Alpengold 258 - Charlotte Vary - E-Book

Alpengold 258 E-Book

Charlotte Vary

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Beschreibung

Außenseiter waren die Staudingers schon seit jeher im Dorf. Doch solange die Eltern lebten, haben die fünf Kinder ihr schweres Schicksal und die bittere Armut ertragen. Doch nun ist nach dem Vater auch die Mutter gestorben, und das Schicksal der armen Waisen ist völlig ungewiss.
So erscheint es zunächst wie ein Geschenk des Himmels, als ausgerechnet der reiche Erlenhof-Bauer großzügig verkündet, Traudel, der jüngsten, eine neue Heimat auf seinem Hof geben zu wollen. Kann dem Madl etwas Besseres passieren?
Niemand ahnt, dass Traudels wahrer Leidensweg jetzt erst beginnt ...

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Inhalt

Cover

Impressum

In bitterer Armut

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Michael Wolf / Bastei Verlag

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-5680-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

In bitterer Armut

Roman um ein Dirndl, das unschuldig leiden musste

Von Charlotte Vary

Außenseiter waren die Staudingers schon seit jeher im Dorf. Doch solange die Eltern lebten, haben die fünf Kinder ihr schweres Schicksal und die bittere Armut ertragen. Nun aber ist nach dem Vater auch die Mutter gestorben, und das Schicksal der armen Waisen ist völlig ungewiss.

So erscheint es zunächst wie ein Geschenk des Himmels, als ausgerechnet der reiche Erlenhof-Bauer großzügig verkündet, Traudel, der jüngsten, eine neue Heimat auf seinem Hof geben zu wollen. Kann dem Madl etwas Besseres passieren?

Niemand ahnt, dass Traudels wahrer Leidensweg jetzt erst beginnt …

Gleich nachdem das armselige Begräbnis der Forstarbeiterwitwe Marie Staudinger vorüber war und die Gesellschaft sich aufgelöst hatte, hatte der Bürgermeister der Gemeinde Pfaffenbühl eine Gemeinderatssitzung einberufen. Man wollte beraten, was jetzt aus den verwaisten Staudinger-Kindern werden sollte.

»Immer das Gescherr mit dem notigen Pack, den Staudingers!«, schimpfte der Unterhuber-Bauer und nahm eine Prise aus seiner Schnupftabakdose. »Seit die Leut ins Dorf gekommen sind, hat man seine Plag damit.«

»Sei net ungerecht, Bartl«, wies ihn der Bürgermeister zurecht. »Der Josef Staudinger war immer ein fleißiger, zuverlässiger Arbeiter, bis ihn das Unglück getroffen hat, von einem Baum erschlagen zu werden. Er hat seine Familie recht und schlecht versorgt von seinem bisschen Verdienst. Auf einen grünen Zweig hat er freilich net kommen können bei der Schar Kinder. Und jetzt ist halt auch noch seine zweite Frau, die Marie, verschieden. Gott hab sie selig, die arme Haut.«

Der Bürgermeister musste einen Schluck trinken, bevor er mit seiner Rede fortfuhr.

»Aber das mit der Plag wegen der Kinder ist net so arg. Der Älteste, der Franz, der Sohn von der Frieda Staudinger, ist ja schon zwanzig und schafft als Knecht in einer Sägemühle in der Gonner Gegend. Die Kathi und die Rosel sind siebzehn und sechzehn und auch schon als Mägde auf Höfen in der Umgebung untergebracht.«

Er schaute in die Runde. »Es geht also nur um die zwei jüngsten, den Hansi und die Waltraud. Der Hansi wird vierzehn und kommt heuer aus der Volksschule. Der Guggenbichler, der Mechaniker, will ihn in die Lehre nehmen bei Kost und Logis. Also wäre der auch aufgehoben.«

Der Bürgermeister stützte sich auf der Tischplatte auf.

»Bleibt nur das kleinste Dirndl, die Waltraud. Zehn Jahre ist sie jetzt alt. Aber ehe ich das Madl ins Waisenhaus gebe, frage ich euch: Ist denn keiner da, der das Kind um Gotteslohn bei sich aufnimmt? Das bisserl, was die Kleine isst und was sie zum Anziehen braucht, das fällt doch net ins Gewicht. Die Gemeinde müsst sich ja schämen, wenn für das Kind kein Platz wär. Überlegt es euch halt!«

Die, um die sich die Debatte drehte, trippelte eben draußen auf der Straße vor dem Gemeindeamt vorbei, die dünnen, kalten Finger um die Hand ihres Bruders Hansi gekrallt.

Um das magere Figürchen der Kleinen schlotterte ein ärmliches schwarzes Kleid, sichtlich aus Altem zurechtgeschneidert. Zwei dicke Blondzöpfe baumelten der Waltraud auf den Rücken herab, und ihre blauen Augen waren rot verweint.

»Komm nur, Trauderl«, redete der große Bruder ihr tröstend zu. »Wir gehen jetzt heim zur Tante Klara. Die macht uns einen heißen Kakao. Da wird dir wieder warm. Musst net weinen. Die Mama hat’s gut im Himmel, die spürt nix mehr.«

Drinnen in der Gemeindekanzlei hatte nach der Rede des Bürgermeisters erst einmal das große Schweigen geherrscht. Endlich, nachdem dieser sämtliche Mitglieder des Gemeinderats auffordernd gemustert hatte, erhob sich der Erlenhof-Bauer Benno Hilger, schaute in die Runde und verkündete dann gewichtig: »Na, wenn sich keiner von euch erbarmt, dann nehme ich halt in Gottesnamen das Hascherl in Pflege. Meine Bäuerin kann’s zur Arbeit im Haushalt abrichten. Es wird dem Madl nix abgehen bei uns. Wir halten es wie unser eigenes Kind.«

Es klang so richtig volltönend, wie er es sagte, und der Bürgermeister lobte ihn auch gleich eilfertig.

»Das ist ein schönes Wort von dir, Erlenhofer. Der Herrgott wird dir deine Guttat schon lohnen. Also bring ich euch morgen die Waltraud. Ich bin schon recht froh, dass der Kleinen das Waisenhaus erspart bleibt. Die Vormundschaft der minderjährigen Staudinger-Kinder liegt in meiner Hand. Damit hast du keine Scherereien, Erlenhofer.«

So wurde über das Schicksal der kleinen Waltraud Staudinger entschieden, und sie ahnte noch nichts von ihrem Glück. Oder war es vielleicht gar keines?

***

Die Eheleute Hilger, Benno und Agathe, waren reich gesegnet mit irdischen Gütern. Der Erlenhof war einer der schönsten und größten Höfe im Dorf. Die Hilgers trugen einen entsprechenden Stolz zur Schau. Benno zeigte schon in seiner ganzen stattlichen Erscheinung den reichen Grundbesitzer.

Sein gerötetes Gesicht hatte volle, fleischige Wangen, und ein Charivari mit vielen silbernen Anhängern schaukelte auf dem vorgewölbten Bauch.

Ja, der Erlenhofer war ein Liebhaber guten Essens und Trinkens und brauchte sich keinen Genuss zu versagen.

Seine Ehefrau Agathe war eher von der spitzen, knochigen Art. Aber sie präsentierte sich an Feiertagen so prächtig im seidenen Trachtengewand und mit schwerem Goldschmuck, dass man ihr die wohlhabende Bäuerin schon von Weitem ansah.

Die beiden hatten drei Kinder, die nun sechzehnjährige Berta, den dreizehnjährigen Konrad und die zehnjährige Irmi. Auch die Sprösslinge hatten Bauernstolz und Selbstbewusstsein bereits mit der Muttermilch eingesogen.

Als der Vater ihnen eröffnete, dass nun das jüngste Staudinger-Dirndl, die Waise, auf den Hof käme, da verzogen sie nur geringschätzig das Gesicht. Die Staudingers waren für sie immer nur lumpige Bettelleute gewesen.

»Aber bei mir schläft die nicht«, stellte die Irmi gleich energisch klar. »Und meine Spielsachen langt die mir auch nicht an.«

***

Das Staudinger-Häusl war ein ehemaliges Austragshaus, das zum Marxhof gehörte. Doch war es dem Ehepaar Marx längst zu schlecht geworden, und die beiden bewohnten stattdessen ein schönes neues Gebäude am Ortsrand, das der Sohn hatte errichten lassen.

Der junge Marx-Bauer hatte den Staudingers das »alte Gelump«, wie er es verächtlich nannte, um eine geringe Miete zur Nutzung überlassen, als sie vor vielen Jahren ins Dorf kamen.

Er hatte es aber auch abgelehnt, das baufällige Gemäuer zu reparieren, das angeblich nur noch das Abreißen wert war. Josef Staudinger hatte es zu seinen Lebzeiten notdürftig ausgebessert und bewohnbar gemacht. Doch wies es nicht den geringsten Komfort auf. Es war eben nur ein Unterschlupf gegen Kälte und Wind.

Das vielfach geflickte Dach sprang weit vor und war so niedrig, dass ein hochgewachsener Mann aus der Dachrinne hätte trinken können. Windschief und geduckt stand das Häuschen unter den Obstbäumen, die schützend ihre Äste darüber ausstreckten und mit den Zweigen an die Fenster klopften.

Es gab unten eine Wohnstube mit einem Herd und einem Esstisch mit umlaufender Bank. Im Herrgottswinkel hing das Kreuz neben einer verblassten Fotografie von Frieda Staudinger, Josefs erster Frau.

Von der Stube aus gelangte man in die unbeheizte Schlafkammer der Eltern. Die Kinder schliefen unter dem Dach in zwei engen Räumen. Einer davon war fensterlos.

Dieses Heim hatte der Familie Staudinger immer genügen müssen. Dass es fließendes kaltes Wasser und elektrisches Licht im Häusl gab, galt ihnen schon als Luxus.

***

Eben saßen alle Staudinger-Kinder um den großen Herd, denn sie waren durchgefroren vom kalten Wind auf dem Gottesacker, und der Abschied von der Mutter, die die Familie auch noch als Witwe tapfer zusammengehalten hatte, bedrückte sie.

Marie Staudinger hatte in der Schule und der Gemeindekanzlei geputzt und auch sonst überall ausgeholfen, wo man zwei fleißige Hände brauchte. Erst als die schwere Krankheit sie überfallen hatte, war es daheim sehr knapp geworden.

Tante Klara, eine Schwester der Verstorbenen, war zum Begräbnis gekommen. Sie war unverheiratet und in einer Münchener Gaststätte als Köchin angestellt. Deshalb konnte sie sich nicht um die Kinder kümmern. Aber ihre seltenen Besuche brachten immer viel Freude. Hatte sie doch stets einen Kuchen, Würste und andere Leckerbissen in ihrem großen Korb, wenn sie kam.

Jetzt schenkte sie den Kindern Kakao in die Tassen und schnitt einen großen Gugelhupf auf, den sie mitgebracht hatte. Schweigend aßen und tranken alle. Die kleine Waltraud weinte. Franz, der Älteste, ein gut aussehender, hochgewachsener Bursche, nahm die kleine Schwester auf den Schoß und tröstete sie liebevoll.

»Musst net so weinen, Trauderl. Das täte die Mama net wollen. Sie ist erlöst von ihren Schmerzen und muss net mehr leiden. Schau, die Hilgers nehmen dich auf ihren schönen Hof. Da ist’s fein, und du wirst es gut haben. Und neue Geschwister kriegst du, die Berta und den Konrad und die Irmi. Mit der kannst du spielen, denn sie ist genauso alt wie du.«

Die Kleine blickte vertrauensvoll zu dem großen Bruder auf.

»Aber du besuchst mich dort auch, Franz, gelt?«, vergewisserte sie sich.

Er nickte. »Freilich, Trauderl. Ich lass dich schon net allein. Aber jetzt muss ich mich auf den Weg machen. Mein Bus fährt in einer Viertelstunde, und ich darf den Abendzug in Rosenheim net verpassen.«

Auch die Schwestern Kathi und Rosel erhoben sich. Sie waren mit den Fahrrädern da und mussten zurück auf ihre Dienstplätze in Nachbargemeinden. Die abendliche Stallarbeit musste erledigt werden.

Nur Hansi konnte noch bei seiner traurigen kleinen Schwester bleiben. Tante Klara würde die beiden Kinder versorgen, bis er in Kürze zu seinem künftigen Lehrherrn übersiedelte und Traudel auf den Erlenhof kam.

***

Mit dem Spielen wurde es dort allerdings nichts. Die Erlenhof-Bäuerin betrachtete die schmächtige kleine Waltraud von Anfang an als kostenlose Arbeitskraft, die sich ihr bisschen Brot sauer verdienen musste.

Traudel bekam ihren Schlafplatz in der Kammer der Stallmagd Thekla zugewiesen, die darüber wenig erbaut war. Sie behandelte das Kind wie einen lästigen Eindringling, der sie in ihrer nächtlichen Gemütlichkeit nur störte.

Essen durfte Traudel am allgemeinen Familientisch, wo alle verköstigt wurden. Sie hatte ihren Stuhl unter dem Gesinde, und die Kinder des Hauses taten ihr alles zum Trotz.

Konrad stieß sie unter dem Tisch mit den Füßen und stibitzte ihr die besten Bissen vom Teller. Irmi schnitt ihr höhnische Grimassen, und Berta machte sich lustig über die Tischmanieren des »Betteldirndls«.

Zuweilen fuhr der Bauer dazwischen, wenn ihm der tägliche Kleinkrieg zu bunt wurde. Dann ermahnte er streng: »Ist jetzt beim Essen endlich eine Ruh?«

Aber meistens ergriff keiner Waltrauds Partei.

Die Bäuerin wies ihr einen ausgedehnten Kreis von Pflichten zu, der ihr kaum Zeit ließ, ihre täglichen Schularbeiten zu erledigen. Gleich nach dem Mittagsmahl hieß es Geschirr spülen, abtrocknen und Herd und Küche putzen. Dann mussten Hühner und Gänse versorgt, die Schlafkammern aufgeräumt und die Wäsche gewaschen und gebügelt werden. Auch bei der Ernte gab es viel zu tun.

Als die Stallmagd heiratete, war Traudel schon ein wenig älter und übernahm deren Stelle. Nun hieß es melken, füttern, ausmisten und das Vieh sauber halten. Traudel scheute keine Arbeit, ja, sie tat sie sogar gern. Aber es schmerzte sie bitter, dass sie die Letzte im Haus war und nie ein gutes Wort zu hören bekam.

Berta und Irmi ersannen alle erdenklichen Bosheiten, um das Betteldirndl zu kränken. Berta besorgte das mit dem Hochmut der turmhoch überlegenen Haustochter.

»Stell dich net so dumm an, du Trampel«, tadelte sie bei jeder Gelegenheit. »Na ja, du hast halt nix gelernt in eurer Bettelwirtschaft. Aber jetzt bist du auf einem großen Hof und musst dich anstrengen. Einen unnützen Fresser können wir bei uns net brauchen. Beeil dich! Das obere Schlafzimmer ist noch net in Ordnung. Und die Schuh sind auch noch net geputzt. Schmier aber net die Schuhwichs auf den Dreck, gelt? Die Schuhe müssen glänzen, dass man sich drin spiegeln kann. Sonst setzt’s was, schlampiges Ding.«