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Natasha Bell

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Beschreibung

Zwölf Jahre ist es her, dass die junge Künstlerin Alexandra und Marc geheiratet haben. Seitdem ist sie eine liebende Ehefrau und Mutter zweier Töchter. Bis sie eines Tages spurlos verschwindet. Die Polizei findet nur ihre blutige Kleidung am Flussufer, und plötzlich wird aus der Vermisstensuche eine Mordermittlung. Doch Alexandra lebt. Weit weg von ihren Lieben wird sie gegen ihren Willen festgehalten. Verzweifelt muss sie auf Videos mitansehen, wie sich ihre Familie quält. Marc ist außer sich. Auf eigene Faust begibt er sich auf die Suche nach seiner Frau. Und die Geheimnisse, die er ans Licht bringt, machen eines deutlich: Niemand kennt Alexandra wirklich, nicht einmal er.

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Über dieses Buch:

Zwölf Jahre ist es her, dass die junge Künstlerin Alexandra und Marc geheiratet haben. Seitdem ist sie eine liebende Ehefrau und Mutter zweier Töchter. Bis sie eines Tages spurlos verschwindet. Die Polizei findet nur ihre blutige Kleidung am Flussufer, und plötzlich wird aus der Vermisstensuche eine Mordermittlung. Doch Alexandra lebt. Weit weg von ihren Lieben wird sie gegen ihren Willen festgehalten. Verzweifelt muss sie auf Videos mitansehen, wie sich ihre Familie quält. Marc ist außer sich. Auf eigene Faust begibt er sich auf die Suche nach seiner Frau. Und die Geheimnisse, die er ans Licht bringt, machen eines deutlich: Niemand kennt Alexandra wirklich, nicht einmal er.

»Der beste Thriller des Jahres.«     Stylist

»Das scharfsinnige und vielschichtige Debüt von Natasha Bee.«

The Guardian

Über die Autorin:

Natasha Bell wuchs in Somerset auf uns studierte Englische Literatur und Theaterwissenschaften an der Universität von York und am Mount Holyoke College. In Chicago absolvierte sie zusätzlich einen Master in Geisteswissenschaften. Zunächst jobbte sie als Barista und Filmvorführerin. Ihre wahre Berufung fand sie nach einem Master in Creative Writing an der Goldsmith University London: Sie widmet sich nun ausschließlich dem Schreiben. Die Autorin lebt im Südosten von London.

NATASHA BELL

Aus dem Englischen

von Pauline Kurbasik

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright © Natasha Bell 2019

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel Exhibit Alexandra bei Michael Joseph, an imprint of Penguin Random House UK, London.

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2019 by Diana Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Wiebke Bach

Umschlaggestaltung: Christian Otto, Geviert, München Umschlagmotiv: © Magdalena Russocka / Trevillion Images

Satz: Leingärtner, Nabburg

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 978-3-641-21067-0V003

www.diana-verlag.de

DONNERSTAG, 21. FEBRUAR 2013

DER ANFANG

Marc saß auf der untersten Stufe und versuchte, nichtgleich das Schlimmste zu denken. Die Stimme fuhr fort: »Die große Mehrheit der Vermissten taucht unversehrt in den ersten achtundvierzig Stunden wieder auf, Mr. Southwood. Es gibt keinen Grund zur Panik.« Darauf folgte eine Pause. Marc wusste, das sollte ihn trösten. Einfach abwarten, bis seine Frau mit einer völlig schlüssigen Erklärung nach Hause käme.

Der Officer wünschte ihm einen guten Abend und legte auf. Als ob das Problem damit erledigt wäre. Als ob Marc sich damit besser fühlen würde.

Sechs Stunden vorbei, blieben zweiundvierzig.

Ich wünschte, ich könnte bei ihm sein. Ich würde erst die Arme und dann die Beine um ihn schlingen und mich an ihn klammern, bis wir die Balance verlieren und im Flur zu Boden fallen. Ihm mit meiner Berührung das zu verstehen geben, was er an dem Abend wissen musste: Ich bin hier. Gleich hier.

Er stand auf, unterbrach die Verbindung, legte den Hörer auf die Station und damit gleichzeitig seinen einzigen Plan, etwas zu unternehmen, ad acta. Seine Armhaare stellten sich auf, und er zitterte zum stummen Rhythmus von da stimmt was nicht, da stimmt was nicht, da stimmt was nicht.

Vielleicht hätte er die Polizei nicht anrufen sollen. Schließlich bin ich eine erwachsene Frau. Vielleicht war es ein bisschen übertrieben, mich gleich als vermisst zu melden. Ich hatte doch keinen Hausarrest.

Aber ich war Mutter. Meine Kinder waren zu Hause und ich nicht. Das sieht ihr gar nicht ähnlich, hatte Marc vor einer Minute zum Officer gesagt. Dabei fühlte er sich, als würde er jammern; diese kindische Aussage war natürlich lächerlich, wenn man erklären wollte, wie absolut unnormal es war, dass eine Frau, die immer nach Hause kommt, Tag für Tag, Jahr für Jahr, an diesem Tag nicht heimkommt.

Ich hätte zu Hause sein sollen, als er mit den Mädchen vom Schwimmen kam. Wir hätten uns etwas zu essen bestellt. Dann hätten wir bei Chow mein zusammengesessen und uns über Alltägliches wie Tage der offenen Tür und Budgetkürzungen unterhalten.

Er versuchte noch einmal, mich anzurufen. Aus, wie immer. »Meine kleine Technikfeindin« nannte er mich immer, wenn er mich fragte, ob ich ein iPhone zum Geburtstag wolle, und ich darauf antwortete, ich sei völlig zufrieden mit meinem zwei Jahre alten Gerät. Damit konnte man telefonieren und E-Mails lesen – was wollte ich mehr? Vielleicht hätte er mich mehr damit triezen sollen. Jeder andere Mann hätte mir einfach eins geschenkt, unsere Kalender und Adressbücher synchronisiert und eine App heruntergeladen, mit der er mich überwachen konnte, damit ich nicht verloren ging.

»Es ist Donnerstag, Herrgott noch mal«, sagte Marc laut. Er ging zum Fenster und sah wieder auf die Straße. Ohne triftigen Grund würde ich unseren Donnerstagabend mit bestelltem Essen nicht verpassen.

Er kratzte sich an der linken Schläfe.

Dem Officer hatte er es zu erklären versucht. Hieß er Jones? Officer Jones glaubte, wir hätten uns gestritten. Ständig verschwanden Menschen.

Ich allerdings nicht.

Ich hatte den Tag bei der Arbeit verbracht. Marc hatte meine Kollegin Paula angerufen und sich bei ihr erkundigt. Sie sagte, sie sei mit mir zusammen aus dem Gebäude gegangen. Ich hätte ihr ein schönes Wochenende gewünscht, da sie Freitag wegen einer Hochzeit im Familienkreis Urlaub habe. Sie werde sich bemühen, hatte sie geantwortet, weil sie solche Veranstaltungen nicht leiden könne, und zum Abschied hätten wir uns zugewinkt.

Seit dem Gespräch waren mehrere Stunden vergangen. Jetzt war es dreiundzwanzig Uhr. Draußen war es dunkel.

Bei solchen Vorkommnissen machte sich mein Mann Sorgen. Dabei spielte es keine Rolle, dass ich vor unserem Kennenlernen allein gelebt hatte. Auch nicht, dass ich über ein Jahr durch die Straßen von Chicago geschlendert war, ganz die optimistische Studentin mit einer Rüstung aus Pabst-Best-Bier gegen die Kriminalitätsstatistik. Es spielte keine Rolle, dass ich einen Fallschirmsprung gemacht hatte, dass ich bei meiner ersten Skitour auf eine schwarze Piste geraten, dass ich mit dem Rucksack durch Indien gezogen war und in Manhattan mit Kakerlaken in einem besetzten Haus gewohnt hatte. Mein Mann hielt mich für leicht zerbrechlich. Er holte mich vom Zug ab und brachte mich nach Hause. Er wollte mich beschützen.

Sollte er die Straßen absuchen? Erwartete man das von ihm? Vielleicht könnte er einen Nachbarn bitten, auf die Mädchen aufzupassen. Aber wohin sollte er gehen? Suchte man normalerweise in Pubs und Bars?

Marc redete sich an diesem Abend ein, wir seien ein normales Paar. Normalität hatten wir niemals angestrebt. Wir hatten uns für einmalig gehalten. Für etwas Besonderes. Aber unnormale Dinge passieren normalen Leuten nicht. Deshalb waren wir an diesem Abend normal. Und im Rahmen dieser Normalität, in dem die alltäglichen Befürchtungen schwerer wogen als die schlimmsten Ängste, interessierte sich mein Mann vor allem dafür, was andere über uns dachten. Hinter seiner Sorge um mich machten sich banale Bedenken breit: Hielt Officer Jones ihn für albern? Meinte Paula, er würde übertreiben? Hatte er sich lächerlich gemacht?

Ich wäre natürlich nicht in einer Bar; ich trank ja nicht einmal. Bushaltestellen? Restaurants? Bibliotheken, die nachts geöffnet waren? Wir lebten in York und in der Realität, nicht in dem London, das man beim Marathonschauen einer dramatischen Staffel Spooks sieht. Wir wohnten in einer pittoresken Touristenstadt, in der die Polizei schlimmstenfalls mal ein gestohlenes Fahrrad aus dem verschmutzten Fluss fischte. Außerdem verabscheute ich die Stadt, wenn sich die gepflasterten Gassen und denkmalgeschützten Kneipen mit torkelnden Nachtschwärmern in schicken Klamotten füllten.

Er ging in die Küche und machte sich eine Tasse Tee. Al würde lachen, dachte er. Wenn sie hier wäre.

Vermutlich hätte ich eher die Augen verdreht oder die Hände in die Hüften gestemmt und ihn angesehen, als würde ich »ernsthaft?« fragen. Aber vielleicht bin ich so, wenn ich in die Defensive gehe. Unter anderen Umständen hätte ich mich wohl über meinen typisch britischen Ehemann lustig gemacht. Von hier aus ist das schwer einzuschätzen.

Zumindest schliefen Charlotte und Lizzie. Er hatte ihnen gesagt, ich müsse Überstunden machen. Gern log er sie nicht an, aber was sollte er einer Sieben- und einer Zehnjährigen schon erzählen? »Ich habe keine Ahnung, wo Mummy ist, Mädels, und ich mag mir nicht vorstellen, dass sie irgendwo tot im Straßengraben liegt, also esst schön eure Nudeln, und danach lese ich euch eine Gutenachtgeschichte vor.«

Ich lag nicht tot im Straßengraben.

Das konnte er doch nicht denken.

Diese Dinge waren nicht passiert.

Nicht hier.

Nicht uns.

Für meine Abwesenheit würde es eine vollkommen logische Erklärung geben, und morgen würden wir darüber lachen. Ich würde kreischen, dachte er, wenn ich herausbekäme, dass er bei der Polizei angerufen hatte. Das würde bei Dinnerpartys immer wieder auf den Tisch kommen: Als er damals durchgedreht ist, weil ich auf dem Sofa einer Freundin eingeschlafen war. Die Gäste würden sich vor Lachen kringeln, und er würde ordentlich rot werden und glücklich den schüchternen Narren für die weibliche Hauptdarstellerin geben. Ich kann mir immer noch eine Zukunft vorstellen, die so aussehen würde.

Aber er rief bei unseren Freunden an. Natürlich zuerst bei Patrick. Sie kennen sich seit der Uni, und Marc fragt ihn immer um Rat. Allerdings ging seine Frau Susan dran; Patrick war nicht da. Er versuchte es bei Fran und Ollie, die auch zu unserer Partyclique gehören. Patrick hatte uns alle vor Jahren miteinander bekannt gemacht, als er und Fran zusammen in derselben Praxis gearbeitet hatten, ehe Fran »Verrat beging« und einen Job in einer Privatklinik annahm. Diese Freunde haben wir jede Woche getroffen, sind mit ihnen in die Ferien gefahren, haben auf ihre Kinder aufgepasst, wenn sie Hilfe brauchten; sie waren in York unsere Familie. Marc hat es auch mit meiner alten Schulfreundin Philippa versucht, dann mit ein paar Nummern aus der Schulpflegschaft. Niemand hatte mich seit unserer Valentinsparty gesehen. Super Abend. Sag Alex, ihr Kostüm war göttlich.

Natürlich, Susan, sobald ich sicher bin, dass ihr Herz noch schlägt, erzähle ich ihr das ganz bestimmt als Erstes.

Das war nicht Susans Schuld. Er hätte sie nicht so anfahren sollen. Aber man kann sich drauf verlassen, dass sie immer die Optimistin gibt und noch das lächerlichste Drama herunterspielt. Er hat sich vorgenommen, sich bei ihr zu entschuldigen, sobald die Sache vorbei ist.

Vorbei.

Trotz seiner Panik konnte er noch klare Gedanken fassen. Die schlimmsten Dinge im Leben und die fürchterlichsten Albträume passieren nicht alle auf einmal. Sie schleichen sich an, nisten sich nach und nach in unseren Köpfen ein und bohren sich langsam hinein, sodass wir, wenn sie endlich wahr werden, fast schon das Gefühl haben, wir würden sie gut kennen. Wenn mein Mann eine Ahnung gehabt hätte, welches Grauen ihm noch bevorstand, hätte er die Nacht nicht überlebt. Im Augenblick klammerte er sich an die Hoffnung.

Das Wasser kochte, aber er wollte keinen Tee mehr. Er wollte, dass seine Frau nach Hause und mit ihm ins Bett kam. Er gähnte. Er war früh aufgestanden, um noch Klausuren zu korrigieren. Er hatte es gestern Abend nicht mehr geschafft, und die Mädchen wollten ein Gesellschaftsspiel machen. Ich weiß noch, wie ich geschmollt habe, weil er sich mit Charlotte zusammengetan hat. Sie haben fies gegrinst und eine Verteidigungsstrategie ausgeheckt, bei der sie sich gegenseitig Küsschen und zusätzliche Marshmallows im heißen Kakao versprochen haben. Ich habe die Unterlippe vorgeschoben und mit den Wimpern geklimpert, als müsse ich Tränen zurückhalten. Mir fiel Chars neue Zahnlücke auf, als sie grinste, und Lizzie kratzte ständig am Schorf auf ihrem Schienbein. Marc hatte ein Loch in der Socke, hinten an der Ferse, und die Husse des Stuhls saß schief, weil sie zu hastig übergezogen worden war. Der Druck von Paul Nash hing nicht ganz gerade an der Wand. Die Mädchen wollten nicht ins Bett, aber ich habe sie überredet wie schon tausend Mal zuvor. Dann bin ich in Marcs Lieblingsnachthemd nach unten gekommen und habe auch ihn überredet.

Jetzt schlich er nach oben und sah nach den Mädchen. Charlotte lag quer und auf dem Bauch im Bett. Die Pixardecke hatte sie weggestrampelt, und der braune Bär – Puddles, dreimal verloren, einmal ersetzt, abgewetzt und zerknuddelt – hockte auf der Kante und drohte hinunterzufallen. Marc ging leise ins Zimmer, hob die Bettdecke auf und deckte unsere Tochter zu. Puddles brachte er neben Chars Kissen in Sicherheit, dann strich er ihr über das dunkle Haar und ging hinaus. Er schlich zu Lizzies Zimmer und machte die Tür einen Spaltweit auf. Unsere Älteste hatte sich zusammengerollt und atmete gleichmäßig im oberen Bett. Das Gesicht hatte sie ihm zugewandt, und er öffnete die Tür ein wenig weiter, damit mehr Licht hineinfiel. Er schaute zu, wie ihre Augen im Schlaf zuckten, wie sich die Lippen stumm bewegten. Sie sah aus wie ich. Obwohl sie Marcs hellen Teint hatte und alle immer sagten, Char wäre mir wie aus dem Gesicht geschnitten und Lizzie ihm, als hätten sich unsere Gene sauber verteilt und jedem eine Tochter zugeordnet, finde ich mich in Lizzie auch wieder, in ihrem runden Gesicht und dem Schwung ihrer Lippen.

Marc schloss die Tür und ging nach unten. Was sollte er jetzt tun? Er setzte sich und stand wieder auf. Er ging aus dem hell erleuchteten Wohnzimmer in den mit Schuhen vollgestellten Flur und weiter in die Küche, in der es nach chinesischem Essen roch. Erneut wählte er meine Handynummer. Vor einer Stunde hatte er im Krankenhaus angerufen, wo man mich nicht aufgenommen hatte. Konnte er jetzt schon wieder anrufen? Er schaltete den Fernseher ein, aber hörte nur wie durch einen Tunnel zu. Er wollte bloß eins hören: das Klirren meines Schlüssels an der Haustür.

         //         

Ich sollte eine Sache klarstellen, ehe ich fortfahre. Ein großer Teil von dem, was ich schreibe, ist definitiv nie passiert. Schließlich war ich offensichtlich nicht dabei. Ich wurde vermisst. Ich war verschwunden. Deshalb kann ich gar nicht wissen, ob Marc sich Wasser aufgesetzt, aber gar keinen Tee aufgegossen hat. Ich weiß auch nicht, welche Gedanken ihm durch den Kopf gegangen sind in der Nacht, in der ich nicht nach Hause gekommen bin.

Allerdings weiß ich nicht, wie ich diese Geschichte erzählen soll, ohne mir bestimmte Details auszumalen. Und ich kenne meinen Mann. Er ist der Typ durchschaubarer Mann. So wie man mich gern als flatterhaft und impulsiv beschreibt, ist Marc ein guter, ehrlicher Mensch, bei dem man sich darauf verlassen kann, dass er bestimmte Dinge tut. Er ist ein Mann, der es nicht verdient hat, das alles durchzumachen.

Deshalb hoffe ich, Sie verzeihen mir meine Schwäche. Ich will niemanden täuschen. Mir wurde erlaubt, die Bänder anzuhören. Dabei bleibt unklar, ob das ein Akt der Gnade oder eine Form der Strafe ist. Doch alle bekannten Fakten kenne ich. Zum Beispiel habe ich die Aufnahme von Marcs Telefongespräch mit Officer Jones gehört. Und ich habe den Kreditkartenbeleg für das bei Monkey King bestellte Essen gesehen. Ich habe sie in jeden Stuhl in unserem Haus gesetzt und mir vorgestellt, welches Geschirr sie benutzt haben könnten, ich habe gesehen, wie Charlotte mit ihren Essstäbchen gespielt und Lizzie die Zwiebeln herausgepickt hat, bis ich es nicht mehr ertragen konnte.

Ich habe jedoch kaum eine Wahl. Ständig stellt er mir Fragen und fordert mich auf, mich zu erinnern und mir vorzustellen, was außerhalb dieser vier Wände passiert ist. Seine Motive sind mir unklar. Vielleicht spielt er nur mit mir und hofft, mich in den Wahnsinn zu treiben, indem er mich zwingt, die Qualen meiner Familie zusätzlich zu meinen eigenen zu ertragen. Ich würde ihn dazu bringen, sagt er.

»Jeder hat seine Grenzen«, sagt er, und ich sehe sein Lächeln. Darauf geht er richtig ab. »Ich will Ihnen nur helfen, mit Ihrer Situation zurechtzukommen«, sagt er. Der Situation, für die er verantwortlich ist.

Am Anfang habe ich mich widersetzt und ihm gesagt, er könne mich mal. Aber ich habe sonst nichts zu tun und niemanden, mit dem ich reden kann. Also habe ich angefangen, seine Fragen zu beantworten. Welche Motive er auch haben mag, ich bin bereit für diese Geschichte aus Halbwahrheiten und Dingen, von denen ich wünschte, sie wären erfunden. Ich gehe seit meinem Verschwinden meinen Weg durch Marcs Leben. Zwar habe ich wenig Hoffnung, dass mich das retten wird, aber die Ablenkung tröstet mich. Wenn ich in diese Geschichte schlüpfen und dortbleiben könnte, würde ich es tun.

Manches weiß ich aus erster Hand. Dass mein Mann an dem Tag ein zerknittertes, hell gestreiftes Hemd trug, bei dem zu viele Knöpfe offen standen. Er hat zwei ähnliche. Diesmal trug er das mit den braunen Streifen. Ich habe ihm an dem Morgen zugeschaut, wie er es zuknöpfte, und den Streifen dunklen Haars zwischen Nabel und Gürtel betrachtet. Ich wollte ihn noch ein bisschen im Bett behalten, aber er dachte schon an den Tag, der vor ihm lag. Ein Bügelbrett stand zwischen Schrank und Wand, aber wie gewöhnlich bemerkte Marc seine zerknitterte Erscheinung gar nicht, und ich hatte ihm das Bügeln nicht angeboten.

Zu dem Hemd trug er dunkelblaue Jeans und braune Slipper, wobei ich mir allerdings vorstelle, dass er sie gegen Pantoffeln getauscht hat, als er nach Hause gekommen ist. Bevor ich Marc kennengelernt habe, hatte ich nie Pantoffeln, doch er war in einem Haushalt aufgewachsen, in dem man die Schuhe an der Tür auszog und gegen Schlappen tauschte, die an der Heizung aufgewärmt worden waren. Ein Teil von mir hätte unser Haus auch gern in so einen Ort verwandelt.

Das Haar hat er sich an dem Morgen frisch gewaschen, es dürfte also noch nach Himbeeren gerochen haben, aber es war ein wenig zu lang, nachdem er es dieses Wochenende wieder nicht geschafft hatte, sich einen Termin zu machen. Wenn alles gelaufen wäre wie immer, hätte ich ihn am Samstagmorgen zum Friseur gebracht und verlangt, dass sie es deutlich kürzer schneiden, als er es mag, und zwar mit dem Argument, dass er dann ein paar Wochen länger warten könne, ohne dass er mein Gemecker ertragen müsse. Das wäre nur halb im Scherz gemeint gewesen. Er hätte die Augen verdreht, aber zugestimmt, und später wäre ich ihm mit der Hand durch die gestutzten Locken gefahren, hätte ihn auf den Mund geküsst und gestaunt, wie attraktiv ich ihn finde, wenn er ein bisschen auf sich achtet.

Diese Geschichte, die ich erzählen muss, ist jedoch mehr als nur eine Sammlung von Fakten. Sie geht auch über die Schocker aus dem »wahren Leben« hinaus, über die man in den Zeitungen liest, und auch über die Enthüllungsgeschichten der Hochglanzmagazine. Ich habe keinen Grund, das, was passiert ist, schönzufärben oder schlechtzureden. Denn ich habe längst alles verloren. Ich lebe in vier Wänden. Ich wurde gefesselt und betäubt. Ich habe keine Hoffnung auf Rettung. Ich habe nur noch dies, so viel ist mir klar geworden. Und deshalb ist diese Geschichte, obwohl ich die Ereignisse nicht kenne, weil ich nicht dabei gewesen sein kann, ehrlicher als die Polizeiberichte und die Zeitungsartikel. Wenn die Geschichte also vielleicht nicht hundertprozentig den Tatsachen entspricht, so ist sie immerhin sehr menschlich.

1998

FREITAG, 28. AUGUST

Ich weiß noch, dass es geregnet hatte, aber dann war die Sonne herausgekommen. In der Luft lag diese Frische, dieser bizarre Optimismus über dem leeren Campus. Die Studenten hatten sich für den Sommer nach Hause aufgemacht und das Feld den Gänsen und Verwaltungsmitarbeitern überlassen. Ich weiß nicht, warum ich eigentlich dort gelandet war – in einer Wikingerstadt mit Kathedrale aus dem dreizehnten Jahrhundert, einem Fluss und einem historisch interessanten Bahnhof –, und ich war den ganzen Weg zu diesem Schandfleck aus den Sechzigern gelaufen, dem Universitätscampus. Damals hegte ich York gegenüber sehr gemischte Gefühle; der Eindruck, an dem Ort, an dem ich aufgewachsen war, zu ersticken, löste sich langsam in eine eigenartige Nostalgie auf. Ich fotografierte Regentropfen, die in den verpesteten See fielen, und Wolken, die vor den Betonflächen flohen. Jetzt hockte ich da, während meine Schenkel vor Anspannung zu zittern anfingen, und bemühte mich, das Objektiv ruhig zu halten und die Taube im Stillen zu beschwatzen, die Flügel vor der seltsamen Wendeltreppe in die richtige Richtung auszustrecken, damit ich ihre Spiegelung in der Pfütze einfangen und damit den Bildaufbau aufwerten könnte.

»Äh, Verzeihung.«

»Augenblick«, antwortete ich, ohne aufzusehen. Die Stimme klang zögerlich, unsicher, als wollte sich die Person entschuldigen, weil sie mich aus dem Weg drängeln musste. Ich hockte genau vor dem Eingang, glaube ich, und hielt die Automatiktür offen, während ich die Blende einstellte.

»Ich muss nur schnell vorbei«, meldete sich die Stimme erneut, jetzt offensichtlich schon ein bisschen gereizt.

»Sofort.« Ich hatte schon ein halbes Dutzend Fotos gemacht, aber ich wusste, keins war wirklich etwas geworden. Dann stand die dumme Taube plötzlich richtig, und ich drückte den Finger durch. Meine Kamera klickte, und der blöde Vogel flatterte davon. »Erwischt!« Ich richtete mich auf, setzte den Deckel auf das Objektiv und drehte mich um. »Tut mir leid. Ich meine, danke fürs Warten.«

»Gern geschehen«, antwortete er und erwiderte das Lächeln. »Ich heiße übrigens Marc.«

Oh. Das hatte ich nicht erwartet. Bevor ich auch nur darüber nachgedacht hatte, gab ich zurück: »Äh, hallo, Übrigens-Marc«, und streckte ihm die Zunge raus. »Ich heiße Übrigens-Alex.«

Er wurde rot, und ich fühlte mich mies. Ich schaute mich nach einem Ablenkungsmanöver um und entdeckte schließlich den Stapel Bücher, den er aus der Bibliothek schleppte. »Ups, die sehen aber schwer aus«, sagte ich. »Tut mir echt leid.«

»Ach, kaum der Rede wert«, antwortete er, aber angesichts der unterentwickelten Bizepse, die aus seinen T-Shirt-Ärmeln lugten, war das eine Lüge.

»Kant, Rousseau und Hegel«, las ich die ersten drei Buchrücken. »Eine leichte Sommerlektüre.«

»Äh, ja.« Er trat von einem Fuß auf den anderen. »Ist wohl nicht gerade sehr aufregend, dieser erste Eindruck.«

Ich lachte und schüttelte den Kopf. »Nein, ist okay, du musst nur aufpassen, dass du in diesem Dunst von Männlichkeit nicht verloren gehst. Vielleicht sollte ich dir als Gegenmittel ein paar feministische Theorien verschreiben.«

Marc lächelte und errötete erneut. »Studierst du?«, fragte er.

»Gewissermaßen.« Ich zuckte mit den Schultern. »Nicht hier. Und nicht, indem ich Bücher aus der Bibliothek schleppe.«

Marc runzelte die Stirn. Sein Blick schweifte von mir zu etwas in der Ferne über meiner rechten Schulter. Keiner sagte ein Wort oder machte Anstalten, sich zu bewegen. Der Grund, weswegen er es so eilig gehabt hatte, aus der Bibliothek zu kommen, war vergessen.

»Tut mir leid, wenn das irgendwie komisch klingt«, sagte er schließlich und sah mich wieder an. »Aber hast du Lust auf eine Tasse Tee? Dann könntest du mir ja erzählen, was ich stattdessen lesen sollte.«

Ich nahm ihn unter die Lupe und vermutete, dass er überhaupt kein Professor war. Für einen gewöhnlichen Studenten war er aber zu alt. Wo kam diese Frage plötzlich her? War er die Sorte Kerl, die in einem günstigen Moment ihr Glück versuchte? Oder war er tatsächlich so ein trotteliger Bücherwurm, wie es auf den ersten Blick erschien? Wollte er tatsächlich von mir hören, er solle Beauvoir und Arendt lesen, oder verließ er nur einfach mal seine Komfortzone und wollte sich ausgerechnet mir anbieten? Seine Wangenfarbe wechselte von Rot zu Purpur, und ich stellte mir diesen Milchbubi als Holzdübel vor, der mit einem Kinderhammer eingeschlagen wird. Ich war dabei natürlich das hammerschwingende Kind. Dieser Mann, dachte ich, hatte vermutlich als Junge dem Fiesling aus der Nachbarschaft Spielzeug, Taschengeld und Süßigkeiten angeboten, um ihn als Freund zu gewinnen. Ich bin nicht stolz darauf, aber zu solchen Kids war ich damals richtig gemein.

Ich unterdrückte ein schamhaftes Lachen und hörte mich sagen: »Warum nicht? Ich bin dir was schuldig, weil du so geduldig warst, während ich das Foto gemacht habe.«

Ich betrachtete die Fältchen um seine blauen Augen, als er erleichtert lächelte. Dann stellte ich mir vor, wie ich mit der Zunge über die Stoppeln auf seinem Kinn leckte und meine Nase in den Hautfalten vergrub. Ich räusperte mich, sah in Richtung Bibliothek, dann auf den Bücherstapel. »Kann ich dir was abnehmen?«

FREITAG

VIERZEHN STUNDEN VERSCHWUNDEN

Marc würde sich gefragt haben, ob es richtig sei, aber er brachte die Mädchen zur Schule.

»Warum macht Mummy nicht das Frühstück?«, hatte Lizzie wahrscheinlich morgens gejammert. »Du tust zu viel Milch rein, und dann werden die Cornflakes ganz matschig.«

»Mummy musste heute Morgen ganz früh los, Sweetie.« Die nächste Lüge. »Hier, mach es selbst mit der Milch.«

»Wo ist mein Mathebuch?«, höre ich Charlotte von oben brüllen.

»Wo du es hingelegt hast!«, schreit Lizzie zurück.

Mit halbherzigen Drohungen wird er sie hinausgescheucht haben; Lizzie vermisst einen Handschuh, und Charlotte beschwert sich, dass ihr Lehrer sie umbringen wird. Mein Mann wird zusammengezuckt sein, als er das aus ihrem Milchzahnmund hört; ungewollt sieht er mich vor sich, während er in den grauen Morgen blinzelt: fein säuberlich in Stücke zerhackt, voller Blut und Schmutz.

Sie wären also durch die Reihenhaussiedlung zur Schule gegangen. Lizzie hätte vielleicht darüber geredet, dass der Netball-Klub wieder anfange. Charlotte könnte erwähnt haben, dass sie eine neue Turnhose brauchte. Marc hätte genickt und etwas erwidert, sich aber gleichzeitig Gedanken gemacht, weil er nicht am Telefon saß. Er hätte in jeden Wagen gesehen, der vorbeifährt, und sich von einem verrückten Aberglauben tyrannisieren lassen, dass ich bestimmt in demjenigen sitze, den er verpasst. An der Ampel wären sie stehen geblieben. Charlotte hätte auf der anderen Seite einen Klassenkameraden gesehen und versucht loszulaufen. Marc hätte sie zurückgerissen. Die Angst hätte ihm die Umwelt wieder ins Bewusstsein gebracht. Er hätte unsere Tochter angeschrien, und seine natürliche Neigung zum Überbehüten wäre an diesem ungewöhnlichen Morgen in einer Überreaktion gemündet. Charlotte hätten die Tränen in den Augen gestanden.

»Dad, da ist doch gar nichts gekommen«, hätte Lizzie sich beschwert, einerseits, weil ihr die Situation peinlich war, andererseits, um ihre Schwester zu verteidigen.

Schließlich wäre die Ampel umgesprungen, und sie hätten die Straße überquert. Am Bordstein hätten sich unsere Mädchen von ihm gelöst und wären durch das breite Tor zu den schwatzenden Kindern in Uniformen vor der Treppe gelaufen. Er hätte noch einen Moment gewartet, bis sie hineingegangen wären, weil er sich wünschte, sie würden sich umdrehen, ihren Dad anlächeln und ihm so versichern, dass er nicht allein war. Hinter dem letzten Kind hätten sich die Türen geschlossen, und er hätte sich mit den anderen Eltern vom Tor abgewandt, um den eigenen Tag zu beginnen. Einigen Müttern, die er kannte, hätte er zugenickt und dann wieder an der Ampel gewartet, wobei er ihnen am liebsten in die Meetings und Yogakurse, Büros und Buchklubs gefolgt wäre.

»Sie sprechen mit der North Yorkshire Police. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?« Im Hintergrund das Stimmengewirr eines Büros, klingelnde Telefone, erteilte Anweisungen. Die Aufnahme ist schlecht, aber man merkt, dass sich mein Mann getröstet fühlt. Sie werden etwas unternehmen, denkt er; sie werden helfen.

»Ähm, hallo. Ich, äh, ich habe gestern Abend angerufen, weil meine Frau, na ja, sie ist nicht nach Hause gekommen.« In den vergangenen vierzehn Stunden hat er an nichts anderes gedacht, aber die Worte fühlen sich immer noch komisch auf der Zunge an. Man hört sein Zögern auf der Aufnahme und merkt, wie irreal er das alles findet. »Mir wurde mitgeteilt, man würde mich heute Morgen anrufen, aber ich dachte, vielleicht wurde das vergessen, und ich mache mir wirklich Sorgen. Ich kann sie einfach nicht erreichen und …«

»Okay, Sir«, antwortet die ausgebildete Stimme. »Sagen Sie mir bitte Ihren Namen.«

Er gibt ihn ihr durch, und sie ruft das Protokoll seines vorherigen Anrufs auf. Sie fragt, ob er irgendwelche Neuigkeiten habe und sie gehen noch einmal durch, dass er nichts weiß. Er ist enttäuscht, als sie fragt, ob dieses Verhalten »untypisch« für mich sei, ob wir uns gestritten hätten, ob ich das schon einmal gemacht hätte. Man hört, wie er tief Luft holt und überlegt, ehe er spricht. Natürlich ist das verflucht untypisch – sonst würde ich ja wohl nicht bei der Polizei anrufen, ja? Schließlich fragt sie nach unserer Adresse und sagt, sie werde jemanden schicken, der eine Befragung durchführen werde. Der Kollege werde mittags zu ihm kommen. Marc solle in der Nähe des Telefons bleiben und sich möglichst detailliert in Erinnerung rufen, wo ich zuletzt gewesen sei.

»Machen Sie sich keine Sorgen«, sagt die Frau. »Wir tun unser Bestes, um Ihre Frau zu finden.«

Die Aufnahme ist zu Ende. Ich stelle mir vor, dass sie eher aufgelegt hat als er. Ich stelle mir vor, wie er mit dem Hörer in der Hand dasaß und das Freizeichen die Stimmen in seinem Kopf übertönte. Er hatte nicht herausgefunden, wie es jetzt weitergeht. Er sollte am Telefon warten, aber er konnte auch nicht einfach nur so rumsitzen und nichts tun. Am Tag zuvor war er noch ein kompetenter, funktionierender Mann gewesen: relativ gut angezogen, glücklich verheiratet mit leichter Midlife-Rebellion; zufrieden mit der Karriere; verschossen in seine Töchter. Heute war er nur noch ein Schatten seiner selbst, der nicht die eine Sache regeln konnte, die ihm wirklich wichtig war. Sonst unterrichtete er Studenten, führte Personal, jonglierte mit Dienstplänen und verhandelte mit Herausgebern, und plötzlich war er der Gnade von Beamten und Bürohengsten ausgesetzt. Er ballte die Fäuste, als ihm eines klar wurde: Er konnte nur noch auf ein paar Kerle in Uniform hoffen und darauf, dass die schafften, wozu er nicht in der Lage war. Er sah an sich hinunter auf sein Hemd und seine Jeans und war von sich angewidert wie ein Mann, der Bücher Muskeln vorgezogen hat, ein Intellektueller, der sich hilflos fühlte, wenn er an Bauarbeitern und heulenden Feuerwehrwagen vorbeiging. Er hat mir nie geglaubt, dass ich seine Sensibilität mochte, das Nichtvorhandensein von klischeehafter Männlichkeit. Ich habe einen Mann verdient, dachte er, während er in unserem Wohnzimmer saß, das Telefon noch in der Hand, mein Magazin auf dem Tisch. Einen richtigen Mann, der hinaus in die Welt gehen und mich, die ohnmächtige Schönheit, auf den muskelbepackten Armen nach Hause tragen würde.

         //         

Detective Inspektor Jones kam kurz vor Mittag. Er war ein Stück kleiner als Marc, vielleicht einen Meter fünfundachtzig. Und jünger. Irgendwo jenseits der dreißig. Glatt rasiert. Kurzes dunkles Haar. Kein Ring.

»Mr. Southwood?«, fragte er und streckte die Hand aus. Marc ergriff sie und fragte sich, ob er ihm sagen sollte, dass er Dr. Southwood war.

Marc führte ihn ins Wohnzimmer, und ihm entging nicht, wie der Polizist die Einrichtung musterte. Schätzte er uns ein, nahm er eine professionelle Einordnung von Finanzlage und Klasse vor, von Lebensweise und statistischer Wahrscheinlichkeit eines Vermisstenfalls, oder hatte er tatsächlich Interesse an Innenarchitektur?

»Schön, Mr. Southwood«, sagte DI Jones, schlug eine Akte auf und zog die Kappe von dem Kugelschreiber, mit dem er die Notizen machen würde, die ich gelesen habe. »Wenn ich recht verstehe, wurde Ihre Frau nicht mehr gesehen, seit sie gestern ihre Arbeitsstelle verlassen hat. Ist das korrekt?«

Mein Mann nickte. DI Jones erklärte, dass nach seinen Richtlinien empfohlen werde, eine Vermisstenanzeige erst zweiundsiebzig Stunden nachdem die Person zum letzten Mal gesehen worden sei aufzunehmen, doch angesichts der Umstände würden sie die Anzeige vorziehen. Marc zog zweifelsohne die Augenbrauen hoch, und DI Jones fügte eilig hinzu: »Deswegen sollten Sie sich keine Sorgen machen. Bisher haben wir keine Anhaltspunkte dafür, dass Alexandra etwas zugestoßen ist. Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme.«

»Irgendetwas muss mit ihr passiert sein«, gab Marc zurück. »Sonst wäre sie ja nach Hause gekommen.«

DI Jones, so stelle ich mir vor, hat geschluckt und seine Worte mit Bedacht gewählt. »Also, ja, aber aller Wahrscheinlichkeit nach gibt es eine einfache Erklärung, und bis morgen um diese Zeit werden wir den Fall abgeschlossen haben.«

»Glauben Sie?« Wenn Marc ein Hund wäre, würde er mit der Rute wedeln. Irgendwie konnte er immer noch nicht fassen, was hier geschah, und deshalb musste es ein Traum sein, ein Albtraum, aus dem er erwachen könnte und meinen heißen, lebendigen Körper neben sich auf der Matratze finden würde. Der skeptische Teil seines Ichs löste sich von ihm und schwebte unsichtbar unter der Zimmerdecke, blickte auf ihn herab und verspottete seine armselige, hoffnungsvolle Ernsthaftigkeit.

»Ich kann Ihnen nichts versprechen, aber statistisch gesehen stehen die Chancen gut, dass Alexandra wieder auftaucht, ehe das Wochenende vorbei ist«, sagte DI Jones.

»Und wenn jemand sie festhält?«, platzte mein Mann heraus und unterwarf sich dieser Ernsthaftigkeit.

Langsames Ausatmen durch die Zähne. »Ich weiß, über Entführungen wird in den Medien oft umfangreich berichtet, Mr. Southwood, und ich weiß, Sie machen sich große Sorgen, aber solche Vorkommnisse sind selten, und die Umstände der meisten Vermisstenfälle sind überhaupt nicht verdächtig. Ich kann Sie daher nur bitten, die Ruhe zu bewahren und sich zu bemühen, sich alle Details in Erinnerung zu rufen.«

Marc nickte und verzog den Mund entschuldigend. Er versuchte, Worte hervorzubringen und seine wirren Gedanken zu sammeln. Das ist vielleicht ein Albtraum, mahnte er sich, aber garantiert kein Traum. Nach einem Räuspern bemühte er sich, mit DI Jones auf Augenhöhe zu sprechen. »Wie gibt man eine Vermisstenanzeige auf?«

DI Jones stellte zunächst Ja-Nein-Fragen. Nach schlichten Einzelheiten. Trotzdem sah ich Marc vor meinem inneren Auge, wie er in die Ecke des Wohnzimmers starrte und das Muster des Frieses studierte und sich fragte, wie er sich in dieser Situation verhalten sollte. Er verspürte den Drang, seine Persönlichkeit zu bestätigen, sich selbst als Individuum zu definieren und nicht als statistischen Wert. Am liebsten hätte er DI Jones erzählt, dass er Bücher möge, aber mit zwanzig auch an Autos gebastelt habe, dass sein Lieblingsgericht Dhansak mit Lamm sei und dass er mein Shampoo nur deshalb benutze, weil es besser rieche. Er wollte ihm von Lizzies Gedichtpreis erzählen und davon, wie er sich mit Charlotte Monty-Python-Zitate zuwerfe, seit er ihr vor einem Monat die Serie gezeigt habe; dass wir letztes Wochenende Läusealarm gehabt hätten und dass er glaube, die Regenrinne über der Gartentür müsse gesäubert werden. Aber wenn das jetzt falsch wäre? Wenn es einen Typ Mann gäbe, den DI Jones bei einem routinemäßigen Vermisstenfall erwartete? Wenn er nicht ins Raster passte?

DI Jones fragte, ob ich in den vergangenen Wochen in Streits oder Meinungsverschiedenheiten verwickelt worden sei oder ob Marc irgendetwas Ungewöhnliches bemerkt habe.

Marc schüttelte den Kopf. »Alex hat es gern, wenn die Leute sie mögen«, sagte er. »Falls so etwas passiert wäre, hätte sie es mir erzählt. Sie macht sich schon Gedanken, wenn der Briefträger nicht zurückgrüßt.«

»Besteht Grund zu der Annahme, dass Alexandra sich etwas antun könnte?«, fragte DI Jones.

»Gott, nein«, sagte Marc. »Was ist das denn für eine Frage? Sie ist glücklich, wir sind glücklich. Wir haben zwei Kinder.«

Er wurde daran erinnert, dass die Ermittlung umso gründlicher sein würde, je mehr Fragen sie durchgingen. Marc murmelte eine Entschuldigung.

Er wurde gefragt, wie viel ich tränke, ob ich Drogen nehme. Marc hätte fast gelächelt. »Seit unserem Hochzeitstag hatte sie keinen Drink mehr. Und Drogen würde sie niemals nehmen.«

DI Jones blickte auf. »Sie trinkt überhaupt nie?«

Marc schüttelte den Kopf. »Ihre Mutter war Alkoholikerin.« Er schaute zu, wie DI Jones etwas aufschrieb, und fragte sich, ob er das nicht hätte erwähnen sollen. »Alex hatte nie ein Problem«, fügte er hinzu. »Sie hat einfach nur mit angesehen, was der Alkohol mit ihrer Mutter und der Familie angerichtet hat. Das sei es nicht wert, sagte sie.«

»Okay«, sagte DI Jones. »Braucht sie irgendwelche Medikamente?«

»Sie nimmt die Pille«, sagte Marc und bekam heiße Wangen. Wir waren seit dreizehn Jahren verheiratet, aber mein feinfühliger Gemahl war immer noch verlegen, wenn er einräumen musste, dass wir manchmal Sex hatten. »Mehr nicht.«

DI Jones hat hier Einzelheiten hinzugefügt. Er muss gefragt haben, ob Marc vielleicht nachschauen könnte, ob die Pillenpackung noch im Haus sei. Marc eilte die Treppe hoch und suchte den Nachttisch ab. Als er wieder herunterkam, war DI Jones aufgestanden und inspizierte das Bücherregal mit den verstaubten Fotos, der Nagelschere und den Kieselsteinen, die wir von längst vergessenen Stränden mitgebracht hatten. Er nahm meine sorgfältig beschriftete Pillenpackung, warf nur einen flüchtigen Blick auf die ausgedrückten Tage, bei denen der heutige, noch nicht eingenommene Freitag auffiel, und fragte, wer mich als Letztes gesehen habe. Marc berichtete von Paula und ging noch einmal los, um mein Adressbuch zu suchen – ein letzter, hilfreicher Rest meiner Technikaversion, wie sogar er einräumen musste.

DI Jones hatte sich wieder gesetzt. Er wartete, bis auch Marc saß. »Jetzt möchte ich Sie bitten, so detailliert wie möglich zu antworten, denn alles kann relevant sein. Könnten Sie beschreiben, wann Sie Ihre Frau zum letzten Mal gesehen haben und welchen Eindruck sie zu dem Zeitpunkt gemacht hat?«

Marc erzählte ihm, er habe mich am Morgen zuvor gesehen. Mit mir sei offensichtlich alles in Ordnung gewesen. Er erzählte, dass die Mädchen für die Schule fertig gemacht worden seien, wir über einen möglichen Urlaub gesprochen und uns verabschiedet hätten, ehe ich mit dem Fahrrad zum Campus gefahren sei. »Ein ganz normaler Tag.«

»Erinnern Sie sich, welche Kleidung Alexandra trug?«

Marc dachte nach. Jeans und einen schwarz-weißen Pullover.

»Und hatte sie einen Mantel an?«

»Einen blauen Wollmantel mit Kapuze. Lizzie und Charlotte haben fast die gleichen. Sie finden es lustig, die gleiche Kleidung zu tragen.«

»Danke«, sagte DI Jones und blickte nicht von seinem Notizblock auf. Marc wusste in diesem Augenblick, dass er der Polizei nichts darüber erzählen würde, wie er Lizzies Teddy eingepackt hatte, als wir ohne sie nach Paris gefahren sind, und wie wir am Clifford’s Tower Rad geschlagen haben, ohne dass ich das kleinste bisschen Alkohol im Blut hatte, über die Liebesbriefe, die ich ihm als Papierflieger auf den Schreibtisch geworfen habe, und über meine impulsiven Ansprüche, überrascht, unterhalten und bewundert zu werden. Alles könnte wichtig sein, hatte er gesagt, doch viele Dinge, die Marc am meisten an mir liebte, fühlten sich so fragil an, als könnte die bloße Erwähnung ihre Magie zerstören. Der Mann vor ihm würde vielleicht entscheiden, ich sei eigenartig oder sogar unberechenbar. Er hätte nicht verstanden, dass Marc mich kannte und dass wir in einer ganz eigenen Welt lebten.

»Hat sie besondere Kennzeichen: Narben, Tätowierungen, Piercings?«, erkundigte sich DI Jones.

»Sie hat Ohrlöcher«, sagte mein Mann. »Und eine Tätowierung auf dem linken Schulterblatt. Eine welkende Sonnenblume, wie die von Van Gogh. Hat sie sich zu Unizeiten stechen lassen.« Marc dachte an mein Tattoo und daran, wie er meine Beine spreizte, um meinen Rücken zu massieren, wie er seine Lippen auf meine Haut drückte. Dann tauchte ein Bild von der in Plastikplane gewickelten Laura Palmer in Twin Peaks auf, die eine anonyme Hand umdreht und meine welkende Sonnenblume aufdeckt. Marc schlug die Hand vor den Mund, und ihm stockte der Atem. Wir hatten die alte Serie letztes Jahr noch einmal gesehen, jeden Abend eine Folge, spät, wenn die Mädchen im Bett waren, hatten Händchen gehalten und uns nostalgisch angelächelt.

»Alles in Ordnung, Mr. Southwood?« DI Jones kniff die Augen zusammen.

Marc nickte und senkte die Hand. »Eigentlich heißt es Doktor«, sagte er.

DI Jones blickte ihn kurz an. »Entschuldigung.«

Dann gingen sie mein Geburtsdatum durch, Größe, Gewicht und ethnischen Hintergrund. DI Jones fragte, ob wir religiös wären und ob meine Eltern in der Nähe wohnten. Marc antwortete, ich sei auf eine katholische Schule gegangen, mein Vater sei vor zehn Jahren gestorben, und meine Mutter lebe im Südwesten, leide aber an einer Demenz in fortgeschrittenem Stadium.

DI Jones lächelte. »Könnte Ihre Frau vielleicht einfach nur ihre Mutter besuchen?«

Marc schüttelte den Kopf. »Nicht, ohne mir Bescheid zu sagen. Die Beziehung der beiden ist nicht sehr gut. Al fährt ein paarmal im Jahr hin, findet es aber richtig anstrengend. Ihre Mutter reagiert nicht gut auf Änderungen im Tagesablauf, deshalb würde sie nicht einfach so dort auftauchen.«

»Wir müssen dem trotzdem nachgehen«, sagte DI Jones. Er rutschte auf dem Sitz nach vorn. »Haben Sie aktuelle Fotos, die ich mitnehmen könnte?«

Marc bemerkte, dass er DI Jones nicht leiden konnte, ihm eigenartigerweise jedoch trotzdem gefallen wollte. Er holte seinen Laptop aus der Tasche im Flur.

»Wir hätten auch gern ein paar Gegenstände von Alexandra – ihre Haarbürste, Zahnbürste und Kleidung, die sie kürzlich getragen hat. Außerdem brauchen wir Informationen über ihre Bankkonten und ihren Handyvertrag sowie ihren Führerschein und ihren Pass.«

Während sich DI Jones durch unsere Familienfotos klickte, ging Marc nach oben und sammelte die erbetenen Gegenstände ein, wobei er, wie angewiesen, Handschuhe trug. Unser Heim fühlte sich an wie ein Tatort. Er nahm eine Tüte aus dem Kleiderschrank und packte meine Sachen ein. Er wühlte im Wäschekorb und holte sogar meine Unterwäsche heraus. Er legte mein Make-up und meine Bürste in meinen Kulturbeutel und ging hinunter ins Arbeitszimmer. Dort nahm er einige Papiere von meinem Schreibtisch und zog den letzten gelben Zettel ab, den ich auf seine Tastatur geklebt hatte – ein schiefes Kugelschreiberherz mit dem Wort »Mundwasser« –, und stopfte alles in die Tüte. Er zog unsere Aktenschublade auf und suchte meine Kontoauszüge und den Führerschein, den ich nie benutzte. Er holte auch den Ordner mit der Aufschrift »Pässe« heraus, aber der war leer. Deshalb tastete er hinten unter den Ordnern herum und überprüfte, ob die Pässe vielleicht dazwischengerutscht waren, und blätterte dann eilig alle anderen Ordner durch. Verwirrt drehte er sich zu meinem Schreibtisch und suchte unter Büchern und Festplatten, ging meine chaotischen Ablagekörbe durch und sah hinter meinem Monitor nach. »Verdammt, Al«, zischte er. Panik stieg in ihm auf.

Unten überreichte er DI Jones die Tüte und schaute zu, wie der jeden Gegenstand in den Kästchen seines Formblattes ankreuzte. »Haben Sie ihren Pass?«, fragte er schließlich.

»Der ist nicht an seinem Platz«, sagte Marc.

DI Jones sah ihn ausdruckslos an.

»Meiner ist auch nicht da«, fügte Marc eilig hinzu, »und die der Mädchen auch nicht. Ich meine, irgendwo müssen sie ja sein. Haben Sie Kinder? Dann wissen Sie ja, wie das ist.« Er deutete auf unser nicht so fürchterlich aufgeräumtes Haus.

DI Jones schaute sich nicht um. Marc errötete, weil Jones ihn mit dem Blick fixierte.

»Vermutlich hat Al etwas für den Sommer geplant«, sagte Marc. »Vielleicht hat sie eine Überraschung gebucht. Bestimmt hat sie die Pässe irgendwo hingelegt. Die tauchen schon wieder auf.«

»Sagen Sie bitte Bescheid, falls das der Fall ist«, erwiderte DI Jones schließlich, senkte den Blick und schrieb etwas neben eines der Kästchen zum Abhaken.

»Sie sind hier irgendwo«, sagte Marc, »ganz sicher. Das sieht ihr gar nicht …« Er unterbrach sich. Was mochte DI Jones denken? Dass ich in den Urlaub gefahren war, ohne ihm etwas davon zu erzählen? Machten Frauen solche Dinge?

DI Jones stand auf und bedankte sich bei Marc für seine Zeit. Marc folgte ihm zur Tür. DI Jones sagte, sie würden in Verbindung bleiben. Er bat Marc, meine Dinge möglichst wenig anzufassen und alles in dem Zustand zu belassen, wie ich es hinterlassen hätte, bis sie wiederkämen. Marc sagte, er werde sich bemühen, aber hier würden auch Kinder wohnen. Ja, natürlich. DI Jones hatte Verständnis, bat aber, das Möglichste zu tun. Mein Mann wurde zum x-ten Mal an diesem Tag gebeten, sich keine Sorgen zu machen. Dann war er wieder allein, was ihm irgendwie angenehmer war. Es war vierzehn Uhr. Einundzwanzig Stunden, nachdem ich zum letzten Mal gesehen worden war.

         //         

Der Mann, der mich hier festhält, ist so groß wie Marc, aber ein wenig gebeugt und sehr viel dünner, als ich meinen Mann in Erinnerung habe. Sein Haar lichtet sich. Er wirkt, als wäre er krank gewesen. Mit dieser abgemagerten Gestalt ist er nicht auf konventionelle Weise attraktiv, doch er hat auch nicht so hohle Augen wie der Typ, den man für diese Rolle in einem Film casten würde. Er ist überhaupt nicht der Typ, den man sich in dieser Situation vorstellen würde.

Er besucht mich jeden Tag, meist um Punkt drei. Ich denke über diese Pünktlichkeit nach, über sein Leben außerhalb dieser Wände. Fällt er draußen in der realen Welt nicht irgendwie auf? Würde ich irgendetwas bemerken, wenn wir uns im Sportstudio, in einer Bar oder vor der Bibliothek begegnen würden?

Der Raum ist nackt und kahl wie eine Galerie ohne Publikum. Das verleiht dem Mann eine Würde, die er nicht verdient. Er ist ein armseliger Kerl, der versucht, die Gedanken einer Frau zu kontrollieren. Aber hier drinnen fühlt er sich wie Gott. Ich bin sein Besitz, und er kann mir Leben einhauchen oder mich zerbrechen, ganz nach Laune.

Trotzdem warte ich auf drei Uhr. Mein Puls beschleunigt sich, wenn ich mir vorstelle, wie er aufschließt. Ich möchte seinen Schlüssel im Schloss hören, möchte sehen, wie er in den Türrahmen tritt und diesen elenden Ort verwandelt. Manchmal frage ich mich, was passieren würde, wenn er nicht käme. Wäre ich erleichtert? Oder würde ich mich einer Tatsache stellen müssen, die noch schlimmer ist als seine Anwesenheit?

»Wir haben nicht viel Zeit«, sagt er. »Ich kann Sie nicht ewig hierbehalten.«

1998

FREITAG, 28. AUGUST

Ich saß Marc gegenüber auf einem Plastikstuhl im leeren Studentencafé und versuchte, mich durch seine Schüchternheit zu plappern. Ich machte meinen Master in Kunst in Chicago. Ich erzählte ihm, dort sei eine der großen Kunstschulen, und ich hätte mich wirklich anstrengen müssen, um angenommen zu werden. Das stimmte, ich war stolz darauf, dort zu studieren, aber vielleicht wollte ich ihn auch nur beeindrucken. Marc sagte nicht viel, doch seine Miene veränderte sich, während er zuhörte. Ich beobachtete den Kellner hinter dem Tresen, die Gänse vor dem Fenster und spielte mit den Zuckerpäckchen auf dem Tisch. Marcs starrer Blick machte mich nervös. Ich plapperte weiter und weiter über meine Pläne und wie ich mich hocharbeiten wollte. Ich war jung und ehrgeizig und ging mit voller Leidenschaft in meinen albernen Kunstwerken auf. Wahrscheinlich krümmt sich jeder innerlich, wenn er sich an dieses Alter erinnert.

»Warum Chicago?«, fragte Marc, als ich schließlich eine Pause einlegte und einen Schluck Tee trank.

Darauf hatte ich keine Antwort. Ich hatte bereits einen Bachelor und einen Master aus Cambridge. Marc lachte und meinte, ich hätte das gesagt, als würde ich über Partykleider reden, die ich aus einer Laune heraus gekauft hätte, aber nun nicht mehr tragen wolle. Ich lachte ebenfalls. Es war lustig – dieser Kerl war lustig –, aber gleichzeitig hatte er mich irgendwie durchschaut. Meine Handflächen kribbelten. Ich lächelte und redete weiter, weil ich Angst hatte, wenn ich aufhörte, würde ich mich fragen müssen, was ich hier tat.

Ich erzählte ihm, wie wütend mein Vater gewesen sei, als ich den Lehrauftrag, den ich gehasst hätte, sausen gelassen hätte, um für vierzigtausend Dollar im Jahr »Bilder zu malen«. Marc grinste, als ich meinen Vater nachäffte, aber er lachte nicht wie meine Freunde in Chicago. Er hatte diese Falte zwischen seinen Augenbrauen. Er versuchte, hinter meine Fassade zu schauen. Ich hatte so lange diese »verrückte Britin« kultiviert, immer laut und aufgedreht, immer darum bemüht, andere zu schockieren und zu amüsieren, dass ich vergessen hatte, wie es war, wenn man ernst genommen wurde. Ich fuhr mit meiner Geschichte fort und erzählte sie wie immer, wobei ich ihn dazu bringen wollte, einfach nur über mich zu lachen und mich als alberne Person zu akzeptieren.

»Was hat deine Mum gesagt?«, fragte Marc.

»Keine Ahnung«, sagte ich und überlegte, wie viel von meinem Chaos ich diesem armen Fremden aufhalsen sollte. »Seit ich zwölf bin, habe ich nicht mehr mit ihr gesprochen.«

»Gott, tut mir leid.« Marc wirkte erschrocken. »Ich wollte dich nicht aushorchen.«

»Schon okay«, sagte ich. »So ist es besser. Sie ist Alkoholikerin und eine Lügnerin. Nachdem sie gegangen ist, wurde es besser. Wirklich.«

Er runzelte die Stirn.

»Ehrlich, mach dir keine Gedanken. Jeder ist von seinen Eltern genervt, oder? Dass überhaupt noch irgendwer Kinder will, ist ein Wunder.« Ich schüttelte den Kopf und wandte mich wieder meinem Thema zu. Ich erzählte Marc, dass ich ein Stipendium bekommen hätte, das die Hälfte der Kosten für meinen Kurs decke, also hätte ich meinem Vater gesagt, er solle mich in Ruhe lassen. Ich war in eine neue Stadt in einem neuen Land gezogen, wo niemand wusste, dass ich Skulptur-, Performance-, Installations- und Videokurse belegte. Marc runzelte weniger stark die Stirn, und ich dachte, mein Plan gehe auf. Er fand es verrückt und künstlermäßig, ganz anders als das behütete Aufwachsen in Wales und das gemütliche Leben, in dem er sich in der akademischen Welt eingerichtet hatte.

»Willst du nicht reisen?«, fragte ich. »Um dir die Welt anzuschauen?«

Marc zögerte. »Vielleicht«, antwortete er. »Ich bin schon neugierig auf die Welt, aber irgendwie ist alles nicht richtig und schön, wenn man sich nicht zu Hause fühlt.«

So, wie er das Wort »zu Hause« aussprach, verursachte es bei mir Schmerzen. Ich hatte Lust, ihn zu fragen, was ihm das bedeutete, immer diesen Dylan-Thomas-Singsang zu hören. Aber ich verkniff es mir. Nicht heute. Stattdessen zuckte ich mit den Schultern und erzählte ihm von dem einzigen Augenblick, in dem ich gezweifelt hatte, an meinem zweiten Tag in Chicago. Ich stand vor einem Walmart mitten in einem düsteren Vorort und wartete auf ein Taxi, das nicht kam, und wurde mir bewusst, dass es niemand in dieser Stadt oder auch diesem Land bemerken würde, wenn mir etwas zustieße.

Marc lachte nicht. Er wirkte eher besorgt als amüsiert. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, also redete ich weiter. Ich sei für den Sommer nach Hause gekommen. Mein Studiengang dauere zwei Jahre, und das erste Jahr hätte ich gerade hinter mir. Das zweite würde ich im Atelier verbringen und eine Arbeit für die Präsentation am Ende des Jahres fabrizieren, von der sich alle eine Ausstellung in einer Galerie oder ein Stipendium erhofften. Marc schien sich tatsächlich für das zu interessieren, was ich ihm erzählte. Das Aufbaustudium war großartig, aber ich hatte mich daran gewöhnt, dass alle in ihrer eigenen Blase aus Forschung und fixen Ideen lebten. Wenn man jemanden fand, dessen Interessen sich mit den eigenen überschnitten, erlebte man vielleicht einen Moment gewisser Verbundenheit, aber nur, bis man zu weit in die Details ging und das Gegenüber glasige Augen bekam, weil das Hirn zu vollgestopft war und keinen Platz mehr für Dinge hatte, die nicht für die eigene Arbeit relevant waren.

Wir saßen den halben Nachmittag in dem Café und tranken einen Becher labbrigen Campus-Tee nach dem anderen.

»Ich habe einen Tutorentermin«, sagte Marc, und meine Stimmung sank. »Ich hätte längst losgemusst.«

»Hast du später schon etwas vor?«, fragte ich und errötete. Was war eigentlich an diesem sanftmütigen Jungen dran?

Einige Stunden später trafen wir uns wieder, frisch geduscht und aufgebrezelt fürs Abendessen in der Stadt. Ich trug das Samtkleid, das ich für einen Dollar in einem Secondhandladen in Chicago erstanden hatte, und die abgewetzten Barbarella-Stiefel, die es mir in dem Jahr so angetan hatten. Marc trug dieses zerknitterte Hemd, das seinen langen Oberkörper nur mühsam bedeckte. Wir tranken billigen Rotwein, bekamen fleckige Zähne, und ich hörte, wie die Kellnerin uns »süß« nannte. Ich bestellte Hühnchen, er Schwein, aber Marc bestand darauf, die Teller zu tauschen, nachdem ich gesagt hatte, sein Fleisch schmecke mir besser.

Marc stellte mir eine Frage nach der anderen, als interessierte er sich tatsächlich für die Antworten, als wollte er mich kennenlernen. Er wollte wissen, was ich mochte und was nicht, fragte nach meiner Schule und meiner Familie. »Gott, das muss dich fürchterlich langweilen«, sagte ich irgendwann.

»Überhaupt nicht«, erwiderte er. Ich hatte das Gefühl, er könnte mir mit den Augen das Kleid ausziehen.

Ich trank noch mehr Wein und verschränkte die Beine unterm Tisch. »Ich habe mal über meine Mum nachgedacht«, sagte ich plötzlich. »Nach der Scheidung ist sie an die Küste im Süden gezogen. Mein Dad und ich sind im Haus geblieben, aber der einzige Kontakt, den sie je aufgenommen hat, war in Form einer beschissenen Postkarte.«

»Schrecklich«, sagte Marc.

Ich wusste nicht, warum ich ihm das erzählte. Seit Jahren hatte ich mit niemandem über meine Mutter gesprochen. Aber mir gefiel die Besorgtheit auf Marcs Gesicht. Sein Mitgefühl war so berauschend wie seine Faszination. Welches Wesen der Mann auch in mir sehen mochte, genauso wollte ich sein.

»Und du? Wie ist deine Familie so?«

»Eher langweilig. Einzelkind, Eltern sind noch zusammen und glauben an ein glückliches Zusammensein bis ans Ende des Lebens.«

Ich lachte. »Ein ordentlicher Märchenprinz, der nach seiner Prinzessin suchte, was?«

Marc errötete.

»Ist dir schon mal aufgefallen, wie verrückt es ist«, sagte ich, »dass alle Prinzen immer gleich sind – man kann den einen aus dem einen Märchen durch den aus dem anderen austauschen? Die Frauen sind zwar immer völlig hilflos und warten nur darauf, durch Heirat gerettet zu werden, aber immerhin haben sie eine Persönlichkeit.«

»Das passt oft in Kunst und Literatur«, sagte Marc. »Männer haben Macht, Kontrolle und Gelegenheiten, aber faszinierend sind immer die Frauen. Wir sind echt schlichte Geschöpfe und vor allem damit beschäftigt, euch zu ergründen.«

Ich verdrehte die Augen und fragte ihn nach seinem Thema. Er schrieb über Zeit und die Suche nach Wissen in romantischer Lyrik. Später erkundigte ich mich weiter danach und las Teile seiner Dissertation, doch an dem Abend hörte ich das Wort »Suche« und dachte an Ritter auf Pferden mit langen, phallischen Turnierlanzen. Marc erzählte mir, er hänge in den Tretmühlen der akademischen Welt fest und habe seinen Doktor vor gefühlten Jahrzehnten angefangen, aber das Thema vor zwei Jahren gewechselt und erst langsam den Eindruck, dass er auf die Zielgerade komme. Ich schilderte ihm meine Trödelei beim ernsthaften Studieren und den Zwiespalt zwischen dem Wunsch meines Vaters, dass ich unterrichten sollte, und meinem Bedürfnis nach kreativer Selbstverwirklichung. Marc nickte und sagte, zum ersten Mal seit Jahren würde er sich eingestehen, dass er, obwohl Aufsätze und Kritik seine analytische Seele durchaus befriedigten, tief im Herzen eigentlich einen Roman schreiben wolle.

Das freute mich. »Ich habe deine Kreativität gespürt«, sagte ich. »Du solltest das unbedingt machen.« Dann schwafelte ich wieder darüber, wie teuer das Studium sei und wie schwierig es wegen der Visabeschränkungen sei, einen Teilzeitjob zu finden.

»Total beschissen«, sagte ich mit dem Mund voller Schweinefleisch. »Ich war bei diesem Burrito-Laden und hab mit dem Besitzer gesprochen. Er gehört zur zweiten Generation, aber er hat mir von seiner Familie und seinen Freunden erzählt und davon, welche Möglichkeiten es gibt, sich als illegaler Einwanderer eine amerikanische Identität zu besorgen. Doch das ist der größte Witz, denn wenn du eine Sozialversicherungsnummer bekommst, kannst du arbeiten, und diese Nummer bedeutet, dass du Steuern bezahlst und dich am Staat beteiligst. Aber wenn der Staat dir auf die Schliche kommt, wirst du eingesperrt oder abgeschoben, aus dem Land, dem du Geld gezahlt hast. Ich möchte das in meinem Abschlussprojekt entlarven. Weißt du, die Realität dieser lächerlichen Idee von Amerika als großem Schmelztiegel, wo man erschöpfte, hungrige Massen willkommen heißt …«

Ich unterbrach mich. Marc starrte mich an, seine Augen hingen an meinem Gesicht, aber ich hatte das Gefühl, er hatte kein Wort mitbekommen. Ich lächelte, er lächelte zurück. Sein Gesicht war durchaus anziehend. Er nickte und stimmte murmelnd zu, wie unfair das sei und dass er noch nie darüber nachgedacht habe, und ja, ich sollte das unbedingt beleuchten und mich richtig reinhängen, denn es sei eine gute Sache, ein richtig starkes Projekt, und, Gott, was für schöne Augen ich hätte.

Ich lachte und spürte, wie mir heiß wurde.

SEIT VIERUNDZWANZIG STUNDEN VERSCHWUNDEN

Es klingelte, und Marc hastete zur Tür. Er zögerte. Durch das Fenster konnte er eine Frau erkennen, deren Gesicht vom farbigen Glas gesprenkelt war. Durfte er hoffen?

»Fran«, sagte er und erkannte den gefärbten Bob und die maßgeschneiderte Jacke. Neben ihr standen Charlotte, Lizzie und Frans und Ollies Tochter Emma.

»Gott, wie spät ist es?«, fragte Marc und zog den Ärmel hoch. 16.02 Uhr. »Mädels, tut mir wirklich leid.«

»Kein Problem«, sagte Fran. »Ich habe ihnen gesagt, wir hätten abgemacht, dass ich sie heute nach Hause bringe. Das war ein gute Vorwand, um Süßigkeiten zu bekommen, oder, Mädels?«

»Danke«, sagte Marc. »Was sagt man?«

»Danke, Fran«, flöteten Charlotte und Lizzie mit vollem Mund. Sie liefen an ihm vorbei, zogen Emma mit sich und schienen vollkommen unbeeindruckt davon, in der Schule vergessen worden zu sein. Charlotte rief: »Wir sind die Ritter, die Niiiiiiiii sagen«, während sie die Treppe hinaufstürmten.

»Ehrlich, besten Dank«, sagte Marc. »Äh, möchtest du eine Tasse Tee?«

»Ich mache einen«, sagte Fran und legte Marc die Hand auf die Schulter. »Offensichtlich ist Al noch nicht wieder aufgetaucht?«

Hinter Marcs Augen kribbelte es, als er den Kopf schüttelte. »Ich habe mit der Polizei gesprochen, die haben ihr Foto und ihre Fingerabdrücke.«

»Ach, Marc«, sagte Fran und schlang die Arme um ihn. »Bestimmt geht es ihr gut. Das ist sicherlich nur ein Missverständnis.«

Fran löste sich von ihm, schloss die Haustür und führte Marc durchs Haus zu einem der Barhocker am Frühstückstresen. Mein Mann schaute schweigend zu, wie unsere Freundin sich in der Küche zu schaffen machte, den Wasserkocher füllte und die Teebeutel suchte. Er fragte sich, was Ollie machte. Normalerweise sahen wir ihn beim Abholen oder wenn einer die Kinder irgendwohin fuhr. Als Vollzeitvater wurde Ollie manchmal wegen der umgekehrten Geschlechterrollen aufgezogen, aber er und Fran machten einen glücklichen Eindruck. Fran hatte einen langen Tag als Allgemeinmedizinerin und musste früher Schluss gemacht haben, um Emma heute abzuholen. Hatte sie Termine absagen müssen und war deswegen vielleicht verärgert?

Es war grausam den anderen gegenüber, aber Marc und ich hatten uns immer glücklich geschätzt. Wir wussten, dass wir anders waren. Sicher, wir machten das Gleiche: Ich ging zu den Elternabenden und er arbeitete oft lange, aber wir fanden immer wieder zueinander. Er küsste mich jede Nacht auf den Hals, bevor wir einschliefen. Ich legte ihm die Hand auf den Rücken, wenn wir mit anderen Leuten sprachen. Bei Partys hatten wir das Gefühl, wie mit einem Gummiband an den anderen festgebunden zu sein. Am Ende des Abends fand ich ihn immer und flüsterte ihm zu, ich würde gern nach Hause gebracht werden. Die Gäste seien zwar interessant, doch sie machten mir bewusst, wie glücklich ich sei, weil ich den interessantesten Mann für mich hätte. In vierzehn Jahren hatten wir nur einen richtigen Streit.

Trotzdem hatte Marc an diesem Tag das Gefühl, das Gummiband sei vielleicht bis zum Äußersten gespannt worden. Er schaute Fran beim Teekochen zu, während ihm der Gedanke durch den Kopf schoss, dass Ollie, wenn er an Marcs Stelle wäre, Fran nicht so sehr vermissen würde wie er mich.

»Was hast du den Mädchen erzählt?«, fragte Fran und reichte ihm einen Becher Tee.

»Noch nichts«, antwortete Marc und begriff erst jetzt richtig, dass er sich etwas überlegen musste.

Fran sagte, sie wolle Ollie kurz anrufen und ihm sagen, dass sie mit Emma hierbleibe. »Du brauchst Hilfe«, sagte sie und griff nach ihrem Handy.

»Das ist doch nicht notwendig.« Plötzlich wollte Marc sie nicht mehr dahaben.

»Unfug, du bist heute Abend nicht in der Verfassung, dich um die Mädchen zu kümmern. Was willst du denn zu essen machen?« Sie blickte ihm in die Augen und wartete auf die Antwort.

Da er zugeben musste, dass er keine Ahnung hatte, nickte er, und sie wählte Ollies Nummer.

Sie durchsuchte unsere Vorratskammer, schob Pfannen auf dem Herd herum und machte etwas zu essen. Während das Essen im Ofen war, fragte sie Emma, ob es ihr etwas ausmache, allein ein wenig Fernsehen zu gucken, und Charlotte und Lizzie nahm sie mit ins Esszimmer.

»Euer Daddy und ich müssen euch etwas sagen«, verkündete sie.

»Wo ist Mummy?«, fragte Charlotte und blickte Marc flehentlich an.

»Wir haben schlechte Nachrichten«, begann Fran.

»Schon okay«, sagte Marc, »ich übernehme das.«

Er langte über den Tisch und ergriff die Hände unserer Töchter. Lizzie hatte gelben Nagellack aufgetragen, was ihr vermutlich Ärger in der Schule eingebracht hatte. »Ihr braucht keine Angst haben, meine Süßen, denn wir tun alles, was in unserer Macht steht, aber Mummy ist gestern Abend nicht nach Hause gekommen, und wir sind nicht sicher, wo sie ist.«

Charlottes Unterlippe bebte. Lizzie schob das Kinn vor und sah ihn mit ihrer einstudierten »Erwachsenen«-Miene an.

»Ich habe heute mit einem Officer gesprochen, und jetzt sucht die Polizei nach ihr«, erzählte er. »Die Polizei glaubt, dass sie wahrscheinlich in ein paar Tagen wieder da ist. Wir müssen einfach nur stark sein und uns ganz doll wünschen, dass sie nach Hause kommt.«

Er blickte von einem Paar großer, stiller Augen zum anderen. Was konnte er sagen, damit es den beiden besser ging?

»Sollen wir beten?«, fragte Lizzie schließlich.