AKIRAS KLEIDER - GEHEIMNISVOLLE BRIEFE AUS WIEN - Dodo Kresse - E-Book

AKIRAS KLEIDER - GEHEIMNISVOLLE BRIEFE AUS WIEN E-Book

Dodo Kresse

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Beschreibung

"Umflattert von der Heiterkeit ihres neuen Kleides wusste sie, dass ihr alles gelingen kann." Akira, eine japanische Schneiderin, näht für die Ehefrauen der Geschäftsfreunde ihres Mannes kostspielige Kleider. Es ist nicht nur der exorbitante Preis, der die Frauen in Erstaunen versetzt, sondern noch vielmehr die seltsame Wirkung, die diese textilen Schönheiten auf die Trägerinnen und ihre Umgebung zu haben scheinen. Um ihren Kundinnen eindringlich klar zu machen, dass erst die richtige Haltung ein Kleid zu dem macht, was es sein kann, legt sie den fertigen Kleidern einen Brief bei. Eines Tages erhält sie eine postalische Antwort, aus der sich ein tiefes Freundschaftsband entwickelt. Ganz in den Bann der seltsamen Japanerin gezogen, beschließt Akiras Kundin, eine toughe Anwältin, sich deren Ratschlägen zu beugen und entdeckt schließlich eine aufregende Parallelwelt voller Mystik und Sinnlichkeit. Als Phantasie und Wirklichkeit bedrohlich ineinander zu fließen beginnen und sie beinahe ihre sichere Existenz verliert, zieht Akira jedoch wieder an den richtigen Fäden und kreiert ein kostbares Daunenkissen für das neue "Nest" der geliebten Freundin. Briefe, die Poesie, Gefühle, Verwirrungen, Überraschungen und Aufregungen für die Leser bereit halten! "Eine Hommage an die Eleganz der Weiblichkeit und die Kunst des Briefeschreibens." (Sera Julier)

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Geheimnisvolle Briefe aus Wien

von Dodo Kresse

Edition Summerhill

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Brief N°1 Im Schatten des Ginkgobaums

Brief N°2 Ein Quantum Kraft

Brief N°3 Leidenschaft für Haferbrei

Brief N°4 Den Vögeln zusehen

Brief N°5 Flirten

Brief N°6 Sich kostbar fühlen

Brief N°7 Ein Kleid in Purpur

Brief N°8 Eine geheime Tür öffnen

Brief N°9 Sich verlieben

Brief N°10 Die Sinne schärfen

Brief N°11 In einem Teich baden

Brief N°12 Synchron schwimmen

Brief N°13 Spazieren gehen

Brief N°14 Die Heiterkeit des Mousselinrocks

Brief N°15 Stark bleiben

Brief N°16 Verständnis zeigen

Brief N°17 Sich wehren

Brief N°18 Sich biegen statt brechen

Brief N°19 Eiszeit

Brief N°20 Licht in der Laterne entzünden

Brief N°21 Alles kaputt schlagen

Brief N°22 Einfach weggehen

Brief N°23 Sich berauschen

Brief N°24 Das Erkenntnisfeld erweitern

Brief N°25 Gedichte schreiben

Brief N°26 Horror-Trip

Brief N°27 Ahnungen spüren

Brief N°28 Das Geisterhaus

Brief N°29 Sinnliche Vergnügen teilen

Brief N°30 Das Glück schmecken

Brief N°31 Mitten im Leben sein

Brief N°32 Partys feiern

Brief N°33 Alles verlieren

Brief N°34 Bilder vom Tod

Brief N°35 Den Tiefpunkt erreichen

Brief N°36 Die Freundin retten

Brief N°37 Aufschwingen zu Größerem

Brief N°38 Königliche Interferenzen

Brief N°39 Die Metamorphose

Brief N°40 Loslassen

Impressum

Brief N°1 - Im Schatten des Ginkgobaums

Sehr geehrte Frau Shimawa,

letzten Dienstag ist Ihr Paket eingetroffen. Ich schreibe Ihnen nicht, weil das Kleid nicht passen würde - im Gegenteil. Als ich das Seidenpapier auseinanderfaltete und es aus der Schachtel hob, sah es noch recht unscheinbar aus, ein blaues, tailliertes Kleid, perfekt genäht. Ich streifte es auf einen Bügel und hakte ihn auf die Kastentür. Dann läutete das Telefon und ein Termin jagte den nächsten - und so hing Ihre Kreation dort als harmloser Schatten bis zum Abend. Ihrem Ratschlag folgend, wollte ich es mit Muße anprobieren. Das tat ich dann auch an diesem Abend. Es passte tadellos - wie angegossen. Und tatsächlich verflüchtigte sich, wie von Ihnen vorhergesagt, die anfängliche Rauheit des Stoffes sofort und wich einer seltsamen Geschmeidigkeit, die mir bis dahin unbekannt war. Immer wieder ließ ich meine Hände über den Stoff gleiten, was gar nicht so einfach war, denn ich hatte einen wichtigen geschäftlichen Termin und wollte nicht aussehen wie eine jener Damen mit nervösem Tick, die sich dauernd über den Rock streichen. Dieser Stoff erfüllte mich mit einer Ruhe, die mich verblüffte. Kein Relaxans hat mir jemals so eine umfassende Beruhigung verschafft. Haben Sie vielleicht noch etwas von diesem Stoff auf Lager? Könnten Sie mir daraus eine Tasche nähen, eventuell mit Leder kombiniert? Sie darf nicht labbrig aussehen, sondern müsste eine gewisse Steifigkeit aufweisen. Ein A4-Format wäre perfekt, da ich als Anwältin immer einige Akten mit mir herumtragen muss. Die Vorstellung, sie in einer Tasche zu transportieren, deren Handhabung mich beruhigt, beflügelt mich.

Die letzten Tage waren, wie immer, sehr stressig. Sie erkundigten sich während meiner letzten Anprobe in Ihrer Döblinger Villa nach meinem Beruf und sahen mich nach meiner Antwort so nachdenklich an, als würde Ihnen irgendetwas daran nicht gefallen. Irre ich mich? Ich liebe meinen Beruf, auch wenn er mich manchmal an meine Grenzen bringt. Und ich finde, er passt zu mir - strukturiert und gerechtigkeitsliebend, wie ich bin.

Ich habe vergeblich versucht, eine Mailadresse von Ihnen zu finden. Handynummer konnte ich trotz heftigen Googelns auch keine entdecken, sodass ich Ihnen nun ebenfalls in altmodischer Weise per Brief antworte. Vor drei Wochen, als mich mein Mann bat, ihn zu einer Einladung zu begleiten, wusste ich noch nicht, dass ich Sie kennenlernen werde. Ich sagte ungern zu, da in der Kanzlei dringende Akten auf mich warteten. Als Sie mir vorgestellt wurden, war ich von Ihrer Erscheinung überrascht. Ich wusste zwar von meinem Mann, dass Sie Japanerin sind, aber dass Sie dermaßen außergewöhnlich attraktiv sind, hat er mir verschwiegen. Schade, ich hätte mich entschieden mehr auf diesen Abend gefreut. Unser Gespräch über Ihre Arbeit als Modedesignerin hat mich noch lange beschäftigt. Ich fand Ihre Ansichten erfrischend anders und ich würde gerne mehr über Ihre Pläne hören.

Während ich diesen Brief schreibe, trage ich Ihr Kleid. Das tue ich jetzt seit vier Tagen am Stück. Es scheint, dass ich mich kaum davon trennen möchte. Fast habe ich den Eindruck, es würde mich aufrichten. Wie eine unsichtbare Hand, die mir den Rücken stärkt.

Ihre Inspiration in dem beigepackten Brief, das Kleid angemessen zu empfangen, fiel auf fruchtbaren Boden und so ging ich am nächsten Tag zur Einweihung des neuen Kleides ins Hotel Ritz frühstücken. Anfangs fand ich Ihre Idee, das Kleid so bewusst zu zelebrieren, etwas exaltiert, aber als ich in dieser ruhigen Umgebung meinen Kaffee trank, begann ich zu spüren, warum Sie mir dazu geraten haben. Meine Gedanken begannen sich zu ordnen, als stünden sie im Sog eines unsichtbaren Schlichtsystems. Ich tat einen langen, tiefen Atemzug und nahm einen Schluck Wasser. Wie klar und rein das schmeckte, eigentlich viel besser als der Kaffee. Ich legte die Tageszeitung beiseite und konzentrierte mich auf den Geschmack des Wassers. Gut fühlte sich das an. Die Farben des Frühstücksraums im Ritz schmiegten sich elegant in mein Gemüt. Als ich bezahlt und das Ritz verlassen hatte, fiel mein Blick auf die Auslage neben mir: meine Figur ist immer noch, trotz einiger Wechselbeschwerden, schlank und athletisch, trotzdem fiel mir auf, dass ich deutlich gebückt ging. Das ist wohl den Rückenschmerzen zu schulden, die mich seit Jahren fest im Griff haben. Ich ließ das Auto gegenüber dem Hoteleingang in der Seitenfahrbahn stehen und machte einen ausgedehnten Spaziergang im nahe gelegenen Stadtpark. Das kitschig vergoldete Johann-Strauß-Denkmal ließ ich links liegen und steuerte geradewegs auf „meinen“ Ginkgobaum zu. Wann immer es mich in diesen Park verschlägt, statte ich ihm einen Besuch ab. Seine ungewöhnlichen, fächerförmigen Blätter und die Tatsache, dass sich diese Art seit 250 Millionen Jahren wacker durchschlägt und sogar die Eiszeit überdauert hat, faszinieren mich. Und obwohl er so robust ist, verliert er im Herbst seine Blätter in einer einzigen Nacht. Eigentlich praktisch für Gartenbesitzer, man muss somit nur einmal Laub kehren. Wenn ich mehr Zeit hätte, würde ich mir auch einen Ginkgo in unseren Garten pflanzen. Vielleicht in der Pension. Aber, wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, werde ich dann wahrscheinlich auch keine Zeit für so etwas haben. Mindestens eine halbe Stunde saß ich so auf einer Bank unter den Zweigen des Ginkgo und genoss die Sonne. Ein herrliches Gefühl! Und das hatte ich Ihnen zu verdanken! Glauben Sie mir, hätte ich keinen Termin im Gericht gehabt, ich wäre glatt den ganzen Vormittag geblieben. Auf dem Rasen stolzierten Pfaue, deren Gefieder im Sonnenlicht glänzte. Fremd erschien mir das alles und doch seltsam vertraut.

Gestern besorgte ich in meiner Hochstimmung sogar neue Sportschuhe und wollte endlich mal wieder, zum ersten Mal nach vier Jahren, laufen gehen. Allerdings musste ich mich anfangs schonen, wegen meines Rückens, auch die Gelenke schmerzten mich ein wenig, aber ich hoffe, step by step, wieder etwas gelenkiger zu werden.

Abends waren wir auf einer Soiree eingeladen. Der Botschafter von Marokko gab ein Dinner mit einem Kammerkonzert. Es waren auch ein paar Bekannte da, drei (!) Damen beglückwünschten mich zu meinem Kleid - ich hatte es mit einem goldgelben Seidenschal und einer Perlenkette etwas festlicher gemacht. Alle waren ganz begeistert und fragten begierig nach Ihrem Namen. Da Sie, liebe Frau Shimawa, mich darum gebeten haben, hielt ich mich aber dahingehend bedeckt. Als mein Mann und ich im Auto saßen, hatte er nur den Kopf geschüttelt und gemeint, er würde nicht verstehen, warum eine Modedesignerin wie Sie anonym bleiben möchte und nicht froh über jede neue Kundschaft wäre. Bei der eiskalten Konkurrenz von Zara und all den anderen internationalen Modeketten, hatte er gemeint, müsste man für jede Anfrage dankbar sein. Ich grinste - was für ein Vergleich! Manchmal hatte Tom einfach keine Ahnung! Ich widerstand der Versuchung, ihm zu erklären, worin der Unterschied zwischen Ihnen und Zara liegen würde und bin jetzt froh darüber. Es hätte nur zu langwierigen Debatten ohne Ergebnis geführt. Wie immer eben.

Ich weiß nicht, warum ich Ihnen all das schreibe, wir kennen einander kaum und dennoch ist mir, als würde ein Band zwischen uns bestehen. Jedenfalls danke ich Ihnen so sehr für Ihre Mühe und das wunderbare Kleid, das ich jetzt schon liebgewonnen habe. Und bitte schreiben Sie mir wegen der Tasche, ja? Oder rufen Sie mich an unter der Handynummer, die auf meiner Visitenkarte steht. Ich gab Sie Ihnen letztens bei der Anprobe. Ich freue mich auf Ihr Feedback.

Ihre Lynett Calldeway

Brief N°2 - Ein Quantum Kraft

Sehr geehrte Frau Calldeway,

ich verwende das Telefon grundsätzlich nur in hochbrisanten Fällen. Briefe sind bleibender und nicht so vereinnahmend. Sie sind zwar nicht die erste, die auf einen Beipackbrief, wie ich ihn allen meinen textilen Kreationen beilege, antwortet, aber die erste, der ich zurückschreibe. Ja, Sie haben recht mit dem Band zwischen uns beiden - ich verspüre Ähnliches. Nicht jede Kundin versteht es, mit einem Kleid von mir in Resonanz zu treten. Bei Ihnen entdecke ich deutliche Anzeichen dafür. Erst nach langer, intuitiver Suche fand ich die richtige Mischung aus Wolle und Seide, die Ihrer Intelligenz und Empfindsamkeit entsprechen würde. Das Vermessen des Körpers ist zwar die Basis des Schnitts, jedoch höchstens ein Drittel des Erfolgs. Das zweite Drittel liegt in der Qualität des Tuchs. Über das dritte Drittel schreibe ich eventuell später mehr. Bedenken Sie, dass Ihr neues Kleid zu mehr imstande sein wird, als einfach Ihre Nacktheit zu verbergen und hübsch auszusehen. In jedem einzelnen Faden wird nicht nur die Freude erwachen, sondern auch ein unerwartetes Quantum an Kraft. Meine Anfertigungen sind nicht nur Kleider, die auf einen Körper warten, sondern sorgsam verpackte Möglichkeiten.

Mit Freude habe ich gelesen, dass Sie für die Erstanprobe einen Tag gewählt haben, an dem kein unangenehmer Termin anstand. Und die Wahl des Hotel Ritz-Carlton war sicher die beste, um entspannt in den Tag zu gleiten.

Famos fand ich Ihr Verweilen unter dem Ginkgobaum, gratuliere! Ein deutliches Anzeichen dafür, dass ab nun etwas mehr Gelassenheit in Ihren hektischen Alltag dringen wird.

Je öfter Sie unter dem Ginkgo sitzen, desto besser. So werden Sie kräftiger von Tag zu Tag. Ergänzen Sie diese Wirkung durch einen Teller Haferbrei jeden Morgen. Schütteln Sie nicht den Kopf, sondern versprechen Sie mir, dass Sie es versuchen. Wollen Sie das tun, ja? Es ist wichtig, um sich gegenwärtiger zu fühlen. Und Sie brauchen entschieden mehr „Jetzt“ in Ihrem Leben.

Verbrennen Sie also das Gestern und formen Sie daraus ein hervorragendes Morgen. Ich weiß, dass Sie das beherrschen wie keine Zweite. Sehen Sie sich Ihre Gedanken an wie Kiesel, die der Fluss glänzend wäscht und geben Sie Ihnen nicht mehr Gewicht.

Und vor allem: Beschränken Sie das Tragen allzu solider Anzüge auf den Job. Im dunkelgrauen Flanell schlafen Ihre Träume und entbehren ganz den Taumel der Helligkeiten. Ihre Schultern verspannen sich unmerklich und mit dem Schließen der Knöpfe beenden Sie das Fließen des Lebens. Schauen Sie Ihnen ins Gesicht, Ihren Vorstandskollegen, mit steilen Falten zwischen den Brauen. Wie leer ihre Blicke sind. Graue Haut, grau gewordene Träume. Brechen Sie das Schweigen, bevor die Mauern zufrieren. Das Leben lässt sich nicht feiern in Gesellschaft fahler Paragraphenreiter. Und darum geht es doch, nicht wahr?

Verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen vielleicht zu nahe gekommen bin und unsichtbare Grenzen übertreten habe. Und ja, ich habe noch eine Restmenge dieses Stoffes. Die Aktentasche sende ich Ihnen zu, sobald sie fertig ist, oder wollen Sie davor noch einige Designentwürfe sehen?

Mögen Sie sich von Heiterkeit zu Heiterkeit schwingen, wie ein Vogel auf Futtersuche.

In herzlicher Verbundenheit,

Ihre SHIMAWA Akira

PS: Ein Kleid ist stoffgewordene Melodie. Sollte es irgendwo nicht richtig sitzen, was ich beinahe ausschließen möchte, zögern Sie nicht, einen Termin zur Änderung zu vereinbaren. Denn der Klang des Kleides muss rein und eindeutig sein. Bitte tragen Sie es keine Sekunde länger, sollten Sie einen Misston verspüren. Es könnte Ihnen vieles verderben.

Brief N°3 - Leidenschaft für Haferbrei

Sehr geehrte Frau Shimawa,

endlich finde ich Zeit, Ihnen zu antworten. Ich brauche keine Entwürfe für die Tasche zu sehen. Ich vertraue Ihnen voll und ganz. Vom Budget her seien Sie unbesorgt - ich weiß von meinen Freundinnen, dass Ihre Kreationen zwar exorbitante Preise haben, diese aber jeden Cent wert sind. Qualität hat eben ihren Preis. Sie sind mir übrigens nicht zu nahe getreten, ganz im Gegenteil. Obwohl ich mir nie gerne etwas sagen lassen wollte, scheine ich bei Ihnen eine erstaunliche Ausnahme zu machen, denn die Tage beginnen bei mir nun mit einer Schale Haferbrei. Jetzt verstehe ich die Engländer mit ihrer Leidenschaft für Porridge. Man wähnt sich danach tatsächlich gewappnet gegen Probleme aller Art. Meine letzten drei Meetings verliefen so glatt und problemlos, wirklich erstaunlich. Womöglich lag es aber auch an meinem Kleid? Jedes Mal, wenn ich es trage, verwandeln sich meine Nerven in Drahtseile, das ist beinahe mystisch. Sogar Tom, meinem Mann, ist das aufgefallen. Und das will etwas heißen, hat seine Aufmerksamkeit in den letzten Jahren doch deutlich nachgelassen. Ich frage mich, ob er das jemals war, aufmerksam? Tja, wir sind seit zwanzig Jahren verheiratet, da gewöhnt man sich aneinander. Wahrscheinlich reicht das aber nicht als Ausrede.

Ich wundere mich über Ihren Brief. Erstens über die Tatsache, dass Sie mir überhaupt zurückschreiben und zweitens, in welcher Weise. Als ich die Stelle las, in der sie von der Wichtigkeit sprachen, das Leben zu feiern, fühlte ich plötzlich einen metallischen Geschmack, als ob ich eine Bittermandel zerkaut hätte. Feiern? Das war nie meine starke Seite, nicht einmal als Studentin. Ich hatte auch den Eindruck, es würde mir nicht fehlen, bis zu Ihrem letzten Brief und dieser Bemerkung. Sie kommt mir immer wieder in den Sinn. Wie macht man das eigentlich - so richtig feiern? Beizeiten haben wir in der Kanzlei Feiern anlässlich einer gewonnenen Causa oder eines Geburtstags oder einer Beförderung. Ohne ein paar Gläser Chardonnay sind das unerträgliche Zusammenkünfte, es scheint sich keiner wirklich zu amüsieren. Ich bin jedes Mal erleichtert, wenn ich mich zurückziehen darf. Auch privat will mir kein Event einfallen, der dem „das Leben feiern“ auch nur ansatzweise nahe kommen würde. Vielleicht muss ich mich damit anfreunden, ein Mensch zu sein, dem das Feiern nicht gerade in die Wiege gelegt wurde. Es gibt wahrscheinlich Wichtigeres.

Ihr blaues Etuikleid habe ich heute in die Putzerei getragen. Morgen kann ich es abholen. Mir war gar nicht wohl bei dem Gedanken, es würde über Nacht nicht in meinem Schrank hängen. Es ist acht Uhr abends, die Putzerei hat sicher geschlossen und alle Lichter sind gelöscht. Eine eigenartige Vorstellung, das Kleid dort inmitten aller anderen, gewöhnlichen Gewänder hängen zu wissen. Als würde es nicht dazu gehören. Als dürfte es mit anderen Kleidern gar nicht in Berührung kommen.

Sie schrieben, ich möge dunkelgraue Flanellanzüge auf den Job beschränken. Was empfehlen Sie mir für meine Freizeit? Und überhaupt: welche Freizeit? Wenn ich abends heimkomme, so wie heute beispielsweise, ist es ungefähr acht. Mein Mann kommt meistens noch später, gegen zehn. Sie wissen ja, er arbeitet als Orthopäde in dem Krankenhaus, das Ihr Gatte leitet, mit einer Menge Überstunden und Nachtdiensten. Zumeist entspanne ich bei einem Kriminalfilm, einem Glas Wein, einem Buch oder dergleichen, zu mehr habe ich kaum Energie und die Wochenenden gehören im Normalfall auch der Arbeit. Das klingt, als wäre ich ein Workaholic, nicht wahr? In meinem Beruf geht es gar nicht anders, wenn man Karriere machen will. Nine-to-five kam für mich nie in Frage. Ich wurde mit 26 Jahren als Anwältin angelobt, meines Wissens bin ich eine der jüngsten Anwältinnen in ganz Wien gewesen. Die Anwaltsprüfung darf man erst nach drei Jahren Berufspraxis nach dem Studienabschluss ablegen. Als Sahnehäubchen gönnte ich mir damals nach dem Studium noch ein Jahr New York und absolvierte den Master of Laws an der „Columbia University Law School“. Eine intensive Zeit mit einem prima Ergebnis: Eine der angesehensten Kanzleien Wiens bot mir anschließend einen Vertrag an - und dort arbeite ich heute noch, als Senior-Partnerin mit Spezialisierung auf Umstrukturierungen. Die Abwechslung, die Internationalisierung, die Dienstreisen in ferne Länder, die Verantwortung, der Umgang mit interessanten Persönlichkeiten, das alles ist ungeheuer faszinierend und ich liebe es. Dennoch habe ich in letzter Zeit das Gefühl, als würde mir etwas abgehen. Darf man so etwas überhaupt sagen, als privilegierte Person? Ich habe alles, was man sich nur wünschen kann und mehr. Meine beiden Kinder sind prächtige Burschen und studieren mit großem Erfolg ebenfalls Jus und Medizin. Meine Ehe läuft ohne größere Probleme, wir sind finanziell abgesichert, sofern man das in Zeiten wie diesen überhaupt sagen kann. Das Haus ist längst abbezahlt und in die Stiftung meines Mannes, die unserer Söhne Zukunft absichert, integriert. Alle sind einigermaßen gesund und in den Weihnachtsferien fliegen wir für zwei Wochen in die Karibik. Das klingt doch eigentlich wunderbar, stimmt‘s?

Sie vermuten, ich würde mich in Gesellschaft „fahler Paragraphenreiter“ befinden. Ganz so kann ich dem nicht zustimmen. Unter meinen Kollegen und Kolleginnen erweisen sich so manche als äußerst bunt und durchaus eigenwillig. Es ist wohl ein Vorurteil, dass Juristen fade wären. Sie würden sich wundern, wie originell manche ihr Leben gestalten.

Es tut mir so gut, Ihnen zu schreiben. Dabei klärt sich vieles. Ich stelle mir Ihren Tagesablauf vor und bemerke, dass ich gar nicht weiß, was Sie so tun, außer das Kleider Entwerfen natürlich. Wie lange sind Sie nun in Wien, zehn Jahre? Das ist nicht lange und trotzdem scheinen Sie sich so gut auszukennen. Auch die Sprache beherrschen Sie perfekt. Wahrscheinlich haben sie bereits in der Schule Deutsch gelernt, nicht wahr? Sie wirken so zielstrebig, haben Sie ein besonderes Ziel Ihre Arbeit betreffend?

Ich schicke Ihnen liebe Grüße und hoffe auf baldige Antwort.

Ihre Lynett

PS: ich hab Ihren Nachnamen im Netz gefunden, er bedeutet „Insel der Harmonie“, wie passend!

Brief N°4 - Den Vögeln zusehen

Liebe Lynett,

du fragst nach meinen beruflichen Zielen? Im Meinungsgestöber der Alltagswelten seinen klaren Weg zu gehen ist manchmal eine delikate Übung. Ich hege oft exaltierte Artistengedanken, dafür braucht man eine gute Verbundenheit mit der Erde. Ein paar Geheimnisse der Alchemie und Schneiderkunst möchte ich jedenfalls noch lüften und so nähere ich mich auf unterschiedliche Weise dem Textilen an - und dem, was dahinter steht. Dies will aber nur gelingen, indem ich das Geflirre der Prägungen meide und mich ganz auf das „Wundersame“, wie ich es gerne nenne, konzentriere. Ich muss meine Gedanken weiten und daraus massive Treppen zu den Schlössern der Erkenntnis bauen. Ich will lebendige Kleider erschaffen. Nicht nur im übertragenen Sinn. Ich sehe dich skeptisch eine Braue hochziehen? Bald wirst du es besser verstehen. Mit deinem Etuikleid ist mir erst ein winziger Fortschritt gelungen, aber immerhin. Es trägt schon eine Ahnung dessen in sich, was möglich ist. Daher ist es nicht verwunderlich, dass du es über Nacht nicht gerne außer Haus weißt, als wäre es ein lebendiges Wesen. Dein Instinkt trügt dich nicht. Und er weist dir ebenfalls die Richtung in Bezug auf deine Vermutung, dass etwas fehlt in deinem Leben, so erfolgreich es auch scheinen mag.

Du schreibst, es gäbe Wichtigeres als zu feiern. Du irrst. Denn im Feiern tanzt die Freude. Sie ist Ausdruck des Lebendigseins. Gerade eben sehe ich aus dem Fenster und betrachte die Mauersegler, wie sie ihre Bahnen hoch droben am Himmel ziehen. Möglicherweise sind Vögel der Freude noch viel näher, als wir Menschen es jemals sein können. Beim Anblick ihrer Spiele mit dem Wind erwacht unsere eigene Freude und lässt sich wieder besser spüren. Sie sind also unsere Pfadfinder auf dem Weg zur Freude. Wann hast du übrigens zum letzten Mal getanzt, Lynett, so richtig voller Lust?

Ich werde dir ein Kleid nähen, dass dir der Atem weg bleibt. Ein Kleid, das dir jeden Zweifel nimmt.

Es wird Pailletten tragen, die niemand sehen kann außer dir. Es wird voller Eisblumenkringel sein, die in Achterbahnschleifen um deinen Körper tanzen. Du wirst darin gehen wie eine Königin, strahlend und sicher. So also mein Entschluss. Daher muss ich jetzt schnell schließen und an die Arbeit gehen.

Ich schick dir die Sonne, deine Akira

PS: Wir müssen nun einfach du