Als die Bäume streikten - Jürgen Runau - E-Book + Hörbuch

Als die Bäume streikten E-Book und Hörbuch

Jürgen Runau

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Beschreibung

Eines Tages beginnt in Deutschland der Sauerstoffgehalt der Luft zurückzugehen: langsam, aber stetig. Die Politik bemüht sich, die Sicherheit und Gesundheit der Bürger zu gewährleisten. Die Wirtschaft wittert einen phänomenalen Markt. Die Wissenschaft weiß, warum der Sauerstoffgehalt zurückgeht: Die Bäume haben die Fotosynthese eingestellt. Aber keiner weiß, warum. Es existiert nur eine, absurde Theorie: Die Bäume streiken. Während einige Mächtige in Wirtschaft und Politik alle Hebel in Bewegung setzen, um die Lage für ihren persönlichen Vorteil auszunutzen, nimmt eine Gruppe junger Erwachsener die Streiktheorie ernst und versucht, die Bäume zur Wiederaufnahme der Sauerstoffproduktion zu bewegen. Eine rasant-komische, rabenschwarz-hoffnungsvolle Parabel über den Umgang unserer Gesellschaft mit der Natur.

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Seitenzahl: 72

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Zeit:1 Std. 45 min

Sprecher:Markus Hahn

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© 2020 Verlag Ludwig

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Fax: 0431-8058305

[email protected]

www.verlag-ludwig.de

Lektorat: Dr. Anne-Mirjam Kirsch

Gestaltung und Satz: Inge Schumacher

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH

ISBN 978-3-86935-391-3

Auch als Print-Book erhältlich: ISBN 978-3-86935-386-9

JÜRGEN RUNAU

Der junge Arzt wunderte sich. Er hatte Dienst in der Notaufnahme und schon wieder rollten die Sanitäter einen Patienten herein, der offensichtlich unter Atemnot litt. »Luft, Doktor«, röchelte er. »Luft!« »Sofort unters Sauerstoffzelt!«, befahl der einer Schwester, die gerade hereinkam. »Die sind alle belegt.« »Dann geben Sie ihm eine Sauerstoffflasche.« »Luft, Schwester, Luft!« »Jaja. Wir nehmen einen Schluck aus der Pulle und dann geht es gleich besser.«

Der Oberarzt wunderte sich ebenfalls. Alle Sauerstoffzelte belegt? Soweit er sich erinnern konnte, war das noch nie vorgekommen. Was war bloß los heute?

Die Minister und Ministerinnen maulten. Alle hatten Besseres zu tun, als an einer Sondersitzung des Kabinetts teilzunehmen, noch dazu an einem Samstagabend. Hat das nicht Zeit bis Montag?, hatten alle gedacht, als sie der Telefonanruf erreichte, pünktlich um 20 Uhr im Kanzleramt zu erscheinen. Natürlich machte keiner seinem Ärger Luft. Das hatten sie im Laufe ihres politischen Lebens gelernt: Zeige deinen Ärger niemals irgendjemandem, der dir schaden könnte. Schon gar nicht einer Kanzlerin, die mehr gut dotierte Posten zu vergeben hatte als irgendeine andere politische Kraft im Land. Also knipsten alle ein freundliches Lächeln an, als sie ihren Limousinen entstiegen, begrüßten einander artig und fragten höchstens »Weißt du?« – »Wissen Sie?« Niemand wusste etwas. Die Kanzlerin kam zuletzt, wie immer. Sie genoss das Privileg, nicht auf andere zu warten, sondern warten zu lassen.

»Ich will gleich zur Sache kommen«, begann sie. »Schließlich hatten wir alle heute Abend etwas Besseres vor als das hier. Aber die Sache, um die es geht, duldet keinen Aufschub.« Sie machte eine Pause um sicherzugehen, dass alle zuhörten. »Wir stehen vor der größten Herausforderung für unser Land seit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg.«

»Ach wirklich? Will uns jemand den Gashahn zudrehen?« Das war der Wirtschaftsminister.

»Nein. Die Luft wird knapp.«

»Die Luft!?« Es waren gleich mehrere, die das fragten.

»Ja, die Luft. Die Krankenhäuser sind voller Patienten, die bisher ein normales Leben führen konnten, jetzt aber an Erkrankungen der Atemwege leiden. Der Sauerstoffgehalt der Luft ist um drei Prozent zurückgegangen und er sinkt weiter. Wenn das im selben Tempo weitergeht, werden wir bald in der Ebene einen Sauerstoffgehalt haben wie in 3000 Metern Höhe.«

»Oh nein!«

»Oh ja! Das ist der Grund unseres heutigen Treffens.«

»Kennt man die Ursache?«

»Noch nicht.«

»Was sagt der Umweltminister dazu?«

Der Umweltminister räusperte sich. »Nach der Ursache wird geforscht. Sobald wir die kennen, werde ich Sie informieren.«

»Und bis dahin sind wir alle krepiert. An Sauerstoffmangel.«

Das kam von seinem Intimfeind, dem Wirtschaftsminister.

»Haben Sie die Bankenkrise vorausgesehen? Nicht, dass ich wüsste«, schnappte der Umweltminister sofort zurück.

»Niemand konnte das eine oder das andere voraussehen«, ging die Kanzlerin dazwischen. »Damit entfallen sämtliche Schuldzuweisungen. Wie ist der Stand der Dinge?« Sie wandte sich an den Umweltminister.

»Das Umweltbundesamt forscht mit Hochdruck nach der Ursache. Unser Experte für Klimaforschung, Professor Jörgensen, hat eine Theorie, wie er mir sagte, braucht aber noch etwas Zeit für den Beweis.«

»Wie viel ist ›etwas‹?« Es war wieder der Wirtschaftsminister, dem es im Blut lag, sich immer und überall profilieren zu müssen. Ehe der Umweltminister zurückkeilen konnte, kam ihm die Kanzlerin zu Hilfe. »Wissenschaftler sind keine Politiker. Die reden erst, wenn sie sich Wissen verschafft haben, und nicht schon, wenn sie etwas zu wissen glauben. Ich kenne Professor Jörgensen und ich vertraue ihm. Er ist ein erstklassiger Experte in Klimafragen. Obgleich die Lage ernst ist, gibt es keinen Grund zur Panik. Alles, was wir soeben besprochen haben, muss unter uns bleiben. Ich will keine Schlagzeilen lesen wie ›Uns geht die Luft aus‹ oder Ähnliches. Noch besteht die Möglichkeit, dass es sich um ein vorübergehendes Phänomen handelt. Jedenfalls ist dies kein Anlass für irgendjemanden, sich zu profilieren.« Sie sah den Wirtschaftsminister an, der den Blick senkte. Er hatte verstanden. Wenn es ein Leck gab, würde sie es zuerst bei ihm suchen.

Als Professor Jörgensen von einer Theorie sprach, hatte er bereits den Beweis. Der kam ihm jedoch so ungeheuerlich vor, dass er ihn nicht nur einmal, sondern dreimal durch das gleiche Experiment zu erhärten suchte. Erst als es keinen Zweifel mehr gab, setzte er die Brille ab und rieb sich die Schläfen. Es war drei Uhr morgens und er hatte nicht das geringste Bedürfnis zu schlafen. »Wie ist das möglich?«, fragte er sich ein ums andere Mal. Eine Frage, die bald alle Menschen dieses Landes stellen würden, nicht nur der Wissenschaft, sondern auch allen möglichen außerirdischen Instanzen. Als Frage und als Schrei.

Der Umweltminister hatte ihm eingeschärft: »Rufen Sie mich sofort an, wenn Sie das Ergebnis haben, egal wie spät es ist.« Professor Jörgensen griff zum Hörer. Nach drei Klingelzeichen war der Umweltminister am Apparat.

Es wurde schlagartig still, als Professor Jörgensen den Kabinettssaal betrat. »Jetzt«, war der Gedanke in allen Köpfen, »jetzt wird etwas geschehen«. Nur einer dachte diesen Satz ein wenig anders: »Jetzt wird etwas Unglaubliches geschehen.«

Professor Jörgensen machte es kurz. »Meine Damen und Herren, Sie wissen aus der Schulzeit, dass die Blätter der Bäume Kohlenstoffdioxid aufnehmen, kurz CO2, und in Sauerstoff umwandeln. Man nennt das Fotosynthese. Ohne diese Fotosynthese wäre kein Leben auf unserem Planeten möglich. Die Bäume haben diesen Prozess der Umwandlung eingestellt. Das ist die Ursache für den Rückgang des Sauerstoffgehalts in unserer Atemluft.«

Diese Botschaft löste einen allgemeinen Schock aus. Einen Moment war es totenstill. Dann redeten alle wild durcheinander, bis die Kanzlerin die Glocke schwang und um Ruhe bat. Sie wandte sich an Professor Jörgensen. »Haben Sie Erkenntnisse darüber gewonnen, warum die Bäume die Fotosynthese eingestellt haben?«

»Nein.«

»Kommen Abgase der Industrie in Frage?«, wollte der Umweltminister wissen.

»Ich verwahre mich dagegen, die Industrie zum Sündenbock machen zu wollen!« Der Wirtschaftsminister reagierte wie ein pawlowscher Hund, wenn er Kritik an der Industrie witterte.

Die Kanzlerin schwang erneut die Glocke. »Es erscheint mir logisch, dass in der Kürze der Zeit nicht schon die Ursache für dieses Verhalten der Bäume erforscht werden konnte. Trotzdem frage ich Sie, Professor Jörgensen: Haben Sie eine Theorie?«

»Ja, eine Theorie habe ich. Aber eine absurde.«

»Bitte«, machte ihm die Kanzlerin Mut. »Absurde Theorien haben gelegentlich den Vorzug, amüsant zu sein.« »Na schön.« Professor Jörgensen sah der Kanzlerin in die Augen. »Wenn ich die Bäume mit menschlichen Maßstäben messe, würde ich sagen: Das ist ein Streik.« Die lähmende Stille, die diesen Worten folgte, wurde von der Kanzlerin unterbrochen. »Streik! Von Bäumen! Danke, Professor Jörgensen.«

Das Kabinett war wieder unter sich und begann sofort, die Theorie des Professors durch den Kakao zu ziehen. »Dann wird ja bald ein Vertreter der Bäume bei uns vorsprechen und seine Forderungen stellen. Vielleicht kann Ihr Professor uns sagen, in welcher Gewerkschaft die Bäume organisiert sind.«

»Professor Jörgensen ist nicht mein Professor. Er ist unser Klimaexperte Nummer 1, wie die Frau Bundeskanzlerin bestätigt hat«, wehrte sich der Bundesumweltminister.

»Ich tippe auf den Tannenbaum als Vertreter der Bäume. Der weckt Emotionen, finden Sie nicht?« Der Landwirtschaftsminister lachte am lautesten über seinen Einfall.

»Ich glaube eher an einen neutralen Vertreter von außerhalb«, ließ sich der Außenminister vernehmen. »Vielleicht eine Korkeiche?« »Als ich ihn unseren Klimaexperten Nummer 1 nannte, kannte ich seine Theorie noch nicht«, beendete die Kanzlerin das muntere Spekulieren. »Noch ist Professor Jörgensen nicht widerlegt«, bemerkte der Umweltminister.

»Ich bin Realpolitiker«, brüstete sich der Wirtschaftsminister.

»Und gläubiger Katholik«, ergänzte der Umweltminister.

Der Wirtschaftsminister war leicht irritiert. »Wo ist da der Zusammenhang?«

»Als gläubiger Katholik glauben Sie an Wunder.«

»Aber nicht an Wunder in der Natur. Ich – «

»Meine Herren«, beendete die Kanzlerin den Streit. »Verlassen wir die Theorie und wenden wir uns der Praxis zu. Wie lösen wir das Problem?«

Zum ersten Mal meldete sich die Bildungsministerin. »Wenn die Luft knapp wird, sollten wir zuerst Sportveranstaltungen absagen. Sportler verbrauchen mehr Sauerstoff als andere.« »Kommt überhaupt nicht in Frage«, fuhr ihr der Verbraucherschutzminister in die Parade. »Wir leben in einem freien Land. Dazu gehört, dass man in diesem Land frei atmen kann. Einschränkungen dieser Art wird es mit mir nicht geben.«

»Aber wenn die Luft nicht für alle reicht? Wie rationiert man Luft?«