Almas Hunger nach Leben - Solveig Schmidt - E-Book

Almas Hunger nach Leben E-Book

Solveig Schmidt

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Beschreibung

Alma träumt von einem Leben in Freiheit und Unabhängigkeit. Wochenlang plant sie einen Wanderritt mit ihrer geliebten Stute Luzi – eine Reise zu sich selbst, ein Aufbruch ins Unbekannte. Doch am Morgen der Abreise stirbt Luzi plötzlich. Zurück bleibt Alma mit gebrochenem Herzen und der quälenden Frage: Warum verliere ich immer die, die ich liebe? Getrieben von Trauer, Schuld und einer tiefen inneren Sehnsucht begibt sie sich allein auf eine Reise, die alles verändert. Ihre Suche führt sie von Europa bis ans Ende der Welt: nach Patagonien, wo sie sich auf einen abenteuerlichen Ritt durch die wilde Weite der Anden einlässt. In der Begegnung mit Pferden, Menschen und spirituellen Kräften taucht sie immer tiefer in ihre eigene Seele ein. Botschaften aus einer unsichtbaren Welt weisen ihr den Weg – und zeigen ihr, dass Liebe den Tod überdauert. Und dass wahre Freiheit dort beginnt, wo wir bereit sind, loszulassen. Ein zutiefst bewegender Roman über Verlust, Vergebung und die Kraft, den eigenen Weg zu finden – eine Reise durch äußere und innere Wildnis – voller Wahrheit, Schmerz und Aufbruch in die Freiheit

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Seitenzahl: 201

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Impres­sum

1. Auf­lage 2025Copy­right © 2024 Sol­veig Schmidtwww.sol­veig­schmidt.jetzt

Lek­to­rat: Ich danke für ihre wert­volle Arbeit, die die Qua­li­tät des Tex­tes ver­bes­sert hat.

Umschlag­ge­stal­tung: OOO­Gra­fik, www.ooo­gra­fik.de, Corina Witte-Pflanz

E-Book Kon­ver­tie­rung: Con­stanze Kra­mer, cover­bou­tique.de

Her­stel­lung und Ver­lag: im Auf­trag der Auto­rintre­di­tion GmbH, An der Strus­beck 10, 22926 Ahrens­burg, Deut­sch­land

Soft­co­ver: 978-3-384-42189-0Hard­co­ver: 978-3-384-43371-8E-Book: 978-3-384-43104-2

Alle Rechte vor­be­hal­ten. Das vor­lie­gende Werk darf weder in sei­ner Gesamt­heit noch in sei­nen Tei­len ohne vor­he­rige schrift­li­che Zustim­mung der Recht­e­in­ha­ber in wel­cher Form auch immer ver­öf­fent­licht wer­den. Das betrifft ins­be­son­dere jedoch nicht aus­schließ­lich elek­tro­ni­sche, mecha­ni­sche, phy­si­sche, audio­vi­su­elle oder ander­wei­tige Repro­duk­tion oder Spei­che­rung und oder Über­tra­gung des Wer­kes sowie Über­set­zun­gen. Davon aus­ge­nom­men sind kurze Aus­züge, die zum Zwe­cke der Rezen­sion ent­nom­men wer­den.

Gewid­met mei­ner Stute Luzi und allen Pfer­de­see­len, die nicht müde wer­den, uns auf dem Weg zu unse­rem ­wahr­haf­ti­gen Sein zu lei­ten.

Warum dieses Buch entstand

Im Jahr 2021 durfte ich nicht zu mei­nen Pfer­den nach Pata­go­nien flie­gen. Die Gren­zen waren dicht – in Deut­sch­land durfte ich nicht aus- und in Argen­ti­nien nicht ein­rei­sen. Zu Hause gefan­gen, scharrte ich unge­dul­dig wie ein wil­des Pferd mit den Hufen und traf eine Ent­schei­dung: Statt in die Anden zu rei­sen, schreibe ich die Aben­teuer mit mei­nen Pfer­den auf. Ich mel­dete mich bei der Pega­sus Schreib­schule an und das Aben­teuer Buch begann. Schnell ent­deckte ich die Kraft, die im kre­a­ti­ven Aus­druck steckt – und ihre Eigen­dy­na­mik.

Wäh­rend der Plot­ent­wick­lung trat eine tie­fere Geschichte ans Licht – die einer Frau, die den Mut fin­det, sich den Wun­den ihrer Ver­gan­gen­heit zu stel­len – und zu hei­len.

Natür­lich ist die vor­lie­gende Geschichte ein Roman – alle Figu­ren und Ereig­nisse sind frei erfun­den. Den­noch spie­gelt sie Erfah­run­gen wider, die mich ent­schei­dend geprägt haben. Und so ent­stand nicht nur ein Roman, son­dern auch ein Pro­zess der Selbs­t­re­fle­xion, mich mit mei­nen eige­nen Wun­den zu kon­fron­tie­ren und Seite für Seite zu schrei­ben, zu wei­nen und zu hei­len. Letz­ten Endes habe ich die Tas­ta­tur mei­ner Intu­i­tion über­las­sen und konnte hei­len und frei wer­den vom Schmerz der Ver­gan­gen­heit. Das ist der Sinn des Wer­kes für mich: Hei­lung als Auf­bruch in die innere Frei­heit.

Und wenn ich nur einen Men­schen inspi­rie­ren kann, nicht im Schmerz der Ver­gan­gen­heit ste­cken zu blei­ben, son­dern den Mut zu fin­den, los­zu­las­sen und den eige­nen Weg in die Frei­heit zu gehen, dann hat die­ses Buch für mich sei­nen tiefs­ten Sinn erfüllt.

Almas Geburt

Und manch­mal fühlt es sich wie Ster­ben an.Der Tod greift nach dir,seine Kral­len boh­ren sich in dein Fleisch.Du fühlst Schmerz – unaus­halt­bar.Du spürst Trau­rig­keit.Dein Ver­stand lie­fert Gründe.Dann: bleibe Halte es aus.Fliehe nicht. Gehe nicht.Bleibe und spüre das Leid.Viel­leicht ist es deins, viel­leicht auch nicht.Fühle das Lei­den.Spüre das Ster­ben.Weine, schreie, schreibe.Rufe um Hilfe.Aber bleibeDu stirbst nicht.Etwas in dir ist bereit zu ster­ben.Es ist nicht der Tod, der Schmer­zen berei­tet,es ist die Geburt.Wenn du bleibst,Kann sich das Wun­der voll­en­den.Dein altes Ich stirbt,weil dein neues Ichden Weg ans Licht sucht.Den Zeit­punkt bestimmst du nicht.Es über­rennt dich.

1Das Leben ist zu Ende

»Die Kühle des feuch­ten Bodens kriecht in ihren Kör­per und sie spürt, dass das ­Unver­meid­li­che ein Teil des irdi­schen ­Kreis­laufs ist.«

Das Leben ist zu Ende. Es ist ein­ge­fro­ren. Alma spürt nicht die wär­me­n­den Strah­len der Sonne. Sie hört nicht das Zwit­schern der Vögel, nicht das Rascheln der Blät­ter an den Bir­ken, die der laue Wind zum Ras­seln bringt. Sie hört nicht das Schnau­ben der Pferde auf den Kop­peln nebe­nan. Sie hört nicht die besorg­ten Stim­men der Men­schen um sie herum. Alma hört nichts. Abge­schnit­ten von allem Leben­di­gen erscheint ihr die Welt wie hin­ter einer dicken Wand aus mil­chi­gem Glas. Doch plötz­lich dringt die mah­nende Stimme von Dr. Mül­ler zu ihr durch: »Sie müs­sen sich ent­schei­den. Wir kön­nen nicht län­ger war­ten. Der Kreis­lauf wird immer schwä­cher.«

Almas Knie zit­tern, ein dicker Kloß im Hals blo­ckiert ihre Atmung und treibt ihr Trä­nen in die Augen. »Bleib bei mir, bitte, bitte!«, fleht sie leise. »Ver­lass mich nicht, bitte, Luzi, bleib hier!«

Über ihrem See­len­pferd hän­gen zwei Beu­tel mit Infu­si­ons­flüs­sig­keit, die über Schläu­che und einer Kanüle mit Luzis Hals­vene ver­bun­den sind. Trop­fen für Trop­fen rinnt die Flüs­sig­keit in den Kör­per des Pfer­des.

Almas Blick folgt den Trop­fen mecha­nisch. Ihre kal­ten, zit­tern­den Fin­ger strei­cheln immer wie­der den Pfer­de­kopf mit den hän­gen­den Ohren. Mehr kann sie nicht tun. Sie fühlt sich so hilf­los. »Bitte, Luzi, bleib, sonst bin ich wie­der ganz allein.« Nur mit Mühe unter­drückt sie ein lau­tes Schluch­zen. »Wir ver­schie­ben unse­ren Ritt, bis du wie­der gesund bist«, flüs­tert Alma ihrem Lieb­ling ins Ohr. Trä­nen­er­füllt ver­schwimmt ihr Blick und taucht ihre Gedan­ken in eine Blase aus Erin­ne­run­gen.

Wochen­lang saß sie vor Land­kar­ten und dem Com­pu­ter und plante den drei­mo­na­ti­gen Ritt. Vom Biber­fluss in Sach­sen quer durch Thü­rin­gen, durch Orte aus ihrer Kind­heit und Jugend bis nach Ter Apel in Hol­land. Dort ist Luzi gebo­ren – und Alma in Thü­rin­gen. Der Ritt immer west­wärts, wie eine Zeit­reise in die Ver­gan­gen­heit sollte Kla­r­heit in Almas Leben brin­gen. Mit der alten Sin­ger-Näh­ma­schine flickte Alma die zer­schlis­se­nen Pack­ta­schen. Sie kaufte schma­les, leich­tes Wei­de­band für den Wan­der­reit­zaun und orga­ni­sierte einen Rast­platz mit gutem Gras für Luzi für die erste Nacht der lan­gen Reise. Spä­ter hätte sie dar­auf ver­traut, jeden Abend einen guten Platz für Luzis Kop­pel und ihr Zelt zu fin­den. Die Rei­se­vor­be­rei­tun­gen wirk­ten wie eine Droge auf Alma. »Wir rei­ten in unsere Ver­gan­gen­heit, sor­tie­ren uns dort und machen dann die Zukunft bes­ser«, erzählte Alma eupho­risch und ent­ge­gen ihrer sonst so stil­len Art all ihren Freun­den. »Das wird der Ritt in meine Frei­heit. Nichts hält mich auf!«

Alma schaut auf die Infu­si­ons­beu­tel. Jetzt ist der dritte fast leer. Aller guten Dinge sind drei, denkt Alma. »Luzi, du schaffst das! Wir schaf­fen das«, ver­sucht Alma an Luzi gewandt sich selbst Mut zu machen.

Die mah­nende Stimme von Dr. Mül­ler zer­reißt das dünne Band der Hoff­nung: »Alma, Sie müs­sen jetzt eine Ent­schei­dung tref­fen. Wir kön­nen nicht län­ger war­ten.« Dann wen­det er sich sei­nem Pati­en­ten zu: »Ihr Kreis­lauf wird immer schwä­cher.«

ENT-SCHEI-DEN, häm­mert es in Almas Kopf.

Almas letzte Ent­schei­dung war die gegen Dirk und für die­sen Ritt in die Frei­heit gewe­sen. Zweif­ler ließ sie nicht zu Wort kom­men. Die Pla­nung des Wan­der­ritts bean­spruchte ihre ganze Kapa­zi­tät. In ihrem Gehirn war kein Mil­li­me­ter Platz für andere Gedan­ken. Abends fiel sie tod­müde ins Bett und schlief sofort ein. Erst kurz vor Son­nen­auf­gang wachte sie vom hel­len Gesang der Mei­sen wie­der auf. Gott sei Dank! Sie konnte wie­der schla­fen. In den letz­ten Mona­ten vor der Tren­nung von Dirk plag­ten sie Alb­träume. Jede Nacht grü­belte sie stun­den­lang, wie es wei­ter­ge­hen könnte.

Das ist jetzt vor­bei. Dirk ist vor­bei. Jetzt beginnt Almas neues Leben. »Luzi, unser neues Leben war­tet auf uns. Du bist so stark, du schaffst das, ich weiß es«, flüs­tert sie immer noch mit einer lei­sen Hoff­nung in der Stimme ihrem Pferd zu.

»Wir kön­nen nicht mehr war­ten!« Dr. Mül­lers ent­schlos­sene Stimme kata­pul­tiert Alma in die Gegen­wart. In das neue Jetzt. Und das fin­det, ganz anders als Alma es sich vor­ge­stellt hat, in der Tier­kli­nik statt.

Alma hat kein Gefühl dafür, wie lange sie schon hier ist. Die bei­den Tier­ärzte und die junge Assis­ten­tin kämp­fen darum, den Kreis­lauf des Pfer­des zu sta­bi­li­sie­ren. Drei Liter Infu­si­o­nen haben noch nicht den gewünsch­ten Erfolg gebracht. Ohne einen sta­bi­len Kreis­lauf ist die Ope­ra­tion unmög­lich. Herz und Puls der Stute wer­den immer schwä­cher. Luzis schwa­rze Augen ruhen auf Alma. Trau­rig und leer. So leer, als würde sich Luzis Seele dar­auf vor­be­rei­ten, den Kör­per zu ver­las­sen. Die wei­chen, behaar­ten Nüs­tern des Pfer­des, die Alma so oft eine Gän­se­haut über den Rücken zau­ber­ten, wenn sie ihren Nacken berühr­ten, sind hoch­ge­zo­gen und gekräu­selt. Luzi hat Schmer­zen. Starke Schmer­zen. Trotz Schmerz­mit­tel.

»Gleich«, flüs­tert Alma. Wie fern­ge­steu­ert ver­lässt Alma den bis unter die Decke weiß geka­chel­ten Flach­bau mit der gro­ßen Schie­be­tür. Sie läuft vor­bei am Pfer­de­hän­ger, der direkt davor parkt. Die Klappe steht noch offen. Er ist leer. Luzi steht im Behand­lungs­stand der Tier­kli­nik und war­tet auf eine Ent­schei­dung. Almas Ent­schei­dung.

Wie von selbst tra­gen Almas Beine sie nach drau­ßen. Sie fühlt sich selt­sam abwe­send. Ein Sog, der ihre Anbin­dung an die Erde zer­reißt, trägt sie fort. »Erde, Mut­ter Erde«, fleht Alma. Sie spürt kei­nen Boden mehr unter ihren Füßen und sinkt auf die grüne, wei­che Wiese. Zärt­lich streicht sie über die Grass­pit­zen. »Erde, Mut­ter«, flüs­tert sie.

Die Kühle des feuch­ten Bodens kriecht in ihren Kör­per und sie spürt, dass das Unver­meid­li­che ein Teil des irdi­schen Kreis­laufs ist. Hier. Hier wird Luzis Leben enden.

Alma war­tet, bis sie die Kraft ver­spürt, wie­der in die Halle zu tre­ten.

Fra­gende Bli­cke erwar­ten sie. Alma ver­mei­det jeden Blick­kon­takt. Unter Trä­nen nickt sie kurz. Dar­auf­hin befreit die junge Assis­ten­tin Luzi von Schläu­chen und Kanü­len. Die Metall­tür des Behand­lungs­stan­des wird geöff­net. Bru­tal schep­pert Metall auf Metall, als die Tür gegen die Git­ter­stäbe schlägt. Ver­steckt hin­ter dem schüt­zen­den Trä­nen­meer führt Alma ihre Stute Schritt für Schritt auf die wei­che, mit knall­gel­ben Löwen­zahn­blü­ten bedeckte Wiese.

»Luzi, das ist unsere letzte gemein­same Reise. Gleich bist du frei.«

Dr. Mül­ler, ein erfah­re­ner Tier­a­rzt mit der rich­ti­gen Mischung aus Kla­r­heit und Mit­ge­fühl, setzt die erste Spritze an. »Vor­sicht, sie wird fal­len«, warnt er.

Alma steht ganz nah am Kopf von Luzi. So nah, dass sie füh­len kann, wenn die Seele ihres Her­zens­pfer­des den schwarz-wei­ßen, mit Punk­ten über­sä­ten Kör­per ver­las­sen wird. Luzis Beine kni­cken vorne ein, ihr Kör­per kippt zur Seite. Im glei­chen Moment sinkt Alma zu Boden.

Dr. Mül­ler war­tet einen Moment und setzt die zweite, die Todess­pritze.

Alma kau­ert schluch­zend neben dem Kopf ihrer ster­ben­den Stute. Nie­mand spricht. Nie­mand drängt sie.

Sie ist allein. Allein mit ihrer toten Stute.

2Frei­heit beginnt hin­ter der Regen­bo­gen­brü­cke

»Erklä­run­gen trös­ten nicht.Nur Liebe kann trös­ten.«

Alma schreckt auf. Es ist stock­fins­ter. Ver­wirrt greift sie nach der Taschen­lampe am Kop­f­ende. Da ist ein Brett. Wo ist das Zelt? Wo bin ich? Schlag­ar­tig ist sie wach.

Wie das Fall­beil einer Guil­lo­tine kracht der gest­rige Tag in ihr Bewusst­sein. Er schnei­det sie aus ihrem Traum und kata­pul­tiert sie in die bru­tale Gegen­wart. Bild­fet­zen rasen an ihrem inne­ren Auge vor­bei: die Pfer­de­kop­pel, Luzi, die nicht auf­ste­hen kann, der Sat­tel, die Pack­ta­schen, Dr. Mül­ler, Luzi …? Luzi! Sofort schie­ßen Alma Trä­nen in die Augen. Es wird kei­nen Ritt in die Frei­heit geben.

»Des­halb ist mein T-Shirt so nass«, flüs­tert Alma in die Dun­kel­heit und weint hem­mungs­los wei­ter. Warum ver­las­sen mich alle, die ich liebe? Was will das Leben von mir? Wel­che Bot­schaft will Luzi mir brin­gen? Soll ich auf­ge­ben? Meine Suche nach Frei­heit und Liebe auf­ge­ben? Wahr­schein­lich. Luzi wollte nicht mit mir in die Frei­heit und nach Hol­land gehen.

Alma erin­nert sich an Luzis Geschichte, die ihr die Vor­be­sit­ze­rin Vera erzählt hatte. Das kleine, schwarz-weiß gescheckte, mit Punk­ten über­säte Foh­len stand damals trau­rig in der letz­ten Box eines dunk­len Stalls in Hol­land. Allein, ver­las­sen, ein­ge­sperrt. Vera hatte es aus Mit­leid gekauft. Und offen­bar wollte Luzi nicht zurück nach Hol­land, in ihre trau­rige Kind­heit in der dunk­len Box.

Und ich? Was will ich, fragt sich Alma. Soll ich auf­ge­ben?

Ein gewal­ti­ger Druck las­tet auf Almas Brust. Atmen wird fast unmög­lich. Ihr Herz beginnt plötz­lich unkon­trol­liert schnell zu schla­gen. Der Puls rast. Alma kennt die­sen beängs­ti­gen­den Zustand. Es sei nichts Lebens­be­droh­li­ches, hatte sie der Kar­dio­loge beru­higt, als sie ihre Herz­rhyth­muss­tö­run­gen vor vier Mona­ten abklä­ren ließ. Das emp­fand Alma damals, als sie um vier Uhr mor­gens in der Not­auf­nahme des Kran­ken­hau­ses ankam, anders. Sie hatte Angst zu ster­ben.

Jetzt, als sie von die­sem Herz­ra­sen wie­der über­fal­len wird, hat sie keine Angst. Jetzt gibt sie sich dem rasen­den Klop­fen hin. Tak-tak-tak – wie ein Trom­mel­wir­bel. Diese Trom­mel­schläge ver­set­zen sie in eine Trance. Sie sieht sich und Luzi ver­eint. Wenn mein Herz jetzt auf­hört zu schla­gen, bin ich bei Luzi, trom­meln Almas Gedan­ken. Jetzt fühlt sich der Tod wie ein Ver­bün­de­ter an, der sie auf die andere Seite bringt. Dort­hin, wo auch Lene und Oma Linna sind. Alma schluchzt laut. Ein Strom aus Trä­nen schürt ihren Schmerz und gräbt Erin­ne­run­gen aus. Sie fühlt sich allein, so wie damals.

Damals ist Lene ver­schwun­den. Von einem Tag auf den ande­ren war das Kin­der­bett neben ihr leer. Die Schwes­ter kam nie wie­der. »Lene ist jetzt beim lie­ben Gott«, ver­suchte die Mut­ter, die das Unfass­bare selbst nicht fas­sen konnte, Alma zu trös­ten. Erklä­run­gen trös­ten nicht. Nur Liebe kann trös­ten. Oma Linna konnte immer trös­ten, wenn Almas Kin­der­herz trau­rig war. Sie ver­schenkte Liebe, als würde sie an der Quelle sit­zen.

Oma Linna hat mich auch ver­las­sen, bemit­lei­det sich Alma. Ich bin allein. Mut­ter­see­le­n­al­lein. Ver­zwei­felt ruft Alma: »Lene, Linna. Luu­uzi!«

Mit vol­ler Wucht steigt ein ekel­haft bren­nen­der Geschmack in Almas Spei­se­röhre hin­auf. Mit der Hand vor dem Mund springt sie aus dem Bett, reißt die Bade­zim­mer­tür auf und über­gibt sich in die Klo­schüs­sel. Viel kommt nicht. Seit ges­tern Mor­gen ist ihr Magen leer. Alma wischt sich den Mund mit Toi­let­ten­pa­pier ab, knipst das Licht an und spült sich den bit­te­ren Geschmack aus dem Mund. Dabei erhascht sie einen Blick in den Spie­gel: Rote, ver­quol­lene Augen star­ren sie fins­ter an. Schreck­lich. Sie sieht scheuß­lich aus. So scheuß­lich wie der ekel­hafte Geschmack in ihrem Mund. So scheuß­lich wie ihr Leben.

Almas Herz rast nicht mehr. So plötz­lich, wie das Rasen ein­setzte, hat es wie­der auf­ge­hört. Schade, denkt Alma. Sie hätte es nicht stop­pen wol­len. Sie hätte es häm­mern las­sen und dar­auf gewar­tet, dass der Tod ihre Hand und sie mit sich nimmt. Doch jetzt schlägt ihr Herz ganz ruhig.

Sie ist jetzt beim lie­ben Gott, ver­sucht eine Stimme in ihrem Kopf sie zu beru­hi­gen.

Alma knipst das Licht aus und ver­lässt das Bade­zim­mer. Wie­der im Bett schläft sie erschöpft ein.

Im Traum hört sie Oma Linna: »Alma, du brauchst die Liebe nicht zu suchen, sie ist schon da.«

»Omi, Omi, wo bist du? Warum hast du mich ver­las­sen?«

»Alma, ich habe dich nicht ver­las­sen. Ich bin immer bei dir.«

Alma wacht auf. »Omi?« Dass sie die lie­be­vol­len Worte nur im Traum gehört hatte, wird ihr sofort bewusst.

Sie öff­net den Holz­de­ckel des klei­nen Zen-Weckers mit dem schö­nen Klang. Gleich drei. Der kühle Nacht­wind weht durch die weit geöff­nete Bal­kon­tür neben Almas Bett. Sie frös­telt und kuschelt sich noch tie­fer in die rie­sige Bett­de­cke. Zwei­mal zwei Meter, gemacht für zwei Men­schen, die sich gegen­sei­tig wär­men. Sogar diese blöde Decke erin­nert sie daran, dass sie allein ist. Nein, Dirk weint sie keine Träne nach. Die Ent­schei­dung, ihn zu ver­las­sen, war gold­rich­tig und über­fäl­lig. Doch von Luzi getrennt zu sein, brennt unaus­halt­bar in ihrem Her­zen.

Warum kann ich nicht ein­fach alles aus­lö­schen, fragt Alma sich. Mit einem Knopf­druck alle Erin­ne­run­gen aus­ra­die­ren und ein­fach ein lee­res Blatt sein? Aber Alma ist nicht leer. Ihr Kopf ist voll mit quä­len­den Gedan­ken. Sie will nicht mehr den­ken. Sie will nichts mehr. Nichts außer Ruhe und Frie­den. Alma ist am Ende ihrer Kraft. Sie atmet tief durch und hofft, dass der Schlaf sie von den quä­len­den Gedan­ken befreien wird. Ein­at­men. Aus­at­men. Ein­at­men. Aus­at­men. Eine gefühlte Ewig­keit ver­folgt sie jeden ein­zel­nen Atem­zug, doch die Befrei­ung aus dem Gedan­ken­ge­fäng­nis will nicht gelin­gen.

Zum tau­sends­ten Mal wälzt sie die­sen einen Gedan­ken: Was ist in der Nacht vor Luzis Tod auf der Kop­pel pas­siert? Gedank­lich rekon­stru­iert sie jede Minute, die sie am Tag vor der Kata­s­tro­phe mit Luzi ver­bracht hatte. Sie hat­ten einen ent­spann­ten Aus­ritt durch den nahen Laub­wald gemacht und galop­pier­ten wild über die Wie­sen zurück zum Stall. Trotz der chro­ni­schen Bron­chi­tis war Luzi gut trai­niert. Der Tier­a­rzt hatte Alma zum Wan­der­ritt ermu­tigt: »Rei­ten Sie los, die Bewe­gung und die fri­sche Luft wer­den Luzi gut­tun.« Die Vor­freude auf den Ritt hatte Alma beflü­gelt und die fre­che Luzi ange­steckt. Alles war leicht. Als Alma Luzi am Nach­mit­tag zurück auf die Kop­pel brachte, rief sie ihr über­mü­tig zu: »Bis mor­gen, Luzi. Mor­gen sind wir frei.«

Luzi ist frei. Luzi ist über die Regen­bo­gen­brü­cke gegan­gen. Das klingt so tröst­lich. So fried­lich. So leicht. Sie ist über die Regen­bo­gen­brü­cke in die Frei­heit gegan­gen.

Kein Leid mehr, kein Schmerz, keine Bron­chi­tis. Aus­ge­löscht. Alles aus­ge­löscht. Alma ist berührt von die­ser Logik. Vom Gedan­ken an die Frei­heit fühlt sie sich magisch ange­zo­gen. Scheu wagt sie den Gedan­ken: Was, wenn ich Luzi folge?

3Leben ist eine Ent­schei­dung

»Jetzt ist der alte Schmerz prä­sent, wie damals. Jetzt will er end­lich gese­hen, end­lich gefühlt wer­den.«

Alma erwacht, als ein hel­ler Licht­schein durch die Jalou­sie auf ihr Gesicht fällt. Sie kneift ihre ver­quol­le­nen Augen zu und zieht sich die Decke über den Kopf. In der Dun­kel­heit kuschelt sie sich an die Erin­ne­rung: Frei­heit. Die Gedan­ken spin­nen sich von selbst wei­ter: Wenn ich nicht mehr in die­sem Kör­per bin, bin ich frei. Alma kennt die­sen sich selbst repro­du­zie­ren­den Gedan­ken …

Damals, als sie sich von Dirk zu die­ser unver­zeih­li­chen Ent­schei­dung gedrängt fühlte, wollte sie von der Auto­bahn­brü­cke sprin­gen. Aus. Aus. Das Nichtaus­halt­bare aus­lö­schen. Lotta war drei – sie hatte Alma das Leben geret­tet. Ein­fach, weil sie da war. Für ihre kleine Toch­ter Lotta wollte Alma am Leben blei­ben. Damals. Und jetzt?

Als müsse sie ihren inne­ren Raum gegen einen äuße­ren Druck ver­tei­di­gen, hält Alma den Atem an und stemmt sich gegen die ima­gi­näre Kraft, die ihren Brust­korb zu zer­quet­schen droht. Ein selt­sa­mes Gluck­sen ver­lässt ihren Kör­per. Als wollte sie jenes Schwei­gen bewah­ren und jeden Laut ver­hin­dern, presst sie mit aller Kraft ihre Lip­pen auf­ein­an­der. Die Luft bahnt sich einen ande­ren Weg und pufft stoß­weise aus ihrer Nase. Schleu­sen bers­ten. Trä­nen schie­ßen wie Sturz­bä­che dahin. Zäher Schleim tropft aus der Nase. Alma weint und weint und weint. Sie kann nicht mehr auf­hö­ren. Sie presst ihr Gesicht in das Kis­sen und kann nicht mehr zurück­hal­ten, was jetzt aus ihr her­aus­bricht. Hem­mungs­los wie ein klei­nes Kind schluchzt sie laut und kann diese Kraft, die in ihr explo­diert, nicht mehr stop­pen. Der über Jahr­zehnte ange­staute Schmerz klam­mert sich an diese Trä­nen und ver­lässt end­lich ihren Kör­per. Was für eine Befrei­ung!

Im Laufe des Vor­mit­tags hat sich Alma leer geweint. Ein gan­zer Ozean aus Fra­gen bevöl­kert nun diese Leere und brei­tet sich aus: Warum habe ich Dirks Spiel so lange mit­ge­spielt? Warum habe ich mich ver­ra­ten? Warum habe ich zuge­las­sen, dass etwas in mir zer­bricht? Warum wollte ich es nicht sehen? Oder konnte ich nicht? Mit den Erin­ne­run­gen an Dirk steigt eine Übel­keit nach der ande­ren in Alma auf. Wie bei­spiels­weise die Ent­täu­schung am Som­mer­fest vor drei Jah­ren.

Alma war freu­dig auf­ge­regt und sehnte sich danach, mit Dirk end­lich wie­der als Paar eine gemein­same Freude zu erle­ben, wie zu Beginn ihrer Bezie­hung. Alma ärgert sich rück­bli­ckend dar­über, wie naiv sie damals war. Völ­lig gefan­gen in der Gunst des Man­nes, den sie zu lie­ben glaubte. Das Fest endete anders, als sie gehofft hatte. Alma musste ertra­gen, wie Dirks tief­schwa­rze Augen mit den end­los lan­gen Wim­pern – die jede Frau flach­leg­ten, wie er prahlte – ihrer attrak­ti­ven Kol­le­gin Syl­via im knall­ro­ten Mini­kleid auf Schritt und Tritt folg­ten. Die ersehnte Freude blieb Alma im Hals ste­cken. Eine ein­zige Frage quälte sie: Wann würde Syl­via schwach wer­den?

Alma hasste sich selbst, wenn sie in die­sem Wach­hund-Modus jeden von Dirks Schrit­ten ver­folgte. Sie fühlte sich unter­le­gen, hilf­los und aus­ge­lie­fert. »Hör auf, das ist schon pein­lich«, zischte sie, um ihre Ehre kämp­fend, Dirk zu.

»Pein­lich?«, ent­geg­nete Dirk. »Mir nicht. Und dei­ner Kol­le­gin offen­sicht­lich auch nicht. Schau, wie anmu­tig ihr schlan­ker Kör­per dahin­schwebt. Viel­leicht wird das meine neue Geliebte.« Unschul­dig mit den Schul­tern zuckend stand er auf und schlen­derte läs­sig in Rich­tung Bar, wo die plau­dernde Syl­via saß.

Dirks Worte bohr­ten sich wie ein Speer in Almas wehr­lo­ses Herz. Ver­zwei­felt füllte sie ihr Limo­na­den­glas mit Rot­wein, um den Schmerz zu betäu­ben. Abwe­send und leer hin­gen ihre Augen eine ganze Weile an den tan­zen­den Paa­ren auf der Wiese im Gar­ten. Alma sann dar­über nach, ob diese Men­schen wirk­lich glü­ck­lich waren. Wie sah Lebens­freude über­haupt aus? Sie hatte keine Ahnung.

Die Mischung aus Alko­hol, Musik und Trau­rig­keit schlug Alma auf den Magen. Spei­übel und leicht tau­melnd tas­tete sie sich zur Toi­lette ins Haus. Nanu, warum lag Dirks neue beige Zie­gen­le­der­ja­cke im Flur auf dem Boden? Sein Lieb­lings­stück war ihm hei­lig. Elek­tri­siert zuckte ihr Kör­per zusam­men. Urplötz­lich war Alma hell­wach und stock­nüch­tern. In den Gesprächs­fet­zen der tuscheln­den Stim­men, die aus dem Neben­zim­mer zu ihr dran­gen, erkannte sie Dirk und Syl­via.

Zit­ternd und beschämt schlich Alma auf die Gäs­te­toi­lette. Laut­los ran­nen Trä­nen über ihr Gesicht. Wie im Zeit­raf­fer raste ihre gemein­same Zeit mit Dirk an ihrem inne­ren Auge vor­über. Das Ken­nen­ler­nen, das aben­teu­er­li­che Zusam­men­sein unter dem Man­tel der Geheim­hal­tung – und viele demü­ti­gende Momente. Sie schnäuzte den Schmerz mit den Trä­nen ins Toi­let­ten­pa­pier. Nie würde er sich ändern! Nie! Diese Gewiss­heit ließ ihren Kör­per und alle Gefühle, die sie für die­sen Mann jemals emp­fand, zu einem dicken Eis­pan­zer gefrie­ren. Warum erkenne ich das erst jetzt, fragte sie sich vor­wurfs­voll. Sie wünschte sich, mit dem Was­ser­schwall der Toi­let­ten­spü­lung von die­sem Ort, die­sem Fest und die­ser Welt ver­schwin­den zu kön­nen.

Augen­bli­cke spä­ter raffte sie sich auf. Aus dem Spie­gel über dem klei­nen Wasch­be­cken mit nur einem Hahn für Kalt­was­ser blickte ein Gesicht mit ver­schmier­ter Wim­pern­tu­sche in ihre Seele und erin­nerte sie daran: Nur du kannst das ändern.

Drau­ßen steu­erte die Party mit einer Polo­naise auf ihren Höhe­punkt zu. Alma füllte ihr Limo­na­den­glas ein wei­te­res Mal mit Rot­wein und nahm am Tisch neben Merle Platz. Alma wusste, dass Rot­wein hilft, nega­tive Gefühle weni­ger füh­len zu müs­sen. Das dumpfe Häm­mern des Bas­ses mei­ßelte die Erkennt­nis in ihr Gedächt­nis: Nur du, nur du kannst das ändern!

Merle rückte dicht an Alma heran, legte ihren Arm um sie und nahm ihr das Glas aus der Hand. Sie schrie, um den Bass zu über­tö­nen, in Almas Ohr: »Schieß den Kerl ab! Das hast du nicht nötig.«

War das Mit­leid? Oder ermu­tigte Merle sie gerade, auf ihre innere Stimme zu hören? Nur du kannst das ändern! Da stand Alma ent­schlos­sen auf.

Merle nickte ihr augen­zwin­kernd zu: »Das hast du wirk­lich nicht nötig. Du bist eine starke Frau, Alma.«

Wäh­rend Alma durch die Som­mer­nacht schlen­derte, dreh­ten sich ihre Gedan­ken wie ein Karus­sell: Was hatte sie nötig? Dirk? Seine Nähe hatte ihr gehol­fen, sich ein wenig wert­vol­ler zu füh­len. Ihre Unschein­bar­keit hatte sich im Glanz die­ses cha­ris­ma­ti­schen Man­nes gesonnt. Ein Lächeln huschte über Almas Lip­pen.

Als sie sich sie­ben Jahre zuvor auf Dirk ein­ge­las­sen hatte, war sie beein­druckt gewe­sen von sei­nem unglaub­li­chen Selbst­be­wusst­sein. Stän­dig flö­tete er: »Ich bekomme alles, was ich will.« Zwar nahm Alma dabei ein ungu­tes Gefühl wahr und wehrte sich einige Monate gegen das Flir­ten des ver­hei­ra­te­ten Man­nes. Doch schließ­lich erlag sie sei­ner aus­dau­ern­den Wer­bung. Sein unglaub­li­cher Charme hatte Alma ent­waff­net und ihren Wider­stand gebro­chen.

Diese Nai­vi­tät bereute sie jetzt bit­ter. Damals hatte sie sich gese­hen und geliebt gefühlt. Doch sie musste erken­nen, dass Dirk ein Tro­phä­en­samm­ler war und sie nur ein wei­te­res Stück in sei­ner Kol­lek­tion. Eine Tro­phäe, ein Objekt, spukte es in Almas Kopf. Sie fühlte sich wie ein Stück leb­lose Knete, das in den Hän­den von Men­schen, denen sie ver­traute, geformt wurde. Jeder hin­ter­ließ Spu­ren. Sie form­ten, ver­form­ten sie, bis alle Uneben­hei­ten platt­ge­drückt waren.

Aber ich bin doch kein wil­len­lo­ser Klum­pen, bäumte sich Alma auf und schrie in die Stille der Nacht: »Warum habe ich mich nie gewehrt?« Ihr Ver­sa­gen machte sie fas­sungs­los. Dabei ver­wan­delte sich ihre Übel­keit in Wut. Wut auf Dirk. Vor allem aber auf sich selbst. Warum hat sie diese unwür­di­gen Sze­nen so lange ertra­gen? Immer wie­der hatte sie den Schmerz ver­drängt, um nicht füh­len zu müs­sen, was ihr so wehtat.

Und nun? In die­ser aktu­el­len Situa­tion ergriff ein ganz alter Schmerz seine Chance und nutze Almas Schwä­che aus. Er riss ihren Schutz­wall nie­der und war jetzt prä­sent – wie damals. In die­sem Moment wollte er end­lich gese­hen und gefühlt wer­den. Alma wurde still. Sie fühlte sich wie eine Schlange nach der Häu­tung: unge­schützt, roh, ver­letz­lich.