Alpengold 260 - Rosi Wallner - E-Book

Alpengold 260 E-Book

Rosi Wallner

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wie verzaubert lauschen die Menschen dem Gesang des bildhübschen Madels mit den zarten Zügen, der blonden Lockenpracht und der unvergleichlich schönen Stimme. Einem Engel gleich steht Marie-Theres in einem weißen Gewand auf dem Balkon des Rathauses und trägt vorweihnachtliche Weisen vor. Ihre glockenhelle Stimme schallt über den Markplatz und steigt in die himmlischen Sphären auf.

Kein Herz bleibt unberührt. Nur Ulrike Regner, die Tochter eines reichen Hoteliers, erblasst vor Neid, denn sie hatte gehofft, die Rolle des Engerls von St. Anselm in diesem Jahr übernehmen zu dürfen. Es ist eine herbe Enttäuschung für sie. Doch eines Tages wird sie sich bitter an Marie-Theres rächen und ihr eine Demütigung zufügen, die das Leben des Madels bis in die Grundfesten erschüttert ...

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 132

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Impressum

Das Engerl von St. Anselm

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Tom Merton / iStockphoto

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-5792-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Das Engerl von St. Anselm

Der schönste Heimatroman zum Weihnachtsfest

Von Rosi Wallner

Wie verzaubert lauschen die Menschen dem Gesang des bildhübschen Madels mit den zarten Zügen, der blonden Lockenpracht und der unvergleichlich schönen Stimme. Einem Engel gleich steht Marie-Theres in einem weißen Gewand auf dem Balkon des Rathauses und trägt vorweihnachtliche Weisen vor. Ihre glockenhelle Stimme schallt über den Markplatz und steigt in die himmlischen Sphären auf.

Kein Herz bleibt unberührt. Nur Ulrike Regner, die Tochter eines reichen Hoteliers, erblasst vor Neid, denn sie hatte gehofft, die Rolle des Engerls von St. Anselm in diesem Jahr übernehmen zu dürfen. Es ist eine herbe Enttäuschung für sie. Doch eines Tages wird sie sich bitter an Marie-Theres rächen und ihr eine Demütigung zufügen, die das Leben des Madels bis in die Grundfesten erschüttert …

Als Albin Buchauer vom Fenster aus den Briefträger erspähte, verließ er das Haus und ging ihm entgegen. Der Post-Hias, wie er allgemein genannt wurde, überreichte dem Hofbauern ein ordentliches Bündel Postsendungen.

»Ganz schön heiß heut. Dabei ist es erst Mai«, sagte der stämmige ältere Mann mit einem Aufseufzen.

»Ja, kommst halt rein und trinkst einen kalten Apfelmost. Das wird dich abkühlen«, erwiderte Albin etwas geistesabwesend, während er die Post durchging.

Hias grinste zufrieden und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Gleichzeitig beflügelte diese Aussicht sein Mitteilungsbedürfnis.

»Ein ganz schönes Packerl heut. Eine Karte von der Großtante mütterlicherseits, dass es ihr in der Kur gut geht, Reklame ohne Ende, der Landbote, also nur das Übliche. Aber mit einer Ausnahme – du hast den Umschlag ja schon in der Hand. Das ist aus München und schaut ganz schön amtlich aus, tät ich sagen.«

Man war daran gewöhnt, dass Hias das Postgeheimnis missachtete, und sah es als Ausgleich für die Härten seines Berufs an. Die Bauern auf den abgelegenen Berghöfen ließen ihre Hunde oft frei herumlaufen, und so war es schon mehrmals zu unerfreulichen Begegnungen zum Nachteil von Hias gekommen.

Die beiden Männer traten ins Haus ein, und Albin holte den Mostkrug.

Währenddessen blickte sich Hias in der Stube um, wie immer, wenn der Hofbauer ihn einlud. Er bewunderte die sorgsam restaurierten alten Bauernmöbel, die kunstvoll bemalt waren, den grünen Kachelofen mit seiner gemütlichen Sitzbank und die ausladende Kredenz, in der sich der köstliche Selbstgebrannte befand.

Dabei empfand er keinen Neid, denn Hias war ein schlichter, gutherziger Mensch, der mit seinem einfachen Leben völlig zufrieden war. Und dass auch bei den reichen Großkopferten so manches im Argen liegen konnte, das bewies das Bild im kostbaren Silberrahmen auf der Kredenz. Es stand im Mittelpunkt der übrigen zahlreichen Familienfotos und zeigte die allzu früh verstorbene Frau des Hofbauern.

Wie schön sie gewesen war, die Marie-Theres!

Hias bekreuzigte sich und seufzte mehrmals.

Ja, das war ein rechtes Elend gewesen, als die junge Bäuerin bei der Geburt ihres zweiten Kindes, eines Mädchens, gestorben war. Diese blühende, gesunde Frau! Der Albin war wie von Sinnen gewesen, hatte alles verkommen lassen und sich nicht um die beiden Kinder gekümmert. Heiraten hatte er auch nimmer wollen, obwohl er ein kraftstrotzendes Mannsbild war, und so war es kein Wunder, dass …

Der Eintritt des Hofbauern riss Hias aus seinen Gedanken. Albin goss ihm ein großes Glas Apfelmost ein und beschäftigte sich dann weiter mit seiner Post. Das Kuvert aus München stellte er hinter die Familienbilder auf der Kredenz.

»Willst du noch einen Selbstgebrannten zur Stärkung?«, fragte Albin nach einer Weile, nachdem er die Überschriften des Landboten studiert hatte.

Hias trank sein Glas aus und erhob sich.

»Lieber nächstes Mal. Ich bin eh schon ein bisserl zu spät. Dank dir auch für den Most«, erwiderte Hias und hatte es plötzlich eilig.

»Fahr vorsichtig«, rief Albin ihm noch hinterher, doch das hörte Hias schon nicht mehr.

Nachdem das Motorengeräusch verklungen war, stand Albin Buchauer regungslos mitten in der Stube. Es drängte ihn, den Umschlag zu öffnen, doch irgendetwas hielt ihn davon ab. Schließlich überwand er sich und riss das Kuvert auf.

Dann setzte er sich an den großen, runden Tisch in der Ecke, um das Schreiben in aller Ruhe zu lesen.

Es war eine knappe amtliche Mitteilung, in der er darüber informiert wurde, dass seine Tochter Annemarie Buchauer infolge eines Fahrradunfalls in einer Münchner Klinik verstorben war.

Das Schreiben glitt aus seinen Händen, ein dumpfer Schmerz regte sich in seiner Brust, und er stöhnte auf.

Seine Annemirl war nicht mehr am Leben! Das durfte nicht sein! Seine Annemirl, die die Schönheit ihrer Mutter und den unbeugsamen Eigensinn ihres Vaters geerbt hatte!

Tiefe Reue brach in ihm auf.

Warum hatte er sich nicht früher mit ihr versöhnt? Inzwischen war ihm klar geworden, dass er alles falsch gemacht hatte. Er hätte niemals versuchen sollen, seine Tochter dazu zu zwingen, einen ungeliebten Mann zu heiraten, nur weil es seinen ehrgeizigen Plänen entgegengekommen wäre.

Auch wenn sie mit ihrer Familie gebrochen hatte, so war er doch davon überzeugt gewesen, dass sie zurückkommen würde, bodenständig, wie sie war. Denn sie gehörte doch hierher, seine Annemirl …

Plötzlich war es ihm zu eng in der Stube, und er wankte hinaus ins Freie. Alles schien um ihn zu schwanken, und mit unbeholfenen Schritten ging er in Richtung Hofgatter, wo er sich festhielt.

Erinnerungen an seine Tochter stiegen vor ihm auf. Annemirl an ihrem ersten Schultag, die üppige Lockenpracht vergeblich gebändigt. Ihre blauen Augen leuchteten in froher Erwartung, und sie hielt die große Tüte mit Süßigkeiten fest an sich gepresst. Und dann als junges Mädchen – die Schönste im Dorf …

Tränen stiegen in seine Augen und verschleierten seinen Blick.

So fand ihn sein Sohn, als er vom Feld nach Hause kam. Vinzenz Buchauer erschrak im tiefsten Herzen, seinen starken Vater so zu sehen.

»Was ist dir, Vater?«, fragte er besorgt.

Albin war außerstande zu sprechen.

»Komm ins Haus.«

Vinzenz wollte ihn umfassen und wegführen, doch Albin wehrte ihn schroff ab.

»Die Annemirl …«, brachte er dann mühsam hervor, als ob ihm jedes einzelne Wort Schmerzen bereitete.

»Was ist mit der Annemirl?«, fragte Vinzenz erschrocken.

Seine Schwester und er waren immer unzertrennlich gewesen, denn ohne Mutter und mit einem Vater, der sich kaum um sie kümmerte, hatten sie sich eng aneinandergeschlossen. Dass Annemirl den Hof verlassen hatte und unversöhnlich war, hatte auch ihn zutiefst verletzt.

»Die Annemirl ist nimmer unter uns.«

»Was redest du denn da?«

»Auf dem Tisch in der Stube liegt ein Schreiben aus München, da kannst du es schwarz auf weiß lesen.«

Endlich wandte sich sein Vater um, und Vinzenz zuckte unwillkürlich zusammen. Mit einem Schlag schien Albin Buchauer um Jahre gealtert. Mit steifen Schritten kehrte er ins Haus zurück, setzte sich in der Stube auf die Ofenbank und starrte blicklos vor sich hin.

Im Haus war es still. Die Bäuerin war mit den beiden Buben in die Kreisstadt gefahren, und Franziska, die Älteste, war noch im Nachmittagsunterricht.

Vinzenz las das Schreiben und legte es dann schnell wieder auf den Tisch, als hätte er sich daran verbrannt.

»Ein Unfall mit dem Fahrrad, ich kann es kaum glauben. Sie war doch immer so sicher. Aber mit der Großstadt ist das halt net zu vergleichen«, murmelte er vor sich hin.

Dass die starke, temperamentvolle Annemirl nun nicht mehr am Leben sein und starr und kalt auf einer Bahre liegen sollte, überstieg seine Vorstellungskraft. Er fand kein Wort des Trostes, das seinem Vater über diesen jähen Schicksalsschlag hinweghelfen konnte, zu tief war er selbst erschüttert.

Und so saßen sie still beieinander, bis von draußen Türenschlagen und lautes Gelärm erklang. Zwei Jungs im Alter von sieben und neun stürmten herein, gefolgt von ihrer älteren Schwester. Zuletzt betrat die Hofbäuerin den Raum, sichtlich erschöpft und zudem gereizt, weil ihr niemand geholfen hatte, die Einkäufe ins Haus zu tragen.

Hanne Buchauer war eine immer noch hübsche Frau, auch wenn ihr Gesicht von Überanstrengung und Unzufriedenheit gezeichnet war. Sie hatte Vinzenz einst aus Liebe geheiratet, doch jetzt überkam sie oft Überdruss. Die vielfältigen Aufgaben einer Hofbäuerin im Verein mit ihren Mutterpflichten überforderten sie oft.

Die beiden Jungs waren wild und schwer zu zügeln, die Schwester launisch. Sie stritten sich unentwegt, und einig waren sie sich lediglich darin, sich jeder häuslichen Mithilfe zu entziehen.

»Was sitzt ihr denn da in der Stube herum? Ist jemand gestorben?«, sagte Hanne mit scharfer Stimme.

»Ja«, gab ihr Mann zurück und warf ihr einen zornerfüllten Blick zu.

Franzl, der jüngere der Buben, stieß seinen Bruder gegen die Kredenz, dass die Bilder ins Schwanken gerieten.

Vinzenz Buchauers Gesicht rötete sich bedenklich.

»Herrschaftszeiten! Könnt ihr net für einen Augenblick Ruh geben? Geht raus auf die Wiesen, aber tobt net so laut herum«, fuhr er die Kinder an.

Das war ungewöhnlich, denn Vinzenz war im Allgemeinen ein nachsichtiger Vater, viel zu nachsichtig, wie seine Frau fand. Eingeschüchtert verließen sie das Haus durch die Hintertür, die zu der Streuobstwiese führte.

»Die Annemirl ist verunglückt. Bei einem Radunfall«, sagte Vinzenz nun heiser und wies mit dem Kopf auf das Schreiben. »Da, lies selbst.«

Bleich sank Hanne auf einen Stuhl.

»Und was soll jetzt geschehen?«, fragte sie nach einer Weile.

Albin Buchauer richtete sich auf.

»Sie kommt hierher zurück, wo sie hingehört. Zu ihrer Mutter ins Familiengrab …«

Albins Stimme versagte.

»Ich fahre morgen sofort nach München und werde alles veranlassen«, sagte Vinzenz und stand auf.

Albin nickte dankbar. Er war seinem Sohn kein guter Vater gewesen, das wusste er. Wenn er Vinzenz und Annemirl überhaupt wahrgenommen hatte, dann hatte er sie mit unnachsichtiger Strenge behandelt. Wahrscheinlich war das der Grund dafür, weshalb Vinzenz seinen eigenen Kindern gegenüber zu nachgiebig war.

Dennoch war es Vater und Sohn gelungen, einander näherzukommen, als Vinzenz das Erwachsenenalter erreicht hatte. Nun bewirtschafteten sie einvernehmlich den Hof zusammen, und Albin nutzte den Anbau als Rückzugsort.

Vinzenz, der eher ein geschickter Geschäftsmann als ein Hofbauer war, kümmerte sich zudem um die Mietshäuser, die die Buchauers in der Kreisstadt besaßen. Darauf beruhte inzwischen zunehmend der Reichtum der Familie, obwohl sie den Hof niemals aufgegeben hätten und sich in erster Linie der bäuerlichen Tradition verbunden sahen.

Albin zog sich in den Anbau zurück und gab sich ganz seinen düsteren Grübeleien hin. Es lastete schwer auf ihm, dass er nie nach München gefahren war, um sich endlich mit seiner Tochter auszusprechen. Vielleicht wäre sie sogar mit ihm zurückgekehrt und wäre dann auch noch am Leben …

Bei diesem Gedanken stöhnte Albin Buchauer auf.

Er hatte nichts vom Leben seiner Tochter gewusst. Geheiratet hatte sie wohl nicht, denn sie trug immer noch ihren Mädchennamen.

Seine eigene Tochter war zu einer Fremden für ihn geworden.

***

Nach der Todesnachricht und noch ehe Vinzenz nach München aufgebrochen war, erreichte die Buchauers eine weitere Botschaft, die die Familie erneut erschütterte. Eine Beauftragte des Münchner Jugendamtes teilte Albin telefonisch mit, dass Annemarie eine Tochter hinterlassen habe, ein zwölfjähriges Mädchen, das nun Vollwaise sei.

Als sich die Buchauers wieder zusammenfanden, stand Albins Entschluss bereits fest, nicht gerade zur Freude seiner Schwiegertochter.

»Können wir sie nicht auf einem Klosterinternat unterbringen? Da gibt es gute Einrichtungen, sodass sie später sogar studieren könnt«, schlug Hanne vor.

Albin sah sie aufgebracht an.

»Wie kannst du nur so hartherzig sein, Hanne! Dabei bist du selbst Mutter. Das Madel hat seine Mutter verloren, und der Vater scheint auch nimmer am Leben zu sein, und du willst sie in ein Internat stecken, wo sie niemanden kennt.«

»Ich hab schon drei Kinder …«, wandte Hanne ein, doch ihr Schwiegervater schnitt ihr das Wort ab.

»Ich hab mich an der Annemirl versündigt und sie aus dem Haus getrieben. Das ist unverzeihlich. Dass ihr Kind hier gut aufgenommen wird und auf dem Hof ein Zuhause findet, ist das Mindeste, was ich für meine arme Tochter tun kann. Das Madel hat ein Anrecht darauf, hier zu leben.«

»Ja, damit hast du schon recht. Aber letzten Endes bleibt doch die ganze Last wieder an mir hängen. Der Vinzenz lässt mich bei der Erziehung der Kinder im Stich, besonders die Buben sind ganz verwildert. Ein viertes Kind ist einfach zu viel für mich«, klagte Hanne, die den Tränen nahe war.

»Da muss sich halt manches ändern. Jedenfalls werde ich mich um das Kind kümmern«, versprach Albin.

Während Vinzenz in München alles in die Wege leitete, traf Annemirls Tochter auf dem Buchauerhof ein. An ihrer Seite war eine Frau mittleren Alters vom Jugendamt, die einen freundlichen und patenten Eindruck machte.

Albin und seine Schwiegertochter nahmen sie in Empfang, beide ziemlich ratlos, wie sie mit der Situation umgehen sollten. Glücklicherweise ergriff Frau Weiß vom Jugendamt sofort das Wort.

»Das ist dein Großvater, Marie-Theres. Deine Mutter ist auf diesem Hof groß geworden, und das soll nun dein Zuhause sein. Wunderschön ist es hier, die herrliche Gebirgslandschaft, einzigartig. Und die gesunde Bergluft wird dir auch guttun.«

Das Kind, ziemlich schmächtig für sein Alter, stand wie erstarrt neben ihr und machte keine Anstalten, seinem Großvater oder seiner Tante die Hand zu reichen.

Was für ein zerzaustes, armseliges kleines Ding, dachte Hanne. Es schaut ja halb verhungert aus, das Madel.

Und unwillkürlich schlich sich Mitleid in ihr Herz.

»Marie-Theres heißt du, nach deiner Großmutter. Ich werde dir nachher ein Bild von ihr zeigen. Sie hat auch solche Locken gehabt wie du«, sagte Albin freundlich.

Auf dem Gesicht des Kindes zeigte sich keine Regung. Albin war zutiefst betroffen über das Aussehen seiner Enkelin.

Ihr schönes Lockenhaar war ungekämmt, das schmale Gesicht blass und vom Weinen verquollen. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen, und die Lider waren tiefrot. Marie-Theres war so mager, dass sie beinahe unterernährt wirkte und man sie für weitaus jünger halten konnte.

Ihre Kleidung war sauber, aber abgetragen, ebenso wie ihre Schuhe. Ihre Zehen ragen weit aus ihren Sandalen hervor, ihre verwaschenen Söckchen waren an der Spitze notdürftig gestopft.

So sah nur ein Kind aus, das in sehr ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen war, und wieder schnürte ihm ein heftiges Schuldgefühl die Kehle zusammen.

»Du hast sicher Durst, Marie-Theres. Ich hab auch frisches Schmalzgebackenes«, sagte Hanne.

»Ja, gehen wir ins Haus«, stimmte Albin zu.

»Ich hole noch das Gepäck aus dem Wagen«, sagte Frau Weiß und öffnete die Heckklappe ihres recht betagten Gefährts.

Sie brachte einen großen, alten Rucksack zum Vorschein, denselben, in den Annemirl voller Zorn ihre Sachen gepackt hatte, ehe sie den elterlichen Hof verlassen hatte. Das versetzte Albin einen Stich, und er unterdrückte ein Seufzen. Dann holte sie noch zwei prall gefüllte Plastiktaschen hervor, das war alles, was Marie-Theres besaß.

Angesichts dieser kümmerlichen Habseligkeiten überkam Buchauer erneut Reue. Hätte er sich überwunden und den ersten Schritt zur Versöhnung mit seiner Tochter getan, wäre seine Enkelin bestimmt nicht in beklemmender Armut aufgewachsen. Er nahm sich vor, diese Schuld wiedergutzumachen. Marie-Theres sollte wenigstens eine schöne Jugendzeit auf dem Buchauerhof verbringen.

»Ich hab einen Saft für dich, Marie-Theres, die Beeren sind alle aus unserem Garten«, sagte Hanne und verschwand in der Küche.

Jetzt endlich hob Marie-Theres den Kopf und sah mit großen Augen um sich. Auch Frau Weiß konnte nicht verbergen, wie beeindruckt sie von dieser Zurschaustellung bäuerlichen Reichtums war.

»Das ist ja ein Museum«, sagte Marie-Theres staunend und strich mit ihrer kleinen Hand über den Vorsprung der Kredenz.

Albin musste lächeln.

»Das ist noch die Einrichtung unserer Vorfahren, inzwischen ist sie natürlich restauriert worden«, erklärte der Hofbauer.

»Und die Marie-Theres hat sicher auch ein eigenes Zimmer?«, fragte Frau Weiß.

»Ihr Kammerl ist noch nicht ganz fertig eingerichtet. Aber es wird dir gefallen, Marie-Theres. Es ist oben unter dem Dach, und vom Fenster aus kannst du die Berge und Almwiesen sehen.«

»Die Mama hat immer von den Bergen erzählt. Und dass sie Heimweh nach ihnen hat«, sagte Marie-Theres.

Dann kämpfte sie mit den Tränen, und auch ihr Großvater war nicht imstande, ein Wort hervorzubringen.