All die kleinen Toten - Stuart MacBride - E-Book
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All die kleinen Toten E-Book

Stuart MacBride

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Beschreibung

Ein E-Book-Only Kurzkrimi mit Logan McRae und Roberta Steel.

Auf Detective Inspector Logan McRae wartet in Aberdeen eine Woche des ganz alltäglichen Wahnsinns: Ein Lebensmüder springt vor Logans Augen in den Tod, eine alte Dame macht ihrem Nachbarn und der Polizei das Leben zur Hölle, und ein Obdachloser wird in einen Autounfall verwickelt. Doch damit fangen die Probleme für Logan erst an: Frau und Kinder des Selbstmörders sind spurlos verschwunden, der Obdachlose wird plötzlich tot aufgefunden – und dann wäre da noch der Nachbarschaftsstreit, der mörderische Züge annimmt ...

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Seitenzahl: 231

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Inhalt

Auf Detective Inspector Logan McRae wartet in Aberdeen eine Woche des ganz alltäglichen Wahnsinns: Ein Lebensmüder springt vor Logans Augen in den Tod, eine ältere Dame macht ihrem Nachbarn und der Polizei das Leben zur Hölle, und ein Obdachloser wird in einen Autounfall verwickelt. Doch damit fangen die Probleme für Logan erst an: Frau und Kinder des Selbstmörders sind spurlos verschwunden, der Obdachlose wird plötzlich tot aufgefunden – und dann wäre da noch der Nachbarschaftsstreit, der mörderische Züge annimmt …

Weitere Informationen zu Stuart MacBride sowie zu lieferbaren Titeln des Autors finden Sie am Ende des Buches.

Stuart MacBride

All die kleinen Toten

E-Book Only Kurzkrimi mit DS Logan McRae und DI Steel

Aus dem Englischen von Andreas Jäger

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel »22 Dead Bodies« bei HarperCollins, HarperCollinsPublishers, London

Deutsche Erstveröffentlichung Juni 2017

Copyright © der Originalausgabe 2015 by Stuart MacBride

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2017 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagfoto: gettyimages/Freddie Ardley

Redaktion: Eva Wagner

AB ∙ Herstellung: kw

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-21098-4V002

www.goldmann-verlag.de

Für Brucie

– ein kleiner Schritt (ein gewaltiger Sprung) –

1

Großer Gott … das ging ja wirklich verdammt tief runter.

Logan schob sich mit Trippelschritten auf dem Betonsims vorwärts.

Sein linker Schuh rutschte auf etwas aus und glitt hinaus über den gähnenden Abgrund. »Aaaaah …«

Er krallte sich ans Geländer und sah mit pochendem Herzen zu, wie die Einkaufstüte von Marks and Spencer abstürzte – tiefer und tiefer und tiefer … flatternd wie eine lebensmüde grüne Plastik-Fledermaus.

Schlagartig war sein Mund wie ausgedörrt, und alles schmeckte nach alten Batterien.

Platsch.

Die Tüte schlug auf dem Kopfsteinpflaster auf. Das Krabbensandwich mit Mayonnaise explodierte, die Colaflasche spritzte Schaumfontänen in Richtung der versammelten Schaulustigen. Die in der ersten Reihe wichen tänzelnd ein paar Schritte zurück, um sich vor der klebrigen braunen Brühe in Sicherheit zu bringen. Dann starrten sie wieder zu ihm rauf – ein Kreis von blassen Gesichtern mit offenen Mündern. Erwartungsvolle Mienen.

Einige hatten ihre Handys gezückt und filmten – wahrscheinlich in der Hoffnung, dass etwas Schreckliches passierte, was sie anschließend auf YouTube posten konnten.

Das waren bestimmt an die zwanzig Meter.

Warum konnten die Leute sich nicht einfach von einem Bungalow stürzen? Warum drohten diese egoistischen Säcke immer gleich damit, von einem verdammten Hochhaus in die Tiefe zu springen?

Logan näherte sich vorsichtig dem Mann, der am anderen Ende des Dachs stand. »Sie …« Er räusperte sich, aber der Geschmack in seinem Mund wurde davon nicht besser. »Sie müssen das nicht tun.«

Der Mann blickte sich nicht um. Mit einer Hand hielt er das Geländer gepackt. Dunkle Flecken auf der Haut – Blut. Es zog sich den Ärmel hinauf, färbte den grauen Stoff des Jacketts fast schwarz.

Seine andere Hand sah genauso schlimm aus. Die klebrigen scharlachroten Finger umschlossen den Griff eines Tranchiermessers. Vor dem blassgrauen Himmel blitzte der Stahl auf. Schwarzer Griff, zwanzig Zentimeter lange Klinge, das Metall ebenfalls blutbefleckt.

Na toll.

Es war ja auch witzlos, sich die Pulsadern in den eigenen vier Wänden aufzuschlitzen, wenn man es ebenso gut auf dem Dach eines Hochhauses im Osten von Aberdeen tun konnte, wo man auch noch ein dankbares Publikum für seinen Sprung in die Tiefe hatte.

Und es ging wirklich sehr tief runter.

Logan riss den Blick von dem feuchten Kopfsteinpflaster los. »Das ist es nicht wert.«

Der Lebensmüde hob die Schultern. Seine Stimme zitterte, ein schwaches, abgehacktes Flüstern. »Wie konnte sie das nur tun?«

»Warum legen Sie nicht das Messer hin und kommen wieder rein?«

Das ferne Heulen einer Sirene durchbrach die Stille des tristen Nachmittags.

»Messer …?« Er wandte den Kopf und runzelte die Stirn. Kleine, spitze Nase, hohe Stirn, schmales Gesicht, wässrige Augen mit dunklen Ringen darunter. Ein Streifen getrocknetes Blut zog sich quer über die Stirn. Die Vorderseite seines Hemds war damit getränkt, es klebte förmlich an seiner Hühnerbrust. Ein säuerlicher Gestank nach heißem Kupfer und faulen Zwiebeln strömte von ihm aus.

Logan trat noch etwas näher. »Legen Sie es hin, dann können wir reingehen und über alles reden, okay?«

Der Mann senkte den Blick auf das Tranchiermesser in seiner Hand. Er kniff die Augen zusammen und zog die Stirn in Falten, als ob er es zum ersten Mal sähe. »Oh …«

»Wie heißen Sie?«

»John.«

»Okay, John. Ich heiße Logan, und ich werde – Mist.« Tief unten in seiner Tasche schmetterte sein Handy das Darth-Vader-Thema aus Star Wars. Er fischte es mit einer Hand heraus, die andere immer noch fest um die Geländerstange geschlossen. »Was?«

Eine verrauchte Reibeisenstimme blaffte ihm ins Ohr. »Wo zum Henker steckst du?« Detective Chief Inspector Steel. Sie schniefte. »Du solltest doch –«

»Ich bin grad ziemlich beschäftigt …«

»Es ist mir egal, ob du gerade einen flotten Vierer mit Doris Day, Natalie Portman und einem Glas Nutella schiebst – ich hab Hunger. Wo bleibt mein verdammter Lunch?«

»Ich bin beschäftigt.« Er hielt das Handy an seine Brust. »Wie heißen Sie mit Nachnamen, John?«

»Was spielt das für eine Rolle?« John senkte den Blick wieder auf den Boden. Das Blut tropfte von seinen Fingerspitzen. »Skinner. John Skinner.«

»Okay.« Logan sprach wieder ins Telefon und hielt die Stimme gesenkt. »Geh mal ins Zentralregister und schau, ob du was über einen John Skinner findest. Weiß, Mitte dreißig. Ich brauche –«

»Seh ich aus wie deine Mum? Lunch, Lunch, Lunch, Lunch –«

Herrgott noch mal.

»Kannst du vielleicht ein Mal an was anderes denken als nur an dich selbst?« Logan rang sich für den blutüberströmten Mann, der schwankend an der Dachkante stand, ein Lächeln ab. »Tut mir leid, meine Chefin ist ein bisschen …« Er kräuselte die Lippe. »Na ja, Sie wissen schon.«

»Und noch was – wie kommt’s, dass du die Überstundenmeldungen noch nicht ausgefüllt hast? Hast du einen blassen Schimmer, wie –«

»Ich bin beschäftigt.« Er trennte mit dem Daumen die Verbindung und steckte das Handy wieder ein. »Kommen Sie, John, legen Sie das Messer weg. Es wird alles gut.«

»Nein.« John schüttelte den Kopf und wischte sich mit einer Hand über die feucht glitzernden Augen, wobei ein breiter roter Streifen zurückblieb, wie eine Kriegsbemalung. »Nein, wird es nicht.« Er streckte die Hand mit dem Messer aus und ließ es fallen.

Es taumelte durch die Luft und landete scheppernd unten auf der kopfsteingepflasterten Straße.

Eine uniformierte Polizistin tauchte auf. Sie drängte die Umstehenden zurück, sodass der Halbkreis sich weitete, dann sah sie sich um und sprach in ihren Airwave-Handapparat. Mit ein wenig Glück würde in wenigen Minuten ein auf solche Fälle spezialisierter Psychologe vor Ort sein. Und vielleicht die Feuerwehr mit einer dieser großen aufblasbaren Matratzen, für den Fall, dass der Psychologe keinen Erfolg hatte. Und dann wäre das alles nicht mehr Logans Problem.

»Es wird nie wieder gut.« John ließ das Geländer los. »Wie denn?«

»Tun Sie jetzt nichts, was Sie –«

»Es tut mir leid.« Er ging in die Hocke, lehnte sich nach hinten … und dann schloss er die Augen, stieß sich ab und sprang.

»NEIN!« Logan machte einen Satz, seine Hand bekam nur Luft zu fassen, wo John Skinner eben noch gestanden hatte.

Unten schrie jemand.

John Skinners Jackett flatterte und knatterte im Wind, er ruderte im Fallen mit den Armen und schlug mit den Beinen aus, während er kleiner und kleiner und kleiner wurde, und dann –

Ein feuchtes Knirschen. Blut spritzte auf.

Grellrot rann es aus seinem verrenkten, zertrümmerten Körper auf die dunkelgrauen Pflastersteine. Wieder Schreie.

Logan kauerte sich ans Geländer, die Finger um das Metall geschlungen, und spähte über die Kante.

Der Ring von Schaulustigen war zurückgewichen, als John Skinner gelandet war, aber jetzt schlichen sie sich wieder näher heran und reckten ihre Handys in die Höhe, um über die Köpfe ihrer Mit-Leichenfledderer hinweg filmen zu können.

Das Heulen der Sirene kam näher, dann bremste ein Streifenwagen mit quietschenden Reifen, und vier Officers sprangen heraus. Sie drängelten sich durch die Reihen der Amateurfilmer, dann standen sie da und starrten auf das, was von John Skinner übrig war.

Logans Handy dudelte wieder das Darth-Vader-Thema. Steels Rückruf mit der Zentralregister-Info über ihr Opfer. Er zog das Telefon aus der Tasche, drückte die Taste. »Zu spät.«

»Aye, hör zu, als ich gesagt hab: ›Schaff deinen Arsch hierher‹, da meinte ich jetzt. Nicht morgen oder in vierzehn Tagen, jetzt. Ich bin am Verhungern, Mann.«

2

»Wo zum Teufel hast du gesteckt?« DCI Steel hatte seinen Stuhl beschlagnahmt und fläzte sich darauf, beide Füße auf seinen Schreibtisch gepflanzt. Ein runzliges Wrack in einem zerknitterten Anzug. Sie hatte sich eine Serviette in den Kragen ihrer blauen Seidenbluse gesteckt, beide Mundwinkel waren mit Ketchup verschmiert, und die Luft roch intensiv nach Räucherspeck. Sie biss noch einmal in das Buttie in ihrer Hand und redete mit vollem Mund weiter. »Wär glatt verhungert, wenn ich noch länger auf dich gewartet hätte.«

Sie hatte sich heute ausnahmsweise etwas Mühe mit ihren Haaren gegeben – unter Zuhilfenahme einer Motorsense, wie es aussah. Sie standen wild in alle Richtungen ab, und am Haaransatz war ein breiter Streifen Grau zu erkennen.

Logan hängte seine Jacke an den Haken neben der Tür. »Du kannst mir jederzeit gerne den Buckel runterrutschen.«

Sie schluckte runter, dann zeigte sie mit dem Finger auf ihn. »Du schuldest mir ein Sandwich mit Schinken und Senf und eine Flasche Cola. Und das Wechselgeld von einem Fünfer.«

»Schinken war aus, also hab ich dir stattdessen Krabben gekauft.« Er rieb sich mit der Hand übers Gesicht, dann wühlte er in seinen Hosentaschen und förderte zwei Pfundmünzen zutage, die er auf den Tisch warf. »Es hat wohl wenig Sinn, dich zu bitten, von meinem Stuhl aufzustehen?«

»Vergiss es. Und jetzt her mit dem Lunch.«

Er ließ sich auf den Besuchersessel sinken, lehnte sich zurück und ließ die Arme baumeln. Blickte finster zur Decke auf. »Er ist übrigens tot. Nur für den Fall, dass es dich interessiert.«

»Ich kann hier immer noch keine Sandwiches sehen, Laz.«

»Die Sanitäter meinten, er müsste wohl auf der Stelle tot gewesen sein. Sein Schädel war plattgedrückt wie ein Pappkarton.«

»Was ist mit Chips?«

»Hab dir Salt-and-Vinegar geholt. Ich bin auf dem Dach ausgerutscht und wäre um ein Haar selber abgestürzt. Zum Glück ist dann nur die Lunchtüte über Bord gegangen. Du kannst dich mit den Möwen um die Reste kloppen.« Er schloss die Augen. »Die picken wahrscheinlich sowieso gerade die letzten Reste von John Skinner vom Pflaster.«

Sie seufzte. »Hör mal, Laz, du solltest ihn überreden runterzukommen – aber übers Treppenhaus und nicht auf dem schnellsten Weg.«

»Sehr witzig.« Er bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen. »Das ist wirklich sehr, sehr witzig.«

»Laz, du weißt, ich liebe dich wie einen etwas zurückgebliebenen kleinen Bruder, aber es wird Zeit, dass du dein Rüschenunterhöschen hochziehst und die Geschichte hinter dir lässt.« Ihre Stimme wurde sanfter. »Ab und zu springt halt mal jemand vom Hochhaus, und dann macht’s platsch. So was kommt vor. Das hat nichts mit dir zu tun. Dich trifft keine Schuld.«

Laute Stimmen polterten draußen auf dem Flur vorbei. Es ging irgendwie um Fußball und Bier.

»Also …« Ein Klicken, dann ein saugendes Geräusch. »Wie sieht’s aus, hast du gerade irgendwas Spannendes in Arbeit?«

Er ließ die Hände sinken. »Wir sind hier beim CID. Da passiert nie irgendwas Spannendes.«

Steel malte mit ihrer E-Zigarette eine Acht in die Luft. Was hat Tante Roberta dir gesagt?«

»Lass das, okay? Ich bin nicht –«

»›Komm zum SET‹, hab ich gesagt. ›Diese neuen Spezialistenteams werden sämtliche interessanten Fälle abräumen‹, hab ich gesagt. ›Und dir wird nur der banale Alltagskram bleiben, den sonst niemand machen will‹, hab ich gesagt. ›Es wird nicht mehr so sein wie früher, als wir noch die Grampian Police waren‹, hab ich gesagt. Aber hast du vielleicht auf mich gehört?«

Es klopfte an der Tür, und Constable Guthrie schaute herein. Mit den hellen Augenbrauen, dem blonden Haar und den rosa Augen sah er ein bisschen aus wie ein aufgeschrecktes Kaninchen. »Tut mir leid, aber wir müssten mal eben was besprechen. Inspector?«

Steel klemmte sich die Pseudozigarette zwischen die Zähne. »Was gibt’s?«

»Äh, nicht Sie, Chefin – DI McRae.«

Sie schniefte. »Bin Ihnen wohl nicht gut genug, wie?«

»Es … Ich …« Er schob die Unterlippe vor, was ihm Ähnlichkeit mit einem toten Fisch verlieh. Dann hielt er Logan ein A4-Blatt hin. »Ich hab hier den Zentralregisterauszug, um den du gebeten hast. John Skinner, Buchanan Street Nummer vierzehn, Kincorth. Verheiratet, zwei Kinder. Eine Vorstrafe wegen Geschwindigkeitsüberschreitung vor anderthalb Jahren. Fährt einen dunkelblauen BMW M5, Kennzeichen X–«

»Wen interessiert es, was für ein Auto er fährt?« Logan sank noch tiefer in seinen Sessel. »Wir geben keinen Suchaufruf raus, Constable. Wir wissen nur zu gut, wo er ist.«

Guthries Wangen verfärbten sich rosa. »Tut mir leid, Chef.« Er trat von einem Fuß auf den anderen. »Übrigens, ein paar Leute haben das Ganze mit ihren Handys gefilmt, falls du die Aufnahmen sehen willst.«

»Ich war live dabei, da muss ich mir wirklich nicht auch noch die Zeitlupenwiederholung antun.«

»Oh …«

Steel verputzte den Rest ihres Sandwichs, dann leckte sie sich Ketchup und Mehl von den Fingern. »Also, wenn ihr CID-Sklaven mich jetzt entschuldigen würdet, ich muss los und ein bisschen richtige Polizeiarbeit für große Jungs erledigen. Ich hab einen Serienvergewaltiger zu schnappen.« Sie stand auf und streckte sich, die Arme in die Luft gereckt, sodass ein Halbkreis von käsiger Bauchhaut aufblitzte. Dann sackte sie ein wenig zusammen und kratzte sich an einer Brust. »Hab allerdings immer noch Hunger.«

Guthrie deutete auf seine eigene Wange. »Sie haben da einen Ketchupfleck, genau hier.«

»Danke.« Sie wischte ihn mit dem Daumen ab. »Und zur Belohnung dürfen Sie Ihren bleichen Hintern in die Buchanan Street kutschieren und der lustigen Witwe verklickern, dass ihr Typ an Pflastersteinvergiftung gestorben ist. Und wenn sie sich bei Ihnen ausgeweint hat – vielleicht nach einem kleinen Quickie im Stehen am Wäschetrockner –, fahren Sie sie in die Leichenhalle und lassen Sie sie das Opfer identifizieren.«

Logan knirschte mit den Zähnen. »Musst du immer so verdammt –«

»Ach, nun hab dich nicht so, Laz – dieser Skinner-Knabe hat sich selbst abgemurkst, niemand hat ihn dazu gezwungen. Er ist gesprungen, ohne sich darum zu scheren, wie seine Frau und seine zwei Kleinen damit zurechtkommen. Was sind das für egoistische Arschlöcher, die so was tun?« Steel zog ihre Hose stramm. »Immer muss die arme Sau, die zurückbleibt, die Scherben auflesen.«

Und die Spurensicherung musste die Reste von John Skinner auflesen, bevor die Möwen sie von den Pflastersteinen der Exchequer Row pickten.

»… und da habe ich mich gefragt, ob sich vielleicht inzwischen was getan hat.« Logan blieb auf dem Flur stehen, eine Hand an der Tür zum CID-Hauptbüro.

Ein Seufzen drang aus dem Lautsprecher des Handys. »Es tut mir leid, Mr McRae, aber Mr und Mrs Moore meinten, dass sie ihnen doch ein wenig zu klein sei.«

»Oh.« Seine Schultern sackten zwei Zentimeter ab. Er räusperte sich. »Stehen sonst noch irgendwelche Besichtigungen an?«

»Leider nicht. Mrs Denis hat am Mittwoch angerufen und den Termin abgesagt. Sie haben sich stattdessen eine Neubauwohnung bei Inverurie gekauft. Der Markt für Zweizimmerwohnungen ist derzeit nicht allzu lebhaft.«

Na toll. Wirklich ganz toll.

»Ja, also trotzdem vielen Dank.« Die Verbindung brach ab, und er steckte das Handy wieder ein.

Anderthalb Jahre, und sie hatten exakt null Komma gar nichts erreicht.

Er sackte noch ein Stückchen weiter zusammen, dann dotzte er dreimal mit der Stirn gegen die Tür des CID-Büros.

Als niemand »Herein« rief, trat er einfach ein.

Das CID-Hauptbüro war nicht annähernd so groß wie das alte, das sie sich vor der Umstrukturierung zu Police Scotland geteilt hatten: kein großer, moderner Flachbildfernseher für die Briefings, keine Küchenzeile, wo man sich Tee und Kaffee machen konnte, keine Snackautomaten voll mit Chips, Schokoriegeln und Energy-Drinks. Stattdessen bot es gerade einmal genug Platz für vier Schreibtische – an jeder Wand einen – und zwei Whiteboards, die mit weniger bedeutenden Verbrechen und noch weniger bedeutenden Verbrechern gepflastert waren. Der Betonboden war mit einem bunten Flickwerk aus schäbigen Teppichfliesen beklebt. Die Deckenfliesen waren fleckig wie eine gebrauchte Windel, und auf den Schreibtischen standen Uralt-Computer mit flackernden Monitoren.

Sogar die Aktenschränke wirkten deprimiert.

Logan ging auf den einen zu und hob den Wasserkocher an, der darauf thronte – halb voll. Er setzte ihn wieder auf den Sockel und schaltete ihn ein. »Wo sind denn die anderen?«

DS Baird sah von ihrem Bildschirm auf, dann nahm sie ihre Ohrhörer heraus. »Was hast du gesagt?« Ihre kurzen blonden Haare waren über dem kantigen Gesicht mit den kräftigen Augenbrauen zu unregelmäßigen Stacheln frisiert. Eine Brille mit dicker schwarzer Fassung vergrößerte ihre Augen um das Doppelte. Ihr Lächeln war wie ein kleines, strahlendes Geschenk. »Kaffee mit zwei Stück Zucker, falls du welchen machst.«

Er zog zwei Becher aus der obersten Schublade. »Wo sind Stoney und Wheezy Doug?«

Sie wies auf einen der unbesetzten Schreibtische. »DC ›Kann-nicht-mal-mit-zwei-Händen-seinen-eigenen-Hintern-finden‹ Stone versucht rauszukriegen, wer in Mannofield Autos demoliert, und DC ›taugt-auch-nicht-viel-mehr‹ Andrews ist auch unterwegs und sammelt Zeugenaussagen zu dieser Brandstiftung im Asda in Garthdee.«

»Wirst du ihnen vielleicht irgendwann mal verzeihen?«

»Nein. Brauchst du irgendwas?«

»Wollte es nur wissen.« Das Wasser im Kocher brodelte.

»Hab gehört, du hast heute Nachmittag einen Springer erwischt.« Falten erschienen zwischen ihren dichten schwarzen Augenbrauen. »Na ja, nicht direkt ›erwischt‹, aber du weißt schon, was ich meine.«

»Guthrie überbringt die Todesnachricht.«

Sie nickte. »Selbstmorde finde ich furchtbar. Es macht mir nichts aus, jemandem zu sagen, dass sein Angehöriger bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist oder erstochen wurde – aber Selbstmorde …« Baird schüttelte sich. »Es ist dieser Blick, weißt du – als ob sie sich verraten fühlen.«

Logan steckte einen Löffel in die Kaffeedose und zerstieß die an Katzenstreu erinnernden Klumpen zu Pulver. »Wie oft muss ich den Leuten noch sagen, dass man keine feuchten Löffel in die Dose tut?«

»Also ob man sich das ausgedacht hätte, um sie zu ärgern.« Ein Seufzer. »Aber man kann es den Angehörigen auch nicht verdenken, oder?«

Das Bürotelefon läutete, und sie hob ab. »CID, DS Baird.« Dann wurde ihre Miene säuerlich. »Nicht schon wieder … Echt jetzt? … M-hm …«

Zwei Stück Zucker in den einen Becher, Milch in den anderen.

»Nein. Ich kann nicht … Er ist nicht hier.«

Logan stellte den schwarzen Kaffee auf ihren Schreibtisch. Sie blickte auf und verzog das Gesicht, während sie den Hörer an ihre Brust drückte. »Tut mir leid, Chef, aber Mrs Black ist wieder unten.«

Er nahm einen kleinen Schluck von seinem Kaffee. »Welche tapfere Seele hat an diesem finsteren Tag den Löffel des laufenden Irrsinns?«

Baird rollte mit ihrem Stuhl zu DC Andrews’ Schreibtisch und nahm einen Holzlöffel aus der obersten Schublade. In die Löffelschale war ein Foto eingeklebt, das ein Frauengesicht zeigte: graue Haare, Schielaugen, lange Nase, die Mundwinkel nach außen und unten gezogen, als ob sie gerade in etwas Scheußliches gebissen hätte.

»Oh, oh …« Logan zog die Luft durch die Zähne ein. »Sieht aus, als ob heute nicht gerade dein Glückstag ist, Denise, denn wer den Löffel des laufenden Irrsinns in der Hand hält, muss –«

»Ich stehe auf der No-go-Liste. Angeblich stecke ich mit McLennan Homes und der Planungsabteilung unter einer Decke, um für die Taliban Drogengeld zu waschen.« Sie hielt ihm den Löffel mit dem finsteren aufgeklebten Gesicht hin. »Tut mir leid, Chef.«

Logan wich zurück. »Vielleicht könnte ein Uniformierter –«

»Sie dürfen alle nicht mit ihr sprechen. Sie hat gegen alle anderen Beschwerde eingelegt.«

»Alle?«

»Ja, aber …« Baird wedelte mit dem Löffel vor seiner Nase herum. »Vielleicht mag sie dich ja?«

Logan nahm den Löffel des laufenden Irrsinns. Es war nur ein kleines Stück Holz mit einem aufgeklebten Foto am einen Ende, aber er fühlte sich an, als sei er aus Blei.

Oh, welche Freude.

3

Logan blieb vor der Tür des Wartezimmers stehen. Er holte tief Luft – und öffnete sie nicht.

Es war still im Empfangsbereich. Ein gelangweilter Constable hockte hinter dem geschwungenen Tresen mit der kugelsicheren Glasscheibe darüber und daddelte auf einem Smartphone herum. Die Wände waren mit Postern gepflastert, die vor Cannabisfarmen in Sackgassen warnten und davon abrieten, nachts allein nach Hause zu gehen. Am Infopoint lief eine Diashow mit Ansichten von Aberdeen. Und in der Luft hing ein eigenartiger Geruch nach schimmligem Käse.

Hatte doch keinen Sinn, es länger vor sich herzuschieben.

Er klemmte sich die dicke Aktenmappe unter den Arm, öffnete die Tür und trat ein. Der Raum war kaum größer als ein Wandschrank, mit zwei Aktenschränken an einer Wand und einem kleinen Fenster mit Mattglasscheibe, durch das man den Parkplatz hinter dem Präsidium nicht wirklich sehen konnte.

Mrs Black saß auf der anderen Seite des kleinen Tischs, der den größten Teil des verfügbaren Raums einnahm. Sie kniff die Augen zusammen, zupfte am Saum ihres Rocks, rümpfte die lange Nase, schniefte und reckte das Kinn. Ihre kurzen grauen Haare glänzten, als ob sie mit tonnenweise Haarspray malträtiert worden wären. Dann nahm sie ihre Brille aus der Handtasche, die sie sich dicht an die Brust hielt. Sie setzte sie mit einer feierlichen Geste auf, die einer königlichen Hochzeit angemessen gewesen wäre. »Ich warte hier schon fast eine Stunde.« Dunkle Stimme, überheblicher Tonfall.

Logan unterdrückte ein Seufzen und bemühte sich um einen höflichen, neutralen Ton. »Mrs Black.« Er trat ein und machte die Tür hinter sich zu. »Es tut mir leid, wenn ich Ihnen irgendwelche Unannehmlichkeiten bereitet habe, indem ich Verbrecher zu fassen und die Straßen sicher zu machen versuchte.«

Sie spitzte die Lippen. Pause. Zwei. Drei. Vier. »Er tut es schon wieder.«

Aber sicher.

Logan ließ die Aktenmappe auf den kleinen Tisch fallen. Sie war ungefähr so dick wie ein Backstein, prallvoll mit Dokumenten, mit einem roten Gummiband drumherum, das alles an Ort und Stelle halten sollte. Er nahm auf dem einzigen verbliebenen Stuhl Platz und zog sein Notizbuch aus der Tasche. »Also gut, dann fangen wir am besten ganz vorne an. Sie sagten: ›Er tut es schon wieder.‹ Wen meinen Sie?«

Mrs Black verschränkte die Arme vor der Brust und bedachte Logan mit einem finsteren Blick. »Das wissen Sie ganz genau.« Sie schauderte ein wenig. »Justin Robson.« Sie sprach den Namen aus, als ob er nach Erbrochenem schmeckte. »Er … Er behängt meinen Kirschbaum mit … Hundehinterlassenschaften.«

»Hundehinterlassenschaften.«

»Ganz recht: Hundehinterlassenschaften. Ich will, dass er verhaftet wird.«

Logan klopfte mit seinem Stift auf die Aktenmappe. »Und Sie haben gesehen, wie er es getan hat?«

»Natürlich nicht. Dafür ist er zu vorsichtig. Er tut es mitten in der Nacht, wenn Mr Black und ich schlafen.« Wieder erschauderte sie. »Bleibt auf bis in die Puppen und hört diese grässliche Rapmusik, mit diesen Texten voller Unflat und Gewalt. Ich habe mich bei der Stadt beschwert, aber unternehmen die vielleicht etwas? Natürlich nicht.«

»Sie wissen doch, dass wir ohne Beweise niemanden verhaften können, oder?«

Beide Hände klatschten auf die Tischplatte. »Sie wissen, dass er es getan hat. Ich weiß, dass er es getan hat. Seit dem Tag, als ich meine Bürgerpflicht getan und ihn angezeigt habe, ist er vollkommen unerträglich.«

»Ah ja.« Logan zog das Gummiband ab, schlug die Akte auf und nahm den obersten Papierstapel heraus. »Da haben wir es. Am dreizehnten April vor zwei Jahren wollen Sie gesehen haben, wie Mr Robson im Garten seines Hauses Cannabis rauchte.«

Die Nase wurde wieder in die Höhe gereckt. »Und haben Sie ihn deswegen verhaftet? Natürlich nicht.«

»Wir leben nicht in einem totalitären Staat, da können wir nicht einfach –«

»Werden Sie ihn nun verhaften oder nicht?«

»Wir brauchen Beweise, ehe wir –«

Sie pochte mit dem Finger auf den Tisch. »Ich hatte tatsächlich geglaubt, Sie wären vielleicht anders. Endlich einmal ein ehrlicher Polizist, nicht wie all die anderen korrupten –«

»Nun machen Sie mal einen Punkt, das ist –«

»– sind doch eindeutig von Drogendealern und Pornografen gekauft!«

Logan rückte seinen Stuhl ein paar Zentimeter vom Tisch zurück. »Pornografen?«

»Justin Robson hat eine obszöne Publikation durch meinen Briefschlitz eingeworfen – ein Magazin voll mit Fotos von Frauen, die die abscheulichsten Akte vollführen.« Ihr Mund zog sich zusammen wie ein Hühnerpo. Sie schniefte. »Mr Black musste es im Garten verbrennen. Sicher, wir hätten es auch in die Papiertonne werfen können, aber was würden dann die Müllmänner denken?«

»Mrs Black, ich kann Ihnen versichern, dass weder ich noch irgendeiner meiner Kollegen von Drogendealern oder Pornografen bezahlt werden. Wir können Mr Robson nicht wegen des Rauchens von Marihuana vor zwei Jahren verhaften, weil es keine Beweise gibt.«

Sie atmete zischend durch ihre lange, erhobene Nase aus. »Ich habe ihn mit eigenen Augen gesehen!«

»Aha.« Logan schrieb es in sein Notizbuch. »Und wie haben Sie festgestellt, dass das, was er da rauchte, tatsächlich Marihuana war? Haben Sie den Joint einer chemischen Analyse unterzogen? Haben Sie gesehen, wie er ihn gedreht hat?«

»Machen Sie sich nicht lustig über mich.«

»Ich mache mich nicht lustig über Sie, ich versuche zu verstehen, wieso Sie glauben, dass das, was er geraucht hat –«

»Sie werden nichts dagegen unternehmen, dass er Hundehinterlassenschaften in meinen Kirschbaum hängt, nicht wahr? Sie werden dasitzen und nichts tun, weil Sie genauso korrupt sind wie alle anderen.«

Langsame, ruhige Atemzüge.

Logan schlug die Mappe auf und nahm einen dicken Stoß Dokumente heraus. »Mrs Black, in den vergangenen zwei Jahren haben Sie fünfhundertsiebzehn Anzeigen erstattet: gegen Mr Robson, die Stadtverwaltung, die schottische Regierung, den Prince of Wales, Jimmy Shand, Ewan McGregor, das gesamte Kabinett von Westminster, unsere Parlamentsabgeordneten in London, Edinburgh und Brüssel, und so gut wie sämtliche Polizeibeamten der Division Aberdeen.«

»Ich habe eine moralische Verpflichtung und das Recht, Korruption zu melden, wo immer ich darauf stoße!«

»Okay.« Er griff unter die Tischplatte und zog ein neues Anzeigenformular von unten aus dem Stapel heraus. Er legte es vor sie hin. »Wenn Sie mich anzeigen wollen, weil ich Geld von Drogendealern und Pornografen annehme, sollten Sie mit jemandem von der Internen Dienstaufsicht sprechen. Ich kann Ihnen die Nummer geben.«

Sie kräuselte die Oberlippe. »Wie kommen Sie darauf, dass die nicht auch korrupt sind?«

Logan stieß die Doppeltür auf und trat auf den Parkplatz hinter dem Polizeipräsidium. Der Gebäudeblock umgab ihn auf drei Seiten mit hohen Wänden aus Beton und Glas, und die Rückfronten der Parallelstraße schlossen die letzte Lücke, sodass es bei Sonnenschein auf dem windgeschützten Platz schnell angenehm warm wurde. Oder auch unangenehm – der Einsatzwagen war wie ein Backofen, als Logan die Tür aufschloss.

Dann erstarrte er, und seine Miene verfinsterte sich.

Er lehnte sich an die Motorhaube und verschränkte die Arme, als ein verbeulter brauner Vauxhall die Rampe heraufgetuckert kam und auf den Stellplatz gegenüber fuhr.

Der Fahrer lächelte und winkte Logan zu, als er in den Sonnenschein hinauskletterte. Breites Gesicht mit roten Wangen, kein Hals, angegrautes Haar, das seinem Kopf nicht mehr so freundschaftlich verbunden war wie vor zwanzig Jahren. Ein richtiges Bauerngesicht. »Herrliches Wetter heute, Chef. Haben –«

»Wheezy! Wo zur Hölle haben Sie gesteckt?«

DC Andrews’ Mund klappte zu, dann formten seine Brauen sich zu einem umgekehrten V. »Ich hab Zeugenaussagen auf–«

»Ich musste mich mit Marion Black rumschlagen!«