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Alex und Viktoria sind ein Paar und leben unter einem Dach. Es ist Viktorias Dach – schick möbliert, große Räume, Terrasse mit Pool. Alex darf mietfrei dort wohnen, muss jedoch Putzfrau und Haushälterin spielen. Sie nimmt Viktorias Geschenke und ihre finanzielle Unterstützung an, nutzt auch gerne das Massagestudio im Gartenhaus für ihr berufliches Fortkommen, wird dafür aber zunehmend zu Viktorias Marionette degradiert. Das eigene Massagestudio war schon lange Alex' Traum – also richtet sie sich ein in diesem ungesunden Kompromiss. Ein Verlobungsring, den Alex bei Viktoria findet, zwingt dann einen Entschluss herbei. Doch weil dieser Roman ein wenig ungewöhnlich ist und genauso schlecht Entscheidungen treffen kann wie Alex, erzählt er gleich mehrere Möglichkeiten: Wird Alex Viktoria verlassen? Wenn ja, wie geht es dann für Alex weiter, beruflich und privat? Schafft sie es, sich endgültig von Viktoria zu lösen? Auf direkte und schonungslose Art erzählt Christina König von einer toxischen Beziehung und deren weitreichenden Folgen und umkreist dabei auf originelle Weise Möglichkeiten, daraus wieder herauszufinden – oder auch nicht.
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Seitenzahl: 204
Veröffentlichungsjahr: 2025
Christina König
Roman
Die Salami glänzt scheinheilig auf deinem Schwarzbrot. Du beißt hinein und dein Weisheitszahn pocht wie eine Warnung. Mit fettigen Fingern greifst du nach der Kaffeetasse. Du trinkst schwarz mit Zucker.
Ihr Löffel taucht lautlos ins Magerjoghurt. Sie beobachtet dich beim Essen. Das macht sie immer. Sie trinkt schwarz ohne Zucker.
In deinem Rücken stapeln sich die letzten Umzugskartons. Es sind nicht viele. Es waren auch nie viele. Willst du die nicht gleich ausräumen, hat sie gefragt. Es war eigentlich keine Frage.
Sie spült ihre Müslischüssel aus, spült ihre Kaffeetasse aus, stellt beides in den Geschirrspüler, wischt das Waschbecken nass, wischt das Waschbecken trocken. Das Geschirrtuch hängt sie an seinen Haken. Du reibst dir die Fettflecken in die Jeans.
Mit einem Stanleymesser hockt sie sich neben die Kartons. Ich helf dir auspacken.
Musst du nicht.
Ihr Messer gleitet bereits durch das Klebeband.
Zusammengefaltete Filmposter, die blau-grüne Steppdecke, die dir deine Lieblingsschwester im Werkunterricht genäht hat, und das Pop-Art-Bild, das du mal einer Straßenkünstlerin in Berlin abgekauft hast, sind in den letzten Karton gestopft. Sie hält deine Switch wie eine Handgranate, drückt den X-Knopf. Wahrscheinlich würde sie am liebsten alles wegwerfen. Du zupfst ein paar Saiten deiner Gitarre. Du hast ihr gesagt, dass du mal in einer Band warst. Sie hat gesagt: Typisch.
Wir stellen das in den Keller.
Ich brauch das.
Wenn du meinst. Ich kauf dir einen Kasten. Im Büro ist noch Platz.
Du drehst deinen Miniglobus auf seiner Achse. Ihr Blick sagt dir, dass du ihn nicht im Wohnzimmer aufstellen wirst.
Ihr streift durch eins ihrer liebsten Möbelgeschäfte. Hier hat sie ihre Büromöbel gekauft. Es soll alles zusammenpassen. Zuhause hat sie Regale herumgeschoben, freie Plätze ausgemessen und dich alles notieren lassen. Wenn sie sagt, sie kauft dir einen Kasten, dann heißt das, sie kauft dir sofort einen Kasten.
Was sagst du zu dem?
Bisschen klein.
Das geht sich aus.
Die weißen Hochglanztüren blinken dich an. Alles, was sie kauft, ist allergisch auf Fingerabdrücke. Sie hat Mikrofasertücher in jedem Raum.
Ihr geht zur Kassa, schiebt die Schachtel auf einem Transportwagen vor euch her. Du zückst deine Geldtasche, sie drückt sie runter. Du bist erleichtert.
Kann ich Ihnen helfen, fragt euch ein Mann beim Auto, als ihr die Rücksitze umklappt. Nein, danke, sagt sie kühl. Du lächelst zumindest. Dann hebst du die Schachtel an, sie hindert den Transportwagen am Davonrollen und du wuchtest die Schachtel in den Kofferraum. Deine Muskeln aus der Zeit im Supermarktlager hast du noch. Respekt, sagt der Mann. Du hoffst, er sieht ihr Augenverdrehen nicht.
Vor der Haustür liegt ein Packerl von der Post. Einstandsgeschenk, sagt sie. Du reißt es auf und findest ein iPhone, fast so teuer wie ihres.
Bist du wahnsinnig?
Ich schäm mich schon mit deinem kaputten Ding.
Du umarmst sie und quietschst und hüpfst ein bisschen, damit sie nicht merkt, dass du dich ärgerst. Sie küsst dich auf die Schläfe. Pass halt drauf auf.
Willst du irgendwas dafür?
Sie verdreht die Augen. Darf ich dir nicht einfach mal was schenken?
Du erklärst ihr nicht, dass normale Leute Blumen schenken.
Mit der Montageanleitung in der Hand thront sie im Lotussitz auf dem Boden. Du schraubst und hämmerst, sie reicht dir die Nägel und das Werkzeug und sagt dir, was du tun sollst. Ihr macht keine Fehler. Du baust deine eigenen Möbel zusammen, seit du ein Teenager warst, und sie tut, als würde sie das tun. Sonst lässt sie alles von Montagefirmen erledigen, aber sie mag das Gefühl, es selbst zu können.
Der Kasten steht fertig an seinem Platz, als wäre er schon immer hier gewesen. Du räumst deine Sachen ein. Die Hochglanztür schließt sich vor ihnen. Sie wischt eure Fingerabdrücke ab. Alles funkelt blank.
Sie holt die Karaffe mit dem entkalkten Wasser aus dem Kühlschrank und gießt sich ein Glas ein. Du schleichst ihr hinterher wie ein gut erzogener Hund. Du weißt nicht, ob sie davon ausgeht, dass du den Rest des Tages mit ihr verbringst.
Sollen wir an den See fahren?
Viel zu heiß.
Stört’s dich, wenn ich allein fahr?
Wenn du meinst.
Das sagt sie nur, wenn es sie stört. Du wartest noch ein paar Sekunden, dann gehst du und packst deine Badetasche.
Die Bohrmaschine reißt Krater in deine Nerven, deine Konzentration, deine Geduld. Es rumpelt, stampft, dröhnt, kracht von oben auf dich herunter. Die lockere Kastentür deiner Kommode klappert, die Bierflasche scheppert und die Spinne, die seit Wochen in deiner Wohnzimmerecke lebt, vibriert in ihrem Netz. Staubflusen torkeln von der Lampe auf deine blau-grüne Steppdecke. Du springst auf, sprintest aus der Wohnung und ins Stiegenhaus und triffst den Zettel an den Türen des Lifts, der Renovierungsarbeiten für die nächsten zwei Wochen verspricht. Du trittst gegen das rostige Treppengeländer, bis dein Fuß so pulsiert wie dein Kopf.
Zurück auf der Couch setzt du Kopfhörer auf und starrst auf deine Lernunterlagen. Das Dröhnen dringt durch die Hörmuscheln, entzieht den Wörtern ihre Bedeutung. Die Darstellung des lymphatischen Systems verschwimmt vor dir und löst sich auf. Du schließt die Augen, dann öffnest du sie wieder und nimmst dein Handy.
kann ich ein paar tage zu dir kommen, schreibst du. Sie antwortet schnell. Das tut sie immer.
bring vollkornnudeln mit
Du packst eine Tasche.
Dein Wecker läutet später, als du es gewöhnt bist. Du rekelst dich in ihrer hellblauen Bettwäsche, die jetzt deine Bettwäsche ist. Die Überzüge, die du früher verwendet hast, hast du weggeworfen.
Sie ist längst in der Arbeit, als du aufstehst. Du fährst die Raffstores hinauf, schlenderst durch die Sonnenflecken auf den Ahornböden ins Bad. Draußen plappern die Vögel. Du hüpfst unter die Regendusche, probierst ihre weißgoldenen Pflegecremes aus, wühlst dich durch ihre Bio-Tampons. Alles ist leer und hell und ruhig. Du hauchst dein Spiegelbild an, bis es hinter deinem Atemnebel verschwindet.
Du verlässt das Haus über die Terrassentür. Der Pool glitzert und gluckert. Am Ende des Gartens steht das Nebengebäude, das einmal das Gästehaus war und jetzt dein Massagestudio ist. Du machst ein Foto, wie die weißen Wände in der Morgensonne leuchten, und postest es auf deinem Instagram-Business-Account. Die Kamera deines neuen iPhones ist ausgezeichnet.
Du sperrst die Tür auf. Die Klimaanlage beginnt zu summen und lässt die Blätter deiner Topfpflanze beben. Du hast keine Ahnung, wie die Pflanze heißt. Sie hat alles ausgesucht. Sie weiß es sicher auch nicht.
Deine erste Kundin kommt in einer Stunde. Es ist dein erster Tag. Du hast längst nicht alle Termine belegt. Du schaltest die Playlist mit Klaviergedudel ein, die du gestern auf Spotify gesucht hast, läufst durch dein Studio und schnupperst, ob noch Gerüche der Einweihungsparty in der Luft hängen. Du riechst nichts. Alles ist perfekt.
Die Türglocke holt dich in den Empfangsbereich. Deine erste Kundin ist da. Sie ist eine Bekannte von ihr. Einige deiner ersten Kundinnen sind Bekannte von ihr. Die Kundin flaniert durch dein Studio und lobt die Einrichtung.
Viktoria hat sich selbst übertroffen, sagt sie. Du hättest es dir denken können: Sie hat überall erzählt, dass sie die Einrichtung gemacht hat. Du nickst.
Nach der Massage überreichst du deiner Kundin ein Sackerl Pralinen als Willkommensgeschenk. Es war deine Idee, aber sie hat die Pralinen besorgt.
Du legst ein Pralinensackerl zur Seite, damit du es ihr am Abend schenken kannst. Sie wird es nicht öffnen.
Ihr tragt beide ein Kleid und wisst nicht, was ihr mit dieser Peinlichkeit anfangen sollt. Es ist euer zweites Treffen und das erste, das sich wie ein Date anfühlt. Ihr geht in ein Restaurant, wo die Karotten lila sind und das Grünzeug asiatische Namen hat. Du bestellst Dessert. Sie nicht. Probier mal, sagst du. Sie fährt mit der Gabelspitze ins Sorbet. Ist gut, sagt sie. Du vermutest eine unkreative Essstörung. Auf deinen Hüftknochen kann man Ski fahren, sagst du. Das gefällt ihr. Sie macht dir zwei Komplimente. Manchmal lacht sie sogar. Vielleicht solltest du etwas Unappetitliches machen.
Als die Rechnung kommt, sagt sie: Alles zusammen. Du beschwerst dich nicht. Du hast kein Geld und sie hat die Location ausgesucht. Wenn du vorschlägst, sie nächstes Mal einzuladen, implizierst du, dass es ein nächstes Mal gibt. Du sagst nichts.
Der Sonnenuntergang hängt verschwitzt über der Terrasse. Citronella-Kerzen sollen die Gelsen vertreiben. Es funktioniert nicht. Du hast einen Stich am Oberschenkel und kratzt nur, wenn sie nicht hinsieht. Sie hält es für ein Zeichen von Charakterschwäche, dem Juckreiz nachzugeben.
Deine Freunde verteilen sich über die Rattansofas. Bierflaschen und Nudelsalate stehen auf dem Tisch. Das Bier hast du gekauft, die Nudelsalate hat sie gemacht. Die Lowcarb-Variante ohne Mayonnaise und mit nudelförmigen Gurken isst nur sie.
Dein erster Freund nimmt sich die zweite Portion vom mediterranen Salat. Der ist gut, sagt er. Sie lächelt. Sie sitzt mit straffen Schultern auf einem Sessel schräg gegenüber. Weil sie noch Salate serviert hat, war der Platz neben dir schon besetzt. Du hast überlegt, ob du dich zu ihr setzen sollst, aber du willst ihr nicht unterstellen, dass sie Unterstützung braucht.
Hey, Vicky, hast du noch Salz, fragt dein zweiter Freund. Steif geht sie zurück ins Haus. Du haust ihm auf den Oberschenkel.
Du weißt, dass sie das nicht mag.
Er zuckt mit den Achseln. Soll sich nicht so aufführen.
Sie kommt mit dem Salz zurück.
Danke, Vicky.
Sie sagt nichts. Wenn du sie Vicky nennst, spinnt sie den restlichen Tag. Sie bemüht sich. Du fühlst dich schlecht, weil dir trotzdem lieber wäre, sie wäre nicht da.
Wie geht’s dir bei der Jobsuche, fragt sie deinen dritten Freund. Er ist gerade arbeitslos. Die Firma, bei der er als Monteur gearbeitet hat, ist in Konkurs gegangen.
Heute wieder ein Vorstellungsgespräch verkackt, sagt er und reckt die Faust in die Höhe.
Auf seinem TikTok-Kanal postet er How-to-not-get-thejob-Videos. Er hat mehr Follower als der Rest von euch. Sie hasst diesen Kanal. Sie glaubt an Ehrgeiz, Leistung und den Kapitalismus. Sie hat reiche Eltern.
Sie schenkt sich noch ein Glas Weißwein ein. Sie ist die Einzige, die Weißwein trinkt. Bei dem Fachkräftemangel hast du sicher überall gute Chancen, sagt sie.
Du weißt schon, dass uns das System nur verarscht, sagt er.
Sie öffnet den Mund. Du müsstest vermitteln. Du bist nicht gut im Vermitteln. Du trinkst dein Bier. Etwas juckt. Ein zweiter Gelsenstich.
Sie rennt fast gegen die Glastüren, die sich zu langsam für sie öffnen.
Ich bin hier für den Vinyasa-Yogakurs.
Sie sagt nicht Hallo. Sie ist zu effizient für ein Hallo.
Du gibst ihr die Infos, die sie haben will. Es sind nicht viele. Wenn du etwas sagst, was sie nicht interessiert, hört sie nicht zu.
Sie ist schon fast wieder weg, als sie sich noch einmal umdreht. Gibst du den Kurs?
Nein.
Ihr Blick klettert über dein Fitnessstudio-T-Shirt. Schade, sagt sie und weht an den Crosstrainern vorbei zum Yogaraum.
Als du nach dem Laufen in den Garten kommst, deckt sie den Terrassentisch. Dein Ausschnitt ist schweißgetränkt. Sie hängt den Blick daran, aber als du sie küssen willst, dreht sie sich weg. Geh duschen.
Sauber setzt du dich nachher auf deinen Platz. Sie hat das Essen von den Take-away-Behältern auf Tellern arrangiert. Dir hat sie ein Erdnusscurry mit extra Chili genommen und als Nachspeise eine Bananen-Palatschinke. Das Curry hast du vor Monaten einmal bestellt und gut gefunden. Sie merkt sich solche Sachen.
Wie war dein Tag, fragt sie. Du warst noch nie in einer Beziehung, in der ihr am Abend vor gefalteten Servietten zusammen esst und euch fragt, wie euer Tag war.
Eh gut, sagst du. Du weißt nicht, was sie hören will. Es gibt nichts Interessantes zu berichten.
Bist du zufrieden mit deinem Studio, fragt sie, wie eine Mail von Amazon, die dich auffordert, deinen neuesten Einkauf zu bewerten.
Es ist toll, sagst du und sie lächelt zufrieden. Danke, fügst du hinzu, weil du merkst, dass sie das erwartet. Du fragst dich, wann der Moment kommt, in dem du aufhören kannst, dankbar zu sein.
Du erkundigst dich nach ihrem Tag, auch wenn du die Antwort nicht hören willst. Sie ist Immobilienmaklerin. Ihre Kolleginnen sind Haie und ihre Kunden sind Arschlöcher. Sie liebt es. Sie arbeitet zehn bis fünfzehn Stunden am Tag und findet das normal. Einmal hat sie die Krise gekriegt, weil irgendein Milliardär die 72-Stunden-Woche empfohlen hat, und du hast den restlichen Tag damit verbracht, ihr klarzumachen, dass sie kein Faulpelz ist.
Sie rollt die Schultern. Es knackt.
Anstrengend. Mir tut alles weh.
Du sollst anbieten, sie zu massieren. Sie finanziert dein Studio. Es ist das Mindeste, was du tun kannst. Du schaufelst Curry in den Mund.
Mein Nacken ist richtig verspannt, sagt sie.
Glaub ich dir, sagst du.
Das Kreuz spür ich auch wieder, sagt sie.
Oje, sagst du.
Sie verengt die Augen.
Du gibst auf. Soll ich dich massieren?
Ich bezahl dich auch.
Du musst mich nicht bezahlen.
Du wohnst gratis bei ihr. Natürlich muss sie dich nicht bezahlen. Sie sagt solche Sachen, damit du dich daran erinnerst.
Über den Tisch nimmt sie deine Hand. Du bist die Beste.
Deine Hände gleiten über ihren Rücken. Sie hat nicht gelogen. Ihre Muskeln sind verhärtet. Aber das sind sie immer.
Es läuft die Playlist mit Instrumental-Covers von Popsongs, die sie entdeckt und dir geschickt hat. Du hast festgestellt, dass sie gut ist, hast sie aber noch nicht verwendet. Du willst selbst deine Playlists zusammenstellen.
Du wirst geil, während du sie massierst. Du willst sie umdrehen, aber sie soll nicht glauben, dass du erotische Gedanken am Arbeitsplatz hast. Also berührst du sie professionell und hoffst, dass sie von selbst auf die Idee kommt, sich umzudrehen. Sie kommt nicht auf die Idee.
Danke, sagt sie nachher und streckt sich in der Unterhose. Sie küsst dich auf die Wange, nicht auf den Mund, also machst du nichts. Du wirfst das Handtuch zur Wäsche, auf dem sie gelegen ist.
Was, fragst du, als du zu ihr ins Bett kommst. Sie liest irgendein Buch über Wirtschaftspsychologie und schaut dich nicht an. Sie schaut dich schon länger nicht an.
Nichts.
Okay, dann schmoll halt.
Sie blättert eine Seite um. Ich finde das nur spannend, wie ich nackt vor dir herumlaufen kann und dir das so richtig wurscht ist.
Das ist mir nicht wurscht.
Hätte ich nicht gedacht, dass du kaum eingezogen bist und schon nicht mehr willst.
Du willst lachen. Du tust es nicht. Sonst wird sie richtig böse. Willst du jetzt?
Sehr romantisch, Alexandra.
Sie spricht dich nur mit vollem Namen an, wenn sie sehr verliebt oder sehr beleidigt ist.
Du schnappst dein Handy, spielst ein Jazzstück, von dem sie tut, als würde sie es mögen, krabbelst auf ihre Bettseite und küsst ihren Hals.
Sie schiebt dich weg. Ich will lesen.
Sie liest jeden Abend vor dem Schlafengehen, weil sie gehört hat, dass erfolgreiche Menschen das so machen.
Wenn du eh nicht willst, weiß ich nicht, warum du dich beschwerst.
Wenn du zu beschränkt bist, grundlegende Emotionen zu verstehen, kann ich dir auch nicht helfen.
Du schaltest die Musik ab.
Und räum das Handy weg.
Du räumst das Handy weg, und dich selbst räumst du auch weg. Du kommst erst wieder, als du sicher bist, dass sie schon schläft.
Die Lernunterlagen klappen dir übers Gesicht, schon wieder. Sie schnappen auf beiden Seiten deiner Wangen zusammen, klemmen dich ein und fressen dich auf. Du gähnst, stemmst sie wieder hoch. Du hast eine Nachtschicht für deinen Nebenjob im Supermarktlager hinter dir.
Soll ich dich prüfen?
Sie stellt dir ein Glas mit selbst gemachtem Eistee neben die Hängematte. Die Hängematte gehört ihr, der Boden, auf dem sie steht, gehört ihr, und das Papier, auf dem du deine Lernunterlagen ausgedruckt hast, gehört auch ihr.
Geht schon.
Ihre Hand fährt durch deine Haare, eine Spinne, die sich durch Fäden wühlt. Du bist bei ihr und jetzt lernst du nur, anstatt Sex mit ihr zu haben. Das ist nicht nett von dir, aber du bist zu müde, um nett zu sein. Sie legt sich im Bikini an den Pool. Das macht sie absichtlich.
Du tigerst durchs Schlafzimmer auf der Suche nach einem Ort, an dem du deinen Schmuck verstauen kannst. Bisher hast du ihn im Bad nach dem Schminken angelegt, aber sie findet, Schmuck gehört nicht ins Bad, weil es dort zu feucht ist.
Tu ihn in die Lade da, sagt sie und deutet auf eine Kommode beim Fenster. Du rüttelst an der ersten Lade. Sie ist verschlossen.
Nicht die da.
Was ist da drin?
Geht dich nichts an.
Die Lade grinst geheimnisvoll. Vielleicht hat sie eine Pistole da drin oder Peitschen. Grundsätzlich wärst du für alles offen. Ihr Blick hält dich davon ab, ihr das mitzuteilen. Du öffnest die Lade darunter und legst deinen Schmuck hinein.
Mit deinem Sektglas drehst du eine Runde durchs Wohnzimmer. Als du zum ersten Mal mit ihr geschlafen hast, seid ihr direkt raufgegangen, aber diesmal kriegst du sogar was zu trinken. Du bist ins nächste Level aufgestiegen. Es schmeckt dir nicht besonders.
Du könntest Rollschuh fahren in dem Raum, wenn du nicht den Holzboden zerkratzen würdest. Der Kamin ist so falsch wie die Topfpflanze am Fensterbrett. Auf dem Couchtisch steht nichts bis auf eine Stahlskulptur. Nicht einmal die Fernbedienung siehst du.
Sie spiegelt sich im Glas der Panoramafenster, wie sie am Esstisch lehnt und gelangweilt ihre Sukkulente betrachtet, bis du deine Erkundungen abgeschlossen hast.
Ich mag keine Farben.
Charakter anscheinend auch nicht.
Nicht besonders.
Du nimmst ihr das Glas ab und ihr küsst euch. Du willst sie auf die Couch ziehen, aber sie besteht darauf, dass ihr ins Schlafzimmer geht. Sie ist spießig, aber du beschwerst dich nicht. Diesmal bist du selbstbewusst betrunken und nicht peinlich betrunken, sie leckt dich so, dass du zweimal kommst, und sie macht mehr Geräusche als beim letzten Mal, also nimmst du an, dass sie auch mehr Spaß hat. Nachher liegst du neben ihr und lachst bescheuert. Sie streicht dir die Haare aus dem Gesicht. Du nimmst dir vor, dich nicht zu verlieben.
Kellnerinnen mit Dreadlocks und glitzerndem Lidschatten laufen zwischen den Tischen herum. Kein Stuhl passt zum anderen und es riecht komisch. Sie erklärt dir, dass das Matcha-Tee ist. Du hast Geburtstag und sie hat dich zum Brunchen eingeladen. Das Café ist trendy und nicht so deins, aber es hat ein gutes englisches Frühstück.
Als Nachspeise bekommst du ungefragt einen Cheesecake mit brennender Kerze serviert. Ein paar Leute schauen zu euch herüber. Sie schiebt dir nachlässig ein Kuvert über den Tisch. Sie tut gern, als hätte sie sich keine Mühe geben müssen, um dir etwas Tolles zu schenken. Meistens ist das auch so.
Du öffnest das Kuvert. Darin findest du zwei Tickets für ein Konzert deiner Lieblingsband. Du trommelst mit den Fersen auf den Boden und hüpfst in deinem Stuhl auf und ab. Sie versteckt die Augen hinter der Hand. In Wahrheit mag sie es, wenn alle merken, dass sie gut im Geschenkemachen ist.
Soll ich da mit meiner Lieblingsschwester gehen oder mit dir, fragst du. Sie mag die Band nicht. Sie findet ihre Texte sexistisch. Du wirst abgehen und tanzen und sie wird die Nase rümpfen und dir nachher einen Vortrag über deinen Musikgeschmack und Feminismus halten. Darin sieht sie kein Problem: dir zuerst Tickets für eine Band zu schenken und dann über die Band zu stänkern.
Du kannst gehen, mit wem du willst.
Sie löffelt den Schaum von ihrem Kaffee. Du kannst natürlich nicht gehen, mit wem du willst.
Ich meine nur, weil du die Band nicht magst.
Ich würd’s schon überleben.
Also ich geh natürlich gern mit dir.
Wenn du lieber mit deiner Lieblingsschwester gehst, sag’s einfach.
Du kannst jetzt zugeben, dass du lieber mit deiner Lieblingsschwester gehst, dann ist sie beleidigt. Oder du kannst lügen und sagen, dass du lieber mit ihr gehst, dann glaubt sie dir nicht und ist auch beleidigt.
Ich will nicht, dass du dann grantig bist und mir die Laune verdirbst, weil du alles scheiße findest.
Du hast ja eine hohe Meinung von mir.
Okay, dann will ich mit dir gehen.
Sag einfach, dass du nicht willst.
Sag einfach, dass du nicht willst.
Natürlich will ich.
Du willst, dass ich sag, dass ich nicht mit dir gehen will, damit du es nicht sagen musst.
So ein Blödsinn.
Okay, du hast gewonnen. Ich geh mit meiner Lieblingsschwester. Zufrieden?
Ich wollte mit dir gehen.
Ja, ja. Passt schon.
Sie schnaubt. Es ist ein guter Zeitpunkt, um sie sauer zu machen. Du hast Geburtstag und später hast du Leute eingeladen. Sie wird sich zusammenreißen.
Eine Kellnerin kommt mit zwei Prosecco-Gläsern. Sorry für die Verspätung, sagt sie.
Du hebst dein Glas. Danke, das Geschenk ist mega, sagst du.
Sie stößt wütend mit dir an.
In deinen Augenwinkeln siehst du sie auf den Yogaraum zumarschieren. Du ziehst ein paar Handtücher über deine Lernunterlagen. Tut mir leid, rufst du ihr nach, Yoga fällt heute aus.
Sie wirbelt herum. Was?
Die Trainerin ist krank.
Auf die Idee, dass ihr das kommuniziert, kommt ihr nicht?
Wir haben eine Mail geschickt. Und gepostet.
Sie wischt über ihr Handy. Die ist im Spamordner.
Da können wir jetzt auch nichts machen.
Unglaublich. Sie stürmt aus dem Studio. Mit ihrer Sporttasche rempelt sie gegen den Ständer mit den Flyern. Du weißt jetzt schon, dass sie nicht stehen bleiben und irgendetwas aufklauben wird.
Du schraubst die Scharniere an das Spiegelkästchen, das über das Waschbecken im Bad kommt. Dein Papa bohrt Löcher für die Flurlampe in die Decke, deine Mama räumt Pfanne und Topf in den Küchenschrank, ein Staubsauger brummt, ein Rapsong wummert und auf der Switch deines Neffen schießt ein Feuer-Pokémon eine Flammenwurf-Attacke ab. Währenddessen sind deine Schwestern und ihre Männer im Haus deiner Eltern und räumen das Zimmer deines Bruders aus.
Als du das letzte Mal geschaut hast, war sie im Schlafzimmer und hat die Matratze bezogen. Sie kennt das nicht, dass jemand nur eine Matratze und kein Bettgestell hat. Sie schleicht durch die neue Wohnung deines Bruders wie eine Zivilistin durch ein Minenfeld und tut, als würde sie nicht bei jedem Schritt eine Explosion erwarten.
Später findest du sie im Schlafzimmer, wo sie das Fenster putzt. Mascara klebt unter ihren Augen. Sie ist die Einzige, die sich geschminkt hat. Niemand aus deiner Familie hat sie jemals ungeschminkt gesehen.
Du reichst ihr eine Flasche gekühltes Wasser.
Alles okay?
Ich mach dann noch die restlichen Fenster.
Sie kann ordentlich anpacken, wenn sie will. Sie will nur nie.
Du hast gesagt, sie muss beim Umzug nicht helfen. Sie hilft trotzdem. Das ist nett von ihr, aber schräg, weil deine Familie ihr sowieso nichts zu tun gibt, und jetzt sucht sie selbst nach Arbeit, die deine Familie ihr wieder abnimmt. Du bist beeindruckt, wie sie das Fensterputzen an sich gerissen hat. Das Glas glänzt streifenfrei.
Das machen wir gemeinsam, sagst du. Okay, danke, sagt sie. Mehr musst du über ihr Unwohlsein nicht wissen.
Deine Schwestern und ihre Männer bringen den Dunst von Chicken McNuggets mit. Ihr baut die Pappkartons auf dem Wohnzimmertisch auf und verteilt euch überall, wo Platz ist. Deine jüngste Schwester reicht ihr einen Caesar Salad. Du isst ja keine Burger, oder, fragt deine jüngste Schwester. Sie isst gar nichts von McDonald’s. Danke, sagt sie, legt das Dressing weg und stochert in den grünen Salatblättern. Du klaust ihr eine Cocktailtomate. Sie lächelt.
Deine Mama hält sich an einer Stuhllehne fest und will sich langsam hinsetzen. Sie springt von der Couch auf. Setz dich hierher, das ist gemütlicher, sagt sie. O nein, das ist lieb, das geht schon, sagt deine Mama. Ich bestehe darauf, sagt sie. Sie hilft deiner Mama auf die Couch, reicht ihr die Shrimps und die Sweet-and-Sour-Sauce, die sie haben will, fragt, ob sie ihren Polster möchte, gibt ihr ihren Polster, obwohl deine Mama nein sagt, und fragt, ob sie sonst irgendwie helfen kann. Deine Mama hat Multiple Sklerose. Alle kümmern sich, aber niemand kümmert sich mehr als sie.
Das Gespräch flutet durchs Wohnzimmer, spült nutzloses Treibgut an, rauscht wie Wildwasser über euch hinweg. Alle brüllen sich nieder. Deine Nichte singt auf Kroatisch. Salz von den Pommes klebt auf fettigen Lippen.
Um sie herum tröpfelt das Gespräch gesittet um den Tisch. Deine Mama, deine Lieblingsschwester und sie umtanzen Themen, bei denen niemand etwas falsch machen kann. Irgendwer sagt schon wieder, wie froh du sein kannst, dass du sie hast. Deine Eltern finden es seltsam, dass du Frauen datest, als hättest du eine Kröte als Haustier oder ein Chamäleon, aber seit sie dir deine Selbstständigkeit ermöglicht hat, lieben sie sie. Du hast eine gute Partie mit sozialem Aufstieg gemacht. Dass deine Familie mit ihr und ihrem Universitätstitel, ihrer App für Börsenkurse und ihrem Desinfektionsmittel nichts anfangen kann, ist nebensächlich.