Alles außer Kontrolle - Birgit Gruber - E-Book
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Alles außer Kontrolle E-Book

Birgit Gruber

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  • Herausgeber: Zeilenfluss
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Der Gärtner war's! … oder doch nicht? Als in Kulmbach ein Mann erschossen wird, interessiert Kati das herzlich wenig. Hauptkommissar Lars kann nicht fassen, dass die Hobby-Ermittlerin ausnahmsweise ihre Nase mal nicht in seinen Fall steckt, aber Kati hat andere Probleme: Schwiegermutter Anke hat einen wertvollen Gemäldefund im Haus, weshalb es neuerdings am Anwesen von Security nur so wimmelt. Als wenig später ein Feuer auf dem Grundstück ausbricht und eine Leiche aus den Flammen gezogen wird, ändert sich alles. Denn plötzlich steht der attraktive Hausmeister Erik unter Mordverdacht! Während Lars glaubt, der Hüne sei in gefährliche Geschäfte verwickelt, ist Kati davon überzeugt, dass ihr Freund reingelegt wurde.  Spannungen sind in jeder Hinsicht vorprogrammiert, und Kati fragt sich, ob es überhaupt noch ein Zurück ins normale Leben gibt …   "Alles außer Kontrolle" ist Band 7 der Serie "Kati Blum ermittelt". Dieser Roman ist in sich abgeschlossen. Alle Teile können unabhängig voneinander gelesen werden.   LeserInnenstimme zu KATI BLUM ERMITTELT: Witzig, skurril, spannend - lesenswert!

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EINS

»Name?«

»Kati Blum.«

»Und weshalb sind Sie hier?«

»Ich wohne hier?!«, antwortete ich genervt dem Typ der Security, die neuerdings am Eingang zum Blumschen Anwesen jeden Ankömmling kontrollierte.

»Ach wirklich?« Ungerührt sah er mich an.

»Ja, echt. Sagt das nicht bereits der Name?«

Er zuckte mit den Schultern, was irgendwie witzig wirkte, da er ein muskelbepackter Koloss mit breitem Kreuz war. Sein Gesicht war rund, und auf dem Kopf war kein Härchen zu finden. Er war einer dieser Typen, die vermutlich jede freie Minute im Fitnessstudio verbrachten, um Gewichte zu stemmen. Ob er sein Gehirn auch so regelmäßig trainierte, war für mich allerdings fraglich. Immerhin hatte er mich in den vergangenen Tagen schon zweimal eingelassen.

»Das bedeutet gar nichts. Ausweis?«, forderte er jetzt doch glatt.

Mit bebenden Nasenflügeln angelte ich meinen Geldbeutel hervor und holte die kleine Karte heraus.

Er studierte eingehend Vorder- und Rückseite, zwischendurch schaute er zu mir hoch.

»Vierunddreißig Jahre, einen Meter vierundsiebzig groß, Haar- und Augenfarbe braun, wohnhaft hier!«, half ich ihm schnaufend auf die Sprünge und deutete über seine Schulter hinweg auf mein Baumhaus.

Natürlich lebte ich nicht wirklich in einem Baumhaus, sondern in einer kleinen Wohnung über den Garagen. Sie hatte diesen Spitznamen erhalten, weil gegenüber eine große alte Eiche stand, deren Äste bis an die Fenster reichten. Sie lag gleich hinter der Einfahrt zum Blumschen Königreich, und wenn ich ›Königreich‹ sage, ist das nicht übertrieben. Bei der Familie Blum handelte es sich um eine alteingesessene Bayreuther Juweliersfamilie mit entsprechendem Vermögen, Einfluss und Grundbesitz, der sich über mehrere tausend Quadratmeter erstreckte. Und seit das Anwesen durch den Sicherheitsdienst bewacht wurde, hatte es meines Erachtens Ähnlichkeit zum Vatikanstaat bekommen.

Dieser Vergleich würde meiner Schwiegermutter, Anke Blum, garantiert gefallen, wurde sie doch heimlich auch die Queen von Bayreuth genannt. Durchaus zu Recht, denn sie war hochmütig und kommandierte für ihr Leben gern. Das Motto Alles tanzt nach meiner Pfeife hätte sie sich ebenso gut auf die Stirn tätowieren lassen können. Doch auch so wusste jeder in Bayreuth, dass dieser Frau nichts verborgen blieb und sie überall mitmischte und das letzte Wort hatte.

Nur meine Wenigkeit besaß die Kühnheit – Anke würde es wohl eher als Frechheit bezeichnen! –, regelmäßig zu widersprechen. Aber ich genoss ja auch einen Sonderstatus. Ich war weder eine gebürtige Bayreutherin noch eine Blutsverwandte. Ich war die ungeliebte Schwiegertochter, die von ihrem einzigen Sohn Thorsten aus dem Urlaub mitgebracht worden und sogar nach seinem plötzlichen Tod – er starb, nach gerade mal vier Ehejahren, an einem Herzinfarkt – hiergeblieben war. Nicht, weil meine Schwiegereltern Klaus und Anke mich so herzlich in die Familie aufgenommen hatten – unser Verhältnis war mehr zweckdienlich –, sondern, weil ich hier Wurzeln geschlagen hatte.

In Nina hatte ich die beste Freundin gefunden, die man sich wünschen konnte. Maria, die gute Seele, die den Blumschen Haushalt führte, war wie zu meiner zweiten Mutter geworden, und Erik, der sämtliche anfallenden Hausmeistertätigkeiten inklusive Gartenpflege verrichtete, war auch noch da. Er war etwas jünger als ich, groß, mit einem super Body und langen blonden Haaren, die er in der Regel zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Er war ein echter Hüne, und wir verstanden uns bestens, was mein Freund, Kriminalhauptkommissar Lars Winkelmann, nicht ganz so toll fand.

»Okay.« Der Mann vom Sicherheitsdienst nickte und gab mir meinen Personalausweis zurück, bevor er zur Seite trat.

Ich verzichtete auf ein Dankeschön, schwang mich stattdessen auf mein altes Hollandrad und fegte an ihm vorbei, nur um es fünf Radumdrehungen später gegen die Garagenwand zu lehnen. Es reichte gerade aus, um mir meinen Unmut über diese schwerfällige Behandlung aus dem Leib zu strampeln. Und weil ich schon so schön in Fahrt war, nahm ich gleich jeweils zwei Treppenstufen auf einmal, auf dem Weg nach oben in meine Wohnung.

Einigermaßen ausgepowert ließ ich mich auf´s Sofa fallen. Trotzdem grollte ich noch immer. Sollte das in Zukunft so weitergehen? Dass ich mich mehr oder weniger an- und abmelden musste, wenn ich das Haus verließ? Ich war doch kein Teenager mehr!

Auf meinem Weg zum Kühlschrank sah ich durchs Fenster, wie meinem Schwiegervater Klaus gerade dieselbe Behandlung zuteilwurde wie mir. Na wenigstens war ich nicht die Einzige!

Obwohl er hinter dem Steuer seines schwarzen BMWs saß, konnte ich ihm die Verärgerung ansehen. Anders als ich begehrte er allerdings dagegen auf. Er schwang sich aus seinem Wagen und fuchtelte mit den Händen vor dem Securitytypen herum. Der glotzte nur.

Neugierig öffnete ich mein Fenster.

»Nachdem Sie mich schon dreimal kontrolliert haben, sollten Sie sich mein Gesicht allmählich gemerkt haben. Finden Sie nicht? Ich bin der Mann, der Ihren Trupp engagiert hat, derjenige, der Sie bezahlt!«, donnerte Klaus’ Stimme zu mir herüber, und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Er sprach mir aus der Seele, bei dem Sicherheitsbeamten aber offenbar gegen eine Wand. Denn der Mann zuckte nur, genauso wie vorhin, mit den Schultern. Das war sichtlich zu viel für meinen Schwiegervater.

»Wo ist denn Ihr Vorgesetzter? Ich will ihn sprechen. Sofort!«, verlangte er in strengem Ton, der in der Regel den Mitarbeitern seines Juweliergeschäfts vorbehalten war, wenn etwas nicht so funktionierte, wie Klaus es sich vorstellte.

Der Typ zückte sein Funkgerät und sprach etwas hinein.

»Sie treffen ihn hinten, vor der Villa«, sagte er dann.

Am liebsten wäre ich hinter Klaus hergelaufen, als er mit seinem Wagen die Auffahrt entlangbrauste. Wenn er vor dem Eingang zu seinem eigenen Haus nochmals kontrolliert werden sollte, würde ihm der Kragen endgültig platzen. Da war ich mir sicher, auch wenn solche Gefühlsausbrüche sonst eher meiner Schwiegermutter vorbehalten waren …

Da ich aber nicht so schnell wie ein BMW war, zumal man in diesem Moment auch sagen könnte: braust mit Wut! – ich kicherte bei dem Gedanken an das Wortspiel –, entschied ich mich dafür, mir lediglich einen Schokopudding zu gönnen.

Dabei dachte ich darüber nach, wie verrückt es aktuell doch im Blumschen Haushalt zuging. Alles hatte damit begonnen, als bei einem luxuriösen Abendessen mit Klaus’ Freunden die Ehefrau eines der Anwesenden Anke davon erzählt hatte, dass wiederum ein Bekannter von dieser verschiedene Gemälde aus früheren Zeiten auf dem Speicher gefunden hätte. Eines davon sollte Richard Wagner darstellen, den bekannten Komponisten und Bayreuths Ehrenbürger. Das war Grund genug für die Queen gewesen, um hellhörig zu werden. Schon am nächsten Tag hatte sie sich in die Angelegenheit eingemischt, Kontakt zum Besitzer aufgenommen und die Überführung des Porträts in die Blumsche Villa vereinbart. Hier sollte es einem Kunstkenner gezeigt werden, der eine Expertise anfertigen wollte.

Da Anke davon ausging, dass das Bild womöglich einen sechs- bis siebenstelligen Betrag wert sein könnte, hatte sie Klaus so lange beschwatzt, bis er einen Sicherheitsdienst beauftragt hatte, um eventuellen Kunstdieben zuvorzukommen und das Gemälde sicher verwahrt zu wissen.

Meines Erachtens war das Ganze etwas übertrieben. Denn der Künstler war aktuell noch unbekannt. Es handelte sich somit nicht um ein Werk von van Gogh oder Monet – auch wenn die Queen sich nichts sehnlicher erhoffte! Des Weiteren wusste bislang kaum jemand von dem Fund. Wie sollten also ausgerechnet Kunstdiebe davon erfahren haben? Es war doch noch nicht mal in der örtlichen Tageszeitung erwähnt worden.

Das wiederum wusste ich deshalb mit Gewissheit, weil ich immerhin für das Blatt arbeitete. Zwar nur freiberuflich, doch es wäre genau die Sorte von Kurzmeldung, für die ich losgeschickt werden würde. Meine Aufgabe war es nämlich, ein nettes Foto zu knipsen und einen Drei- bis Fünfzeiler hinzuzufügen. In der Regel betrafen solcherlei Meldungen Jubiläen und regionale Auszeichnungen unterschiedlichster Art, aber eben auch ein Fundstück, über das es (noch) nichts Ausführliches zu berichten gab.

Weshalb ich nicht verstand, warum Anke so einen Wind darum machte, wenn bisher nicht einmal die Presse es für nötig hielt, etwas über das Gemälde zu bringen. Andererseits passte es natürlich zu meiner Schwiegermutter, Aufsehen zu erregen. Sie stand gern im Mittelpunkt, und würde sich ihr Verdacht bestätigen, dass sie wirklich eine außergewöhnliche Entdeckung gemacht hatte, würde sie vermutlich künftig noch unerträglicher werden. Dabei war sie so schon anstrengend genug!

Gedrungen warf ich einen neuerlichen Blick durchs Fenster auf unsere Beschützer und entdeckte Nina, die gerade in eine hitzige Diskussion mit einem der Sicherheitsbeamten verwickelt schien.

Ich lehnte mich über das Sims und rief hinunter, dass sie zu mir gehörte. Inzwischen hatte offenbar ein anderer Mann den Posten an der Zufahrt eingenommen. Er schaute zu mir rauf, nickte und ließ meine Freundin gewähren. Obwohl das richtig fix ging, schaute sie nicht besonders glücklich aus, als sie ihren Weg zu mir fortsetzte.

»Oh Mann! Warum musstest du so schnell eingreifen?«, brabbelte sie los, kaum dass sie zur Tür herein war.

Verständnislos sah ich sie an. »Was meinst du? Das ist doch wohl total nervenaufreibend, diese permanente Kontrolle.«

»Ach, wie man es nimmt. Der Typ eben war richtig süß. Hast du dir den schon mal näher angeschaut?« Mit einem verschmitzten Grinsen warf sie ihre Tasche auf meine kleine Küchenzeile, bevor sie ihrerseits zum Fenster eilte. »Und einen richtig knackigen Po hat er auch. Das sehe ich selbst von hier aus«, meinte sie mit Kennerblick.

Mit amüsierter Miene trat ich neben sie. »Wie habe ich doch die ›alte‹ Nina vermisst.«

»Hach ja«, stimmte sie mir zu, ohne die Augen vom neusten Objekt ihrer Begierde zu wenden. »Die Sache mit Armin war einfach nicht das Richtige für mich.«

Nickend wandte ich mich ab und schenkte ihr ungefragt ein Glas Himbeerschorle ein.

Armin war ihr Ex-Freund, von Beruf Bankkaufmann, und hatte Nina jeden Wunsch von den Lippen abgelesen. Vermutlich war er deshalb derjenige, mit dem sie die längste Beziehung ihres Lebens geführt hatte. Wenn ich richtig mitgezählt hatte, waren es ganze neun Monate gewesen. In Ninas Zeitmaßstab musste das umgerechnet so lange wie zwei oder drei Jahre sein! Doch irgendwann wurde wohl auch Auf-Händen-getragen-Werden zu langweilig für sie, weshalb sie Armin vor zwei Wochen das Herz gebrochen und die Beziehung beendet hatte. Seitdem schlurfte der arme Kerl mit hängenden Schultern durch Bayreuth und war nur noch ein Abbild seiner selbst.

Nina hingegen blühte, passend zur Frühlingszeit, geradezu wieder auf.

»Also, von dem hätte ich mich gerne mal durchsuchen lassen. Du bist schuld, dass es nicht so weit gekommen ist!«, jaulte sie.

Kopfschüttelnd reichte ich ihr das Glas. Andere Leute hätten sich bei mir bedankt …

»Du wirst es überleben.«

»Oh mein Gott, was kommt denn da?«, rief sie statt einer Antwort aus und drückte sich geradezu die Nase platt.

Ich warf einen Blick über ihre Schulter.

»Das ist der Anführer der Herde«, informierte ich sie.

»Der hat ja Muckis. Dazu diese schwarze Dienstuniform. Ich denke, ich werde dich in nächster Zeit öfters besuchen«, hauchte sie.

Ich glaubte ihr aufs Wort. Glucksend machte ich es mir in meinem Sessel gemütlich. Für Nina musste die Ansammlung an Sicherheitsleuten wie die Auslage in einem Warenhaus sein. Und wenn man bedachte, dass sie sich schon monatelang nichts mehr ›Neues‹ gegönnt hatte …

Endlich drehte sie sich zu mir um. »Wie lange sind die denn noch da?«

Ich zuckte mit den Achseln. »Wenn es nach mir geht, bis vorgestern. Aber ich fürchte, die Queen hat andere Pläne. Selbst wenn das olle Bild nichts wert ist, könnte ich mir vorstellen, dass sie sich bis dahin daran gewöhnt hat, von Bodyguards umgeben zu sein. Damit erreicht sie offenkundig Promistatus, findest du nicht?«

Nina blies die Backen auf.

»Phu! Das möchte ich mir gar nicht ausmalen. Andererseits … Kommt sie dann zu ihrem Frisörtermin auch in dieser knackigen, maskulinen Begleitung?«, fragte sie keck.

Ich rollte mit den Augen und überlegte, in was ich da nur geraten war. War etwa der Frühling, der in der Luft lag, daran schuld, dass alle weiblichen Wesen sich derzeit über jegliche Vernunft hinwegsetzten?

Glücklicherweise wurde ich einer Antwort enthoben, da, gerade als ich den Mund öffnen wollte, die Tür aufflog und Erik hereinfegte, als wäre er von einer wilden Hummel gestochen worden. So aufgeregt hatte ich ihn noch nie erlebt!

Das lange blonde Haar des großen Hünen stand verstrubbelt aus seinem sonst wohlgeformten Pferdeschwanz nach allen Seiten ab. Seine blauen Augen waren weit aufgerissen, und seine rechte Hand fuchtelte wild im Raum herum.

»Hast du das gesehen? Hast du das gesehen?«, wiederholte er. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, dass er auf den Fernseher deutete.

»Du meinst«, ich warf einen Blick auf die Uhr, »in den Nachrichten?«

»Allerdings. Schalt ein. Schnell! Auf dem Regionalkanal kommt gerade eine Sondersendung.«

»Was ist denn passiert?«, fragte Nina, während ich mich an meiner Fernbedienung zu schaffen machte.

»Es …« Er brach ab und starrte meine Freundin an, als würde er sie zum allerersten Mal im Leben sehen. Aber vermutlich hatte er in seiner Hysterie einfach nur nicht mitbekommen, dass sie auch da war.

Dann fand ich den richtigen Sender. Es wurde über einen Todesfall in der Nachbarstadt Kulmbach gesprochen. Die Kamera schwenkte vom Berichterstatter in einen Raum und erfasste Absperrbänder sowie Männer der Spurensicherung. Jedenfalls ließ ihr Aussehen diesen Schluss zu. Ich hatte sie schon oft bei der Arbeit beobachten können. Sie trugen immer diese weißen, dünnen Overalls. Wieder wurde das Bild geschwenkt, und plötzlich erschien Lars.

»Lars ist im Fernsehen?!«, rief ich aus.

Es war das erste Mal, dass ich meinen Freund berufsbedingt im Fernsehen sah. Das war ja nett von Erik, dass er deshalb extra hergelaufen war, um mich darüber zu informieren.

»Können Sie uns schon etwas Näheres über den brutalen Mord sagen? Ganz Kulmbach ist erschüttert«, fragte der Reporter gerade und schob Lars das Mikrofon unter die Nase.

Lars guckte angestrengt in die Kamera. Wer ihn nicht kannte, musste seinen Blick als professionell abwägend deuten. Ich hingegen wusste, dass die Situation auch für ihn neu war. Während er überlegte, was er antworten sollte, stellte ich fest, dass er durchaus Kamerapotential besaß. Von wegen, dass man im Fernsehen zehn Pfund schwerer aussah! Lars’ gut trainierter Körper hatte auch am Bildschirm kein Gramm Fett zu viel am Leib. Seine blaugrauen Augen zogen einen regelrecht in den Bann. Hinzu kamen seine markanten Gesichtszüge im Zusammenspiel mit dem üblichen Dreitagebart, der ihm etwas Verwegenes verlieh. Wenn ich nicht schon mit ihm näher ›befreundet‹ gewesen wäre, würde ich mich glattweg fragen, wo man diesem Mann in Kulmbach oder Bayreuth begegnen könnte.

»Ein echter Hingucker, dein Lars«, stellte Nina ebenfalls fest.

»Hm-hm.« Sie nahm mir das Wort aus dem Mund. Dass Lars im selben Moment seinen Kommentar ans Publikum zum Besten gab, bekam ich nur noch am Rande mit.

»Da musst du künftig wohl aufpassen, dass sich ihm keine andere an den Hals wirft«, fügte sie hinzu und ließ mich aufhorchen.

Sollte ich mir wirklich darüber Gedanken machen müssen?

Nina sinnierte weiter. »Ich meine, jetzt, nachdem er zum regional bekannten Fernsehstar geworden ist …«

Ich runzelte die Stirn. »Lars ist ein top Ermittler und lebt für seinen Job! Abgesehen davon ist er ein zuverlässiger und treuer Typ. Ist er doch, oder?«

»Das ist doch völlig irrelevant!«, unterbrach uns Erik schnaubend.

Klar, er und Lars waren nicht gerade das, was man als ›beste Freunde‹ bezeichnete, sie waren viel eher das Gegenteil. Umso mehr war es verwunderlich, dass er extra hergekommen war, um ihn mir im Fernsehen zu zeigen.

»Vergiss den Kerl! Es geht doch um den!«, ereiferte er sich weiter, trat mit einem langen Schritt vor die Mattscheibe und deutete auf das Opfer, das nun im Hintergrund zu erkennen war.

Ich reckte den Hals, um bessere Sicht zu haben, nur um gleich darauf festzustellen: »Ich weiß nicht, was du meinst.«

Die Tote hatte langes blondes Haar und war kaum zu sehen, was schätzungsweise Absicht war. Allerdings besaß sie einen ziemlich muskulösen Körperbau.

»Fällt dir echt nichts auf?«, ereiferte Erik sich.

Ich zuckte mit den Schultern.

Erik fuhr sich durchs zerraufte Haar.

»Na ja, vorhin war der Blickwinkel besser. Aus dieser Perspektive sieht man echt nicht viel«, brabbelte er vor sich hin.

Indes war der Reporter wieder allein im Bild. Ich hatte nichts von dem, was Lars erzählt hatte, mitbekommen. Etwas missmutig guckte ich Erik an.

»Also, was ist hier los?«, wollte ich wissen.

Er reckte die Hände in die Höhe.

»Der Tote, er sieht genauso aus wie ich! Er könnte mein Zwillingsbruder sein«, rief er aus, bevor er sich theatralisch auf mein Sofa plumpsen ließ.

ZWEI

Die Theatralik, die Erik an den Tag legte, war Queen-verdächtig. Das irritierte mich, war er sonst in aller Regel doch der lässige Typ. Aber viel mehr erstaunten mich seine letzten Worte.

Nina erging es wohl ebenso.

»Was??«, stießen wir unisono hervor, und ich schoss von meinem bequemen Sitz in die Senkrechte.

Meine Freundin, die sowieso schon stand, beugte sich über die Sofalehne zu ihm hin, während ich zum Fernseher lief, obwohl ich mir das hätte sparen können. Denn der Bericht war vorbei. Stattdessen flatterte nun die Wetterfee über den Bildschirm.

Da mich ihr Geplapper nur verwirrte, schaltete ich das Gerät kurzerhand aus. Dann wandte ich mich an Erik. »Jetzt mal der Reihe nach. Du hast einen Zwillingsbruder?«

»Das ist ja ein Ding!«, murmelte Nina.

Erik starrte uns an. »Nein, verdammt.«

»Wie jetzt?«, fragte Nina und kam mir damit zuvor.

Der Hüne schüttelte den Kopf. »Ich habe keinen Zwillingsbruder. Darum geht es auch nicht.«

»Worum denn dann?«, wollte ich wissen. Vielleicht stand ich auf dem sogenannten Schlauch, aber ich kapierte seine Aufregung noch immer nicht.

»Darum, dass der Kerl mir so ähnlich sieht!«

Der Kerl. Ich rief mir den Kameraschwenk ins Gedächtnis und erinnerte mich, dass ich auf den ersten Blick gedacht hatte, es handele sich um eine Frauenleiche.

»Bist du dir sicher? Also mal außer Acht gelassen, dass man kaum was erkennen konnte, habe ich eine Blondine daliegen sehen«, sprach Nina meine Gedanken laut aus.

Erik stierte vor sich hin. Dann erhob er sich schwerfällig.

»Ach was soll´s«, murmelte er in sich hinein und verschwand – einfach so. Nachdenklich schaute ich ihm hinterher.

»Was war das denn?«, meinte Nina. »Hat er ein Feierabendbierchen zu viel erwischt, oder wie?«

»Quatsch. Ich habe ihn noch nie großartig trinken sehen. Und er hat auch nicht nach Alkohol gerochen.«

»Stimmt.« Nina nickte. »Na ja, ich muss jetzt leider weiter. Ich habe noch einen Termin mit meinem Vermieter. Du weißt doch, dass ich mich schon seit Ewigkeiten darüber aufrege, dass immer wieder die Sicherungen in meiner Wohnung rausspringen und ich dann plötzlich im Dunkeln sitze. Heute will ich endlich erreichen, dass er sich darum kümmert.«

Sie schnappte sich ihre Tasche und drückte mich flüchtig an sich.

»Dann wünsche ich dir viel Glück.«

»Danke. Aber das brauche ich nicht. Der kommt mir nicht raus, bis er feste Zusagen macht!«, informierte sie mich über die Schulter hinweg, bereits auf dem Weg nach draußen.

* * *

Der Frühlingsabend war keineswegs so lau, wie ich es mir wünschte. Fröstelnd zog ich meine Strickjacke fester um mich zusammen. Ich befand mich auf dem Weg zu Marias und Eriks Häuschen, das gleich neben der Blumschen Villa lag. Das kleine Haus war einst extra für die Dienstboten gebaut worden und erfüllte noch heutzutage seinen Zweck. Maria bewohnte die obere Hälfte, und Erik hatte die Kellerwohnung bezogen.

Zu ihm wollte ich. Sein seltsamer Auftritt ließ mir einfach keine Ruhe. Wir kannten uns nun knapp drei Jahre, und so wie heute hatte er sich noch nie benommen. Es passte überhaupt nicht zu ihm.

Er war grundsätzlich der ruhige, besonnene Typ, besaß aber durchaus eine witzige Seite. Seine Arbeiten am Blumschen Anwesen verrichtete er erstklassig und ohne zu meckern. Na ja, hin und wieder murrte auch er, selbstverständlich aber nur hinter Ankes Rücken! Eben so wie wir alle. Was seine Vergangenheit betraf, da wusste ich nur wenig. Wenn ich so darüber nachdachte, eigentlich gar nichts. Erik war da sehr verschlossen. Eines Tages war er einfach da gewesen. Meine Schwiegermutter hatte ihn als Nachfolger von Richard, Marias verstorbenem Mann, eingestellt. Wo sie Erik allerdings aufgegabelt hatte, war ihr Geheimnis geblieben.

Er hatte sich schnell in unsere kleine ›Patchworkfamilie‹ integriert, und schon bald hatte die kinderlose Maria nicht nur eine Ziehtochter – also mich –, sondern auch einen Pflegesohn namens Erik in ihr großes Herz geschlossen. Wir verstanden uns alle prächtig. Nur Lars, mein derzeitiger Lebensabschnittsgefährte und seines Zeichens Kriminalhauptkommissar, hatte so seine Schwierigkeiten, mit Erik Freundschaft zu schließen. Alle heilige Zeit behauptete Lars, man könne Erik nicht trauen. Dass ihn etwas Zwielichtiges umgäbe … Aber ich hatte nie etwas dergleichen feststellen oder bestätigen können, weshalb ich vermutete, dass es dabei vielmehr um männliche Territorialkämpfe und testosterongesteuerte Impulse ging. Das war wohl normal, wenn zwei Alphamännchen aufeinandertrafen.

Ganz gewiss unnormal hingegen war vorhin Eriks Verhalten gewesen. Ich glaubte inzwischen nicht mehr daran, dass er mir lediglich Lars im TV hatte zeigen wollen. Und auch sein unvermitteltes Verschwinden, zusammen mit seiner Erklärung, ›es wäre egal‹, konnte mich den Auftritt nicht vergessen lassen. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass da mehr dahinterstecken musste. Dem wollte ich auf den Grund gehen. Wir waren immerhin Freunde! Da ließ man sich nicht gegenseitig im Stich.

Ich hüpfte die Treppe zu seinem Souterrain hinab und fand ihn auf dem Bänkchen vor seiner Haustür sitzend. Die abendliche Kühle schien ihm nichts auszumachen. Sein Gesicht war leicht gerötet, möglicherweise durch die kalte Luft, ich tippte allerdings eher darauf, dass es sich um Restspuren seiner Aufregung handelte.

Als er mich sah, nahm er gerade einen tiefen Schluck aus der Bierflasche, die er in der Hand hielt. Hatte Nina demnach doch recht gehabt, als sie von übermäßigem Alkoholgenuss gesprochen hatte?

»Hi!«, sagte ich und nahm neben ihm Platz.

»Hallo. Was treibt dich denn her?«, fragte er tonlos.

»Na hör mal, du schneist bei mir rein wie ein Wirbelwind und verschwindest dann einfach wieder.«

»Hm.« Er nickte und stellte die Flasche neben sich.

»Also, was hab ich verpasst?«, fragte ich und gab ihm mit der Schulter einen freundschaftlichen Rempler gegen seine.

Einen Augenblick starrte er mich an.

»Willst du auch eins?«, wollte er dann statt einer Antwort wissen und deutete auf die Bierflasche.

»Warum nicht«, erklärte ich achselzuckend. Ich war zwar grundsätzlich mehr die Wein- und Mischgetränkeliebhaberin, aber unter den gegebenen Umständen und vor dem Hintergrund, dass Erik allem Anschein nach noch länger hier sitzen bleiben wollte, würde mir das Bier vielleicht zuerst den Magen und schließlich den gesamten Körper wärmen. Wobei es hier unten nicht mal so kalt war, wie ich befürchtet hatte. Die Hauswand im Rücken, vor uns die Betonmauer, an der sich die Treppe hinauf in den Garten emporzog, war es hier fast so gemütlich wie in einem kleinen Bunker. Der Abendwind blies über mich hinweg, sodass sich die Frühlingswärme des Tages noch halten konnte.

Erik kam zurück und reichte mir wortlos eine braune Flasche mit Bügelverschluss. Das ›Plopp‹, als ich sie öffnete, hörte sich in der Stille lauter an als üblich.

»Na, dann Prost!« Der Hüne stieß mit mir an, und ich bemerkte, dass sein Bier bereits über die Hälfte geleert war.

»Sitzt du schon lange da?«, fragte ich, nachdem ich einen Schluck getrunken hatte, und zeigte mit meinem Flaschenhals andeutungsweise auf seine.

»Nee, wieso? Ich war doch gerade noch bei dir.« Er guckte mich an, als wäre ich senil.

»Ich mein ja nur. Dein Auftritt war irgendwie merkwürdig. Deshalb …« Weil ich es nicht über mich brachte, meinen Verdacht laut auszusprechen, vollendete ich den Satz nicht.

Erik schaute mich einen Moment verständnislos an, dann lachte er laut auf. »Du dachtest, ich wäre betrunken?«

Ich merkte, dass mir die Röte den Hals emporkroch.

»Ich nicht! Nina hat so was erwähnt«, verteidigte ich mich. Ich wollte Erik keinesfalls als Säufer deklarieren! Dafür hatte ich wohl gerade Verrat an meiner besten Freundin begangen. Das war auch nicht besser, rügte ich mich selbst. Aber ich beruhigte mich mit dem Gedanken, dass Nina zum einen nichts davon wusste und zum anderen hart im Nehmen war. Vermutlich würde sie mir dafür höchstens einen Klaps verpassen.

Erik unterbrach meinen innerlichen Disput.

»Keine Sorge. Das ist mein erstes Bier heute. Aber das hab ich jetzt echt gebraucht«, erklärte er mir.

Mit gerunzelter Stirn schaute ich ihn an. »Was hat dich denn an dem Bericht, also an dem Mord in Kulmbach, derart aus der Fassung gebracht?«

Lapidar zuckte Erik mit den Schultern. »Es war diese Ähnlichkeit. Ich weiß auch nicht …«

Mein Blick versteifte sich. »Du bist also der Meinung, dass der Tote so aussieht wie du.«

Es war eine Feststellung, keine Frage.

Er nickte leicht, und ich dachte darüber nach.

»Okay. Wahrscheinlich würde ich auch Gänsehaut bekommen, wenn ich eine Leiche sehen würde, die mir bis aufs Haar gleicht«, erklärte ich laut. »Aber andererseits … Ich habe mal einen Bericht gelesen, in dem es hieß, dass jeder irgendwo auf der Welt einen Doppelgänger hätte. Wusstest du das?«, sinnierte ich weiter.

»Echt?« Eriks Brauen hoben sich.

Ich nickte inbrünstig. »Ja, angeblich schon.«

»Und meiner läuft rein zufällig ein paar Häuser weiter rum?« Sein Unterton verriet mir, dass er so seine Zweifel hatte.

»Na ja, warum denn nicht? Ich meine, die Chance, dass dein Doppelgänger beispielsweise in China lebt, ist doch eher gering. Das ist schon rein äußerlich, also genetisch, nicht sonderlich wahrscheinlich. Oder?«

Statt einer Antwort hob Erik erneut die Bierflasche an, weshalb ich einfach weiterplapperte.

»Außerdem liegt Kulmbach zwanzig Kilometer von Bayreuth entfernt, also von ›ein paar Häuser weiter‹ kann da wohl nicht die Rede sein.«

»Das ist mir schon klar, Miss Übergenau!«, brummte er schließlich.

»Und trotzdem lässt dich dieser Mord nicht mehr in Ruhe, stimmt´s?«

Ich erntete ein Augenrollen. »Du lässt nicht locker, was?«

Jetzt war ich es, die mit den Achseln zuckte. »Du kennst mich doch.«

»Allerdings. Was hat mich nur geritten, damit zu dir zu rennen? Und wenn ich so darüber nachdenke, bin ich tatsächlich gerannt! Wie ein kleiner Junge …« Er schüttelte über sich selbst den Kopf. »Kati, keine Ahnung, was da in mich gefahren ist. Ehrlich. Vergiss es einfach, ja?« Eindringlichen Blicks sah er mich an.

Ich merkte, wie ernst es ihm war. Und doch lag da etwas in seinen Augen, das mich dazu veranlasste zu glauben, dass mehr dahintersteckte, als er mir nun weismachen wollte. Etwas nagte an ihm, auch wenn er es jetzt, nachdem der erste Schreck vergangen war, herunterspielen wollte.

Als die Stille zwischen uns unangenehm wurde, tat ich ihm dennoch den Gefallen und ging auf seine Bitte ein.

»Gut. Wenn du meinst«, sagte ich langsam, während der Teil meines Kopfs, der für meine detektivische Spürnase zuständig war, bereits zur Höchstleistung hochfuhr.

»Tue ich!«, bestätigte er inbrünstig. »Es war nur ein Schock, mich als Leiche da liegen zu sehen …«

Fast abwesend schaute er jetzt über mich hinweg auf die nackte Betonmauer, was ein weiteres Indiz für mich war, dass er etwas vor mir verbarg. Doch ich konnte ihn ja schlecht zwingen, mit mir zu reden. Trotzdem purzelten die Worte einfach so aus mir heraus.

»Hast du etwa Bedenken, dass der Mordanschlag dir hätte gelten sollen?«, fragte ich, ohne zu wissen, wie ich darauf kam.

Kaum merklich zuckte Erik zusammen. Es war so minimal, dass ich ernsthaft überlegte, ob es tatsächlich passiert war.

Doch seine leicht übertrieben erhobene Stimme bestätigte es mir. »Was? So ein Quatsch!«

Er winkte ab. Ich ließ es so stehen, dachte mir aber meinen Teil.

* * *

Bis Lars endlich auf der Bildfläche erschien, hätte schon ein Trampelpfad auf meinem Wohnzimmerboden zu sehen sein müssen. So oft war ich auf und ab marschiert! Meine Gedanken kreisten in Dauerschleife um diesen neusten Mordfall. Wie praktisch, dass Lars der leitende Kommissar war. Über ihn würde ich garantiert an Informationen aus erster Hand kommen.

Dachte ich zumindest!

»Hey, da bist du ja!«, begrüßte ich ihn überschwänglich und umarmte ihn stürmisch – wobei ›sprang ihn an‹ es vermutlich besser treffen würde.

Lars kam prompt ins Straucheln und ließ die Einkaufstüte, die er mit sich trug, fallen.

»Was ist denn mit dir los?«, fragte er lächelnd und schlang seine Arme ebenfalls um mich.

Mir wurde klar, dass diese Art der Begrüßung tatsächlich etwas außergewöhnlich war. Hoffentlich roch er nicht gleich Lunte. Immerhin war er ein erstklassiger Ermittler, und er kannte mich ziemlich gut. Wenn ich nicht aufpasste, würde er innerhalb von Sekunden kombinieren, dass ich etwas von ihm wollte, weshalb ich unbedingt meine Neugier zügeln musste.

»Nichts. Darf ich mich nicht freuen, dass mein Freund Feierabend hat?«, versuchte ich meinen Fauxpas zu überspielen und gab ihm einen dicken Schmatzer.

Er ließ es sich gefallen und küsste mich zurück. Derart intensiv, dass sich die kleinen Härchen in meinem Nacken wohlig aufstellten.

»Hmm … Kann es sein, dass du ziemlich heiß bist …?«, raunte er mir ins Ohr.

Ich blinzelte. Oh ja, heiß auf Informationen! Doch das dachte ich mir nur. Wobei …

Seine Hände wanderten über meinen Körper, und meine Hormone begannen die Kontrolle zu übernehmen.

›Du kannst Lars auch später noch aushorchen, und wenn er gutgelaunt ist, ist es bestimmt auch leichter‹, flüsterten sie mir zu.

Ich dachte kurz darüber nach und kam zu dem Entschluss: Wo sie recht hatten, hatten sie recht. Denn dass Lars nicht besonders mitteilsam war, was seine Polizeiarbeit betraf, wusste ich aus Erfahrung zur Genüge. Inzwischen war es sogar zu so einer Art Mantra von ihm geworden, mich darauf hinzuweisen, dass mich weder Mord noch Totschlag etwas anging und ich mich grundsätzlich rauszuhalten hatte.

Ein Seufzen entschlüpfte meiner Kehle. Ob es den schwermütigen Gedanken in meinem Kopf geschuldet war oder dem angenehmen Ziehen in meinem Unterleib, konnte ich selbst nicht sagen. Lars, der von meinem innerlichen Kampf nichts wusste, ordnete es hingegen eindeutig Zweiterem zu. Es war ja auch die schönste Nebensache der Welt! Weshalb meine sämtlichen Denkprozesse verpufften und wir plötzlich auf der Couch landeten.

Verschwitzt und außer Atem lagen wir etwas später zusammengequetscht auf dem Sofa. Ich sollte mir wirklich mal eines mit etwas breiterer Liegefläche zulegen, dachte ich, während Lars’ Finger über meinen Rücken glitten. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Mundwinkel ebenso wie meine. Ich sah in seine blaugrauen Augen und nahm sein Bild in mir auf, den üblichen Dreitagebart und seine markanten Gesichtszüge. Dann ploppte plötzlich die Seifenblase in meinem Kopf auf, mit sämtlichen Fragen, die ich ihm bezüglich des neusten Mordfalls in Kulmbach stellen wollte.

Ich weiß … Es ist unvorstellbar. Da lag ich mit einem richtig sexy Typen, und mir fiel nichts Besseres ein, als ihm Informationen entlocken zu wollen, während andere Frauen in dieser Situation vielleicht über Familiengründung nachdachten.

Für einen kurzen Augenblick schweiften meine Gedanken in diese Richtung ab. Immerhin waren Lars und ich nun schon ein gutes Stück zusammen. Ich war Mitte dreißig und seit ein paar Jahren bereits Witwe. Als ich meinen Mann Thorsten geheiratet hatte, hatte ich natürlich an Kinder gedacht. Aber es war anders gekommen. Und jetzt? Jetzt war ich Besitzerin einer biestigen Schwiegermutter und hatte eine Freundin, in deren Repertoire Familienplanung meines Wissens gar nicht vorkam. Dazu besaß ich noch Eltern, die nach Australien ausgewandert waren, dafür aber Maria, meine mütterliche Freundin. Dann waren da noch Erik und Lars, der als Kriminalhauptkommissar bereits mit seinem Job verheiratet zu sein schien. Alles in allem konnte ich sagen, ich war durchaus glücklich. Mein Leben war unkonventionell und ziemlich perfekt. Und mal abgesehen davon, wie hätte ich denn mit einem Baby weiter Mordfälle aufklären sollen? Denn darin war ich ziemlich gut. Wirklich! Und die Fälle drängten sich mir geradezu auf, so wie die Leiche heute, die Erik aus dem Konzept gebracht hatte. Was mich wieder zurück zum Thema brachte …

»Ich habe dich heute im Fernsehen gesehen«, begann ich und kraulte Lars’ Nacken.

Er verzog das Gesicht. »Das ist schon ausgestrahlt worden?«

»Ja. Du hast eine richtig gute Figur gemacht.«

Lars stieß Luft aus.

»Ehrlich. Du bist richtig telegen«, schmeichelte ich ihm.

»Aha.«

»Ich hoffe, ich muss mir keine Sorgen machen, dass sich jetzt die ganze weibliche Bevölkerung auf dich stürzen wird.«

»Pha«, grunzte er nur. Er war viel zu bescheiden, aber darüber wollte ich mich sicherlich nicht beschweren. »Viel wichtiger ist doch das, was ich gesagt habe. Ist das halbwegs gut rübergekommen?«, wollte er wissen.

Ich wollte die Stirn runzeln, konnte es mir aber gerade noch verkneifen. Ganz bestimmt hätte er das als schlechtes Zeichen gedeutet. Dabei befand ich mich lediglich in einem Dilemma, denn ich hatte ja kaum ein Wort von dem, was er in die Kamera gesprochen hatte, verstanden – Nina und Erik sei Dank! Wenn ich ihm also jetzt eine positive Rückmeldung gab, würde ich nicht einmal das erfahren, was bereits sämtliche Zuschauer wussten …

Lars nahm mir die Entscheidung ab. »Du zögerst. Das sagt alles.«

»Oh nein! Es ist nur … Ich war so beeindruckt davon, dich in den regionalen Nachrichten zu sehen, dass ich gar nicht darauf geachtet habe, was du erzählt hast«, beteuerte ich.

Lars schenkte mir einen schrägen Blick, dann begann er zu lachen.

»Kati, das kannst du anderen erzählen, aber ich glaube dir kein Wort. Du – ausgerechnet du! – willst mir weismachen, dass du bei einem Mord nicht hellhörig wirst?«

Mist! Etwas verschnupft rappelte ich mich auf, schnappte mir mein T-Shirt und stülpte es mir über. Ich fühlte mich seelisch entblößt und brauchte wenigstens Klamotten am Leib, um damit umzugehen.

Unumwunden schaute Lars mir zu.

Endlich bekleidet reckte ich die Hände in die Höhe. »Okay, okay! Ich habe nichts verstanden, weil Nina und Erik permanent dazwischengegackert haben. Zufrieden?«

»Die beiden haben es auch gesehen?« Nun zog Lars sich ebenfalls an.

»Na, Erik hat mir den Bericht doch erst gezeigt«, erklärte ich, während ich mit meinen Schuhen kämpfte.

»Das ist ja interessant.«

»Wieso?« Ruckartig hob ich den Kopf, und Lars bemerkte, dass er bereits zu viel gesagt hatte.

Wir starrten einander an.

»Du überlegst, ob es eine Verbindung zwischen Erik und dem Toten gibt?!«

Der Polizist in ihm verzog grimmig den Mund.

»Du kannst es ruhig zugeben«, forderte ich.

»Ach, verdammt. Du erfährst es doch sowieso, wenn ich mit Erik ein Schwätzchen halte«, brummte er vor sich hin, während seine Gürtelschnalle beim Verschließen aufmüpfig klimperte.

»Dann lag Erik also doch richtig«, murmelte ich meinerseits in mich hinein.

Das Klappern verstummte.

»Inwiefern?«

Ich überlegte, wie viel ich verraten sollte. Aber wenn ich von Lars Auskünfte haben wollte, musste ich wohl erst mal vorlegen.

»Na, er hat behauptet, dass er dem Ermordeten zum Verwechseln ähnlich sieht.«

»Und woher weiß er das?«

»Durch irgendeine Kameraeinstellung. Die haben anscheinend die Leiche mal kurz eingeblendet.«

»Was?!«

Ich zuckte mit den Schultern. »Beschwer dich beim Sender, nicht bei mir.«

Er brabbelte etwas Unverständliches und fuhr sich unwirsch durchs Haar. Ich schlenderte derweil zum Kühlschrank, um zwei Apfelschorlen herauszuholen.

»Der Typ ist also abgemurkst worden«, fischte ich im Trüben.

»Wie? Nein, er wurde erschossen.«

Baff stellte ich die Flaschen auf meine Anrichte und schaute Lars an.

Er erwiderte meinen Blick und biss sich auf die Lippen. Dann hob er den Zeigefinger und deutete geradewegs auf mich. Wie unhöflich!

»Du hast es frech ausgenutzt, dass ich gedanklich abgelenkt war«, stellte er fest.

Ich zuckte nur lapidar mit den Achseln.

»Er wurde erschossen, sagst du? Das ist doch …« Mir fehlten die Worte. ›Neu‹ wäre auf jeden Fall passend. Wenn in Bayreuth und Umgebung ein Mord geschah, hatte es sich bislang immer um andere Arten gehandelt, wie das Opfer zu Tode gekommen war. Sie wurden erschlagen, erstochen, mal vergiftet oder waren sogar erfroren, aber erschossen …

»Das ist doch recht brutal, oder?«, beendete ich schließlich meinen Satz und dachte an die unzähligen US-Krimis, die ich gesehen hatte, bei denen Pistolen und Revolver zum Alltag zu gehören schienen.

»Ja, Tod infolge Schusswaffengebrauchs ist in der Tat eher selten.«

»Gott sei Dank! In Deutschland kommt man glücklicherweise nicht so leicht an Waffen.«

»So schwierig ist es allerdings auch nicht, wie du vielleicht denkst.«

»Echt?«