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Hanni Birkmoser

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Beschreibung

Selbstlose Liebe
Wie Karin einen geächteten Mann aus seiner Einsamkeit erlöste
Von Hanni Birkmoser

Erst vor ein paar Wochen hat Karin Hasler ihre erste Stelle als Lehrerin in dem einsam gelegenen Bergdorf angetreten. Viel gesehen hat sie noch nicht von ihrer neuen Heimat, und so unternimmt sie an diesem Nachmittag spontan einen Spaziergang. Vor einem Marterl am Waldrand bleibt sie stehen. Wind und Wetter haben seine Inschrift fast unleserlich gemacht, deutlich zu erkennen ist jedoch das Bild eines Mannes in mittlerem Alter.
Karin fühlt sich seltsam berührt von dem Porträt des Toten und tritt näher an das Marterl heran. Nach einer Weile gelingt es ihr, die Inschrift zu entziffern: »Heinrich Lechner, Bauer in Niederndorf, fand hier einen gewaltsamen Tod. Der Herr sei seiner armen Seele gnädig.«
Ein Schauer jagt der jungen Frau über den Rücken, als sie plötzlich das Gefühl hat, nicht mehr allein zu sein. Ängstlich dreht sie sich um - und blickt in ein Männergesicht, das mit dem auf dem Foto fast identisch ist ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Selbstlose Liebe

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Michael Wolf

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 9-783-7325-7699-9

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Selbstlose Liebe

Wie Karin einen geächteten Mann aus seiner Einsamkeit erlöste

Von Hanni Birkmoser

Erst vor ein paar Wochen hat Karin Hasler ihre erste Stelle als Lehrerin in dem einsam gelegenen Bergdorf angetreten. Viel gesehen hat sie noch nicht von ihrer neuen Heimat, und so unternimmt sie an diesem Nachmittag spontan einen Spaziergang. Vor einem Marterl am Waldrand bleibt sie stehen. Wind und Wetter haben die Inschrift fast unleserlich gemacht, deutlich zu erkennen ist jedoch das Bild eines Mannes in mittlerem Alter.

Karin fühlt sich seltsam berührt von dem Porträt des Toten und tritt näher an das Marterl heran. Nach einer Weile gelingt es ihr, die Inschrift zu entziffern: »Heinrich Lechner, Bauer in Niederndorf, fand hier einen gewaltsamen Tod. Der Herr sei seiner armen Seele gnädig.«

Ein Schauer jagt der jungen Frau über den Rücken, als sie plötzlich das Gefühl hat, nicht mehr allein im Wald zu sein. Ängstlich dreht sie sich um – und blickt in ein Männergesicht, das mit dem auf dem Foto fast identisch ist …

Die schlanke junge Frau, deren dunkles Haar in der Abendsonne kupfern schimmerte, blieb aufatmend am Wegrand stehen und sah hinunter in das Dorf, dessen Mittelpunkt ein kleiner Teich bildete. Gleich hinter dem Teich, versteckt hinter hohen Buchen, stand die Schule von Niederndorf, seit einer guten Woche ihre neue Heimat.

Hier oben am Waldrand war es friedlich, und man spürte nichts von dem Aufruhr, der unten im Dorf herrschte, weil der alte Lehrer von einer Lehrerin abgelöst worden war. Noch dazu einer jungen, der man überall mit Misstrauen begegnete.

Karin Hasler dachte zurück an den ersten Schultag, den sie so schnell nicht vergessen würde. Die Bäuerinnen hatten ihre Kinder höchstpersönlich zur Schule gebracht, um sich die unwillkommene Person anzusehen. Wenn schon eine Frau, dann hatten sie sicher eine ältere Person mit strengem grauem Haarknoten und dicker Brille erwartet.

Aber sie, vierundzwanzig Jahre alt, modern gekleidet und noch dazu aus München, das war den ehrbaren Bäuerinnen von Niederndorf ein Dorn im Auge. Die Reiterbäuerin hatte das ausgesprochen, was die anderen gedacht hatten.

»Wir wollen eine Lehrerin für unsere Kinder und keine Modepuppe.«

Karin ärgerte sich heute noch darüber, dass ihr bei diesen Worten das Blut in den Kopf gestiegen war. Sie hatte sich eine heftige Antwort verkniffen und den Frauen die Tür vor der Nase zugemacht.

Die Kinder, die sie zunächst mit offenen Mündern angestarrt hatten, waren von Tag zu Tag zutraulicher geworden und hatten ihre anfängliche Schüchternheit schnell verloren.

Jetzt, nach einer Woche, war Karin sich sicher, dass sie die Herzen der Schüler gewonnen hatte, aber sie hörte noch aus so manchen Reden heraus, dass deren Eltern sie noch größtenteils ablehnten.

So war Karin Hasler ziemlich einsam in dem kleinen Gebirgsdorf. Wäre nicht der alte Lehrer Kimpfler gewesen, wäre diese erste Zeit recht schlimm für sie geworden. Dabei war es schon ein Kindheitstraum von ihr gewesen, einmal in einem kleinen Gebirgsdorf Kinder zu unterrichten.

Ihre Eltern hatten sich anfangs ihrem Berufswunsch entgegengestellt, aber schließlich erkennen müssen, dass es ihr wirklich ernst damit war. Nur ungern hatten sie ihre einzige Tochter gehen lassen, aber mit dem kleinen Auto, das ihr Vater ihr zur bestandenen Prüfung geschenkt hatte, war die Entfernung leicht zu bewältigen.

Walter Kimpfler war seit vierzig Jahren Lehrer in Niederndorf gewesen, und er hatte sich heimlich darüber amüsiert, dass er eine junge weibliche Nachfolgerin bekommen hatte.

Die hübsche dunkelhaarige junge Frau hatte ihm auf Anhieb gefallen. Und nicht nur ihm, sondern auch so mancher ehrbare Bauer hatte bei ihrem Anblick große Augen bekommen. Was auch ein Grund war, dass Karin von den meisten Frauen abgelehnt wurde.

Nach seiner Pensionierung blieb Walter Kimpfler im Schulhaus wohnen, in der Mansarde unter dem Dach, in die er einst als junger Mann eingezogen war. Die neue Lehrerin hatte ein Apartment im ersten Stock bekommen, und er hatte sie gleich zu Anfang recht oft zu sich eingeladen und ihr Mut gemacht.

»In der Stadt ist eine Lehrerin etwas Alltägliches«, hatte er gemeint, »und es wird höchste Zeit, dass man auf dem Lande etwas fortschrittlicher wird. Ich freue mich jedenfalls, dass Sie da sind. Und ich möcht Ihnen helfen, wo ich kann.«

Der alte Lehrer hatte ihr auch so manches über die Kinder und ihre Elternhäuser erzählt, sodass ihr die einzelnen Schüler schon bald recht vertraut geworden waren.

Karin drang tiefer in den Wald ein und freute sich über die Kühle.

Anfang September war es bereits, und trotzdem herrschte noch eine Hitze wie im Hochsommer. Sie liebte diese nachmittäglichen Spaziergänge, bevor sie sich am Abend in ihre winzige Wohnung zurückzog, um noch Hefte zu korrigieren und den Unterrichtsstoff für den nächsten Tag vorzubereiten.

Noch kannte sie die Namen der umliegenden Dörfer nicht, und auch die hohen, zum Teil schon schneebedeckten Gipfel waren ihr noch fremd. Vor einem Marterl blieb sie stehen. Wind und Wetter hatten die Inschrift fast unleserlich werden lassen, deutlich zu erkennen war jedoch das Bild eines Mannes in mittlerem Alter.

Zwei blaue Augen schauten ihr entgegen unter einem Schopf dunkler Haare. Der Mund lächelte nicht, und doch hatte das Gesicht etwas ungemein Anziehendes. Karin fühlte sich seltsam berührt von diesem Bild eines Mannes, der längst nicht mehr unter den Lebenden weilte.

Sie trat näher an das Marterl heran und mühte sich damit ab, die unleserlich gewordenen Buchstaben zu entziffern.

Heinrich Lechner, Bauer in Niederndorf, fand hier einen gewaltsamen Tod. Der Herr sei seiner armen Seele gnädig.

Ein Schauer jagte dem Madl über den Rücken. Was war hier an dieser Stelle im Wald geschehen, dass dieser Mann den Tod gefunden hatte?

Wieder ging ihr Blick zu dem kleinen Bild, und sie nahm sich vor, den alten Lehrer nach diesem Heinrich Lechner zu fragen.

»Ich kann Ihnen beim Lesen helfen«, sagte plötzlich eine tiefe Männerstimme hinter ihr.

Karin hatte auf dem weichen Waldboden keine Schritte gehört und fuhr erschrocken herum. Ihre dunklen Augen starrten den Mann, der dicht vor ihr stand, zuerst erstaunt, dann fassungslos an. Dann wanderte ihr Blick zurück zu dem Bild am Marterl, und sie schüttelte entsetzt den Kopf. Dieser Mann war derselbe wie auf dem Bild!

Der Mann, Mitte oder Ende zwanzig, groß und mit breiten Schultern, lächelte spöttisch.

»Sie brauchen net zu erschrecken«, sagte er, »ich bin kein Geist und auch kein Gespenst. Dieser Mann dort auf dem Bild ist mein Vater, und ich sehe ihm anscheinend sehr ähnlich. Deswegen sind Sie doch so fassungslos, oder?«

In Karin Haslers Gesicht kehrte wieder Farbe zurück, sie brachte sogar ein Lächeln zustande.

»Ja, die Ähnlichkeit ist wirklich verblüffend, Herr Lechner. Es tut mir leid um Ihren Vater. Irgendetwas in seinem Gesicht hat mich berührt, deswegen hab ich hier verweilt. Wie ist es damals geschehen?«

Fast glaubte sie, jetzt Hass in seinem Blick zu sehen.

»Tote soll man ruhen lassen«, sagte er mit rauer Stimme, »daran sollten auch Sie sich halten. Gehen Sie weiter und vergessen Sie es.«

Der grobe Ton in seiner Stimme tat ihr weh. Vielleicht deswegen, weil er so gar nicht zu seinem offenen männlichen Gesicht passen wollte. Ein Gesicht, das ihr ausnehmend gut gefiel.

»Sie brauchen es mir nicht zu sagen«, entgegnete sie, »aber ich werde öfters hierherkommen. Oder ist es auch nicht erlaubt, dass man an dieser Stelle für Ihren Vater betet?«

Er schaute sie erstaunt an, und die Feindseligkeit wich aus seinem Blick.

»Die meisten Urlauber gehen achtlos daran vorbei«, meinte er, »und die Dörfler auch. Sie haben meinen Vater längst vergessen.«

»Ich bin nicht in Urlaub. Mein Name ist Karin Hasler. Ich bin …«

»Ich weiß, dass Sie die neue Lehrerin sind, auch wenn ich net allzu oft hinunter ins Dorf komme«, unterbrach er sie. »Willkommen in Niederndorf!«

Er streckte ihr spontan die Hand hin, die sie sofort ergriff.

»Ich hoffe, man trägt Ihnen net immer noch nach, dass Sie eine Frau sind und eine besonders reizvolle obendrein.« Seine blauen Augen blitzten. Karin freute sich über das Kompliment.

»Doch, das tut man schon noch. Aber ich hab es noch keinen Tag bereut, kein Mann zu sein. Und mein Beruf macht mir Spaß. Mit den Menschen in so einem kleinen Gebirgsdorf muss man Geduld haben. Sie sind allem Neuen gegenüber misstrauisch.«

»Hartherzig und bös sind sie«, stieß er hervor. »Sie können nicht verzeihen und nicht vergessen.«

Karin schaute ihn betroffen an.

»Und trotzdem leben Sie mit ihnen!«

Er zuckte mit den Schultern. »Es ist meine Heimat und die meiner Ahnen. Ich hab hier meinen Grund und Boden, die Menschen interessieren mich net.«

»Dann sind Sie einmal schwer enttäuscht worden?«

Er schaute sie eine Weile nachdenklich an, dann schüttelte er den Kopf.

»Leben Sie wohl, Frau Hasler, und lassen Sie sich net unterkriegen. Verlassen Sie das Dorf, wenn Ihnen das Leben unerträglich gemacht wird. Sie sind zu jung, um unglücklich zu sein.«

Ohne sich weiter um sie zu kümmern, ging er durch die Tannen davon. Karin schaute ihm nach und wusste sich sein rätselhaftes Benehmen nicht zu erklären.

Sie nahm sich vor, noch am selben Abend den alten Lehrer Kimpfler nach diesem seltsamen jungen Bauern zu fragen. Er, der über Jahrzehnte in diesem Dorf gelebt hatte, konnte ihr sicher sagen, was damals mit seinem Vater, jenem Heinrich Lechner, geschehen war.

***

Am selben Abend lief ein blondes Madl, sich immer wieder umsehend, den schmalen Weg zum Lechnerhof hinauf. Der lag ein wenig außerhalb des Dorfes am Waldrand, ein kleiner bescheidener Hof, dem man wohl ansah, dass seine Besitzer keine Reichtümer besaßen.

Solange man im Dorf zurückdenken konnte, hatten die Lechnerbauern immer Mühe gehabt, ihre Kinder satt zu kriegen und von dem kargen Ertrag ihrer Felder zu leben. Früher, als der Vater des jetzigen Besitzers noch gelebt hatte, hatte man ab und zu etwas auf den Lechnerhof gebracht, gebrauchte Kleidung oder einen Korb voller Esswaren.

Nach dem Tod von Heinrich Lechner aber hatte sich jeder Niederndorfer geschworen, den Lechnerhof nie mehr zu betreten.

Das alles kümmerte das blutjunge Madl mit den tiefblauen Augen und dem gebräunten Gesicht wenig. Seitdem sie und der junge Bauer sich vor wenigen Monaten zum ersten Male heimlich geküsst hatten, war sie bis über beide Ohren in Matthias verliebt.

Wenn die Dämmerung hereinbrach, schlich sie sich vom Schrattingerhof davon und lief zu dem alten Haus, wo der geliebte Mann sie immer sehnsüchtig erwartete. Auch heute sah sie ihn schon von Weitem an der Stalltür stehen. Sie beschleunigte ihr Tempo, und er fing sie mit beiden Armen auf und drückte sie an sich.

»Monika!« Seine Lippen suchten ihren Mund, und zwei Arme schlangen sich um seinen Hals. Sie küssten sich, als hätten sie sich wochenlang nicht gesehen.

»Hat dich auch niemand gesehen?«, fragte er sie dann besorgt und nahm ihre Hand in seine.

Das Madl schüttelte lachend den Kopf.

Matthias führte sie einen schmalen Pfad entlang und über eine kleine Waldlichtung zu einem halb verfallenen Holzhaus, das früher einmal Holzfällern zum Schutz vor Gewittern gedient hatte. Es war zum Versteck ihrer Liebe geworden, und es störte sie nicht, dass es im Innern dunkel und staubig und die karge Einrichtung recht ungemütlich war.

Für Monika Schrattinger war Matthias die erste große Liebe. Ein Gefühl, das sie ganz erfüllte und von dem sie wusste, dass es stark genug sein würde, allen Anfechtungen standzuhalten. Sie war gerade neunzehn geworden, und niemand konnte ihr diese Liebe zu dem jungen Lechnerbauern verbieten. Dass es noch ein Geheimnis blieb, das war Matthias’ Wunsch.

»Dein Vater wird es dir niemals verzeihen, dass du dich gerade in mich verliebt hast, Moni«, sagte er auch heute wieder. »Nicht nur, weil ich außer einem armseligen alten Hof nichts vorzuweisen habe. Du kennst den anderen noch viel entscheidenderen Grund genau.«

»Müssen wir wieder davon sprechen, Matthias? Das alles liegt doch schon so viele Jahre zurück. Ich war noch gar net auf der Welt und du ein kleiner Bub. Einmal muss es doch vergessen sein.«

Matthias stand auf und trat ans Fenster. Draußen war die Dunkelheit hereingebrochen. Er dachte an das Gespräch mit Karin Hasler, der jungen Lehrerin. Nein, in diesem Dorf würde es kein Vergessen geben. Niemals! Und auch kein Verzeihen.

»Meine Mutter ist in ihren Augen eine Mörderin, Monika! Und ich bin ihr Sohn. Seit über zwanzig Jahren bekommen wir nur Hass und Feindseligkeit zu spüren. Wenn man erfährt, dass wir zwei uns lieben, dann hast auch du darunter zu leiden. Das darf net sein, das lass ich net zu.«

Er kam zu ihr und kniete vor ihr nieder. Monika hatte eine Kerze angezündet und sah in ihrem Schein in sein Gesicht. Mit beiden Armen hielt er sie umfangen und barg sein Gesicht in ihrem Schoß. Sie strich über sein Haar.

»Ich hab dich lieb, Matthias«, flüsterte sie, »und ich lasse mir diese Liebe von niemandem nehmen.«

Matthias schaute zu ihr hoch, und in seinen Augen standen Verzweiflung und Resignation.

»Ich liebe dich auch, Moni, mehr als mein Leben. Erst durch die Stunden mit dir hab ich erfahren, was Glücklichsein heißt. Aber ich kann dich niemals bitten, meine Frau zu werden. Mit mir auf dem Mörderhof zu leben …«

»Sag das nicht mehr, nie mehr«, unterbrach sie ihn. Ihr Gesicht war unter der Bräune bleich geworden. Matthias lachte heiser.

»So nennt man meinen Hof doch unten im Dorf. Du wärest die Bäuerin vom Mörderhof. Stell dir das Gesicht deines Vaters vor.«

»Deine Mutter ist keine Mörderin, ich glaub es net«, sagte Monika, »und wenn sie wirklich geschossen hat, dann nur in Notwehr. So wie es mein Vater ausgesagt hat. Dann kann er doch nix dagegen haben, wenn ich dich liebe.«

»Er ist nicht ein einziges Mal in unser Haus gekommen«, stieß Matthias voller Bitterkeit hervor, »er hat meiner Mutter in dieser schlimmen Zeit nicht beigestanden. Und sonntags in der Kirche geht er an uns vorüber, als wären wir Aussätzige. Wenn er damals zu uns gehalten hätte, hätte es so manch anderer im Dorf auch getan. Aber so haben wir alles verloren, unsere wenigen Freunde und unsere Ehre.«

»Aber du hast mich, vergiss das net, Matthias«, sagte sie leise, und er sah die Tränen in ihren Augen glitzern. Er blies das Kerzenlicht aus und nahm das Madl ganz fest in seine Arme.

***

Walter Kimpfler schenkte zum zweiten Male die Gläser voll. Von Wein verstand der alte Lehrer recht viel, und er bevorzugte die leichten Südtiroler Weine. Ein Freund von ihm war ebenfalls Lehrer unten in Bozen. Wenn der zu ihm kam, dann brachte er ihm so manchen guten Tropfen mit.

»Ja, das war eine seltsame Sache damals«, sagte er nachdenklich zu Karin Hasler. »Ich war mit dem Lechner-Heinrich gut befreundet. Der Matthias war immer der Klassenbeste, und er hätt das Zeug zum Studieren gehabt. Daraus ist ja dann nichts geworden. Aber warum interessieren Sie sich gerade für die Leute vom Lechnerhof?«

»Weil ich den jungen Bauern heut getroffen hab und sein Verhalten mehr als merkwürdig war«, erklärte Karin.

Seit der kurzen Begegnung sah sie das markante Männergesicht immer wieder vor Augen.

»Ich bin vor dem Marterl gestanden und erschrocken, wie er gekommen ist. Weil ich gedacht hab, der Tote steht vor mir.«

Walter Kimpfler nickte.

»Ja, er ist dem Heinrich wie aus dem Gesicht geschnitten, der Bub. Von der zarten Mutter hat er gar nix. Eine schöne Frau, die Eva Lechner, auch heute noch, nach allem, was sie hat durchmachen müssen.«

»Darf ich es erfahren?«, fragte Karin.

Der alte Mann lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und begann zu erzählen.

»Es war eine merkwürdige Geschichte damals. Die Eva kam als blutjunges Dirndl aus der Stadt in unser Dorf und sorgte für Aufregung unter den jungen Burschen. Als Bedienung hat sie beim Kirchenwirt gearbeitet, und am meisten hat ihr damals der Schrattinger-Albert nachgestellt. Der Schrattingerhof ist der größte und schönste in Niederndorf, und für den alten Bauern wär es undenkbar gewesen, dass sich sein einziger Sohn mit einer Kellnerin verheiratet.«

Als der pensionierte Lehrer kurz verstummte, war nur das Knistern der Scheite im Kachelofen zu hören.

»Der Albert war damals sowieso schon der Anna, seiner jetzigen Frau, versprochen, aber das hat ihn nicht daran gehindert, der Eva nachzustellen. Wir waren alle verwundert, als die plötzlich dem Heinrich Lechner ihr Jawort gegeben hat. Der Heinrich war genau das Gegenteil vom Albert. Ruhig, zuverlässig und hilfsbereit. Sein Hof war zwar klein, aber er war immer fröhlich und im Dorf sehr beliebt. Er vergötterte seine Frau.«

Wie gebannt lauschte Karin seinen Worten.