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Rosi Wallner

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Beschreibung

Die Z’widerwurzen - Warum ausgerechnet der schönste Bursch ihr einen Heiratsantrag macht


Jeder Blick in den Spiegel ist für Franziska Waidinger eine Überwindung. Immer wieder fragt sie sich verzweifelt, warum sie von der Natur so stiefmütterlich behandelt wurde. Und natürlich weiß sie auch, wie sie hinter vorgehaltener Hand in ganz Eschingen genannt wird: die "schiache Z’widerwurzen". Kein Wunder, dass sie glaubt, ihr Leben als alte Jungfer fristen zu müssen.

Da fällt ihr ein unerwartetes Erbe zu und macht sie über Nacht zu einer "guten Partie". Jetzt geschieht, was niemand für möglich gehalten hätte. Ausgerechnet Stefan, der schmuckeste Junggeselle im Dorf, hält um Franziskas Hand an ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Die Z'widerwurzen

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Michael Wolf

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-6554-2

www.bastei-entertainment.de

Die Z’widerwurzen

Warum ausgerechnet der schönste Bursch ihr einen Heiratsantrag macht

Von Rosi Wallner

Jeder Blick in den Spiegel ist für Franziska Waidinger eine Überwindung. Immer wieder fragt sie sich verzweifelt, warum sie von der Natur so stiefmütterlich behandelt wurde. Und natürlich weiß sie auch, wie sie hinter vorgehaltener Hand in ganz Eschingen genannt wird: die »schiache Z’widerwurzen«. Kein Wunder, dass sie glaubt, ihr Leben als alte Jungfer fristen zu müssen.

Da fällt ihr ein unerwartetes Erbe zu und macht sie über Nacht zu einer »guten Partie«. Jetzt geschieht, was niemand für möglich gehalten hätte. Ausgerechnet Stefan, der schmuckeste Junggeselle im Dorf, hält um Franziskas Hand an …

»Es gefällt mir fei net, wie du deine Schwester behandelst, Anderl. So wird bestimmt nichts besser.«

Franziskas Schritt stockte unwillkürlich. Von der engen Stiege aus, die zum Obergeschoss des alten Bauernhauses führte, konnte sie jedes Wort hören, das aus der Stube drang. Wie gewöhnlich stand die Tür offen, und die helle Stimme ihrer Schwägerin war klar und deutlich zu verstehen.

Andreas Waidinger, den alle nur Anderl nannten, lachte auf.

»Was soll da noch besser werden? Die Franziska war schon immer so. Und dass sie jetzt auch noch ihre Stelle in Einshofen drüben verloren hat, wundert mich überhaupt net. Sie hat sich noch nie mit jemandem vertragen.«

»Wie kann auch ein Madl, das anscheinend von Kind an nie ein gutes Wort gehört hat, liebenswert werden? Nur, weil sie ein bisserl anders ist …«

»Anders? Dass ich net lach. Net genug, dass sie schiach ist, so war sie auch von Kind an eigensinnig und vorlaut. Ihren Kopf hat sie immer durchsetzen wollen, auf Biegen und Brechen«, fiel ihr Anderl ungehalten ins Wort.

»Aber dass sie sich für das Madl an der Schule in Einshofen eingesetzt hat, war doch richtig. Es geht doch net an, dass der Bursche, der sie drangsaliert hat, ungestraft davonkommt, bloß weil sein Vater der Bürgermeister ist und die Mutter von der Kleinen nur die alleinerziehende Bedienung im Wirtshaus«, erwiderte Roswitha heftig.

»Mag ja sein. Aber die Franziska legt sich halt immer mit den falschen Leuten an. Und wahrscheinlich ist sie so ausfällig geworden, dass man sie nimmer länger an der Schule dulden wollt. Sie war ja noch net verbeamtet.«

»Trotzdem ist es eine rechte Schand.«

»Wenn die Franziska halt net so eine Z’widerwurzen wär, könnt ich das ja noch verstehen. Aber so …«

»Z’widerwurzen, so nennst du sie immer. Das ist auch so etwas. Der Spottname verfolgt sie geradezu. Ein guter Bruder nimmt seine Schwester in Schutz, aber du hast immer noch dazu beigetragen, dass man über sie herzieht.«

»Ach, das ist doch Kinderkram. Ich weiß auch net, was du heut hast. Du klingst ja fast schon selber wie eine Z’widerwurzen.«

»Nimm dich nur in Acht, Anderl! Sonst lernst du noch eine richtige Z’widerwurzen kennen! Eine, die gar nimmer lieb zu dir ist …«

Ein Gerangel schien zu entstehen, und Roswitha kicherte.

»Am besten wär vielleicht, dass die Franziska einen netten Mann kennenlernen und heiraten tät. Einer, der sich net so schnell abschrecken lässt und gut zu ihr ist. Dann tät sie sich bestimmt ändern und ein glücklicher Mensch werden«, sagte sie dann.

»Da hast du sicher recht. Aber woher soll sie den nehmen? Hier ist sie net grad gut angesehen bei den Burschen. Und schau sie dir doch mal an! Wie eine Vogelscheuche läuft sie herum. Da hilft auch keine noch so große Mitgift«, gab Anderl zurück.

»Dann hör dich halt mal um bei deinen Spezln. Du musst sie ja net anbieten wie saures Bier.«

»Was bleibt mir denn anderes übrig? Vielleicht finden wir einen von außerhalb, der net Bescheid weiß …«

»Manchmal, Anderl, hab ich Zweifel an dir«, unterbrach ihn Roswitha, und ihr Tonfall klang ein wenig scharf.

»Aber Schatzerl! Das liegt nur daran, dass du ein so gutes Herz hast, deswegen lieb ich dich auch so sehr.«

Die Stimmen verstummten, Anderl und Roswitha schienen einmal wieder Zärtlichkeiten auszutauschen. Sie waren schon einige Zeit verheiratet, doch sie verhielten sich, als ob sie immer noch in den Flitterwochen wären.

Franziskas Wangen brannten. Sie fühlte sich zutiefst beschämt, nicht nur, weil sie gelauscht hatte, sondern weil ihr dieses Gespräch klar vor Augen geführt hatte, was man von ihr hielt. Und außerdem schlich sich Neid in ihr Herz, Neid über das in ihren Augen unverdiente Eheglück ihres Bruders. Ihrer Meinung nach war es ihm nur deshalb zugefallen, weil er gut aussehend und der Hoferbe war.

Auch vom Naturell her war er anders, er war beliebt und führte das große Wort am Stammtisch. Was auch kein Wunder war, denn von den Eltern hatte er immer Aufmerksamkeit erfahren, während Franziska unbeachtet geblieben und bei der geringsten Verfehlung hart bestraft worden war. Schon früh waren ihr viele Aufgaben, denen sich ihr Bruder geschickt zu entziehen verstanden hatte, zugeschoben worden, was sie bis heute erbitterte.

Vorsichtig, um ein Knarren der Stufen zu vermeiden, stieg Franziska nach oben. Ihre Kammer war nur klein und lag halb unter der Dachschräge, doch für sie war es ihr Zufluchtsort. Es gab außer dem Bett, einem schmalen Spiegelschrank und einem Schreibtisch am Fenster keine weiteren Möbelstücke, dafür war ein Teil der Wände mit Bücherregalen bedeckt. Nicht nur Lehrbücher, sondern auch Literatur, denn Franziska zog sich am liebsten hierher zurück, um zu lesen.

An Vergnügungen, wie die meisten Dorfmadln sie schätzten, lag ihr nichts, was ihr zusätzlich noch den Ruf eingebracht hatte, eigenbrötlerisch zu sein. Sie war überhaupt gerne allein, und wenn sie nicht gerade las oder im Garten arbeitete, wanderte sie durch die Berge.

Nach der Heirat ihres Bruders, was mit der Überschreibung des Hofes an ihn einhergegangen war, hatten die alten Waidingers ihren Platz geräumt und wohnten nun in dem Anbau am rückwärtigen Teil des Hofes. Es wäre auch noch für sie ein Raum dort frei gewesen, doch Franziska hatte sich geweigert, ihre Kammer zu verlassen.

»Die Franziska kann froh sein, dass sie so eine gutherzige Schwägerin hat. Jede andere hätte sie schon hinausgebissen. Vor allem, weil die Franziska so eine Z’widerwurzen ist«, hieß es unten im Dorf.

Franziska hatte darauf beharrt, weiterhin in ihrem Elternhaus zu leben. Sie sah nicht ein, dass allein ihrem Bruder dieses Recht zustand. Es war zu heftigen Streitereien zwischen den Geschwistern gekommen, denn Anderl hätte es nur zu gerne gesehen, wenn die ungeliebte Schwester endlich aus dem Haus verschwunden wäre.

Ihrer Schwägerin hatte sie es zu verdanken, dass sie bleiben konnte.

»Sie ist ja ganz für sich in ihrem Kammerl unterm Dach und stört uns net. Warum soll sie denn ausziehen?«, hatte Roswitha ihren Mann beschworen.

Anderl, der seiner Frau nichts abschlagen konnte, hatte schließlich nachgegeben, um den Familienfrieden zu retten.

Franziska empfand nur wenig Dankbarkeit darüber, denn es kränkte sie, dass Roswitha, die eingeheiratet hatte, nun über ihr Los bestimmen konnte. Die Hoftochter hatte es schon immer als Ungerechtigkeit empfunden, dass sie, die den Hof viel mehr liebte als ihr Bruder, ihn nicht übernehmen durfte und hier letztendlich nur geduldet wurde.

Und das alles nur, weil sie eine Frau war.

Franziska ließ sich auf ihr gemütliches Bett unter der Dachschräge nieder und starrte niedergeschlagen vor sich hin. Es kam ihr so vor, als sei ihr Leben in der letzten Zeit eine einzige Kette von Niederlagen und Demütigungen gewesen. Dabei hatte sie geglaubt, dass sie nun endlich den richtigen Weg eingeschlagen hätte, als sie die Stelle an der kleinen Dorfschule im Nachbarort angetreten hatte.

Zunächst hatte alles gut begonnen. Trotz ihrer manchmal etwas schroffen Art hatten die Schüler Zutrauen zu ihr gefasst, und das Unterrichten hatte ihr Freude bereitet. Dann aber war es zu diesem Zwischenfall mit dem frechen Sohn des Bürgermeisters gekommen, und das Unglück hatte seinen Lauf genommen.

Franziska konnte einfach nicht ihren Mund halten und auch nicht darüber hinwegsehen, wenn einem Kind Unrecht widerfuhr. Nachdem sogar der Schulleiter ihr Vorwürfe gemacht hatte, hatte sie im Zorn alles hingeworfen und den Dienst quittiert.

Sie hatte auch nicht vor, wieder als Lehrerin zu arbeiten. Franziska war zu der Überzeugung gelangt, dass sie einfach unfähig war, mit anderen Menschen umzugehen, was zwangsläufig immer wieder zu Verwicklungen führen musste. Und so hatte sie sich hierher in ihr Schneckenhaus zurückgezogen und gab sich ihren Grübeleien hin.

Allerdings war sie nicht untätig. Ihre geschäftstüchtige Schwägerin belieferte etliche Geschäfte in der Kreisstadt mit frischen Eiern und Geflügel, zeitweise auch mit Gartenerzeugnissen. Franziska hatte Roswitha die Aufgabe abgenommen, diese Produkte auszufahren, was beiden sehr entgegenkam.

Auf die Dauer war das aber keine richtige Aufgabe für sie. Wie sollte ihre Zukunft aussehen? Ihre ganze Liebe gehörte eigentlich der Landwirtschaft, und nur zu gerne wäre sie Hofbäuerin geworden. Das war jedoch ausgeschlossen, denn dazu fehlten ihr die finanziellen Mittel. Naheliegend war eher, dass sie einen Hofbauern heiratete, doch auch das erschien ihr hoffnungslos. Es stimmte ja, was man immer von ihr behauptete. Eine Z’widerwurzen war sie, und dazu noch schiach.

Franziska glitt von ihrem Bett und stellte sich vor den ovalen Schrankspiegel, um sich eingehend zu begutachten. Auf den ersten Blick wirkte sie wenig einnehmend, was vor allem ihrem unzufriedenen Gesichtsausdruck geschuldet war. Ihr Bruder hatte ganz recht, sie war nun einmal hässlich.

Eine eckige Brille entstellte ihr schmales, blasses Gesicht und ließ ihre klaren Züge unregelmäßig erscheinen. Beim Herumtoben mit ihrem Bruder – er hatte ihr einen heftigen Stoß versetzt, dass sie gestürzt war – hatte sie sich einen Schneidezahn halb abgebrochen. Ihre Eltern hatten es nicht für notwendig gehalten, den Zahn überkronen zu lassen. Ihre üppigen honigbraunen Haare lockten sich um ihr Gesicht, aber ein struppiger Bausch fiel ihr in die Stirn, sodass sie immer irgendwie verwildert wirkte.

Franziska verstand es auch nicht, sich zu kleiden, und sie achtete auch nicht auf ihr Gewicht. Und so trug sie meistens formlose, kittelartige Gewänder und derbe Schuhe, was sehr unvorteilhaft war.

Sie nahm die Brille ab und kniff die Augen zusammen. Dann strich sie ihre Haare zurück und betrachtete ihr verschwommenes Spiegelbild. Ihre großen, fast schwarzen Augen beherrschten nun ihr Gesicht, und das Ebenmaß ihrer Züge kam zur Geltung.

Doch Franziskas Selbstbild war zu verzerrt, als dass sie ihre Vorzüge hätte wahrnehmen können. So ließ sie ihre Haare wieder los und setzte sich mit einer resignierten Bewegung die Brille wieder auf.

Es war wirklich hoffnungslos.

Die einzige Möglichkeit, die es für sie gab, wäre eine Vernunftehe mit einem zweit- oder drittgeborenen Hofsohn, mit dem sie gemeinsam etwas aufbauen könnte. Kein Mann würde sie jemals aus Liebe heiraten, damit musste sie sich abfinden. Andererseits wollte sie auch nicht als unverheiratete alte Jungfer leben, die auf dem Hof des Bruders nur eine Dachkammer bewohnte und kein eigenes Auskommen hatte.

Vielleicht sollte sie sich einmal mit ihrer Schwägerin besprechen. Roswitha nahm sie, wie sie war, und war sogar schon dazwischengefahren, wenn einmal wieder eine Auseinandersetzung zwischen Anderl und ihr aufzulodern gedroht hatte. Roswitha war nicht nur gutherzig, sondern auch klug, und sie würde schon Rat wissen.

Nachdem Franziska diesen Vorsatz gefasst hatte, beruhigte sie sich etwas und schlief sofort ein, als sie später zu Bett ging.

***

Stefan Bernrieder und Sylvester Karbacher waren Freunde von frühester Kindheit an, und im Dorf galten sie als unzertrennlich. Anderl Waidinger war der Dritte im Bunde, doch seitdem er verheiratet war und den elterlichen Hof übernommen hatte, blieb er ihren Zusammenkünften immer häufiger fern.

Auch heute hatten sich Stefan und Sylvester wieder ohne ihn in der »Schwarzen Gams« getroffen. Die beiden jungen Männer hatten sich in eine Nische zurückgezogen, um ungestört miteinander reden zu können. Das Dorfwirtshaus mit seinem behäbigen Wirt, der allgemein der »Gamswirt« genannt wurde, war für sie ein vertrauter Ort, wo sie sich wohlfühlten.

Dazu trugen nicht nur die Balkendecke und die Tische und Stühle mit altertümlicher Schnitzerei bei, sondern auch die Kochkünste der Wirtin. Diese war keineswegs so beleibt und verträglich wie ihr Mann, sondern dürr und scharfzüngig, sodass man es nicht bedauerte, dass sie kaum ihr Küchenreich verließ.

»Was hast du denn, Stefferl?«, fragte Sylvester schließlich, als ihm sein Freund mit düsterer Miene gegenübersaß.

Der Gamswirt hatte, ohne zu fragen, das geliebte Weiße vor sie hingestellt, und Stefan hatte hastig das halbe Seidl hinuntergestürzt. Doch auch das hatte nicht vermocht, seine Zunge zu lösen.

»Du schaust ja drein, als wär der Weltuntergang nah«, versuchte Sylvester ihn erneut aus der Reserve zu locken.

»Genauso ist mir zumute«, gab Stefan schließlich von sich, und seine Züge verhärteten sich noch mehr.

»Jesses, Stefferl, du malst halt alleweil den Teufel an die Wand«, meinte Sylvester lachend und nahm einen Schluck aus seinem Seidl.

Stefan und Sylvester galten als die schmucksten Burschen im Dorf und wurden immer von Madln umschwärmt. Beide waren hochgewachsen und kraftvoll, Stefan war jedoch dunkelhaarig und hatte goldbraune Augen, während Sylvester hellblonde Locken in die Stirn fielen und blaue Augen sein Gesicht beherrschten.

So wie sie sich äußerlich unterschieden, so wichen sie auch im Naturell voneinander ab.

Sylvester, der seinen Namen dem Umstand verdankte, dass er tatsächlich zum Jahreswechsel das Licht der Welt erblickt hatte, war von unerschütterlich guter Laune und voller Lebensfreude. Er war keinem Gspusi abgeneigt, doch er scheute jede Bindung. Dabei stellte er es so geschickt an, dass keines der Madln, deren Hoffnungen er enttäuscht hatte, ihm lange gram war, sondern weiterhin freundschaftlichen Umgang mit ihm pflegte.

Stefan war eher zurückhaltend und besonnen. Der kürzliche Tod seines Vaters hatte einen Schatten über seine einstige heitere Gelassenheit geworfen, und er lächelte kaum noch. Außerdem litt er immer noch an der Liebe zu einer verheirateten älteren Frau, die unerfüllt geblieben war. Seitdem war Stefan zum Einzelgänger geworden und ließ sich häufig abfällig über Liebesbeziehungen aus.

»Du hast gut lachen«, gab Stefan zurück, und seine Stimme klang fast feindselig, sodass Sylvester ihn überrascht ansah und ernst wurde.

»Geht es um die Erbschaft?«

»Welche Erbschaft?«, fragte Stefan bitter zurück.

»Du hast mir doch gesagt, dass eine Lebensversicherung existiert, mit der du den Hof sanieren kannst«, erwiderte Sylvester.

»Ja, das hab ich geglaubt.«

»Jesses, du willst doch net sagen, dass …«

»Doch. Ich kann es immer noch net fassen. Diese Lebensversicherung existiert nimmer, mein Vater hat sie aufgelöst, ohne mir ein Wort davon zu sagen.«

Tiefe Verzweiflung und Ratlosigkeit spiegelten sich auf Stefans Zügen.

»Was hat er denn damit gemacht? Schulden bezahlt?«

Stefan stieß ein kurzes, hartes Lachen aus.

»Schön wär’s. Nein, er hat mit dem Geld spekuliert, in der wahnwitzigen Hoffnung, mit dem Gewinn daraus auf einen Schlag alle Schulden los zu sein und den Hof wieder rentabel zu machen. Stattdessen hat er alles verloren und sich zu weiteren Krediten überreden lassen, die er wieder verspekuliert hat. Im Grunde genommen gehört mir überhaupt nichts, und ich weiß net, wie lang die Gläubiger stillhalten werden.«

Sylvester schob sein Seidl von sich und starrte seinen Freund fassungslos an.

»Das ist ja furchtbar! Hast du denn schon mit dem Ferdl von der Bank gesprochen?«, fragte er dann.

Ferdl Riesinger war ein Schuldfreund der beiden und hatte es trotz seiner Jugend schon zum Leiter der Sparkasse in der Kreisstadt gebracht.

Stefan nickte mit versteinerter Miene.

»Er ist mir schon weit genug entgegengekommen, wie er das ausdrückt. Das Einzige, was er mir noch anbieten kann, ist, dass er die Versteigerung übernimmt, damit alles seinen richtigen Lauf nimmt. Als ob mir damit geholfen wär«, setzte er bitter hinzu.

»Ich leih dir gern etwas. Du weißt ja, dass ich von meinem Patenonkel geerbt hab«, bot ihm Sylvester an.

Stefan wusste, dass das nicht nur so dahingesagt war. Auch wenn Sylvester vom ersten Eindruck her vielleicht etwas oberflächlich erscheinen mochte, so war er doch ein verlässlicher Freund. Das hatte Stefan schon bei mehreren anderen Gelegenheiten erfahren.

»Ich dank dir, Sylvester. Aber ich kann dich net in mein Elend mit reinreißen, denn ich werde es dir net zurückzahlen können. Ich will kein Schuldenloch mit neuen Schulden stopfen, du weißt ja, dass das auf die Dauer net geht.«

Sylvester nickte und schien nachzudenken.