise sogar unseren Geruch kennen, hatten daher auch keine Angst mehr und liefen nicht vor uns weg.

 

Nachdem wir eine Stunde geflogen waren, sahen wir den Viktoriasee, der sich wie ein im Landesinneren gefangenes Meer unter uns ausbreitete. Jenseits seiner fleckig silbern schimmernden Oberfläche lagen Uganda und der Impenetrable Forest – der unergründliche Wald –, der seinen Namen zu Recht trägt. Das grelle Grün von Rusinga erhob sich nur wenig über die Wellenkämme. Als ich das Flugzeug über die linke Tragfläche kippte und in einem flachen Bogen nach Süden steuerte, sah ich eine Dhau-Flotte, die von der Insel Mfangano auf Rusinga zusegelte. Die geblähten Segel trieben die schwarzen schlanken Rümpfe rasch nach Norden.

In Sekunden hatten wir die Insel überflogen und befanden uns wieder über offenem Gewässer. Ich flog noch eine Kurve und richtete meinen Kurs an der schmalen Landebahn aus, die geradewegs auf das Tor der kleinen Farm zulief, die uns auf Rusinga beherbergen würde. Ich drosselte die Geschwindigkeit und setzte die Landeklappen auf zwanzig Grad. Am südlichen Ende der Landebahn konnte ich eine Herde von grasenden Vierbeinern ausmachen. Da die Landebahn lang genug war, entschloss ich mich, hinter der Herde zu landen, statt noch einmal eine Platzrunde zu fliegen.

»Sag mal, willst du etwa im Wasser landen, Mark? Ich hab keine Gummistiefel an!«, rief Susan Studd über die Bordsprechanlage vom Rücksitz, der ihr Lieblingsplatz war. Sie konnte nichts als Wasser unter sich sehen.

»Weiß noch nicht, Susan«, rief ich zurück. »Muss ich mir noch überlegen.«

Ein Hirte beobachtete, wie unser Flugzeug herunterkam, und vergaß dabei völlig, auf seine Herde zu achten. Es mussten Schafe sein; Ziegen sind schlau genug wegzulaufen, während sich Schafe nur zusammenrotten und auf den nahen Tod warten. Und tatsächlich, die Tiere liefen mitten auf der Landebahn zusammen und verschwanden dann unter der Nase des Flugzeugs, als wir über sie hinwegschossen.

Beim Landen berührte das Flugzeug das Gras nur so leicht, dass man das Aufsetzen kaum spürte. Ich griff hinüber zum Landeklappenhebel und brachte ihn in die Ausgangsstellung zurück, dann klemmte ich mir den Steuerknüppel gegen den Bauch und öffnete das Fenster, sodass die Hitze aus der Kabine weichen konnte, während wir ausrollten. Das war nicht die trockene Luft der Serengeti. Die von Feuchtigkeit und dem Geruch von Pflanzen gesättigte Brise verschaffte uns sofort Kühlung und ließ uns das Inselparadies nur noch verführerischer erscheinen. Wir rollten an einem Hain von Papayabäumen und Passionsfruchtstöcken entlang, die sich an der Mauer des Obstgartens hochrankten

»Sieht ja aus wie auf Hawaii«, sagte Rob.

»Stimmt, die Insel hat was davon«, stellte Susan Miller fest.

Ich war 1987 zum ersten Mal in diese Oase gekommen, um mir etwas Abwechslung nach einer zweiwöchigen Camping-Tour zu gönnen. Die Camps auf meinen Safaris sind zwar auch nicht gerade von Entbehrung geprägt, aber Rusinga ist dagegen purer Luxus und reinste Erholung. Die Häuser haben keine Fenster, nur Fliegengitter und Vorhänge, die nachts zum Schutz vor Insekten zugezogen werden, und das unberührte Gras reicht von den Schatten spendenden Feigen- und Papayabäumen bis an den Strand.

Unser Gastgeber Richard kam, um uns zu begrüßen, bevor ich das Flugzeug gewendet und den Motor ausgestellt hatte. Neben ihm trotteten zwei große lohfarbene Labradore. Richard trat heran und half Susan Studd beim Aussteigen aus dem engen hinteren Teil des Flugzeugs; dann stellte er sich ihr und den anderen vor. Susan schüttelte seine Hand und kniete sich dann neben die beiden sichtlich erfreuten Hunde, um sie zu streicheln. Richard machte große Augen, als sich Susan Miller mit glühendem Gesicht aus der mittleren Sitzreihe herausschälte und nach dem langen Flug streckte. Sie hievte ihre Kameratasche hoch, sah Richard an und fragte: »Und wo geht’s hier zur Bar?«

Von ihrem Lächeln gefangen genommen, ließ Richard das Gepäck, seine anderen Besucher und mich stehen und geleitete Susan zum Tor. Während wir anderen noch unser Zeug in die Unterkunft schleppten, hatte es sich Susan, ein Glas Rum mit Passionsfruchtsaft in der Hand, bereits auf einem Liegestuhl bequem gemacht. Richard hatte sich mit einem Bier neben sie gesetzt.

»Sparen wir uns doch die weitere Reise«, sagte sie, »und bleiben einfach hier.«

Ich wandte mich grinsend zu Rob um. »Und sie hat noch nicht mal die Hütten gesehen.«

»Nein«, gab Rob zurück, »aber das ist ein Ort, wie man ihn sich nur erträumen kann.«

Das Mittagessen bestand aus mariniertem Fisch, Avocadosuppe und Nilbarsch mit Ingwer. Von unserem Tisch aus hatten wir Aussicht auf die drei Inseln im Westen, und von der Küste her strich uns der Wind durch die Haare. Auch für mich war der Aufenthalt hier eine willkommene Abwechslung, nachdem ich bisher damit beschäftigt gewesen war, die Abenteuer des Lebens in der Wildnis der Serengeti zu präsentieren. Ich fühlte mich verpflichtet, ständig etwas aus dem Hut zu zaubern – sei es etwas Lehrreiches oder Unterhaltsames – und dafür zu sorgen, dass sie die Tage genießen konnten. An einem Ort wie diesem musste man da nicht lange nachhelfen.

Nach dem Essen machten sich die beiden Paare davon, um sich auf den Liegestühlen vor ihren Hütten auszustrecken. Ich ging auf mein Zimmer, holte ein Buch über Geparde hervor und folgte ihrem Beispiel, schon ahnend, dass ich nicht lange wach bleiben würde. Als ich um halb sechs die Augen wieder aufschlug, hatte das grelle Licht des frühen Nachmittags einen sanfteren goldenen Ton angenommen. Richard hatte uns zu einem Dämmerschoppen auf Bird Island eingeladen, und wir mussten spätestens um sechs Uhr dort sein, wenn wir die Zehntausende von Vögeln sehen wollten, die vom Festland hierher zu ihren Schlafplätzen kamen.

Susan Miller stand neben Richard, dessen Eltern dieses wunderbare kleine Paradies aufgebaut hatten, als er das zweirumpfige Motorboot aus der breiten Bucht heraus Richtung Süden steuerte. Susan Studd und Bob saßen schweigend am Heck und hielten sich aneinander fest, während das Boot über die Wellen hüpfte. Nachdem wir fünf- undzwanzig Minuten über die Dünung geflogen waren, nahm Richard das Gas weg, und wir trieben auf der plötzlich spiegelglatten Fläche auf der Leeseite von Bird Island, das eigentlich aus zwei eng nebeneinander liegenden Inseln bestand.

Ich warf einen Köder aus und ließ die Leine zwanzig Meter von der Spule laufen, bevor ich sie arretierte und die Rute in ihrer stählernen Halterung verankerte. Richard übergab Susan das Ruder und öffnete den Reißverschluss der Segeltuchtasche mit den Getränken. Er machte eine Flasche südafrikanischen Rotwein auf, schüttete ein paar noch warme geröstete Cashewkerne in eine hölzerne Schüssel und hielt leere Weingläser in die Höhe. Fragend hob er seine Augenbrauen.

»Ich nehme einen«, sagte Susan sofort und streckte ihren gebräunten Arm aus. Auch Rob streckte Richard seine Hand entgegen, wandte dabei den Blick aber nicht von der untergehenden Sonne, als zöge sie seine Augen mit magnetischer Kraft an. Richard plauderte mit den vieren, sodass ich hinten im Boot sitzen bleiben und mich ganz meiner Angel widmen konnte. Die Leine schnitt ein V in das Wasser, ganz wie die Flosse eines Fisches, der vergeblich unser langsam dahingleitendes Boot einzuholen versuchte. In der schmalen Durchfahrt zwischen den beiden Inseln brachen sich die Wellen und ließen unser Boot für kurze Zeit auf und ab schaukeln, bis wir uns wieder auf der Leeseite der zweiten Insel befanden. Plötzlich ertönte hinter mir der rasselnde Schrei eines riesigen Eisvogels, und ich beobachtete, wie er nahe den Felsen knapp über der Wasseroberfläche dahinsegelte und dann plötzlich nach oben stieg, um sich auf dem toten Ast eines Feigenbaumes niederzulassen.

Während wir uns leise unterhielten, kamen immer mehr Schwärme kleiner Silberreiher und Heiliger Ibisse aus dem Westen von den Reisfeldern des Festlandes. Lautlos flogen die Vögel zu ihren Nistplätzen unter den Bäumen, wo sich bereits einer neben dem anderen die heiseren, langschwänzigen Kormorane drängten. Die Ibisse flogen dicht über uns hinweg, und wir konnten gut den schwarzen Saum von Federn an ihren sonst makellos weißen Flügeln erkennen.

Nördlich von Mfangano versank die Sonne im Wasser und warf eine goldene Rettungsleine aus Licht bis zu den Schandeckeln unseres Bootes. »Wir sollten warten, bis es dunkel ist«, sagte Richard, als wir, angezogen von dem grandiosen Schauspiel, nach Westen blickten. »Dann können wir auf dem Rückweg bei den Nachtfischern vorbeifahren. Sie werden ihre Laternen aufstellen, mit denen sie Insekten anlocken.« Noch einmal füllte er unsere Gläser und ließ die Nüsse herumgehen.

Langsam senkte sich die Nacht über uns, und noch immer flogen die Vögel zu ihren Nistplätzen. Wir ließen den Außenborder wieder an, verstauten die Tasche mit den Gläsern und fuhren über die spiegelglatte Wasseroberfläche Richtung Norden auf eine Lichterkette zu, die über dem schwarzen Wasser hing. Aus der Nähe erkannten wir, dass es Gaslaternen waren, die die Fischer in einer Reihe aneinander gehängt und deren Enden irgendwo in der unter uns liegenden Schwärze verankert hatten. Ein schlankes Boot, voll besetzt mit Männern des Luo-Stamms mit bloßen Oberkörpern, vervollständigte das Bild. Die Laternen baumelten einen knappen halben Meter über den Wellen.

Richard erklärte uns, dass die Lichter die Fliegen am See anzögen, die wiederum die Fische herbeilocken würden. »Alle vier Stunden ziehen die Fischer ein Beutelnetz um die Lichter und fangen die Fische, die gerade dabei sind, sich an den Fliegen gütlich zu tun. Morgen werde ich euch zeigen, wie die Fischer die Fische trocknen, indem sie sie einfach auf Segeln in der Sonne ausbreiten. Aus den Weißfischen in der Größe von Sardinen bereitet man später eine Suppe mit gekochtem Maismehl, oder man verschifft sie nach Nairobi.«

Eine einzelne Messinglaterne, deren Flamme von einem dickwandigen Glassturz geschützt wurde, begrüßte uns, als wir am Kai bei unseren Hütten festmachten. Nachdem wir geduscht hatten, nahmen wir ein einfaches, aber gutes Abendessen zu uns und schafften es, müde, wie wir waren, gerade noch in die Hütten, wo die milde Luft sanft durch die Moskitonetze strich, die unsere Betten umgaben.

27. Februar 1999, sieben Uhr

Fast überall in Afrika kann man aus den Taubenarten, deren Rufe man in der Dunkelheit vor der Morgendämmerung hört, schließen, auf welcher Höhe man sich befindet. In dieser Nacht hörte ich das tiefe Gurren der Trauertauben, die mir sagten, dass ich mich wieder auf geringer Höhe befand, in der man weder Rotäugige Halbmondtauben noch Oliventauben antrifft. Der Wind hatte in der Nacht zwar nachgelassen, aber zugleich war auch die Temperatur gefallen. Ich hatte Lust auf einen Kaffee und ging auf die Veranda hinaus, wo schon ein dampfender Becher auf mich wartete. Erstaunlicherweise hatte ich nichts gehört, als er mir gebracht worden war. Sonst weckte mich schon das leiseste Geräusch, aber die Wellen, die sanfte Brise und die langen Tage während der Safari hatten mich tiefer schlafen lassen als sonst. Ich trank meinen Kaffee, die Füße auf die niedrige Brüstung der Veranda gelegt, und dachte über den kommenden Tag nach.

Während dieser neunzehntägigen Safari sollte Rusinga unser einziger »One-Night-Stand« sein. Ich bemühe mich immer darum, mit einer Gruppe wenigstens drei Nächte an einem Ort zu verbringen. Dann hat man genug Zeit, die Namen und Gesichter der Mitarbeiter eines Camps kennen zu lernen und sich an die neue Umgebung zu gewöhnen. Ich wusste, dass meine Gruppe gerne noch mindestens einen Tag hier verbracht hätte, aber die Genehmigung für die Gorilla-Tour zwang uns zur Einhaltung des Zeitplans. Pro Tag durften nur zwölf Leute die etwa dreihundertzwanzig Berggorillas besuchen, die inmitten eines Gebiets von erloschenen und aktiven Vulkanen im Kongo (dem vormaligen Zaire), in Ruanda und in Uganda leben. Ich hatte mit den zuständigen Stellen im Bwindi Impenetrable Forest schon gestritten, ich hatte gebeten und gebettelt, um die Erlaubnis für einen Besuch an zwei aufeinander folgenden Tagen zu bekommen. 1986 war ich das erste Mal in dem ruandischen Teil dieses Gebiets gewesen, wo Dian Fossey, die mit ihren Forschungen und dem Buch Gorillas im Nebel diese Tiere berühmt machte, gelebt hatte. Sie war 1985 von Wilderern ermordet worden, die seit Jahrzehnten eine Gefahr für die Gorilla-Population darstellten und ihren Lebensunterhalt durch die Popularität bedroht sahen, die Dian Fossey den Gorillas verschafft hatte.

Im vorangegangenen Jahr hatten Rob, Susan und ich einen Besuch bei den Gorillas geplant, aber da die Lage damals wegen des Krieges im Kongo und in Burundi bestenfalls prekär zu nennen war, hatte ich diesen Teil der Safari sicherheitshalber abgesagt. In einem Zeitraum von nur hundert Tagen waren im April, Mai und Juni des Jahres 1994 zwischen achthunderttausend und einer Million Menschen in Ruanda umgebracht worden. Die Stammeskonflikte zwischen den Hutu und den Tutsi hatten schließlich auf den benachbarten Kongo und Burundi übergegriffen, wo sowohl die Mörder als auch die Flüchtlinge Zuflucht gesucht hatten. Ich hatte mich zu dieser Zeit in Kenia aufgehalten, meistens in Nairobi, wo die Vertreter der internationalen Presse Quartier genommen hatten und wo ich zu Hause war. Einige der Bericht erstattenden Reporter hatte ich gekannt. Was sie erzählten, war zutiefst erschütternd gewesen, obwohl ich zunächst kaum hatte glauben können, dass über achthunderttausend Menschen in so kurzer Zeit und einzeln, mit Handwaffen, getötet worden waren. Wir alle waren wie gelähmt gewesen.

Da Ruanda weitgehend zerstört war und auch der benachbarte Kongo keine Sicherheit bot, blieb nur Uganda, wenn man die Gorillas besuchen wollte. In den beiden ugandischen Camps, von denen eines das von Abercrombie & Kent war, in dem wir unterkommen wollten, war man bereit, jederzeit die Zelte abzubrechen. Ich hatte während des letzten Jahres immer wieder E-Mails an A & K geschickt oder war bei der Verwaltung in Nairobi vorbeigefahren, um mich zu vergewissern, dass alles in Ordnung sei. Es schien keine Probleme zu geben.

Die Lage wurde zu dieser Zeit für sicher gehalten. Bislang hatten sich in Uganda noch keine Vorfälle ereignet, durch die Touristen in Gefahr geraten wären. Darüber hinaus gab es einen steten Reiseverkehr, und man berichtete in schillernden Farben von den Gorilla-Touren in Uganda. Ich selbst hatte Bwindi in diesem Jahr schon vier Mal besucht und jedes Mal nur die besten Erfahrungen gemacht.

Den heutigen Tag würden wir im Flugzeug verbringen. Wir mussten zwei Mal Einreise- und Zollformalitäten hinter uns bringen – ein Mal, wenn wir Kenia verließen, das andere Mal, wenn wir nach Uganda einreisten. Von dort aus würde uns das Flugzeug mehrere hundert Kilometer weit zu den Teeplantagen in der Nähe von Buhoma bringen, einen guten Kilometer von der ugandischen Grenze zum Kongo entfernt. Nach weiteren dreißig Minuten im Auto sollten wir dann gerade rechtzeitig zum nachmittäglichen Tee am Rand des Impenetrable Forest eintreffen.

Während wir gut gelaunt unter einem Feigenbaum frühstückten, gab ich Rob, Bob und den beiden Susans Weisungen, wie sie sich beim Betreten des Waldes an der Grenze zum Kongo zu verhalten hatten. Die Gorillas haben wirklich eine außerordentliche Anziehungskraft, und von der Tiefe und Dunkelheit des Waldes geht ein großer Zauber aus. Ich erklärte ihnen den Flug und die anschließende Autofahrt, die wir an diesem Tag hinter uns bringen müssten, um unser Zeltlager zu erreichen, das dort, wo die Straße auf den Regenwald trifft, am steilen Westhang des Tals klebte. Ich erzählte ihnen ausführlich von den Gorillas, ihren Familienstrukturen, ihren Arten und Unterarten und ihrer Verbreitung und beschrieb dann noch kurz die Forschungsarbeit von Dian Fossey über die anderen Gorillas tief unten im Süden von Ruanda. Sie mag im Privatleben und als Vorgesetzte ja herrisch gewesen sein, aber ohne sie und ihre hingebungsvolle Arbeit würde es heute vielleicht keine Berggorillas mehr geben.

Um neun Uhr morgens rollte ich mit dem Flugzeug ans südliche Ende der Startbahn. Ich hatte den Motor und die Elektrik gecheckt und den Propeller durchgedreht, um warmes Öl in den Drehzahlregler zu bekommen, die Landeklappen auf ihre Funktionstüchtigkeit geprüft und schließlich die Trimmung und den Kompass justiert. Die meisten Start- und Landebahnen, die ich in Ostafrika benutze, sind Geröll-, Sand- oder Graspisten; sie können außerordentlich hart und uneben sein, und durch die Erschütterungen lockert sich immer etwas am Instrumentenbrett. Meistens funktioniert dann der Funk nicht mehr, aber ich habe auch schon zwei Mal die Landeklappenbedienung verloren und ein Mal den Bremshebel. Solange ich das früh genug bemerke, kann ich mir noch irgendwas ausdenken, aber der Start ist nicht unbedingt die beste Zeit, um von solchen Mängeln überrascht zu werden. Am Ende der Startbahn trat ich fest auf die rechte Bremse, wendete das Flugzeug, ließ es weiterrollen und gab dann wieder Gas. Es kommt immer wieder vor, dass beim Start Steine hoch geschleudert werden, die den Propeller beschädigen. Ist das Feld lang genug, und ich kann bis zum eigentlichen Start langsam immer mehr Gas geben, kann ich die Propellerblätter vor solchen Schäden bewahren.

Die Bäume am nördlichen Ende der Startbahn nahmen wir spielend, und ich zog die Maschine steil nach oben, um Höhe zu gewinnen, dann flog ich eine Kurve nach Nordosten Richtung Kisumu und warf einen Blick nach hinten auf meine Fluggäste. Sie hatten ihre Gesichter gegen die Fensterscheiben gepresst, um den See und die dahingleitenden Daus zu betrachten.

Der Zoll in Kisumu machte erstaunlich wenig Umstände. Ich hatte am Tag zuvor Bescheid gegeben, dass wir heute auf unserer Reise nach Uganda zwischenlanden würden. Sie hatten sich sogar daran erinnert, dass ich einen Tankwagen bestellt hatte. Unsere Pässe wurden abgestempelt, der Tank wurde mit hundert Liter Flugbenzin voll getankt, und die Zollbeamten nahmen uns das Versprechen ab, auf dem Rückflug aus dem Duty-free-Shop in Entebbe Whiskey mitzubringen. Bald waren wir wieder in der Luft. Himmel und Wasser verschmolzen ineinander, weshalb ich während des fünfundvierzigminütigen Flugs meine Instrumente umso genauer im Auge behalten musste. Schließlich setzte ich, die sattgrünen Inseln des Viktoriasees, die unseren Weg nach Entebbe markiert hatten, hinter uns lassend, zum Landeanflug an. Der hiesige Flughafen war 1976 zu Berühmtheit gelangt, als israelische Streitkräfte neunundachtzig Geiseln aus einem Flugzeug befreit hatten, das von einer palästinensischen Guerillagruppe entführt worden war.

Da auf dem internationalen Flughafen von Entebbe auch Boeings 747 landen, musste ich mir keine Gedanken über die Länge der Landebahn machen. Ich hatte keine Lust, zehn Minuten mit dem Flugzeug bis zum Terminal herumzukurven, überflog die erste Hälfte der Landebahn und setzte meine Blue Bird erst dann auf die gemalte Mittellinie auf. Wir rollten zum Terminal, und ich drosselte die Benzinzufuhr, um den Motor anzuhalten. Ein Gesicht erschien an meinem Fenster, und nachdem der Propeller zum Stillstand gekommen war, öffnete ich die Tür und begrüßte Peter, den Abgesandten des Unternehmens, das das Gorillacamp unterhielt. Wir folgten ihm in das Terminal, die Pässe griffbereit in der Hand. Auf gut Glück hatten wir unser Gepäck im Flugzeug gelassen, vielleicht würden sie ja nicht alles durchsuchen wollen.

 

Während Peter die anderen zum Mittagessen oben im Flughafengebäude begleitete, füllte ich den Flugplan für den nächsten Streckenabschnitt aus. Ich musste mich auch noch beim Militärposten melden. Fünf Minuten später, nachdem ich allen die Hand geschüttelt, über das Ausbleiben des Regens gejammert, vom bisherigen Verlauf der Reise erzählt und mich nach der Lage der Dinge erkundigt hatte, stieß ich wieder zu meiner Gruppe.

Im Gegensatz zu Kenia und Tansania besteht Uganda zu weiten Teilen aus grünem und fruchtbarem Land. Es war Uganda gewesen, auf das sich das Begehr von Großbritannien und Deutschland gerichtet hatte. Die beiden europäischen Kolonialmächte waren mehr oder weniger gezwungen, Kenia beziehungsweise Tansania zu »nehmen«, denn nur so verfügten sie über Häfen, über die sie ihre Schätze aus Uganda verschiffen konnten. Seit Uganda 1962 die Unabhängigkeit erlangte, hat das Land unter einer ununterbrochenen Folge brutaler Diktaturen gelitten: zunächst unter Milton Obote, dann unter dem berüchtigten Idi Amin und dann wieder unter Milton Obote. 1985 schließlich gab es zwei Aufstände – im südöstlichen Teil des Landes zettelte General Okello einen Krieg an und im Westen Yoweri Museveni. Ich war damals von der New York Times und der London Times, für die ich jeweils als Fotograf und Dolmetscher arbeitete, nach Uganda geschickt worden, um Material über diese beiden Konflikte zu sammeln.

Erst nachdem wir Entebbe schon eine Stunde hinter uns gelassen hatten, konnte ich direkt vor uns die Umrisse der Bwindi-Berge ausmachen. Es lässt sich kaum erahnen, was sich hinter dem Dunstschleier verbirgt, bis man plötzlich erschreckend nahe ist. Durch die leichten Turbulenzen über dem niedrigen Gebirge wachten meine vier Passagiere auf, und sie blickten mit großen Augen auf die dunkelgrün umhüllten Berge und die Dörfer, die sie säumen. Ich steuerte das kleine Flugzeug das Tal hinauf, das zum Impenetrable Forest führt, weil ich ihnen die Ausdehnung und die steilen Hänge des Gebiets zeigen wollte, das wir durchqueren würden. Die Größe und Unberührtheit dieses Dschungels lassen sich eigentlich nur aus der Luft erkennen.

Die Landebahn war von dichtem Gras umwachsen und wurde an drei Seiten vom hellen Grün der Teeplantagen begrenzt. Als wir am östlichen Ende der Piste ausrollten, fuhr ein erfreulich vertrauter braungelber Landrover auf dem Grasstreifen vor. Selbst hier, im abgelegenen Regenwald, klappte die Planung also.

Hunderte von Kindern rannten auf die Landebahn. Ich rief den anderen zu, sie sollten mir dabei helfen, die Kinder im Auge zu behalten. Als ich vor drei Wochen hierher gekommen war, musste ich den Motor des Flugzeugs gleich nach der Landung abwürgen, weil ich Angst hatte, eines der Kinder mit dem im Laufen nahezu unsichtbaren Propeller zu erwischen. So schnell ich konnte, stellte ich die Benzinzufuhr ab und den Motor aus. Die Gefahr, jemanden zu töten, war einfach zu groß, lieber würden wir das Flugzeug in seine Parkposition schieben.

Neugierig kamen die Kinder auf uns zugelaufen, als wir aus dem Flugzeug stiegen. Diesen Teil der Welt überflog so gut wie nie ein Flugzeug, geschweige denn, dass eines landete. Die Ankunft meiner blitzenden blau-grünen Cessna war jedes Mal ein Riesenereignis für sie. Meine vier Gäste waren erstaunt, dass die Ankunft eines Flugzeugs einen solchen Aufruhr verursachen konnte, und begeistert schüttelten sie den Kindern die Hand und fotografierten das Schauspiel. Nichtsdestoweniger warnte ich sie, auf alle Fälle das Gepäck im Auge zu behalten. Einhundert Paar Hände streckten sich uns entgegen, um unsere fünf Gepäckstücke und die Kameraausrüstungen zu dem wartenden Auto zu tragen. Nachdem ich mich versichert hatte, dass nichts davon in den Teefeldern verschwand, bat ich Mutabe, einen der Askari oder Wächter, darauf zu achten, dass sich keine der kleinen Hände an dem Flugzeug zu schaffen machten; Mutabe war ein alter Mann aus dem Dorf, den ich schon lange als vertrauenswürdig kannte. Und bald darauf holperte unser Land Cruiser über die unbefestigte und steinige rote Piste in Richtung Wald.

Wir bewegten uns hier abseits der üblichen Touristenpfade. Bwindi ist für den durchschnittlichen Safariteilnehmer viel zu teuer und zu abgelegen. Das Wissen, allein dort draußen zu sein, verleiht diesem Ort eine ganz besondere Aura. Dazu trägt auch bei, dass man in dieser Weise die Aufmerksamkeit aller Einheimischen auf sich zieht und weit und breit kein anderes weißes Gesicht zu sehen ist. Durch welches Dorf wir auch fuhren, überall winkten uns die Leute zu und schauten uns nach. Susan Miller presste trotz des Geholperes während der ganzen Fahrt ihr Gesicht gegen die Scheibe, abwechselnd die Kinder grüßend, die beim Geräusch des näher kommenden Lasters an den Straßenrand stürmten, und Rob in die Seite stoßend, um ihn auf irgendetwas Außergewöhnliches aufmerksam zu machen. Zwischen den Dörfern gehörte die Straße dann den Rindern mit ihren riesigen Hörnern, und wir waren immer wieder gezwungen anzuhalten, bis die Hirten das Vieh mit ihren kurzen kräftigen Stöcken zurück in die Bananenplantagen getrieben hatten, die die Straße zu beiden Seiten säumten.

Vollkommen unvermittelt endet die befestigte Straße an der Stelle, wo der Impenetrable Forest beginnt. Außerhalb des Parks sind so gut wie alle großen Bäume schon vor langer Zeit gefällt und ist der Wald durch Kartoffel- und Maisfelder ersetzt worden; die Talsohle ist in ihrer ganzen Länge mit schier endlosen Reihen von Bananenpalmen bepflanzt. Innerhalb des Nationalparks ist das Fällen von Bäumen nicht erlaubt. Auf den Feldern selbst ist es still, aber aus dem geheimnisvollen schwarzgrünen Dickicht des Regenwaldes dringen ständig fremdartige und lockende Rufe. Einige stammen von Vögeln, andere von Säugetieren, und bei manchen ahnt man den Urheber nicht einmal. Der Regenwald zieht mich sogar noch mehr an als die Serengeti in der Zeit der Dämmerung. Vielleicht kenne ich jene Ebenen aber auch nur zu gut, und es ist das Neue und Unbekannte, das mich verführt. Es gibt hier Vögel, die ich noch nie gesehen habe, und Schmetterlinge, so groß wie Vögel, und Säugetiere, von denen ich noch nicht einmal Spuren entdeckt habe, geschweige denn ihre im Dunklen verborgenen Körper.

Am Parkeingang hielten wir an, trugen uns vom Auto aus in das Besucherbuch ein, und schon glitt der Holzbalken, der die Straße versperrte, zur Seite und gab uns den Weg in den Park frei. Nach zweihundert Metern waren wir endlich am Ziel angekommen. Ich begrüßte die Mitarbeiter des Camps und machte sie mit meinen Mitreisenden bekannt. Die Leute nahmen unser Gepäck, und wir stiegen hinter ihnen die steilen Treppen hinauf, die zum Camp führten. Dort waren auf hölzernen Plattformen die Zelte aufgeschlagen; sie verfügten über schmale Betten und Wasserklosetts, aber es gab keinen Strom.

Der Busch reichte bis dicht an die Treppe. Oben angekommen, öffnete sich uns zu unserer Überraschung die Aussicht auf eine Wiese. Durch das Dickicht drum herum ließ sich aber selbst von hier aus keines der Zelte erkennen, die uns die nächsten drei Nächte beherbergen sollten. Wir hatten alle das Bedürfnis nach einer Dusche, und auf meine Bitte hin ließ der Camp-Verwalter Kübel mit heißem Wasser bringen, mit denen die Duschen gefüllt wurden. Ich setzte mich ein paar Minuten lang auf die Lichtung und lauschte den Rufen der Vögel, die ich kannte – ganz in der Nähe waren der Große Blaue Turako, der blauköpfige Kuckuck und die weißköpfige Schmätzerdrossel zu vernehmen. Vom Tal her waren aus der Ferne in der aufkommenden Dämmerung das Japsen und Kreischen der Schimpansen zu hören.

Als ich zurück zu meinem Zelt ging, hörte ich auch schon die Männer kommen, die die leinenen Duscheimer mit heißem Wasser füllten. Ich dankte ihnen, zog mich aus und stellte mich unter das dampfende Wasser. Lange bevor der Eimer leer war, hatte ich mich schon gewaschen, aber ich blieb noch unter der Dusche stehen und genoss den Luxus; erst als der Wasserstrahl zu einem Tröpfeln wurde, trat ich unter der Dusche hervor. Mein Körper dampfte in der kalten feuchten Luft.

Im Speisezelt fanden sich außer mir nur meine vier Leute und eine einzelne Frau ein, ihrer Aussprache nach zu urteilen eine Amerikanerin. Selbstverständlich luden wir sie ein, an unserem Tisch Platz zu nehmen. Linda Adams war stämmig und trug weite Kleider; sie hatte eine Art, die uns auf Distanz hielt. Sie erzählte uns, sie habe den ganzen Weg von Kalifornien hierher auf sich genommen, nur um die Berggorillas zu sehen. Sie wollte keinen der anderen Naturparks in Ostafrika besuchen. Nach den beiden je einstündigen Besuchen bei den Affen würde sie nach Entebbe fliegen und dann über Nairobi und London zurück nach Los Angeles. Das schien mir ein verdammt langer Weg für eine zweistündige Stippvisite zu sein. Allerdings war ich schon vielen allein stehenden Frauen begegnet, die von Afrika und insbesondere den Affen hier fasziniert waren. Aber es tat mir Leid, dass Linda, wo sie doch schon mal da war, so wenig von dem unglaublichen Leben in freier Wildbahn, das Afrika zu bieten hatte, zu sehen bekommen würde.

Um uns herum war die Größe des Waldes zu spüren, als wir um das Lagerfeuer saßen und uns unseren Wein zu Gemüte führten. Außer dem Zirpen der Grillen und dem Quaken der Frösche war kein Laut zu hören, ganz anders als in den Ebenen, wo immer irgendein Tier laut über irgendetwas sinnierte. Auch wenn die riesenhaften Bäume nicht zu sehen waren, so waren sie doch da und ihre Präsenz zu spüren. Und trotz der tiefen Dunkelheit, die uns wie ein Tuch einhüllte, drängte es mich in den Wald.

28. Februar 1999, sechs Uhr dreißig

Bald schon sollte sich mein Leben einschneidend und für immer verändern, aber an diesem Morgen begrüßte ich noch fröhlich den Mann, der mir freundlicherweise einen Becher mit wunderbar duftendem Kaffee brachte. Ich nahm ihn mit auf die Plattform vor meinem Zelt und hörte dem Konzert der Vögel um mich herum zu. Es war kaum zu glauben, was alles in der Luft los war. Ich versuchte, die einzelnen Vogelrufe zu unterscheiden, und konzentrierte mich dabei vor allem auf die mir unbekannten, weil ich sie wenigstens einer Familie zuordnen wollte.

In diesem Wald verbargen sich Elefanten und Büffel, Buschböcke und andere Antilopen. Während ich mir so die verschiedenen Möglichkeiten durch den Kopf gehen ließ, brach eine Gruppe von Stummelaffen in lautes Kreischen aus, das von ihren über das ganze Tal verteilten Artgenossen beantwortet wurde, sodass bald der ganze Wald von ihren Rufen widerhallte. Was wohl die Berggorillas so früh am Morgen taten? Wahrscheinlich lagen sie noch zusammengerollt in ihren Nestern und schliefen.

»Wir werden den Gorillas bald von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen«, sagte ich beim Frühstück zu den anderen. »Ihr solltet von eurer Fotoausrüstung nur das Nötigste mitnehmen, nur das, womit ihr die besten Fotos machen könnt.« Es war zwar keine Wolke am Himmel zu sehen, aber da es hier fast immer am Nachmittag regnete, steckten wir auch unsere Regenjacken ein. Ich entschied, statt der üblichen Shorts heute lange Hosen anzuziehen. Lieber schwitzte ich ein bisschen, als mich von den vielen Kletterpflanzen und Bäumen zerkratzen zu lassen.

Wir machten uns gemeinsam mit Linda auf den Weg und gingen die Treppen hinunter zum Büro der Parkverwaltung, wo wir uns für die Gorillatour eintragen wollten. Wie es überall auf der Welt der Fall ist, trieb auch der hiesige Verwaltungsapparat zunächst zur Eile an, um einen dann warten zu lassen, und tatsächlich saßen wir dreißig Minuten vor dem Büro herum. Schließlich wies man uns vier Träger zu, die unser Essen und das Wasser trugen und uns darüber hinaus nötigenfalls an schwierigen Stellen des Wegs helfen und uns schieben oder ziehen konnten, damit wir an unserem Ziel, den Gorillas, auch wirklich ankamen. Die Träger boten uns Wanderstäbe an, mit denen wir die steilen Pfade besser bewältigen würden. Ich war froh, dass Bob und Susan Studd sie nahmen, weil ich mir Sorgen machte, wie die beiden den Tag durchstehen sollten. Bob war kein Leichtgewicht, und abgesehen davon, lebten die beiden in Portland auf Meereshöhe. Wir mussten heute auf zweitausendfünfhundert Meter steigen, und eine solche Höhe macht jedem zu schaffen.

Dann kam der Parkwächter, der uns begleiten sollte. Er war ein kleiner, zierlicher Mann mit einem außerordentlich lebhaften und freundlichen Gesicht; sein Englisch war gut, und er hatte die reizende Angewohnheit, Wörter auf der falschen Silbe zu betonen. »Wenn Sie krank sind, dann gehen Sie bitte jetzt zurück; Sie erhalten die Gebühr für Ihre Gorillabesuchserlaubnis zurück und den Eintritt vom Park«, sagte er. »Wenn erst später herauskommt, dass Sie eine Erkältung, einen Husten oder etwas anderes haben, und ich schicke Sie zurück, bekommen Sie nichts mehr. Das sollten Sie wissen.« Dieser Hinweis war vollkommen gerechtfertigt, wenn man bedenkt, wie leicht sich Krankheiten von Menschen auf Gorillas übertragen. Deshalb war es auch verboten, sich den Tieren auf weniger als fünf Meter zu nähern, um die Ansteckungsgefahr so gering wie möglich zu halten.

»Wir werden nur eine Stunde mit den Gorillas haben – eine Stunde! Machen Sie also Ihre Fotos, aber verwenden Sie keinen Blitz!«, sagte er bestimmt. Ich achte mittlerweile selbst darauf, wann diese eine Stunde vorbei ist. Meine Kunden sind um die halbe Welt gereist und haben Tausende von Dollars bezahlt, um die Primaten zu sehen, und ich bin nicht gewillt, ihnen ihre Zeit von einem Parkwächter oder einem Spurensucher beschneiden zu lassen, nur weil er vor Einsetzen des Regens zu Hause sein will. Allerdings hatte mich derselbe Parkwächter schon vor drei Wochen begleitet, und damals hatte ich ihn und zwei seiner Kollegen ein kurzes Stück in meinem Flugzeug mitgenommen. Es war der erste Flug ihres Lebens gewesen, und ihr kleines Abenteuer hatte sich bis zum Abend in der ganzen Gegend herumgesprochen. Ich erwartete daher keine Probleme mit ihm.

Schließlich stiegen wir in unseren Wagen, um das kurze Stück bis zum Anfang des Pfades zu fahren. Dort stellten wir uns in einer Reihe hinter dem Parkwächter auf, der auf dem schlüpfrigen Trampelpfad aus rotem Lehm in das Tal hinunterzusteigen begann. Der Fluss auf der Talsohle war breit und nicht sehr tief, und ich sprang über die schwarz gefärbten Steine auf die andere Seite, Rob Haubner immer hinter mir her. Susan Miller und Susan Studd trafen die klügere und weniger riskante Entscheidung, indem sie ihre Schuhe auszogen, die Hosen hochkrempelten und durch das Wasser wateten. Bob MacLarin, der eine schwere Kameraausrüstung dabeihatte, wog kurz zwischen beiden Möglichkeiten ab, bevor er sich auf einen Baumstamm setzte und seine Stiefel aufschnürte. Von sich aus ins Wasser zu gehen war in jedem Fall besser, als hineinzufallen.

Langsam stieg der Pfad wieder an. Wir bahnten uns unseren Weg durch Bananenfelder und gingen an ein paar Lehmhütten vorbei, aus deren Türöffnungen mit großen Augen Kinder schauten. Wir grüßten sie, blieben aber nicht stehen. Es konnte leicht einige Stunden dauern, bis wir an unserem Ziel anlangten. Wir wussten nur, wo die Gorillas am vorhergehenden Nachmittag gewesen waren, nicht, wo sie sich jetzt aufhielten. Unser Plan war, bis zu der Stelle zu klettern, an der sie zuletzt gesehen worden waren, und von dort aus den Fährten zu ihren Schlafnestern zu folgen. Dann waren die Spurenleser an der Reihe und würden den Gorillas langsam dorthin folgen, wo sie sich an diesem Vormittag befanden. Das hörte sich einfach an, aber das Dickicht aus Kletterpflanzen und Büschen war nahezu undurchdringlich. Die Brennnesseln würden unser Tempo erheblich verlangsamen, während sich die Gorillas, selbst die riesigen Männchen, mühelos ihren Weg durch den Dschungel bahnen konnten. Für das, was wir bekommen wollten, mussten wir also erst einmal einiges leisten.

Die Wanderstäbe erwiesen sich als ausgesprochen nützlich, da der Pfad jetzt neben einem riesigen Bohnenfeld steil nach oben führte. Weder Ugander noch Gorillas scheinen den Nutzen von Serpentinen zu erkennen. Soweit ich es von meinem Platz fast am Ende der Reihe aus beurteilen konnte, schienen aber alle gut mithalten zu können.

Bis auf Linda Adams. Als wir den oberen Rand des Feldes erreicht hatten, war sie so weit zurückgefallen, dass wir sie nicht einmal mehr sehen konnten. Wir warteten. Erst nach fünfzehn Minuten schloss sie endlich zu uns auf. Sie war in Schweiß gebadet und vollkommen außer Atem; sie machte den Eindruck, als würde sie jeden Augenblick zusammenbrechen. Ich blickte zu unserem Führer. »Wie geht’s ihr?«, fragte er mich auf Kisuaheli.

»Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht«, antwortete ich ihm. »Sie gehört nicht zu meiner Gruppe, ich kenne sie kaum. Deswegen weiß ich auch nicht, wie fit sie ist.«

Er war überrascht, da er davon ausgegangen war, dass wir zusammengehörten. Wir zuckten beide mit den Schultern, und er setzte sich wieder in Bewegung. Alle folgten ihm, nur Linda blieb noch eine Weile auf dem schlammigen Boden sitzen und trank Wasser.

Wir kletterten ein Stück, legten eine Pause ein, tranken Wasser, kletterten weiter und machten wieder Pause. Selbst für die Träger und den Parkwächter war es anstrengend. Bob, um den ich mir Sorgen gemacht hatte, hielt sich allerdings gut, und auch Susan war nicht viel anzumerken. Rob und Susan plauderten sogar miteinander, während sie nach oben stapften. Ich war erleichtert. Wir würden es heute bis zu den Gorillas schaffen, ohne weiteres.

Vor uns erhob sich ein weiterer grasbewachsener Hügel, und wir hielten erneut an. Von Linda war nichts zu sehen. Sie tat mir zwar Leid, aber ich war auch verantwortlich dafür, dass meine vier das zu sehen bekamen, wofür sie den weiten Weg auf sich genommen hatten. Dass Linda in so schlechter Form war, war natürlich schade, schließlich war auch sie von weit her gekommen. Wir warteten mehr als zwanzig Minuten, bis sie und ein Träger endlich unter uns auf dem Pfad auftauchten. Der Träger schob sie unsanft von hinten an.

Wieder blickten der Parkwächter und ich uns an. Ich spürte auch die Augen meiner Gruppe auf mir ruhen. »Wenn das so weitergeht«, sagte der Parkwächter mit ausdrucksloser Stimme, »müssen wir umkehren.«

Die Alternative war, Linda mit einem der Träger zurückzuschicken. Wir waren noch nicht einmal bei dem steilen Stück im oberen Teil des Waldes angekommen und lagen schon weit hinter dem Zeitplan zurück. Bei diesem Tempo würden wir von Glück reden können, wenn wir es überhaupt bis zu den Gorillas schafften, und selbst wenn, wäre es schon gefährlich spät am Tag. Es war unmöglich, in der Dunkelheit zurückzuwandern. Leise, aber bestimmt sagte ich: »Schicken Sie sie mit einem der Träger zurück. Es ist meiner Gruppe gegenüber nicht gerecht, wenn sie die Gorillas nicht zu sehen bekommt, weil Linda den Weg nicht schafft.«

Er nickte nachdenklich. In diesem Moment stieß Linda mit letzter Kraft zu uns. Susan Studd und ich boten ihr Wasser und etwas Schokolade an, da wir hofften, dass ein kleiner Energiestoß sie wieder auf die Beine bringen würde. Sie war dankbar, aber zu erschöpft, um ihrer Dankbarkeit groß Ausdruck zu verleihen. Vor Müdigkeit konnte sie kaum die Arme heben. Wir stapften weiter, kletterten über moosbewachsene Baumstämme hinweg oder krochen darunter hindurch, kämpften uns durch das Gewirr von Kletterpflanzen, rutschten auf den glitschigen Pflanzen und dem noch glitschigeren Matsch aus. Beim nächsten Halt, den wir schon nach einem zwanzigminütigen Aufstieg einlegten, war Linda erneut aus unserem Blickfeld verschwunden.

Dem Geräusch der panga, einer Art Machete, mit der ihr Träger den Weg freischlug, nach zu urteilen, kam sie jedoch näher. Ich blickte den Parkwächter an. Linda ließ sich ohne ein Wort auf den Boden fallen. Sie wusste, was passieren würde, und es muss ihr schrecklich zumute gewesen sein. Heute zumindest würde ihr das Erlebnis verwehrt bleiben, dessentwegen sie den ganzen weiten Weg von Kalifornien bis hierher gekommen war. Der Parkwächter trat einen Schritt beiseite und sprach mit dem Träger; dann wandte er sich direkt an Linda und sagte ihr, dass er sie zurückschicken müsse. Der anstrengende Teil der Strecke habe noch nicht einmal begonnen, erklärte er ihr. Traurig nickte sie.

Wir ruhten uns noch ein bisschen aus, während die Träger für Linda ein Lunchpaket aus unserem Vorrat heraussuchten und es zusammen mit ein paar Bananen und einer Flasche Wasser an Lindas Träger weiterreichten. Verlegen verabschiedeten wir uns voneinander. Ob berechtigt oder nicht, wir waren alle erleichtert.

Wir legten nun um einiges an Tempo zu, als wir uns nach Süden wandten und in den Wald traten, der sich wie eine dunkle Wand vor uns erhob. Es war kein Weg mehr zu sehen, aber das dichte Blätterdach hielt so viel Sonnenlicht ab, dass der Bodenbewuchs merklich weniger wurde. Das stellte allerdings keine echte Erleichterung dar, da die bloße Erde noch rutschiger war und wir keinen festen Tritt mehr fanden.

Als ich eine Pause einlegte, hörte ich den kurzen gutturalen, rasselnden Ruf eines Afrikanischen Breitrachen. Das Breitrachen-Männchen zeigt eines der komischsten Balzverhalten, die ich kenne. Es sitzt dick und aufgeplustert auf einem toten Ast, und wenn es die Lust überkommt, fliegt es rasch einen kleinen Kreis von etwa einem Meter Durchmesser und gibt dabei ein lautes stakkatoartiges Brummen von sich. Man muss es gesehen haben, es ist zum Schreien komisch.

Ich ging zum Parkwächter und sagte ihm, dass ich mich auf die Suche nach dem Afrikanischen Breitrachen machen wolle. Er warf mir einen zweifelnden Blick zu, aber ich erklärte, dass er mit den anderen einfach weitergehen solle, ich würde schon wieder aufschließen. Ohne seine Antwort abzuwarten, machte ich mich in die Richtung auf, aus der ich den Vogel zuletzt gehört hatte. Wie sich herausstellte, war der Breitrachen viel näher, als ich vermutet hatte, und ich rief Rob zu, dass er und die anderen sich den Vogel unbedingt anschauen müssten.

»Du willst, dass wir uns einen Vogel ansehen?«, fragte Rob.

»Aber ja. Ihr müsst den kleinen Kerl mit eigenen Augen sehen. Ich verspreche euch, er ist es wert.«

Die vier hielten in ihrem Aufstieg inne und kletterten zu mir herüber. Schließlich hatten alle ihre Ferngläser auf ihn gerichtet. »Lasst ihn nicht aus den Augen, bis er ruft«, riet ich ihnen. Und das taten sie.

Selbst wenn er nicht gerufen hätte, hätte ich, auch ohne hinzusehen, gewusst, wann er losflog. Denn alle brachen unwillkürlich in Gelächter aus, als er eilig im Kreis herumschwirrte, um dann wieder zu seinem Ausgangspunkt zurückzukehren. Wir warteten noch kurz, bis er seine zweite Runde flog, und kletterten dann wieder hinüber zu den wartenden Ugandern.

Zu meinem Glück setzte sich meine Gruppe aus Leuten zusammen, die sich für solche Dinge interessierten. Es war nichts wirklich Aufsehenerregendes und gleichzeitig mit mehr Mühe verbunden, als die Tiere auf der Ebene zu beobachten, und doch hatten alle für solche Begegnungen so viel übrig, dass sie dafür das zusätzliche Schlittern und Stolpern gerne in Kauf nahmen.

Als wir wieder zu dem Parkwächter stießen, erklärte er mir, dass die Fährtenleser eine Gorillaspur gefunden hätten und wir wahrscheinlich bald auf ihre Schlafnester stoßen würden. Ich übersetzte meinen Leuten diese Neuigkeit, und alle blickten um sich, als ob die Gorillas jeden Augenblick auftauchen würden. Es vergingen fünfundzwanzig Minuten, bis wir nach einem kurzen Abstieg schließlich den Platz entdeckten, an dem die Gorillas die Nacht verbracht hatten. Anders als Schimpansen, die die Nächte auf Bäumen verbringen, bauen sich Gorillas ihre Schlafnester auf dem Boden. Und man kann tatsächlich von Nestern sprechen. Wir waren umgeben von einer Reihe überdimensionaler, Vogelnestern ähnlicher Schlafstellen mit durchschnittlich etwa einem Meter Durchmesser. Das intensive Summen der kleinen Fliegenschwärme zeigte an, wo die Exkremente eines Gorillas zu finden waren.