Alex Rider 3: Skeleton Key - Anthony Horowitz - E-Book

Alex Rider 3: Skeleton Key E-Book

Anthony Horowitz

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Beschreibung

Der Bestseller ALEX RIDER – die Vorlage zur actiongeladenen TV-Serie! Alex Riders Wunden sind kaum verheilt, als er den nächsten Auftrag vom MI6 erhält: Er soll zwei CIA-Agenten dabei unterstützen, den russischen Ex-General Sarow zu stellen. Schauplatz ist Skeleton Key, eine traumhafte Karibikinsel. Doch statt Ferien unter Palmen erwartet Alex ein skrupelloser General, der einen teuflischen Plan verfolgt … Band 3 der actionreichen Agenten-Reihe von Bestseller-Autor Anthony Horowitz Alex Riders Vergangenheit: eine einzige Lüge. Seine Zukunft: liegt in den Händen des MI6. Denn als jüngster Agent aller Zeiten ist er Englands stärkste Geheimwaffe! Erlebe alle Abenteuer von "Alex Rider": Band 1: Stormbreaker Band 2: Gemini-Project Band 3: Skeleton Key Band 4: Eagle Strike Band 5: Scorpia Band 6: Ark Angel Band 7: Snakehead Band 8: Crocodile Tears Band 9: Scorpia Rising Band 10: Steel Claw Vorgeschichte: Russian Roulette

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2018Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH© 2018 Ravensburger Verlag GmbHDie englische Originalausgabe erschien 2002 unter dem Titel Skeleton Keyby Walker Books Ltd., 87 Vauxhall Walk, London SE11 5HJ.Published by arrangement with Anthony HorowitzText © 2002 Stormbreaker Productions Ltd.Die deutsche Erstausgabe erschien unter dem Titel Mörderisches Spiel2004 im Ravensburger Verlag GmbHCover © Digital Art by Larry RostantVerwendet mit freundlicher Genehmigung von Penguin Books USA.Aus dem Englischen von Karlheinz DürrAlle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.ISBN978-3-473-38465-5www.ravensburger.de

Die Nacht senkte sich schnell über die Insel Skeleton Key.

Die Sonne schwebte nur kurz über dem Horizont, dann ging sie unter. Und fast sofort rollten Wolken heran, erst rot, dann violett, silbern, grün und schließlich schwarz, als würde die ganze Farbenpracht dieser Welt in einen riesigen Schmelztiegel gesogen. Ein einsamer Fregattvogel glitt über die Mangrovenbäume, doch vor dem Farbenchaos am Horizont wirkte sein Gefieder blass und unscheinbar. Es war schwül; Regen hing in der Luft. Bald schon würde ein Sturm losbrechen.

Die einmotorige Cessna Skyhawk SP kreiste zweimal über der Insel, bevor sie zur Landung ansetzte. Flugzeuge wie dieses kamen in diesem Teil der Welt häufig vor und fielen kaum auf. Darum hatte man sich auch für diesen Typ entschieden. Wenn jemand neugierig genug gewesen wäre, die Registrierungsnummer an der Unterseite der Flügel zu überprüfen, hätte er feststellen können, dass die Maschine auf eine Fotografiefirma in Jamaika zugelassen war. Aber das stimmte nicht. Die Firma gab es nicht, und für Luftaufnahmen war es jetzt schon viel zu dunkel.

Im Flugzeug saßen drei dunkelhäutige Männer in verblichenen Jeans und weit geschnittenen Freizeithemden. Der Pilot hatte langes schwarzes Haar, tiefbraune Augen und eine dünne Narbe, die sich über eine Gesichtshälfte zog. Er hatte seine Passagiere erst an diesem Nachmittag kennengelernt. Sie hatten sich als Carlo und Marc vorgestellt, doch der Pilot bezweifelte, dass sie wirklich so hießen. Aber er wusste, dass sie ihre Reise schon vor geraumer Zeit begonnen hatten, irgendwo in Osteuropa. Er wusste ferner, dass dieser kurze Flug der letzte Reiseabschnitt war. Außerdem wusste er, was sie mit sich führten. Und damit wusste er schon jetzt viel zu viel.

Der Pilot warf einen Blick auf das Funktionsdisplay, das auf dem Instrumentenbord angebracht war. Das beleuchtete Computerdisplay warnte ihn vor dem Sturm, der immer näher kam. Aber darüber machte sich der Pilot keine Sorgen. Niedrig hängende Wolken und Regen gaben ihm Deckung. Während eines Sturms ließ die Aufmerksamkeit der kubanischen Flugsicherung gewöhnlich nach. Trotzdem war er nervös. Er war schon oft nach Kuba geflogen, hierher jedoch noch nie. Und besonders heute Abend wäre ihm fast jedes andere Ziel weitaus lieber gewesen.

Cayo Esqueleto. Die Amerikaner nannten die Insel Skeleton Key. Skelettinsel.

Und da lag sie auch schon unter ihm, 38 Kilometer lang und an der breitesten Stelle neun Kilometer breit, umspült vom Meer, das vor ein paar Minuten noch von einem ungewöhnlich strahlenden Blau gewesen war, sich aber jetzt plötzlich verdunkelt hatte. Weiter im Westen konnte der Pilot die Lichter von Puerto Madre ausmachen, der zweitgrößten Ortschaft der Insel. Der Hauptflughafen lag ein Stück weiter im Norden, außerhalb der Hauptstadt Santiago. Aber dorthin steuerte er die Cessna nicht. Er schob den Steuerknüppel ein wenig nach rechts. Die Maschine beschrieb eine steile Kurve und kreiste über den Wäldern und Mangrovensümpfen, die den alten, verlassenen Flugplatz an der südlichen Spitze der Insel umgaben.

Die Cessna war mit einer Wärmekamera ausgestattet, die dem Modell ähnlich war, das in amerikanischen Aufklärungssatelliten verwendet wurde. Der Pilot drückte auf einen Schalter und blickte auf den Bildschirm.

Ein paar Vögel wurden als winzige rote Pünktchen sichtbar. In den Sümpfen pulsierten weitere Punkte, vielleicht Krokodile.

Und dann noch ein einzelner Punkt, der sich ungefähr 20 Meter von der Landebahn entfernt befand. Der Pilot wollte Carlo, den älteren der beiden Passagiere, darauf aufmerksam machen, aber der hatte sich bereits über seine Schulter gebeugt und starrte ebenfalls auf den Bildschirm.

Carlo nickte schweigend. Wie vereinbart, wurden sie nur von einem einzigen Mann erwartet. Hätte sich dort unten noch eine weitere Person im Umkreis von ein paar Hundert Metern aufgehalten, sie wäre auf dem kleinen Bildschirm zu sehen gewesen. Die Gegend war also sicher und sie konnten landen.

Der Pilot warf einen Blick aus dem Fenster. Vor ihm erstreckte sich die Landebahn, ein rauer Geländestreifen, den man aus dem Dschungel geschlagen hatte und der durch ein sumpfartiges Gebiet zu verlaufen schien. Der Pilot hätte ihn in der rasch zunehmenden Dunkelheit übersehen, wenn nicht Lichterketten auf beiden Seiten der Landebahn installiert worden wären.

Die Cessna schwebte vom Himmel herunter. Im letzten Augenblick wurde sie von einer plötzlichen meeresfeuchten Böe gepackt, als wolle die Natur die Nerven des Piloten auf die Probe stellen. Aber der Pilot zuckte mit keiner Wimper und Sekunden später prallten die Laufwerksräder auf den Boden und das Flugzeug hüpfte und holperte über die Landebahn, genau zwischen den beiden Lichterketten. Er war froh über die Leuchten. Die Mangroven – undurchdringliche buschartige Bäume, die in kleinen Tümpeln mit brackigem Wasser zu treiben schienen – wuchsen fast bis an den Rand der Landebahn. Nur ein paar Meter Abweichung zu einer Seite würden reichen, um das gesamte Laufwerk zu ruinieren. Sie würden sogar ausreichen, um das ganze Flugzeug in einen Schrotthaufen zu verwandeln.

Der Pilot drückte auf ein paar Schalter und drehte an den Schaltknöpfen. Der Motor verstummte; der zweiflügelige Propeller wurde langsamer und kam zum Stillstand. Wieder blickte der Pilot aus dem Fenster. Vor einem der Gebäude parkte ein Jeep und daneben stand der Mann, der als einzelner roter Punkt auf dem Bildschirm erschienen war. Der Pilot wandte sich an seine Passagiere.

»Er steht dort drüben.«

Carlo nickte. Er war ungefähr 30 Jahre alt und hatte schwarzes lockiges Haar. Unrasiert, wie er war, zeigten sich auf seinen Wangen Bartstoppeln in der Farbe von Zigarettenasche. Er drehte sich zu dem anderen Passagier um: »Marc? Bist du bereit?«

Der Mann, der Marc genannt wurde, hätte Carlos jüngerer Bruder sein können. Er war noch keine 25 und wirkte sehr verängstigt, obwohl er es nicht zeigen wollte. Im Widerschein der grünen Instrumentenbeleuchtung glitzerten Schweißperlen auf seinem Gesicht. Er griff hinter sich und nahm eine 10-Millimeter-Pistole, eine Glock Automatic, heraus. Nachdem er überprüft hatte, ob sie geladen war, schob er sie an der Rückseite seiner Hose in den Gürtel und verbarg sie unter dem weiten Hemd.

»Ich bin bereit«, sagte er.

»Er ist allein. Wir sind zu zweit«, versuchte Carlo Marc zu beruhigen. Vielleicht wollte er auch nur sich selbst beruhigen. »Er kann nichts gegen uns ausrichten.«

»Okay, gehen wir.«

Carlo wandte sich an den Piloten. »Halten Sie die Maschine startbereit«, befahl er. »Wenn wir wieder zurückkommen, gebe ich Ihnen ein Zeichen.« Er hob die Hand hoch und formte mit Zeigefinger und Daumen ein O. »Das ist das Zeichen, dass wir unsere Sache erfolgreich durchgezogen haben. Dann starten Sie den Motor. Wir wollen keine Sekunde länger als nötig hierbleiben.«

Sie stiegen aus dem Flugzeug. Die Landebahn war mit einer dünnen Kieselschicht bedeckt, die unter ihren Kampfstiefeln knirschte, als sie zur Ladeklappe an der Seite der Maschine gingen. Die Luft hing drückend und schwül unter dem schweren Nachthimmel. Die Insel schien den Atem anzuhalten. Carlo griff nach oben und öffnete den Laderaum. Im hinteren Teil des Flugzeugs stand ein schwarzer Behälter, ungefähr zwei Meter lang und einen Meter breit. Es kostete die beiden Männer einige Anstrengung, den Behälter herauszuheben und auf den Boden zu stellen.

Der jüngere Mann sah auf. Von den Lichtern der Landebahn geblendet, konnte er nur sehr undeutlich die Gestalt wahrnehmen, die still wie eine Statue neben dem Jeep auf sie wartete. Seit der Landung des Flugzeugs hatte sich der Mann nicht von der Stelle gerührt. »Warum kommt er nicht herüber?«, fragte Marc.

Carlo spuckte nur aus und gab keine Antwort.

Der Behälter hatte zwei Tragegriffe, einen an jeder Längsseite. Die beiden Männer trugen ihn gemeinsam. Dennoch war er so schwer, dass sie nur unsicher und in gekrümmter Haltung gehen konnten. Es dauerte lange, bis sie den Jeep erreichten. Aber schließlich war es geschafft. Erleichtert stellten sie den Behälter ab.

Carlo richtete sich auf und rieb seine Hände an den Hosenbeinen seiner Jeans. »Guten Abend, General«, grüßte er. Er sprach Englisch. Man hörte jedoch, dass dies nicht seine Muttersprache war. Es war auch nicht die Muttersprache des Generals. Aber es war die einzige Sprache, in der sie sich verständigen konnten.

»Guten Abend.« Der General machte sich nicht die Mühe, die Männer mit ihren Namen anzureden, die, wie er wusste, ohnehin falsch waren. »Gab es Probleme beim Flug?«

»Überhaupt keine, General.«

»Die Lieferung?«, fragte der Mann und warf einen Blick auf die Kiste.

»Ein Kilogramm waffenfähiges Uran. Genug für eine Bombe, mit der man eine ganze Stadt auslöschen könnte. Wäre ziemlich interessant zu erfahren, auf welche Stadt Sie’s abgesehen haben.«

General Alexei Sarow trat einen Schritt vor, sodass er in den Lichtschein der Landebahnbeleuchtung geriet. Er war nicht sehr groß, aber offensichtlich gewöhnt, Macht auszuüben und Befehle zu erteilen. Schon aus seiner Haltung wurde deutlich, dass er viele Jahre in der Armee verbracht hatte. Das zeigten sein kurz geschnittenes, stahlgraues Haar, seine wachsamen blauen Augen und sein fast ausdrucksloses Gesicht. Es zeigte sich in seinem gesamten Verhalten: Er schien außerordentlich selbstsicher, gelassen und wachsam zugleich. General Sarow war 62 Jahre alt, wirkte aber 20 Jahre jünger. Er trug einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und eine schmale dunkelblaue Krawatte. In der schwülen Hitze hätte seine Kleidung eigentlich zerknittert sein sollen. Und er selbst schweißgebadet. Trotzdem wirkte er, als sei er gerade aus einem klimatisierten Raum gekommen.

Sarow ging neben dem Behälter in die Hocke und zog ein kleines Gerät aus der Tasche. Es sah aus wie ein Zigarettenanzünder – bis auf die Kontrollskala, die daran befestigt war. An der Seite des Behälters fand Sarow eine Steckvorrichtung und schloss das Gerät an. Er blickte kurz auf die Skala. Dann nickte er befriedigt.

»Haben Sie den Rest des Geldes?«, fragte Carlo.

»Natürlich.« Der General richtete sich wieder auf und ging zum Jeep. Carlo und Marc beobachteten ihn in höchster Anspannung – das war der Augenblick, in dem der General eine Waffe hervorziehen konnte. Aber als sich Sarow wieder umdrehte, hielt er nur einen schwarzen Aktenkoffer in den Händen. Er ließ die Schlösser aufschnappen und öffnete den Deckel. Der Koffer war mit Banknoten gefüllt: Päckchen mit jeweils 50 gebündelten 100-Dollar-Scheinen. Insgesamt 100 Päckchen. Die Summe belief sich auf eine halbe Million Dollar. Mehr Geld, als Carlo in seinem Leben je gesehen hatte.

Aber immer noch nicht genug.

»Wir haben noch ein kleines Problem«, sagte Carlo.

»Ja?« Sarow schien nicht sonderlich überrascht.

Marc spürte den Schweiß, der in seinen Kragen rann. An seinem Ohr summte eine Stechmücke, aber er widerstand dem Drang, nach ihr zu schlagen. Vor diesem Augenblick hatte er sich von Anfang an gefürchtet. Er stand ein paar Schritte entfernt, mit locker an den Seiten herabhängenden Armen. Langsam und unauffällig schob er seine Hände hinter dem Rücken nach oben, in die Nähe der verborgenen Waffe. Er blickte zu den Gebäuderuinen hinüber. Eine war vielleicht einmal ein Kontrollturm gewesen. Der Bau daneben sah wie eine Zollstation aus. Beide Gebäude waren halb zerfallen und leer, die Mauern teilweise eingestürzt und die Fenster eingeschlagen. Vielleicht hielt sich dort jemand versteckt? Nein. Die Wärmekamera hätte es ihnen verraten. Sie waren ohne verborgene Beobachter.

»Der Preis für das Uran«, erklärte Carlo und hob bedauernd die Schultern. »Unser Freund in Miami lässt Ihnen ausrichten, dass es ihm sehr leidtut. Aber überall auf der Welt sind die Sicherheitsvorkehrungen verschärft worden. Schmuggel ist jetzt viel schwieriger als früher, vor allem bei so speziellen Dingen. Und das verursacht eben zusätzliche Kosten.«

»Wie hoch sind diese zusätzlichen Kosten?«

»Eine Viertelmillion Dollar.«

»Das ist eine sehr … unglückselige Entwicklung.«

»Nur für Sie, General. Denn Sie müssen den Preis zahlen.«

Sarow dachte nach. »Muss ich das? Wir hatten schließlich einen Fixbetrag vereinbart«, sagte er.

»Unser Freund in Miami hofft, dass Sie Verständnis für seine Situation haben werden.«

Ein langes Schweigen trat ein. Marc streckte seine Finger hinter dem Rücken aus und schloss sie um den Griff der Glock Automatic. Aber dann nickte Sarow. »Ich werde aber das Geld erst beschaffen müssen«, sagte er.

»Sie können es auf dasselbe Bankkonto überweisen, das wir schon früher benutzt haben«, sagte Carlo. »Aber ich muss Sie warnen, General. Wenn das Geld in drei Tagen noch nicht eingegangen ist, werden die amerikanischen Geheimdienste darüber informiert, was sich heute Abend hier abgespielt hat … und was Sie gerade in Empfang genommen haben. Sie glauben vielleicht, dass Sie hier auf der Insel in Sicherheit sind. Aber ich garantiere Ihnen: Sie wären dann selbst hier nicht mehr sicher.«

»Sie drohen mir«, murmelte Sarow. Seine Stimme klang ruhig und tödlich kalt zugleich.

»Das dürfen Sie nicht persönlich nehmen«, sagte Carlo.

Marc zog eine Jutetasche heraus, faltete sie auseinander und kippte das Geld aus dem Koffer in die Tasche. Vielleicht war in dem Aktenkoffer ein Funksender versteckt. Oder eine kleine Bombe. Den leeren Koffer ließ er stehen.

»Gute Nacht, General«, sagte Carlo.

»Gute Nacht«, antwortete Sarow lächelnd. »Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Rückflug.«

Die beiden Männer gingen davon. Marc spürte die Geldbündel, die durch den Stoff der Tasche gegen seine Beine schlugen. »Der Mann ist ein Idiot«, flüsterte er in seiner eigenen Sprache. »Ein alter Mann. Warum hatten wir vor dem Angst?«

»Verschwinden wir von hier«, sagte Carlo, dem der letzte Satz des Generals nicht aus dem Kopf ging. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Rückflug. Hatte er nicht gegrinst, als er das sagte?

Er gab dem Piloten das vereinbarte Signal, Zeigefinger und Daumen zu einem O geformt. Sofort sprang der Motor der Cessna an.

General Sarow beobachtete sie noch immer. Er hatte sich nicht vom Fleck bewegt; jetzt schob er die Hand in eine Jackentasche. Die Finger schlossen sich um einen Funksender. Sarow hatte nur kurz nachgedacht, ob es wirklich nötig sein würde, die beiden Männer und ihren Piloten zu töten. Er persönlich hätte es vorgezogen, sie leben zu lassen, auch als eine Art Rückversicherung. Aber ihre neue Geldforderung ließ ihm nun keine Wahl mehr. Er hätte sich doch denken können, dass sie gierig werden würden. Bei Waffenhändlern wie ihnen war es fast unvermeidlich.

Wieder im Flugzeug, schnallten sich die beiden Männer an, während der Pilot die Maschine startklar machte. Carlo hörte, wie der Motor aufheulte, als das Flugzeug langsam wendete. Von weit her ertönte ein leises Donnern. Er wünschte plötzlich, sie hätten das Flugzeug sofort nach der Ankunft in Startposition gebracht. Das hätte einige wertvolle Sekunden gespart, denn Carlo wollte so schnell wie möglich weg von hier, wollte wieder in der Luft sein.

Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Rückflug.

In der Stimme des Generals war nicht die geringste Gefühlsregung zu erkennen gewesen. Vielleicht hatte er wirklich genau das gemeint, was er sagte. Aber Carlo vermutete, der General hätte auch ein Todesurteil im selben Tonfall ausgesprochen.

Neben ihm hatte Marc bereits begonnen, das Geld zu zählen. Seine Hände glitten durch den Banknotenhaufen. Carlo warf einen Blick zurück auf die Gebäuderuinen und den davor geparkten Jeep. Vielleicht hatte Sarow doch noch etwas vor? Welche Mittel standen ihm hier auf der Insel zur Verfügung? Aber es war keine Bewegung zu sehen, als das Flugzeug in einer engen Kurve wendete. Der General stand noch immer unbeweglich an seinem Platz. Sonst war niemand zu sehen.

Die Landebahnlichter gingen aus.

»Was zum …?«, fluchte der Pilot.

Marc hörte mit dem Geldzählen auf. Nur Carlo begriff sofort, was los war. »Er hat die Lichter ausgeschaltet«, sagte er. »Er will uns hier festhalten. Können Sie ohne Landebahnbeleuchtung starten?«

Das Flugzeug hatte inzwischen die Wende vollzogen. Seine Nase zeigte jetzt wieder in die Richtung, aus der es gekommen war. Der Pilot starrte aus dem Cockpitfenster, krampfhaft bemüht, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Es war absolut finster, aber hässliche, unnatürliche Lichtblitze zuckten über den Himmel. Er nickte. »Wird nicht leicht sein, aber …«

Die Lichter gingen wieder an.

Sie erstreckten sich vor ihnen über die ganze Länge der Startbahn, ein Pfeil, der ihnen den Weg in die Freiheit wies und zu einem Extraprofit von einer Viertelmillion Dollar. Der Pilot entspannte sich wieder. »Wahrscheinlich war’s der Sturm«, sagte er. »Hat die Stromversorgung unterbrochen.«

»Machen Sie schon, bringen Sie uns hier raus«, knurrte Carlo. »Ich freue mich erst richtig, wenn wir in der Luft sind.«

Der Pilot nickte. »Sie haben recht.« Er drückte einen der Kontrollschalter und die Cessna rollte vorwärts, wobei sie schnell an Geschwindigkeit gewann. Die Landebahnlichter verwischten sich, wurden zu leuchtenden Streifen, die den Piloten führten. Carlo setzte sich bequem zurecht. Marc starrte aus dem Seitenfenster.

Und dann, Sekunden bevor die Räder vom Boden abhoben, machte das Flugzeug plötzlich einen Satz. Die ganze Welt wirbelte durcheinander, als habe eine riesige unsichtbare Hand das Flugzeug gepackt und zur Seite geschleudert. Die Cessna hatte in diesem Augenblick eine Geschwindigkeit von 150 Stundenkilometern erreicht. Doch innerhalb von Sekunden kam sie zum Stillstand, so plötzlich, dass alle drei Männer brutal nach vorn geschleudert wurden. Ohne ihre Sitzgurte wären sie durch das vordere Cockpitfenster katapultiert worden – oder durch das, was von der zersplitterten Scheibe noch übrig war. Gleichzeitig krachte es mehrmals hintereinander ohrenbetäubend, als etwas gegen den Flugzeugrumpf prallte. Einer der Flügel kippte nach unten weg; der Propeller wurde abgerissen und wirbelte in die Nacht hinaus. Plötzlich stand das Flugzeug völlig still und zur Seite geneigt.

Einen Augenblick lang bewegte sich niemand in der Kabine. Der Motor ratterte und erstarb. Marc richtete sich in seinem Sitz auf. »Was ist passiert?«, schrie er in panischer Angst. »Was ist passiert?« Er hatte sich auf die Zunge gebissen und Blut rann über sein Kinn. Die Tasche war offen und Geldscheine lagen über seinen Schoß verstreut.

»Ich verstehe nicht, wie …«, stammelte der Pilot.

»Idiot! Sie sind von der Startbahn abgekommen!« Carlos Gesicht war vor Schock und Wut verzerrt.

»Bin ich nicht!«

»Da!« Marc deutete auf etwas und Carlo blickte näher hin. Die Klappe an der Unterseite des Flugzeugs war teilweise eingedrückt worden. Schwarzes Wasser sickerte von unten herein und bildete eine Lache um ihre Füße.

Wieder donnerte es, dieses Mal jedoch näher.

»Das hat er gemacht!«, sagte der Pilot.

»Was hat wer gemacht?«, wollte Carlo wissen.

»Ihr … Geschäftspartner. Er hat die Startbahn verschoben!«

Eigentlich war es ein ganz einfacher Trick gewesen. Als das Flugzeug wendete, hatte Sarow mit dem Funksender in seiner Tasche die Startbahnlichter ausgeschaltet. Der Pilot hatte in der Dunkelheit einen Augenblick lang die Orientierung verloren. Dann hatte das Flugzeug die Wende vollendet und die Lichter waren wieder angegangen. Aber der Pilot wusste nicht und konnte auch nicht sehen, dass es sich um eine zweite Lichterreihe handelte – und dass diese Lichter in einem spitzen Winkel von der sicheren Startbahn weg- und in den Sumpf hineinführten.

»Er hat uns in den Sumpf geleitet«, sagte der Pilot.

Jetzt begriff auch Carlo, was mit dem Flugzeug passiert war. Sobald seine Räder die Wasseroberfläche berührt hatten, war sein Schicksal besiegelt gewesen. Ohne festen Boden unter dem Fahrwerk hatte sich das Flugzeug festgefahren und war umgekippt. Das Sumpfwasser drang herein und sie versanken langsam. Die Äste der Mangrovenbäume, die das Flugzeug fast auseinandergerissen hatten, umgaben sie wie Stäbe eines lebenden Gefängnisses.

»Was machen wir jetzt?«, wollte Marc wissen. Er klang plötzlich wie ein Kind. »Wir werden ertrinken!«

»Wir können nicht raus!« Carlo hatte bei dem Unfall mehrere schwere Prellungen erlitten und konnte einen Arm nur noch unter großen Schmerzen bewegen. Er öffnete den Sicherheitsgurt.

»Wir hätten nicht versuchen sollen, ihn hereinzulegen!«, jammerte Marc. »Du hast doch gewusst, wie er ist! Man hat dir gesagt …«

»Halt die Klappe!« Carlo zog den Revolver aus dem Holster unter seinem Hemd und stützte ihn auf sein Knie. »Wir gehen hier raus und knöpfen ihn uns vor. Und dann werden wir schon irgendwie einen Weg finden, wie wir von dieser verdammten Insel wegkommen.«

»Da ist etwas …«, begann der Pilot.

Draußen hatte sich etwas bewegt.

»Was ist das?«, flüsterte Marc.

»Pst!« Carlo hob sich halb aus dem Sitz, sodass sein Körper den engen Kabinenraum fast ausfüllte.

Das Flugzeug kippte noch stärker zur Seite und glitt noch tiefer in den Sumpf. Carlo verlor das Gleichgewicht, rappelte sich aber wieder auf. Er streckte die Hand aus, am Piloten vorbei, als wolle er aus dem zerbrochenen Windschutzfenster klettern.

Etwas Großes, Furchtbares sprang ihn an und blockierte völlig das schwache Licht des Nachthimmels. Carlo schrie, als sich das Wesen kopfüber in das Flugzeug und auf ihn stürzte. Etwas Weißes glänzte, dann war ein grauenhaftes Knirschen und Krachen zu hören.

Die beiden anderen Männer schrien.

General Sarow stand unbeweglich da und beobachtete das Geschehen. Es hatte noch nicht zu regnen angefangen, aber die Luft war schwer. Ein Blitz zuckte auf und lief fast wie in Zeitlupe über den Himmel, so als genieße er seine Reise. In diesem Augenblick sah er die Cessna auf der Seite liegen, halb im Sumpf versunken. Ein halbes Dutzend Krokodile schwärmte um die Maschine. Ein sehr großes Tier steckte mit Kopf und Körper im Cockpit. Nur sein Schwanz war noch sichtbar, der wild um sich schlug, während das Tier sein blutiges Werk vollendete.

Sarow bückte sich und hob den schwarzen Behälter auf. Obwohl zuvor zwei Männer nötig gewesen waren, um ihn zu tragen, schien er in Sarows Händen kein Gewicht zu haben. Er stellte ihn in den Jeep und trat einen Schritt zurück. Erst in diesem Augenblick erlaubte er sich ein leichtes Lächeln, was sehr selten vorkam. Morgen, wenn die Krokodile ihre Mahlzeit beendet hatten, würde er seine Feldarbeiter mit ihren Macheten – die macheteros – in den Sumpf schicken und das Geld holen lassen. Das Geld spielte allerdings keine große Rolle. Er war jetzt Besitzer eines Kilogramms waffenfähigen Urans. Wie Carlo gesagt hatte, verfügte er jetzt über die Macht, eine Stadt zu zerstören.

Nur: Sarow hatte gar nicht vor, eine Stadt zu zerstören.

Sondern die ganze Welt.

Alex ließ den Ball an seiner Brust abprallen, stoppte ihn gekonnt und donnerte ihn ins Netz. Erst jetzt bemerkte er den Mann mit dem großen weißen Hund. Es war ein warmer, sonniger Freitagnachmittag und das Wetter schien sich nicht recht entscheiden zu können, ob es noch zum Spätfrühling oder bereits zum Frühsommer gerechnet werden wollte. Das Fußballmatch war zwar nur ein Trainingsspiel, aber Alex nahm es trotzdem sehr ernst. Mr Wiseman, der Sportlehrer, hatte ihn für die Schulauswahl nominiert und Alex freute sich darauf, gegen andere Schulteams spielen zu dürfen. Leider hatte seine Schule, Brookland, keinen eigenen Fußballplatz. Das Team trainierte deshalb auf diesem öffentlichen Platz, den jeder betreten konnte. Also auch Männer, die weiße Hunde spazieren führten.

Alex erkannte den Mann sofort, und das vermieste seine gute Laune gründlich. Wie konnte dieser Mensch es wagen, schon wieder in seiner Nähe aufzukreuzen? Der Fußballplatz mochte öffentlich sein, wurde aber hauptsächlich von der Schule benutzt. Außerdem fand gerade das Trainingsspiel statt. Würden ihn diese Leute denn nie mehr in Ruhe lassen?

Der Mann hieß Crawley. Mit seinem schütteren Haar, dem fleckigen Gesicht und der altmodischen Kleidung wirkte er eher wie ein Offizier, der es nicht besonders weit gebracht hatte, oder wie ein Lehrer in einem zweitklassigen Internat. Aber Alex wusste, was er wirklich war: Crawley arbeitete für den britischen Geheimdienst MI6. Er war zwar nicht direkt ein Spion, lebte aber doch eindeutig in der Welt der Geheimdienste. Genauer: Er war Büroleiter eines der geheimsten Büros im ganzen Land. Crawley hatte viel mit Papierkriegen zu tun, mit geheimen Absprachen, geheimen Treffen. Musste jemand mit einem Messer im Rücken oder einer Kugel in der Brust sterben, war es ziemlich wahrscheinlich, dass der Befehl dazu Crawleys Unterschrift trug.

Alex stürmte zur Mittellinie, während Crawley gelassen zu einer Bank ging und den Hund hinter sich herzerrte. Das Tier schien ihm nur außerordentlich widerwillig zu folgen. Offenbar hatte es an Fußball nicht das geringste Interesse. Crawley setzte sich. Und als dann zehn Minuten später der Schlusspfiff ertönte, saß er immer noch auf der Bank. Alex spielte kurz mit dem Gedanken, ihn einfach zu ignorieren. Doch dann nahm er sein Sweatshirt und ging hinüber zu der Bank.

Crawley heuchelte Überraschung, ihn zu sehen. »Alex!«, rief er aus. »Was für ein Zufall! Ich habe dich schon seit … nun, seit deiner Rückkehr aus Frankreich nicht mehr gesehen!«

Das war gerade erst vier Wochen her. MI6 hatte Alex nach Südfrankreich geschickt, um in einem Internat für die verwöhnten Sprösslinge superreicher Eltern gewisse Nachforschungen anzustellen. Alex hatte sich unter falschem Namen als Schüler der Point-Blanc-Akademie eingeschrieben, war aber dann von dem wahnsinnigen Schulleiter Dr. Grief gefangen genommen worden. In einer Biologiestunde wäre er beinahe bei lebendigem Leib seziert worden, und auf der Flucht hatte man ihn den ganzen Berg hinuntergejagt und scharf beschossen. Er hatte nie Spion werden wollen und diese ganze Geschichte hatte ihn in seiner Abneigung nur noch weiter bestärkt. Crawley war deshalb der absolut letzte Mensch, den er hier sehen wollte.

Aber der MI6-Mann strahlte ihn an. »Spielst du jetzt in der Schulauswahl? Ist das euer Platz hier? Ich bin überrascht, dass ich dich noch nie hier gesehen habe. Barker und ich gehen oft hier spazieren.«

»Barker?«

»Mein Hund. Er ist ein Dalmatiner.«

»Ich dachte, Dalmatiner hätten schwarze Flecken.«

»Der hier hat eben keine.« Crawley zögerte und hüstelte. »Eigentlich ist es sogar ein recht glücklicher Umstand, Alex, dass ich dir hier rein zufällig über den Weg laufe. Vielleicht können wir uns mal kurz unterhalten?«

Alex schüttelte den Kopf. »Vergessen Sie’s, Mr Crawley. Ich hab’s Ihnen schon letztes Mal gesagt. MI6 interessiert mich nicht. Ich gehe noch zur Schule. Ich bin kein Spion.«

»Oh, natürlich nicht!«, stimmte Crawley zu. »Das hat nichts mit der … hm, Firma zu tun. Nein, nein.« Schon der bloße Verdacht schien ihm geradezu peinlich zu sein. »Ich wollte dich eigentlich etwas ganz anderes fragen, Alex … würde es dir gefallen, einen Sitzplatz in der ersten Reihe in Wimbledon zu bekommen?«

Die Frage kam für Alex völlig überraschend. »Wimbledon? Sie meinen … Tennis?«

»Richtig«, lächelte Crawley. »Der ›All English Tennis Club‹. Ich sitze im Vereinsvorstand.«

»Und Sie bieten mir ein Ticket an?«

»Ja.«

»Wo ist der Haken bei der Sache?«

»Kein Haken, Alex. Eigentlich nicht. Aber … lass es mich mal genauer erklären.« Alex bemerkte, dass die anderen Spieler bereits gehen wollten. Der Schultag war fast vorüber. Er wandte sich wieder Crawley zu, der fortfuhr: »Es geht um Folgendes. Vor einer Woche hatten wir einen Einbruch. Die Sicherheitsvorkehrungen im Klub sind sehr streng, aber trotzdem gelang es jemandem, über die Mauer zu klettern, ein Fenster aufzubrechen und in das Millennium-Gebäude einzusteigen.«

»Was ist das Millennium-Gebäude?«

»Ein Bau, in dem sich die Umkleidekabinen der Spieler befinden. Darin sind auch ein Trainingsraum, ein Restaurant, ein paar Aufenthaltsräume und so weiter untergebracht. Wir haben zwar Überwachungskameras installieren lassen, aber der Einbrecher hat das System einfach ausgeschaltet – und außerdem auch die Hauptalarmanlage. Der Mann muss ein ausgesprochener Profi gewesen sein. Wir haben nur durch einen Zufall überhaupt entdeckt, dass jemand eingedrungen war. Einer unserer Nachtwächter sah den Mann, als er das Gelände verließ. Ein Chinese, ungefähr Anfang zwanzig …«

»Der Wächter?«

»Der Einbrecher. Er war von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet und trug eine Art Rucksack auf dem Rücken. Der Wächter rief die Polizei und wir ließen das gesamte Gelände durchsuchen. Das Millennium-Gebäude, die Tennisplätze, die Cafés, alles. Dauerte drei volle Tage. Im Moment sind in London keine Terrorzellen aktiv, Gott sei Dank, aber man muss natürlich immer damit rechnen, dass irgendein Verrückter eine Bombe legt. Wir ließen sogar eine Anti-Terror-Einheit anrücken. Und speziell trainierte Spürhunde. Nichts! Wer immer da eingedrungen ist, hat sich offenbar in Luft aufgelöst und nicht die geringste Spur zurückgelassen.«

Crawley schwieg einen Augenblick. »Und das ist nun das Seltsame an der Sache, Alex: Er ließ nichts zurück, aber er hat auch nichts mitgenommen. Tatsächlich scheint er überhaupt nichts berührt zu haben. Wie gesagt, wenn der Wachmann ihn nicht gesehen hätte, wüssten wir gar nicht, dass jemand eingestiegen war. Wie erklärst du dir das?«

Alex zuckte die Schultern. »Vielleicht hat ihn der Wächter gestört, bevor er das nehmen konnte, was er eigentlich haben wollte.«

»Nein. Er war schon auf dem Weg nach draußen, als er entdeckt wurde.«

»Vielleicht hat sich der Wächter das alles nur eingebildet?«

»Wir haben auch die Kameras geprüft. Der Film hat einen Zeitcode und wir haben eindeutig festgestellt, dass sie für insgesamt zwei Stunden ausgeschaltet worden waren. Von Mitternacht bis zwei Uhr morgens.«

»Okay. Was halten Sie denn selbst davon, Mr Crawley? Und überhaupt: Warum erzählen Sie mir das alles?«

Crawley seufzte und streckte seine Beine aus. Er trug schäbige und ausgelatschte Wildlederschuhe. »Ich glaube, dass jemand das diesjährige Tennisturnier in Wimbledon sabotieren will«, sagte er. Alex wollte etwas einwerfen, aber Crawley hob die Hand. »Ich weiß, wie lächerlich das klingt, und ich muss zugeben, dass mir die übrigen Vorstandsmitglieder ebenfalls nicht glauben. Aber andererseits verfügen sie auch nicht über meine Instinkte. Sie arbeiten ja schließlich nicht in meinem Beruf. Aber denk mal darüber nach, Alex. Für einen so sorgfältig geplanten und durchgeführten Einbruch muss es einen Grund geben. Da es den aber offenbar nicht gibt, muss etwas faul an der Sache sein.«

»Warum sollte jemand die Spiele in Wimbledon sabotieren wollen?«

»Das weiß ich nicht. Aber du solltest bedenken, dass das Turnier in Wimbledon 14 Tage dauert und ein Riesengeschäft ist. Es steht eine Menge Geld auf dem Spiel. Allein die Preisgelder summieren sich auf achteinhalb Millionen Pfund. Dann sind da noch die Übertragungsrechte für das Fernsehen, die Vermarktungsrechte, die Sponsorengelder aus der Privatwirtschaft … Aus jeder Ecke des Planeten fliegen die VIPs hierher, von Filmstars bis hin zu Staatspräsidenten. Und die Platzkarten für das Herrenfinale wurden in den letzten Jahren manchmal für Tausende von Pfund gehandelt. Wimbledon ist nicht irgendein Spiel. Es ist ein Weltereignis, und wenn etwas passieren würde … Nicht auszudenken.«

Aber Crawley hatte sich die möglichen Folgen eines Anschlags in Wimbledon offenbar bereits ausgedacht. Er sah müde aus. Die Sorgen hatten sich wie Schatten über seinen Blick gelegt.

Alex dachte einen Augenblick lang nach. »Sie wollen also, dass ich mich dort ein wenig umsehe«, grinste er. »Ich war noch nie in Wimbledon. Ich hab’s immer nur im Fernsehen verfolgt. Ein Ticket für den Centre-Court wäre absolut super. Aber ich glaube nicht, dass es viel bringen würde, wenn ich nur einen Tag lang dort wäre.«

»Genau das ist es, Alex. Ich habe auch gar nicht an einen Tag gedacht.«

»Sondern?«

»Na ja, weißt du, ich habe mir überlegt, dass du vielleicht als Balljunge arbeiten könntest.«

»Meinen Sie das wirklich im Ernst?«

»Warum nicht? Du könntest dich dann die gesamten zwei Wochen dort aufhalten. Es wäre ein wunderbares Erlebnis für dich und du wärst immer mittendrin. Du würdest ein paar großartige Spiele sehen. Und ich könnte mich ein wenig entspannen, wenn ich wüsste, dass du dort bist. Wenn irgendetwas vor sich geht, hätten wir eine gute Chance, dass du es entdeckst. Dann rufst du mich an und ich kümmere mich um die Sache.« Er nickte zur Bekräftigung. Offenbar war er längst überzeugt, dass die Idee großartig war. Alex musste das doch auch einsehen! »Das ist keine gefährliche Sache. Ich meine, es ist schließlich nur Wimbledon. Du wirst mit einer Menge anderer Jungen und Mädchen zusammen sein. Also – was hältst du davon?«

»Haben Sie denn nicht schon genügend Sicherheitsleute im Einsatz?«

»Natürlich haben wir einen kommerziellen Sicherheitsdienst beauftragt. Aber diese Leute sind viel zu leicht zu erkennen – und das heißt, man kann ihnen auch leicht aus dem Weg gehen. Du wärst praktisch unsichtbar, Alex. Allein darum geht es.«

»Alex?«, schallte Mr Wisemans Stimme über den Platz. Der Lehrer wartete auf ihn. Alle anderen Schüler waren bereits gegangen, nur zwei oder drei Jungen spielten noch ein wenig weiter.

»Nur noch eine Minute, Sir!«, rief Alex zurück.

Der Lehrer schien zu zögern. Es kam ihm ziemlich seltsam vor, dass sich einer seiner Schüler mit diesem eigenartigen Mann in seinem altmodischen Blazer und der gestreiften Krawatte unterhielt, der dort auf der Bank saß. Andererseits hieß der Schüler Alex Rider und die gesamte Schule wusste, dass mit dem Jungen etwas nicht stimmte. Zweimal war er jetzt schon urplötzlich von der Schule verschwunden und beide Male hatte es dafür keine gescheite Erklärung gegeben. Und kaum war Alex beim letzten Mal wieder aufgetaucht, als auch schon der gesamte Laborflügel der Schule in Flammen aufgegangen war. Mr Wiseman beschloss, die Sache mit dem Mann auf der Bank einfach zu ignorieren. Alex konnte gut auf sich selbst aufpassen und würde zweifellos später nachkommen. Hoffte er jedenfalls.

»Bleib nicht zu lange!«, rief er.

Er winkte die anderen Jungen zu sich und sie gingen davon. Alex und Crawley blieben allein auf dem Platz zurück.

Alex ließ sich durch den Kopf gehen, was er gerade erfahren hatte. Teilweise misstraute er Crawley. Ziemlich unwahrscheinlich, dass der Mann nur rein zufällig zu Alex’ Trainingsspiel auf den Fußballplatz gekommen war. In der Welt von MI6 wurde alles genau geplant und vorausberechnet; Zufälle gab es nicht. Das war einer der Gründe, warum Alex MI6 hasste. Sie hatten ihn schon zweimal benutzt, und beide Male war es ihnen im Grunde völlig egal gewesen, ob er überlebte oder umkam, solange er nur für sie nützlich war. Crawley gehörte zu dieser Welt und im Grunde seines Herzens mochte ihn Alex genauso wenig wie den ganzen Rest.

Aber in diesem Fall war es gut möglich, dass er, Alex, der Sache zu viel Bedeutung beimaß. Crawley hatte ihn schließlich nicht gebeten, sich in eine ausländische Botschaft einzuschleichen, über Nordkorea mit dem Fallschirm abzuspringen oder sonst etwas auch nur halbwegs Gefährliches zu tun. Nein, er bot ihm zwei Wochen beim wichtigsten Tennisturnier der Welt zum Nulltarif. Das war’s auch schon. Eine Superchance, Weltklassetennis aus nächster Nähe anzuschauen. Nur wenn er Pech hatte, würde er sich mit diesem seltsamen Einbrecher beschäftigen müssen, der wahrscheinlich sowieso nur ein paar Silberpokale klauen wollte. Also, was konnte bei der Sache schon schiefgehen?

»Okay, Mr Crawley«, sagte er. »Ich sehe keinen Grund, warum ich das nicht machen sollte.«

»Das ist wunderbar, Alex. Ich werde die Sache arrangieren. Komm, Barker.«

Alex sah, dass der Hund ihn aus seinen rosafarbenen, blutunterlaufenen Augen anstarrte. Wollte ihn das Tier etwa warnen? Vielleicht wusste der Hund mehr als das, was man Alex wissen ließ?

Aber Barker bekam keine Chance, irgendwelche Geheimnisse seines Herrn zu verraten, denn Crawley riss ungeduldig an der Leine und zerrte ihn hinter sich davon.

Sechs Wochen später fand sich Alex im Centre-Court von Wimbledon wieder, in der dunkelgrün-mauvefarbenen Kleidung des »All England Tennis Club«. Es war kurz vor Beginn des wahrscheinlich letzten Spiels der Qualifizierungsrunde. Nur einer der beiden Tennisspieler, die ein paar Meter von ihm entfernt saßen, würde in die nächste Runde kommen und damit seine Chance wahren, den Pokal und die Siegerprämie von einer halben Million Pfund zu gewinnen. Der andere Spieler würde den nächsten Linienbus nach Hause nehmen müssen. Erst jetzt, als Alex neben dem Netz kniete und auf den ersten Aufschlag wartete, begann er zu begreifen, welche Macht Wimbledon auf die Menschen ausübte und warum es zu einem der wichtigsten Sportereignisse der Welt geworden war. Es gab keinen anderen Wettkampf, der damit vergleichbar war.

Um ihn herum war das riesige Stadion mit Tausenden Zuschauern auf den Rängen, die immer höher und höher hinaufstiegen, bis sie im Schatten des oberen Stadionrandes verschwanden. Man konnte kaum einzelne Gesichter ausmachen. Es gab einfach zu viele Zuschauer, und sie waren größtenteils auch zu weit weg. Aber Alex spürte die wachsende Erregung der Menschenmenge, als die beiden Spieler zu ihren jeweiligen Grundlinien gingen. Der Rasen schien unter ihren Füßen förmlich zu glühen. Applaus setzte ein und wurde wie ein Echo nach oben getragen, dann wurde es plötzlich still. Die Fotoreporter hingen wie Geier über ihren mit gewaltigen Teleobjektiven ausgestatteten Apparaten, während die Fernsehkameras in den grün verkleideten bunkerähnlichen Unterständen leise surrten. Jetzt schwangen die Kameras herum, um die beste Einstellung für den ersten Aufschlag zu finden. Die beiden Spieler standen einander gegenüber: zwei junge Männer, deren ganzes bisheriges Leben auf diesen Augenblick hin ausgerichtet gewesen war und deren Zukunft in dieser Sportart sich in den nächsten Minuten entscheiden würde. Alles war so vollkommen englisch – das Gras, die Strohhüte, die aufgeregte Stimmung. Und doch war es auch ein blutiger Wettkampf, ein Gladiatorenkampf wie kein anderer.

»Ruhe bitte, Ladys und Gentlemen …«

Die energische Stimme des Schiedsrichters ertönte aus den Lautsprechern. Den ersten Aufschlag hatte Jacques Lefevre, Franzose, 22 Jahre alt und zum ersten Mal in Wimbledon. Niemand hatte erwartet, dass er so weit kommen würde. Sein Gegner war ein Deutscher, Jamie Blitz, einer der Favoriten des diesjährigen Turniers. Aber Blitz schien zu verlieren – er lag schon nach kurzer Zeit zwei Sätze im Rückstand, zwei zu fünf. Alex beobachtete ihn, während er auf seinen Fußballen balancierend am Netz kauerte. Lefevre schlug auf. Der Ball knallte direkt neben der Mittellinie auf den Grasboden. Ein Ass.

»Fünfzehn-null.«

Alex war den Spielern sehr nahe und konnte die Niederlage in den Augen des Deutschen sehen. Das war das Grausamste an diesem Spiel: Alles hing von der psychischen Verfassung ab. Wenn man die mentale Stärke verlor, konnte man alles verlieren. Und genau das passierte jetzt mit Blitz. Alex konnte es beinahe in seinem Schweiß riechen. Als der Spieler jetzt zur anderen Seite des Feldes wechselte, wirkten seine Bewegungen schwerfällig, so als erfordere es seine ganze Kraft, überhaupt nur auf den Beinen zu bleiben. Hintereinander verlor er die nächsten drei Punkte. Alex sprintete über das Feld, schnappte einen Ball und schaffte es gerade noch, ihn zu dem Balljungen hinter der linken Grundlinie hinüberzurollen. Aber vermutlich würde der Ball gar nicht mehr benötigt. Es sah so aus, als würde es in diesem Match nur noch einen Aufschlag geben.

Und so war es auch. Lefevre schaffte noch ein abschließendes Ass und ließ sich dann auf die Knie fallen, die Fäuste triumphierend emporgereckt. Eine Pose, die man auf den Spielfeldern von Wimbledon schon Hunderte Male gesehen hatte. Wie üblich stand das Publikum auf und applaudierte. Aber es war kein gutes Spiel gewesen. Blitz hätte eigentlich der Sieger sein sollen. Auf jeden Fall hätte es nicht mit drei klar verlorenen Sätzen enden dürfen. Der Deutsche war eindeutig nicht in Form gewesen und der junge Franzose hatte ihn buchstäblich vom Rasen gefegt.

Alex sammelte den letzten Ball auf und rollte ihn in die hintere Ecke. Stramm dastehend wartete er, bis die Spieler einander und dem Schiedsrichter die Hände geschüttelt hatten. Blitz kam wieder in Alex’ Nähe, um seine Sporttasche zu packen. Alex studierte aufmerksam sein Gesicht. Der Deutsche wirkte benommen, als könne er seine Niederlage noch nicht fassen. Er sammelte seine Sachen ein und ging vom Platz, wobei er dem Publikum noch ein letztes Mal zuwinkte. Lefevre signierte noch immer Autogrammkarten, die ihm aus der ersten Reihe entgegengestreckt wurden. Blitz war bereits vergessen.

»Es war wirklich ein miserables Match«, sagte Alex. »Keine Ahnung, was mit Blitz los war. Die meiste Zeit lief er wie im Schlaf herum.«

Es war eine Stunde nach dem Spiel und Alex saß an einem Tisch in einem der Räume, die sich unter dem Büro des Schiedsrichters an einer Ecke des Centre-Courts Number One befanden. Dies war der Aufenthaltsraum für die 200 Jungen und Mädchen, die während des Turniers hier arbeiteten. Hier konnten sie essen, sich umziehen und ausspannen. Am Tisch saßen noch zwei weitere Balljungen und ein Ballmädchen. Alex hatte sich in den letzten zwei Wochen mit dem Mädchen angefreundet – so sehr, dass sie ihn sogar eingeladen hatte, mit ihrer Familie nach Cornwall in die Ferien zu fahren, sobald Wimbledon vorbei war. Sabina Pleasure hatte dunkle Haare, hellblaue Augen und jede Menge Sommersprossen, war eine schnelle Läuferin und ausgesprochen fit. Sie ging in eine Klosterschule in Wimbledon; ihr Vater war Journalist und hatte sich auf die Bereiche Wirtschaft und Politik spezialisiert. An Sabina allerdings war überhaupt nichts ernst. Sie alberte ständig herum und je ausgelassener die Stimmung war, desto wohler fühlte sie sich. Alex war sicher, dass man ihr Gelächter noch auf dem entfernten Spielfeld neunzehn hören konnte.

»Dann hat er eben Pech gehabt«, meinte Sabina. »Ich mag Lefevre. Der ist super. Und nur ein bisschen älter als ich.«

»Sieben Jahre«, erinnerte sie Alex.

»Das heißt heutzutage gar nichts. Jedenfalls werd ich morgen wieder im Centre-Court sein. Wird mir schwerfallen, mich aufs Spiel zu konzentrieren.«

Alex grinste. Er mochte Sabina, auch wenn sie offenbar auf ältere Männer stand. Inzwischen war er richtig froh, Crawleys Angebot angenommen zu haben. »Pass nur auf, dass du dich nicht an den falschen, äh, Bällen vergreifst«, sagte er mit anzüglichem Grinsen.

»Rider!« Der Ausruf sprengte förmlich das Stimmengewirr in der Cafeteria. Ein kleiner, zäh aussehender Mann war aus einem der Büros getreten: Wally Walfor, ein pensionierter Unteroffizier der Königlichen Luftwaffe, der in Wimbledon für die Balljungen und -mädchen verantwortlich war.

»Sir?« Alex hatte vier Wochen Training mit Walfor hinter sich und wusste, dass der Mann keineswegs das Monster war, als das er sich gerne aufspielte.

»Ich brauche jemand für die Bereitschaft. Würde es dir etwas ausmachen?«, bellte Walfor.

»Nein, Sir. Ich komme sofort.« Alex trank sein Glas leer und stand auf. Erfreut bemerkte er, dass Sabina ein wenig traurig aussah.

»Bereitschaft« bedeutete, dass er sich vor dem Büro des Schiedsrichters zur Verfügung halten musste, falls er auf einem der Plätze oder irgendwo sonst auf dem Gelände gebraucht wurde. Alex genoss es immer, während der Bereitschaftszeit einfach in der Sonne zu sitzen und die Menschen zu beobachten. Er trug sein Tablett zur Geschirrrückgabe und wollte gerade gehen, als er etwas bemerkte, was ihn kurz zögern und nachdenken ließ.

An einem öffentlichen Telefon, das in der Ecke der Cafeteria hing, telefonierte einer der Sicherheitsleute. Das war eigentlich nichts Besonderes. Am Eingang des Gebäudes war immer Sicherheitspersonal postiert und die Wachleute kamen manchmal schnell in die Cafeteria herunter, um ein Glas Wasser zu trinken oder zum WC zu gehen. Der Wachmann redete schnell und aufgeregt; seine Augen glänzten fiebrig, so als gebe er wichtige Nachrichten weiter. Durch das Stimmengewirr in der Cafeteria war es unmöglich, zu verstehen, was er sagte, und Alex schlenderte ein wenig näher, um wenigstens ein paar Wörter mitzubekommen. Und dann fiel ihm die Tätowierung auf. Der Raum war voll von Jungen und Mädchen und hinter dem Tresen arbeiteten die Köche an vielen Pfannen und Töpfen, sodass die Temperatur im Raum stark gestiegen war. Der Wachmann hatte seine Jacke ausgezogen. Er trug ein kurzärmliges Hemd. Dort, wo der Ärmel endete, war ein großer roter Kreis eintätowiert. Alex hatte noch nie etwas Ähnliches gesehen. Ein einfacher Kreis ohne jede Verzierung, ohne Schriftzeichen, ohne Bild. Was sollte das bedeuten?

Der Wächter drehte sich plötzlich um und sah, dass Alex ihn anstarrte. Es passierte so unvermittelt, dass Alex sich ärgerte, nicht besser aufgepasst zu haben. Der Mann unterbrach sein Gespräch nicht, wandte sich aber ab, sodass der Arm mit der Tätowierung nicht mehr in Alex’ Blickfeld war. Außerdem deckte er den Kreis mit seiner freien Hand ab. Alex grinste ihm kurz zu und gab ihm mit einer Geste zu verstehen, dass er ebenfalls telefonieren wolle. Der Wächter sprach