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Durch eine Verwechslung gerät Rud auf der Chinesischen Mauer in den Besitz eines fremden Fotoapparats, der ihm bald darauf wieder entwendet wird. Den Film, der aus dem Apparat gefallen ist, hat Stan jedoch eingesteckt und vergessen. Auf einmal fühlen sich die Detektive auf Schritt und Tritt von unheimlichen Schattenmännern verfolgt, und ein heimtückischer Überfall auf Stan ist nur der Auftakt zu einer haarsträubenden Serie von Angriffen und seltsamen bedrohlichen Träumen, in denen vermummte Kapuzenmänner eine Rolle spielen ...
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Seitenzahl: 156
Veröffentlichungsjahr: 2025
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In dieser Reihe bisher erschienen:
7001 Stefan Melneczuk Marterpfahl
7002 Frank W. Haubold Die Kinder der Schattenstadt
7003 Jens Lossau Dunkle Nordsee
7004 Alfred Wallon Endstation
7005 Angelika Schröder Böses Karma
7006 Guido Billig Der Plan Gottes
7007 Olaf Kemmler Die Stimme einer Toten
7008 Martin Barkawitz Kehrwieder
7009 Stefan Melneczuk Rabenstadt
7010 Wayne Allen Sallee Der Erlöser von Chicago
7011 Uwe Schwartzer Das Konzept
7012 Stefan Melneczuk Wallenstein
7013 Alex Mann Sicilia Nuova
7014 Julia A. Jorges Glutsommer
7015 Nils Noir Dead Dolls
7016 Ralph G. Kretschmann Tod aus der Vergangenheit
7017 Ralph G. Kretschmann Aus der Zeit gerissen
7018 Ralph G. Kretschmann Vergiftetes Blut
7019 Markus Müller-Hahnefeld Lovetube
7020 Nils Noir Dark Dudes
7021 Andreas Zwengel Nützliche Idioten
7022 Astrid Pfister Bücherleben
7023 Alfred Wallon Der Sohn des Piratenkapitäns
7024 Mort Castle Fremde
7025 Manuela Schneider Die Waffe des Teufels
7026 Rudolph Kremer Die Turmkammer der schreienden Alraune
7027 Alfred Wallon Heimtückische Intriegen
7028 Marco Theiss Ein Texaner gegen Chicago
7029 Uwe Niemann Das unreine Herz
7030 Nils Noir Damn Evil
7031 Rudolph Kremer Die Höhle des blauen Drachen
Akte Witz
Buch Zwei
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Copyright © 2025 Blitz Verlag, eine Marke der Silberscore Beteiligungs GmbH, Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier
Redaktion: Danny Winter
Coverillustration: Studio Bono Muranaz
Grafik & Umschlaggestaltung: Lars Giesen
Satz: Gero Reimer
Alle Rechte vorbehalten.
www.blitz-verlag.de
ISBN: 978-3-68984-298-7
7031 vom 17.02.2025
Vorwort
Vorspiel
Eine gute Tat
Der Fund
Ein Telefongespräch für Stan
Der Einbruch
Das Date mit dem Zimmermädchen
Schweißtreibendes Brüten und schmerzhaftes Kneten
Die Präsidentensuite
Mysteriöse Beobachter
Eine undurchschaubare Lage
Der dreiköpfige Drache
Neuer Tag, neues Glück
Im Tempelkloster
Neue Funde
Im wilden Flusstal
In der Höhle des Drachen
Wettlauf im Dunkeln
Irrlichter in der Nacht
Aussöhnung mit dem Dieb
Überraschung für den Drachenkönig
Weitere Überraschungen
Nachspiel
Das Hörspiel zu Serie
Über den Autor
Ruhrstadt. Lärmende Nachbarskinder stürzen den eigenbrötlerischen Groschenromanautor Rud Rubenstein in eine Schaffenskrise. Deshalb zieht er in ein kleines altes Bürohaus Auf dem Holzweg Null B. Da er jedoch den Maklervertrag nicht genau liest, hat er plötzlich einen Mitbewohner: Den lebhaften Gelegenheitsjobber Stan Lauchmann. Der eröffnet in der gemeinsamen Wohnung eine Detektei und verwickelt seinen unfreiwilligen Hausgenossen ständig in haarsträubende Abenteuer. Diese sind protokolliert in den Witz-Akten, die hier und jetzt geöffnet werden.
Rud und Stan reisen gern um die Welt. Diesmal verschlägt es sie, gemeinsam mit Stans Schwester Giulietta, nach China, ins Land des Lächelns und der Großen Mauer. Als Rud versucht, einen Mann am Sprung von der Mauer zu hindern, gelangt er ungewollt in den Besitz eines fremden Fotofilms. Dadurch geraten die drei Touristen in einen Strudel wirrer, unheimlicher Ereignisse, in denen mysteriöse Schattengestalten, bedrohliche Träume und vermummte Kapuzenmänner eine Rolle spielen. Dieser aufregende Urlaub wird zur Inspirationsquelle für den Reise-Roman Die Höhle des blauen Drachen.
Vorspiel
China, Provinz Hebei, Xiao-Qinhuangdao.
Eine verborgene Höhle nahe dem Fluss Luan He.
Die Kuttengestalt näherte sich ehrfürchtig dem steinernen Thron des Drachenkönigs. Die flackernden Flammen der Wandfackeln projizierten tanzende Schatten auf die königliche Maske und verliehen dem furchteinflößenden Drachenantlitz eine unheimliche Lebendigkeit. Der Mönch kniete vor dem Thron nieder. "Erhebe dich, Bruder", erklang die künstlich verzerrte Stimme des Regenten. Der Untergebene richtete sich auf und nahm die Kapuze vom Kopf. Zum Vorschein kam Bruder Dong, die rechte Hand des Meisters. "Was ist dein Begehr, Dong?", fragte der Drachenkönig. – "Erhabener Herr, ich trete mit einem persönlichen Anliegen vor dich. Meine Schwester Li Jing möchte heiraten", antwortete der Mönch leise. Er stieß beim Sprechen leicht mit der Zunge an. "Der Name ihres Auserwählten ist Bo. Normalerweise täuscht sich meine Schwester selten in einem Menschen." – "So. Doch dich quälen Bedenken?", forschte der König nach. – "Du blickst in mein Herz, erhabener Meister", entgegnete Dong. "Bo arbeitet in einem kleinen Lebensmittelladen. Anscheinend führt er ein bescheidenes und ordentliches Leben. Ich weiß jedoch, dass er in der Vergangenheit in einige kriminelle Geschäfte verwickelt war, die ihn auch in das Milieu der Prostitution geführt haben; mit manchen Prostituierten hält er noch immer Kontakt; er bezeichnet sie als alte Freundinnen. Meine Schwester tut das als Lappalie ab, doch mich plagen starke Zweifel, was Bos Treue betrifft. Die Verliebtheit könnte meine Schwester in die Irre führen." Der Drachenkönig saß unbewegt auf seinem Thron. "Worum möchtest du mich bitten, Dong?" Der Mönch fasste sich ein Herz. "Wenn es Bo gelänge, ein guter Adept des blauen Drachen zu werden, dann könnte ich mir sicher sein, dass er auch ein guter Mann für meine Schwester wird." Erwartungsvoll sah Dong den Drachenkönig an. – "Du bittest mich also, zu prüfen, ob Bo würdig sei, der Gemahl deiner Schwester und ein Mitglied unserer Gemeinschaft zu werden?", fragte der Herrscher mit der Drachenmaske. – "Ja, Herr. Ich bitte darum. In tiefer Ergebenheit." Dong machte eine Verbeugung. "Auf diese Weise könnte unser Orden einen fähigen Mitbruder gewinnen. Oder sein wahres Gesicht würde enthüllt und meine Schwester vor einem großen Fehler bewahrt." – "So sei es", verlautete der Drachenkönig. "Du darfst diesen Bo zu mir bringen." Dong richtete sich erleichtert auf. "Ich danke dir, großer Drachenkönig". Er verbeugte sich erneut. "Selbstverständlich werde ich alle Maßnahmen, die diesen heiligen Ort vor unerwünschten Besuchern schützen, beachten." – "Das darf ich wohl voraussetzen", entgegnete der maskierte Herrscher. "Doch nun etwas anderes." – "Ja, Meister?" – "Du weißt, der Tag des blauen Drachen naht. Hast du bereits ein Opfer auserkoren?" – "Ich kümmere mich darum, erhabener Drachenkönig. Du weißt, auf mich ist Verlass", erwiderte der Mönch unterwürfig. – "Das will ich dir auch geraten haben, Dong. Du weißt, der blaue Drache muss erwachen und in den Himmel aufsteigen, damit sich seine Herrschaft über die ganze Welt ausbreitet." – "Sei unbesorgt, Meister. Der blaue Drache wird sein Opfer erhalten."
1. Eine gute Tat
China, Provinz Hebei, Xiao-Qinhuangdao.
Auf der Großen Mauer.
"Diese Mauer nimmt ja gar kein Ende, Rud", klagte Stan. – "Tja, die Mauer ist insgesamt über 21.000 Kilometer lang", scherzte Rud, der wieder einmal stehen geblieben war, um ein neues Fotomotiv ins Visier zu nehmen. – "Du meine Güte", entgegnete sein Freund, "und wieviel haben wir heute schon geschafft?" – "Hm. Ich denke, einen halben Kilometer", brummte der Autor lakonisch. – "Na, das ist ja schon mehr als gestern und vorgestern zusammen", gab der Detektiv ironisch zurück. – "Kann sein", meinte Rud. "Aber jetzt sei still, ich muss den Vogel auf dieser Zinne erwischen, bevor er wegfliegt." Er legte an, um zu schießen – natürlich nur mit der Kamera. Ein Mädchen in typischem Touristenoutfit näherte sich Stan von hinten und säuselte: "Jetzt ist genau neun Uhr neun. Wenn man bedenkt, dass wir erst anderthalb Stunden unterwegs sind und Rud alle zwei Meter stehen bleibt, um eine neue Fotoserie zu machen, ist ein halber Kilometer gar nicht so wenig. Rud steigert sich." Stan stöhnte entnervt auf. Er bewunderte seine jüngere Schwester Giulietta für ihre Entspanntheit. Sie war in echter Urlaubsstimmung und sog die Atmosphäre auf der Großen Mauer mit allen Poren ein. Der Ausblick war ohne Frage sensationell: Von der einen Seite der Mauer sah man auf die in satten grünen Wäldern gelegene beschauliche Stadt Xiao-Qinhuangdao mit ihren pittoresken und farbenfrohen Tempelanlagen, von der anderen Seite blickte man auf eine harmonisch geschwungene Hügellandschaft, die von wilder Vegetation überwuchert war; ein blauer Fluss schlängelte sich in eleganten Bewegungen durch ein urtümliches, verträumtes Tal und schien sich am Horizont mit den letzten erkennbaren Windungen der endlosen Mauer zu vereinigen. Der leidenschaftliche Hobby-Fotograf Rud hatte diesen Urlaubsort nicht grundlos gewählt: Er wollte einen Bildband kreieren. Da es in dieser Jahreszeit unglaublich heiß auf der Großen Mauer werden konnte, hatte er die Gruppe zu ungewöhnlich früher Uhrzeit vom Frühstückstisch fortgetrieben, um möglichst viele Motive vor der Mittagszeit ablichten zu können. Deshalb knurrte nun Stans Magen. Der arme Detektiv dachte an die Reiscracker und die geschmierten Schnittchen in seinem Rucksack, die allmählich verzehrt werden mussten, denn es begann bereits unangenehm warm auf der Mauer zu werden. "Auf diesen Zinnen können wir bald Spiegeleier braten", meinte er gedankenverloren, während ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Aber der Fotograf beachtete ihn nicht. Er fixierte seine Motive immer stundenlang, bevor er den Auslöser drückte. Auf seinem Haupt prangte ein riesiger Sombrero. Mit diesem mexikanischen Folklorebeitrag wirkte Rud zwar ein wenig fehl am Platze und war dem Spott seiner zwei Reisegefährten ausgesetzt, aber aufgrund seiner Sonnenallergie schätzte er die Schatten spendende Wirkung der breiten Hutkrempe sehr. Stan hatte einen traditionellen chinesischen Sonnenhut aufgesetzt. Giulietta trug eine Baseballkappe; ihr schulterlanges blondes Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. "Verdammt!", fluchte der Autor unvermittelt. Stan und Giulietta zuckten zusammen. Der Vogel, den Rud seit Minuten als neues Motiv anvisiert hatte, flatterte plötzlich gen Himmel, weil ein chinesischer Mann ihn verscheucht hatte. "Was ist das für ein Idiot?", zeterte Rud und beobachtete fassungslos, wie der Kerl auf die Zinne kletterte, auf der soeben noch der Flattermann gesessen hatte, und sich aufrichtete. Eine plötzliche Erkenntnis durchzuckte den Autor wie ein Blitz. "Moment … Ich glaube, der will da runterspringen!" Stan und Giulietta erschraken. Tatsächlich: Der Mann stand vor dem Abgrund wie eine Eins. Jetzt beugte er sich ein wenig nach vorn und winkelte die Arme an, als wollte er einen Kopfsprung vom Fünfmeterbrett machen. Doch da war Rud schon bei ihm, um ihn gewaltsam von der Zinne zu zerren. Der Mann leistete heftigen Widerstand. Rud hatte hart zu kämpfen, obwohl sein Gegner gute zwei Köpfe kleiner war als er. Der Schriftsteller versuchte beruhigend auf den Selbstmörder einzureden. "Ai want tu help ju. Sätt ju dont spring from se mauer runter. In se tiefe. Ser is a lösung for ewrising. Ju sie? Eluschn!" Aber der Mann ließ sich nicht beschwichtigen. Eine krachende chinesische Schimpfsalve entlud sich über den armen Rud, während dieser unter höchster Anstrengung den Mann zu Boden drückte, wobei er nur mit Mühe den ständigen Schlägen und Tritten des wildgewordenen Suizidanten ausweichen konnte. Als der Chinese endlich auf der Erde lag und sich zu beruhigen schien, glaubte Rud, kurz verschnaufen zu können; er richtete sich stöhnend auf; aber der Mann schoss wie eine Sprungfeder empor und riss Rud seine Fotokamera vom Hals, um damit Fersengeld zu geben. Noch ehe der Autor begriff, was geschehen war, hatte der Kerl sich bereits aus dem Staub gemacht. Stan und Giulietta näherten sich ihrem verdutzten Freund. "Bist du okay?", fragte Giulietta. – "Der Typ hat meine Kamera mitgenommen!", rief Rud entgeistert. "Das kann doch wohl nicht wahr sein, da will man einem das Leben retten, und zum Dank wird man beklaut?!" – "Das war jetzt wirklich seltsam", räumte Giulietta ein. – "Meine schönen Fotos!", schimpfte der Autor. "Alle weg." Stan sah diesen Zeitpunkt als passende Gelegenheit für sein Anliegen. "Tja. Das tut mir sehr leid. Aber da können wir nichts machen. Wie wäre es, wenn wir uns erst mal einen kleinen Imbiss gönnen? Zur Stärkung?" Rud starrte Stan fassungslos an. Dieser Möchtegern-Detektiv verstand überhaupt nicht, welche einzigartigen Fotokunstwerke der Welt vielleicht für immer verlorengegangen waren. "Ich muss diesen Kerl finden", grummelte Rud. Giulietta legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Vielleicht sollten wir wirklich erst mal was essen."
2. Der Fund
Da es auf diesem touristisch weniger erschlossenen Teil der Großen Mauer keine Imbissbuden gab, suchten sich die drei ein lauschiges Plätzchen im Schatten einer gewaltigen Kiefer, die vor der Mauer, am Rand einer Böschung, wuchs. Sie nahmen im Gras Platz. Büsche und Bäume verdeckten die Sicht auf die Stadt. Vögel zwitscherten, Insekten schwirrten summend und brummend durch die Luft. Dieser Ort mitten im Grünen war ein echtes Idyll. Stan setzte seinen Sonnenhut ab. "Ich glaube, hier kannst du auch deinen Sombrero abnehmen, Rud", feixte er und begann in seinem Rucksack nach den Reiscrackern zu kramen. Seufzend nahm der Autor den großen Hut vom Kopf – und starrte ungläubig auf seine Kopfbedeckung. "Moment mal … Was ist denn das?" Jetzt sahen Stan und Giulietta es auch: In der breiten Hutkrempe lag – eine Kamera! Rud hob sie auf und betrachtete sie verwirrt von allen Seiten. "Die sieht fast so aus wie meine … Ja, es ist das gleiche Modell. Ein guter alter analoger Fotoapparat. Aber wie kommt der auf meinen Sombrero?" Giulietta lachte laut auf. Stan prustete ebenfalls los und bekam einen Hustenanfall, weil er sich an seinem staubtrockenen Reiscracker verschluckt hatte. "Der Apparat gehört wohl dem Mann, den du von der Zinne gezogen hast", erklärte Giulietta. "Er wollte gar nicht von der Mauer springen, sondern nur ein Foto machen, das du ihm wohl gründlich verdorben hast. Als er deine Kamera sah, dachte er wahrscheinlich, es wäre seine." – "Ach, deshalb hat er meine Kamera geklaut", begriff Rud und schüttelte fassungslos den Kopf. "Es war nur eine Verwechslung." – "Genau wie dein Gedanke, er wollte Selbstmord begehen", fügte Stan amüsiert hinzu. – "O Mann. Dann brauchen wir die Apparate ja eigentlich nur wieder zu tauschen", dachte Rud halblaut. Da fiel plötzlich der Film aus dem Gerät. Rud versuchte das kleine schwarze Zelluloiddöschen wieder in die Kamera zu schieben. Aber es gelang ihm nicht. Die Klappe schloss nicht mehr. "Mist." Rud reichte Stan das Döschen. "Na ja, am sichersten ist es, du bewahrst den Film so lange auf, bis wir dem Chinesen wieder begegnen. Wenn er die Verwechslung bemerkt, kommt er sicher zurück." – "Klar, das Ding kann ich auch noch einstecken. Ist ja nicht der erste Film, den ich heute für dich aufbewahre. Es geht doch nichts über meine gute Wildnis-Survival-Hose", brummte Stan, versenkte den Film in einer seiner zahllosen sicheren Multifunktionshosentaschen, denen er bereits am Frühstückstisch einen leeren Film von Rud anvertraut hatte, und zog den Reißverschluss zu. – "So, jetzt bekommt erst mal jeder einen Glückskeks", verkündete Giulietta fröhlich und verteilte die kleinen Tütchen, die sie aus der Hotellobby mitgenommen hatte. Gierig riss Stan seine Packung auf und biss in den Glückskeks, um den kleinen schmalen Losungszettel herauszuziehen und aufzufalten. Zum Glück gab es eine deutsche Übersetzung des Spruchs. "Einfalt ist die Weisheit des kleinen Mannes", las er. "Hm. Versteh ich nicht." Rud hatte es auf einmal sehr eilig. "Für so einen Blödsinn habe ich jetzt keine Zeit. Lasst uns wieder auf die Mauer gehen." – "Aber ich habe doch noch gar nicht meine Schnittchen gegessen", nuschelte Stan, während er seinen Glückskeks hinunterwürgte. – "Ich auch nicht", meinte Giulietta vorwurfsvoll. – "Na gut", räumte Rud ein. "Dann esst ihr hier in Ruhe zu Ende. Ich gehe schon mal auf die Mauer zurück, damit der Mann mich findet, wenn er die Kameras tauschen will." Mit diesen Worten war Rud schon im grünen Dickicht verschwunden. Giulietta seufzte. "Jetzt hat er auch noch seinen Sombrero vergessen." – "Ich esse seinen Glückskeks für ihn", meinte Stan und hatte das Tütchen bereits aufgerissen, bevor Giulietta ihn davon abhalten konnte. Unersättlich stopfte er sich das trockene Gebäck in den Mund, während er neugierig Ruds Glücksbotschaft entfaltete. "Der Dumme wirft mit Steinen nach der unreifen Frucht, um sie vom Baum zu holen; der Kluge lässt sie sich in den Schoß fallen, wenn sie reif ist." Stan kratzte sich am Kopf. "Rud würde die Frucht eher auf den Kopf fallen. Wer hat eigentlich diese dämlichen Sprüche geschrieben?" – "Ich glaube, ein Philosoph namens Konfusius", gab das Mädchen zurück. – "Diese Sätze versteht doch kein Schwein", schimpfte Stan. Giulietta lachte. "Man soll ja auch ein bisschen darüber nachdenken, mein großes Brüderchen." – "Das ist mir zu anstrengend. Und was steht bei dir, mein schlaues Schwesterchen?", fragte Stan gereizt. Das Mädchen öffnete den Zettel. "Ein Narr ist der Mann, der versucht, eine kluge Frau nach seinem Willen zu lenken. Das ist ein guter Spruch!", freute sich Giulietta. Stan winkte ab. "So ein Quatsch." In diesem Moment erdröhnte der langgezogene, klagende Schrei einer tiefen Männerstimme. Stan schnellte in die Höhe. "Das war Rud!" Giulietta machte ein erschrockenes Gesicht. "Was ist denn da los?" Doch Stan war bereits im Dickicht verschwunden, um nach seinem gepeinigten Freund Ausschau zu halten. Giulietta konnte ihrem Bruder in dem unwegsamen Gelände, in das sie auf der Suche nach einem schattigen Picknickplatz vorgedrungen waren, kaum folgen. Es dauerte nicht lange, bis sie Rud fanden, da sie nur den leidenschaftlichen Schimpfkanonaden nachgehen mussten. Der Autor hing, gestützt auf alle Viere, kopfunter in einer Böschung und fluchte grimmig vor sich hin; er hatte sich mit dem Fuß in einer Wurzel verhakt; die allein bewahrte ihn davor, weiter den Hang hinab zu rutschen. Er konnte sich selbst nicht mehr aus seiner schiefen Lage befreien. "Rud! Was treibst du denn da?", wollte Stan wissen. Giulietta unterdrückte glucksend ein Lachen. Rud drehte seinen knallroten, mit Schlamm beschmierten Kopf zur Seite. "Wonach sieht das hier aus? Turnübungen?" – "Ein bisschen schon", meinte Stan kleinlaut, während er seinem Gefährten auf die Beine half und ihn auf den Pfad zurückzog. "Aber ich weiß natürlich, dass du so was nie machen würdest." Rud klopfte sich verärgert den Dreck von der Kleidung. "Der Kerl hat mich von hinten umgerannt. Er hat mir schon wieder die Kamera geklaut. Ich wollte ihn verfolgen, aber da bin ich ausgerutscht. Fast wäre ich diesen Abhang runtergekollert." – "Der Fotomann hat sich also seine Kamera zurückgeholt", konstatierte Giulietta. – "Ja", bellte Rud, "und meine hat er einfach behalten. Was ist das denn für eine Art?" – "Eine schöne Pleite", meinte Stan. "Aber Moment! Ich habe ja noch den Film dieses Chinesen." Stan öffnete den Reißverschluss seiner Multifunktionshosentasche und hielt das schwarze Zelluloiddöschen triumphierend in die Höhe. Ruds Augen blitzten auf. "Stimmt. Das ist gut. Halt den Film schön hoch, Stan. Wenn der Kerl uns beobachtet, soll er sehen, dass wir ihn mit Argusaugen bewachen. Wenn er das Döschen zurückhaben will, muss er artig bei uns vorsprechen. Den Film gibt es nur gegen meine Kamera. Den Kerl werde ich mir vorknöpfen. Der kann was erleben!" – "Jaja", grinste Stan. "Aber so dreckig, wie du aussiehst, sollten wir erst mal zum Hotel zurückgehen, damit du dich ein bisschen frischmachen kannst." – "Genau", erwiderte Rud mit neuem Tatendrang. "Pack den Film gut weg, Stan." Der Detektiv folgte seinem Freund aufs Wort und zog den Taschenreißverschluss wieder ordentlich zu. "Du bleibst in unserer Mitte", knurrte der Autor und blickte sich grimmig um. "Der soll nicht meinen, uns nochmal aus dem Hinterhalt überfallen zu können, dieser Schuft! Wenn er nicht auftaucht, kaufe ich mir in diesem Touristenneppladen neben dem Hotel eine neue Kamera, und den Film bringe ich zur Polizei. Da sind doch die Fingerabdrücke dieses Mistkerls drauf. Die Polizisten finden bestimmt raus, wem sie gehören. Dem Überwachungsstaat sei Dank." Voller Eifer marschierte Rud los. In seinem heiligen Zorn war er unverwüstlich. "Warte", rief Giulietta, "wir haben doch unsere Picknicksachen vergessen. Und deinen Sombrero!"
3. Ein Telefongespräch für Stan