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Konrad Landberg wird von seinem Schwager gebeten, einen verschwundenen Bekannten zu suchen. Da der Verschwundene auch noch Jugendtrainer im hiesigen Fußballverein ist, soll Konrad zudem das Training der Jugendlichen übernehmen. Widerwillig übernimmt Konrad das Fußballtraining und die Suche nach dem Verschwundenen. Als in diesem Zusammenhang ein Mord geschieht und der Verdacht auf Konrads Schwager fällt, gibt es aber kein Halten mehr für Konrad Landberg. Er beginnt, intensive Ermittlungen aufzunehmen. Hängen diese beiden mysteriösen Fälle zusammen? - und vor allem: Ist sein Schwager tatsächlich ein Mörder?
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Seitenzahl: 378
Veröffentlichungsjahr: 2022
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"Aller Anfang ist heiter, die Schwelle ist der Platz der Erwartung."
Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832)
Quelle: Goethe, Wilhelm Meisters Lehrjahre, 1795/6. 7. Buch, 9. Kap., Zitat aus Lehrbrief vom Abbė an Wilhelm
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Epilog
Sechs Tage später
Dicht gedrängt schoben sich die erwartungsfrohen Urlauber, die abgeklärten Geschäftsleute und eine merkwürdige Gestalt durch die große Abflughalle des Stuttgarter Flughafens.
Eine leichte Nervosität jedoch schien alle befallen zu haben – selbst die Damen und Herren, „business casual“, mit ihren Notebooks und Tablets, als einzigem Handgepäck, schielten doch öfters als nötig auf die große Flugplan-Tafel. Dabei mussten sie - wie alle – aufpassen, nicht mit den anderen Fluggästen zusammenzustoßen.
Allein der merkwürdigen Gestalt schien die Boarding – und Abflugzeiten reichlich wenig zu interessieren. Vielmehr musterte sie die wimmelnde Menge sehr genau. Jeden einzelnen Reisenden taxierte sie – wog kurz ab - und konzentrierte sich dann auf die nächste Person.
Diese merkwürdige Gestalt merkwürdig zu nennen, war vielleicht übertrieben, angesichts einiger anderer Individuen, die – aufgrund ihres extravaganten Auftretens - viel eher den Blick auf sich zogen. An der Gestalt war vielmehr – aber erst auf den zweiten Blick – etwas Unnatürliches festzustellen. Waren es die zotteligen Haare? Der tiefschwarze Vollbart? Oder die dunkle, dicke Brille? Keines dieser Dinge schien zu passen.
Jedoch: diesen zweiten Blick schien niemand zu machen. Selbst die patrouillierenden Beamten der Flughafenpolizei nahmen keine Notiz von dem Mann.
Und plötzlich stockte er. Sein Blick blieb an einer Frau hängen, die eine soeben frei gewordene Sitzgelegenheit entdeckt hatte und darauf zustürmte. Tatsächlich gelang es ihr, den Platz zu erreichen, bevor ein übergewichtiger Mann in Bermuda-Shorts sich auf den Sitz stürzen konnte.
Die Frau nickte dem Dicken übertrieben freundlich zu und winkte ihrem Mann, für den diese Aktion zu schnell gewesen war. Er stellte sich neben seine nun sitzende Gattin und drängte den Bermuda-Shorts-Träger so noch weiter zur Seite.
Die merkwürdige Gestalt, schien gefunden zu haben, was sie gesucht hatte. Lag es daran, dass die Handtasche der Frau halb offenstand?
Seitlich von hinten näherte sich die Gestalt der sitzenden Frau. Dabei war sein Blick nicht auf diese gerichtet, sondern auf die Handtasche, welche die Frau jetzt auf dem Boden, neben ihrem Sitz, gestellt hatte.
„Sollte es heute so einfach sein“, dachte die Gestalt. „Jetzt brauche ich nur noch ein wenig Ablenkung …“
Und diese sollte schneller kommen als die Gestalt erhofft hatte: Der Bermuda-Short-Träger hatte gerade wieder einen freien Sitzplatz entdeckt und war nicht gewillt, sich diesen Platz wieder streitig machen zu lassen. Den Blick starr auf die freie Sitzschale gerichtet, sprintete der Mann – im Rahmen seiner Möglichkeiten – dem Sitz entgegen. Dabei achtete er verhängnisvoller Weise nicht auf einen abgestellten Koffer und stürzte mit lautem Geschrei darüber.
Alle Umstehenden warfen ihre Blicke und ihre Aufmerksamkeit auf den gefallenen Dicken. Dies nutzte die merkwürdige Gestalt, um rasch die Hand in die offene Handtasche der besagten Frau gleiten zu lassen. Weniger als zwei Sekunden dauerte es, bis die Gestalt fündig geworden war. Blitzschnell zog er den erbeuteten Gegenstand aus der Tasche und ließ ihn in seiner Jacke verschwinden.
Während sich der Dicke wieder hochrappelte und die Umstehenden ein Lachen nur schwer unterdrücken konnten, geschahen zwei Dinge: Der freie Sitzplatz wurde von einem dunkelhäutigen Mann belegt und die merkwürdige Gestalt, entfernte sich aus der Abflughalle.
Zufrieden eilte sie dem nächsten Parkhaus entgegen.
„Für heute ist meine Arbeit getan“, frohlockte der Mann innerlich. Niemand nahm Notiz von ihm. Auch nicht, als er sich, in einer dunklen Ecke des Parkhauses, die Brille, die Perücke und den Bart abriss.
„Irgendetwas stimmt hier nicht!“
Konrads Schwager Gerd war es Ernst – Todernst.
„Ich kenne Hannes. Der verschwindet nicht einfach so.“
Die Aufregung Gerds war deutlich spürbar. Konrad holte tief Atem und blies die Luft mit einem geräuschvollen Zischen durch die Nase wieder hinaus. Mit großer Besorgnis betrachtete er seinen Schwager. Wenn Gerd seine Stirn derart in Falten legte, gab es allen Grund sich Sorgen zu machen.
Dennoch – oder gerade darum – versuchte Konrad sein Gegenüber zu beruhigen:
„Er ist ja erst ein paar Tage weg. Das ist keine Zeit. Da macht nicht mal die Polizei etwas.“
„Stimmt!“
„Was?“
„Stimmt. Ich war heute Vormittag dort. Die haben mich fast ausgelacht und …“
„Und was?“
„… und gesagt: ‚Das ist keine Zeit‘. Ein erwachsener Mann kann durchaus auch mal vier oder fünf Tage verreisen, ohne es anzukündigen. Zumal, wenn er unverheiratet ist.
Auf mein Drängen hin sind sie dann aber doch noch aktiv geworden und haben bei seinem Arbeitgeber nachgefragt. Er hat sich heute Morgen Urlaub genommen – die ganze Woche.“
„Na siehst du“, Konrad verspürte die leise Hoffnung, dass sich sein Schwager wieder beruhigen würde. Noch dazu, da seine Stimme jetzt leiser und seine Stirnfalten weniger wurden.
„Quatsch! Da stimmt trotzdem etwas nicht“, stieß Gerd jedoch plötzlich und wieder mit lauter Stimme hervor. „Hannes macht sich nicht einfach so aus dem Staub. Ohne mir etwas zu sagen. Am kommenden Wochenende ist VR–Cup. Da lässt er die Mannschaft und mich nicht einfach im Stich.“
Konrad blicke verdutzt auf. War es möglich …
„Ach, deswegen machst du dir Sorgen? Du hast keinen Trainer für deine D-Jugend – Mannschaft.“
Gerd senkte ausweichend seinen Kopf. Er war Jugendleiter des Fußballvereins und damit für alle Jugendmannschaften und Trainer verantwortlich. Klar, dass er sich da Gedanken um die Spieler und Trainer machte. Er war der Ehemann von Konrads Schwester Marion. Die beiden waren stolze Eltern von zwei Jungen, Tim und Jan, die ebenfalls Fußball spielten. Allerdings nicht in der besagten D-Jugend – diesem Alter waren die beiden schon entwachsen. In der D-Jugend spielten die Kinder in der Regel im Alter von elf oder zwölf Jahren.
Konrad hingegen war zwar ebenfalls verheiratet, aber noch kinderlos. Zusammen mit seiner Frau Lena bewohnte er eine Mietwohnung in Truchtelfingen, in der Nähe des dortigen Krankenhauses. Zwar suchten die beiden schon länger eine größere Bleibe – jedoch hatten sie bis jetzt nichts Geeignetes gefunden. Konrads Vater Martin hatte schon angeboten, dass die beiden bei ihm im Garten, in Ebingen, zelten könnten.
„Dort hättet ihr auf jeden Fall mehr Platz als in eurer jetzigen Wohnung“, scherzte er ab und an.
Der Einwurf Konrads hatte Gerd verlegen gemacht. Mit leiser Stimme antwortete er:
„Nein, natürlich geht es um Hannes …, aber du hast auch recht: Ich habe keinen Trainer für die D-Jugend. Und der VR-Cup ist ein wichtiges Turnier.“
Jetzt wurden auch auf Konrads Stirn Falten sichtbar. Seine Wangen färbten sich leicht braun – rötlich.
„Beruhige dich“, beschwichtigte jetzt Gerd. „Aber du musst mir helfen. Du musst die D-Jugend trainieren oder Hannes finden – oder beides.“
Konrad war außer sich. Er begann hektisch zu atmen, als er rief:
„Waaas muss ich?
Auf gar keinen Fall!
Nie und nimmer.
Das ist ausgeschlossen …“
Florenz, 1965
Beide Hände tief in die Taschen seiner kurzen Latzhose gesteckt, dabei die Finger zu Fäusten geballt, hatte Francesco nur einen Gedanken: Hoffentlich hat Enrico Zeit!
So überquert er zielstrebig die Piazza della Signoria, hinein in die Via dei Magazzini. Dabei hat er keinen Blick für die Sehenswürdigkeiten der Stadt, die Paläste, Kirchen und Denkmäler. Das muss ein achtjähriger auch nicht haben. Vielmehr hatte er sich früher über die vielen fremden Leute gewundert, die sich mit großen Augen staunend durch die Stadt geschoben haben. Inzwischen hatte er sich an die Touristen gewöhnt, ja sogar schon manche Lira für das Zeigen des Weges verdient.
Heute jedoch, wollte er nicht arbeiten – heute wollte er nur mit seinem besten Freund spielen.
Sein Ziel war die Piazza San Martino, wo Enrico im vierten Stock eines renovierungsbedürftigen Hauses, in einer Dreizimmerwohnung, zusammen mit seinen Eltern und drei jüngeren Schwestern lebte. Enrico war zwei Jahre älter als Francesco und kannte jeden Winkel der Stadt. Viel besser als mancher Erwachsene. Francesco hatte schon viel von seinem Freund gelernt, zum Beispiel wo man sich hinstellen musste, um von den Touristen am einfachsten Geld zu bekommen: In den engen Gassen von Croche verirrten sich die meisten Fremden. Wenn man ihnen dort den Weg zurück zum großen Piazza di Santa Croce zeigte und dabei die Hand geschickt aufhielt, legten die meisten eine Münze hinein.
Francesco klingelte, obwohl die große Türe, die ins Treppenhaus hinein führte, weit offenstand. Er wusste, dass er die Klingel erst wieder loslassen durfte, nachdem er auf zehn gezählt hatte. Danach huschte er rückwärts nach hinten und schaute in den vierten Stock hinauf. Es dauerte nicht lange, bis ein Kopf am offenen Fenster erschien. Zu Francescos Freude war es Enrico.
„Ciao Francesco. Ich bin gleich bei dir.“
Das war gut so, denn wenn Enrico nicht nach Draußen gedurft hätte, wäre er erst gar nicht zum Fenster gekommen.
Francesco setzte sich auf die Treppenstufe des schräg gegenüberliegenden Hauses, um auf seinen Freund zu warten.
Als er kurz davor war, nochmals zu klingeln, trat Enrico mit einem strahlenden Lachen ins Freie. Mit beiden Händen trug er einen Korb, der oben mit einem blauen Tuch abgedeckt war.
„Ich musste noch die Wäsche zusammenlegen“, rief er aus. Enricos Mutter wusch die Wäsche für etliche Haushalte, um sich so ein Zubrot zu verdienen. Die meiste Arbeit damit hatten allerdings ihre Kinder. „Den Korb muss ich noch ‚ausliefern‘. Danach habe ich frei.“ Enrico drückte Francesco einen Griff des Korbes in die Hand und fasste selbst am anderen an. So, den Korb in der Mitte, liefen die beiden die Via Dante Alighieri hinunter, alsbald vertieft in die neusten Geschichten, die sie sich gegenseitig erzählten.
Nachdem Enrico die Wäsche „ausgeliefert“ hatte, schlenderten die beiden in Richtung des Arno weiter. Über die Ponte alle Grazie gelangte sie auf die andere Seite des Flusses, dort wo Francesco mit seiner Mutter wohnte.
Francesco kannte in seinen Erinnerungen nur Florenz, obwohl er erst vor fünf Jahren mit seiner Mutter hierhergekommen war. Vielleicht, eine kleine schwache Erinnerung, an grüne Wiesen, Bäume, Berge und an einen Mann mit schwarzem Vollbart, tauchte manchmal in seinem Kopf auf. Jedoch konnte er keinen Zusammenhang erkennen, noch wo dies gewesen sein mochte. Seine Mutter schwieg dazu eisern und behauptete vielmehr schon immer in Florenz gelebt zu haben, und zwar alleine mit ihrem Sohn: Es gab keinen Vater. Auf Fragen antwortete seine Mutter nur, dass er gestorben sei und dass kein Grab existiere.
Der Strenge seiner Mutter in dieser Sache, war es geschuldet, dass er nicht weiter fragte.
Die beiden bewohnten zwei Zimmer im Haus seiner Tante, der Schwester seiner Mutter. Manchmal stritten die Geschwister, aber im Großen und Ganzen, fühlte sich Francesco hier behütet. Seine Mutter arbeitete viel und so war er schon immer oft alleine und auf sich selbst gestellt gewesen. Umso glücklicher war er jedes Mal, wenn er mit Enrico zusammen war.
Die beiden waren jetzt direkt an den Fluss hinuntergegangen und warfen Steine in das grün schimmernde, träg dahinfließende Wasser.
Schließlich wurde es ihnen zu langweilig, aber Enrico hatte schon eine neue Idee: Ein Schiff bauen! Nur ein kleines, aus dem herumliegenden Holz, aber immerhin …
Sie sammelten das angeschwemmte Holz, fanden verrosteten Draht und sogar eine halbwegs intakte Schnur. Voller Eifer machten sich die Kinder an die Arbeit.
Gerade waren sie so weit, um ihr Schiff das erste Mal ins Wasser zu lassen, als, völlig außer Atem, Enricos Schwester Maria am Ufer auftauchte.
„Enrico, komm schnell nach Hause. Es ist etwas mit Vater.“
Die beiden Jungen sahen in die angsterfüllten Augen Marias und spürten instinktiv, dass etwas Schlimmes vorgefallen war.
„Was ist denn passiert?“, wollte Enrico endlich wissen.
„Vater ist niedergestochen worden.“
„Jetzt mit dem schwachen Fuß. Den Ball nur mit dem schwachen Fuß führen.“
Konrad stand neben dem Viereck, welches er mit Pylonen im 16-Meter-Raum des Sportplatzes aufgebaut hatte.
Die D - Jungend – Fußballer murrten kurz, führten dann aber Konrads Anweisung aus.
Jeder der 17 Jungen hatte einen Ball am Fuß und bewegte sich damit innerhalb des besagten Vierecks kreuz – und - quer. Dabei achteten sie – meistens – darauf, den Ball nur mit ihrem „schwachen“ Fuß zu berühren, das heißt, nur mit dem Fuß, mit dem sie nicht so gut schießen konnten.
„Auch mal durch die Mitte und das Tempo erhöhen“, rief nun Konrad wieder laut.
Sofort wurde das Gewimmel größer und einige Zusammenstöße waren nicht zu vermeiden. Auch die Bälle konnten jetzt nicht mehr so einfach innerhalb des Vierecks gehalten werden, wie bei einem geringeren Lauftempo. Prompt vergrößerte sich auch die Anzahl der Schnürsenkel, die jetzt nochmals richtig festgezurrt werden mussten.
Auf die Stunde genau, vor einem Tag, hatte Konrad seinem Schwager Gerd noch lautstark klargemacht, dass er niemals die Fußballer trainieren würde. Jetzt stand er auf dem Platz, ebenso wie die Kinder, mit kurzen Hosen und Fußballschuhen. Er konnte Gerd – dem Mann seiner Schwester – einfach nichts abschlagen. Generell gelang ihm das sehr schwer, nicht nur bei seinem Schwager.
Aber es war ja nur für kurze Zeit, bis Hannes – der eigentliche Trainer – wieder auftauchte. Damit hatte sich Konrad schließlich auch überreden lassen. Jedoch war das plötzliche Verschwinden von Hannes Bürger, ohne Zweifel, eine sehr rätselhafte Sache.
Tatsächlich machte das Trainieren mit den Kindern auch fast Spaß – wären da nicht einige Eltern am Spielfeldrand gewesen, die lautstark ihre Anweisungen ihren Söhnen zuriefen. Wohlgemerkt: Während des Trainings und dort bei der Aufwärmübung.
Konrad beschloss daher, die nächste Übung in die Mitte des Platzes zu verlegen, um den Abstand zu den Eltern zu vergrößern. Aber dabei hatte er nicht mit dem Ehrgeiz der Erwachsenen gerechnet. Schon kurze Zeit später standen sie auch in der Mitte des Platzes, nur wenige Meter vom neuen Pylonen - Viereck entfernt.
Rund ein Dutzend Leute standen da, wobei zwei Väter und eine Mutter ihre Söhne mit besonders nachdrücklichen Kommandos überschütteten.
Es war sein erstes Training und Konrad wollte es nicht gleich mit den Eltern verderben. So begnügte er sich, die Eltern um etwas mehr Abstand zu bitten, damit die Spieler „etwas mehr Bewegungsfreiheit“ hätten. Erstaunlich bereitwillig traten die Eltern auch sofort zehn Schritte nach hinten. Auch sie wollten es anscheinend nicht mit dem neuen Trainer verderben – vielleicht würde ihr Sohn dann ja nicht aufgestellt werden.
Letztendlich war diese Einsicht jedoch von kurzer Dauer. Schon bei der nächsten Übung im Viereck standen die Eltern wieder näher dabei als am Anfang.
Also beschloss Konrad, als Nächstes eine Übung zu wählen, die deutlich mehr Platz benötigte: Torschuss. Darum bat er jetzt die Eltern wieder, hinter die Spielfeldabsperrung zu treten. Dieses Mal hörte nur etwa die Hälfte der Eltern auf ihn und verließ den Platz. Die andere Hälfte stellte sich neben das Fünf-auf-Zwei-Meter – Tor, in Höhe der 16–Meter-Linie. Dabei natürlich auch: die beiden lauten Väter und die ebensolche Mutter. Diese drei schienen sich schon Gedanken zu machen, ob sie ihre Kinder später gleich nach Spanien oder England zum Fußballspielen schicken oder erst noch ein- bis zwei Jahre in der deutschen Bundesliga belassen sollten.
Als die Torschüsse schließlich begannen, klammerte sich die Frau jedes Mal am Torpfosten fest und versuchte, das Tor in die Richtung zu verschieben, in die der Schuss ihres Sohnes ging. Dieser Kraftakt war regelmäßig vergebens, da der Ball ihres Sohnes bis jetzt noch nie das Tor erreicht hatte. Immer blieb er drei bis fünf Meter davor liegen.
Dies bewog Konrad wiederum, nach dem dritten Schuss, den Jungen – Kamaris – zu sich zu winken. Ruhig und präzise begann Konrad dem Jungen zu erklären, worauf es beim Schießen eines Balles im Allgemeinen und beim Torschuss im Speziellen ankam. Jedoch, bereits beim Erklären, wie das Standbein beim Schuss gestellt werden sollte, gewahrte Konrad einen Schatten hinter sich. Kamaris Mutter – die eben noch den Torpfosten festgehalten hatte – stand neben ihm. Ohne allerdings ein Wort zu sagen – sie wollte ja nicht aufdringlich sein, vielmehr den Trainer seine Arbeit machen lassen.
Zumindest war das ihr Plan gewesen. Diesen umzusetzen fiel ihr aber Zusehens und mit jedem Wort von Konrad schwerer. Als Konrad nun sein Bein neben den Ball stellte, der auf dem Rasen vor ihm lag, um Kamaris zur akustischen Erklärung nun auch eine visuelle folgen zu lassen, bemerkte er das Bein der Mutter neben dem seinen. Dabei drückte sie Konrad mit ihrem Hinterteil bei Seite.
„So wird es gemacht“, sagte sie, „schau, Mutti kann es auch …“
„Ich denke, es ist besser, wenn der Trainer solche technischen Dinge erklärt“, gelang es Konrad einzuwerfen.
„Ich möchte es Kamaris ja nur vormachen. Davon lernt er besser. Beim alten Trainer habe ich das auch gemacht.“
‚Kein Wunder, dass der verschwunden ist‘, dachte Konrad und sagte: „Dennoch halte ich es für besser, wenn ich zuerst mal die Sache erkläre.“
Die Wangen von Kamaris Mutter verfärbten sich rot. Ihr Blick ging ins Leere. Konrad rechnete mit dem Schlimmsten, wenigstens jedoch mit einer cholerischen Explosion. Plötzlich aber wandte sich die Frau zur Seite und zog sich mit einem gesungenen „In Ordnung“ zurück.
Leicht überrascht, ob seines Sieges, bemühte sich Konrad schließlich wieder um seinen Spieler.
„Also, höre bitte nochmals zu, Kam … Wie war nochmal dein Name?“
Konrad hatte sich mit dem außergewöhnlichen Vornamen noch nicht angefreundet.
Da donnerte auch schon wieder die Mutter heran. Dieses Mal jedoch ohne zu singen.
„Er heißt Kamaris. K A M A R I S“, dröhnte es neben Konrad. Danach fügte sie viel leiser und fast verlegen hinzu: „Weil er auf der griechischen Insel Santorin im Ort Kamari gezeugt wurde.“ „So genau wollte ich es gar nicht wissen“, entgegnete Konrad. „Jetzt kann ich mir seinen Namen aber auf jeden Fall merken.“
Mit einem versteckten hochziehen seiner Nase, setzte Konrad das Training fort.
Es dauerte jedoch nicht lange, bis sich der nächste Vorfall ereignete:
Der Vater des Torwarts – beziehungsweise des Torspielers, wie der Württembergische Fußballverband seit einigen Jahren vorgab – stand generell direkt neben dem Tor seines Sohnes. Er besetzte dabei den zweiten Torpfosten. Am Ersten stand ja Kamaris Mutter. Immer wenn ein Ball aufs Tor in die Seite des Vaters flog und für den Torwart nicht mehr erreichbar war, hechtete der Vater förmlich in die besagte Ecke und wehrte den Ball ab. Daraufhin reckte er die Fäuste in die Höhe und triumphierte: „Kein Tor. Kein Tor.“
Die Schützen verunsicherten diese Aktionen natürlich zusehends. Als schließlich einer anfing zu weinen, sah sich Konrad gezwungen einzugreifen. Am Anfang war er noch erstaunt – belustigt gewesen, konnte er sich so ein Verhalten ja nicht einmal im Traum vorstellen.
„Bitte diesen Raum neben und hinter dem Tor freimachen“, rief er mit fester Stimme. Leider war seine Intervention nicht von Erfolg gekrönt. Zwar wichen die meisten Eltern einen Schritt zurück, der Vater des Torwarts allerdings, blieb felsenfest auf seinem Platz stehen. Konrad verdrehte die Augen und bewegte sich in Richtung des wehrhaften Vaters.
„Der steht immer dort“, hörte Konrad noch David, den Spielführer der Mannschaft, sagen.
Als der Vater Konrads Absicht erkannte, setzte er ein breites Grinsen auf.
„Ich muss Michael helfen. Sonst ist jeder Schuss ein Treffer.“
„Aber jetzt ist Training! Michael muss das lernen. Im richtigen Spiel dürfen wir das so auch nicht machen.“
„Ich habe es schon mal gemacht. Gegen Hechingen. Der Schiedsrichter hat es nicht gesehen. Er dachte, der Ball wäre an den Pfosten gegangen.“
Das Grinsen des Vaters war noch breiter geworden.
„Trotzdem. Michael muss wirklich lernen, alleine für das Tor verantwortlich zu sein. Sonst lässt er alle Bälle durch und denkt:
‚Da steht ja mein Vater‘.“
„Aber ich stehe ja auch da …“
„Ich denke wir versuchen es mal mit Michael als einzigem Torwart.“
Widerwillig zog sich der Vater jetzt tatsächlich zurück, sagte aber noch: „Aber die muss auch weg“, und deutet dabei auf Kamaris Mutter, welche nur mit einem „Zzz“ antwortete.
Beim ersten Schuss in das „Papaeck“ jedoch, machte Michaels Vater bereits wieder Anstalten, nach dem Ball zu hechten. Konrad hob warnend die Hand und stellte sich demonstrativ zwischen Vater und Tor.
Konrads Nervenkostüm war jetzt bereits stark angekratzt – und das nach nur 30 Minuten. Daher beschloss er alsbald das Torschusstraining zu beenden und ein verlängertes Abschlussspiel zu machen. Die Jungen nur Fußball spielen lassen, ohne große Vorgaben, da würde es sicher keine Probleme geben.
In diesem Punkt sollte sich Konrad jedoch gewaltig täuschen!
Schon das Einteilen der Mannschaften für das Spiel mutierte zur mittleren Katastrophe. Kinder und Eltern riefen lauthals durcheinander. Es war unmöglich, einen zusammenhängenden Satz zu verstehen. Nur ab und zu konnte Konrad Sprachfetzen aufschnappen. Am meisten war dabei zu hören „Ich möchte … mit David … eine Mannschaft.“ Alle wollten also mit David – dem Spielführer – in einer Mannschaft spielen. Dieser Junge war Konrad auch sofort aufgefallen, da er ein unübersehbares Talent besaß und wohl mit Abstand der beste Spieler der Mannschaft war.
Als Nächstes schoben sich drei bis vier Jungen zusammen, legten die Arme über die Schulter der anderen und riefen: „Wir wollen zusammen!“
Aber damit nicht genug. Die Eltern schrien ihre Aufstellungsvorstellungen ebenso heraus.
Es ging sogar so weit, dass ein Vater ein Kind aus einer Dreiergruppe herauszerrte und dafür seinen Sohn dazu schubste.
Schließlich wurde es Konrad zu bunt. Mit seiner lautesten Stimme schrie er:
„Ruhe! Alle Kinder stellen sich jetzt in einer Reihe, nebeneinander, auf.“
Überraschenderweise fand er Gehör. In kurzer Zeit stellten sich die Kinder wie geheißen auf. Allerdings nicht nur die Kinder: Kamaris Mutter stand neben ihrem Sohn in der Reihe.
„Nur die Spieler bitte“, forderte Konrad nochmals auf.
Jetzt hatte auch die Mutter verstanden. Mit dem bereits bekannten „Zzz“ verließ sie widerwillig die Reihe.
Konrad stelle sich an den Anfang der Reihe und gebot:
„Nummer merken!“
Daraufhin begann er entlang der Kinder zu gehen und abwechselnd „Ein, zwei, eins, zwei, …“ zu sagen. Dabei zeigte er bei jeder Zahl auf das nächste Kind der Reihe.
Am Ende angekommen, kommandierte er weiter:
„Alle mit ‚Eins‘ zusammengehen und am oberen Tor Aufstellung nehmen. Alle mit Nummer ‚Zwei‘ bleiben beim unteren Tor und ziehen sich die gelben Hemdchen über.“
Als endlich auch noch die Positionen innerhalb der Mannschaft eingeteilt waren, schoss Konrad den Ball in die Höhe und rief dabei:
„Los geht’s.“
Mit diesem Kommando begann nicht nur das Spiel, sondern auch ein beispielloser Anfeuerungsschwall der Eltern, als wollten sie die Dortmunder Südkurve in den Schatten stellen.
Alsbald jedoch wurde der Ton schärfer, die Stimmung aggressiver.
Seit dreißig Jahren miteinander bekannte Nachbarn wurden zu erbitterten Feinden; nur, weil ihre Söhne in unterschiedlichen Mannschaften - wohlgemerkt im Training - spielten.
Die Lage eskalierte, als Martin seinen Gegenspieler Ralf leicht berührte. Nach einem furchterregenden Aufschrei von Ralfs Vater stürmte dieser, mit nach vorne ausgestreckten Armen, auf Martins Vater zu. Noch ehe dieser reagieren konnte, wurde er durch Ralfs Vater gewürgt, der beide Hände um den Hals seines Gegners gelegt hatte.
Von dem Gewürgten war nur noch ein Röcheln zu hören, als Konrad im Spurt bei den Streithähnen ankam. Mit voller Kraft und beiden Händen umfasste er den Oberkörper von Ralfs Vater und zog diesen von seinem Kontrahenten weg. Dabei hob er ihn in die Höhe, sodass dessen Beine in der Luft baumelten. Zuerst wehrte er sich wütend, indem er mit schlingenden Bewegungen versuchte, Konrads Griff zu entkommen. Erst als seine Kraft nachließ und er einsehen musste, dass Konrad der Stärkere war, beruhigte er sich.
Konrad ließ langsam von ihm ab, um sich um Martins Vater zu kümmern. Dieser massierte sich immer noch seinen Hals, schien aber wieder Luft zu bekommen.
„Und was machen wir jetzt?“, fragte Konrad konsterniert in die Runde.
Da beendete Martins Vater seine Halsmassage und antwortete, mit noch immer röchelnder Stimme: „Weiter mit Schiedsrichterball.“
Konrad benötigte einige Augenblicke, um das Gehörte zu begreifen. Heimlich schaute er sich um, ob irgendwo eine versteckte Kamera zu sehen war. Schnell wurde er aber aus seiner Lethargie gerissen, als andere Eltern, im Chor, ebenfalls „Schiri-Ball … Schiri-Ball“ forderten.
Sein Blick ging auf die beiden Kämpfer von eben. Sie hatten sich aufeinander zubewegt und klatschen jetzt ihre Handflächen aufeinander. So, als hätte es nie einen derartigen Vorfall gegeben. ‚Wenn das so ist, machen wir halt mit Schiedsrichterball weiter‘, dachte sich Konrad, begann aber an seinem Verstand zu zweifeln. Beim Schiedsrichter- oder Schiri-Ball, ließ der Schiedsrichter den Ball aus der Hand fallen, um das Spiel nach einer Unterbrechung fortzusetzen. Er stellte sich dazu aufs Spielfeld, flankiert von je einem Spieler jeder Mannschaft.
Konrad – in diesem Fall der Schiedsrichter – holte also den Ball und bewegte sich aufs Spielfeld zurück. Dabei rief er: „Weiter mit Schiri-Ball.“
Das Spiel konnte tatsächlich ohne weitere körperliche Gewalt der „Fans“ zu Ende gebracht werden, wenn schon verbale Ausraster nicht gänzlich ausblieben. Auch wurde immer wieder das direkte Spiel nach vorne, zum gegnerischen Tor, gefordert:
„Schick ihn steil“, rief ein Vater, woraufhin mehrere Eltern mit einstimmten:
„SCHICK IHN STEIL“.
Konrad holte die Kinder am Ende des Spiels zusammen, um sie – nachdem Bälle, Hemdchen und Pylonen aufgeräumt waren – bis zum nächsten Training zu verabschieden, wobei er inständig hoffte, dass es ohne ihn stattfinden werde, wollte er bei Verstand bleiben. Er musste Hannes unbedingt finden …
Noch dröhnten Konrad die Ohren, als er den Raum, in dem die Ballschränke untergebracht waren, verließ, nachdem er die Trainingsutensilien und Bälle verstaut hatte. Erst allmählich gelang es ihm, die Ruhe auf dem Sportgelände wahrzunehmen, die jetzt herrschte, nachdem die letzten Eltern, mit ihren Kindern, den Platz verlassen hatten. Konrad streckte sich und atmete tief durch, als er plötzlich Schritte hörte, die sich näherten. In einem ersten Reflex wollte er sich hinter die Ballschränke werfen, um den Eltern zu entgehen, die wohl zurückgekommen waren. Als er aber schließlich den Ankömmling zu Gesicht bekam, schnaufte er erleichtert aus.
Es war sein Schwager, Gerd Müller.
Derjenige, der ihm die ganze Sache hier eingebrockt hatte.
„Na, wie lief das erste Training?“, fragte Gerd gutgelaunt, als er seinen Freund und Schwager erblickte.
„Perfekt! Bis auf die Tatsache, dass man es hier mit gestörten Kindern und noch mehr, mit durchgeknallten Eltern zu tun hat, die sich einander fast umbringen. Unvorstellbar …“
„Daran gewöhnt man sich. Wenn du deine Spiele gewinnst, bist du der Held. Jeder Vater möchte dann dein bester Freund sein und jede Mutter wünscht sich ein Kind von dir.“
„Und wenn wir verlieren?“
„Dann tritt das Gegenteil ein.“
„Was ist das Gegenteil von ‚ein Kind von einem wünschen‘?“
„Darüber denken wir jetzt lieber nicht nach.“ Gerd machte eine abwehrende Handbewegung. „Sonst stehe ich morgen wieder ohne Trainer für die D-Jugend da.“
Konrad schüttelte den Kopf. „Du verstehst es ja prächtig, deinen Trainerstab zu motivieren. Weißt du eigentlich, was ich gerade durchgemacht habe?“
„Wie gesagt: Es war das erste Training. Man gewöhnt sich an die Eigenheiten mancher Leute … Aber lassen wir das.“ Gerd versuchte jetzt schnell das Thema zu wechseln. „Es geht ja auch um Hannes. Wir müssen ihn finden. Ich habe gar kein gutes Gefühl.“
„Du denkst also immer noch, er ist nicht im Urlaub?“
„Ja, das denke ich. Er verschwindet nicht einfach so, ohne etwas zu sagen.“
„Und was schlägst du vor?“ Konrad schaute seinen Schwager dabei gespannt an.
„Wir gehen nachher in seine Wohnung.“
„Hast du den einen Schlüssel?“
„Nein. Deswegen auch erst ‚nachher‘, wenn es dunkel ist.“ Gerd trat einen Schritt näher. „Na eben, wenn die Nachbarn nicht sehen, dass wir in die Wohnung einbrechen.“
„In die Wohnung … was?“
„Ich kenne jemand aus unserem Betrieb, aus der Werkstatt. Der hat mir gezeigt, wie man eine Tür aufmacht, ohne einen Schlüssel zu haben.“
„Gerd! Das ist illegal.“
„Quatsch. Das dient alles der Wahrheitsfindung. Und außerdem sagt das der Richtige …“ Gerd verzog sein Gesicht zu einem Grinsen. „Wir klauen ja nichts, sondern sehen uns die Wohnung nur kurz an. Vielleicht finden wir etwas Nützliches, dass uns auf der Suche nach Hannes weiterbringt.“
„Gerd!“, rief Konrad sehr aufgebracht. „Wir machen uns strafbar.“
„Nochmal Quatsch. Ich war doch schon bei der Polizei. Die machen nichts.
Was ist, wenn wir Hannes verletzt oder krank in seiner Wohnung finden?“
„Aber …“
„Wir treffen uns in zwei Stunden“, fiel Gerd Konrad ins Wort.
„Zieh dir etwas Dunkles an.“
Sommer 1994
Wenn das so weitergeht, würden dies die schrecklichsten Sommerferien seines Lebens werden.
Langeweile pur.
Dazu Eltern, die einen jeden zweiten Tag mit diesen sinnlosen Ausflügen nervten. Mal ging es an den Bodensee, nach Überlingen; mal auf das Klippeneck; mal in die Bärenhöhle. Und immer war dies mit diesen endlosen Gewaltmärschen verbunden, die sein Vater „Spazierengehen“ nannte. Warum konnten seine Eltern mit ihm nicht für zwei Wochen ans Meer fahren? - wie normale Familien auch. 14 Tage Strand und Wasser – das wäre herrlich.
Zumindest gab es jetzt wieder einen kleinen Hoffnungsschimmer: Die Ferien seiner Eltern waren vorbei. Sie mussten wieder arbeiten. So blieben ihm immerhin diese Ausflüge erspart. Es war das erste Mal, dass ihn seine Eltern allein zu Hause ließen. Wenigstens vormittags, dreimal in der Woche, da arbeitete seine Mutter. Er verstand gar nicht, wo das Problem lag – immerhin war er schon elf Jahre alt. Nach den Ferien kam er in die Sechste Klasse – da musste man sich ja schon langsam Gedanken über seine Zukunft machen …
Momentan machte er sich allerdings Gedanken, wie er die Zeit totschlagen könnte. Sein bester Kumpel war zum Ende des Schuljahrs fortgezogen. In die Nähe von Sindelfingen. Sein Vater arbeitete dort bei Daimler und war es leid, jeden Tag von Pfeffingen aus zu pendeln. Unglücklicherweise war sein bester Kumpel auch sein einziger gewesen.
So in Gedanken versunken, hatte er sein Fahrrad in die Dorfmitte, zur Alten Schule gelenkt. Hier trafen sich ab und zu alle möglichen Leute, vor allem aber Kinder und Jugendliche.
Doch heute Morgen – es war kurz vor 10:00 Uhr – war er der Einzige.
Die Sonne hatte die Luft bereits wieder stark erwärmt und strahlte von einem nahezu makellos blauen Himmel. Er lehnte sein Rad an die hintere Seite des Gebäudes und schlenderte Richtung Skilift. Im Winter war er bereits einige Male mit seinem Kumpel hier zum Skifahren gewesen. Seine Mutter hatte sie dann gebracht und auch wieder abgeholt. Ob man in Sindelfingen auch Skifahren konnte?
Plötzlich waren Stimmen zu hören. Sie kamen aus der Richtung der kleinen Skihütte, die am Beginn des Lifts stand, welcher im Sommer nur als solcher zu erkennen war, wenn man ihn vom Winter her kannte.
Voller Vorfreude, jetzt endlich etwas Abwechslung zu bekommen, reckte er seinen Hals in Richtung der Stimmen. Zwei nahezu gleichaltrige, aber fast doppelt so schwere Jungen wie er, bogen gerade hinter der Hütte hervor und verstummten sofort, als sie ihn sahen.
Das hatte ihm gerade noch gefehlt: die zwei schlimmsten Schläger aus der Parallelklasse. Zum Fliehen war es jetzt zu spät – schon standen die beiden neben ihm.
„Wen haben wir denn da?“, sagte der Erste.
„Unseren Streber aus der 5 B“, fügte der Zweite spottend hinzu.
„Ich wollte gerade gehen“, brachte er mit zittriger Stimme hervor.
„Das wäre auch angebracht. Aber vorher willst du sicher noch ein wenig in den Schwitzkasten genommen werden …“
„Bei dieser Kälte“, äffte der andere hinterher.
An Entkommen war nicht zu denken. „Lasst mich in Ruhe …“.
Die beiden hatten jedoch schon zugepackt. Während der eine ihn an den Beinen festhielt, drückte der andere seinen Kopf mit beiden Händen gegen dessen schlabbrigen Bauch. Er bekam Panik. Schweiß trat aus allen seinen Poren. Lange konnte er es nicht mehr aushalten, seien Kraft verließ ihn. Er schloss seine Augen, Tränen kullerten über seine Wangen, als der Griff plötzlich weniger stark wurde. Um seine Augen freizubekommen, blinzelte er ein paar Mal, ehe er sich umsah.
Ein größerer Junge, gefolgt von zwei Mädchen und zwei weiteren Jungen, stand plötzlich vor ihm.
„Ich sagte aufhören!“, befahl der große Junge mit tiefer Stimme.
Anscheinend hatte er vorher schon etwas gesagt, was aber die Angst unhörbar gemacht hatte. Endlich ließen die beiden von ihm ab. Sein Kopf schmerzte. Mit zwei raschen Bewegungen strich er die Tränen aus seinem Gesicht.
„Hier ist unser Revier. Wir dachten, es wäre einer von den Grünjacken“, versuchte sich jetzt der Dickere der beiden Dicken zu rechtfertigen.
„Blödsinn. Er ist keiner von den Grünjacken“, erwiderte der ältere Junge, der die Gruppe wohl anführte. „Wer bist du? Was machst du hier?“
„Mir war langweilig … ich bin nur mit dem Rad herumgefahren.“
Der ältere Junge kratzte sich am Kopf. Nach einiger Zeit sagte er: „Wir können noch jemand in unserer Bande gebrauchen. Möchtest du?“
„Ja“, stieß er freudig hervor, senkte aber dann seinen Blick und fuhr ängstlich fort: „Wenn mich alle wollen …“
„Ich bestimme hier, was abgeht. Wenn ich sage, du kannst bei uns mitmachen, dann gilt das. Wir werden dich also für zwei Tage zur Probe aufnehmen. Danach sehen wir weiter.“
„Aber …“, wollte jetzt der Dicke einwerfen.
„Nichts aber. Ich habe – wie gesagt – so entschieden. Oder hat jemand etwas dagegen?“
„Nein Boss.“
Zufrieden nickte der Anführer. Danach begann er zu erklären: „Wir sind eine Bande: die Furchtlosen. Diese Gegend ist unser Revier. Aber die Grünjacken wollen es uns streitig machen. Das ist eine Bande aus Tailfingen, von der Stiegel. Sie tragen normalerweise alle grüne T-Shirt. Wir werden unser Revier aber verteidigen.“
Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Gerade sind wir dabei, uns ein Lager zu bauen. Jeder von uns hat außerdem einen Kampfnamen. Ich werde Boss genannt, weil ich der Boss der Bande bin.“ Voller Stolz verschränkte er die Arme vor seiner Brust, bevor er auf den dünneren Dicken zeigte: „Das ist Schoko, weil er immer nur am Schokoladenessen ist. Und das“, er wies auf den zweiten Dicken, „ist Bud. Weil er schon jetzt wie Bud Spencer aussieht. Allerdings ohne Bart.“
Die anderen lachten. Selbst Bud verzog sein Gesicht zu einem Grinsen.
Als Nächstes stellte der Boss die beiden Mädchen vor: „Das ist Miss. Sie behauptet steif und fest, dass sie einmal zur Miss Germany gewählt wird. Die andere Dame ist Grace, weil sie statt ihrem richtigen Namen viel lieber Grace heißen möchte.“
Die beiden Dicken kicherten, woraufhin Grace eine drohende Geste mit der Faust machte.
„Und die beiden Herren“, fuhr der Boss fort, „sind der Prof und Conan. Der Prof – also Professor, weil er sehr klug, aber feige und Conan, weil er sehr mutig, aber nicht der Hellste ist.“
Der Boss lachte laut, hielt dann aber abrupt inne und streckte seine Hände dem Himmel entgegen. Keiner wagte es, diese komische Geste zu kommentieren. Der Boss schien nachzudenken. Endlich fixierte er den Neuen mit einem überlegenen Grinsen: „Dich werden wir Little-Joe nennen, weil du der Kleinste bist. Aber natürlich nur, wenn du die Probezeit überstanden hast. Und damit fangen wir jetzt gleich an!“
Nur das entfernte Bellen eines Hundes war im Tailfinger Stadtteil „Langenwand“ zu hören. Es war dunkel, der Mond noch nicht aufgegangen.
Im Wohnblock nebenan, war beinahe in jedem Stockwerk, aus irgendeinem Fenster, das blaue Flimmern eines Fernsehapparates zu sehen. Das Mehrfamilienhaus, an dessen Eingangstür sich Gerd soeben zu schaffen machte, lag dagegen völlig im Dunkeln.
„Es ist merkwürdig, dass hier kein Fernseher läuft“, flüsterte Konrad seinem Schwager ins Ohr.
„Umso besser. Ich habe es gleich.“
Nach kurzer Zeit war ein Klicken zu hören und Gerd schob die Tür vorsichtig nach innen.
„Wollen wir nicht lieber …“, versuchte Konrad ein letztes Mal seinen Schwager von der Tat abzubringen.
„Ruhe jetzt – folge mir!“, gebot Gerd jedoch zurück und winkte Konrad ebenfalls in den dunklen Flur zu treten.
Er war schon mehrfach bei Hannes in der Wohnung gewesen und kannte sich deshalb bestens aus. Deshalb benötigte er auch kein Licht, um die Wohnungstür am hinteren Ende des Flurs zu finden.
„Zum Glück wohnt er im Erdgeschoss“, raunte Gerd, bevor er sich abermals daranmachte, sein Spezialwerkzeug am Türschloss anzusetzen. Das Haus war drei Stockwerke hoch, wobei sich in jeder Etage zwei Wohnungen befanden. Gerd ging in die Hocke, schaltete seine Taschenlampe ein und steckte diese in den Mund, um beide Hände freizuhaben. Gerade wollte er ein schmales nagelartiges Werkzeug ins Schloss stecken als Konrad, über ihm, der Tür einen leichten Schubs gab, die sich daraufhin lautlos öffnete.
„Hast du den Spalt nicht gesehen?“, fragte Konrad. „Die Tür war offen.“
Es dauerte einige Sekunden, bis den beiden das Ausmaß dieser Entdeckung bewusst wurde. Für kurze Zeit schienen sie sich in einer Art Schockstarre zu befinden. Als erster hatte sich Konrad wieder gefangen: „Im Fernseher würde man jetzt die Pistole ziehen und sie vor die Brust halten, während man sich gegen die Wand drückt. Einer links – einer rechts.“
„Und im wirklichen Leben würde ich genau jetzt einen Rückzieher machen.“ Nun war es Gerd, der den Mut verloren hatte, während Konrad nahezu aufblühte.
„Von wegen Rückzieher. Jetzt wird es ja erst richtig spannend.
Außerdem ist das der erste Hinweis, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. So, wie du vermutet hast.“
„Aber …“
„Wir gehen jetzt da rein. Vielleicht schläft Hannes ja nur einen Rausch aus und hat im Suff vergessen, die Wohnungstür zu schließen.“
Gerd schien keineswegs überzeugt zu sein, folgte aber seinem Schwager, der die Tür jetzt ganz aufgestoßen hatte.
In der Wohnung war es stockfinster. Konrad hatte die Taschenlampe an sich genommen und leuchtete damit den kurzen Flur aus. Links und rechts gingen Türen ab, die beide geschlossen waren. Geradeaus war eine dritte Tür, die halb offen stand. Konrad bewegte sich langsam auf diese zu. Nachdem er einige Zeit in den Raum hinter der Tür hinein gelauscht, aber nichts gehört hatte, gab er der Tür mit der Taschenlampe einen leichten Stoß. Quietschend öffnete sich diese nun vollständig.
Mit einem Blick waren Konrad jetzt zwei Dinge klar: Zum einen, dass dies wohl das Wohnzimmer sein musste, zum anderen wusste er nun, warum es in der Wohnung so dunkel war. Alle Rollläden waren heruntergelassen, sodass das Licht der Straßenlampen nicht eindringen konnte.
Konrad suchte mithilfe der Taschenlampe die Wand neben der Tür ab, bis er einen Lichtschalter entdeckt hatte. Ein zunächst schwaches Licht, welches aber zusehend stärker wurde, erhellte jetzt das Zimmer.
„Nein“, warnte Gerd, „man sieht uns doch.“
„Eben nicht. Wenn kein Licht hereinkommt, geht auch keines hinaus. Die Rollläden sind zu und scheinen gut zu schließen.“
Gerd nickte. Die Helligkeit im Raum hatte die Situation deutlich entspannt.
Konrad und Gerd ließen ihre Blicke durch das spärlich eingerichtete Zimmer schweifen. Ein alter Bildröhrenfernseher stand auf einer wackligen Kommode. Davor ein Sofa, ein Stuhl und ein kleiner, zerkratzter Glastisch. An der Wand ein uralter Schrank aus dunklem Holz. Weder Pflanzen, noch Bilder schmückten den Raum. Eine weitere, verschlossene Tür führte vermutlich in die Küche.
Gerade wollte Konrad einen Schritt darauf zu machen, als ein deutlich hörbares Geräusch aus eben diesem Raum drang.
Zutiefst erschrocken, reagierten die beiden Freunde völlig unterschiedlich.
Gerd flüchtete mit einem dumpfen Schrei in den Flur zurück, während Konrad sich an die Wand neben der Tür zur Küche drückte und dabei beide Hände mit geballten Fäusten nach oben nahm. Angestrengt horchte er in den Raum hinein, aus dem das Geräusch gekommen war.
So verging nahezu eine Minute. Konrad wagte es kaum zu atmen. Dabei konzentrierte er sich auf weitere Geräusche aus der vermeintlichen Küche. Von Gerd war nichts zu sehen. Und plötzlich drang wieder ein seltsamer Ton aus dem Raum nebenan. Dieses Mal hörte es sich wie ein Kratzen oder Schleifen an.
Konrad hielt die Luft an. Seine Muskeln waren aufs Äußerste gespannt.
Da – ein weiteres Quietschen. Die Tür öffnete sich langsam.
Zuerst sah Konrad ein langes, spitzes Messer, welches von einer schwarzen Hand festgehalten wurde. Konrad blieb nur der Bruchteil einer Sekunde Zeit, um sein weiteres Vorgehen zu planen. Mit großer Kraft schnellte Konrads Faust auf das schwarze Handgelenk nieder. Ein Aufschrei war zu hören, danach das Klappern des heruntergefallenen Messers auf dem Fußboden. Ebenso schnell wie der Schlag erfolgt war, griff Konrad jetzt mit beiden Händen nach dem Arm des Überrumpelten, zog diesen mit seiner ganzen Kraft ins Wohnzimmer, warf ihn auf den Boden und machte einen Satz auf den Rücken des völlig überraschten Gegenübers. Dabei rief er: „Gerd – hilf mir!“
Schon beim „Zu-Boden-Reißen“ hatte Konrad bemerkt, dass die Person, die er überwältigt hatte, verhältnismäßig leicht war.
Jetzt, nachdem er seinen Gegner festgesetzt hatte und es ihm gelungen war, einen Blick in das dem Boden zugewandte Gesicht des Besiegten zu werfen, ließ er abrupt von diesem ab.
„Eine Frau“, rief er überrascht. Jetzt war ihm auch klar, warum er den Gegner so schnell und problemlos überwältigen konnte.
Bei einem Mann wäre ihm das sicher schwerer gefallen, durchfuhr es ihn. Erst jetzt wurde ihm die Lage richtig klar.
Vorhin hatte er rein intuitiv gehandelt. Genauso gut, könnte er jetzt der Unterlegene sein. Mit einem Messer im Leib!
Die Frau war Mitte 30, hatte blonde, halblange Haare und ein auffallend schmales Gesicht.
Zum Glück tauchte jetzt Gerd wieder aus seinem Versteck auf, wo immer das gewesen war. „Konrad“, rief er, „wieso liegst du auf dieser Frau?“
Konrad wälzte sich von seiner Gegnerin und erhob sich, nahm dabei aber vorsichtshalber das Messer in Gewahrsam. Dabei entgegnete er: „James Bond ist nie in den Flur geflüchtet, wenn er ein Geräusch in der Küche gehört hat.“
„Ich wollte dir nur Rückendeckung geben.“
Nun war es aber höchste Zeit, sich um die Frau zu kümmern. Sie hatte sich inzwischen umgedreht und realisiert, dass sie es wohl mit eher ungefährlichen Typen zu tun hatte.
„Was machen sie hier?“, fragte Konrad jetzt.
„Na, hören sie mal. Ich bin in der Wohnung meines Freundes.
Das muss doch wohl erlaubt sein.“ Die Frau hatte sich nun ganz aufgerichtet und schnaufte vor Empörung.
„Mit einem Messer und schwarzen Handschuhen?“, frage Konrad weiter.
„Ich habe Geräusche und Stimmen gehört. Da habe ich mir Handschuhe übergezogen und nach dem Küchenmesser gegriffen.“
„Hm …“ Konrad gab zu verstehen, dass diese Antwort für ihn nicht unbedingt schlüssig war.
„Aber nun mal zu ihnen“, konterte die Frau. „Was machen sie eigentlich hier?“
Jetzt fühlte sich Gerd genötigt, eine Erklärung abzugeben: „Die Tür stand offen. Wir wollten nachsehen, was mit Hannes los ist.
Wir haben schon einige Zeit nichts von ihm gehört. Er ist ein Jugendtrainer von mir. Ich heiße Gerd Müller und bin der Jugendleiter des Fußballvereins.“
Die Frau wandte sich jetzt Gerd zu, den sie zuvor nur oberflächlich wahrgenommen hatte. Nach einiger Zeit sagte sie:
„Natürlich. Ich erkenne sie. Hannes hat auch schon von ihnen erzählt.“
Damit hatte sich die Situation auf einen Schlag deutlich entspannt.
Allein, für Konrad standen noch etliche unbeantwortete Fragen aus. „Wie sind sie eigentlich hereingekommen?“, fragte er und versuchte es so beiläufig als möglich zu tun.
„Ich habe natürlich einen Schlüssel. Wie gesagt, Hannes ist mein Freund.“
„Natürlich“
„Ich habe jetzt schon zwei Tage nichts von ihm gehört und ans Handy geht er auch nicht. Da wollte ich nach ihm sehen …“
„Aber – er ist nicht hier. Oder?“
„Ja, er ist nicht hier. Ich habe keine Ahnung, wo er steckt. So langsam mache ich mir Sorgen.“
„So wie wir auch“, stimmte Gerd zu.
„Am besten, ich gehe zur Polizei.“
„Da war ich schon. Die machen nichts. Dafür ist sein Verschwinden noch nicht lange genug her.“
Nach einer kurzen Pause, meldete sich Konrad wieder zu Wort:
„Darf ich übrigens fragen, wie sie heißen?“
„Oh – natürlich. Entschuldigung. Mein Name ist Tamara Schlosser.“
„Ich habe mich zu entschuldigen. Meine Attacke war doch sehr rüde.“
„Nichts passiert. Ich bin nur fürchterlich erschrocken – und das gleich zweimal: Zuerst als ich die Geräusche im Haus hörte und danach, als sie mich niedergerissen haben.“
„Nochmals Entschuldigung. Ist ihnen auch nichts passiert?“
Frau Schlosser massierte sich das Handgelenk und entgegnete kalt: „Nein!“ Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Wie heißen sie eigentlich?“
„Landberg. Konrad Landberg.“
„Mein Schwager“, ergänzte Gerd. „Und was machen wir jetzt?
Ich fürchte, wir müssen nochmal mindestens einen Tag warten, um zu sehen, ob Hannes wieder auftaucht.“
„Ja, wahrscheinlich“, gab Frau Schlosser nachdenklich zurück.
„Wenn ich aber dann noch nichts von ihm gehört habe, gehe ich zur Polizei.“
„Das ist auf jeden Fall eine gute Idee.“
„Wann haben sie Hannes eigentlich zum letzten Mal gesehen?“, fragte jetzt Konrad.
„Am Sonntag. Wir waren in Ebingen, in der Fußgängerzone.
Beim Eis essen.“
„Hat er da irgendetwas gesagt oder war etwas auffällig?“
„Nein überhaupt nicht. Er war wie immer.“ Während dessen hatte sich Frau Schlosser zum Ausgang bewegt: „Ich denke, es ist besser, wenn wir jetzt gehen. Es wird Zeit, dass ich mich hinlege. Die Türe schließe ich dann wieder ab.“
„Selbstverständlich“, entgegnete Konrad. „Ich lege nur noch schnell das Messer in die Küche zurück.“