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Monika Leitner

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Beschreibung

Schicksal am Bergsee
Eine Liebe sorgt für böses Gerede
Von Monika Leitner

Vor über zehn Jahren hat Ferdinand Madreiter das kleine Gebirgsdorf Kals verlassen, um in der Fremde sein Glück zu suchen. Und noch immer wartet seine Schwester Anna sehnsüchtig auf seine Rückkehr. Aber allmählich schwindet die Hoffnung, den Bruder jemals wiederzusehen. Da steht eines Tages ein junger Bursche vor der Tür und bringt Nachrichten vom Ferdl. Er sei ein Freund ihres Bruders, erklärt Klaus Schönhuber, und dieser werde bald in die Heimat zurückkehren.
Als der Bursche sieht, wie schlecht es um den armseligen Berghof bestellt ist, bietet er an, zu bleiben und für einen geringen Lohn als Knecht bei ihr zu arbeiten. Die junge Bäuerin kann ihr Glück kaum fassen. Und alle Geschichten, die Ferdls Freund ihr auftischt, glaubt Anna ihm aufs Wort. Doch ihre Gutgläubigkeit wird ihr zum Verhängnis ...

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Seitenzahl: 142

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Inhalt

Cover

Impressum

Schicksal am Bergsee

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Bastei Verlag / Michael Wolf

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar

ISBN 9-783-7325-8273-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Schicksal am Bergsee

Eine Liebe sorgt für böses Gerede

Von Monika Leitner

Vor über zehn Jahren hat Ferdinand Madreiter das kleine Gebirgsdorf Kals verlassen, um in der Fremde sein Glück zu suchen. Und noch immer wartet seine Schwester Anna sehnsüchtig auf seine Rückkehr. Aber allmählich schwindet die Hoffnung, den Bruder jemals wiederzusehen. Da steht eines Tages ein junger Bursche vor der Tür und bringt Nachrichten vom Ferdl. Er sei ein Freund ihres Bruders, erklärt Klaus Schönhuber, und dieser werde bald in die Heimat zurückkehren.

Als der Bursche sieht, wie schlecht es um den armseligen Berghof bestellt ist, bietet er an, zu bleiben und für einen geringen Lohn als Knecht bei ihr zu arbeiten. Die junge Bäuerin kann ihr Glück kaum fassen. Und alle Geschichten, die Ferdls Freund ihr auftischt, glaubt Anna ihm aufs Wort. Doch ihre Gutgläubigkeit wird ihr zum Verhängnis …

Stefan Hofer, der Förster von Kals, dem kleinen Dörfchen am Großglockner, hatte sein Forsthaus verlassen und ging tiefer in den Wald hinein, der das Holzhaus umgab.

Nicht wie gewöhnlich hatte er heute seine Büchse über die Schulter gehängt. Die Glocke vom Dorf herauf hatte längst sieben geschlagen, und er gönnte sich seinen wohlverdienten Feierabend.

Groß und kräftig, mit breiten Schultern, so recht der Mann, den man sich als einen Förster vorstellt, das war Stefan Hofer. Seit einem guten Jahr nun schon leitete er den Forstbezirk um das kleine Gebirgsdorf herum. Vorher war er Forstgehilfe unter einem alten Förster drüben in Deutschland gewesen, und von ihm hatte er alles lernen können, was zu seinem Handwerk gehörte.

Er hatte sich schnell in seiner neuen Heimat eingelebt, und nur manchmal vermisste er sein Elternhaus, das jenseits des Landes im schönen Mittenwald stand. Seine freien Wochenenden, die sehr selten waren, hatte er stets bei den Eltern verbracht. Nun war er schon über ein halbes Jahr nicht mehr bei ihnen gewesen, und das hatte einen bestimmten Grund.

Im Frühling war es gewesen, da hatte ihn sein Weg hinauf zu dem hoch gelegenen Berghof des Madreiterbauern geführt. Der alte Bauer war vor kurzer Zeit verstorben, und nun lastete die ganze Arbeit auf seiner Tochter Anna, die nur die alte schwerhörige Magd Resl als Hilfe hatte.

Auf den ersten Blick hatte sich der junge Förster in das stolze schöne Mädchen verliebt, doch es hatte ihn viel Geduld und manche schlaflose Nacht gekostet, bis er sich endlich sicher gewesen war, dass seine Liebe erwidert wurde. Nun wünschte er sich nichts sehnlicher, als Anna als seine Frau ins Forsthaus heimzuführen. Dass er es nicht sogleich tun konnte, hatte einen besonderen Grund.

Auf dem Sterbebett hatte der alte Madreiterbauer seiner Tochter das Versprechen abgenommen, auf dem Berghof zu bleiben und ihn nicht im Stich zu lassen oder gar in fremde Hände zu geben. So lange, bis sein Sohn Ferdinand, der vor mehr als zehn Jahren die Heimat verlassen hatte, wieder zurückkommen würde.

Dem jungen Burschen war es zu eng und zu armselig gewesen auf dem Hof, der nur das Nötigste zum Leben einbrachte. Er wollte die weite Welt kennenlernen, und als ihm der Vater das verboten hatte, hatte er den Hof eines Nachts verlassen, und niemand hatte ihn je wiedergesehen.

Kein Gruß, keine Nachricht war in all den langen Jahren gekommen, sosehr der alte Vater auch darauf gewartet hatte. Er hatte das Heimkommen des Sohnes und Hoferben nicht mehr erleben können, deshalb sollte die Tochter auf dem Berghof ausharren, bis Ferdinand zurückkam.

Stefan Hofer beschleunigte seine Schritte. Durch die Tannen sah er ein buntes Kleid schimmern, hörte Schritte, die immer näher kamen. Wie immer, wenn er Annas Nähe fühlte, schlug sein Herz schneller, und ein großes Glücksgefühl breitete sich in ihm aus.

Sekunden später hielt er sie in den Armen und blickte in ihre strahlenden blauen Augen.

„Es wird Zeit, dass du von dem einsamen unwirtschaftlichen Hof herunterkommst. Das ist keine Arbeit für dich da oben auf dem Berghof. Zwei kräftige Männerhände, die könnten aus ihm noch etwas machen.“

„Du weißt, dass ich nix lieber tät, als zu dir zu kommen, Stefan. Aber ich kann net gegen das Versprechen handeln, das ich dem Vater gegeben hab. Das musst du doch einsehen.“

Er schlang einen Arm um ihre Schultern und führte sie zu der Waldlichtung, wo sie ungestört waren. Nebeneinander setzten sie sich ins Gras. Hier auf dieser Wiese hatten sie sich den ersten Kuss gegeben und sich versprochen, für immer einander zu gehören.

„Und wenn du darüber alt und grau wirst, was ist dann, Anna? Sollen wir vielleicht noch zehn oder gar zwanzig Jahre aufeinander warten? Wer weiß denn überhaupt, ob dein Bruder jemals wiederkommt? Vielleicht ist er längst irgendwo ansässig geworden …“

Um den schön geschwungenen Mund des Mädchens zuckte es.

„Er kann doch net alles vergessen haben, der Ferdl. Er ist doch einer von uns und weiß, dass der Hof zugrunde geht, wenn er net zurückkommt.“

„Wenn er net bald kommt, wirst du ihn nimmer halten können, Anna“, sagte Stefan eindringlich. „Das Beste wäre es, ihn zu verkaufen. Heute bekommst du noch ein bisserl etwas für den Grund, das Haus ist ja längst baufällig.“

„Verkaufen?“ Ihre blauen Augen wurden schmal. „So kann nur einer reden, der net von hier ist. Dem es nichts ausmacht, die Heimat zu verlassen. Aber wir sind anders, der Bruder und ich, und deshalb wird er zurückkommen.“

Stefan spürte, dass sich etwas zwischen sie stellte. Bisher hatte es noch nicht den geringsten Streit zwischen ihnen gegeben.

„Anna“, sagte er zärtlich und nahm ihre Hand, „ich denke doch nur an dich. Du bist keine Bäuerin, du bist viel zu zart. Auf euren Hof gehört ein kräftiges Mannsbild. Weiß Gott, wenn die Försterei net wäre, ich würde dir helfen.“

„Du könntest deinen Beruf ebenso wenig aufgeben wie ich den Berghof, Stefan. Es wäre mir schon geholfen, wenn ein Knecht auf dem Hof wäre. Du hast recht, die Arbeit ist manchmal zu viel und zu schwer für mich. Aber woher soll ich den Lohn nehmen? Und welcher von den jungen Burschen will schon auf einem so einsamen alten Hof sein Brot verdienen?“

Die Sonne verschwand hinter den hohen Tannen, die letzten Strahlen zauberten goldene Funken auf den nahen Bergsee.

„Ich hab dich so lieb, Anna. Und im Forsthaus ist es einsam ohne dich. Wir gehören doch zusammen.“

Sie wurde von seiner Leidenschaft ergriffen und schlang beide Arme um seinen Nacken.

„Ja, wir gehören zusammen, Stefan, heut und immer. Und ich weiß, dass der Tag kommen wird, an dem wir uns nicht mehr zu trennen brauchen.“

In diesen Minuten wollte Stefan ihr glauben. Die Zweifel würden wiederkommen, wenn sie wieder fort war und er genügend Zeit hatte, über ihrer beider Zukunft nachzudenken.

„Resl wartet längst mit dem Abendbrot und wird sich Sorgen machen.“

„Ich komme ein Stück mit dir“, sagte er und nahm ihre Hand.

Der Weg ging steil bergan hinauf zum Berghof. Und erst als sie seine Lichter sahen, blieb Stefan stehen, um das geliebte Mädchen ein letztes Mal in die Arme zu nehmen.

„Wann sehen wir uns wieder?“ Seine dunklen Augen forschten in ihrem Gesicht.

„Sobald ich wieder ein bisserl Zeit hab, komm ich ins Forsthaus“, versprach Anna nach einem letzten Kuss und lief winkend davon.

Stefan blieb stehen und wartete, bis sie in der Dämmerung verschwunden war.

Ein langer einsamer Abend lag ihm bevor, und plötzlich hatte er Angst vor dieser drückenden Einsamkeit.

Er schlug den Weg hinunter ins Dorf ein. In der „Schwarzen Katze“, so hieß der einzige Gasthof im Dorf, gab es sicher einige, denen es ebenso erging wie ihm.

***

Die alte Resl schaute unentwegt hinauf zur hölzernen Kuckucksuhr. Um ihren schmalen Mund ging ein zärtliches Lächeln.

Anna war bei ihrem Schatz und verspätete sich wohl. Auch Resl war einmal jung gewesen, und sie wusste, wie schnell man die Zeit da vergaß.

Sie fuhr zusammen, als die Türe hastig aufgerissen wurde und Anna mit erhitzten Wangen in der Türe stand. Ihre blauen Augen baten Resl um Verzeihung.

„Ich hab mich verspätet, Resl, sei net bös. Und mit dem Essen hättest du ruhig anfangen können.“

Resl füllte die Gemüsesuppe, die sie gekocht hatte, nun in die Teller.

„Bis zum Forsthaus ist es auch ein gutes Stück zu gehen“, sagte sie augenzwinkernd.

Anna wurde rot bis unter die hellen Haarwurzeln. Resl wusste alles, wenn sie auch nur die Hälfte von dem verstand, was man zu ihr sagte.

Früher hatten sie zu viert um den eichenen Tisch gesessen. Der Vater, Ferdl, Resl und sie, Anna, die damals noch ein kleines Mädchen mit abstehenden Zöpfen gewesen war. Dann war Ferdl gegangen, und sie waren zu dritt zurückgeblieben. Seitdem nun der Vater unten auf dem kleinen Dorffriedhof lag, waren die beiden Stühle unbesetzt.

„Ferdl müsst zurückkommen“, sagte die alte Magd und faltete die Hände, „jeden Tag bitte ich den Herrgott darum. Wenn ich das noch erleben dürft.“

Das junge Mädchen legte ihre Hand auf die der alten Frau.

„Du wirst es erleben, Resl, er wird kommen.“

„Dreißig müsst er jetzt sein und ein fescher Bursch. Vielleicht bringt er eine junge Frau mit, eine neue Berghofbäuerin. Dann könntest du endlich deinen Stefan heiraten.“

„Bis dahin müssen wir eben warten“, sagte Anna.

Die alte Magd wiegte bedenklich den Kopf mit den eisgrauen Haaren.

„Er ist ein Mann, dem es die Madln leicht machen, der Förster. So einen gut aussehenden Förster haben wir nie gehabt. Und wer weiß, ob er das Alleinsein so lange aushält. Es wär schon gut, wenn du bald zu ihm gehen könntest.“

Etwas zu hastig stellte Anna ihren Stuhl beiseite.

„Hör auf mit dem Geschwätz, Resl, und mach mir das Herz net schwer. Ich hab Sorgen genug. Wir haben uns lieb, Stefan und ich, und er wird warten.“

Anna wünschte Resl noch eine Gute Nacht und stieg dann hinauf in ihre Kammer. Wenn die alte Magd in solcher Stimmung war wie heute Abend, dann war es besser, sie allein zu lassen.

Sie schob die Vorhänge beiseite und schaute hinaus in das Mondlicht. Gespenstisch spiegelte es sich auf dem nahen See.

Der nächste Hof war eine Viertelstunde Fußweg entfernt, ihr Haus stand auf dem höchsten Hügel. Deswegen hießen die Madreiterbauern schon seit Jahrzehnten die Berghofer, und Anna war es gewohnt, dass man sie unten im Dorf als Berghoferin anredete. Früher, als der Vater noch gelebt hatte, da war sie für alle die Anna gewesen. Jetzt war sie Bäuerin und nicht mehr das junge Ding, das seine Sorgen dem Vater aufladen konnte.

„Wenn er nur käme, der Ferdl“, flüsterten ihre Lippen, und die blauen Augen schauten sehnsüchtig auf die dunklen Berge.

***

Der Mann, der aus dem Nahverkehrszug stieg, war von der Sonne gebräunt. Er war nicht besonders groß, aber kräftig und muskulös. Seine dunklen Haare waren gelockt, und zwei braune Augen blitzten in dem markanten Gesicht. Er trug einen Rucksack auf dem Rücken und sah sich suchend um.

„Sie erwarten wohl jemanden?“, sagte der Bahnhofsvorsteher, als er sah, dass der Mann eine Zeit lang unschlüssig auf dem Bahnsteig stand.

„Erwarten tut mich eigentlich niemand. Aber ich suche einen Hof, auf dem ich mich vorstellen soll als Knecht.“

Der Bahnhofsvorsteher musterte den jungen Mann. Er sah nicht aus, als hätte er schon jemals harte Bauernarbeit verrichtet.

„Ich bin hier zu Hause und kann Ihnen sicher helfen. Welchen Hof suchen Sie denn?“

„Den Hof vom Madreiterbauern. Er soll von seiner Tochter bewirtschaftet werden, und ich möchte dort als Knecht arbeiten.“

„Auf den Berghof wollen Sie? Zur Anna? Kann die denn überhaupt den Lohn für einen Knecht bezahlen? Da herrscht doch die Armut da oben, wo man nur hinsieht.“

Der Fremde machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Ums Geld geht es mir nicht. Ich bin ein Freund ihres Bruders, und deshalb will ich helfen. So lange, bis er zurückkommt.“

„Ein Freund vom Ferdinand?“ Der Vorsteher schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Wann kommt er denn endlich zurück? Es wird höchste Zeit.“

Er sah nicht, dass sich die Augen des jungen Mannes verändert hatten.

„Ich weiß es net, eine Weile wird es wohl noch dauern. Aber bis dahin bin ich hier, und es wäre doch gelacht, wenn es mit dem Hof nicht wieder bergauf ginge. Da fehlt doch nur ein Mann, der zupacken kann. Also, wie muss ich gehen?“

Der Mann mit der roten Mütze kratzte sich am Ohr. Es war nicht ganz einfach, hier vom Bahnhof aus den Weg zum Berghof zu erklären. Aber nach einer Weile schaffte er es doch.

Ohne sich zu bedanken oder zu grüßen, ging der Fremde dann davon, und der Alte sah ihm verwundert nach.

Der junge Mann ging durch das Dorf und sah sich genau um. Die Bauern nahmen keine besondere Notiz von ihm, und das war ihm gerade recht. Auffallen wollte er um keinen Preis. Er würde als Knecht auf dem Berghof arbeiten, und das war alles. Wenigstens sollte es für die Dörfler so scheinen. Und auch für jene Anna Madreiter, deren Bruder Ferdinand er angeblich so gut zu kennen schien.

Niemand würde je erfahren, dass die Bekanntschaft der beiden Männer nie stattgefunden hatte.

Er selber hatte vor geraumer Zeit auf einem Schiff angeheuert, und man hatte ihn an Bord genommen, weil ein Matrose drüben in Afrika an Land gegangen und nicht mehr seinen Dienst auf dem Schiff angetreten hatte. Jener Matrose war Ferdinand Madreiter gewesen, der Bergbauernsohn aus dem Großglocknertal. Von den anderen Matrosen hatte er seine Geschichte erfahren, und jetzt, wo es für ihn wichtig war, ein Versteck für seine Geschäfte zu finden, da war ihm jener Berghof des Matrosen wieder eingefallen.

Stolz war er auf sein Gedächtnis, während er langsam den Weg hinanstieg.

Die Tannen wiegten sich im Sommerwind, und etwas geringschätzig schaute der junge Bursche hinunter auf das kleine Dorf, das er hinter sich gelassen hatte. Er liebte das Leben auf dem Lande nicht. Seine momentane Geldverlegenheit erlaubte es ihm aber nicht, ein komfortables Leben in irgendeiner Großstadt zu führen. Doch wenn die Geschäfte hier so gingen, wie er erwartete, dann konnte er bald in ein Leben voller Luxus zurückkehren.

***

Obwohl es Nachmittag geworden war, brannte die Sonne noch glühend vom Himmel. Er hatte jetzt den Wald verlassen und sah auf einer Anhöhe den Hof vor sich liegen. Er war noch baufälliger, als er gedacht hatte, und es würde ihn schon einige Überwindung kosten, hier längere Zeit auszuharren. Der Zaun rund um den Besitz war halb verfallen, vier magere Kühe grasten auf der Wiese, die steil abfiel.

Er konnte es jenem unbekannten Ferdinand Madreiter nicht verdenken, dass er dieses Elend hinter sich gelassen hatte und in die große weite Welt hinausgezogen war.

Eine alte Frau trat aus dem Haus und blinzelte in die Sonne. Sie ging gebückt, und er rief sie an. Sie schaute weder zu ihm hin, noch gab sie eine Antwort, sondern ging in den kleinen Gemüsegarten, um dort Unkraut zu jäten. Der Fremde trat an den Zaun heran.

„Hallo“, rief er noch einmal, diesmal lauter. Die Alte schien wahrhaft taub zu sein.

Der Mann schüttelte den Kopf und ging auf das Haus zu. In dem niedrigen Flur war es kühl. Er stellte seinen Rucksack ab und rief noch einmal. Doch nichts rührte sich. Unten sah er zwei Räume, eine winzige Küche und eine sehr einfach eingerichtete Stube. Eine steile Stiege führte nach oben.

Im Haus schien niemand zu sein, er musste es im Stall versuchen. Und da hatte er Glück. Kaum hatte er die knarrende Tür geöffnet, sah er eine schmale Gestalt mit langem blondem Haar.

„Grüß Gott“, sagte er laut und blieb in der Tür stehen. Das Madl fuhr herum, und einigermaßen erstaunt sah er in ein bildhübsches schmales Gesicht.

Sie lächelte freundlich.

„Sie kommen sicher vom Berg und haben Durst! Sie können gern ein Glas Milch haben.“

Der Mann lachte.

„Ich komme nicht vom Berg, sondern vom Ferdinand, Ihrem Bruder, und ich soll Ihnen die besten Grüße ausrichten.“

„Vom Ferdl? Sie kennen ihn?“, fragte Anna atemlos. Jahrelang hatte sie nichts von ihm gehört, und nun schickte er einen Fremden, um ihnen Grüße auszurichten?

„Wenn ich Sie nicht von der Arbeit abhalte, würde ich Ihnen gern alles erzählen. Von Ihrem Bruder, und warum ich den Weg hierherauf gemacht habe.“

Anna reichte ihm die Hand.

„Gern. Ich bin die Anna Madreiter.“

Er erwiderte ihren Händedruck kurz und fest.

„Ich heiße Klaus Schönhuber. Sie sind wohl allein auf dem Berghof zurückgeblieben? Wo ist Ihr Vater? Ferdinand hat viel von ihm gesprochen.“

Über das Gesicht des Mädchens glitt ein Schatten.

„Unser Vater ist seit über einem Jahr tot.“

„Das tut mir leid.“ Der Mann machte ein betroffenes Gesicht. „Und es wird auch Ihren Bruder hart treffen, wenn er zurückkommt. Die Altmagd hab ich schon kennengelernt, draußen im Gemüsegarten. Allerdings hat sie auf keines meiner Worte reagiert.“

„Resl ist schwerhörig und wird Sie nicht verstanden haben. Aber kommen Sie mit ins Haus.“