Alles was wir haben - Michelle Woitag - E-Book

Alles was wir haben E-Book

Michelle Woitag

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Beschreibung

An wen wendest du dich, wenn deine Vergangenheit dich gnadenlos einholt? Allein. Hoffnungslos. Zerbrochen. Die 16-jährige Lydia verliert mit einem Mal alles: ihr Zuhause, ihre Familie, ihr bisheriges Leben. Kurzerhand willigt ihre Tante Bethany ein, sie bei sich aufzunehmen, und Lydia muss sich fortan ihrem neuen Leben in Inverness stellen. Gefangen in ihrer Trauer und der Ungewissheit erkennt Lydia sich selbst nicht wieder. Bis sie ihn trifft: Vincent. Den Jungen, der sie versteht, der sie ihre unerträglichen seelischen Schmerzen vergessen lässt. Sie schlittert in eine verhängnisvolle Abwärtsspirale voller Lügen, Verdrängung und dem sehnlichen Wunsch, nichts mehr zu spüren. Mit Vincent an ihrer Seite scheint jedoch alles perfekt zu sein … bis Lydia sich erinnert. Plötzlich muss sie sich fragen, ob sie jemals zu sich selbst zurückfindet – ob sie die Scherben, aus denen ihr Leben besteht, je wieder zusammensetzen kann …

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Seitenzahl: 582

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Copyright 2022 by

Dunkelstern Verlag GbR

Lindenhof 1

76698 Ubstadt-Weiher

http://www.dunkelstern-verlag.de

E-Mail: info(at)dunkelstern-verlag.de

ISBN: 978-3-910615-45-8

Alle Rechte vorbehalten

Für dich, Papa.

Auf welchem Stern du auch sitzt, ich weiß,

dass du unheimlich stolz auf mich bist.

Dein kleines Mädchen hat es geschafft!

Inhalt

Playlist 6

Prolog 7

Kapitel 1 12

Kapitel 2 18

Kapitel 3 25

Kapitel 4 33

Kapitel 5 38

Kapitel 6 46

Kapitel 7 57

Kapitel 8 71

Kapitel 9 81

Kapitel 10 86

Kapitel 11 95

Kapitel 12 106

Kapitel 13 113

Kapitel 14 123

Kapitel 15 133

Kapitel 16 144

Kapitel 17 153

Kapitel 18 157

Kapitel 19 168

Kapitel 20 179

Kapitel 21 184

Kapitel 22 197

Kapitel 23 206

Kapitel 24 218

Kapitel 25 227

Kapitel 26 236

Kapitel 27 243

Kapitel 28 255

Kapitel 29 262

Kapitel 30 277

Kapitel 31 285

Kapitel 32 296

Kapitel 33 303

Kapitel 34 311

Kapitel 35 319

Kapitel 36 326

Kapitel 37 334

Kapitel 38 339

Kapitel 39 340

Kapitel 40 342

Kapitel 41 352

Kapitel 42 357

Kapitel 43 364

Kapitel 44 371

Kapitel 45 377

Kapitel 46 383

Kapitel 47 389

Kapitel 48 394

Kapitel 49 401

Kapitel 50 408

Kapitel 51 414

Epilog 417

Playlist

A Closeness – Dermot Kennedy

Broken (Acoustic) – lovelytheband

After Rain – Dermot Kennedy

Bloom (Bonus Track) – The Paper Kites

All the Pretty Girls – KALEO

Paint – The Paper Kites

Coastline – Hollow Coves

Only Love – Ben Howard

Can I Kiss You? – Juke Ross

Georgia – Vance Joy

Yours to Keep – Jordan Mackampa

Waves (Guitar Acoustic) – Dean Lewis

Back to You – Twin Forks

I’m with you – Vance Joy

The Woods (Acoustic) – Hollow Coves

Walked Through Hell – Anson Seabra

Train Wreck – James Arthur

Runaway – Ziggy Alberts

She Burns – Foy Vance

Prolog

Februar 2015

Sie sind tot. Drei Worte. Mehr nicht. Es waren nur drei Worte, und doch veränderten diese meine ganze Welt.

Sie sind tot. Es waren drei Worte, die mich in Stücke rissen. Die einschlugen wie ein Komet. Mich veränderten. Mein Leben veränderten. Meine Welt zersprang, lag in Scherben.

Sie sind tot. Ich verstand diese Worte nicht. Was bedeuteten sie?

Unsagbarer Schmerz durchbohrte meine Brust. Er raubte mir den Atem. Ich wollte mich auf etwas anderes zu konzentrieren, versuchte zu atmen. Mein Blick fixierte sich auf den Arzt vor mir. Er knetete nervös seine schwieligen Hände und wischte sich immer wieder mit der Hand über die vom schweiß glänzende Stirn. Ich fragte mich, ob er das tat, weil ihm warm war, oder ob ihm das hier einfach schwerfiel.

Er redete und redete und redete. Ich hörte Sätze wie „Du hattest großes Glück“ und „Ich weiß, wie schwer es ist …“ Ich schätze, er musste das sagen, immerhin war er Arzt. Vielleicht sollte mich das aufmuntern. Er sagte, es sei ein Wunder, dass ich überlebt hatte.

Ich lebte. Meine Mum, mein Dad und meine kleine Schwester waren gestorben, aber ich hatte überlebt! Man hörte in den Nachrichten immer wieder von Menschen, die gerade so mit dem Leben davongekommen waren. Man sagte immer, diese Menschen sollten sich glücklich schätzen. In diesem Moment wurde mir bewusst, wie sinnlos diese Aussage war. Wie falsch. Solche Aussagen traf man nur, wenn man keine Ahnung von jemandes Leid hatte.

War es ein Wunder, dass ich überlebt hatte? Vielleicht. Sollte ich mich glücklich schätzen, dass ich lebte, aber meine Familie in den Tod gerissen wurde und ich nun alleine war? Wohl eher nicht.

Ich starrte den Arzt an und räusperte mich. Mein Hals kratzte. Ich musste mich beim Schlucken anstrengen, aber ich wollte etwas sagen. Das Atmen fiel mir immer noch schwer, doch ich versuchte es weiterhin tapfer und fragte schließlich: „Meine Familie ist tot? Alle?“

Ich zuckte zusammen. Meine Kehle brannte, als hätte ich Rasierklingen verschluckt. Alles tat weh. Einfach alles.

Der Arzt erstarrte und sah mich nervös an. Er nickte langsam; und seine faltigen Augen sahen mich voller Mitleid an. „Ja, meine Liebe. Es tut mir leid. Sie sind alle bei dem Autounfall ums Leben gekommen.“

Ein Autounfall. Das sagte man mir immer wieder, doch ich konnte mich nicht erinnern. In meinem Kopf herrschte eine Leere, ein schwarzes Loch. Ich wusste noch, dass wir unterwegs gewesen waren. In einem Wald. Und dann … nichts.

Ich zuckte erneut zusammen, weil die Schmerzen in meinem Kopf stärker wurden.

„Ganz ruhig, meine Liebe, entspann dich. Dein Kopf hat einiges abbekommen.“

So wie mein linker Arm, mein Bauch und jeglicher andere Teil meines Körpers. Ich fühlte mich furchtbar und ich wusste nicht, wieso.

„Warum kann ich mich nicht erinnern?“, fragte ich leise, versuchte, meine Stimme zu schonen.

Der Arzt runzelte die Stirn. „Nun, so wie es aussieht, leidest du unter einer Amnesie. Welche Art der Amnesie müssen wir noch genauer untersuchen. Aber –“

„Werde ich mich je wieder erinnern können?“, unterbrach ich ihn.

Er schluckte sichtbar. „Das … das kann ich dir nicht beantworten. In manchen Fällen kommt das vor, in anderen nicht. Wenn wir in Erfahrung bringen, unter welcher Art der Amnesie du leidest, wissen wir mehr.“

Das war also das einzig „Gute“ daran: dass ich mich an nichts erinnern konnte, das mit dem Unfall zu tun hatte. Das ganze Unglück war ausgelöscht. Weg. Nicht mehr da, als wäre es niemals geschehen. Doch meine Familie war trotzdem tot. Jetzt und für immer.

„Also, Liebes, du wirst noch einige Tage Kopfschmerzen haben; wir behandeln sie mit Medikamenten. Und nachher werden wir –“

„Lydia“, sagte ich mit fester Stimme und sah ihn an. Ich räusperte mich, atmete noch einmal tief durch und erklärte: „Mein Name ist Lydia.“

Er blinzelte und nickte schnell. „Ja. Ja, natürlich! Entschuldige, Lydia. Also, nachher wird die Polizei vorbeikommen, sie brauchen deine Aussage. Und du wirst in den nächsten Tagen einige Termine mit unserem Psychologen haben. Er hat darum gebeten. Und … also …“, druckste er herum. Er wischte sich wieder mit der Hand über die Stirn und ich musste nur daran denken, dass er mit dieser Hand alles anfasste. Ich betete, dass er sie danach desinfizierte.

„Lydia … wir müssen uns mit deinen übrigen Verwandten in Verbindung setzen. Aber keine Sorge, das wird schon!“ Er nickte mir aufmunternd zu und flüchtete förmlich aus dem Zimmer.

Dieses Gespräch hatte vielleicht zehn Minuten gedauert und ich wusste jetzt Folgendes: Erstens schien der Arzt vollkommen unfähig, Patienten schlimme Nachrichten zu überbringen. Zweitens musste ich mit einem Psychologen und der Polizei reden. Und drittens … ich hatte keine Familie mehr.

Sie sind tot. Mum, Dad und Hailey. Einfach weg. Für immer.

Der Schmerz, den ich eben noch verspürt hatte, war verschwunden. Ich fühlte mich wie betäubt, als würde ich unter Wasser schwimmen. Ich nahm nichts mehr wahr außer meinem eigenen Herzschlag. Bum-bum-bum-bum. Bum-bum-bum-bum. Bum-bum-bum …

Ich starrte aus dem Fenster. Meine Angehörigen mussten sich nun um mich kümmern. Hatte ich noch welche? Granny war vor Jahren verstorben. Mein Dad hatte keine Geschwister und meine Mum hatte zu ihren keinen Kontakt. Ich wusste, dass ich noch einen Onkel hatte, allerdings lebte dieser irgendwo in Kanada und ich hatte ihn nie kennengelernt. Und dann war da noch meine Tante Bethany. Wir haben sie früher, als ich noch klein war, manchmal besucht, aber Mum sprach seitdem nie mehr von ihr. Bedeutete das, dass ich vielleicht nach Kanada ziehen musste? Oder zu meiner Tante, die weiß Gott wo lebte? Aber welche anderen Optionen hatte ich denn? Ich konnte unmöglich allein in unserem Haus leben. Ich musste wegziehen. Zu Unbekannten. Denn ich hatte keine Familie mehr.

Plötzlich explodierten meine Gefühle. Ich bekam schwer Luft und meine Kehle schnürte sich zu. Mir wurde heiß, doch ich zitterte. Vor meinen Augen verschwamm alles. Ich riss die Bettdecke zurück und schnappte nach Luft, aber es gelang mir nur schwer. Ich wollte aufstehen, brauchte jedoch drei Anläufe dafür. Dabei schmiss ich fast meinen Beistelltisch um, der direkt neben dem Bett stand und ich glaubte, ich hatte mir irgendwelche Kabel abgerissen, die an meinem Körper befestigt waren. Jedenfalls hörte ich kurz darauf ein ohrenbetäubendes Piepen um mich herum.

Es war mir egal.

Ich schleppte mich zum Bad. Durchlitt ich gerade eine Panikattacke? Konnte man so etwas mit sechzehn Jahren bekommen? Ich konnte keine Luft holen. Mir tat alles weh, meine Brust, mein Herz – es tat so weh.

Mum? Dad? Hört ihr mich? Ich brauche euch!

Ich bekam keine Luft. Mein Herz … Ich hörte einen Schrei. War ich das? Ich wusste es nicht. Ich fasste mir an die Brust. Dieses unerbittliche Ziehen hörte einfach nicht auf …

Ich starrte in den Spiegel und sah mein Spiegelbild. Braune Augen starrten mich an. Die Augen meiner Mutter.

Mum? Hörst du mich …?

Es tat so weh.

Auf einmal war es ganz still. Alles war ruhig. Dann: ein ersticktes Schluchzen.

Ich brach zusammen.

Kapitel 1

Samstag, 28. März

Ich stand vor einem alten Backsteinhaus mit blauen Fensterläden und Blumenkästen an den Fenstern. Die Läden passten nicht zu der übrigen Optik des Hauses; sie fühlten sich fremd an, so als würden sie dort nicht hingehören. Genau so fühlte ich mich. Ich verweilte reglos auf der breiten Hauptstraße von Inverness und starrte auf das Haus meiner Tante.

Nachdem ich damals im Badezimmer des Krankenhauses wieder zu mir gekommen war, hatte ich dort sofort einen Termin bei Dr. Manson bekommen. Er war Psychologe.

„Du hattest eine Panikattacke, Lydia.“, sagte er zu mir.

Ich saß mit angewinkelten Beinen auf einem braunen Ledersessel und spielte an meinem Verband, den ich am Arm trug, und hörte Dr. Manson zu. Er sah genau so aus, wie ich mir einen Psychologen vorstellte: ein älterer Herr mit weißem Haar, weißen Schnauzbart, Brille und Pullunder. Er strahlte Freundlichkeit aus.

Dr. Manson hatte mich zuvor freundlich begrüßt und erklärte mir, dass er mit mir über das reden möchte, was mir passiert war. Über den Unfall. Über meinen Verlust.

Bisher hatte ich nichts zu ihm gesagt, und das hatte ich auch weiterhin nicht vor. Was brächte es mir, darüber zu reden? Es änderte nichts.

Mein Kopf tat schon wieder weh und mein Arm auch. Ich pulte weiter an diesem Verband herum. Vielleicht beendete Dr. Manson die Stunde ja eher, wenn ich nichts sagte. Ich wollte nur hier raus. Weg. Ich wollte weg.

„Hattest du schon mal eine Panikattacke, Lydia?“

Was war das denn für eine dämliche Frage? Natürlich hatte ich schon mal eine Panikattacke gehabt. Vor ungefähr zwei Stunden. Mir war klar, dass er auf die Zeit davor anspielte, aber ich konnte ihm seine Frage nicht bejahen. Ich hatte vorher nie eine Panikattacke gehabt. Vor dem Unfall hatte ich ein halbwegs normales Leben gehabt. Ich hatte eine Familie. Eine Mum, die alles für uns getan hätte; einen Vater, der zwar viel gearbeitet hatte, aber immer für seine Frau und seine Töchter da gewesen war und eine kleine, unglaublich liebevolle Schwester.

Bei dem Gedanken an sie musste ich schlucken. Meine Augen brannten nun. Hailey war gerade mal drei Jahre alt gewesen.

Sie war eine absolute Überraschung für Mum und Dad gewesen. Meine Eltern hatten ihre Familienplanung mit mir abgeschlossen, doch plötzlich wurde Mum erneut schwanger und Hailey erblickte einige Monate danach das Licht der Welt. Mit vierzehn Jahren noch einmal eine Schwester zu bekommen, war komisch, aber ich liebte sie vom ersten Augenblick an. Sie war meine kleine Prinzessin, und sie war so ein wunderschönes Kind. Ein durchweg fröhliches Baby.

Erst als mir Dr. Manson ein Taschentuch hinhielt, bemerkte ich, dass mir Tränen die Wangen hinunterkullerten. Statt das Taschentuch anzunehmen, wischte ich mir mit der Hand übers Gesicht und starrte aus dem Fenster.

„An was hast du gerade gedacht, Lydia?“

Ich wollte nicht darüber reden. Ich wollte gar nicht reden. Wieso verstand er das nicht? Ich konnte nicht. Ich wusste nicht, was das bringen sollte.

Ich sah hinauf zur Uhr. Noch eine halbe Stunde. Dann konnte ich hier raus.

„Weißt du, Lydia, ich verstehe dich. Ich verstehe, dass du nicht darüber sprechen willst. Das ist nicht einfach.“

Ha! Er verstand mich also. Wieso wollte er dann, dass ich mit ihm sprach? Wieso wollte er mich dazu zwingen, mich dem Schmerz hilflos auszusetzen?

„Irgendwann wird der Tag kommen, an dem du dich deinen Dämonen stellen musst.“

Nicht, wenn es sich vermeiden ließ.

Die nächste halbe Stunde starrte ich einfach stumm aus dem Fenster. Dr. Manson versuchte nicht mehr, mit mir zu reden. Als es klopfte und seine Assistentin den Raum betrat, sprang ich auf. Gott sei Dank!

Dr. Manson sah mich an und sagte: „Es war schön, mit dir zu sprechen, Lydia. Wenn du noch mal ein Gespräch in Anspruch nehmen möchtest, dann komm einfach her. Meine Tür steht dir jederzeit offen.“

Ich nickte nur und verschwand. Ich würde sicherlich nicht wieder kommen. Hoffentlich würde ich diesen Mann nie wieder sehen.

Mehrere Tage später stand ein Polizist in meinem Zimmer. Er bat mich, mit ihm über den Unfall zu sprechen, doch ich zuckte nur hilflos mit den Schultern.

„Ich … ich erinnere mich nicht“, flüsterte ich.

Der Polizist hielt inne und sah mich aufmerksam an. „An nichts?“

Ich schüttelte den Kopf.

Der Arzt, der ebenso im Zimmer stand, trat einen Schritt vor und erklärte: „Lydia leidet unter einer kongraden Amnesie. Sie weiß nichts mehr, was den Unfall betrifft.“

Genau. Kongrade Amnesie. Diese wurde vor wenigen Tagen bei mir diagnostiziert. Nachdem ich tausende Fragen über mich ergehen lassen hatte müssen, waren sich die Ärzte einig. Doch das änderte nichts an meiner Situation.

Der Polizist runzelte die Stirn und nickte schließlich. „In Ordnung. Dann dokumentiere ich das so.“ Er zückte eine Karte und hielt sie mir hin. „Falls du dich doch an etwas erinnern solltest, melde dich bei mir, Lydia.“

Ich nickte und legte die Karte auf meinen Tisch.

„Gut, dann kommen wir gleich zum nächsten Punkt. Wir haben eine Verwandte von dir kontaktieren können. Sie ist bereit, dich bei sich aufzunehmen …“

„Soll ich dir helfen, deine Kofferreinzutragen?“

Ich sah in die Richtung, aus der die Stimme kam. Mein Blick landete auf meiner Tante. Meiner Tante, die genauso aussah wie meine Mutter – nur mit kurzen, lockigen, braunen Haaren statt einer langen schwarzen Mähne, wie Mum sie getragen hatte.

Sie erschien zwei Tage später im Krankenhaus und stellte sich als Bethany Graham vor. Ich erinnerte mich nur vage an sie. Nachdem mich meine Tante damals begrüßt hatte, wurde mir erst bewusst, woher ich meinen Zweitnamen hatte. Mein vollständiger Name lautete Lydia Bethany O‘Neill. Ich trug also ihren Namen.

Sie erzählte mir, dass sie im schottischen Inverness in einem kleinen Haus wohnte und ein Zimmer für mich frei hätte. In den nächsten Wochen planten wir also meinen Umzug von Glasgow nach Inverness. Bethany kümmerte sich um meine Sachen, verkaufte mein Elternhaus und organisierte die Beerdigung meiner Familie. Ich lag währenddessen noch eine ganze Weile im Krankenhaus; meine Verletzungen heilten nur langsam.

Zwei Tage nachdem ich schließlich entlassen worden war, fuhren wir in einem gelben Mini über drei Stunden nach Inverness; das war heute. Während der Fahrt hatten wir uns etwas näher kennengelernt, doch trotzdem war sie immer noch wie eine Fremde für mich. So wie alles hier.

Meine Tante zog nun ihre Augenbrauen nach oben und fragte: „Lydia? Hast du mich gehört?“

Ich nickte und räusperte mich. „Ja, bitte“, brachte ich hervor und griff selber nach einem Koffer.

Bethany schloss die Tür ihres Hauses auf und ließ mir den Vortritt. „Hineinspaziert in mein bescheidenes Heim!“

Das Haus wirkte auf den ersten Blick gemütlich und einladend. Überall hingen Bilder und auf jedem Tisch standen andere Blumenarrangements. Es roch nach Zimt und etwas Blumigen.

„Komm, dein Zimmer ist oben. Du kannst erst mal auspacken, dann zeige ich dir das Haus.“ Bethany ging voran und ich folgte ihr. Dabei sah ich mir die Bilder, die an der Wand hingen, genauer an. Sie zeigten Bethany und einen rothaarigen Mann. Das musste Jonathan sein, ihr Freund. Sie hatte oft von ihm erzählt. Auf manchen Bildern sahen sie noch sehr jung aus, auf manchen schon älter.

Bethany öffnete eine Tür und trat ein. Ich machte einen Schritt in den Raum und stellte den Koffer ab, dann sah ich mich um. Es war ein kleines Zimmer mit grünen Wänden. Direkt vor mir an der Wand stand ein Bett von beträchtlicher Größe mit einem Nachttisch. Über dem Bett war ein großes, schräges Fenster. Ich konnte also in der Nacht die Sterne beobachten.

Ich hatte Sterne schon immer geliebt. Als kleines Kind vergötterte ich das Märchen vom Sternentaler. Über meinem Bett hingen damals leuchtende Sterne und wenn ich Kleider mit den funkelnden Gestirnen fand, wurden sie zu meinem Lieblingskleidungsstück. Auch jetzt noch liebte ich es, die Sterne zu beobachten, weil sie so unendlich waren, so wunderschön, so strahlend. Jeder von ihnen erzählte für mich eine andere Geschichte. Ich konnte es kaum erwarten, heute Nacht schlafen zu gehen.

Ansonsten gab es in dem Zimmer noch einen Kleiderschrank, ein leeres, staubiges Regal und einen Schreibtisch. Langsam drehte ich mich im Zimmer um.

Bethany musterte mich. Dann räusperte sie sich, zeigte auf eine Tür, die sich links von mir befand, und sagte: „Da drin ist dein eigenes Bad. Dort findest du alles, das du benötigst. Wenn du noch etwas für dein Zimmer brauchst, dann sag mir Bescheid. Wir können auch noch mal losfahren und Möbel kaufen. Du kannst dir das Zimmer so einrichten, wie du möchtest, und es natürlich auch so dekorieren. Es ist schließlich deines.“ Sie verstummte und sah weg. Dann seufzte sie und schenkte mir ein kleines Lächeln. „Ruh dich aus, Lydia. Ich rufe dich dann zum Abendessen. Wir haben noch einiges zu besprechen. Aber jetzt … komm erst mal an.“ Sie drehte sich um und steuerte wieder auf die Tür zu.

„Bethany!“, rief ich ihr nach.

Sie blieb stehen und sah mich fragend an.

„Ich … danke.“

Sie nickte, schloss die Tür hinter sich und schon hörte ich ihre Schritte auf der Treppe, die sich entfernten.

Ich wollte ihr für das Zimmer danken und dafür, dass sie mich überhaupt bei sich aufnahm, doch die Worte blieben mir schließlich im Halse stecken.

Mit einem Seufzen ging ich ins Bad. Dort spritzte ich mir etwas Wasser ins Gesicht und atmete tief durch. Ich war in Inverness – bei meiner Tante Bethany, die ich seit Jahren nicht gesehen hatte und die mir inzwischen wieder völlig fremd war. In einem Zimmer, das mir völlig fremd war.

Ich spürte wieder diesen leichten, ziehenden Schmerz in meiner Brust. Erschöpft ging ich zurück in mein neues Zimmer zurück und öffnete meinen Koffer. Viel hatte ich nicht mitgenommen. Ich starrte auf ein Foto, welches in einem Bilderrahmen in meinem Koffer lag, und nahm es heraus. Dieses Bild zeigte meine Eltern, Hailey und mich letztes Jahr an Weihnachten. Behutsam stellte ich es auf den Nachttisch und legte mich auf mein neues Bett. Wenigstens war es gemütlich.

Einige Zeit sah ich das Foto an, doch die Erschöpfung der Reise machte sich schnell bemerkbar. Ich versuchte mich dagegen zu wehren, doch irgendwann verschwamm die Welt vor meinen Augen und ich schlief ein.

Kapitel 2

Samstag, 28. März

„Liddy, Liebes, beruhig doch bitte deine Schwester“, bat meine Mum und fuhr sich seufzend mit der Hand über die Stirn.

Ich stöhnte und drehte mich halb zu Hailey. „Hailes! Wenn wir zu Hause sind, dann bekommst du ein Eis!“

Hailey verstummte und starrte mich mit großen, leuchtenden Augen an.

„Lydia! Du weißt genau, dass sie kein Eis mehr vor dem Abendbrot essen soll! Es gibt keines mehr für Hailey heute“, widersprach meine Mum.

Haileys Unterlippe zitterte erneut. Sie kniff ihre Augen zusammen, was sie immer tat, bevor sie fürchterlich weinte.

Ich verdrehte die Augen und kramte in meiner Tasche. Heute Morgen hatte ich doch noch … ha! Ich zog ein Bonbon mit Erdbeergeschmack heraus. Ich hatte immer welche dabei. Ich liebte die Dinger und Hailey schmeckten sie ebenfalls, weil ich sie eben auch liebte.

„Himmel, können wir nicht einmal eine ruhige Autofahrt haben?“, brummte mein Vater genervt.

Ich entfernte das Papier vom Bonbon und hielt es Hailey hin. Ihre pummligen Fingerchen griffen danach und sie stecke es sich gierig in den Mund. Augenblicklich war es ruhig im Auto. Man hörte nur noch Haileys zufriedenes Schmatzen.

Dad lächelte mich im Rückspiegel erleichtert an „Danke, Liddy“, meinte er erleichtert.

Ich zwinkerte ihm zu. Hab immer Bonbons dabei und alles wird gut!

Der Wagen ruckelte plötzlich.

„Was war das?“, fragte meine Mum und setzte sich aufrecht hin.

„Ich weiß es nicht“, murmelte mein Dad und sah stirnrunzelnd auf die Anzeigen im Auto.

„Vielleicht war es – PASS AUF!“, schrie Mum plötzlich.

Dann erkannte ich es auch: Vor uns war wie aus dem Nichts ein Hirsch auf der Straße aufgetaucht.

Das Auto schleuderte, Autoreifen quietschten, ein Knall zerfetzte die Luft. Mein Kopf schlug hart gegen etwas, ich würde fest gerüttelt …

Ich wurde fest gerüttelt?

Ich zuckte zusammen und riss die Augen auf. Mum? Dad?

„Lydia, hey, ist alles in Ordnung? Du zitterst ja“, vernahm ich eine Stimme.

Ich erkannte sie nicht. Wer war das? Wo war ich?

Ich sah ein Foto von letztem Weihnachten. Ein Foto, welches ich auf den Nachttisch gestellt hatte, bevor ich eingeschlafen war. Im Zimmer, im Haus meiner Tante. In Inverness. Ich war in Inverness. Ichsetzte mich auf und sah in das besorgte Gesicht von Bethany.

„Ich habe dich gerufen, aber du hast nicht reagiert. Ist alles in Ordnung?“

Ich nickte langsam und strich mir übers Gesicht. „Ich glaube … ich habe geträumt. Entschuldige. Ich … ich geh mich kurz frisch machen. Dann … dann komme ich runter. Okay?“, fragte ich leise und starrte auf die Decke vor mir.

Tränen brannten in meinen Augen. Dieser Traum … Nein, das war kein Traum; es war eine Erinnerung. Und jetzt wusste ich auch wieder, was den Unfall verursacht hatte.

Es war ein Hirsch.

Bethany strich mir plötzlich sanft über die Wange und ich zuckte zusammen. Sie schenkte mir einen traurigen Blick. Es war kein Mitleid, nur … Trauer. Bethany hatte ihre Schwester verloren und ich meine Mum. Ich hatte nicht ein Mal gefragt, wie es ihr mit ihrem Verlust ging.

„Lass dir alle Zeit der Welt, Lydia. Das Essen kann warten.“ Sie legte mir eine Hand auf die Schulter, drückte sie einmal kurz und verschwand dann nach unten. Ich war wieder allein.

Einige Minuten verstrichen, ehe ich aufstand und ins Bad ging. Ich nahm mir Zeit und sah mich im Spiegel genau an. Ein paar Schrammen zierten mein Gesicht und meine linke Wange war noch ein wenig blau. Was auch immer bei diesem Unfall passiert war, ich konnte mich nicht daran erinnern. Konnte nicht verstehen, warum ich kleine Narben am Arm hatte, warum eine große Narbe meinen Bauch zierte. Die Ärzte hatten mich operieren müssen, doch der Eingriff war wohl gut verlaufen. Was genau getan wurde, hatte mir aber niemand erklärt.

Nachdem ich mich etwas frisch gemacht hatte, ging ich zu meinem Koffer und holte mir bequeme Sachen heraus. Ich schlüpfte in eine kuschelige Jogginghose und einen Pulli, band meine Haare zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen und ging nach unten. Aus der Küche drang leise Musik und es duftete nach Pizza. Als ich die Küche betrat, sah ich Bethany gerade Teller aus dem Schrank holen.

„Ich hoffe, Pizza ist in Ordnung für dich. Ich wusste nicht, was du gern isst und dachte, mit Pizza kann man nichts verkehrt machen. Außerdem hast du im Krankenhaus …“ Sie stockte kurz und sah mich an. „Na ja, du hast in den letzten Tagen sicherlich nichts Richtiges zu essen bekommen.“

Ich lächelte sie zaghaft an und nahm auf einem Stuhl Platz. „Vielen Dank, Bethany. Pizza ist immer okay. Ich könnte mich auch nur noch davon ernähren.“

Bethany stellte mir amüsiert ein Glas hin. „Verstanden. Was möchtest du trinken? Wasser? Tee? Ich habe auch selbstgemachen Eistee im Kühlschrank.“

Überrascht sah ich sie an. „Eistee? Etwa Zitroneneistee mit Zitronenscheiben drin?“, fragte ich, ehe ich mich bremsen konnte. Ich presste die Lippen zusammen.

Bethany lächelte leicht und nickte, dann erklärte sie: „Es ist ein Familienrezept. Meine Mum, also deine Granny, hatte diesen Eistee früher immer gemacht. Am besten war immer –“

„Der letzte Schluck“, unterbrach ich sie und sah meinte Tante an.

Bethany lächelte und nickte. „Richtig. Denn ganz unten war all der Zucker und der Eistee schmeckte dadurch noch süßer als ohnehin schon. Ava und ich hatten uns immer um den letzten Schluck gestritten“, erzählte sie und lachte leicht bei der Erinnerung daran.

Ich musste lächeln. Mum und ich hatten uns auch immer darum gezankt. Letztendlich hatte Dad ihn meist ausgetrunken.

„Ich hätte gern einen bisschen Eistee.“

„Den sollst du bekommen!“ Bethany wirbelte herum und ging zum Kühlschrank. Sie stellte eine große Karaffe mit frischem Tee auf den Tisch, legte die Pizzaschachtel in die Mitte und nahm ebenfalls Platz.

„Dann guten Appetit!“, rief sie und stürzte sich auf die Pizza. Ich nahm mir ein Stück und biss hungrig hinein. O mein Gott! Wie gut eine Pizza schmecken konnte! Ich verdrehte genüsslich die Augen und trank einen Schluck Eistee dazu. Sofort schossen Bilder davon in meinen Kopf, wie ich in unserem früheren Garten in der Hängematte lag, leise Musik hörte und Dad bei der Gartenarbeit beobachtete. Mum kam dann immer mit einer Karaffe Zitroneneistee in den Garten und wir setzten uns zusammen, erfrischten uns mit einem kühlen Getränk und genossen das Leben als Familie.

„Lydia? Süße …“ Bethanys Stimme riss mich aus meinen Gedanken.

Ich schüttelte den Kopf und sah sie an. „Ja?“, fragte ich mich brüchiger Stimme. Ich musste schlucken. Meine Hand zitterte nun und der Eistee im Glas schwankte gefährlich. Bethany nahm es mir behutsam aus der Hand und stellte es auf den Tisch zurück.

„Entschuldige … Ich hab nur … ich …“

„Du musst dich nicht entschuldigen, niemals.“ Bethanys Gesicht hatte einen ernsten Ausdruck angenommen. „Ich verlange nicht von dir, dass du hier sitzt und so tust, als ob alles in Ordnung wäre. Nichts ist in Ordnung, hörst du? Himmel, du hast gerade deine Familie verloren! Ich erwarte nicht, dass du mit mir darüber redest. Ich will nur nicht, dass du dich dazu gezwungen fühlst, stark zu sein und deine echten Gefühle zu unterdrücken, okay? Es ist normal zu trauern. Du musst trauern.“ Sie sah mich verständnisvoll an.

Langsam legte ich mein Pizzastück zurück auf den Teller und schluckte angestrengt. „Ich … Danke, Bethany. Das weiß ich zu schätzen. Ich versuche … damit klar zu kommen“, sagte ich und versuchte die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten, denn ich wollte auf keinen Fall vor ihr weinen.

Sie musterte mich, dann nickte sie langsam. „Okay. Falls du doch reden willst …“

Ich nickte lediglich. Zu mehr war ich nicht imstande.

Einige Minuten starrte ich auf den Tisch, dann zwang ich mich, Bethany wieder anzusehen. Mich räuspernd zeigte ich nach oben. „Darf ich auf mein Zimmer gehen? Ich habe keinen Hunger mehr.“

„Natürlich. Ich stelle dir die Pizza in die Mikrowelle. Falls du nachher doch noch mal Hunger bekommst, kannst du sie dir aufwärmen.“

Ich nickte wieder und stand auf. Bethany griff nach meiner Hand. Langsam drehte ich mich zu ihr um und zwang mich, ihr ins Gesicht zu sehen.

„Lydia. Wir müssen morgen darüber reden, wie es hier mit dir weitergehen soll. In Ordnung?“

Erneut nickte ich, ohne ein Wort herauszubringen. Natürlich. Ich hatte nicht geglaubt, dass ich hier in Inverness einfach nichts tun konnte. Obwohl es eine angenehme Vorstellung war, mich einzuschließen und vor der Welt zu verstecken … „Gute Nacht, Bethany.“

„Gute Nacht, Süße. Schlaf gut.“

Ich floh aus der Küche und rannte förmlich in mein Zimmer. Dort angekommen, schloss ich die Tür und ging ins Bad. Ich klappte den Toilettendeckel auf, beugte mich darüber und übergab mich. Immer wieder sah ich meine Eltern im Garten sitzen und Eistee trinken. Wir lachten. Wir alberten herum. Wir erzählten uns Dinge. Die Bilder zogen wie ein Film an mir vorbei.

Als die Übelkeit endlich verflogen war, spülte ich hinunter, wusch mir den Mund und putzte mir die Zähne. Ich holte mein Schlafzeug aus dem Koffer, zog mich im Badezimmer aus und stellte mich in die Dusche. Als der heiße Wasserstrahl meine Haut traf, konnte ich nicht mehr. Ein Schluchzer entrang meiner Kehle und ich sackte kraftlos auf den Boden der Dusche. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen und weinte bitterlich. Das warme Wasser vermischte sich währenddessen mit meinen Tränen.

Immer wieder erschütterten heftige Schluchzer meinen Körper. Ich weinte um meine Mum. Ich weinte um meinen Dad. Ich weinte um Hailey. Weinte um mein Zuhause, um meine früheren Freunde, um unseren beschissenen Garten und um den gottverdammten Eistee. Ich weinte, weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte. Manchmal musste man seinen Gefühlen freien Lauf lassen, denn es war das Einzige, das half.

Als das Wasser langsam kalt wurde, stellte ich es ab. Ich fühlte mich taub. Langsam und mit vor Anspannung zitternden Muskeln stand ich vom Boden auf, schlang mir ein Handtuch um den Körper und stieg vorsichtig aus der Dusche.

Vor dem Spiegel wischte ich einmal über die beschlagene Scheibe und sah mein Spiegelbild an. Mein Gesicht war von roten Flecken übersät und meine Augen waren knallrot, aber das war okay. Es hatte gutgetan zu weinen. Mein seelischer Schmerz war nun für einen Moment vergessen und ich konnte wieder frei atmen. Morgen würde das wieder anders sein, aber für diesen Moment war ich in Ordnung.

Mechanisch trocknete ich meinen Körper ab, bändigte meine Haare und schlüpfte in meinen Pyjama. Dann schaltete ich das Licht im Bad aus und stellte überrascht fest, dass eine Tasse mit warmem, schwarzem Tee mit Milch und einem Glas Wasser dazu auf meinem Nachttisch stand. Bethany musste beides in mein Zimmer gebracht haben, als ich geduscht hatte. Hoffentlich hatte sie mein Weinen nicht gehört. Doch selbst wenn: Es sollte mir egal sein.

Ich steuerte auf den Tisch zu, nahm die Tasse in die Hand, roch daran und nahm einen Schluck davon. Sofort strömte die Wärme des Tees durch meinen Körper. Vorsichtig stellte ich die Tasse ab und schlüpfte unter die Decke meines Bettes. Ich war nicht wirklich müde, immerhin hatte ich erst geschlafen, doch nach meinem Weinkrampf fühlte ich mich erschöpft.

Kurzerhand griff ich nach meinem Rucksack, der neben dem Bett stand und kramte nach meinem Handy. Irgendwann bekam ich es zu fassen und stöpselte es sofort an die Steckdose.

Seit dem Unfall hatte ich mich nur ab und zu bei meinen Freunden gemeldet. Wobei die Bezeichnung „Freunde“ zu weit ausgeholt wäre. Ich hatte eine richtige Freundin. Ihr Name war Savannah Lynn Reynolds und sie war mein Schatz, mein Ein und Alles. Savannah und ich kannten uns seit der Grundschule. Wir hatten bisher alles gemeinsam erlebt und wir stritten uns so gut wie nie. Die Nachricht, dass ich wegziehen musste, hatte uns beide schwer erschüttert. Doch Savannah wäre nicht Savannah gewesen, wenn sie es nicht verstanden hätte. Sie hatte mir versprochen, dass wir in Kontakt bleiben und wöchentlich telefonieren würden.

Nachdem ich im Krankenhaus mit Bethany gesprochen hatte, hatte ich Savannah angerufen. Sie war sofort dorthin geeilt und hatte die Schule geschwänzt, um bei mir sein zu können. Sie war es auch, die mir beim Packen geholfen hatte. Mein Umzug kam sehr abrupt und wir beide waren überfordert mit der Situation, doch Savannah machte das Beste daraus.

Ich schickte ihr eine Nachricht mit folgendem Inhalt: Ich bin da. Das Haus ist in Ordnung. Rufe dich morgen an. Dann schaltete das Handy auf stumm, bevor ich das Licht im Zimmer ausmachte und aus dem Fenster in den dunklen Sternenhimmel sah.

Heute leuchteten die Gestirne weniger, waren beinahe blass, als wären sie traurig. Als Kind hatte ich mir oft vorgestellt, dass auf den Sternen Geister saßen und über die Erde wachten. Ob meine Familie das gerade tat und mich beobachtete? Was würden sie wohl denken? Ob sie traurig waren oder glücklich, dass ich noch hier war?

Ich wusste nur eines: Ich wäre jetzt lieber in diesem verfluchten Sternenhimmel als hier

Kapitel 3

Sonntag, 29. März

Ein Klingeln weckte mich. Blinzelnd öffnete ich die Augen und sah mich um. Brummend strich ich mir die Haare aus dem Gesicht und schaute auf mein Handy. Es war 8 Uhr morgens. Wer klingelte denn um diese Zeit? An einem … welchen Tag hatten wir heute überhaupt? Ich sah auf das Handy und meine Augen weiteten sich. Es war schon Sonntag?! Gott, die Zeit war wie im Flug vergangen.

Ich erhob mich vom Bett, zog mich schnell an und huschte zu meiner Zimmertür. Als ich sie öffnete, drangen vom unteren Teil des Hauses Stimmen an mein Ohr. Ich hörte Bethany und noch jemanden reden, es war ein Mann. Ob das Jonathan war? Meine Frage wurde prompt beantwortet, als Bethany sagte: „Nein, Jonathan. Sie schläft. Sie muss sich ausruhen.“

Was der Mann daraufhin erwiderte, konnte ich nicht verstehen. Als ich einen Schritt aus meinem Zimmer hinaus wagte, knarzte der Boden unter mir und ich erstarrte. Die Stimmen verstummten im unteren Stockwerk verstummten. Stattdessen hörte ich beide durch das Haus laufen und vernahm schließlich das Geräusch der in der Küche blubbernden Kaffeemaschine.

Ich schlich mich zurück ins Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Bevor ich ins Bad ging, checkte ich mein Handy erneut. Ich hatte einen verpassten Anruf von Savannah und eine Nachricht von ihr. Später würde ich sie anrufen müssen. Sie machte sich bestimmt Sorgen um mich.

Aus meinem Koffer kramte ich eine Hose, ein T-Shirt und Unterwäsche und tapste ins Bad. Ich wusch mir das Gesicht und die Zähne, zog mich an und band mir die Haare zu einem Dutt. Zum Schluss setzte ich meine Brille auf und starrte in den Spiegel. Meine Augen waren rot und geschwollen, ich war blass und die blauen Flecken und Kratzer leuchteten förmlich auf meiner hellen Haut. Seufzend wandte ich den Blick ab und ging zurück ins Zimmer. Nachdem ich mein Bett gemacht und das Fenster geöffnet hatte, ging ich nach unten.

Aus der Küche drang leises Gemurmel und ich hörte ein Geräusch, das so klang, als würde jemand etwas anbraten. Mein Magen grummelte protestierend. Ich hatte so gut wie nichts von der Pizza gestern gegessen und jetzt hatte ich Riesenhunger.

Als ich die Küche betrat, verstummte das Gespräch schlagartig. Ich sah einen Mann an der Küchentheke lehnen und erkannte ihn als denjenigen von den Bildern im Haus, auf denen auch Bethany zu sehen war.

Der Mann erwiderte meinen Blick, nickte mir knapp zu und raunte: „Du musst Lydia sein. Ich bin Jonathan.“

Jonathan hatte eine tiefe Stimme und war ein Hüne von einem Mann. Er war riesig. Er war ein Schrank! Ohne Witz!

Ich nickte ihm ebenfalls zu und sagte: „Freut mich, Jonathan.“ Dann sah ich Bethany an. „Kann ich dir helfen?“

Diese winkte nur ab. „Setz dich, Süße. Den Speck kann ich auch alleine braten. Nimm dir doch schon Kaffee oder Tee, was auch immer du magst.“ Mit dieser Antwort widmete sie sich wieder ihrem Speck.

Ich schenkte mir etwas Kaffee ein und rutschte unbehaglich auf dem Stuhl hin und her, als ich bemerkte, dass Jonathan mich beobachtete.

Plötzlich flog sein Kopf nach vorne.

„Aua! Was soll das denn, Frau?!“, rief er aufgebracht.

Bethany hatte ihm eins mit dem Kochlöffel verpasst. „Hör auf, sie so anzustarren, Mann!“, äffte sie ihn nach und zog die Augenbrauen nach oben. „Du kannst Lydia nach dem Frühstück mit deinen Fragen bombardieren, aber jetzt lässt du sie erst mal wach werden. Kein normaler Mensch steht um 7 Uhr morgens auf und isst um 8 Uhr Frühstück. Außer dir natürlich“, meinte Bethany und kniff die Augen zusammen. Lachen brach aus mir heraus.

„Aye, Frau“, brummte Jonathan und zwinkerte mir grinsend zu.

Ich grinste ebenfalls und trank einen Schluck von meinem Kaffee. Jonathan schien ein guter Kerl zu sein.

Bethany stellte das Essen auf den Tisch und setzte sich zu mir. Ich staunte nicht schlecht, als ich all die leckeren Speisen sah. Es gab Eier und Speck, Pfannkuchen, Bohnen, frische Brötchen und ich erspähte sogar Waffeln!

Jonathan setzte sich ebenfalls, schaufelte sich die Hälfte des Essens auf seinen Teller und aß genüsslich.

Bethany schüttelte nur den Kopf und seufzte. „Entschuldige, Lydia. Keine Ahnung, was seine Mutter in der Erziehung falsch gemacht hat. Sie ist so eine liebe Frau. Und Jonathan ist … Jonathan.“ Sie zuckte mit den Schultern und schmunzelte, als er sie verständnislos ansah. Ich grinste noch mehr und nahm mir ein Brötchen. Dann aß auch ich etwas.

Nachdem ich zwei Streifen Speck, ein bisschen Rührei, ein Brötchen und ein paar Bohnen verputzt hatte, ließ ich mich satt in den Stuhl zurück fallen. Ich seufzte zufrieden und betrachtete Bethany und Jonathan. Sie scherzten beim Frühstück und zogen sich gegenseitig auf. Beide strahlten Zufriedenheit aus. Jetzt gerade, in diesem Moment, vergaß ich alles um mich herum und nahm nur diesen Augenblick wahr. Der Schmerz und die Trauer waren für eine kurze Weile weit weg. Nur einen kurzen Moment lang konnte ich atmen und so tun, als ob nichts geschehen wäre. Doch viel zu schnell holte mich die Realität wieder ein und ich war mental wieder in mein kaputtes Leben zurückgekehrt.

„Lydia, wir müssen über etwas reden“, sagte Bethany zaghaft und sah mich an. „Ich habe dich von deiner alten Schule abgemeldet. Da gerade Ferien sind, war das kein Problem. Ich weiß, dass dir nur noch ein Jahr fehlt, um die Schule zu beenden. Du könntest deinen Abschluss hier in Inverness machen und …“

Ich vernahm zwar was sie sagte, aber ich wollte es nicht hören.

Eine neue Schule. Es war nicht so, dass ich sie hasste; im Gegenteil. Als meine Familie noch am Leben gewesen ist, bin immer gern zu meiner früheren Schule gegangen. Savannah war dort und ich hatte mich gut mit den anderen Mitschülern verstanden. Aber mitten im Schuljahr die Schule zu wechseln würde Fragen aufwerfen. Fragen, die ich nicht beantworten wollte – nicht beantworten konnte.

„Verstehst du, Lydia? Ich weiß, dass es schwer für dich wird, aber es ist nur für ein Jahr. Außerdem wechseln viele Schülerinnen und Schüler innerhalb eines Schuljahres“, teilte Bethany mir mit und nahm meine Hand. „Ich würde dich bei der hiesigen Schule in Inverness anmelden. Das ist überhaupt kein Problem. Und ich erwarte auch nicht, dass du einen super Abschluss hinlegst, aber du brauchst dennoch einen.“ Bethany sah mich erwartungsvoll an. Jonathan las währenddessen seine Zeitung und hielt sich raus.

„Welche Wahl habe ich denn? Ich kann mich ja nicht mein Leben lang im Haus verschanzen“, scherzte ich, doch es klang verbittert. Ich wusste, dass ich wieder zur Schule gehen musste, dass ich mein Leben weiterleben musste. Und vielleicht wäre eine Schule, an der mich keiner kannte, gar nicht so verkehrt; an der keiner wusste, was mir widerfahren war. „Wann würde es denn losgehen?“, fragte ich und musterte Bethany erwartungsvoll.

Sie sah erleichtert aus. Sicherlich hatte sie erwartet, dass ich sie anschreien oder in Tränen ausbrechen würde. Nur, warum sollte ich das tun? Meine Familie war tot und Bethany konnte nichts dafür. Das Leben ging weiter, und vielleicht ging es mir ja irgendwann besser.

Keine Ahnung, wer mir das glauben sollte. Ich glaubte mir ja selber nicht.

„Dein Schulstart ist nach den Ferien. Bis dahin hast du genug Zeit, dich hier einzuleben.“ Sie sah mich an und schob sich nervös eine Strähne hinters Ohr. „Lydia …“, setzte sie an und ich bekam schweißnasse Hände. Was kam jetzt noch?

Bethany holte tief Luft, sah mich an und meinte: „Ich habe viel überlegt, wie ich dir helfen kann. Ich weiß, dass du gerade eine schwere Zeit durchmachst. Und … ich glaube, dir würde eine Therapie guttun, um das alles zu verarbeiten. Ich meine, es wird nicht einfach, und du –“

„Nein“, unterbrach ich meine Tante bestimmt. Ich sah sie eindringlich an und presste die Lippen aufeinander. „Ich will keine Therapie“, fuhr ich fort.

Eine Therapie bedeutete, dass ich mich mit dem Unfall auseinandersetzen musste. Es würde bedeuten, dass ich das Geschehene akzeptieren musste, dass das alles wahr war; und das wollte ich nicht. Ich wusste, dass es passiert war, aber ich konnte es nicht tun. Ich konnte es einfach nicht.

Bethany sah mich zweifelnd an. „In Ordnung. Aber wenn du dich doch anders entscheidest, dann komm zu mir. Wir finden eine Lösung.“ Sie schenkte mir ein verständnisvolles Lächeln.

Ich nickte nur und wandte den Blick ab.

Nach einigen Momenten der Stille räumte Bethany den Tisch ab. Jonathan und ich halfen ihr dabei. Danach verabschiedete ich mich von den beiden und ging in mein Zimmer. Ich schloss die Tür hinter mir und lehnte mich dagegen. Eine neue Schule. Neue Leute.

Langsam rutschte ich auf den Boden und legte meinen Kopf auf meinen Schoß. Ich würde mich den Fragen der anderen Mitschüler stellen müssen, und ich wusste nicht, ob ich bereit dazu war, sie zu beantworten … oder ob ich es jemals sein würde.

„Und was ist das für eine Schule?“, fragte Savannah neugierig. Ihr Kopf kam immer näher an die Webcam heran.

Nachdem wir eine halbe Stunde telefoniert hatten, beschlossen wir, über Skype weiterzureden, da es billiger war, als uns lange per Telefonanruf zu unterhalten. Außerdem konnte ich nebenbei endlich meinen Koffer zur Gänze auspacken. Es tat auch gut, Savannahs Gesicht durch die Webcam zu sehen und ihre Stimme hören zu können.

„Keine Ahnung“, antwortete ich und hing meine Kleider im Schrank auf. „Bethany hat nur gesagt, dass sie mich dort anmelden würde. Ich hatte noch keine Zeit, die Schule zu googeln.“

Savannah nickte erst, dann sah sie mich fragend an. „Wieso nennst du sie eigentlich Bethany?“

Ich warf ihr einen kurzen Blick zu und sah, wie sie ihre Fußnägel lackierte. Savannah war eine blondhaarige Schönheit mit einer süßen Stupsnase, Sommersprossen und tollen Kurven. Und sie war der einzige Mensch, den ich kannte, der es mochte, sich komplett schrill anzuziehen. Sie liebte Farben und trug gern alles bunt gemischt. Heute hatte Savannah ein knallgelbes Top, darüber eine dunkelgrüne Strickjacke und dazu blaue Hosen an. Und gerade lackierte sie sich die Fußnägel in sämtlichen Farben des Regenbogens.

Ich dachte über ihre Frage nach und runzelte die Stirn. „Wie soll ich sie denn sonst nennen?“ Ich nahm weitere Kleidungsstücke aus dem Koffer und strich sie glatt. All meine Kleider waren ganz schön zerknittert und müssten mal gebügelt werden. Vielleicht könnte ich Bethany nachher fragen, ob ich ihr Bügeleisen benutzen durfte.

„Na ja, wieso nennst du sie nicht ‚Bethy‘? Oder logischerweise ‚Tante Bethany‘. Sie ist doch deine Tante, nicht wahr?“, stellte Savannah fest und fluchte, als sie über ihren Zehennagel hinaus malte. Stöhnend nahm sie sich ein Wattestäbchen und versuchte das Unglück zu retten.

„Ich kenne sie doch fast gar nicht mehr, Sav. Wieso sollte ich sie dann ‚Tante Bethany‘ nennen? Sie ist zwar meine Tante, aber es fühlt sich nicht so an, als wäre sie es. Und sie hat sich nicht beschwert, als ich sie Bethany genannt habe.“

„Vielleicht hat sie sich nicht getraut?“

Ich musste lachen als ich sah, wie konzentriert sie versuchte, den Fleck auf ihrem Zehennagel weg zu bekommen.

„Was machst du da, Sav?“, fragte ich sie amüsiert.

„Verflucht, Liddy! Das ist eine ernste Angelegenheit! Da ist ein blauer Fleck auf meinem gelben Nagel.“ Sie sah mich einige Augenblicke lang ernst an, dann prusteten wir beide los. Es tat so gut, so unbeschwert mit ihr zu reden.

„Du fehlst mir“, sagte ich unvermittelt.

Ihr Gesicht nahm diesen sanften Ausdruck an. „Du fehlst mir auch, Liddy.“

Ich wollte es unterdrücken, doch ich musste schniefen.

„O nein! Hör sofort auf! Du wirst jetzt nicht weinen, hörst du?!“, maßregelte Savannah, doch ihr kamen selber die Tränen. Sie schluchzte und wischte sie sich schnell ab. Derweil trocknete ich meine eigenen.

„Hör zu. Ich bin immer für dich da, Liddy, ja? Das weißt du. Wenn irgendwas ist, dann ruf mich an. Egal wann und egal warum. Wir kriegen das hin, Süße. Und ich weiß genau, dass wenn dein Dad jetzt hier wäre, er nur die Augen verdrehen und sagen würde, dass wir richtige Heulsusen sind. Und dass er uns liebhat“, ließ sie mich wissen und versuchte dabei, seine Stimme nachzuahmen.

Ich lachte und schluchzte gleichzeitig. Der Schmerz schlug mit einem Mal wieder zurück. Manchmal schlich er sich langsam an mich heran. Und manchmal überraschte er mich aus heiterem Himmel und stach mir einfach so ein Messer ins Herz. Es tat immer weh, daran zu denken, und es nahm mir jedes Mal die Luft zum Atmen.

„Lydia?“, rief Bethany von unten.

Savannah und ich verabschiedeten und verabredeten uns für die nächsten Tage zum Telefonieren. Dann klappte ich den Laptop zu und huschte nach unten.

Bethany stand an der Treppe. Als sie meine geröteten Augen sah, weiteten sich ihre eigenen etwas. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie zaghaft.

Ich nickte. „Ich habe mit Savannah telefoniert.“

„Verstehe. Bestell ihr beim nächsten Mal Liebe Grüße von mir. Ich habe sie zwar nur kurz kennenlernen können beim Umzug, aber sie scheint eine großartige Freundin zu sein.“ Sie lächelte und ich nickte, ebenfalls ein leichtes Lächeln auf den Lippen. „Sie ist die beste.“

Bethany klatschte plötzlich euphorisch in die Hände und sah mich an, als hätte sie den besten Plan überhaupt im Kopf. „Lass uns diese Woche richtig auf den Putz hauen! Wir kaufen Deko für dein Zimmer und holen dir neue Schulsachen. Brauchst du vielleicht auch noch etwas Kleidung? In der Stadt gibt es einen super schönen Laden, der ganz tolle Kleider verkauft!“ Bethany strahlte.

Ich konnte nicht anders, als zu grinsen. Ihre Freude steckte mich an. „Ja, das wäre schön!“ Ich wollte für Bethany stark sein. Sie bemühte sich immerhin sehr um mich. Auch für sie war das Ganze nicht einfach, und ich glaubte, dass Ablenkung mir im Moment sehr guttun würde.

Kapitel 4

Montag, 20. April

In den nächsten Wochen waren Bethany und ich ständig unterwegs. Wir kauften neue Farbe für mein Zimmer und ein paar Möbel. Einen ganzen Tag lang strichen wir meine Wände in Petrol und bauten danach die Einrichtung auf. Mein Zimmer wurde zunehmend wohnlicher. Wie ein richtiges Zuhause fühlte es sich zwar noch nicht an, aber das dauerte wohl einfach eine Weile.

Über diese Tage lernte ich Bethany noch besser kennen. Sie hatte sich extra frei genommen, um mit mir Zeit zu verbringen. Bethany arbeitete als Journalistin bei einer Zeitung und konnte zu Hause bleiben und von hier aus arbeiten, wann sie wollte.

Außerdem meldeten wir mich zusammen in der neuen Schule an. Nachdem ich mit dem Direktor gesprochen hatte, war ich nicht mehr ganz so abgeneigt vom Schu.lbesuch. Meine Kurse wählte ich sorgfältig aus; Bethany half mir dabei. Es lief also alles ganz gut.

Bis auf die Albträume. Sie kamen immer wieder, versetzten mich in Panik, ließen mein Herz beben. Meine Augen waren morgens furchtbar gerötet. Bethany bemerkte es zwar, sagte aber nichts dazu. Und dafür war ich ihr unendlich dankbar.

Jetzt gerade lag ich wach in meinem Bett und beobachtete den Sonnenaufgang. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass mein Wecker erst in zehn Minuten klingeln würde. Erholsam war die Nacht überhaupt nicht gewesen. Ich seufzte und setzte mich auf.

Heute begann eine neue Herausforderung. Eine neue Schule. Neue Leute. Neue Lehrer. Aber verdammt, ich würde das schaffen! Niemand wusste, was mir widerfahren war. Niemand kannte mich. Den ausweichenden Satz „Es geht mir gut, danke!“, hatte ich so oft geübt, dass ich ihn jetzt jemandem im Schlaf zur Antwort geben konnte.

Bethany würde mich zur Schule fahren, mit mir ins Sekretariat gehen, um meinen Stundenplan zu holen und mich dann für den Unterricht alleine lassen. Ich konnte das schaffen. Ich würde das schaffen!

Ich zählte im Kopf bis zehn und stand auf. Vor meiner Kommode machte ich Halt. Ich hatte mir gestern schon lange überlegt, was ich anziehen würde und schnappte mir daher meine bereitgelegten Sachen. Dann huschte ich ins Bad. Nach einer kurzen Dusche, die meine Muskeln erweckte, trocknete ich mich ab, putzte mir die Zähne und zog mich an.

Für meinen ersten Schultag hatte ich mich für mein Lieblingskleid entschieden. Es war ein dunkelblaues Petitkleid mit kleinen, rosafarbenen Rosen darauf. Dazu trug ich eine schwarze Strumpfhose und einen dunkelgrauen Cardigan. Meine Haare ließ ich mir offen über die Schultern fallen. Dazu trug ich mir ein wenig Makeup und Wimperntusche auf. Das musste reichen. Ich benutzte eher selten Makeup, und wenn dann legte ich es nur sehr dezent auf. Wenn Savannah mich zu irgendwelchen Partys geschliffen hatte, dann hatte sie mich immer geschminkt. Das Ergebnis war zwar stets sensationell gewesen, aber das Abschminken war mühsam. Und wenn man abends nur noch todmüde ins Bett fallen wollte, aber vorher noch drei Tonnen Makeup aus dem Gesicht waschen musste, dann überlegte man sich beim nächsten Mal gut, wie stark man sich schminken würde.

Zum Schluss nahm ich mein Brillenetui zur Hand. Ich setzte die Brille auf und sah mich noch einmal im Spiegel an. Fertig. So konnte ich gehen. Ich nickte meinem Spiegelbild zufrieden zu und ging ins Zimmer zurück. Dort packte ich die letzten Sachen in meinen Rucksack und zog meine heißgeliebten Doc Martens an. Sie waren schwarz und an einigen Stellen schon kaputt. Außerdem sahen sie ziemlich abgetragen aus – aber zur Hölle, niemals würde ich diese Schuhe weggeben! Mein Dad hatte sie mir geschenkt, als er sein erstes Gehalt in der neuen Firma bekommen hatte und seitdem trug ich sie jeden Tag. Außerdem waren sie verdammt bequem, und ich liebte es, bequeme Schuhe zu tragen.

Ich schulterte meinen Rucksack und blieb wie angewurzelt stehen. Bilder von meinem letzten ersten Schultag kämpften sich plötzlich vor mein inneres Auge. Mum hatte mir ein ganzes Frühstücksbuffet gemacht und Dad saß so stolz wie noch nie in der Küche und grinste mich an, als ich nach unten kam. Ich war tierisch nervös gewesen und irgendwann sogar in Tränen ausgebrochen. Meine Eltern hatten mir Mut gemacht und mir versprochen, dass alles gut werden würde, dass ich ein tolles Mädchen war und ich viele Freunde finden würde.

Ein beklemmendes Gefühl machte sich in mir breit. Meine Hände schwitzten nun, die Panik brach wie Nebel über mich herein.

„Nein! Nicht jetzt!“, wimmerte ich und hielt mich am Stuhl fest. Ich konzentrierte mich auf meinen Herzschlag. In Gedanken zählte ich bis zehn und atmete immer wieder langsam tief ein und aus. Der Nebel verzog sich Stück für Stück, doch der Schmerz blieb. Das würde er immer tun.

Ich klatschte mir einmal auf die Wange. „Du schaffst das, Lydia. Du. Schaffst. Das!“ Ich strich mein Kleid glatt und ging dann nach unten.

Aus der Küche drang das Geräusch der Kaffeemaschine und ich hörte Bethany wild fluchen. Dort angekommen sah ich, dass sie hektisch daran herumhantierte.

„Guten Morgen“, begrüßte ich sie und stellte meinen Rucksack ab. Bethany stieß noch einen letzten Fluch aus und drehte sich erschrocken zu mir um. Dabei fasste sie sich an die Brust.

„Gott, hast du mich erschreckt! Bist du schon lange wach? Ich habe dich gar nicht gehört.“

Entschuldigend sah ich sie an. „Tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe. Ich bin tatsächlich schon länger auf. Konnte nicht schlafen“, antwortete ich.

Bethany winkte ab und holte zwei Tassen aus dem Schrank. „Schon in Ordnung. Ich hatte auch nicht erwartet, dass du vor diesem großen Tag gut schlafen kannst. Bist du sehr aufgeregt?“ Bethany goss mir Kaffee in die Tasse.

Ich nahm sie, gab einen Schuss Milch hinzu und ließ eine ordentliche Menge Zucker in meinen Kaffee rieseln. Dann rührte ich um, trank einen Schluck und fühlte mich augenblicklich besser.

„Ja, ziemlich. Ich hoffe einfach, dass ich mich gut zurechtfinden werde.“

Bethany nickte mir aufmunternd zu. „Ach, klar wirst du das! Du bist ein tolles Mädchen. Das wird schon.“ Sie lächelte mich an und trank einen Schluck aus ihrer eigenen Tasse.

Plötzlich klingelte das Telefon. Bethany griff stirnrunzelnd danach und ging ran. „Ja? … Ach, verdammt! Ja, natürlich. In Ordnung. Bis dann.“ Sie legte auf und sah mich bestürzt an. „Lydia, ich kann dich nicht zur Schule bringen. Ich muss sofort ins Büro fahren, es gibt einen Notfall. Ein Kollege ist ausgefallen und sie brauchen jemanden, der für ihn übernimmt. Das kann leider nicht warten.“

Okay. Bloß keine Panik, Lydia. Das ist nicht schlimm, reiß dich zusammen.

Ich räusperte mich und versuchte mich an einem Lächeln. Es sah wohl ziemlich gequält aus. „Das ist kein Problem, Bethany. Ich schaffe es schon allein zur Schule.“

Vielleicht. Irgendwie.

Bethany kramte in ihrer Tasche und holte einen Busfahrplan raus. „Hier! Den hat die Schule uns ja mitgegeben. Du musst nur deinen Schülerausweis vorzeigen und kannst dann mitfahren. Es tut mir so leid, Lydia! Ich hätte dich gern gefahren.“ Sie sah mich zerknirscht an.

Ich winkte ab und wiederholte halb im Scherz: „Kein Problem. Ich werde es schon alleine schaffen.“

Hoffentlich.

Nachdem wir ausgetrunken hatten und ich einen Toast gegessen hatte, schnappte ich mir meinen Rucksack, verabschiedete mich von Bethany und begab mich zur Bushaltestelle. Sie war Gott sei Dank nur wenige Minuten von Bethanys Haus entfernt. Auch das Wetter schien sich heute zu meinen Gunsten zu halten, denn es waren nur vereinzelte Wolken am Himmel zu sehen.

Ich blickte auf die Uhr. In fünf Minuten kam der Bus.

Okay, Lydia. Der Tag verlief nicht so, wie du gedacht hattest, aber das ist okay! Du wirst zur Schule fahren. Das Sekretariat findest du auch allein. Alles ist gut! Und so viele Schüler würden schon nicht mit dem Bus fahren.

Als der Bus um die Ecke bog, vor mir anhielt und die Tür öffnete, strömte sofort der Geruch von abgestandener Busluft in mein Gesicht. Ich rümpfte die Nase. Na klasse.

Widerwillig stieg ich ein und zeigte dem Busfahrer meine Karte. Dieser schien sich gar nicht dafür zu interessieren, denn er spielte nur an seinem Radio herum. Dann aber bemerkte ich die Ruhe, die mich plötzlich wie ein Schleier umgab. Ich drehte mich um und sah, dass sämtliche Augenpaare der anderen Schülerinnen und Schüler auf mich gerichtet waren. Die Luft im Bus war schwül und die bohrenden Blicke der Kinder machten mir Angst. Panik kroch langsam meinen Rücken hinauf.

„Wird‘s heute noch was, Mädchen?“, blaffte der Busfahrer mich an. Ich zuckte zusammen. Hinter mir schlossen sich die Türen. Weglaufen war also auch keine Option mehr.

Langsam ging ich durch die engen Reihen und suchte nach einem freien Platz. Die Augenpaare der anderen folgten mir unnachgiebig.

Als der Bus mit einem Ruck losfuhr, verlor ich das Gleichgewicht und fiel auf einen leeren Platz. Ein Typ, der wohl auf dem Sitz neben mir geschlafen hatte, brummte nur und sah mich wütend an. Ich murmelte eine Entschuldigung und setzte mich richtig hin. Ich bemerkte, dass die anderen Schüler ihre Gespräche wieder aufgenommen hatten.

Ich nahm alles zurück. Nichts würde gut werden. Der erste Schultag würde verdammt beschissen werden.

Kapitel 5

Montag, 20. April

Der Bus hielt einige Minuten später abrupt vor der St. James High-School. Ich starrte auf das hohe Gebäude. Es war um ein Vielfaches größer als meine alte Schule, das fiel mir schnell auf.

Die Bustüren öffneten sich und die Schüler strömten aus dem Fahrzeug hinaus. Für einen Moment holte ich tief Luft, wappnete mich für das, was heute noch auf mich zukommen würde. Dann stand ich auf, schnappte mir meinen Rucksack und stieg ebenfalls aus dem Bus.

Frische Luft strömte mir entgegen und ich atmete tief ein. Langsam wankte ich auf eine nahe gelegene Bank zu und ließ mich darauf plumpsen. Am liebsten würde ich mich wieder zurück auf meinen Platz im Bus setzen und nach Hause fahren. Nein, halt; lieber würde ich nach Hause gehen. So weit weg war die Schule gar nicht. Ich müsste zwar einen Hügel hinabsteigen, aber was soll’s. Diese Idee kam mir immer schöner vor, doch ich konnte nicht kneifen. Stöhnend vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen. Wenn ich einfach schwänzen würde, dann würde ich Bethany Ärger machen. Und außerdem ginge es mir ja … „gut“.

„Coole Schuhe“, ertönte eine tiefe Stimme vor mir.

Ich zuckte zusammen und nahm meine Hände von meinem Gesicht weg. Sofort fielen mir ein paar braune Lederschuhe ins Auge. Vorsichtig ließ ich meinen Blick höher wandern. Ich sah eine schwarze Jeanshose, ein ordentlich geknöpftes Jeanshemd und … war das eine Fliege an seinem Hals?

Ich runzelte die Stirn. Ich hatte tausend Fragen im Kopf. Gab es hier eine Kleiderordnung? Nein, das wäre mir doch bei meinem vorherigen Besuch mit Bethany aufgefallen. Außerdem hätte sie es mir sicherlich gesagt, wenn es so wäre.

„Äh, hallo? Hast du mich gehört?“, fragte der Typ skeptisch, doch mein Gehirn nahm seine Worte nicht bewusst wahr.

Verdammt, was hatte er gesagt? War es um meine Schuhe gegangen? Ich wusste es nicht! Verdammt, Lydia, das lief auf eine Katastrophe hinaus …

Der Typ räusperte sich. Ich ließ meinen Blick von der Fliege aufwärts in sein Gesicht wandern. Dunkelbraune, fast schwarze Augen sahen mich freundlich an. Okay, das stimmte nicht ganz. Er sah mich ziemlich merkwürdig an. Kein Wunder.

Ich sagte gar nichts. Als er wieder ansetzen wollte zu sprechen, riss er auf einmal die Augen auf. Dann schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.

„Seth, Seth, Seth, wie dumm von dir. Denk doch vorher mal nach!“, murmelte er und schüttelte den Kopf. Er war wohl ziemlich aufgebracht … über sich selbst? Er sah mich wieder an und sprach mit übermäßig lauter Stimme: „TUT MIR LEID! ICH HABE NICHT GEWUSST, DASS DU TAUB BIST! COOLE SCHUHE!“ Dabei betonte er jedes Wort extra stark.

Ich runzelte die Stirn. Dachte er wirklich, ich wäre taub? Dachte er, dass ich ihn hören würde, nur weil er lauter sprach? Ich wollte gerade antworten, da hielt er die Hand hoch um mich zu stoppen, fasste sich an die Brust und sagte: „DAS IST ÜBERHAUPT KEIN PROBLEM FÜR MICH! DU MUSST MIR NICHTS ERKLÄREN!“

Da uns bereits einige Leute verwunderte bis belustigte Blicke zuwarfen, schüttelte ich nur hektisch den Kopf. „Ich bin nicht taub. Ich höre dich sehr gut“, fauchte ich und sah ihn eindringlich an. Ich konnte es nicht gebrauchen, dass die Leute mir noch mehr Aufmerksamkeit schenkten.

Der Typ sah mich überrascht an. Dann streckte er mir die Hand entgegen. „Oh! Tja, entschuldige. Ich dachte, du hörst mich nicht, weil du nichts gesagt hast. Ich heiße Seth, Seth Brady. Und du bist …“ Seth sah mich auffordernd an.

Zögerlich nahm ich seine Hand, schüttelte sie und ließ sie danach wieder los. „Ich heiße Lydia. Und ich habe dich gehört, ich war nur … in Gedanken versunken.“

Seth zeigte hinter sich auf den Bus. „Hat dir keiner gesagt, dass man als neuer Schüler niemals mit dem Bus fahren sollte? Nur zur Info, du solltest niemals mit dem Bus fahren“, riet er mir und sah das Fahrzeug skeptisch an.

„Danke für den Tipp. Ich fahre nie wieder mit dem Bus“, versprach ich ihm. Und mir. Keine zehn Pferde würden mich erneut in dieses Fahrzeug kriegen. Ich würde mir für den Weg zur Schule und nach Hause etwas anderes überlegen müssen.

Seth grinste.

Verwundert sah ich ihn an. „Woher weißt du eigentlich, dass ich neu hier bin?“, fragte ich zögernd.

Er sah mich seltsam an. „Das hier ist quasi ein Dorf. Jeder kennt jeden. Wenn jemand Neues hierher zieht, dann weiß man das. Außerdem kenne ich die meisten Leute aus der Schule. Und du sahst noch dazu ziemlich hilflos aus.“ Seth lächelte entschuldigend.

Ich nickte leicht. Okay. Das bedeutete, jeder wusste, dass ich die Neue war. Na super. Wie ging es noch mal nach Hause?

„Also, Lydia“, riss mich Seth aus meinen Gedanken. „Welchen Kurs hast du jetzt?“

Ich zuckte hilflos mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich muss erst ins Sekretariat, um meinen Stundenplan zu holen.“

„Na dann, auf geht‘s, kleine Lady! Ich geleite Euch zu Eurem Ziel“, sprach er und verbeugte sich halb vor mir.

Ich verdrehte die Augen und stand auf. „Wenn du mich noch mal ‚kleine Lady‘ nennst, dann setzt es was, kapiert?“, drohte ich und versuchte ernst zu wirken. Dann ging ich an ihm vorbei in Richtung des Schulgebäudes. Hinter mir hörte ich Seth lachen, dann schloss er zu mir auf und begleitete mich.

Auf dem Weg zum Sekretariat zeigte er auf einzelne Räume und versprach mir, dass er mir später einen kostenlosen Rundgang geben würde.

„Deine Schuhe sind übrigens wirklich cool“, wiederholte er seine Aussage von vorhin und grinste.

Ich sah ihn an und nickte. „Ich liebe diese Schuhe.“

Nun nickte auch er anerkennend. „Die sind verdammt genial. Ich wollte mir immer schon ein Paar Doc Martens kaufen, aber sie sind unsagbar teuer.“

„Mein Dad hat sie mir geschenkt.“ Dieser Satz kam mir schneller über die Lippen, als ich denken konnte. Ich wand mich innerlich.

Seth sah mich an und wiederholte: „Verdammt genial! Welchen Beruf übt dein Vater denn aus?“

Ich erstarrte bei dieser Frage. Was sollte ich antworten? Die Wahrheit? Aber ich kannte Seth doch gar nicht. Vielleicht würde ich ihn nach diesem Tag nie wieder sehen. Vielleicht war er nur so nett zu mir, weil ich ihm leidtat. Ich war die Neue, das hatte er selbst gesagt. O Gott, was, wenn ich ihm die Wahrheit anvertraute … und er weitere Fragen stellte?

Augenblicklich raste mein Herz wieder. Ich steigerte mich da zu sehr rein. Ich musste atmen.

Meine Kehle schnürte sich zu und ich fasste mir an die Brust. Von überall her drangen Geräusche an mein Ohr.

Zu viel. Es war zu viel. Ich konnte nicht atmen. Ich bekam keine Luft.