Allein geht's besser / Tapas, Träume und ein Macho / Paradies im zweiten Anlauf - Gabriele Ketterl - E-Book

Allein geht's besser / Tapas, Träume und ein Macho / Paradies im zweiten Anlauf E-Book

Gabriele Ketterl

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Beschreibung

Allein geht's besser Das Leben von Alexandra Stahl ist an einem Scheideweg angelangt. Wo sind sie hin, die wunderbaren Träume? Verloren, während den langen Jahren einer Ehe, in der sie sich Stück für Stück aufgegeben hat. Statt kreativen Blumenschmuck zu gestalten, hält sie ihrem karriereorientierten, cholerischen Mann Holger den Rücken frei und jobbt nebenher in der Boutique ihrer besten Freundin. Als Holger und sie von seiner Firma auf eine Reise nach Gran Canaria eingeladen werden, sieht Alex Licht am Horizont – das sich jedoch schnell verdüstert, als sie ihn in flagranti mit einer anderen Frau erwischt. Bei einer Inseltour besucht sie das romantische Bergdorf Mogán. Sie erkundet die Umgebung und vergisst Raum und Zeit so sehr, dass die Reisegruppe ohne sie weiterfährt. Eine vertrackte Situation, wären da nicht der geheimnisvolle Canario Marcos, sein alter Rover und eine verfallene Finca, deren Mauern eine besondere Geschichte erzählen. Tapas, Träume und ein Macho Aus einer lieblosen Ehe auszubrechen kostet Mut, viel Mut. Alexandra hat es geschafft, ihr altes Leben mit Holger ist Vergangenheit. Die Gegenwart heißt Puerto de Mogán. In dem malerischen Ort wartet das nächste Abenteuer. Sie möchte die alte, verfallene Finca zu neuem Leben erwecken. Nur wie mit viel zu wenig Geld, ohne Job und nichts als einem aberwitzigen Plan im Kopf? Der Canario Marcos, attraktiver Flamencotänzer und Cafébesitzer, steht ihr geduldig zur Seite. Trotzdem kommt es zu Spannungen, denn während sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen will, möchte der stolze Spanier sie ganz für sich. Als die Eigentümerin der Finca ein Vermögen für das alte Gemäuer fordert, droht Alex' Traum vom glücklichen Leben zu platzen, ehe er richtig begonnen hat. Obwohl sie weiß, dass Marcos die Liebe ihres Lebens ist, lehnt sie seine Hilfe ab. Bei der alljährlichen Fiesta im Ort kommt es schließlich zur Katastrophe …. Paradies im zweiten Anlauf Kaum gelingt es Alex ihre Beziehung zu Marcos wieder einigermaßen zu kitten, holt ihre Vergangenheit sie ein. Ihr Noch-Ehemann Holger hat die Scheidung eingereicht und Alex weiß wie ernst er seine Drohung meint. Die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft schwindet. Alex muss wohl oder übel zurück nach Deutschland und sich Holger stellen auch wenn sie sich davor fürchtet. Aber sie ist nicht alleine, Marcos weicht nicht von ihrer Seite. Es stellt sich heraus, dass hinter dem verschwiegenem Canario viel mehr steckt, als sie jemals ahnen konnte. Alex schöpft endlich wieder Hoffnung und nimmt ihr Vorhaben mit neuem Mut in Angriff. Sie kann nicht ahnen, dass das Schicksal - wie so oft -seine eigenen Pläne verfolgt.

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Kurzbeschreibung:

Allein geht's besser 

Das Leben von Alexandra Stahl ist an einem Scheideweg angelangt. Wo sind sie hin, die wunderbaren Träume? Verloren, während den langen Jahren einer Ehe, in der sie sich Stück für Stück aufgegeben hat. Statt kreativen Blumenschmuck zu gestalten, hält sie ihrem karriereorientierten, cholerischen Mann Holger den Rücken frei und jobbt nebenher in der Boutique ihrer besten Freundin. Als Holger und sie von seiner Firma auf eine Reise nach Gran Canaria eingeladen werden, sieht Alex Licht am Horizont – das sich jedoch schnell verdüstert, als sie ihn in flagranti mit einer anderen Frau erwischt.

Bei einer Inseltour besucht sie das romantische Bergdorf Mogán. Sie erkundet die Umgebung und vergisst Raum und Zeit so sehr, dass die Reisegruppe ohne sie weiterfährt. Eine vertrackte Situation, wären da nicht der geheimnisvolle Canario Marcos, sein alter Rover und eine verfallene Finca, deren Mauern eine besondere Geschichte erzählen.

Tapas, Träume und ein Macho 

Aus einer lieblosen Ehe auszubrechen kostet Mut, viel Mut. Alexandra hat es geschafft, ihr altes Leben mit Holger ist Vergangenheit. Die Gegenwart heißt Puerto de Mogán.In dem malerischen Ort wartet das nächste Abenteuer. Sie möchte die alte, verfallene Finca zu neuem Leben erwecken. Nur wie mit viel zu wenig Geld, ohne Job und nichts als einem aberwitzigen Plan im Kopf?Der Canario Marcos, attraktiver Flamencotänzer und Cafébesitzer, steht ihr geduldig zur Seite. Trotzdem kommt es zu Spannungen, denn während sie ihr Leben selbst in die Hand nehmen will, möchte der stolze Spanier sie ganz für sich. Als die Eigentümerin der Finca ein Vermögen für das alte Gemäuer fordert, droht Alex‘ Traum vom glücklichen Leben zu platzen, ehe er richtig begonnen hat. Obwohl sie weiß, dass Marcos die Liebe ihres Lebens ist, lehnt sie seine Hilfe ab. Bei der alljährlichen Fiesta im Ort kommt es schließlich zur Katastrophe ….

Paradies im zweiten Anlauf

Kaum gelingt es Alex ihre Beziehung zu Marcos wieder einigermaßen zu kitten, holt ihre Vergangenheit sie ein. Ihr Noch-Ehemann Holger hat die Scheidung eingereicht und Alex weiß wie ernst er seine Drohung meint. Die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft schwindet. Alex muss wohl oder übel zurück nach Deutschland und sich Holger stellen auch wenn sie sich davor fürchtet. Aber sie ist nicht alleine, Marcos weicht nicht von ihrer Seite. Es stellt sich heraus, dass hinter dem verschwiegenem Canario viel mehr steckt, als sie jemals ahnen konnte. Alex schöpft endlich wieder Hoffnung und nimmt ihr Vorhaben mit neuem Mut in Angriff. Sie kann nicht ahnen, dass das Schicksal - wie so oft -seine eigenen Pläne verfolgt.

Gabriele Ketterl

Puerto de Mogán Gesamtausgabe

Roman

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2019 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2019 by Gabriele Ketterl

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Ashera Agentur

Covergestaltung: Anke Koopmann, Designomicon, München

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-277-2

www.facebook.com/EdelElements/

www.edelelements.de/

Inhalt

Puerto de Mogán: Band 1

1. Status quo und stille Träume

2. Tapetenwechsel

3. Hola Guapa

4. Hohe Wellen

5. Keine Panik

6. Sonnenaufgang

7. Alleine geht es besser

8. Neuland

9. Die Entscheidung

10. Aufbruch

Puerto de Mogán: Band 2

1. Schön bunt

2. Neue Freunde

3. Kleine Notlügen

4. Alter Zauber

5. Neue Wege

6. Unverhofft kommt oft

7. Mit ein bisschen gutem Willen

8. Viel Neues und große Gefühle

9. Zukunftsangst und andere Kalamitäten

10. Zukunftsmusik

11. Männlicher Stolz und weibliche Intuition

12. Andere Länder, andere Sitten

Puerto de Mogán: Band 3

1. Männer

2. Freunde und ein großer Irrtum

3. Alles Auslegungssache

4. Auf zu neuen Ufern

5. Nach Hause

6. Kleine und große Problemfälle

7. Fehltritte

8. Fehlentscheidungen und Konsequenzen

9. Ein langer Kampf

10. Immer positiv denken

11. Herausforderungen

12. Mut und Entscheidungen

13. Was lange währt …

Kurzbeschreibung:

Das Leben von Alexandra Stahl ist an einem Scheideweg angelangt. Wo sind sie hin, die wunderbaren Träume? Verloren, während den langen Jahren einer Ehe, in der sie sich Stück für Stück aufgegeben hat. Statt kreativen Blumenschmuck zu gestalten, hält sie ihrem karriereorientierten, cholerischen Mann Holger den Rücken frei und jobbt nebenher in der Boutique ihrer besten Freundin. Als Holger und sie von seiner Firma auf eine Reise nach Gran Canaria eingeladen werden, sieht Alex Licht am Horizont – das sich jedoch schnell verdüstert, als sie ihn in flagranti mit einer anderen Frau erwischt.

Bei einer Inseltour besucht sie das romantische Bergdorf Mogán. Sie erkundet die Umgebung und vergisst Raum und Zeit so sehr, dass die Reisegruppe ohne sie weiterfährt. Eine vertrackte Situation, wären da nicht der geheimnisvolle Canario Marcos, sein alter Rover und eine verfallene Finca, deren Mauern eine besondere Geschichte erzählen.

Gabriele Ketterl

Puerto de Mogán

Allein geht’s besser 

Ein Gran-Canaria-Roman

Edel Elements

Edel Elements

Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2018 Edel Germany GmbHNeumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 2018 by Gabriele Ketterl

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Ashera Agentur

Covergestaltung: Anke Koopmann, Designomicon, München

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-96215-122-5

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Meiner Seelenfreundin Sabine

1. Status quo und stille Träume

Vaterstetten bei München, Juli 2016

So wütend wie am vergangenen Abend war Holger schon lange nicht mehr gewesen. Zuerst saß er nur schweigend und vor sich hinbrütend mit einer Zeitung in seinem Sessel.

Sein Sessel!

Alex hasste das Möbelstück mittlerweile abgrundtief. Dass sie dem Sitzmöbel damit schreckliches Unrecht tat, war ihr bewusst – irgendwie. Aber zu sehen, wie Holger jeden Abend darin saß und sie beobachtete, ließ ihre Magensäure rebellieren. Nach einer Weile, während sie bereits wie ein Derwisch durch die Küche wirbelte, um die Verspätung aufzuholen und ihm sein Abendessen einigermaßen rechtzeitig zu servieren, war er sehr bedächtig aufgestanden. Mit langsamen Schritten, die Hände auf dem Rücken verschränkt, kam er zu ihr in die offene Küche und lehnte sich gegen den großen, gemauerten Torbogen.

„Du weißt, wie viel ich tagtäglich leiste?“ Sein Blick war eisig.

„Ich weiß es, es tut mir wirklich leid. Die letzten Kundinnen in der Boutique konnten sich wieder mal nicht entscheiden. Es ist kaum möglich, sie mitten im Gespräch aus dem Laden zu werfen.“ Vorsichtig ließ Alex die frisch panierten Seelachsfilets in die Pfanne gleiten.

„Herzlichen Dank. Also kommt mein Anrecht auf einen ruhigen Abend und ein pünktliches Abendessen an zweiter Stelle? Schön, dass du mich das wissen lässt, Alexandra.“ Holgers Blick hatte etwas Lauerndes.

„Ich bitte dich, ich mache das doch nicht absichtlich. Es passiert so gut wie nie, dass ich zu spät nach Hause komme.“

Ihr Mann lächelte. Sie kannte dieses Lächeln. Es war kalt, so kalt, wie der ganze Mann zu sein schien. „Alexandra, ich hatte dich gewarnt. Wenn du deine häuslichen Pflichten vernachlässigst, wird das Konsequenzen haben. Meine Zustimmung zu diesem seltsamen Arrangement mit Leonie habe ich damals nur unter Vorbehalt gegeben.“

Zustimmung, Vorbehalt. Ihre Hände hatten in einer Mischung aus Wut und Hilflosigkeit gezittert, einer Mischung, die sie so sehr verabscheute. Was war aus ihr geworden? Aus der ach so starken und kreativen Alex? Aus der Alex, die so gerne lachte?

„Kleiderbügel? Schatz, ich habe lange Arme, aber so lang sind sie nicht.“

Alex erschrak, ihr Blick wanderte nach oben. Leonie balancierte todesmutig auf der vorletzten Sprosse der Leiter und warf ihr einen auffordernden Blick zu.

„Oh Mann, Leonie, entschuldige, ich war geistig gerade ganz woanders.“ Schuldbewusst hielt Alex mit der Rechten die Leiter fest und angelte mit der Linken einen Holzkleiderbügel aus dem Korb am Boden. Mit einem entschuldigenden Schulterzucken reichte sie ihn der Freundin. Leonie hängte die glitzernde Abendbluse auf den Bügel und platzierte sie inmitten des dekorativen Ensembles – einem an der Wand befestigten, handgefertigten Dekobaum, der direkt aus der Mauer zu wachsen schien.

„Wie sieht das aus? Kann ich es so lassen? Der Baum hat ein Vermögen gekostet, also sollte es auch ein echter Hingucker sein.“ Leonie lehnte sich zurück. Eine ausgesprochen dumme Idee, da sie um ein Haar das Gleichgewicht verlor, was Alex einen spitzen Schrei entlockte.

„Alex, ganz ruhig. Mir passiert nichts. Wenn ich falle, dann auf einen ausgesprochen gut gepolsterten Hintern mit wohlverpacktem Steißbein. Was ist denn heute wieder los mit dir?“ Mit besorgter Miene kletterte Leonie von der Leiter, trat zwei Schritte zurück und betrachtete mit schräg gelegtem Kopf das Gesamtkunstwerk, an dem sie in der vergangenen Stunde gearbeitet hatte. „Japp, das sieht sehr gut aus. Die zwei Riesen für den handgeschnitzten Baum haben sich ausgezahlt. So etwas hat nicht jeder.“ Sichtlich zufrieden drehte sie sich zu Alex um. „Und jetzt zu dir, junge Frau. Erzähl mir bitte mal, was dir heute über die Leber gelaufen ist. Die Laus muss ja gigantische Ausmaße gehabt haben.“

Alex konnte sich das Kichern angesichts Leonies Gesichtsausdrucks nicht verkneifen. „Ach, Leonie, du kennst die Laus doch.“

„Oh ja, die kenne ich allerdings.“ Leonie pustete sich energisch eine Strähne ihres dunkelbraunen langen Haares zurück, die sich aus dem Dutt gemogelt hatte, den sie im Geschäft gerne trug. Mit energischen Bewegungen zupfte sie ihre weiße Bluse zurecht und zog den Gürtel in Form, der ihrem Ensemble aus eleganter Bluse und gekonnt zerrissener Jeans das gewisse Etwas verlieh. „Und ich frage mich, wie lange du diese Psychospielchen noch mitmachen willst.“

„Psychospielchen?“ Alex verstand nicht so recht, worauf die Freundin hinauswollte. „Er ist überarbeitet und daher andauernd gereizt.“

„Blödsinn!“ Leonie drehte sich schwungvoll um und stöckelte, nun wieder in ihren halsbrecherischen High Heels, in Richtung der kleinen Teeküche, die gut verborgen hinter einer römisch anmutenden Säule lag. Überhaupt war die Boutique ein Gesamtkunstwerk aus Säulen, einer uralten Anrichte, die Leonie vom Flohmarkt nach Hause gekarrt und in elegantem Silberton zu neuem Leben erweckt hatte, und sehr edlen Holzregalen. Die Blumenarrangements darauf waren ihr eigenes Werk. Im Vorbeigehen warf Alex einen stolzen Blick darauf. Zugegeben, so etwas hätte sie verflixt gerne öfter gemacht.

„Tee oder Schnaps?“ Leonie war ab und an einfach nur himmlisch.

„Tee, vielen Dank, obwohl ich das andere dringender brauchen könnte.“

Während Leonie vorsichtig den Tee in zwei Tassen goss, warf sie Alex einen ungehaltenen Blick zu. „Du weißt, was ich mit Blödsinn meine, ja? Überarbeitet, dass ich nicht lache. Zusammen mit ein paar überkandidelten und überbezahlten Kerlen mit dem hart verdienten Geld anderer Menschen zu spielen ist für mich nach wie vor kein Beruf. Sie produzieren nichts, bringen nichts Konstruktives zustande. Aktienhandel ist der Tod unserer Wirtschaft. Shareholder-Value – dafür werden zahllose Arbeitsplätze geopfert und den Firmen eine solide Basis entzogen, das ist lächerlich! Broker sind die Möchtegern-Supermodels unserer Gesellschaft. Überbewertet und letztendlich vollkommen sinnfrei. Ähnlich wie Unternehmensberater, die ganze Firmen in den Bankrott treiben. So was braucht kein Mensch.“

„Autsch! Das war böse.“ Alex nippte vorsichtig an dem Darjeeling.

„Mag sein, aber ehrlich und wahr.“ Leonie stellte ihre Tasse behutsam auf dem Tresen in der Teeküche ab und warf einen Blick in den Verkaufsraum, aber um die Mittagszeit war es immer ruhig. Morgens und ab drei Uhr nachmittags ging es dafür rund.

„Gestern war ich aber auch wirklich spät dran. Ich muss einfach mehr auf die Zeit achten.“ Alex starrte in ihre Tasse.

„Was siehst du denn da drin? Die mickrigen Überbleibsel deines Selbstbewusstseins? Das kann so viel nicht mehr sein, nicht wahr, meine Liebe?“ Leonie wusste genau, wo es wehtat.

„Nicht nett! Immerhin arbeite ich jetzt wieder. Das ist, zumindest sehe ich das so, ein Schritt in die richtige Richtung.“

„Aber sicher doch. Drei Mal die Woche darfst du arbeiten, wie gnädig. Wenn er sich sonst nicht aufführen würde wie das letzte Arschloch, würde ich ja gar nichts sagen, aber so tut es mir echt leid. Er hat doch nur zugestimmt, weil ich dabei war und es ihm peinlich gewesen wäre, dir vor mir eine Szene zu machen. Immer schön den Schein wahren. Vollhonk!“

„Leonie!“

„Ach, hör auf, ist doch wahr. Wo sind wir denn? Du warst, ach Quatsch was sag ich, du bist so verdammt gut in deinem Job, und dann gibst du alles auf, um ihm den Weg zu einer kometenhaften Karriere zu ebnen? Du könntest inzwischen wahrscheinlich eine der gefragtesten Dekorateurinnen des Landes sein. Was du alleine damals bei dem Wettbewerb für die schönsten Hochzeitsfeiern an Blumenschmuck gezaubert hast, war atemberaubend. Du hast ein dermaßen tolles Händchen dafür. Und jetzt beschränkt es sich auf eure Dachterrasse und ein paar Blumenkübelchen in der Wohnung.“

Alex seufzte und verstaute ihre Tasse in der Spülmaschine. „Wenn er doch so empfindlich ist und eine Allergie gegen Hausstaub und Blumen hat …“

„Allergie? Der hat keine Allergie, sonst könnte er keinen einzigen Garten betreten. Der hat lediglich einen an der Klatsche und steht auf diese kühlen, sterilen Räume. Passt ja auch zu der Spaßbremse.“

Das dezente Bimmeln des Windspiels über dem Eingang unterbrach ihre Unterhaltung. Zwei Stammkundinnen traten ein und lenkten Alex’ und Leonies Aufmerksamkeit zurück auf das Geschäft.

Während Leonie die beiden Damen charmant und routiniert wie immer bediente, räumte Alex die neuen Hippieblusen in das Regal. Vintage war eindeutig dieses Jahr angesagt. Ein Modetrend, den sie liebte, dem Holger aber nichts abgewinnen konnte. Obwohl die Stücke wirklich gut an ihr aussahen. Probehalber hielt sie sich eine der Folkloreblusen vor den Körper und betrachtete sich im Spiegel: die langen dunkelblonden Haare mit den Highlights, dazu das schmale, dezent gebräunte Gesicht, die leicht schräg stehenden, blaugrünen Augen und ihr Mund, von dem eine Zeichenlehrerin einst behauptet hatte, er sähe aus wie eine Schwalbe. Eigentlich ein durchaus passabler Anblick, wäre da nicht dieser traurige Zug um den Mund, der eines Tages einfach da gewesen war. Was sie auch versuchte, ob Cremes oder Lotionen, er verschwand nicht. Mehr Lachen hätte eventuell geholfen, nur worüber? Holger ließ ihr nicht viele Möglichkeiten.

„Das schaut sehr gut aus, Frau Stahl, Sie mit Ihrer Figur können so was tragen. Ich würde darin wie eine alternde, übergewichtige Zigeunerin aussehen.“

Schmunzelnd blickte Alex zu der älteren Kundin hinüber. Man kannte sich, so war das nun einmal hier auf dem Land. Frau Hauck war die Leiterin des örtlichen Kirchenchors, dem Alex dank ihrer nicht existenten Sangeskünste entkommen war und der von den Damen des Ortes als Nachrichtendienst genutzt wurde. Alex konnte damit entspannt umgehen, da sie kaum Gesprächsstoff bot. „Danke für die Blumen, Frau Hauck. Ich würde es gerne tragen, aber mein Mann ist kein großer Vintagefreund.“

Die Chorleiterin zuckte die Schultern. „Ja und? Er soll’s auch nicht anziehen, sähe ja nun wirklich seltsam aus, nicht wahr?“

Alex stellte sich ihren stets gut gekleideten Mann mit seiner akkuraten Frisur in einer Hippiebluse vor und fand das sehr erheiternd.

Eine gute Dreiviertelstunde später verließen die Kundinnen schwer bepackt die Boutique. Frau Hauck warf Alex zum Abschied einen aufmunternden Blick zu. „Ich würde mir das Teil gönnen. Es steht Ihnen wirklich hervorragend.“

„Womit sie recht hat“, sagte Leonie. „Sie passt perfekt zu dir. Allein schon die Puffärmel und die Stickerei – wie für dich gemacht. Los, nimm sie mit. Für dreißig Europäer ist sie dein.“

Alex warf einen Blick auf das Preisschild. „Aber sonst geht’s dir gut? Du kannst mir nicht einfach fünfzig Euro schenken.“

„Herzilein, schon mal was von Einkaufspreis gehört? Und nun will ich rein gar nix mehr hören. Pack sie ein, sonst schicke ich sie dir.“ Leonie ließ in solchen Situationen nicht mit sich handeln.

„Vielen Dank, du bist ein Schatz.“ Erfreut betrachtete sie ihren Neuzugang.

„Ich weiß, dafür habe ich auch ein Attentat auf dich vor. Letzte Nacht sind bei dem Hagel meine beiden Blumentröge draußen vor den Schaufenstern in die Knie gegangen. Wärst du so lieb und würdest sie für mich neu bepflanzen? Wenn ich das mache, wird das immer so eine Art Tante Ernas Grabschmuck.“

Alex schüttelte lachend den Kopf. „Na, so schlimm ist es nicht, aber klar, natürlich mache ich das, sehr gerne sogar. Darf ich frei wählen oder hast du Wünsche?“

„Sie haben freie Hand, Gnädigste.“ Leonie versank in einen Hofknicks.

„Doofe Amsel.“ Alex verpackte kopfschüttelnd ihre neue Bluse, legte das Geld in die Kasse und warf einen nervösen Blick auf die Uhr.

„Mann, es ist gerade mal fünf. Wann kommt seine Herrlichkeit denn nach Hause?“

„Punkt sieben, und dann sollte das Abendessen auf dem Tisch stehen. Ich kann das schon nachfühlen, auch wenn du wahrscheinlich gleich wieder lospolterst. Er steht Tag für Tag im Konkurrenzkampf, und wenn er seine Quoten nicht bringt, ist er schnell weg vom Fenster. Erst wenn er den nächsten Schritt geschafft hat und Abteilungsleiter ist, kann er ein wenig durchatmen. Das war damals ja auch unser Plan. Ich halte ihm den Rücken frei und er festigt seine Position in der Bank. Okay, dass es so lange so gehen würde, war nicht geplant, zugegeben.“

Alex wurde von einer Kundin unterbrochen, die sich am Vortag ein teures Cocktailkleid hatte zurücklegen lassen. Sie war knapp zwei Stunden mit ihr beschäftigt und fast überzeugt gewesen, dass es vergeblich war. Nun stand die Kundin tatsächlich mit entschuldigendem Lächeln in der Boutique.

„Erinnern Sie sich an mich? Ich möchte das Kleid gerne doch mitnehmen, es ist einfach zu schön.“

Erfreut holte Alex das mit silbernen Ornamenten bestickte Modell aus dem Lager. „Da hätten wir das schöne Stück. Ich packe es Ihnen gut ein, damit es heil bei Ihnen zu Hause ankommt.“

Knapp tausend Euro wechselten den Besitzer und Leonie sah sehr zufrieden aus. Die Kundin erhielt noch einen passenden Seidenschal als Geschenk und verließ glücklich die Boutique.

„Damit hast du dir die Bluse erst recht verdient, schon klar?“

Alex nickte. „Ja, jetzt kann ich damit leben. Ist es okay, wenn ich heute um halb sechs gehe? Ich möchte einkaufen und alles vorbereiten.“ Sie sah, dass sich Leonies Gesicht verdüsterte, und fuhr schnell fort. „Das hat nichts mit modernem Sklaventum zu tun, Leonie. Ich möchte ihm einfach keinen Grund geben, etwas gegen meine Arbeit bei dir zu sagen, nachdem wir uns endlich darauf geeinigt haben. Ich bin so gerne hier.“

„Ganz toll, was soll ich jetzt für ein Gegenargument anbringen?“ Leonie stemmte die Hände in die Hüften und musterte sie nachdenklich. „Alex, ich bin ratlos. Auf der einen Seite weiß ich, dass es bei euch wohl einmal Liebe war, auf der anderen ist das, was ich seit ein paar Jahren miterlebe, eine Zweckgemeinschaft, die vor allem ihm nützt. Ich will mich nicht noch weiter aus dem Fenster lehnen, ich häng eh schon freifliegend in der Luft, aber eines sollst du wissen: Ich bin immer für dich da, okay?“

Alex umarmte die fast zwanzig Zentimeter kleinere Freundin so fest, dass die leise japste.

„Oh, entschuldige, ich wollte dich nicht erdrücken. Aber es ist schön zu wissen, dass es dich gibt.“

„Schon gut. Na los, mach dich vom Acker. Ich will nicht schuld an eurem nächsten Wortgefecht sein. So wie ich dich kenne, fährst du morgen in der Früh sofort in den Blumenmarkt. Soll ich dir Geld mitgeben?“

„Nicht nötig, ich kauf erst mal ein und dann gibst du es mir, wenn ich fertig bin und es dir gefällt.“ Alex nahm ihre Umhängetasche sowie die Tüte mit der Hippiebluse und verschwand mit einem letzten Lächeln.

Zwei Straßen weiter betrat sie den teuren Feinkostladen, in dem es Holgers Lieblingsspeisen gab, und kaufte dünn geschnittene Lendensteaks, Pfifferlinge und alle Zutaten für einen knackigen Salat. Kaum zu Hause, lüftete sie die Wohnung, saugte gewohnheitsmäßig durch alle fünf Zimmer, öffnete die Schiebetüren zum großzügigen Balkon, fuhr die elektrische Markise aus und deckte den Tisch. An diesem Abend erwarteten Holger zarte Lendensteaks in Pfifferlingrahmsoße, selbst gemachte Linguine mit frischen Kräutern und dazu ein aromatischer Blattsalat.

Als er einige Minuten nach sieben die Wohnung betrat und sah, dass alles fertig war und Alex soeben die Flasche Rosé in den Eiskübel auf dem Balkon stellte, war er sichtlich erfreut.

„Das sieht ja traumhaft aus, meine Liebe. Ich wasche mir nur rasch die Hände und ziehe ein Poloshirt an. Ich beeile mich.“ Er küsste sie auf die Stirn und schenkte ihr ein liebevolles Lächeln.

„Hetz dich nicht, Schatz, ich habe die Teller vorgewärmt, damit es nicht kalt wird.“

Während er im oberen Stockwerk ihrer Penthouse-Wohnung verschwand, lief Alex in die Küche, um die restlichen Schüsseln zu holen. An Tagen wie diesem keimte in ihr die Hoffnung auf, dass ihre Ehe doch noch zu retten war. Allein dieses Lächeln, in das sie sich vor über fünfzehn Jahren verliebt hatte, war schon einiges wert. Wäre es nur nicht so rar geworden.

Holger genoss sein Abendessen sichtlich und sparte nicht mit Lob für ihre Kochkunst. Zum ersten Mal seit Tagen führten sie bei Tisch ein entspanntes und interessantes Gespräch. Sein Tag in der Bank war erfolgreich gewesen und es gab große Abschlüsse zu feiern. Außerdem war eine Aktie, auf die er – wie er selbst eingestand – sehr wagemutig gesetzt hatte, durch die Decke gegangen und die Anleger hatten enorme Gewinne einfahren können. Während Holger voller Begeisterung von Börsenkursen und Aktienpaketen erzählte, kam Alex unweigerlich Leonies Aussage vom Nachmittag in den Sinn. Sie hätte Holger gerne von ihren Verkaufserfolgen berichtet, wusste aber leider nur zu gut, dass er diese nicht ernst nehmen würde. Für ihn war das eine Spielerei und er ignorierte komplett, dass Leonie mit ihrer Boutique, die ausschließlich Kleidung aus geprüfter Quelle anbot, ein zwar kleines, aber sinnvolles Rad im Uhrwerk der Wirtschaft darstellte. Sie musste sich zusammenreißen, um Holgers nun sehr ausufernd werdenden Ausführungen wieder zu folgen.

„Nach dem Erfolg von heute stehen die Chancen optimal, dass ich auch dieses Jahr wieder im Top-Seller-Kreis bin. Morgen werden die Sieger für die diesjährige Reise bekannt gegeben.“ Er füllte sein Weinglas erneut und prostete ihr zufrieden zu. „Ich denke, du kannst dir schon einmal Gedanken darüber machen, was du dieses Jahr alles mitnimmst.“

Das waren gute Nachrichten. Erfreut strahlte sie ihn an. „Das wäre wirklich schön. Habt ihr schon gehört, wohin es gehen soll?“

Holger spießte etwas Feldsalat auf und steckte ihn sich in den Mund. „Da wir schon seit einem Jahr immer wieder möglichst unauffällig die Kanalinseln ins Gespräch bringen, hoffen wir darauf. Es ist ein kleines Paradies mit herrlichen Golfplätzen.“ Mit aufmunterndem Lächeln schob er seinen leeren Teller zurück. „Das wäre doch auch etwas für dich, oder? Dort soll es eine unglaubliche Blumenvielfalt geben, also wirst du während der ganzen Reise voll in deinem Element sein.“

„Kanalinseln klingt wirklich gut. Die Vegetation dort soll subtropisch sein oder so ähnlich.“ Leonie zog eine Grimasse. „Sagen sie zumindest im Discovery Channel.“

Alex stellte die Holzsteigen mit den Blumen vorsichtig ab, um nichts zu verschmutzen. „Na, wenn die das sagen, dann muss es ja stimmen. Auf jeden Fall müssen sie traumhaft schön sein. Ich bin ja schon froh und glücklich, dass sich auch Holger darauf freut. Er ist sich gestern eigentlich sicher gewesen, dass er wieder dabei sein wird. Seine Laune war schon seit Langem nicht mehr so gut wie gestern. Es war beinahe wie früher.“

„Beinahe?“

„Na ja, früher konnte ich auch von mir und meinen Erfolgen oder wenigstens von dem, was ich den Tag über erlebt habe, erzählen. Das verkneife ich mir mittlerweile lieber oder wähle sehr vorsichtig aus, was ich sage. Für ihn ist eigentlich nur noch die Bank wichtig.“

Leonie lehnte sich gegen die Anrichte und verschränkte mit gerunzelter Stirn die Arme vor dem Körper. „Du erwartest jetzt keine Antwort, oder?“

„Lieber nicht, ich glaube eh, ich weiß, was du sagen würdest.“ Alex klemmte sich die kleine Gartenschaufel unter den Arm und nahm die erste Blumensteige auf. „Ich geh mal und tue das, was ich am besten kann.“

„Verschwinde, ehe ich dir dermaßen die Leviten lese, dass dir Hören und Sehen vergeht. Ich zaubere uns in der Zeit einen schönen Milchkaffee, das kann ich nämlich ganz gut.“

Während Alex die jeweils gut zwei Meter langen hölzernen Kästen mit frischen Blumen bepflanzte, grübelte sie unaufhörlich über alles nach, was Leonie ihr in den vergangenen Wochen immer wieder vorgebetet hatte. Es stimmte ja alles, jedes einzelne Wort, aber was hätte sie denn tun sollen? Behutsam nahm sie ein blaues Stiefmütterchen und setzte es neben die Weihrauchpflanze mit ihren grün-weißen Blättern. Direkt daneben pflanzte sie zwei lila Sonnenwenden, wohlriechende Vanilleblumen sowie eine sattrosa Abelie ein und strich fast zärtlich über die gewellten Blütenblätter. Dazwischen noch ein kleiner Zierfarn und eine rotbraune Schokoladenblume, die herrlich zart duftete. Alex trat einen Schritt zurück und betrachtete ihr Werk. Ein wunderschöner und so gar nicht alltäglich bepflanzter Trog strahlte ihr entgegen. Doch, sie konnte es noch immer. Und es machte sie glücklich. Fast als ob Erde und Pflanzen ihr Kraft geben würden. Zufrieden kehrte sie nach einer guten halben Stunde zurück in den Laden.

„Fertig! Komm, schau es dir an. Ich bin neugierig, ob es dir gefällt.“

Leonie trabte prompt nach draußen und kam umgehend zurück. „Genial. Das ist wunderschön geworden, du hast es einfach drauf. Immerhin etwas, das noch beim Alten geblieben ist.“

Alex nahm schmunzelnd ihren Kaffeepott entgegen und nippte zufrieden am leckeren Gebräu. „Ja, es gibt da ein paar Konstanten in meinem Leben. Du und Blumen, ihr gehört einfach dazu.“

„Wie kann man nur so unglaublich dämlich sein? Ich fasse es nicht. Mehr als ein Jahr lang Andeutungen zu machen können wir ja wohl kaum. Diese beiden dummen Ziegen aus der Eventabteilung schaffen es doch gerade einmal, eine Neckermannreise eigenständig zu buchen. Zu dumm zum Zuhören.“

Holger schimpfte wie ein Rohrspatz, seit er nach Hause gekommen war. Nachdem am Nachmittag die Top-Seller 2016 vorgestellt worden waren und der Chef alle in den Besprechungsraum gebeten hatte, war die diesjährige Destination bekannt gegeben worden:

die Kanarischen Inseln!

„Aber vielleicht gefällt es dir ja doch dort. Es ist schön auf den Kanaren“, versuchte Alex, ihn zu beruhigen.

„Dieses Juwel des Massentourismus? Mach dich nicht lächerlich. Warum nicht gleich Benidorm? Ich fasse es nicht.“

Sie verkrümelte sich mit dem Geschirr vom Abendessen in die Küche, stellte den CD-Player an – leise natürlich, Holger mochte keine laute Musik – und begann, die Spülmaschine einzuräumen. Sollte er doch noch ein wenig weiternörgeln, sie freute sich. Ganz egal wohin, Hauptsache, ein paar Tage weg.

2. Tapetenwechsel

Alex faltete das Badetuch liebevoll zusammen. Orange und Gold, warme Farben, die zu ihrer Stimmung passten. Zwar war Holger der Meinung, dass man sie im Urlaub mit allem Nötigen zu versorgen habe, das hieß aber nicht, dass sie dieses bildschöne Tuch nicht endlich seiner wahren Bestimmung zuführen konnte – einem Sandstrand und einem Sonnenbad bei fünfunddreißig Grad im Schatten.

Holger packte selbst und das war gut so, denn damit war er eine Weile beschäftigt. Sechs Wochen lang seine Schimpftiraden über Gran Canaria und die lebensunfähigen Organisatorinnen der Top-Seller-Reise anzuhören reichte ihr nun wahrlich.

„Ich denke darüber nach, nur Jogginghosen einzupacken. Dann passe ich am besten ins Allgemeinbild.“

Sie hielt ihm seinen Abendanzug entgegen. „Ja, vor allem am Galaabend. Ich könnte wetten, dass es letztendlich wieder ein voller Erfolg wird. So war es doch immer.“

Holger griff, wenn auch widerstrebend, nach dem schönen dunkelgrauen Maßanzug. „Da bekommt der Ausdruck ‚Perlen vor die Säue werfen‘ doch mal eine ganz eigene Bedeutung.“

Ihr Koffer war beinahe fertig. Mochte Holger auch leise fluchen, für sie war diese Reise eine Reise in ihre Kindheit. Als kleines Mädchen, gerade einmal acht Jahre alt, war sie das erste Mal auf die Kanaren geflogen. Als sie, damals auf Teneriffa, aus dem Flugzeug stieg, fühlte sie sich auf der Insel sofort heimisch – und sie war dort glücklich gewesen. Dieses Glücksgefühl wiederholte sich seither bei jeder Landung auf den in ihren Augen traumhaften Vulkaninseln. Holger hingegen bevorzugte Madeira, New York oder die Strände von Mexiko. Alex warf einen Blick in den offenen Koffer. Für warme Gegenden zu packen machte einfach Spaß. Bikinis, leichte Sommerkleider, die man sonst viel zu selten aus dem Schrank holen konnte, Sandalen, Flipflops, kurze Hosen und bunte Shirts – einfach perfekt.

„Das lässt du aber bitte hier. Damit machst du dich ja lächerlich. Es sei denn, du möchtest in den erlesenen Kreis der Althippies aufgenommen werden.“ Mit Nachdruck deutete Holger auf die Vintagebluse, die auf dem Bett lag. Dann wandte er sich schon wieder leise schimpfend seinem Luxus-Lederkoffer zu.

Alex musterte ihn schweigend aus dem Augenwinkel. Die Szene in der Boutique fiel ihr ein: Leonie war um ein Haar erstickt, als sie ihr, wie die Freundin versicherte, in oscarverdächtiger Manier wort- und gestenreich schilderte, wie Holger auf die Ankündigung reagiert hatte.

„Dieser Spießer und Spielverderber! Es tut mir ja leid … Sekunde, nein, das ist gelogen … es freut mich, dass ihr auf die Kanaren fliegt. Wirklich, Alex, ich hätte dir auch die Blumenpracht der Kanalinseln gewünscht, aber du wirst mir verzeihen, dass ich mich diebisch freue, weil seine Herrlichkeit ausnahmsweise nicht seinen Willen bekommt.“

Wieder einmal hatte sie Leonie wohl oder übel zustimmen müssen. Ihr war es vollkommen egal, wohin sie flog. Es war ein Geschenk, es ging in den Süden, weg von ihrem Alltag. Mehr wollte Alex nicht. Einfach nur ein klein wenig abschalten dürfen. Mochte Holger im Augenblick auch noch ungehalten sein; unter südlicher Sonne würde sich seine Laune sicher bessern. Sie warf ihrem Mann erneut einen vorsichtigen Blick zu. Noch gelang es ihm offenbar nicht, sich mit den Gegebenheiten anzufreunden, was sie an der wütenden Geste erkennen konnte, mit der er seinen Koffer zuklappte.

„So, das wird ja wohl genügen. Ich rufe noch mal im Büro an, ob alles in Ordnung ist.“

Alex sah ihm nach, als er, seinen Koffer in der Hand, aus dem Schlafzimmer stapfte und es ihr überließ, ihr Gepäck vom Bett zu wuchten. Früher hatte er ihr wenigstens den Koffer in den Flur getragen. Nachdenklich stand sie vor ihrem Trolley. Da passte noch einiges hinein. Sie ließ ihren Blick über den Inhalt des Schrankes gleiten, ehe sie sich umdrehte und mit diebischem Grinsen die Hippiebluse vom Bett pflückte, eine ihrer seit gefühlten Jahrhunderten nicht mehr getragenen zerrissenen Jeans hervorkramte und beides in den Koffer packte. Jetzt erst recht!

Sie liebte Flughäfen. Das rege Kommen und Gehen, die zahllosen Menschen, die in die ganze Welt reisten, und das bunte Treiben begeisterten Alex. Heute, an diesem Donnerstag im August, schien sogar Holger seine gute Laune wiedergefunden zu haben.

„Du hast es ja doch nicht verlernt.“

„Was habe ich nicht verlernt?“ Holger schien irritiert.

Sie lächelte ihn zufrieden an. „Dein Lachen.“

Er zog eine ertappte Grimasse. „Es tut mir leid, wenn ich derzeit nicht immer die Stimmungskanone spielen kann. Du kennst meinen Arbeitsalltag und weißt, was konstant auf dem Spiel steht. Wenn du nachher die neuen Kollegen siehst, wirst du verstehen, wovon ich rede.“ Er blickte sich um. „Ah, da vorne ist es. Komm, sehen wir zu, dass wir die Koffer loswerden. Vor dem Abflug gibt es ein Get-together in der Executive Lounge.“

Schmunzelnd sah sie zu ihm auf. „Das klingt für mich aber nicht nach Pauschalreise.“

„Abwarten, man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.“

Dank Business-Class-Status waren sie ihr Gepäck in Windeseile los. Holger ergriff ihre Hand und gemeinsam strebten sie, nachdem sie die Sicherheitskontrolle hinter sich gebracht hatten, auf die elegante Lounge der Fluggesellschaft zu. Ein sehr moderner und geschmackvoll ausgestatteter Nebenraum war den Teilnehmern der Top-Seller-Reise vorbehalten. Am Eingang erhielten sie ein großes Kuvert mit weiteren Informationen zur Reise, und im Inneren erwartete sie aufmerksames Personal mit Tabletts, auf denen farbenfrohe Cocktails aufgereiht waren.

„Darf ich Ihnen einen Tequila Sunrise anbieten? Oder hätten Sie lieber einen Strawberry Kiss?“

Angesichts des gewinnenden Strahlens des jungen Kellners fiel Alex die Entscheidung leicht.

„Den Strawberry Kiss bitte.“

„Mit dem allergrößten Vergnügen.“

Ein wenig ernüchternder war der Blick in die Runde der Mitreisenden. Bis auf Holgers Kollegen Klaus samt Ehefrau und Abteilungschef Severin war kein einziges bekanntes Gesicht dabei. Die Gruppe, die sich mehr oder weniger dekorativ im Raum verteilte, bestand hauptsächlich aus wesentlich jüngeren Teilnehmern als im Vorjahr. Langsam verstand Alex, was Holger ihr immer wieder zu sagen versucht hatte: Die Jungen übernehmen das Ruder, sobald wir nachlässig werden.

Er schien recht zu haben. Alex staunte, was sich binnen eines Jahres alles verändern konnte. Am auffälligsten war diese Veränderung bei der weiblichen Begleitung von Holgers Vorgesetztem. Aus der brünetten, amüsanten und sehr charmanten Silvia war ein schlankes blondes Wesen geworden. Gut, sie hieß auch nicht mehr Silvia, sondern Marissa und war vorsichtig geschätzt zwanzig Jahre jünger als ihre Vorgängerin. Severin, mit deutlich weniger Haar als im Vorjahr, dafür mit ebenso deutlich mehr Bauchansatz, stellte seine Begleitung mit stolzgeschwellter Brust vor. Immerhin schien er bester Laune zu sein.

„Alexandra, es ist schön, Sie wiederzusehen. Alle Jahre wieder, was? Ist aber auch kein Wunder bei dem, was Ihr Goldknabe in der Bank abliefert. Nach wie vor einer unserer Härtesten.“ Er schlug Holger mit gönnerhafter Miene auf die Schulter. „Prima Bilanz. Kann sich immer noch hervorragend sehen lassen.“

Alex lächelte pflichtschuldig und begrüßte Marissa, die ihr immerhin ein gnädiges Nicken gönnte. „Noch?“ Was bitte schön sollte das bedeuten? Es klang ein wenig wie eine Drohung. Sie konnte sich unschwer vorstellen, wie es auf Holger wirken musste. Während der sich mit seinem Chef unterhielt, scannte Alex neugierig die Umgebung. Im Nachhinein war sie froh darüber, sich gegen etwas Bequemes für den Flug entschieden zu haben. Die anwesenden Damen griffen modetechnisch eindeutig in die Vollen – und sie wusste, wovon sie sprach. Schließlich verkauften sie in der Boutique ebenfalls teure Fummel. Keines dieser Kleider ging für weniger als fünfhundert Euro über den Ladentisch. Prüfend strich sie ihr hellbraunes Etuikleid glatt. Die kupferfarbenen Ballerinas dazu waren im Vergleich zum übrigen Schuhwerk in der Lounge fast grenzwertig. Allerdings konnte sie sich bewegen, ohne auf dem glatten Marmorboden um ihr Leben fürchten zu müssen.

„Schatz, komm mit, ich stell dich schnell den anderen vor.“

Ehe sie reagieren konnte, ergriff Holger ihren Arm und bugsierte sie durch den Raum. Namen hatte sie sich schon immer schlecht merken können, Gesichter dafür umso besser. Was aber, wenn man wenig Lust verspürte, genau das zu tun? Holgers Kollegen stellten eine seltsame Mischung aus Jugend und Selbstüberschätzung dar. Sie hielten Cocktailgläser in den Händen und begrüßten Alex zwar höflich, aber mit – so empfand sie es zumindest – deutlichem Desinteresse. Ihre Begleiterinnen waren samt und sonders sichtlich jünger als Alex und musterten sie mit abschätzenden Blicken. Während die Männer zumindest ein paar Worte aufbrachten, die als freundliche Konversation durchzugehen vermochten, schwiegen die Damen höchst eloquent. Alex dankte dem Himmel, als sie zu Klaus und dessen Frau vordrangen. Silke freute sich darüber, sie wiederzusehen, und endlich konnte Alex ein wenig durchatmen.

Während Klaus und Holger sich auf die Jagd nach dem nächsten Cocktail machten, zog Silke sie zu einer der abgelegeneren Sitzecken.

„Bin ich froh, dass du da bist. Ich dachte schon, ich müsste allein mit diesen Ken- und Barbieverschnitten klarkommen.“

„Was höre ich denn da für seltsame Töne? Magst du die neuen Jungstars etwa nicht?“ Alex nippte schmunzelnd an ihrem sehr leckeren Cocktail.

Silke zuckte mit angespannter Miene die Schultern. „Wie denn? Weißt du, was ich seit über einem Jahr mitmache? Kannst du dir vorstellen, was ich mir jeden Abend anhören darf? Ganz ehrlich, wenn ich das früher gewusst hätte, dann wäre mein Psychologiestudium doch sinnvoll gewesen.“

„Willkommen im Klub. Du denkst nicht wirklich, dass es bei uns anders ist?“

„Wahrscheinlich nicht. Das macht es aber nicht besser.“ Silke warf einen verstohlenen Blick in Richtung Severin. „Wenigstens hat Klaus bis dato noch nicht erwogen, mich auszutauschen. Wobei Silvia wohl sehr gut mit der Situation leben kann.“

„Echt? Ich dachte immer, die beiden wären ein Dream-Team. Ich bin ein wenig überrascht.“ Alex’ Blick folgte dem von Silke. Zu sehen, wie Severin voller Stolz den Po seiner Begleiterin tätschelte, stieß ihr übel auf.

„Relax! Silvia hat sich ihren Personal Trainer geangelt und ist derzeit mit ihm auf Ibiza. Glaub mir, die macht das Beste aus der Situation. Sie ist zweiundvierzig, er achtundzwanzig. Eine perfekte Lösung, wie ich finde.“

„Kann es sein, dass ich einiges im vergangenen Jahr nicht mitbekommen habe?“ Sorgenvoll musterte Alex die Anwesenden. „Ich kann nicht behaupten, dass mich das hier begeistert.“

„Ebenso wenig wie mich. Nur können wir es nicht ändern. Das könnten nur unsere Männer. Die aber tun es nicht, da Veränderung immer ein Wagnis ist. Also berufliche Veränderung. Lieber reiben sie sich auf. Ich habe das mit Klaus schon zahllose Male diskutiert, es ist sinnlos. Ich führe einfach mein eigenes Leben und das richte ich mir so ein, dass es mir gut geht.“

„Hm, ich habe endlich wieder angefangen zu arbeiten. Zwar nur stundenweise in der Boutique einer Freundin, aber es tut mir gut. Ich hatte wirklich Angst, zu Hause vollkommen abzustumpfen.“

Silke nickte zustimmend. „Ein Schritt in die richtige Richtung. Bau dir das aus, tu es schnell und …“, sie stockte, ehe sie weitersprach, „lerne, weniger Rücksicht auf die Belange deines Mannes zu nehmen als auf deine eigenen.“

Mit vielem hätte Alex gerechnet, nicht aber mit einem solchen Rat aus Silkes Mund. „Du überraschst mich etwas, muss ich gestehen. Du hast Klaus doch immer den Rücken gestärkt.“

„… und bin in einer Villa in Grünwald vereinsamt. Vergiss es. Bei mir ist Schluss mit lustig. Ich arbeite in der Redaktion der örtlichen Zeitung, schreibe eine Kolumne und gehe regelmäßig in unser schickes Fitnessstudio.“

Alex konnte sich das Grinsen kaum mehr verkneifen. „Personal Trainer?“

„Warum nicht? Wenn es sich anbietet? Weißt du, ich lebe nur einmal. Oh Achtung, unsere Herren und Gebieter kehren zurück.“

Während Klaus und Holger die letzten Erfolge und zukünftige Möglichkeiten gegeneinander abwägten, sah Alex nachdenklich zu Silke hinüber. Die lächelte ihr zufrieden zu, ehe sie sich unterhakte, um vor dem Abflug noch einen der verführerischen Cocktails zu ergattern.

3. Hola Guapa

„Willkommen auf dem Flughafen Las Palmas de Gran Canaria. Bitte bleiben Sie so lange angeschnallt sitzen, bis die Anschnallzeichen über Ihren Sitzen erloschen sind. Im Namen von Kapitän Landes und der ganzen Besatzung wünsche ich Ihnen einen angenehmen Aufenthalt auf Gran Canaria.“

Schon beim Anflug hatte Alex einige Blicke auf die Insel erhaschen können. Grüne Wälder und Täler in den Bergen, dunkle Strände, weiße Wellenkämme auf einem stürmischen Meer und braune, steinige Ebenen im Süden – eine schöne Mischung. In der weitläufigen Ankunftshalle, wo sie an den Förderbändern auf ihr Gepäck warteten, herrschte reges Treiben. Menschentrauben aus aller Herren Länder warteten auf ihre Siebensachen. Alex fand das aufregend und spannend. Nicht ganz so die Herren der Bank.

„Kann man uns das nicht abnehmen? Was ist das denn für eine miserable Organisation? Im letzten Jahr waren die Koffer doch auch gekennzeichnet und wurden geholt.“ Severin warf den beiden Damen der Eventabteilung einen solch geringschätzigen Blick zu, dass sie Alex spontan leidtaten.

Überhaupt waren die anzüglichen Witze, die dummen Bemerkungen und die weinseligen Sprüche der Mitreisenden nicht dazu geeignet, sie zu beeindrucken. Nein, Alex schämte sich für das Benehmen der Teilnehmer. Am schlimmsten war, dass selbst Holger sich nahtlos in diese Riege einordnete. Schweigend trat sie einen Schritt beiseite und sah wieder auf das Band. Da genau in diesem Moment ihre Koffer herbeizuckelten, griff sie beherzt danach, und während ihr Mann sich lautstark über den mangelnden Service beschwerte, zog sie ihre Gepäckstücke vom Band und drückte ihm den Griff seines Koffers in die Hand. „Bitte, Schatz, dein Koffer.“

„Na komm, ärger dich nicht. Sei lieber auf alles gefasst, was da so kommt.“ Silke, die mit ihrem eigenwilligen Rollkoffer kämpfte, gesellte sich an ihre Seite. „Ohne Navi finden sie selbst den Kühlschrank nicht, aber hier riskieren sie eine dicke Lippe.“

Schmunzelnd begegnete Alex dem amüsierten Blick der Freundin. „Das sagt sich so leicht. Aber wie meinst du das? Könnten sie sich denn noch mehr danebenbenehmen? Schon im Flugzeug habe ich mich so geschämt. Sie haben wahrscheinlich den kompletten Wein- und Schnapsvorrat geplündert.“

„Hast du es denn nicht gehört? Sie wollen – warte, wie haben sie sich ausgedrückt – mitnehmen, was geht, und es den beiden dummen Tussen so richtig heimzahlen. Ich weiß, kindischer geht es kaum. Ich habe Klaus bereits gesagt, dass ich damit nichts zu tun haben will.“

„Ich glaube es ja nicht. Haben wir es mit erwachsenen Menschen oder pubertierenden Teenagern zu tun?“, schimpfte Alex fassungslos.

„Beleidige mir die armen Teenager bitte nicht. Komm, die Herrschaften streben dem nächsten Abenteuer entgegen.“ Silke zupfte sie am Ärmel.

„Äh, was?“ Alex war geistig noch bei dem peinlichen Benehmen der Herren Top-Seller.

Holger nahm ihr weitere Überlegungen ab. „Alexandra, Schatz, nun komm schon. Sonst verpasst du noch die Luxuslimousine.“

Sie biss sich auf die Lippe und schwieg vorsichtshalber. Später konnte sie ihm ja noch immer ins Gewissen reden. Hier vor seinen feixenden, angetrunkenen Kollegen war sowieso keine vernünftige Unterhaltung möglich.

Der Bus war nagelneu, vollklimatisiert sowie mit allem ausgestattet, was das Herz begehrte. Beim Einstieg standen zwei Mädchen in wunderschöner kanarischer Tracht bereit und überreichten jedem Gast ein kleines Geschenkpaket mit Ron Miel, dem berühmten kanarischen Honigrum, Nugat und edlem Käse. Alex bemerkte kurz darauf, dass Holger kein Auge für die vorüberziehende Landschaft hatte. Also gab sie ihre Versuche schnell auf, ihn dafür zu begeistern. Sie hingegen sog sowohl die Kargheit der steinigen Ebenen als auch die Schönheit der weißen Schaumkronen auf dem dunkelblauen Atlantik auf, dessen Wellen sich ungestüm an der Felsküste brachen. Immer wieder wuchsen gigantische Bougainvilleas aus dem felsigen Untergrund und bildeten herrlich bunte Farbtupfer in der sandigen Umgebung. Die Fahrt nach Puerto de Mogán führte an den Bettenburgen von Playa del Inglés vorbei, was zu Unmutsbekundungen seitens Holger führte. Alex beschränkte sich darauf, verständnisvoll zu lächeln und zu nicken. Ihr war mehr daran gelegen, die Bergketten am Horizont und die Strände in den vorüberziehenden Buchten zu bestaunen.

Da lediglich eine Straße in den Küstenort Puerto de Mogán führte, kamen sie bei ihrem Eintreffen nur langsam voran. Immerhin sah Alex so schon etwas von dem Ort. Ernüchternd waren die gigantischen Baugruben zu ihrer Linken, wo gewiss irgendwann riesige Hotels stehen würden. Schön wiederum waren die alten, an die Felswand gebauten kanarischen Häuser. Die typischen Balkone, geschmückt von üppigen Blumen, begeisterten sie sehr. Mindestens ebenso schön fand Alex, dass die meisten Menschen in den Straßen ein Lächeln auf den Lippen trugen. Etwas, das sie in Deutschland zunehmend vermisste.

Der Bus zuckelte gemächlich durch den Ort, um schließlich in eine kleine Straße abzubiegen. Die Calle de las Puntillas erwies sich als Zufahrt zu gleich zwei großen, sehr schicken Hotels. Eines davon, das Puerto de Mogán Grand Hotel, würde für die nächsten vier Tage ihr Zuhause sein. Üppige Blumenrabatten, Rosenbeete und wunderschöne Palmen schmückten die Auffahrt. Diese Anpflanzungen setzten sich, soweit Alex das sehen konnte, im weitläufigen Park, der zu der Anlage gehörte, fort. Vor der stilvollen, modernen Eingangshalle, die mit ihren hohen Säulen und dem glänzenden Marmorboden an die Alhambra Granadas erinnerte, plätscherte ein Springbrunnen fröhlich vor sich hin, und links neben dem Weg floss ein kleiner, künstlich angelegter, aber doch sehr schöner Bach. Über kleine Brücken gelangte man in den Park.

„Das sieht ja ganz nett aus. Was ich bei der Anfahrt gesehen habe, war allerdings genau die Katastrophe, die ich erwartet habe.“

Alex atmete vorsichtig auf. Wenigstens das Hotel schien ihrem Mann einigermaßen zu gefallen. Was der Rest der Crew von sich gab, war ihr egal. Schließlich war es Holger, mit dem sie ruhige und endlich wieder harmonische Stunden verbringen wollte.

Im Hotel wurde die Gruppe mit leichten Cocktails und frischen Obstspießen erwartet. Das Gepäck wurde von dienstbaren Geistern auf die Zimmer gebracht, und kurz darauf fand Alex sich auf einer Terrasse wieder, von der aus man einen herrlichen Blick auf die Gartenanlage hatte. Ein Gitarrist gab leise kanarische Lieder zum Besten, neben ihm war ein hübsches Willkommensbuffet aus unterschiedlichsten Tapas aufgebaut.

Zumindest für den Augenblick schienen sich die Gemüter der Banker und Bankerinnen beruhigt zu haben. Mit ihrer Begleitung im Arm genossen sie den ihnen gebotenen Luxus. Zu Alex’ Freude legte auch Holger seinen Arm um sie und zog sie an sich.

„Das ist gar nicht einmal so übel. Ich hatte Schlimmeres erwartet.“

„Was wurde denn aus deiner ehemaligen Lebenseinstellung, man solle immer positiv denken?“ Lächelnd schmiegte sich Alex an ihn.

Er zog eine nachdenkliche Grimasse, ehe er antwortete. „Ich befürchte, die ist mir in den letzten Jahren abhandengekommen.

Zwei Stunden, die man ihnen zur freien Verfügung gewährte, waren nicht wirklich viel. Eilig packte Alex ihre Kleider in den geräumigen Schrank. Das Zimmer war ein Traum. Neben einem Kingsize-Doppelbett war es mit einer Ledercouch sowie einem passenden Sessel ausgestattet, und der Boden war, wie in der Eingangshalle, mit hellbraunem Marmor ausgelegt. Das gigantische Badezimmer verfügte über eine Wanne, die eher einem Whirlpool glich, und einer begehbaren Dusche samt Tropenregen-Duschkopf. Zu ihrer Freude fand Alex zudem hochwertige Pflegeprodukte. Auf dem großen Balkon warteten bequeme Liegen und ein schicker schwarzer Bistrotisch samt passenden Stühlen. Selbst wenn sie große Hotels eigentlich nicht mochte – momentan fühlte sie sich ein wenig wie eine Prinzessin.

„Ansehnlich. Genau das, was man in so einem Haus erwarten kann.“ Zu mehr Lob konnte Holger sich nicht überwinden, aber Alex freute sich trotzdem darüber.

Sie schloss den Schrank und platzierte den Koffer in einem extra dafür vorgesehenen Fach neben der Badezimmertür. Erwartungsvoll drehte sie sich um. „Schatz, was ist, wollen wir ein wenig spazieren gehen? Nach dem langen Flug und der Busfahrt würde ich mich gerne etwas bewegen.“

„Du und deine Neugier. Aber meinetwegen, dann gehen wir eben ein Stück.“

Wenig später verließen sie Arm in Arm das Hotel, gingen langsam und gemächlich die Straße zurück, die sie gekommen waren, und gelangten so an den Durchgang zur Strandpromenade. Es war hier auf den Kanaren kurz vor halb sieben, die Sonne stand tief und tauchte die Umgebung in warmes goldenes Licht. Begeistert ließ Alex ihren Blick über den Strand schweifen, wo noch immer zahlreiche Sonnenhungrige die Wärme genossen. An der Promenade reihte sich ein Restaurant an das andere – für Alex nicht weiter tragisch, für Holger wohl ein No-Go.

„Ich sag doch, wie an der Costa del Sol. Überall stinkt es nach Pommes.“

Seufzend drückte Alex seine Hand. „Schatz, das riecht doch richtig gut. Ein wenig Fisch, ein wenig Knoblauch, Kräuter, sogar Kaffee. So riecht Spanien nun einmal.“

Er warf ihr einen seltsamen Blick zu. „Dass dir die Kombi gefällt, wundert mich nicht. Du und dein Faible für Spanien. Das ähnelt ja beinahe einem Kindheitstrauma.“

Alex zuckte ertappt die Schultern. „Ja, ich mag es nun einmal, da kann man nichts machen.“

Schmunzelnd stupste Holger sie in die Rippen. „Vielleicht kann ich dich ja doch noch für die Côte d’Azur begeistern.“

Er wusste sehr genau, dass sie diese Nobeldestinationen verabscheute. Sie schwieg dazu und zeigte auf eine gut besuchte Eisdiele. „Scheint nicht schlecht zu sein, wenn so viele anstehen.“

Seufzend zog Holger seine Börse aus der Gesäßtasche. „Es gibt zwar in einer guten Stunde Abendessen, aber ich glaube mich an deinen Brauch mit dem Begrüßungseis zu erinnern. Vanille und Pistazie, nicht wahr?“

Alex nickte strahlend. „Ja, sieh einer an, du weißt es noch.“

Holger verdrehte nur in gespielter Entrüstung die Augen und stellte sich in die Schlange.

Alex hielt an der Promenade nach einer freien Bank Ausschau. Fast alles war belegt, den herrlichen Ausblick auf das Meer und die Hafeneinfahrt schien sich niemand entgehen lassen zu wollen. Schließlich hatte sie einige Schritte weiter Erfolg. Begeistert sog Alex den Blick auf den Leuchtturm, die Hafeneinfahrt und den unendlichen Atlantik in sich auf.

„¿Hola mi guapa, qué tal? Un muy buen día hoy, verdad?“

Ja, es war ein schöner Tag, und als meine Hübsche hatte sie schon lange kein Fremder mehr bezeichnet. Der große, kräftige und durchaus sympathische Kerl trug ein riesiges Bierfass auf der Schulter und grinste sie breit an.

„Es un día que me encanta.“ Alex erwiderte sein Grinsen gut gelaunt und er trollte sich fröhlich pfeifend. Es war allerdings wirklich ein Tag, der ihr Freude bereitete. Mochten andere einen solchen Kommentar als anzüglich empfinden – ihr gefiel es, wenn man sie als Frau wahrnahm, und die Spanier taten das mit geradezu spielerischer Leichtigkeit. Ihre Komplimente waren stets kleine Seelenstreichler.

„Warum grinst du denn so zufrieden vor dich hin? Vorfreude auf etwas Süßes?“ Vor ihrer Nase tauchte eine gigantische Eistüte auf.

„Natürlich, warum denn sonst?“ Sehr zufrieden nahm sie die nach Vanille duftende Portion entgegen und probierte.

„Schatz, iss doch bitte etwas schneller, ich möchte nicht als Letzter zum Abendessen kommen. Ich habe keine Lust, am Katzentisch zu sitzen.“

Kurz wallte Ärger in ihr auf. Da saßen sie einmal in stiller Eintracht am Meer und schon dachte er wieder an die Kollegen. Andererseits war es ihm sicher aus strategischen Gründen wichtig, nahe bei seinem Chef zu sitzen. Seufzend nickte sie. „Wir können gerne schon los, ich kann auch im Gehen essen.“

„Gut, wir kommen ja sicher noch mal hierher, auch wenn ich es jetzt nicht so prickelnd finde.“

Schweigend blickte Alex hinaus auf das Meer, wo ein wunderschöner Segler sein Tempo drosselte, um langsam und elegant zwischen Jetskis und kleineren Booten hindurch in den Hafen zu gleiten. „Ja, du hast sicher recht. Komm, gehen wir.“ Wenn er die Schönheit dieses Ortes nicht erkennen wollte, dann würde sie das jetzt kaum ändern können.

Zögerlich stand sie eine Stunde später vor den drei auf ihrem Bett ausgebreiteten Kleidern. Gerne wäre sie noch ein paar Minuten länger unter dieser Traumdusche geblieben, doch Holger hatte bereits vor der Badezimmertür genörgelt. Jetzt hörte sie im Bad das Brummen seines Rasierers und grübelte. Kleines Schwarzes, rot-schwarz, eng anliegend und ziemlich sexy oder den beigen Hosenanzug aus feinem Leinen, den Leonie ihr dringend ans Herz gelegt hatte? Ihre Wahl fiel auf den Hosenanzug und dazu ein dünnes Glitzertop. Das schwarze Etuikleid würde morgen zum Zug kommen und das edle Cocktailkleid zum Galaabend am Samstag. Alex knetete ihre langen Haare in Form, geizte nicht mit Haarspray und schlüpfte in die goldenen Ballerinas. Wie immer behielt Leonie recht: Der Anzug sah wirklich verdammt gut an ihr aus.

„Respekt. Ein sehr schönes Outfit.“ Holger war hinter ihr aufgetaucht und schien ihre Wahl ebenfalls gutzuheißen.

„Freut mich, wenn es dir gefällt.“ Alex küsste ihn auf die frisch rasierte Wange. Sein herbes Aftershave roch betörend. Überhaupt sah er heute wieder einmal ausgesprochen gut aus in seinen Designer-Jeans. Dazu trug er ein weißes Hemd, eine blaue Krawatte, edle Wildlederslipper und ein schwarzes, italienisches Sakko. Sein dunkelblondes Haar war frisch gewaschen und noch feucht, was ihr sehr gut gefiel. Es wirkte … ja, verwegen. Abgesehen von den leicht müden Zügen war er noch immer ein sehr attraktiver Mann. „Du siehst aber auch ausgesprochen gut aus. Steht dir prima.“ Täuschte sie sich, oder zeigte sich da kurz ein bitterer Zug um seinen Mund?

„Tja, meine Liebe, ich muss ja auch mit den Jüngeren mithalten. Glaub mir, das ist nicht immer leicht. Ab und an kotzt es mich regelrecht an, aber habe ich eine Wahl?“

Alex verkniff sich eine Antwort und griff nach seiner Hand. „Ich weiß doch, dass du es nicht leicht hast in dem Laden. Aber lass uns bitte jetzt nicht daran denken, sondern den Abend genießen.“

Dass das leichter gesagt als getan war, dämmerte ihr spätestens, als sie auf dem üppig mit Blumen dekorierten Balkon eintrafen, wo der Cocktailempfang stattfand. Holgers junge Kollegen würden das Ambiente wahrscheinlich als „cool“ oder „hip“ bezeichnen. Beide Begriffe lagen nicht so sehr auf Alex’ Wellenlänge, ebenso wenig wie die anwesenden Damen, die samt und sonders zu edlen oder unglaublich sexy Roben gegriffen hatten. Sogar ein bodenlanges Abendkleid war zu sehen. Alex’ Hochgefühl verflog umgehend. Wenn man sich zum Begrüßungsevent schon so herausputzte, was mochte sie dann erst beim Galadinner erwarten?

Holger schien das nicht zu bemerken. Zielsicher steuerte er auf Severin zu, der ihm mit jovialem Lächeln auf die Schulter schlug. „Na, schon alles verstaut und das Bett getestet?“

Alex traute ihren Ohren nicht. Musste das sein? War es wirklich nötig, ein derartiges Niveau vorzugeben, und dazu noch als Chef? Sie musste sich zusammenreißen, war aber nicht sicher, ob ihr Lächeln überzeugte. So ein Trottel!

„Denk dir nichts. Der glaubt einfach, mithalten zu müssen. Hier, nimm lieber einen Aperol Spritz, schmeckt echt gut.“

Alex war froh darüber, Silke zu sehen. Während Holger, Severin und Klaus weiter über Kingsize-Betten und deren Verwendungszwecke fachsimpelten, zogen die Frauen sich an die Brüstung zurück, von wo sie einen unvergleichlichen Blick über einen Teil des Parks und die nun beinahe verlassene Poolanlage hatten.

„Musste das wirklich sein?“ Ungehalten nippte Alex an ihrem Getränk.

Silke machte eine abwehrende Handbewegung. „Lass gut sein. Das ist das derzeitige Gesprächsniveau, ich kenn das schon. Warum guckst du denn so zerknittert aus der Wäsche, meine Liebe?“

Alex’ Erklärung, sich underdressed zu fühlen, wischte Silke rasch vom Tisch. „So ein Unfug. Sieh dir doch bitte mal genau an, was da so rumläuft. Die Fummel mögen teuer gewesen sein, und doch wirken die meisten Damen billig oder unzufrieden. Dein Anzug hat dagegen Klasse, genauso wie die Frau, die ihn trägt.“

Silkes Worte taten ihr ungemein gut, und tatsächlich entpuppte sich der erste Eindruck bei genauerer Betrachtung als Trugschluss. Besonders Severins Begleitung wirkte in dem knallroten Minikleid und den hochhackigen Pumps samt ihrer weißblond gefärbten Mähne etwas … nun, wie sollte sie es ausdrücken?

Deplatziert.

„Denkst du das Gleiche wie ich?“ Mit hochgezogener Augenbraue taxierte Silke die junge Frau.

Alex zuckte amüsiert die Achseln. „Nun, das ist immerhin ein echter Stella-McCartney-Fummel, da kenne ich mich aus. Die Schuhe sind, selbst wenn ich niemals damit gerechnet hätte, ihnen in freier Wildbahn zu begegnen, original Manolo Blahnik. Diese Dame trägt grob zweitausendfünfhundert Euro durch die Landschaft.“

„Alex, reg dich ab. Das macht aus dem Gör noch lange keine Dame.“

Für Silke war das Thema damit abgeschlossen, und wenig später folgten sie ihren Männern in den Raum, wo das Begrüßungsdinner auf sie wartete.

Tatsächlich gelang es Holger, einen Platz an Severins Tisch zu ergattern, da er am hingebungsvollsten an dessen Lippen hing. Sehnsüchtig spähte Alex zu dem Tisch direkt neben der offenen Doppeltür zum Balkon, an dem sich Klaus, Silke und vier andere Gäste ausgesprochen gut zu amüsieren schienen. Holger hatte sie, ohne zu fragen, neben Marissa platziert und unterhielt sich nun angeregt mit einem jungen Kollegen. Sie hingegen stocherte lustlos in ihrem Salat herum und quälte sich durch den Small Talk. Ihre junge Tischnachbarin war, wie drückte man das nur höflich aus … minimal eloquent. Das Kompliment für ihre Garderobe nahm sie noch stolz lächelnd entgegen und erzählte, wo sie ihr Kleid erstanden hatte, doch nach der Frage, wo man rauchen dürfte, kam die Kommunikation zum Erliegen. Alex bewunderte den Kellner, der mit stoischer Ruhe die Sonderwünsche der Frau erfüllte – vom temperierten stillen Wasser bis hin zu Salat nur mit Zitronensaft, Salz und Pfeffer. Dass er dabei schmunzelte, schien nur Alex aufzufallen. Was ihr leider auch auffiel, war, dass Holger viel zu viel trank. Er vertrug doch nicht mehr so viel wie früher, warum machte er bei diesen infantilen Spielchen à la „Wein auf ex“ mit? War sie denn in einer Studentenkneipe gelandet? Nach dem Hauptgang, wahlweise exzellent zubereiteter Fisch oder zarte Lende vom Angusrind, entschuldigte sie sich und machte sich auf die Suche nach den Toiletten. Diese waren so edel, dass sie kurz überlegte, ob sie länger bleiben sollte, schließlich stellte die fröhliche Reinigungsfrau, auf die sie traf, eine wesentlich amüsantere Gesellschaft dar als ihre Tischnachbarin. Auf dem Rückweg schenkte Alex dem edlen Mosaikboden mehr Interesse als ihrer Umgebung … und traf ungebremst auf Widerstand.

„Ay, Lady, ich hoffe, Sie haben sich nicht verletzt.“ Ausgerechnet ihr – wie ihr erst jetzt auffiel – ausgesprochen attraktiver Kellner strahlte sie fröhlich an. Wie alt mochte der Bengel sein? Zwanzig, höchstens zweiundzwanzig, mit dichten, halblangen Haaren, die er zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, dunkelbraunen Mandelaugen und einem verboten hübschen, leicht gebräunten Gesicht. Oh je, sie musste aufhören, ihn anzustarren!

„Ah, Sie haben sich doch wehgetan, nicht wahr?“

„Nein, nein, es ist mir nur peinlich, dass ich nicht darauf achte, wohin ich laufe. Bitte entschuldigen Sie, es tut mir wirklich leid.“ Situation gerettet. Dachte sie zumindest.

Sein Lächeln wurde breiter. „Oh, wenn es Ihnen Freude macht, dürfen Sie das gerne wiederholen. Erstens sprechen Sie perfekt Spanisch und zweitens mag ich es, wenn schöne Frauen mich umrennen. Ehrlich.“ Er ließ eine filmreife Verbeugung folgen, umrundete sie mit der Eleganz eines Balletttänzers und entschwand in Richtung Küche.

Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, entschied sich jedoch letztendlich für ein sehr zufriedenes Lächeln. „Schöne Frauen.“ In Deutschland wagte das ja kaum mehr jemand zu sagen, von wegen Belästigung, dabei war es einfach schön, solche Komplimente zu hören.

Der Abend endete damit, dass sie einen angetrunkenen Holger auf ihr Zimmer schleppte und ihm helfen musste, sich seiner Krawatte zu entledigen. Ja, sie hatte tatsächlich auch gehofft, dass Holger mit ihr schlafen würde, aber doch nicht so. Ihre Wunschvorstellung beinhaltete ganz sicher nicht, dass er sich, nach Wein und Schnaps riechend, wortlos zu ein paar halbherzigen Küssen aufraffte und sich nach etwa drei Minuten von ihr herunterrollte, um mit einem selbstzufriedenen Grunzen einzuschlafen. Traurig glitt sie aus dem Bett, schlüpfte in ihr Nachthemd und schlich auf den Balkon. Das nächtliche Puerto de Mogán lag still im Mondschein. Eine sanfte Brise trug den Duft von Jasmin zu ihr herüber, irgendwo erklang das Lachen einer Frau. Alex legte ihre Hände auf die kühle Brüstung und sog die frische, salzige Luft in ihre Lungen. Die Schönheit dieser Nacht versöhnte sie etwas mit dem Abend.

4. Hohe Wellen

Die Mandarin Star war ein herrlicher alter Zweimaster, liebevoll restauriert und in ein stilvolles Ausflugsschiff für anspruchsvolle Gäste verwandelt. Für Alex’ Gruppe war das komplette Schiff angemietet worden, und nach einem ausgesprochen üppigen, vielseitigen Frühstück waren sie gemeinsam zum Hafen gelaufen und dort an Bord gegangen. Selbst die anspruchsvollen Jungbroker schienen endlich einmal zufrieden. Antonio und Juana, die liebenswerten Eigner der Mandarin Star, ließen keine Wünsche offen. Unter geblähten weißen Segeln fuhren sie hinaus. Nach etwa einer Dreiviertelstunde gingen sie in einer versteckten, kleinen Bucht vor Anker. Das Wasser war von einem kristallklaren Türkisblau.

„Señora, möchten Sie gerne schnorcheln? Wir haben alles, was Sie dafür brauchen, an Bord.“ Antonio lächelte Alex aufmunternd an.

Sie warf Holger einen fragenden Blick zu, den sie umgehend bereute. War sie denn nicht einmal mehr in der Lage, eine solch banale Entscheidung alleine zu treffen?

Da ihr Angetrauter eh nur mit den Schultern zuckte, fiel die Entscheidung sehr schnell.

„Sehr gerne sogar, es würde mir Spaß machen.“

Antonio reichte ihr eine Taucherbrille samt Schnorchel und Flossen. Lächelnd zog sie sich die dunkelblauen Ungetüme über. Sie passten perfekt.

„Vielen Dank, Sie haben einen guten Blick.“.

„Jahrzehntelange Erfahrung. Irgendwann erkennt man das einfach. Jetzt der Rest.“

Alex stülpte sich die Taucherbrille über den Kopf, zog alles zurecht und hob zuversichtlich den Daumen.

„Dann ab mit Ihnen ins kühle Nass.“ Er ließ eine Strickleiter für sie und die anderen, die auch gerne die Unterwasserwelt erkunden wollten, zu Wasser.

Aufgeregt kletterte Alex die wackelige Leiter hinunter und ließ sich ins Wasser gleiten. Es war so sauber und klar, dass man wunderbar weit sehen konnte. Neugierig blickte sie hinein. Direkt neben ihr schoss ein Schwarm bunt glänzender Fischchen vorbei, während etwas weiter unten ein riesiger Zackenbarsch seine Bahnen zog. Am Meeresboden entdeckte sie einige der erstarrten Lavaströme, die an Land teils bizarre Felsformationen bildeten. Hier im Meer waren sie ein perfektes Zuhause für Wasserpflanzen, und Alex glaubte sogar, Korallen zu sehen. Leider würde sie mit dem Schnorchel nicht so weit nach unten kommen, dafür fehlte es ihr an Übung. Aber alleine diese Schönheit aus der Ferne bestaunen zu dürfen, war ein Privileg.

Langsam zog sie ihre Kreise in den angenehm kühlen Fluten und genoss die Schönheit der Natur, die sich ihr neben den schillernden Farben der Fischschwärme im Spiel aus Lichtstrahlen und Schatten im Wasser zeigte. Als sich ein riesiger Umriss vom Meeresboden löste und ihr langsam näherte, erschrak sie kurzzeitig. Doch der eindrucksvolle Mantarochen glitt mit gleichmäßigen Schlägen seiner Flossen majestätisch an ihr vorbei. Unbewusst hielt Alex den Atem an. Welch ein herrliches Tier! Nur ungern kletterte sie zurück an Bord, doch Antonio und Juana wollten ablegen und zur nächsten Bucht weitersegeln. Hier gingen sie erneut vor Anker und an dem einsamen Strand wurde der Gruppe ein schmackhafter Lunch serviert.

Holger streckte sich neben ihr im warmen Sand aus. „Ich muss eingestehen, das ist eindrucksvoll“, ließ er mit Blick auf die in der sanften Dünung gemächlich vor sich hin dümpelnde Mandarin Star verlauten. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah hinauf in den blauen Himmel.

„Es freut mich, dass du deine Meinung geändert hast. Ich fühle mich gerade ein wenig wie in ‚Fluch der Karibik‘.“ Alex aß das letzte Stück Serrano-Schinken und spülte es mit einem Schluck Rotwein hinunter.

„Ich muss doch bitten“, sagte jemand hinter ihnen. „Mit der Black Pearl hat mein Schiff hoffentlich nicht viel gemeinsam.“