Alpengold 268 - Rosi Wallner - E-Book

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Rosi Wallner

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Beschreibung

Als Regine Kreuthner aus dem Klosterinternat in ihre geliebte Bergheimat zurückkehrt, liegt ihr Vater im Sterben. Die Mutter lebt schon lang nimmer, nun muss das arme Madl auch den Vater zu Grabe tragen.

Ganz allein wohnt Regine jetzt in dem alten Waldhäusl, doch nicht die einsame Lage macht ihr schwer zu schaffen, sondern die Tatsache, dass niemand im Dorf etwas mit ihr zu tun haben will. Sie ist die Tochter des Wildschützen und damit eine Schande für das ganze Dorf!
Immer gemeiner und demütigender werden die Angriffe gegen Regine - und bald muss sie um ihr Leben fürchten ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Tochter des Wildschützen

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Michael Wolf

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-6359-3

www.bastei-entertainment.de

Die Tochter des Wildschützen

Was Tag und Nacht ihr Herz quälte

Von Rosi Wallner

Als Regine Kreuthner aus dem Klosterinternat in ihre geliebte Bergheimat zurückkehrt, liegt ihr Vater im Sterben. Die Mutter lebt schon lang nimmer, nun muss das arme Madl auch den Vater zu Grabe tragen.

Ganz allein wohnt Regine jetzt in dem alten Waldhäusl, doch nicht die einsame Lage macht ihr schwer zu schaffen, sondern die Tatsache, dass niemand im Dorf etwas mit ihr zu tun haben will. Sie ist die Tochter des Wildschützen und damit eine Schande für das ganze Dorf!

Immer gemeiner und demütigender werden die Angriffe gegen Regine – und bald muss sie um ihr Leben fürchten …

Als Regine Kreuthner endlich wieder in ihre geliebte Bergheimat zurückkehrte, ahnte sie nicht, dass ihr Vater im Sterben lag. Die zurückliegenden Jahre hatte sie auf einer Klosterschule in Regensburg verbracht, der letzte Besuch bei ihrem Vater war zu Weihnachten gewesen. Doch nun hatte sie ihren Abschluss gemacht, und Regine war entschlossen, ihr Heimattal nie mehr zu verlassen.

Es war der Wille ihres Vaters gewesen, dass sie diese weit entfernte Schule besuchen sollte, und sie hatte diesen Entschluss zunächst nicht begreifen können. Lange hatte sie ihm gegrollt, sich sogar verstoßen gefühlt. Doch allmählich hatte sie sich in das streng geregelte Leben des Klosterinternats eingefügt, und den Schwestern war es gelungen, aus dem völlig verwilderten Kind ein wohlerzogenes junges Mädchen zu machen.

Regine hatte sich in dem Internat eine neue Welt erschlossen, und es hatte sich gezeigt, dass sie sehr begabt war. Sie hatte viel gelesen, sich mühelos Lerninhalte angeeignet und so manchen Schulpreis gewonnen.

Trotz der Strenge mancher der Klosterschwestern war das Internat bald zu einem Zuhause für sie geworden, an das sie später einmal mit Wehmut zurückdenken würde. Jetzt aber war sie ganz von dem Gedanken beseelt, den geliebten Vater und die vertrauten Orte ihrer Kindheit wiederzusehen.

In München gab es einen längeren Aufenthalt, der Regionalzug, der sie in die Nähe ihres Heimatorts bringen sollte, würde erst in zwei Stunden abfahren. Das bot ihr die Gelegenheit, ein Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Als Erstes ging sie zum Bahnhofsfriseur und bat ihn, ihr schulterlanges goldbraunes Lockenhaar zu kürzen.

»Das wollen Sie wirklich von mir verlangen? So schönes Haar«, klagte der Friseur.

»Ja, so kurz, wie es geht«, erwiderte Regine knapp.

»Ist es so recht?«, fragte er schließlich missgestimmt.

»Nein, das ist immer noch zu lang. Stellen Sie sich vor, Sie würden einem Mann die Haare schneiden.«

Schließlich war sie zufrieden, was man von dem Friseur allerdings nicht behaupten konnte, der verdrießlich sein Werk betrachtete.

»Ein Massaker«, murmelte er vor sich hin, doch Regine schenkte ihm keine Beachtung.

Dieser Haarschnitt, so wenig schmeichelhaft er war, brachte jedoch ihre schönen, regelmäßigen Gesichtszüge zur Geltung – die schmale Nase, die hohen Wangenknochen und die großen, fast schwarzen Augen. Ein reizvoller Gegensatz dazu bot der Mund mit den vollen Lippen, der auf ein leidenschaftliches Naturell schließen ließ.

Nachdem Regine den unglücklichen Friseur verlassen hatte, blieb ihr noch Zeit, in Bahnhofsnähe zwei Herrenhemden in der kleinsten Größe, derbe Schuhe samt Socken und einen Strickjanker zu erstehen. Eine abgelegte Hirschlederne aus den frühen Jugendtagen ihres Vaters hatte sie schon bei ihrem letzten Besuch an sich gebracht.

Endlich ging die Fahrt weiter, und es kam Regine sehr entgegen, dass sie allein in ihrem Zugabteil war. Rasch kleidete sie sich um, zog eines der Hemden und die Hirschlederne an, die wie angegossen passte. Die Schuhe drücken allerdings und die Socken kratzten, aber daran würde sie sich gewöhnen. Der grob gestrickte graue Janker mit der grünen Umrandung verbarg ihre weiblichen Formen völlig.

Als der Schaffner wenig später das Abteil betrat und die Fahrkarte verlangte, sah er sich einem schlanken jungen Mann gegenüber.

Georg Kreuthner, ihr Vater, hatte sich immer von ganzem Herzen einen Sohn gewünscht.

Während der langen, einschläfernden Fahrt gingen Regines Gedanken in die Vergangenheit zurück. Trotz des frühen Todes ihrer Mutter, an die sie sich nicht mehr erinnern konnte, hatte sie eine schöne Kindheit gehabt. Ihr Vater hatte es sie nie vergelten lassen, dass sie nicht der ersehnte Sohn war, sondern hatte das zarte Mädchen, das so sehr seiner schönen Mutter glich, über alles geliebt.

Unzertrennlich waren sie gewesen. Er hatte sie mit auf seine Gänge durch den Wald genommen, bis hinauf in das unwegsamste Gebiet, wo nur noch niedrige Gewächse die felsige Erde bedeckten. Sie hatten schmale Brücken über der Klamm überquert, wo das Wildwasser in der Tiefe rauschend dahinschoss, aber neben ihrem Vater hatte sich Regine nie gefürchtet. Oft hatten sie lange auf hohen Anständen im Morgengrauen verharrt, wenn der milchige Dunst über die Lichtung geflossen war, bis die ersten Sonnenbahnen durchgebrochen waren.

Denn Georg Kreuthner war ein Wildschütz.

Im Dorf nannte man ihn allerdings einen Pascher, einen Wilderer, wie Regine bald erfahren hatte, als sie die Dorfschule besucht hatte.

Die einen sahen in ihm einen Gesetzesbrecher, der zu arbeitsscheu war, um sich seinen Lebensunterhalt auf legale Weise zu verdienen, und verachteten ihn.

Aber es gab auch genug andere, die Georg Kreuthner, dem es immer gelungen war, der rächenden Hand der Obrigkeit zu entkommen, vorbehaltlos bewunderten. Für sie lebte er ganz nach seinem Vorbild Georg Jennerwein, dem berühmtesten aller bayrischen Wildschützen. Von ihm hatte er auch seinen Taufnamen erhalten, denn er stammte aus einer alten Pascherfamilie. Wie einst Georg Jennerwein folgte er nur seinen eigenen Gesetzen, denn frei wollte er sein, um jeden Preis.

In Aichfelden, wo die Kreuthners beheimatet waren, wurde Georg Jennerwein allgemein verehrt, was auf die Nachforschungen eines früheren Schulmeisters zurückging. Er hatte eine Biografie von Jennerwein veröffentlicht, die zu einem großen Erfolg wurde.

Etwas von diesem Glanz fiel auch auf das unbekannte kleine Bergdorf, und so war das neu gegründete Wirtshaus »Zum Wildschütz« genannt worden. Natürlich durften auch Erinnerungsstücke an Jennerwein nicht fehlen, die inzwischen nachgedunkelt die holzvertäfelte Wandseite neben den Stammtischen zierten.

Auf der Dorfschule war es für Regine nicht leicht gewesen, denn man hatte das eigenwillige Kind mit Argwohn betrachtet. Sie hatte sich nicht wie die übrigen Mädchen benommen und war noch nicht einmal sofort als ein solches erkennbar gewesen. Raspelkurz wie ein Junge hatte sie die Haare geschnitten und nur Lederhosen getragen. Wie ein Junge hatte sie sich auch geschlagen, vor allem wenn es jemand gewagt hatte, etwas gegen ihren Vater zu sagen.

Das war mit den Jahren nicht besser geworden, und als Regine im vierten Schuljahr zu einer besonders säuerlichen Lehrerin gekommen war, die großen Erziehungsbedarf bei Regine entdeckt hatte, war es zu ernsthaften Schwierigkeiten gekommen. Das Mädchen hatte sich allen Versuchen widersetzt, sie zur Anpassung zu bewegen, und sogar angefangen, die Schule zu schwänzen.

Die Lehrerin hatte nicht mit ihrer Meinung hinter dem Berg gehalten, dass Kreuthner als Vater ungeeignet sei und Regine in einem Heim besser untergebracht wäre als in ihrem verwahrlosten Zuhause.

Das war Georg Kreuthner zu Ohren gekommen und hatte dazu geführt, dass er seine Tochter kurzerhand zu den frommen Schwestern nach Regensburg geschickt hatte, um sie aus der Reichweite dieser gehässigen Person zu bringen.

Regine schrak aus ihren Gedanken auf, als der Zug ruckend abbremste, sie hatten den Zielort erreicht. Nun ging es mit dem Bus weiter nach Aichfelden, und von dort aus lag noch eine Fußwanderung bis zum Haus ihres Vaters vor ihr.

Als Regine endlich in ihrem Heimatort aus dem Bus stieg, schulterte sie seufzend den schweren Rucksack, in dem sich ihre ganzen Habseligkeiten befanden.

Dann ging sie die Dorfstraße entlang und stellte wie immer fest, dass sich in den letzten Jahren kaum etwas verändert hatte. Eines der Häuser war renoviert worden, und die kunstvolle Lüftlmalerei an der Vorderfront erstrahlte in neuer Pracht.

Neugierige Blicke streiften sie, doch niemand schien sie zu erkennen, was ihr ganz recht war. Trotz ihrer Ermüdung schritt sie zügig aus, und nachdem sie noch ein Stück auf der Landstraße entlanggegangen war, bog sie in einen Seitenweg ab, der in Serpentinen bergan führte. Einmal blieb sie stehen und wandte sich um, denn von dieser Stelle aus konnte sie das Tal weit überblicken.

Die Gletscher der Gebirgskette, die das Tal begrenzten, schienen in der Abendsonne zu glühen. Schroff stiegen die grauen Felsen aus dem Bergwald, der die Almwiesen säumte, die nun in frühlingshafter Blütenfülle prangten. Stattliche Höfe lagen bis zu den Hängen hoch verstreut, die Bauern des fruchtbaren Hochtals waren wohlhabend und besitzstolz.

Auch ihre Mutter hatte von einem dieser reichen Höfe gestammt.

Endlich stand Regine vor ihrem Elternhaus, und wie immer musste sie lächeln, wenn sie daran dachte, wie sich die Dörfler darüber erregt hatten, dass es ausgerechnet dem Wildschützen Georg Kreuthner gelungen war, das aufgegebene alte Forsthaus an sich zu bringen.

Eine Schande, dass das Forsthaus, das man mit Fug und Recht als ein historisches Gebäude ansehen konnte, von einem gewissenlosen Pascher bewohnt wurde, fanden manche der Dörfler. Doch auch wenn einer von Georgs Spezln als Strohmann fungiert und das Haus anschließend heimlich an Kreuthner weiterverkauft hatte, ließ sich nicht dagegen angehen.

Immerhin hatte Georg, der handwerkliches Geschick besaß, das Forsthaus innen und außen gründlich renoviert und es in ein Schmuckstück verwandelt. Selbst die Schnitzereien am Dachfirst waren erneuert worden, jedoch so, dass der Charakter des Anwesens erhalten geblieben war.

Mit den weißen Mauern, zu denen die dunkelgrünen Fensterläden in Kontrast standen, und den Hängegeranien, die rot von den Fenstersimsen flammten, wirkte das Haus sehr idyllisch. Vor der Haustür befand sich eine gemütliche Hausbank, umgeben von Kübelpflanzen. Hinter dem Haus gab es einen kleinen Gemüsegarten und eine Wiese, von der ein schmaler Weg in das Dunkel eines Forsts führte, der sich weit ausdehnte.

Regine hatte erwartet, dass ihr Vater sie wie üblich vor dem Haus erwartete, doch nur die betagte Hauskatze rekelte sich auf der Hausbank. Wahrscheinlich machte er sich in dem kleinen Schuppen hinter dem Haus zu schaffen und hatte wieder einmal die Zeit darüber vergessen.

»Ich bin da, Vaterl«, rief Regine, doch nichts rührte sich.

Die Haustür stand gewöhnlich offen, denn Georg hatte keine unliebsamen Besucher zu befürchten. Vielmehr befürchtete mancher, dass er jeden mit einem geladenen Jagdgewehr begrüßte.

Als Regine auf dem Flur noch einmal nach ihm rief, glaubte sie, einen schwachen Laut zu hören, und sie stürmte in die Stube. Ihr Vater, ein hochgewachsener, breitschultriger Mann, lag auf dem Sofa in der Ecke, eine Decke über sich gebreitet. Er versuchte aufzustehen, sank aber wieder kraftlos zurück.

»Was hast du herinnen zu suchen, Burschi?«, kam es schwach von seinen Lippen.

»Vaterl, ich bin’s doch, deine Regine«, erwiderte das Mädchen erschrocken und setzte den Rucksack ab.

»Ja, wie schaust du denn aus? Ich hab gedacht, die frommen Schwestern machen ein Madl aus dir«, sagte er stockend.

»Ich bin, wie ich bin.« Regine beugte sich über ihren Vater und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

Da spürte sie, wie heiß seine Haut war, und fuhr zurück.

»Du glühst ja richtig, Vaterl! Du hast hohes Fieber, wir müssen den Doktor rufen.«

»Ach was, ein Quacksalber kommt mir net ins Haus. Ich hab mich halt ein bisserl verkühlt, das ist alles«, erwiderte er eigensinnig.

»Du bekommst ja kaum Luft, Vaterl! Das ist schlimmer als eine Erkältung.«

Georg wollte zu einer heftigen Entgegnung ansetzen, aber es schien ihn zu viel Kraft zu kosten, und so schwieg er.

»Wann hast du denn zum letzten Mal etwas gegessen und getrunken?«, fragte Regine beunruhigt.

»Ich hab keinen Appetit«, gab Georg störrisch zurück.

»Aber trinken musst du. Ich koche dir jetzt einen schönen Tee und eine leichte Suppe, dann fühlst du dich bald besser.«

Kreuthner gab einen knurrenden Laut von sich und schloss die Augen.

Glücklicherweise hatte Regine daran gedacht, sich während ihres Aufenthalts in München mit den notwendigsten Lebensmitteln einzudecken. Die Küche war vernachlässigt, auch das ein schlechtes Zeichen, denn ihr Vater hatte sonst immer sehr auf Reinlichkeit gehalten. Sie fand zwar kaum Essensvorräte, doch noch einen Überrest Lindenblütentee. Den kochte sie auf und setzte eine Suppe an.

Es gelang ihr dann, den Vater zu bewegen, ein paar Löffel von der Suppe zu essen, die Brotscheibe, die sie dazu reichte, lehnte er ab. Wenigstens trank er den Tee, der ihm gutzutun schien. Als er eingeschlummert war, ging Regine leise nach oben, um ihre Sachen einzuräumen, anschließend wollte sie in der Küche Ordnung schaffen.

Wehmütig sah sie sich in ihrer Kammer unter dem Dach um. Inzwischen war sie kein Kinderzimmer mehr, sondern mit hellen, freundlichen Möbeln ausgestattet, so wie sie es sich gewünscht hatte. Weiße Vorhänge bauschten sich vor dem Fenster, auf dem Boden lag ein Flickenteppich, dessen Farbe zu der Tagesdecke passte, an den Wänden hingen Fotografien, die sie selbst aufgenommen hatte. Nun würde auch noch ein Bild der Klosterschule samt den davor versammelten Schwestern dazukommen.

Als Regine wieder nach unten kam, war Georg zu ihrer Überraschung wach und hatte sich etwas aufgerichtet.

»Komm, setz dich zu mir, Haserl«, bat er sie.

Es kam ihr so vor, als ob sich sein Zustand gebessert hätte, und erleichtert gehorchte Regine. Sie rückte einen Stuhl an das Sofa heran und griff nach seiner Hand. Dass er sie bei dem Kosenamen aus Kindheitstagen genannt hatte, rührte sie.

»Ich vermiss den Hubertus, das Haus ist so leer ohne ihn«, klagte Kreuthner.

Hubertus, ein riesiger, haariger Hund unbekannter Rasse, war lange der treue Gefährte ihres Vaters gewesen. Auch sie hatte ihn geliebt, und dass er schließlich von seinen Altersleiden erlöst werden musste, war für sie nicht weniger schmerzlich gewesen.

»Mir geht es genauso«, sagte sie nur.

Georg Kreuthners Gedanken schienen nun in die Vergangenheit zu schweifen.

»Kannst du dich noch erinnern, wie ich damals den Zwölfender geschossen hab?«, fragte er unvermittelt.

»Ja, ich erinnere mich«, erwiderte Regine.

Ihr Vater hatte dem prächtigen Hirsch lange aufgelauert, und dann eines Morgens, als sie neben Georg auf dem Hochsitz ausgeharrt hatte, war er auf der Lichtung erschienen. Es war ein magischer Augenblick gewesen, dieses herrliche Tier zu beobachten, und Regine hatte vor Entzücken den Atem angehalten.

Dann aber hatte ein einziger Schuss die Stille zerrissen, und der Hirsch war zusammengebrochen. Regine war wie von Sinnen gewesen, hatte geschrien und sich gegen ihren Vater gewehrt, als dieser sie in die Arme nehmen wollte.

»Damals hab ich erkannt, dass du das gute, mitleidige Herz deiner Mutter hast. Niemals wirst du in meine Fußstapfen treten, auch wenn du dich immer angestrengt hast, mir den Sohn zu ersetzen. Und vielleicht ist es auch besser so. Mit mir wird alles ein Ende haben. Auch deshalb hab ich dich zu den Schwestern geschickt, damit du etwas Rechtes lernen und ein selbstständiges Leben führen kannst. Ich weiß, dass du mir lange deswegen gram warst, aber vielleicht verstehst du es jetzt.«

»Ja, Vaterl, jetzt bin ich erwachsen und seh das anders. Das Heimweh am Anfang war furchtbar, viele Nächte lang hab ich nur geweint. Doch jetzt bin ich dir dankbar, denn ich hab viel gelernt dort, und am End war es doch eine gute Zeit für mich.«

»Auch deiner Mutter wär das recht gewesen, das weiß ich. Dass sie so früh von uns hat gehen müssen.« Seine Stimme brach.

Marie Kreuthner hatte sich bei der Gartenarbeit eine Verletzung zugezogen, der sie keine Beachtung geschenkt hatte. Sie hatte sich geweigert, eine ärztliche Behandlung über sich ergehen zu lassen, und versucht, der Entzündung mit allerlei Hausmitteln beizukommen. Als sie schließlich doch ins Krankenhaus gebracht worden war, war es zu spät gewesen – eine Blutvergiftung hatte der blühenden jungen Frau das Leben gekostet.

Jetzt verklärte sich das Gesicht Georg Kreuthners, und er beugte sich zu seiner Tochter hinüber.

»Meine Marie – mir ist, als wär sie mir ganz nah in den letzten Tagen«, sagte er flüsternd, und seine Augen leuchteten.

»Wie meinst du das, Vaterl?«, fragte Regine, und ein angstvoller Schauer überlief sie.

Georg sah, dass er seine Tochter erschreckt hatte, und verharmloste eilig seine Worte.

»Ich denk halt oft an sie. Wenn man so herumliegt, kommen die ganzen Erinnerungen zurück.«

»Ja, das versteh ich.«