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Die Bestseller Die Kuh, die weinte und Der Elefant, der das Glück vergaß haben Millionen Leser auf der ganzen Welt begeistert und inspiriert. Doch welche Lebensgeschichte hat Ajahn Brahm geprägt? Wie gelangte der buddhistische Mönch mit westlichen Wurzeln zu seinen tiefen Weisheiten über Glück und Liebe, die in seinen bewegenden Anekdoten zum Ausdruck kommen? Ajahn Brahms humorvolle und gleichzeitig tiefgründige Erzählungen weisen uns den Weg zu einem erfüllteren und glücklicheren Leben und stehen ganz im Zeichen seiner persönlichen Lebensgeschichte. Denn schon früh bezweifelt Peter Betts, dass Karriere und Wohlstand den Weg zu Zufriedenheit und Glück ebnen, und entscheidet sich schließlich für ein einfaches Leben als Waldmönch. Er erkennt die wichtige Bedeutung von Bedürfnislosigkeit und Herzensgüte und hat die Gabe, den Menschen die Augen für das Wesentliche zu öffnen. Humorvoll vermittelt er uns in seinen Erzählungen, wie wir gelassen mit Fehlern umgehen, und was uns zu besseren Menschen macht.
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Seitenzahl: 201
Glück ist aller Dinge Anfang
»Willst du glücklich sein im Leben, dann sei es!«, schrieb Leo Tolstoi. Glück ist für viele Menschen das beherrschende Lebensthema. Es kommt und geht, nimmt die verschiedensten Formen an und ist selten von Dauer. Seit Tausenden von Jahren versuchen Philosophen, Wissenschaftler, Künstler und Schriftsteller, es zu beschreiben. Es scheint zum Greifen nah und ist doch nicht zu fassen. Viele Menschen in westlichen Gesellschaften befinden sich in einer so komfortablen Ausgangssituation in ihrem Leben, dass man schon fast von einem Glücksdogma sprechen kann. Aber sie sind von der Fülle an Optionen überfordert, unterwerfen ihr Leben einem Perfektions- und Selbstoptimierungswahn und reagieren überrascht, wenn sie irgendwann innehalten und feststellen, dass sie nicht glücklich sind.
Ein Mann beschäftigt sich seit Langem mit dem Thema Glück: der bekannte Buddhismus-Lehrer Ajahn Brahm. In kurzen, prägnanten Geschichten schafft er es, die großen und kleinen Probleme der Menschen klug, lebensnah und humorvoll zu verpacken. Das Motto, unter dem man Ajahn Brahms Lehre zusammenfassen kann: Glück ist eine Lebenskunst, für die wir alle Talent haben. Der Erfolg gibt ihm recht, seine Bücher Die Kuh, die weinte und Der Elefant, der das Glück vergaß sind Bestseller und stehen in Hunderttausenden von Bücherregalen auf der ganzen Welt. Und doch ist der gebürtige Engländer noch viel mehr: ehemaliger Cambridge-Stipendiat und Physiker, Waldmönch der strengen Theravada-Linie, Gelehrter und eine wichtige Figur im Buddhismus der heutigen Zeit.
Das London der Nachkriegszeit lässt den Menschen nicht viele Möglichkeiten. Das einst so stolze Königreich Großbritannien hat die Folgen des Zweiten Weltkriegs noch nicht überwunden. Die Staatskasse ist leer, dringend benötigtes Kapital für den Wiederaufbau muss mittels Darlehen aus den USA beschafft werden. Auch die Wirtschaft muss sich erholen, den Wandel von Kriegs- zu Friedenszeiten erst mühsam bewerkstelligen. Es herrscht eine Zeit der Austerität. Die Übersee-Territorien nutzen die Gunst der Stunde. Indien wird, angeführt durch Mahatma Gandhi, unabhängig. Damit wird der Dekolonisationsprozess in Gang gebracht, und die Weltmacht Großbritannien ist im Begriff zu zerfallen. Das nationale Selbstbewusstsein liegt am Boden, die britische Bevölkerung ist verunsichert. Viele Menschen leiden unter materiellen Zwängen, ihnen stecken die strengen Lebensmittelrationierungen in den Knochen. Obwohl England als Sieger aus dem Zweiten Weltkrieg hervorgegangen ist, bestehen die Rationierungen noch bis zum Juli 1954 fort, mehr als vier Jahre länger als in Deutschland.
Winston Churchill wird 1951 wieder Premierminister. Das Britische Empire wandelt sich zu dem zeitgemäßeren Commonwealth of Nations. Mit der Krönung Queen Elizabeths II. 1952 wird schließlich ein neues Kapitel in der Geschichte Großbritanniens aufgeschlagen. Im Verlauf der 1950er-Jahre weichen Angst und Unsicherheit allmählich einem leisen Optimismus.
Nach und nach erholt sich auch die Hauptstadt. London war während des Zweiten Weltkriegs Ziel unzähliger Angriffe der deutschen Luftwaffe. Mehr als eine Million Häuser sind beschädigt oder zerstört. Um den Wiederaufbau voranzutreiben und den Wohnungsmangel zu beheben, werden in London massenhaft riesige Wohnblöcke und Sozialbauten hochgezogen.
In einem davon leben die Betts.
Die junge Familie spürt von dem Aufschwung lange Zeit nichts. Bill, die schwangere Hazel und ihr Sohn Tony leben in einer kleinen Wohnung in West-London.
Am 7. August 1951, einem kühlen und nassen Sommertag, kommt dort ihr zweiter Sohn auf die Welt. Das kleine, schreiende Bündel ist zunächst namenlos. Seine Eltern haben sich eigentlich eine Tochter gewünscht, und so dauert es eine Weile, bis sie sich zu einem männlichen Vornamen durchringen können. Tatsächlich schlägt die Hebamme einen Namen vor: Peter. Bei diesem soll es nicht bleiben. Jahre später, im Zuge seiner Ordination zum Mönch, wird er seinen buddhistischen Namen erhalten: Brahmavamso, aus dem Geschlecht Brahmas. Bekannt ist der Junge von damals heute vor allem unter dem Namen Ajahn1 Brahm.
Doch das liegt alles noch in ferner Zukunft. Weder Bill noch Hazel ahnen zu diesem Zeitpunkt auch nur ansatzweise, was aus ihrem jüngsten Sohn werden wird. Seine Entwicklung ist in der Tat außergewöhnlich: vom Londoner Arbeiterkind zu einem der bekanntesten Buddhismus-Gelehrten des 21. Jahrhunderts, von Tausenden Anhängern weltweit gehört, geachtet und verehrt.
Aber bleiben wir erst einmal bei der Kindheit Peter Betts. Beide Eltern müssen arbeiten, damit das Geld für die kleine Familie reicht. Wie alle Eltern wollen sie das Beste für ihre Kinder. Sie versuchen, die Entbehrungen der Kriegsjahre vergessen zu machen, und tun ihr Möglichstes, um ihren beiden Söhnen einen guten Start ins Leben zu geben. Das klappt oft mehr schlecht als recht. Der asthmakranke Bill jobbt unregelmäßig, soweit es sein Gesundheitszustand eben zulässt, in einer Tankstelle, Hazel arbeitet als Sekretärin in einem Schreibbüro. Das hart verdiente Geld bleibt ein knappes Gut. Als Hazel einmal die Wohnung lüften will, weht ein unglücklicher Windstoß eine Ein-Pfund-Note ins Kaminfeuer. Bill versucht verzweifelt, den Schein zu retten. Leider vergeblich. Schlimmer noch, er verbrennt sich dabei beide Hände. Ein Britisches Pfund von damals wäre heute etwa fünfundzwanzig Euro wert: sehr viel Geld für die Familie. Zu viel, um es untätig den Flammen zu überlassen.
Die Wohnung der Betts liegt in Acton, einem Arbeiterviertel am westlichen Rand Londons. Hier verbringt Peter seine ersten Lebensjahre. Gemeinsam mit seinem Bruder geht er hier auch zur Schule, in die Derwentwater Elementary School. Das klassische Backsteingebäude in der Shakespeare Road wird von den Kindern der Nachbarschaft auch gerne Dirtywater Elementary School genannt – Schmutzwasser-Grundschule. Ein Bild, das die triste Umgebung, in der die Jungen aufwachsen, anschaulich beschreibt.
Als kleiner Junge bekommt Peter von seinem Großvater als Weihnachtsgeschenk eine Angelrute. Weihnachten, die besondere Atmosphäre und Geschenke, es gibt kaum Aufregenderes für ein Kind. Leider auch für seinen Vater nicht. Der schnappt sich die Angel und nimmt sie genau in Augenschein. Testet die Biegsamkeit ausführlich und biegt und biegt … und bricht sie entzwei. Große Aufregung, großes Geschrei. Der Großvater ist aufgebracht, der Vater beschämt, der kleine Peter traurig und wütend – fröhliche Weihnachten.
Damals weiß Peter noch nicht, dass dieses väterliche Missgeschick auch seine guten Seiten hat. Es hält ihn davon ab, Fische zu fangen und zu töten, und bewahrt ihn somit vor karmischen Folgen. Von dieser Einsicht wird Ajahn Brahm erst viele Jahre später berichten, nachdem er sich intensiv mit der buddhistischen Karma-Lehre auseinandergesetzt hat.
Karma: Ursache und Wirkung
Der Begriff Karma kommt aus dem Sanskrit und bedeutet wörtlich Wirken oder Tat. Im westlichen Kulturkreis ist Karma mittlerweile ein geläufiges Wort; wir versuchen damit schicksalhafte, mysteriöse Begebenheiten zu erklären. Hat man zum Beispiel Pech, läuft etwas nicht wie erhofft oder geplant, sprechen wir gerne von schlechtem Karma. Etwas steht dann unter einem schlechten Stern. Es wird als eine Art kosmische Bestrafung für unsere Verfehlungen gesehen, wobei der Zusammenhang zwischen unserem Tun und den karmischen Folgen bestenfalls vage bleibt, meistens sogar kaum erkennbar. Insgesamt hat Karma einen negativen Beigeschmack und lässt sich am ehesten in rational nicht so leicht zugänglichen Sphären verorten.
Im Buddhismus bedeutet Karma nur scheinbar Ähnliches. Es hat hier nichts Gottgegebenes oder Schicksalhaftes an sich. Karma wird von Buddhisten als ein Naturgesetz gesehen, vergleichbar etwa mit dem dritten Newton’schen Axiom. Dieses Newton’sche Gesetz, auch Wechselwirkungs- oder Reaktionsprinzip genannt, besagt, dass auf jede Aktion, jede Kraft eine gleich große, aber entgegengerichtete Kraft wirkt. Anders ausgedrückt: In einem geschlossenen System heben sich die wirkenden Kräfte gegenseitig auf, sie streben nach Ausgleich. Im Buddhismus spricht man hier von karmischem Ausgleich. Jedes Handeln setzt Energien frei, die wiederum eine Reaktion, die sogenannte Vipaka, auslösen. Man stelle sich vor, dass man einen Stein in einen See wirft und dieses im Wasser Kreise zieht – das Prinzip von Ursache und Wirkung. So funktioniert auch Karma. Alles, was unserem Willen und Bewusstsein unterliegt, jedes Tun, jeder Gedanke, jedes einzelne Wort hat unweigerlich eine Wirkung.
Karma ist weder Strafe noch Belohnung, sondern lediglich die Folge unserer geistigen und physischen Handlungen. Wir sind dafür verantwortlich und tragen letztendlich auch die Konsequenzen, ob wir wollen oder nicht.
Die Wirkung kann je nach Ursache und Gewicht unmittelbar oder zeitlich versetzt eintreten. Manche Handlungen entfalten ihre Wirkung in diesem Leben, manche erst in einem späteren. Neben positiver und negativer gibt es auch neutrale Energie. Im Buddhismus spricht man in diesem Zusammenhang von karmisch heilsam, unheilsam und unwirksam. Liegen den Taten Motive wie Mitgefühl, Großzügigkeit oder Klugheit zugrunde, spricht man von heilsamem Karma. Erfolgen Handlungen aus Gier, bösem Willen, Egoismus oder auch aus Verblendung oder Unwissenheit, bezeichnet man das Karma als unheilsam. Das eine lindert Leid, das andere erzeugt Leid.
Entscheidend für die karmische Wirkung, die Folgen einer Tat, ist die Absicht, die ihr zugrunde liegt. Geschieht etwas ohne Absicht, sprechen Buddhisten von karmisch wirkungslosem Handeln. Allerdings hat das auch seine Tücken. Denn meistens liegen einem absichtslosen Handeln Unachtsamkeit oder Gleichgültigkeit zugrunde und wirken auf diesem Weg dann doch als negatives Karma. Solange wir denken und handeln, ist Karma – heilsam oder unheilsam – unvermeidbar. Taten sollen möglichst wenig neues Leid erzeugen, daher sollte man so gut und mit so positiver Absicht wie möglich handeln.
Folgt man der buddhistischen Lehre, ist das Ziel des menschlichen Lebens, letztendlich in den Zustand von Bodhi, des Erwachtseins, zu gelangen. In diesem Zustand sammelt man kein Karma mehr an und unterbricht damit Samsara, den ewigen Kreislauf aus Leben, Tod und Wiedergeburt. Man erreicht Nirvana.2 Das gelingt freilich nur sehr wenigen, unsere primäre Aufgabe ist es daher, gemäß dem Achtfachen Pfad zu leben und so die Ausgangsposition im folgenden Leben zu verbessern.
Betrachtet man die Geschichte von der zerbrochenen Angel unter karmischen Gesichtspunkten, ergibt sich folgendes Bild: An erster Stelle steht der schenkende Großvater. Wir können davon ausgehen, dass er selbstlos und in bester Absicht handelt: Er will seinem Enkel eine Freude machen. Heilsames Karma also. Andererseits hat dieses Geschenk auch eine zweite Seite. Es verleitet den Jungen dazu, Fische zu fangen und zu töten und so seinerseits unheilsames Karma anzuhäufen. Dies geschieht hier aber nicht willentlich, allenfalls aus Unachtsamkeit oder Unwissenheit und wird zudem durch die Handlung des Vaters verhindert. Die karmisch negative Wirkung ist daher sehr viel geringer zu werten als die heilsame. Der Vater zerbricht die Angel. Auch er macht das nicht absichtlich oder gar böswillig. Aber er ist unachtsam, deswegen entsteht negatives Karma. Dass er dadurch Ajahn Brahm vor späteren Verfehlungen bewahrt, ist karmisch unwirksam, weil er ohne Intention und Bewusstsein handelt.
Schließlich Ajahn Brahm als Junge. Er ist anfangs in der passiven Rolle des Beschenkten. Er wird zudem durch das Wirken des Vaters vor späterem, schlechtem Karma bewahrt. Aber wie reagiert ein kleiner Junge, dem das Weihnachtsgeschenk vor der Nase zerbrochen wird? Er denkt nicht an irgendwelche Spätfolgen oder karmischen Gewinn. Ganz natürlich ist er tieftraurig und wütend auf den Vater – karmisch nicht ganz vorteilhaft.
Der kleine Peter weiß genau, was er später werden möchte: Lokführer. Das ist sein großer Traum. Sein Großvater unternimmt mit ihm und seinem Bruder immer wieder Ausflüge zur Euston Station – für die Jungen Ereignisse, auf die sie richtig hinfiebern. Mitten im Gewimmel des hektischen Bahnhofs stehen sie da und bestaunen ehrfürchtig die beeindruckenden Ungetüme aus Eisen und Stahl. Peter stellt sich vor, wie es wohl sein mag, im Führerhaus einer solchen Lok zu sitzen, vor ihm die endlosen Gleise, hinter ihm die unvorstellbare Kraft der Motoren. Und er, der allein diese tonnenschwere Maschine bewegt. Wunderbar. Für ihn steht fest: Er wird Lokführer, koste es, was es wolle.
In der Derwentwater Elementary School gibt es als Belohnung für gutes Benehmen, vielleicht auch wegen Lehrermangels, gelegentlich einen halben Tag schulfrei. Nachdem die Hausaufgaben gemacht sind, steht der ganze Nachmittag zur freien Verfügung. Ohne eine Sekunde zu zögern, sausen die Kinder auf den nächsten Bolzplatz. Sie treffen sich auf den belebten Straßen des Viertels oder wo auch immer sie ihren Spielen freien Lauf lassen können, mitten im Getümmel. Hauptsache, es passiert etwas.
Und Peter? Manchmal schließt er sich den Spielen seiner Kameraden an. Seine eigenen Vorstellungen von einem perfekten freien Nachmittag sind aber eigentlich andere. Auch er erledigt zuallererst seine Pflichten, macht seine Hausaufgaben. Nach getaner Arbeit belohnt er seinen Fleiß und sein gutes Betragen jedoch nicht, indem er mit seinen Klassenkameraden Fußball spielt und tobt. Ganz im Gegenteil: Er sucht die vollkommene Ruhe und Stille. Seine liebste Beschäftigung ist, absolut nichts zu tun – ungewöhnlich für einen Jungen im Grundschulalter. Vielleicht ist er damals schon ein Naturtalent in der Meditation! Kindern fällt es oft leicht, fast schon spielerisch im Moment zu sein. Es konzentriert und über längere Zeit zu bleiben ist allerdings schon schwieriger. Meistens lassen sich Kinder bereitwillig von ihrer Fantasie und ihren wilden Spielen ablenken, in andere Welten tragen. Anders Peter: Er genießt die Stille, die Leere.
Durch Meditation zu Samadhi
Unter dem Begriff Meditation werden verschiedene Techniken und Methoden der Konzentration und Achtsamkeit gesammelt, die dazu dienen sollen, den Geist zu beruhigen und ein Gefühl der Ruhe und der Einheit zu schaffen. Meditation hat keine religiöse Bedeutung und wird in den unterschiedlichsten Kulturen und in unterschiedlichen Formen ausgeübt. Ein Ziel der Meditation im Buddhismus ist es, den Weg zum Zustand des Samadhi zu ebnen.
Samadhi bedeutet Versenkung und Sammlung. In der buddhistischen Lehre wird es oft auch mit »sanftes oder friedvolles Verweilen« übersetzt. Dieser Zustand soll durch Meditationstechniken in verschiedenen Stufen bis zur Einsicht führen. Auch hinter Samadhi verbirgt sich kein religiöser Begriff, sondern es beschreibt den besonderen Bewusstseinszustand, in den man durch einen ruhigen, fokussierten Geist gelangt und dann mit klarem, nicht von Ablenkungen oder Emotionen getrübten Blick tiefere Einsicht erreicht.
Peter ist ungefähr dreizehn und mitten in der Pubertät, als er einmal mit seinem Vater Bill im Auto durch die Straßen seines Stadtviertels fährt. Sie unterhalten sich über dies und das, ein normales Vater-Sohn-Gespräch. Plötzlich wird sein Vater ernst und sagt: »Egal, was du tust und was du mit deinem Leben anfängst, die Tür zu meinem Haus steht dir immer und jederzeit offen.« Was für ein Versprechen. Die Familie leidet unter materiellen Sorgen, muss jeden Penny zweimal umdrehen, an Zuneigung und emotionaler Sicherheit ist Peters Kindheit aber mehr als reich. Gibt es ein besseres Fundament für ein selbstbewusstes, selbstbestimmtes Leben?
Die Jugend von Vater Bill hat dagegen anders ausgesehen.
Bill wuchs in der Zeit der Großen Depression in Liverpool auf. Sein Vater, Peters Großvater, hatte zwar Arbeit als Klempner, konnte die Familie aber kaum über die Runden bringen. Seine Abende verbrachte er gerne im Pub. Ein Leben, wie es in dieser Zeit Tausende führten. Kam er nach Hause, war er oft betrunken und unberechenbar. Seine Wut ließ er dann wahllos an den Kindern und seiner Frau aus. Grundlose Prügelstrafen waren keine Seltenheit. Seinen eigenen Kindern erzählte Bill erst sehr spät davon, genauso wie von seinem Entschluss, den er schon als Teenager gefasst hatte: Er wollte nicht so werden, seine Familie niemals so behandeln.
Gewaltlosigkeit
Gewaltlosigkeit ist einer der wichtigsten buddhistischen Grundsätze. Gewalt als Mittel, um die eigenen Interessen durchzusetzen, ist in Kulturen, die sich strikt an die Lehren Buddhas halten, keine Option. Man geht davon aus, dass Gewalt keine Probleme löst, sondern nur neue schafft. Erfahrungen von Schmerz und Gewalt sind traumatisch für jeden Menschen, und genau aus dieser Erfahrung heraus gilt es, dies anderen Menschen so weit wie möglich zu ersparen. Den im abendländischen Kulturkreis häufig gestellten Fragen »Warum ich? Warum passiert das mir?« begegnet man im Buddhismus nur selten. Es gibt keine Gründe für Selbstmitleid, denn jedem Problem, jedem Umstand, der uns dazu verleiten könnte, uns selbst zu bedauern, wird eine Bedeutung zugesprochen und bekommt damit einen Sinn. Ursache und Wirkung: Dem Einzelnen fällt es dadurch viel leichter, selbst sehr schwer zu bewältigende Probleme anzugehen. Das ist kein einfacher, kein bequemer Gedankengang für den westlich geprägten Menschen. Der Buddhismus weist den Weg aus der Opferrolle in die Eigenverantwortung. Das Prinzip der Gewaltlosigkeit wird auf alles Lebendige angewendet, auf Menschen genauso wie auf Tiere. Im Buddhismus sind Gut und Böse keine grundlegenden Kategorien, in die man Handlungen und Absichten einteilen könnte. Schädliches Verhalten wird hier eher der Dummheit oder Unwissenheit als der Böswilligkeit zugeordnet.
Sein Vater sei für ihn einer der sanftmütigsten Menschen gewesen, sagt Ajahn Brahm heute. Schon als Kind hatte er Gewalt gehasst. Brahm benennt die Gewaltlosigkeit des Buddhismus als einen der Hauptbeweggründe dafür, dass er diese Religion für sich entdeckt habe. Die Gewalt, die Peters Vater am eigenen Leib erfuhr, ließ ihn zu einem sehr friedfertigen Menschen werden. Das Versprechen, das er seinem Sohn gegeben hat, ist Ausdruck tiefer, bedingungsloser Liebe. Einer Liebe, wie man sie zwischen Eltern und Kindern erhofft und erwartet, die aber selten so deutlich ausgesprochen wird. Dieses Gefühl nimmt Peter mit auf seinen Weg. Ein gutes Fundament für ein erfülltes Leben Diese bedingungslose Liebe an andere weiterzugeben wird eine von Ajahn Brahms Maximen.
Peter ist ein guter Schüler, aufgeweckt und fleißig. Mit großer Neugier arbeitet er sich in neue Themen ein, bis er sie verstanden hat. Nach der Grundschule bekommt er sogar ein Stipendium für die Latymer Upper School, eine der besten Schulen West-Londons. Eine große Chance, denn die hohen Schulgebühren wären für seine Eltern unerschwinglich. Die Struktur des britischen Bildungssystems begünstigt eher Schüler, deren Familien genug zahlen können oder die ohnehin im Einzugsgebiet einer bestimmten Schule wohnen.
Eine großartige Möglichkeit also, die Eltern sind unglaublich stolz. Peter versteht noch nicht, was für ein Privileg es ist, diese weiterführende Schule besuchen zu können. Er lernt leicht und schnell und ist mit voller Konzentration bei der Sache. Diese Eigenschaft ist charakteristisch für ihn und soll ihm sein Leben lang erhalten bleiben: Was er auch tut, er ist voll und ganz bei der Sache, konzentriert, diszipliniert und entschlossen, das Beste zu geben, um an sein Ziel zu gelangen.
Seine Sicht vom Unterschied zwischen halbherzigem Einsatz und wirklichem Engagement schildert Ajahn Brahm am Beispiel eines Tellers Rührei mit Schinken: Das Huhn, welches das Ei gelegt hat, ist lediglich beteiligt, das Schwein »mit Leib und Seele dabei«. Ein sehr simples Beispiel, doch es trifft den Kern der Sache. Welche Entscheidung man trifft, was man tut, ist letzten Endes unwichtig – niemand weiß, was die Zukunft bringt. Es gibt nur den Moment. Entscheidend ist einzig und allein, dass man sein Bestes gibt.
Ganz ähnlich äußerte sich der Tennisspieler Novak Djokovic. Nachdem er im Januar 2016 die Australian Open in überragender Manier gewonnen hatte, versuchte er, in einem Interview zu erklären, wie er zu dem Spieler werden konnte, der die ATP World Tour auf so beeindruckende Art und Weise dominierte. Er sagte, es dürfe keinen Unterschied zwischen dem Menschen und dem Sportler geben, alle Energie, alles Denken müsse dem Ziel unterworfen werden, als Sportler und Mensch sein Bestes zu geben. So resümierte er seine derzeitige Lebensanschauung. Und er kommt damit der Idealvorstellung eines buddhistischen Lebenskonzepts sehr nahe.
Obwohl Peter ein guter Schüler bleibt, empfindet er die Prüfungen in der Schule als eine lästige Pflicht. Seine Mutter versucht ihn zu motivieren und erklärt ihm, wie wichtig es ist, die nächste Prüfung zu schaffen. Und die nächste. Und die nächste. Er spürt den steigenden Druck und fügt sich seinem Schicksal, um die Erwartungen der Eltern zu erfüllen und die Chancen, von denen sie immer sprechen, zu nutzen. Wirklich verstehen kann er es nicht, Peter befindet sich in seiner Sturm-und-Drang-Phase, vom Erwachsenenleben ist er noch so weit entfernt. Er ist sogar eher skeptisch, ob das, was seine Mutter ihm predigt, das Hinarbeiten auf die Zukunft, richtig ist. Lässt sich das echte Leben, lässt sich Glücklichsein auf später verschieben? Was ist mit dem, was jetzt gerade stattfindet? Was ist mit dem Moment? Fragen, mit denen er sich später sehr viel gründlicher beschäftigen wird, als er jetzt ahnen kann.
Auch wenn Peter in dieser Zeit noch die tiefere Einsicht fehlt, vertraut er den Worten seiner Eltern. Schule ist Pflicht. Ob er zur Schule geht oder nicht, steht nicht zur Debatte. Wenn er diese Pflicht also schon erfüllen muss, dann wenigstens richtig. Und die Belohnung lässt nicht lange auf sich warten. Mit sechzehn Jahren gewinnt Peter für seine herausragenden Leistungen in der Schule einen Preis, einen kleinen Geldbetrag. Zum ersten Mal hat er eigenes Geld zur freien Verfügung. Aber wie soll er es anlegen? In einer Reise oder in Kinobesuchen? In Konzerten oder anderen kurzfristigen Vergnügungen? Was tun mit dem Scheck?
Peter geht in seine Lieblingsbuchhandlung und kauft einen Stapel Bücher. Was liest man gewöhnlich mit sechzehn Jahren, am Ende der Pubertät? Comics oder Abenteuerromane. Oder Bücher, die einem auf unterhaltsame Weise die hormonbedingt aus den Fugen geratene Welt erklären. Viele junge Menschen lesen damals begeistert J. D. Salingers Der Fänger im Roggen. 1967 sind Susan Hintons Die Outsider und Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel García Márquez erschienen. Auch der letzte James-Bond-Band von Ian Fleming, Octopussy und andere riskante Geschäfte, wurde erst kürzlich veröffentlicht.
Das sind jedoch nicht Peters Interessen, er legt sein Geld schließlich in Büchern über die verschiedenen Weltreligionen an. Darunter befindet sich auch Christmas Humphreys’ Buddhism von 1949, ein Grundlagenbuch, das Geschichte, Entwicklung und die verschiedenen Richtungen des Buddhismus behandelt. Wie für viele Teenager auf der Suche nach ihrem Platz im Leben, auf der Entdeckungsreise zu sich selbst sind für Peter philosophische und religiöse Themen spannend. Aber anders als bei den meisten seiner Altersgenossen bleibt Peters Begeisterung dafür lebendig. Tiefer und tiefer taucht er in diese Welt ein. Er betreibt etwas »Marktforschung«, um zu sehen, was im Angebot ist, wie er später mit weit über sechzig Jahren erzählt. Er bemerkt, dass Religion für viele Menschen ein bedeutsamer Bestandteil ihres Lebens ist, und er erkennt, was für ihn noch wichtiger ist, dass er die Freiheit hat, die Religion auszuwählen, die am besten zu ihm passt. Er liest in der Bibel, im Koran und in den Sutten Buddhas. Und hier, in diesen vor vielen Jahrhunderten in Tausenden von Kilometern Entfernung verfassten Texten erkennt Peter sich selbst. Sie stammen aus einer gänzlich anderen Welt und beschreiben doch die seine. Er staunt, wie nahe ihm die buddhistische Lehre und ihre Praxis sind, wie sehr sie seinem Wesen entsprechen. Eine Offenbarung. Der Buddhismus wird ab sofort seine Religion. Er entdeckt, dass es im Buddhismus keinen allmächtigen Schöpfergott gibt, keine Sünden und Beichten oder Bestrafungen. Die Verantwortung liegt einzig und allein bei jedem Einzelnen. Peter bezeichnet das als »Do it yourself«-Religion. Er ist erst sechzehn Jahre alt, als er sagt: Ich bin Buddhist.
Siddhartha Gautama – Buddha