Alle reden vom Crash – Bleiben Sie cool! - Antonio Sommese - E-Book

Alle reden vom Crash – Bleiben Sie cool! E-Book

Sommese Antonio

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Beschreibung

Kaum ein Anleger wünscht sich den Crash, doch alle reden davon. Fakt ist: Radikale Kurskorrekturen gab es an der Börse schon immer, meistens dann, wenn keiner warnte, und umgekehrt. Optimal ist also eine Allwetterstrategie, die hilft, cool zu bleiben, selbst wenn Crash-Gurus wieder einmal Saison haben. Börsenexperte Antonio Sommese und Journalist Michael Brückner gehen auf die zentralen Herausforderungen für die Vermögensanlage ein – Inflation, Deflation, Wirtschaftswachstum und Rezession – und erklären, wie Anleger ihr Depot krisensicher gestalten können. Je nach Risikoneigung und Vermögen zeigen sie anschaulich die Umsetzung in der Praxis.

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen ­Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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1. Auflage 2021

© 2021 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Die im Buch veröffentlichten Ratschläge wurden von Verfasser und Verlag sorgfältig erarbeitet und geprüft. Eine Garantie kann jedoch nicht übernommen werden. Ebenso ist die Haftung des Verfassers beziehungsweise des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ausgeschlossen.

Bildnachweis:

S. 27 Edvard Munch Der Schrei: classicpaintings, Lizenznehmer: Redaktionsbüro Michael Brückner

S. 10 Bulle und Bär sowie S. 183 Buy and sell: Panthermedia, izakowski und sergeyP, Lizenznehmer: Redaktionsbüro Michael Brückner, S. 225 Joseph Schumpeter: Volkswirtschaftliches Institut, Universität Freiburg

Factsheets ab S. 139:

Alle Fondsdaten beruhen auf der Datebank von FWW GmbH, hier gilt: Alle Angaben ohne Gewähr. Quelle: © FWW GmbH // www.fww.de/disclaimer

Redaktion: Ulrich Wille

Lektorat: Silvia Kinkel

Umschlaggestaltung: Marc-Torben Fischer

Umschlagabbildung: Hintergrund: nattha99/shutterstock.com, Smileys: turgaygundogdu/shutterstock.com

Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern

ISBN Print 978-3-95972-362-6

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96092-667-2

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96092-668-9

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Vorwort I

Vorwort II

Gastbeitrag Über Krisen

Teil 1 Die Basics

1.0 Die bizarre Angstlust und der Crash

2.0 Kleine Crash-Historie

3.0 Die Geschäftsmodelle der Crash-Propheten

4.0 Das Marktumfeld nach der Coronapandemie

5.0 Sind Sie Sparer oder Anleger?

6.0 Gier frisst Hirn – aber warum?

7.0 Vom Umgang mit Informationen

Teil 2 Depotlösungen

1.0 Pro und kontra Crash-Propheten-Fonds

2.0 So bewerten Sie die unterschiedlichen Anlageklassen

3.0 Sachwerte als sichere Häfen

4.0 Antizyklisches Investieren – nicht immer der Herde nach

5.0 Was zahle ich für meine Geldanlage – und wofür?

6.0 Die API-Formel

7.0 Short-Strategien – wenn Verluste Spaß machen

Teil 3 Was sagt die ­Branche zu den Crash­prophezeiungen?

1.0 Einführung zu Teil 3

2.0 Was wirklich wichtig ist: Auf Kurs bleiben

3.0 Horrorszenarien und Untergangsorakel

4.0 Konjunkturzyklus – ewige Wiederkehr

5.0 Die Wirtschaft in Bewegung

6.0 Market-Timing lohnt sich nicht

7.0 BVI – Bundesverband Investment und Asset Management e.V.

8.0 Konjunktur und Börse: Herrchen und Hund

9.0 Der Einbruch und die Erholung

Schlusswort

Danksagung von Antonio Sommese

Auf den Punkt gebracht

Quellen zum Text von Bettina Böhm

Vorwort I

Seit vielen Jahren habe ich beruflich immer wieder mit sogenannten Börsengurus zu tun, welche den finanziellen Untergang prophezeien. Auch ich habe mich schon dabei erwischt, an den großen Knall zu glauben und diesen vorhersagen zu wollen. So hatte mich das Handelsblatt im Jahre 2012 um ein Statement zur aktuellen Börse gebeten, und nach stark steigenden Kursen dachte ich: »Die Rallye wird in sich zusammenfallen«, denn es gibt eine festzementierte Weisheit, wonach die Kurse nie linear, sondern immer in schwankenden Kurven nach oben steigen. Deshalb dachte ich bei meiner Aussage nicht an den ultimativen Crash, sondern an eine starke Kursdelle mit anschließendem Aufstieg.

Viele Privatanleger hoffen auf solche Kursdellen und wollen diese dann zum Einstieg nutzen, hierzu mehr auf den folgenden Seiten. Aber die Motivation, dieses Buch zu schreiben, geht tiefer. Viele Menschen (und auch ich) sind durchaus empfänglich für schlechte Nachrichten und glauben somit auch an schwierige Zeiten. Einige Medien überschütten uns mit unzähligen negativen Meldungen, nach dem Motto: »Bad news are good news«. Somit gewinnt man den Eindruck: O Gott, wie schlimm ist das alles – und zum Glück ist mir nichts passiert.

Um mich persönlich vor dieser negativen Nachrichtenspirale zu schützen, habe ich meinen TV-Nachrichtenkonsum eingeschränkt, denn in diesen Sendungen werden gewöhnlich in 10 bis 20 Sekunden schreckliche Ereignisse aufgezeigt. Fast News für die Fast-Food-Community, sozusagen. Ich gestehe, in mancher Hinsicht noch ein bisschen old-fashioned zu sein. So halte ich zum Beispiel gute Tageszeitungen wie Die Welt, die FAZ, die Neue Zürcher oder die Süddeutsche für wesentlich wertvoller, insbesondere hinsichtlich der Bewertung von Finanzereignissen beziehungsweise Wirtschaftsnachrichten. Der Leser kann hier selbst entscheiden, was ihm wichtig ist, und erlangt durch ausführliche Beiträge die vertieften Hintergrundinformationen, welche durchaus ein anderes Bild ergeben können als ein kurzer Nachrichtenspot.

Kommen wir zurück zu den Crash-Propheten und lassen Sie sich eine Geschichte von mir aus dem Jahr 2008 erzählen. Die Finanzkrise hatte die Aktienkurse damals massiv abstürzen lassen. In dieser Zeit kam ein Mandant von mir zur Beratung und fragte, ob er nicht in Ackerland investieren solle, er überlege, in der Nähe von Mainz ein Stück Land zu kaufen – da wir bald ein großes Chaos erleben würden. Nach kurzem Nachdenken stellte ich folgende Frage: »Was, glauben Sie, passiert, wenn 200 000 Mainzer hungern – weil die Geschäfte nicht öffnen? Die werden die Ernteerträge Ihres Grundstücks in Minuten ›verspeisen‹. Und niemand kann dagegen etwas unternehmen.«

An dieser Stelle möchte ich Ihnen auch sagen: Ich verdiene mit diesem Buch Geld – und ja, ich berate Mandanten bei ihren Anlageentscheidungen. Viele der Crash-Propheten stellen sich als Gutmenschen dar, obwohl sie Bücher, T-Shirts, Tassen und einige sogar Finanzprodukte wie Fonds oder Börsenbriefe verkaufen.

Im zweiten Teil des Buches werde ich die Renditen von einigen Crash-Propheten mit meinen eigenen und auch passiven Anlageformen wie ETFs aufzeigen. Lassen Sie sich also nicht irritieren und legen Sie sich Ihren persönlichen Plan für vermeintlich schwierige Zeiten zurecht. Vor allem: Bleiben Sie cool! Bewahren Sie einen kühlen Kopf, wenn andere kalte Füße bekommen.

Ihr Antonio Sommese

Vorwort II

Der US-amerikanische Jurist und Politiker Earl Warren (1891–1974) brachte es goldrichtig auf den Punkt: »Ich lese den Sportteil der Zeitung immer zuerst, denn er verzeichnet menschliche Leistungen. Auf den ersten Seiten stehen nur die Fehlleistungen.« Inzwischen hat sich die Medienlandschaft revolutioniert, immer weniger Menschen lesen Zeitung (was der Autor dieser Zeilen sehr bedauert), immer mehr saugen sich Infohäppchen aus den digitalen Medien. Aber an den Präferenzen der Mediennutzer hat sich kaum etwas geändert: Die meisten Menschen interessieren sich zunächst einmal dafür, was in ihrem regionalen Umfeld passiert, sie rufen aktuelle Sportereignisse ab, und viele lesen alle Themen rund um die Gesundheit. Vor allem aber – und das kann ich nach über 40-jähriger journalistischer Tätigkeit bestätigen: Nichts interessiert Menschen so sehr wie andere Menschen.

Auf den hinteren Plätzen finden wir dann Politik, Wirtschaft und Finanzen. Schade eigentlich, denn Wirtschaft ist meist ausgesprochen spannend. Aber natürlich kann man das oft nur schwach ausgeprägte Interesse der Menschen an Wirtschaft und Finanzen forcieren, indem man diese Themen mit Angst und Schrecken auflädt. Sobald es den Menschen ans Portemonnaie gehen könnte, werden sie hellhörig. Das ist absolut verständlich, denn wer möchte schon gern Geld verlieren? Wenn Autoren plötzlich vom unmittelbar bevorstehenden »Systemcrash« oder vom »größten Crash aller Zeiten« schreiben, dann gewinnen Wirtschafts- und Finanzthemen unversehens an Relevanz.

Und hängen die Menschen erst einmal an den Lippen der Crash-Gurus, dann wird wirklich aufgedreht. Ein besonders bizarres Beispiel möchte ich Ihnen nicht vorenthalten, liebe Leserin, lieber Leser: Ein Kollege von mir wollte auch mit Crash-Publikationen Geld verdienen und hatte – wie er sich auszudrücken beliebte – eine »geile Idee«. Er wollte ein Gebetbuch gegen den Crash herausbringen. Jeden Tag ein Gebet, auf dass der Herr das Vermögen seines Schäfchens bewahren möge. Diese Blasphemie zeigt, wie weit der Crash-Wahnsinn schon gediehen ist. Das Buch wurde nicht geschrieben, weil der potenzielle Autor noch rechtzeitig erkannte, welche Schnapsidee er da ausgebrütet hatte.

Natürlich kommt es immer wieder zu Crashs. Oder, um es mit den Worten des ehemaligen US-Astronauten Frank Borman auszudrücken: »Eine Börse ohne Krise ist wie ein Christentum ohne Hölle.« Deshalb müssen eine vorausschauende Anlagestrategie und eine entsprechende Portfoliostruktur so ausgerichtet sein, dass der Anleger erstens niemals in existenzielle Nöte gerät (daher nie, wirklich nie Aktien auf Kredit kaufen) und zweitens Verluste, wenn sie denn vorübergehend nicht zu vermeiden sind, so gering wie möglich ausfallen. In diesem Buch stellen wir Ihnen daher ein »Allwetter-Depot« vor. Eine Strategie, die Ihre Resilienz als Anleger stärken soll.

Ich wünsche Ihnen eine glückliche Hand bei Ihrer Geldanlage. Glauben Sie nicht an vermeintliche Gurus, glauben Sie an sich.

Ihr Michael BrücknerMainz/Ingelheim im Oktober 2020

Bär & Bulle: Mal gewinnt der eine, mal der andere. Crash-Propheten sehen freilich meist nur Bären.

GastbeitragÜber Krisen

Von Dr. Hendrik Leber

Der Untergang der Welt stand schon immer kurz bevor. Und mit der Jugend der Welt geht es schon seit Sokrates und Seneca bergab. Wider Erwarten geht es der Menschheit dennoch ganz gut und sogar zunehmend besser, wie es Hans Rosling in seinem Buch Factfulness klar zeigte. Der Weltuntergang ist nicht eingetreten. Ich habe schon viele Krisen bewusst erlebt. 1972 kam der Club of Rome mit seinem Buch Die Grenzen des Wachstums. Wir Schüler am Gymnasium waren tief verstört. Noch 30 Jahre, so hieß es, und alle Rohstoffe auf der Welt sind erschöpft. Wir kritisierten unsere Lehrer, weil sie so großmotorige Autos fuhren.

Meine nächste große Weltuntergangskrise war die Ölkrise 1973 (und später noch mal 1979). Die OPEC drehte der Welt den Ölhahn zu, und wir konnten wegen der Fahrverbote sonntags auf der Autobahn mit dem Hund spazieren gehen. Für immer würden wir jetzt die Straßenbeleuchtung abstellen müssen, die Schaufenster würden für immer dunkel bleiben. 1979 kam eine Wiederholung. Mit Schlangen an den Tankstellen. Das Ende des Ölzeitalters wurde angesagt, aber es kommt und kommt einfach nicht.

Mein Studium in Syracuse, USA – Reaktorschmelze in Three Mile Island. Und ich wohnte nur 350 Kilometer Luftlinie entfernt. Die Wolke bewegte sich auf meinen Studienort zu. Irgendwie habe ich es überlebt. In dieser Zeit beschäftigte ich mich ein wenig mit Katastrophentheorie – wenn kontinuierliche Entwicklungen plötzlich abreißen. 1985 – Waldsterben in Deutschland. Kahle Berggipfel. Saurer Regen. Die Welt ging wieder unter, denn der Wald ist in Deutschland ja fast ein Nationalheiligtum. Mit guter Regulierung konnte der Schwefel aus der Luft verbannt werden, und der Schwarzwald blieb uns erhalten. Kaum zu glauben, dass ich nach all dem noch Lebensmut hatte.

Ich beschloss, aus Gefahren Chancen zu machen. Und so spekulierte ich seit 1985 auf einem Gemeinschaftsoptionskonto für Freunde auf fallende Aktienkurse. Im Oktober 1987 kam meine Belohnung – mit dem Crash ver-x-fachte sich mein Einsatz. Ich konnte nicht glauben, dass die Optionspreise, die ich in der Zeitung las, zu meinem Konto gehörten. Mit dem satten Erlös gönnte sich unser Freundeskreis eine herrliche Luxussafari in Kenia. Ich lernte: Krisen können profitabel sein, wenn man die Seite richtig wählt. Meine Lust am Risiko erhöhte sich. Auch beim Einmarsch der Iraker in Kuwait 1990/91 war ich erfolgreich mit Put-Optionen dabei. Der 11. September 2001. Ich erinnere mich, an dem Tag im Taxi sitzend ein Interview gegeben zu haben, darüber dass die Amerikaner nach einer solchen Katastrophe enger zusammenhalten würden als je zuvor. Zumindest kurzfristig erholten sich die Kurse wieder. Dann mein großer Coup 2006 bis 2008. Die Subprime Krise war seit Ende 2006 sichtbar im Anrollen. Mit einer von Merrill Lynch im Auftrag designten Varianz-Note, die die Furcht der Börsen abbildete, gewannen wir bis Ende 2008 zusätzliche 12 Prozentpunkte Performance. Wieder eine Krise, aus der wir einen Vorteil ziehen konnten.

Und nun der März 2020. Eine Überschlagsrechnung zeigt, dass der Rückgang des Weltbruttosozialprodukts wohl etwa 5 Prozent beträgt, die Börse aber 30 Prozent fällt. Eine hervorragende Kaufgelegenheit. Meine Lust an der Krise, ihrer Analyse und am kalkulierten Risiko ist offensichtlich.

Es gibt so viele Prediger des Weltuntergangs, von denen ich profitieren kann. Bei Krisen unterscheide ich verschiedene Typen:

Die punktuelle Krise. Eine meiner schönsten Krisen dieser Art war ein Silberhandelsskandal bei der Schweizerischen Volksbank, etwa 1980. Ein Händler hatte mit Silber spekulierend Geld für die Bank verzockt. Meine erste Frage: Ist dies ein isoliertes Ereignis oder zieht sich das Problem durch die ganze Bank? Meine Analyse wies auf ein isoliertes Ereignis hin. Ich kaufte die Aktie und profitierte von der schnellen Kurserholung. Punktuelle Krisen verschwinden schnell wieder.Die systemische Krise. Es gibt den schönen Satz: »Beauty is only skin deep, but ugliness goes all the way through«. In manchen Firmen gibt es eine Kultur, die Fehlverhalten fördert. Wenn dann ein Problem auftritt, ist es häufig ein allererstes Anzeichen für ein sehr viel größeres Problem, das sich ganz tief durch ein Unternehmen zieht. Beispiele sind aktuell die zahlreichen Nachlässigkeiten in der Fertigung von Boeing oder die kameradschaftliche Betrugskultur im deutschen PKW-Motorenbau. In solchen Fällen kann man nur sagen: Finger weg von diesen Situationen oder Firmen. Es dauert meistens sehr viele Jahre, bis Schwachstellen gefunden wurden, bis sich die Kultur ändert und schließlich der Neuanfang wieder Erfolge zeigt. Die schleichende Krise. Es gibt Firmen und Situationen, die ohne großes Zutun ein allmähliches Abrutschen fördern, dem niemand entgegenarbeitet. Das allmähliche Abrutschen der deutschen Photoindustrie ist dafür ein Beispiel. Erst kamen die billigen japanischen Wettbewerber, und dann wurden die Wettbewerber immer besser. Ähnlich in der Autoindustrie. Erst kamen die billigen Japaner, dann die billigen Koreaner, und inzwischen spielen alle auf Augenhöhe. Konsequenz: Nicht auf eine Erholung setzen. Die kommt nämlich nicht. Die Zeitlupenkrise, die jeder sehen kann, aber niemand ernst nimmt, bis sie sich plötzlich exponentiell beschleunigt. Exponentielle Krisen sind schlimm, weil die Reaktionen erst kommen, wenn die Tatsachen bereits geschaffen sind. Das Thema Klimawandel gehört in diese Kategorie. Der Mensch ist nicht dazu geschaffen, präventiv zu handeln, denn er reagiert lieber auf unmittelbare Gefahren. Die Krise, vor der jedes Jahr gewarnt wird, die aber keiner ernst nimmt. Dazu gehören Erdbebenwarnungen oder Warnungen vor Epidemien. Es bleibt ja immer noch viel Zeit, zu reagieren, darum gibt es keine Dringlichkeit – bis das Ereignis schließlich eintritt. Handlungsanweisung: Auch niedrige Eintrittswahrscheinlichkeiten mit hohen Kosten ernst nehmen. Man sieht lange wie ein Angsthase aus, bis schließlich der Punkt kommt, an dem man recht behält.

Mit den meisten Krisen – an der Börse, in der Wirtschaft, in der Politik, in der öffentlichen Gesundheit – kommen wir Menschen eigentlich gut klar. Es gibt Brüche, Anpassungen, es gibt Verlierer, aber immer auch Gewinner.

Zwei Krisen nur machen mir aktuell wirklich Sorgen: Zum einen der Klimawandel, weil er sich so langsam entwickelt, nur halbherzig und inkonsequent bekämpft wird und weil seine Folgen gravierend und sehr teuer werden. Zum anderen der zu sorglose Umgang mit billigem Geld und Schulden, der in ferner Zukunft in einem harten Konflikt zwischen den Inhabern von Forderungen und deren Schuldnern enden wird. Diese Krise wird wahrscheinlich in Inflation und einem Zusammenbruch von Altersvorsorgesystemen enden. Der Einzelne kann dafür vorsorgen, aber die Gesellschaft als Ganzes wird es erschüttern.

Wer Krisen in diese Schemata einsortieren kann, ist aber gut gesichert und kann sogar profitieren.

Über den Autor des Gastbeitrages

Herr Dr. Hendrik Leber ist Geschäftsführender Gesellschafter der ­ACATIS Investment Kapitalverwaltungsgesellschaft mbH, Frankfurt a. M. und Walzenhausen, Schweiz.

Dr. Hendrik Leber ist seit mehr als zwei Jahrzehnten im Investmentgeschäft tätig. Nach seinem Studium der Betriebswirtschaft arbeitete er von 1984–89 für die Unternehmensberatung McKinsey und von 1989–1994 für das Bankhaus Metzler. 1994 gründete er in Frankfurt die ACATIS Investment GmbH.

Die ACATIS Investment GmbH ist ein bankunabhängiger, selbstständiger Vermögensverwalter, dessen Kernkompetenz das »Value Investing« nach Benjamin Graham und Warren Buffett ist. Dr. Hendrik Leber und sein Team der ACATIS Investment GmbH zählen zu den bekanntesten wertorientierten Vermögensverwaltern in Deutschland und betreuen heute Publikums- und Spezialfonds mit einem Volumen von mehr als 4,6 Mrd. Euro.

Für seine Leistungen als Fondsmanager wurde Dr. Leber mehrfach von der Fachpresse ausgezeichnet. Im Sauren Fondsmanager-Rating erhält er aktuell zwei Goldmedaillen für »ausgezeichnetes Fondsmanagement«. Der renommierte Finanzen Verlag verlieh Dr. Hendrik Leber den Goldenen Bullen und kürte ihn zum »Fondsmanager des Jahres 2017«.

Teil 1 Die Basics

Die bizarre Angstlust und der Crash

Im März des Jahres 2020 war es so weit: Rund um den Globus kollabierten die Aktienkurse, die Börsenindizes gingen in die Knie und Anleger verloren in wenigen Stunden Milliardensummen, wenngleich nur auf dem Papier. Der Crash, schon seit Jahren herbeigeredet und geschrieben, wurde Wirklichkeit. Und die Gilde der Crash-Propheten konnte sich endlich bestätigt fühlen. Immer und immer wieder hatte sie vor einem tiefen Einbruch an den Finanzmärkten und möglicherweise sogar vor einem Super-GAU des weltweiten Finanzsystems gewarnt. Mal war es der Euro, dann die in der Tat sehr hohen Staatsschulden, schließlich die ultralockere Geldpolitik der führenden Notenbanken, verbunden mit einer »Zombifizierung der Wirtschaft«, die als Ursachen eines drohenden Megacrashs ins Feld geführt wurden. »Scheintote« Unternehmen und Staaten, so hieß es, würden mit billigem Geld künstlich am Leben erhalten, las man in den einschlägigen Büchern und in manchen Blogs. Da überkam viele ein wohliger Schauer, verbunden mit dem Gefühl, einmal mehr anders als der arglose Mainstream zur Informations-Elite zu gehören. Mögen sich die Menschen da draußen über ständig steigende Aktienkurse freuen, die Jünger der Crash-Propheten lebten in der Gewissheit, es besser zu wissen: Das Ende war nahe.

Aber der Crash wollte sich partout nicht einstellen. Gewiss, es gab die eine oder andere Korrektur, doch diese Kursrückgänge wurden anschließend nicht nur schnell wieder ausgeglichen, vielmehr schwangen sich die führenden Aktienindizes zu ständig neuen Allzeithöchstständen auf. Sieht man von Markus Krall (unter anderem Autor des Buches Der Draghi-Crash), der einen Megacrash für Herbst 2020 vorausgesagt hatte, einmal ab, blieben die Crash-Propheten doch lieber im sicheren Ungefähren. Ja, der Crash sei nahe. Wie nahe, da wollten sich die meisten nicht so recht festlegen.

Eine geschickte Strategie, denn zu der Erkenntnis, dass es an den Finanzmärkten immer mal wieder zu deutlichen Korrekturen und auch zu Crashs kommt, braucht es keine prophetische Gabe. »Eine Börse ohne Krise ist wie ein Christentum ohne Hölle«, sagte einmal der US-amerikanische Astronaut und spätere Airline-CEO Frank Borman. Die Aussage: »Der Crash kommt« ist deshalb von ebenso banaler Unverbindlichkeit wie: »Wir werden alle sterben.« Ja, das stimmt. Hoffentlich dauert es noch lange, aber irgendwann wird es so weit sein.

Zurück ins Frühjahr 2020: Es war nicht die EZB, es waren auch nicht die Griechen, der Euro, Trump, die Negativzinsen oder die Schuldenlawine, sondern der berühmt-berüchtigte »Schwarze Schwan«, der die Börsenkurse von Asien über Europa bis zur Wall Street dramatisch einbrechen ließ. »Ein globalisiertes Blutbad« kommentierte damals ein Händler an der australischen Börse ziemlich martialisch. Im Jahr 2008 hieß dieser »Schwarze Schwan« Lehman Brothers, der einen Crash an den Börsen auslöste. Im Jahr 2020 war der »Schwarze Schwan« ein unheimliches Virus, das Tausende von Menschen – vor allem in China und Europa sowie in den USA und Südamerika – das Leben kostete. Ein furchterregendes Halblebewesen mit der so harmlos klingenden Bezeichnung »SARS-CoV-2«. Keiner der führenden Crash-Propheten hatte eine solche noch nie dagewesene Pandemie auf dem Schirm, als sie jahrelang vom baldigen Ende des Finanzsystems schwadronierten. Dass es zum Crash kam, war – zumindest was den Auslöser angeht – dem Zufall geschuldet. Wäre der Menschheit die Corona-Krise erspart geblieben, hätten die Crash-Propheten ihre Jünger eben noch ein paar Jährchen vertröstet und sie mit der finsteren Prognose zum Durchhalten motiviert, dass es am Ende umso schlimmer kommen müsse, je länger der Crash noch verhindert werde.

1.1 Was Crash-Prognosen so sexy macht

Das wollen wir absolut anerkennen: Mit ihren Crash-Büchern erzielen die Gurus sehr hohe Auflagen. Ganz offenkundig gibt es einen breiten Markt für Untergangsliteratur im Allgemeinen und Crash-Bücher im Besonderen. Und nicht nur das. In einem persönlichen Gespräch berichtete uns ein Wirtschaftsredakteur der renommierten Neuen Zürcher Zeitung, dass im Online-Angebot des Verlags vor allem Artikel angeklickt würden, in deren Überschrift das Wort »Crash« auftaucht.

Wir fragen uns erstaunt: Warum ist das so? Warum sind Crash-­Prognosen so sexy? Wenn es um Wirtschaft und Finanzen geht, verhalten sich viele von uns ganz anders als im »normalen« Leben. Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor einem Bücherregal und haben die Wahl zwischen zwei Titeln. Der eine lautet: »Nur eines im Leben ist wirklich alternativlos – Ihr Tod«. Der andere Titel lautet: »Wie Sie fit und gesund ein hohes Alter erreichen«. Welches der beiden Bücher würden Sie lesen? Wenn Sie nicht gerade von heftigen Depressionen gepeinigt werden, dürften Sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit für den letztgenannten Titel entscheiden.

Warum faszinieren uns Crash-Prophezeiungen auf besondere Weise? Mag sein, dass in dem einen oder anderen Fall der Faktor Neid eine Rolle spielt. Bei einem Crash verlieren »die Reichen« viel Geld. Das mag manchem eine gewisse Befriedigung verschaffen – auch wenn sich »die Reichen« gegen Crashs zum Beispiel mit Hedging-Strategien gut abgesichert haben und zu den eigentlichen Leidtragenden viele kleine und mittlere Anleger zählen, die bei einem Crash um ihre Altersversorgung fürchten. Insgesamt erklärt der Neidfaktor die bizarre Lust vieler Menschen an Crashprophezeiungen allerdings nicht hinreichend. Hier kommt vielmehr die Angstlust ins Spiel, wie es die Psychologen nennen. Es handelt sich, wie der Begriff schon zum Ausdruck bringt, um eine Mischung aus Lust und Angst, mithin um eine Ambivalenz der Gefühle. Da ist auf der einen Seite der angsterregende Reiz und auf der anderen Seite das Bauchgefühl, dass einem nichts passieren wird. Bekannter als der Begriff »Angstlust« ist das englische Wort »Thrill«. Man könnte dieses Phänomen auch als »Geisterbahn-Syndrom« bezeichnen. Wir geben Geld dafür aus, uns ängstigen zu lassen. Und manches Kind kommt mit geschlossenen Augen aus der Geisterbahn, weil es sich ängstigte, obwohl es doch weiß, dass die kurze Horrorfahrt nicht real ist. Aber in dem Augenblick, in dem das Kind mit dem Schrecken konfrontiert wird, empfindet es ihn als real. Vielen Erwachsenen ergeht es ebenso. Das hängt ganz einfach mit der Tatsache zusammen, dass es uns unmöglich ist, zeitgleich Positives und Negatives zu erleben.

Wer in den Büchern bekannter Crash-Gurus stöbert, erfährt, dass angeblich der ultimative Zusammenbruch des Finanzsystems und vielleicht sogar der Dritte Weltkrieg bevorsteht, erlebt also zunächst einmal so etwas wie Thrill. Zumal vieles, was da veröffentlicht wird, durchaus logisch und überzeugend klingt. In der Regel lässt die individuelle Angst dann allerdings schnell wieder nach, weil

man entweder ohnehin über kein größeres Vermögen verfügtund/oder man überzeugt ist, sein Geld krisenfest angelegt zu haben; man kann also den »Bankstern« und all jenen da draußen, denen man ohnehin kein Vertrauen schenkt, gleichsam eine lange Nase drehen.

Wenn man dann allerdings nachfragt, in welche Anlageklassen der oder die Betreffende investiert hat, kommt man oft sehr schnell zu der Erkenntnis, dass von einem krisenfesten Depot keine Rede sein kann. Da findet man dann zum Beispiel eine extreme Übergewichtung von Gold (in Einzelfällen 50 Prozent und mehr) und anderen Edelmetallen, halsbrecherisch finanzierte Schrottimmobilien oder aber exotische Investments wie Oldtimer, Diamanten und Whisky, die eigentlich nur für absolute Kenner auf diesem Gebiet geeignet sind. In einer Art »Anlagenotstand« investieren aber auch solche Anleger in diese schwierigen alternativen Sachwerte, die von der Materie wenig verstehen. Dann sind Verluste programmiert. Die Anbieter solch spezieller Formen der Geldanlage profitieren hingegen von der Panikstimmung. »Die Panik ist ein gutes Geschäft«, wusste schon der legendäre Investor André Kostolany.

So unterschiedlich die Crash-Gurus auch sein mögen, die meisten von ihnen weisen jedoch gemeinsame Merkmale auf. Ali Masarwah, Finanzmarktexperte bei Morningstar nennt fünf Übereinstimmungen im Geschäftsmodell der Crash-Propheten:

Ihre Argumente sind simpel, gleichwohl aber auf den ersten Blick logisch.Ihre Prophezeiungen sind Teil ihres Geschäftsmodells.In Fachkreisen werden die meisten von ihnen nicht ernst genommen.Sie sind Medienstars.Ihre Lösungen sind scheinbar einfach.1

Die Neue Zürcher Zeitung nennt als weiteren Erfolgsfaktor der Crash-Propheten das schlechte Gedächtnis der Leser beziehungsweise Anleger und vergleicht es mit einer Strategie beim Roulette: »Ich setze jedes Mal auf die grüne Null und verliere meistens. Wenn dann aber die Kugel auf der Null liegen bleibt, veranstalte ich ein Riesenhallo und erzähle allen von der Verfünfunddreißigfachung des Einsatzes. Zahlreiche Besucher im Kasino werden mich als erfolgreichen Spieler in Erinnerung behalten.«2

Und natürlich wird der Crashguru seinen (vielleicht einzigen) Volltreffer immer wieder kommunizieren. Er sei der Erste gewesen, der den Crash von … genau vorausgesagt habe. Ob dieser Volltreffer freilich tatsächlichem Hintergrundwissen oder schlicht dem Zufall geschuldet war, darüber kann der geneigte Leser nur spekulieren. Immerhin: Der Crash-Guru lag einmal richtig – und weshalb soll er das nächste Mal nicht auch richtig liegen, zumal seine Argumente ja so vernünftig zu klingen scheinen? Und so muss der Guru dann nur noch warten, bis die Roulettekugel wieder mal auf der Null liegen bleibt. Das kann schon mal Jahre dauern, sofern nicht der »Schwarze Schwan« dem Guru zu Hilfe kommt, wie Anfang 2020, als die eingangs erwähnte Coronavirus-Krise über die Welt hereinbrach.

1.2 Weshalb sind wir eigentlich ängstlich?

Es gibt bekanntlich Zeitgenossen, die behaupten von sich, sie hätten keine Angst, gingen mutig durchs Leben und könnten all die »Angsthasen« da draußen nicht verstehen. Zweifellos gibt es mutigere und ängstlichere Menschen. Dass aber ein Mensch niemals und in keiner Situation Angst empfindet, ist eher unglaubwürdig und widerspräche der Normalität. Denn Angst sei per se nichts Negatives, sagt die Psychologin und Autorin Bettina Böhm.3 Angst stelle vielmehr einen inhärenten (also uns innewohnenden) Schutz und eine innere Vorsicht dar, »der es uns Menschen und nach Aussagen der Verhaltensforschung Tieren ebenso ermöglicht, zu überleben. Doch genau hier zeigen sich die Unterschiede im Umgang des einzelnen Menschen mit seiner wahrgenommenen Angst. Sind entsprechend Mut, Urvertrauen und gesundes Selbstbewusstsein vorhanden, stellen wir uns der Angst und gehen durch sie hindurch«, schreibt Böhm. Das lässt sich in weiten Teilen auch auf die Finanzpsychologie übertragen. Sind ausreichend Mut, Urvertrauen und gesundes Selbstbewusstsein vorhanden, überstehen Anleger sogar Crashs und längere Bärenmärkte psychologisch und wirtschaftlich in guter Verfassung.

Dass Crash-Propheten gerade in Deutschland so erfolgreich sind, hängt vermutlich mit einem Phänomen zusammen, das auch im Ausland nur zu gut bekannt ist und dort mit »German Angst« beschrieben wird. Die Autorin Sabine Bode beschreibt »German Angst« als »ein Grundgefühl von Mutlosigkeit, Zögerlichkeit, Zukunftsangst und Sicherheitsbedürfnis«. Sie stellt ferner fest: »Zweifelsfrei lässt sich nur sagen, dass das Schüren von Ängsten im Fernsehen und in den Massenmedien auf die Kundschaft keineswegs abschreckend wirkt, sondern Quoten und Auflagen steigen lässt«.4 Die Autorin führt diese German Angst vor allem auf »Kriegsspuren« zurück. Und in der Tat: Nach neuesten Erkenntnissen der Epigenetik befinden sich in unseren Genen »ererbte Wunden«, also transgenerationale Traumata unserer Vorfahren, die durch aktuelle Geschehnisse wieder »getriggert«, also verstärkt wahrgenommen werden.5

Vielleicht ist dies auch der Grund, weshalb gerade in Deutschland Bücher, die eine baldige Währungsreform prophezeien, so gut ankommen. Salopp ausgedrückt stecken den Deutschen zwei Währungsreformen (1923 und 1948) »in den Knochen«. Oder sollte man angesichts der gerade erwähnten transgenerationalen Traumata eher davon sprechen, dass die beiden Währungsreformen den Deutschen »in den Genen stecken«? Deshalb sind die Deutschen traditionell auch wesentlich sensibler hinsichtlich der Inflationsentwicklung als andere Völker in Europa. Man kann diese Tatsache wissenschaftlich beschreiben, oder aber man formuliert wie der Volksmund: »Ein gebranntes Kind scheut das Feuer.«

Wie gesagt, völlig angstfreie Menschen gibt es kaum; und wenn, dann wäre auch dieses Phänomen eher bedenklich. Denn das Ausbleiben einer natürlichen Angstreaktion kann nach den Worten der Psychologin Bettina Böhm »eine starke Resignation oder Traumatisierung sein«.6

Angstfreie Anleger und Investoren wären absolute Hasardeure, die verantwortungslos ihr gesamtes Vermögen (und vielleicht sogar das anderer Leute) aufs Spiel setzten. Wenn wir nun aber der psychologischen Erkenntnis folgen, dass ein »gesundes Maß« an Angst so etwas wie ein uns innewohnender Schutz (auch vor finanziellen Verlusten) ist, so stellt sich die Frage, wie Anleger mit dieser Angst und ihrem Sicherheitsbedürfnis umgehen sollten. Antonio Sommese, einer der beiden Autoren des vorliegenden Buches, sprach im Jahr 2020, auf dem Höhepunkt des Corona-Crashs, mit dem in New York lebenden und arbeitenden Börsenexperten Markus Koch, vielen unserer Leser vermutlich bekannt durch seine Börsenberichte und -analysen von der Wall Street auf dem Nachrichtensender n-tv. Das Interview wurde als Podcast der Finanzstrategie Sommese auf Deine Finanzrevolution veröffentlicht.7

Markus Koch empfiehlt darin, seine Ängste zu quantifizieren und seine Psyche unter Kontrolle zu halten. Um seine Psyche zu navigieren, sollte der Anleger von vornherein seine Schmerzgrenze definieren. Denn: »Es bereitet mehr Schmerz, 1000 Dollar zu verlieren, als es Freude bereitet, 1000 Dollar zu gewinnen«, weiß Markus Koch. Die zentralen Fragen bei der Bestimmung der finanziellen Schmerzgrenzen sind vor allem:

Wie viel Verlust kann ich mir leisten, ohne meinen Lebensstandard einschränken zu müssen?Kann ich auch bei einem Crash oder einem lang anhaltenden Bärenmarkt alle meine finanziellen Verpflichtungen erfüllen?Verfüge ich über eine ausreichende Altersversorgung – auch ohne Aktiengewinne?Habe ich ausreichende Reserven, um nach einem Crash Aktien zu günstigen Kursen nachzukaufen?

Die Quantifizierung der individuellen Angst führt den Anleger zu der Erkenntnis, wie hoch seine Risikobereitschaft ist. Das können 10 oder 20 Prozent des verfügbaren Kapitals sein, bei sehr wohlhabenden Menschen auch deutlich mehr. Koch wirft den Angstpropheten vor, sie instrumentalisierten die Angst der Menschen. Damit seien sie erfolgreich, weil viele Leute ihre individuelle Angst und ihre Risikobereitschaft nicht realistisch einordnen könnten.

Der Schrei von Edvard Munch ist eines der teuersten Gemälde der Welt. Der norwegische Expressionist soll darin eine eigene Angstattacke dargestellt haben. Das British Museum veröffentlichte anlässlich der Ausstellung »Edvard Munch: Love and Angst« eine andere Interpretation. Demnach soll der laute Schrei aus der Natur stammen. Mit dem erschrockenen Gesichtsausdruck reagiere die Person nur darauf.

1.3 Wann sprechen wir von einem Crash?

Kehren wir nach diesem kurzen Ausflug in die Psychologie wieder zurück an die Märkte: Wenn Sie in Ihr Aktiendepot schauen und mit Erschrecken feststellen, dass Ihre Papiere oder Fondsanteile spürbar an Wert eingebüßt haben, dann ist dies in Ihrer persönlichen Wahrnehmung schon ein Crash. In Wirklichkeit ist es vielleicht nur eine Korrektur. Aber tatsächlich nehmen sich die Begrifflichkeiten schon irritierend aus. Daher wollen wir an dieser Stelle zunächst klären, was ein Crash überhaupt ist.

Sicherlich erinnern Sie sich noch an den Börsenabsturz im März 2020 infolge der Coronapandemie und der dadurch eingeleiteten Rezession. Damals verlor der DAX in nur drei Wochen rund 30 Prozent seines Wertes. Insofern war dieser Absturz wesentlich dramatischer als der Crash während der Finanzkrise der Jahre 2007 bis 2009. Denn im Jahr 2008 gab das deutsche Börsenbarometer über zwei Quartale rund 45 Prozent nach. Der Virus-Crash verlief mithin sehr viel dynamischer, wohl nicht zuletzt weil die von ihm ausgelöste Rezession nicht nur die Finanzwirtschaft, sondern auch weite Teile der Realwirtschaft erfasste und zudem die private Nachfrage, die einen konjunkturellen Abschwung oft noch abzufedern vermochte, aufgrund von Kurzarbeit und steigender Arbeitslosigkeit ebenfalls wegbrach. Der Schock des Frühjahrs 2020 stellt ein klassisches Beispiel für einen Crash dar. Von einem solchen Ereignis spricht man nämlich, wenn der Gesamtmarkt (also nicht nur bestimmte Branchen) von einem schockartigen und heftigen Kursrückgang betroffen ist. Die steile Abwärtsbewegung geht dabei einher mit hohen Handelsumsätzen. Viele Anleger packt die Panik, sie wollen so schnell wie möglich raus aus der Aktienanlage. Nach dem Einbruch folgt in der Regel eine Phase von hoher Volatilität, also einer ausgeprägten Schwankungsintensität. Salopp ausgedrückt: Die Börsenkurse fahren Achterbahn. Wenn die Kurse deutlich gefallen sind, greifen mutige Anleger wieder zu, um sich vermeintliche oder tatsächliche Qualitätsaktien zu Ausverkaufspreisen zu sichern. In der Konsequenz steigen die Kurse. Oft kommt es zu kräftigen Gegenbewegungen, die viele Anleger veranlassen, wieder in den Aktienmarkt einzusteigen. Nicht selten tappen sie dabei allerdings in eine sogenannte Bullenfalle. Diese schnappt zu, wenn es nach einer kurzfristigen Phase der Markterholung wieder abwärts geht; meist nicht zuletzt weil manche Investoren, die zu Beginn des Crashs noch nicht verkauft haben, die Phase der vorübergehenden Markterholung nutzen, um sich nun von ihren Papieren zu trennen. Die Folge: Die Kurse fallen wieder.

Zugegeben, der Begriff »Crash« klingt dramatisch, daher wird er vor allem von den Medien gern verwendet. Es klingt irgendwie nach einem Armageddon an den Finanzmärkten. Tatsächlich aber erholen sich die Märkte nach der erwähnten Phase ausgeprägter Volatilität wieder recht schnell und erreichen vielleicht nach zwei, drei Jahren schon wieder neue Höchststände. Je nachdem, wie tief der Markt gefallen ist, kann die Erholungsphase kürzer oder länger ausfallen.

Für einen Anleger sehr viel deprimierender ist eine Baisse, bisweilen auch »Bärenmarkt« genannt. Er wird geprägt von stetig fallenden Kursen und begleitet in der Regel eine lange und tiefgreifende Rezession. Oft mündet ein Crash auch in eine Baisse. Es kann schon einmal zehn Jahre oder sogar länger dauern, bis das ursprüngliche Kursniveau wieder erreicht wird. Denn zu den bisweilen ziemlich ernüchternden Tatsachen der Mathematik gehört es nun einmal, dass ein Aktienkurs nach einem 50-prozentigen Absturz anschließend 100 Prozent zulegen muss, um sein Ausgangsniveau wieder zu erreichen.