Als du mich einst gefunden hast - Die schönsten Gedichte - Rainer Maria Rilke - E-Book

Als du mich einst gefunden hast - Die schönsten Gedichte E-Book

Rainer Maria Rilke

0,0
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das lyrische Werk von Rainer Maria Rilke ist unvergänglich schön. Es altert nicht, erscheint universell und kommt nie aus der Mode. Rilkes Gedichte erobern mühelos jede junge Generation, denn sie verdichten immer aufs Neue Erfahrung und Empfindung, Suche, Ahnung und Erkenntnis. Kaum ein von Poesie infizierter Mensch geht durchs Leben, ohne sich ein Stück des Weges von Rilke begleiten zu lassen. Dazu empfiehlt sich diese Auswahl seiner schönsten Gedichte.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 178

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Rainer Maria RilkeAls du mich einstgefunden hast

Rainer Maria Rilke

Als du mich einstgefunden hast

Die schönsten Gedichte

Ausgewählt vonKim Landgraf

Anaconda

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische

Daten sind im Internet unter www.dnb.de abrufbar.

© 2016 Anaconda Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Umschlagmotiv: Hand drawn flower set, rose collection,

© Danussa / Shutterstock

Umschlaggestaltung: www.katjaholst.de

ISBN 978-3-7306-9149-6V002

www.anacondaverlag.de

Inhalt

IN DER VORSTADT

ADVENT

DIE WEISE VON LIEBE UND TOD DES CORNETS CHRISTOPH RILKE

Geschrieben 1899

AUS EINEM APRIL

DAS LIED DER BILDSÄULE

DIE LIEBENDE

DIE BRAUT

DIE STILLE

DIE ENGEL

DER SCHUTZENGEL

KINDHEIT

DER KNABE

DAS ABENDMAHL

INITIALE

ZUM EINSCHLAFEN ZU SAGEN

MENSCHEN BEI NACHT

PONT DU CARROUSEL

DER EINSAME

KLAGE

EINSAMKEIT

HERBSTTAG

ENDE DESM HERBSTES

HERBST

GEBET

ABEND IN SKÅNE

ABEND

ERNSTE STUNDE

INITIALE

DER SÄNGER SINGT VOR EINEM FÜRSTENKIND

DIE STIMMEN

Titelblatt

Das Lied des Bettlers

Das Lied des Blinden

Das Lied des Trinkers

Das Lied des Selbstmörders

Das Lied der Witwe

Das Lied des Idioten

Das Lied der Waise

Das Lied des Zwerges

Das Lied des Aussätzigen

VON DEN FONTÄNEN

DER LESENDE

DER SCHAUENDE

AUS EINER STURMNACHT

Titelblatt

DIE BLINDE

DER ENGEL

DIE NACHT DER FRÜHLINGSWENDE

DER GOLDSCHMIED

STERNE HINTER OLIVEN

FÜR LIA ROSEN

NÄCHTLICHER GANG

DIE LIEBENDEN

FRÜHER APOLLO

MÄDCHEN-KLAGE

LIEBES-LIED

DER TOD DES DICHTERS

BUDDHA

L’ANGE DU MÉRIDIEN

DIE KATHEDRALE

DAS KAPITÄL

MORGUE

DER PANTHER

DIE GAZELLE

DAS EINHORN

DER ENGEL

RÖMISCHE SARKOPHAGE

DER SCHWAN

KINDHEIT

DER DICHTER

DIE ERWACHSENE

DIE ERBLINDENDE

ABSCHIED

TODES-ERFAHRUNG

BLAUE HORTENSIE

VOR DEM SOMMERREGEN

LETZTER ABEND

JUGEND-BILDNIS MEINES VATERS

BUDDHA

RÆMISCHE FONTÄNE

DAS KARUSSELL

QUAI DU ROSAIRE

DIE INSEL

HETÄREN-GRÄBER

ORPHEUS. EURYDIKE. HERMES

ARCHAÏSCHER TORSO APOLLOS

KRETISCHE ARTEMIS

LEDA

DER TOD DER GELIEBTEN

DER BLINDE

RÆMISCHE CAMPAGNA

LIED VOM MEER

DIE PARKE

SPÄTHERBST IN VENEDIG

DIE LAUTE

ÜBUNG AM KLAVIER

DIE LIEBENDE

DAS ROSEN-INNERE

SCHLAF-MOHN

DIE FLAMINGOS

SCHLAFLIED

DER PAVILLON

ROSA HORTENSIE

BUDDHA IN DER GLORIE

NARZISS

NARZISS

DIE GETRENNTEN

AN DIE MUSIK

FÜR FRÄULEIN HEDWIG ZAPF

SONETT

HAÏ-KAÏ

DUINESER ELEGIEN

DIE ERSTE ELEGIE

DIE ZWEITE ELEGIE

DIE SIEBENTE ELEGIE

DIE SONETTE AN ORPHEUS

Zweiter Teil

TRÄNENKRÜGLEIN

VERGäNGLICHKEIT

ERSTE ANTWORT FÜR ERIKA MITTERER

DIE LIEBENDEN

SPIELE

ANKUNFT

ELEGIE

SONETTE AUS DEM PORTUGIESISCHEN

EDITORISCHE NOTIZ

VERZEICHNIS DER GEDICHTÜBERSCHRIFTEN UND -ANFÄNGE

IN DER VORSTADT

Die Alte oben mit dem heisern Husten,

ja, die ist tot. – Wer war sie? – Du mein Gott,

sie gab uns nichts, – ihr gab man Hohn und Spott …

Kaum, dass die Leute ihren Namen wussten.

Und unten stand der schwarze Kastenwagen.

Die letzte Klasse; als der Totenschrein

sich spreizte, stieß man fluchend ihn hinein,

und dann ward rau die Türe zugeschlagen.

Der Kutscher hieb in seine magern Mähren

und fuhr im Trab so leicht zum Friedhof hin,

als wenn da nicht ein ganzes Leben drin

voll Weh und Glück – und tote Träume wären.

IM SCHOSS der silberhellen Schneenacht

dort schlummert alles weit und breit,

und nur ein ewig wildes Weh wacht

in einer Seele Einsamkeit.

Du fragst, warum die Seele schwiege,

warum sie’s in die Nacht hinaus

nicht gießt? – Sie weiß, wenns ihr entstiege,

es löschte alle Sterne aus.

DIE FENSTER glühten an dem stillen Haus,

der ganze Garten war voll Rosendüften.

Hoch spannte über weißen Wolkenklüften

der Abend in den unbewegten Lüften

die Schwingen aus.

Ein Glockenton ergoss sich auf die Au …

Lind wie ein Ruf aus himmlischen Bezirken.

Und heimlich über flüstervollen Birken

sah ich die Nacht die ersten Sterne wirken

ins blasse Blau.

O GÄBS doch Sterne, die nicht bleichen,

wenn schon der Tag den Ost besäumt;

von solchen Sternen ohnegleichen

hat meine Seele oft geträumt.

Von Sternen, die so milde blinken,

dass dort das Auge landen mag,

das müde ward vom Sonnetrinken

an einem goldnen Sommertag.

Und schlichen hoch ins Weltgetriebe

sich wirklich solche Sterne ein, –

sie müssten der verborgnen Liebe

und allen Dichtern heilig sein.

MIR IST so weh, so weh, als müsste

die ganze Welt in Grau vergehn,

als ob mich die Geliebte küsste

und sprach: Auf Nimmerwiedersehn.

Als ob ich tot wär und im Hirne

mir dennoch wühlte wilde Qual,

weil mir vom Hügel eine Dirne

die letzte, blasse Rose stahl …

UND WIE mag die Liebe dir kommen sein?

Kam sie wie ein Sonnen, ein Blütenschnein,

kam sie wie ein Beten? – Erzähle:

Ein Glück löste leuchtend aus Himmeln sich los

und hing mit gefalteten Schwingen groß

an meiner blühenden Seele …

EINEN MAITAG mit dir beisammen sein,

und selbander verloren ziehn

durch der Blüten duftqualmende Flammenreihn

zu der Laube von weißem Jasmin.

Und von dorten hinaus in den Maiblust schaun,

jeder Wunsch in der Seele so still …

Und ein Glück sich mitten in Mailust baun,

ein großes, – das ists, was ich will …

IM FRÜHLING oder im Traume

bin ich dir begegnet einst,

und jetzt gehn wir zusamm durch den Herbsttag,

und du drückst mir die Hand und weinst.

Weinst du ob der jagenden Wolken?

Ob der blutroten Blätter? Kaum.

Ich fühl es: du warst einmal glücklich

im Frühling oder im Traum …

ADVENT

Es treibt der Wind im Winterwalde

die Flockenherde wie ein Hirt,

und manche Tanne ahnt, wie balde

sie fromm und lichterheilig wird;

und lauscht hinaus. Den weißen Wegen

streckt sie die Zweige hin – bereit,

und wehrt dem Wind und wächst entgegen

der einen Nacht der Herrlichkeit.

DU MEINE heilige Einsamkeit,

du bist so reich und rein und weit

wie ein erwachender Garten.

Meine heilige Einsamkeit du –

halte die goldenen Türen zu,

vor denen die Wünsche warten.

WENN WIE ein leises Flügelbreiten

sich in den späten Lüften wiegt, –

ich möchte immer weiter schreiten

bis in das Tal, wo tiefgeschmiegt

an abendrote Einsamkeiten

die Sehnsucht wie ein Garten liegt.

Vielleicht darf ich dich dorten finden,

und zage wird dein erstes Mühn

die wehen Wünsche mir verbinden,

du wirst mich führen tief ins Grün –

und heimlich werden weiße Winden

an meinem staubigen Stabe blühn.

ICH MUSSTE denken unverwandt,

wie ich einst zwischen schwarzen Pinien

den tiefen Frühling sinnen fand,

als ich vor deiner Schönheit stand,

und durch der Scheitel dunkle Linien

dein Antlitz träumte wie ein Land.

Es schlich von deiner Lippen Saum

ein Lächeln auf verlornem Pfade –

ganz leis. Die andern merktens kaum.

So weht ein Blatt vom Blütenbaum:

nur Einer schaut die Frühlingsgnade,

und der sie schaut, ist wie im Traum.

FREMD IST, was deine Lippen sagen,

fremd ist dein Haar, fremd ist dein Kleid,

fremd ist, was deine Augen fragen,

und auch aus unsern wilden Tagen

reicht nicht ein leises Wellenschlagen

an deine tiefe Seltsamkeit.

Du bist wie jene Bildgestalten,

die überm leeren Altarspind

noch immer ihre Hände falten,

noch immer alte Kränze halten,

noch immer leise Wunder walten –

wenn längst schon keine Wunder sind.

DIE NACHT holt heimlich durch des Vorhangs Falten

aus deinem Haar vergessnen Sonnenschein.

Schau, ich will nichts, als deine Hände halten

und still und gut und voller Frieden sein.

Da wächst die Seele mir, bis sie in Scherben

den Alltag sprengt; sie wird so wunderweit:

An ihren morgenroten Molen sterben

die ersten Wellen der Unendlichkeit.

EIN HÄNDEINEINANDERLEGEN,

ein langer Kuss auf kühlen Mund,

und dann: auf schimmerweißen Wegen

durchwandern wir den Wiesengrund.

Durch leisen, weißen Blütenregen

schickt uns der Tag den ersten Kuss, –

mir ist: wir wandeln Gott entgegen,

der durchs Gebreite kommen muss.

MIR WAR so weh. Ich sah dich blass und bang.

Das war im Traum. Und deine Seele klang.

Ganz leise tönte meine Seele mit,

und beide Seelen sangen sich: Ich litt.

Da wurde Friede tief in mir. Ich lag

im Silberhimmel zwischen Traum und Tag.

WIE MEINE Träume nach dir schrein.

Wir sind uns mühsam fremd geworden,

jetzt will es mir die Seele morden,

dies arme, bange Einsamsein.

Kein Hoffen, das die Segel bauscht.

Nur diese weite, weiße Stille,

in die mein tatenloser Wille

in atemlosem Bangen lauscht.

ICH GING durch ein Land, durch ein trauriges Land.

Wie auf leerer Wiege ein Wiegenband

lag der blasse Fluss auf dem flachen Sand,

darüber aus nassem Nebelgewand

reckte die Weide die Totenhand.

Mir war so traurig. Ich starrte und stand.

Ich sah dich kauern am Wegesrand.

Einst hab ich dich und das Glück gekannt.

Du weintest wühlend und unverwandt,

und ich fragte dich: Ist das dein Heimatland?

Du nicktest, du nicktest wie traumgebannt …

Da hab ich dich wieder wie einst genannt;

doch dein Bild zerrann mir, dein Bild entschwand.

Die Pappeln kohlten im Abendbrand,

und der Tod ging rot durch dein Heimatland.

KANNST DU die alten Lieder noch spielen?

Spiele, Liebling. Sie wehn durch mein Weh

wie die Schiffe mit silbernen Kielen,

die nach heimlichen Inselzielen

treiben im leisen Abendsee.

Und sie landen am Blütengestade,

und der Frühling ist dort so jung.

Und da findet an einsamem Pfade

vergessene Götter in wartender Gnade

meine müde Erinnerung.

MANCHMAL FÜHLT sie: Das Leben ist groß,

wilder, wie Ströme, die schäumen,

wilder, wie Sturm in den Bäumen.

Und leise lässt sie die Stunden los

und schenkt ihre Seele den Träumen.

Dann erwacht sie. Da steht ein Stern

still überm leisen Gelände,

und ihr Haus hat ganz weiße Wände –

Da weiß sie: Das Leben ist fremd und fern –

und faltet die alternden Hände.

ICH MÖCHTE dir ein Liebes schenken,

das dich mir zur Vertrauten macht:

aus meinem Tag ein Deingedenken

und einen Traum aus meiner Nacht.

Mir ist, dass wir uns selig fänden

und dass du dann wie ein Geschmeid

mir löstest aus den müden Händen

die niebegehrte Zärtlichkeit.

OB AUCH die Stunden uns wieder entfernen:

wir sind immer beisammen im Traum

wie unter einem aufblühenden Baum.

Wir werden die Worte, die laut sind, verlernen

und von uns reden wie Sterne von Sternen, –

alle lauten Worte verlernen:

wie unter einem aufblühenden Baum.

LEISE HÖR ich dich rufen

in jedem Flüstern und Wehn.

Auf lauter weißen Stufen,

die meine Wünsche sich schufen,

hör ich dein Zu-mir-gehn.

Jetzt weißt du von dem Gefährten,

und dass er dich liebt … das macht:

es blühen in seinen Gärten

die lang vom Licht gekehrten

Blüten, blühn über Nacht …

DER REGEN greift mit seinen kühlen

Fingern uns die Fenster blind;

wir lehnen in den tiefen Stühlen

und lauschen, wie aus müden Mühlen

die leise Dämmerstunde rinnt.

Und dann spricht Lou. Und es verneigen

sich unsre Seelen. Auch der Strauß

am Fenster grüßt aus hohen Zweigen,

und wir sind alle heimateigen

in diesem leisen weißen Haus.

WIR LÄCHELN leis im Abendwind,

wenn sich die Blumen schwankend küssen

und wenn die Vögel müde sind.

Weil wir nicht mit der Sonne müssen,

die breit auf flachen Abendflüssen

aus unsern Wiesentalen rinnt.

Wir bleiben, und wir sehn die Nacht

aufwachsen, weit und Wunder werden,

sehn Berge, Bilder und Gebärden

viel größer als wir je gedacht.

Sehn, was die Blüten nicht ertrügen,

was Vögel erst nach langen Flügen

erreichen würden, stellt sich nah

und was am Morgen schon erstarrt

in Stille ist und Gegenwart,

wir kannten es, als es geschah …

DU LÄCHELST leise, und das große

Auge grüßt die Dämmerung.

Die Hände schimmern dir im Schoße

und deine Hände sind so jung.

Sie sind nicht müde, wenn sie rasten;

ein Lauschen nur ist ihre Ruh.

Sie warten wie auf Orgeltasten

einer neuen Hymne zu.

MIR IST, als ob ich alles Licht verlöre.

Der Abend naht und heimlich wird das Haus;

ich breite einsam beide Arme aus,

und keiner sagt mir, wo ich hingehöre.

Wozu hab ich am Tage alle Pracht

gesammelt in den Gärten und den Gassen,

kann ich dir zeigen nicht in meiner Nacht,

wie mich der neue Reichtum größer macht

und wie mir alle Kronen passen?

ES IST ja Frühling. Und der Garten glänzt

vor lauter Licht.

Die Zweige zittern zwar

in tiefer Luft, die Stille selber spricht,

und unser Garten ist wie ein Altar.

Der Abend atmet wie ein Angesicht,

und seine Lieblingswinde liegen dicht

wie deine Hände mir im Haar:

ich bin bekränzt.

Du aber siehst es nicht.

Und da sind alle Feste nicht mehr wahr.

WAS HILFT es denn, dass ich dir aufbewahre

aus meinem Wandern manches Wunderbare,

das ich empfing, und das mir fremd entglitt –

ich will nicht, dass ich Rosen für dich spare,

ich will sie jung in deinem jungen Haare,

und wenn ich wieder in den Frühling fahre:

dann musst du mit.

So viele Villen weiß ich jetzt, in denen

kein fremder Fuß die große Stille stört,

so viele Gärten, die sich sonnig sehnen,

mit Abenden, Terrassen und Fontänen,

und manche warme Nacht an Arnolehnen,

die bange ist, weil sie nicht uns gehört.

DAS IST die Sehnsucht: wohnen im Gewoge

und keine Heimat haben in der Zeit.

Und das sind Wünsche: leise Dialoge

täglicher Stunden mit der Ewigkeit.

Und das ist Leben. Bis aus einem Gestern

die einsamste von allen Stunden steigt,

die, anders lächelnd als die andern Schwestern,

dem Ewigen entgegenschweigt.

ICH BIN zu Hause zwischen Tag und Traum.

Dort wo die Kinder schläfern, heiß vom Hetzen,

dort wo die Alten sich zu Abend setzen,

und Herde glühn und hellen ihren Raum.

Ich bin zu Hause zwischen Tag und Traum.

Dort wo die Abendglocken klar verklangen

und Mädchen, vom Verhallenden befangen,

sich müde stützen auf den Brunnensaum.

Und eine Linde ist mein Lieblingsbaum;

und alle Sommer, welche in ihr schweigen,

rühren sich wieder in den tausend Zweigen

und wachen wieder zwischen Tag und Traum.

DU MUSST das Leben nicht verstehen,

dann wird es werden wie ein Fest.

Und lass dir jeden Tag geschehen

so wie ein Kind im Weitergehen

von jedem Wehen

sich viele Blüten schenken lässt.

Sie aufzusammeln und zu sparen,

das kommt dem Kind nicht in den Sinn.

Es löst sie leise aus den Haaren,

drin sie so gern gefangen waren,

und hält den lieben jungen Jahren

nach neuen seine Hände hin.

VOR LAUTER Lauschen und Staunen sei still,

du mein tieftiefes Leben;

dass du weißt, was der Wind dir will,

eh noch die Birken beben.

Und wenn dir einmal das Schweigen sprach,

lass deine Sinne besiegen.

Jedem Hauche gib dich, gib nach,

er wird dich lieben und wiegen.

Und dann meine Seele sei weit, sei weit,

dass dir das Leben gelinge,

breite dich wie ein Feierkleid

über die sinnenden Dinge.

ICH LIESS meinen Engel lange nicht los,

und er verarmte mir in den Armen

und wurde klein, und ich wurde groß:

und auf einmal war ich das Erbarmen,

und er eine zitternde Bitte bloß.

Da hab ich ihm seine Himmel gegeben, –

und er ließ mir das Nahe, daraus er entschwand;

er lernte das Schweben, ich lernte das Leben,

und wir haben langsam einander erkannt …

SEIT MICH mein Engel nicht mehr bewacht,

kann er frei seine Flügel entfalten

und die Stille der Sterne durchspalten, –

denn er muss meiner einsamen Nacht

nicht mehr die ängstlichen Hände halten –

seit mich mein Engel nicht mehr bewacht.

ERSTE ROSEN erwachen,

und ihr Duften ist zag

wie ein leisleises Lachen;

flüchtig mit schwalbenflachen

Flügeln streift es den Tag;

und wohin du langst,

da ist alles noch Angst.

Jeder Schimmer ist scheu,

und kein Klang ist noch zahm,

und die Nacht ist zu neu,

und die Schönheit ist Scham.

MANCHMAL GESCHIEHT es in tiefer Nacht,

dass der Wind wie ein Kind erwacht,

und er kommt die Allee allein

leise, leise ins Dorf herein.

Und er tastet bis an den Teich,

und dann horcht er herum:

Und die Häuser sind alle bleich,

und die Eichen sind stumm …

ALS DU mich einst gefunden hast,

da war ich klein, so klein,

und blühte wie ein Lindenast

nur still in dich hinein.

Vor Kleinheit war ich namenlos

und sehnte mich so hin,

bis du mir sagst, dass ich zu groß

für jeden Namen bin:

Da fühl ich, dass ich eines bin

mit Mythe, Mai und Meer,

und wie der Duft des Weines bin

ich deiner Seele schwer …

DER ABEND ist mein Buch. Ihm prangen

die Deckel purpurn in Damast;

ich löse seine goldnen Spangen

mit kühlen Händen, ohne Hast.

Und lese seine erste Seite,

beglückt durch den vertrauten Ton, –

und lese leiser seine zweite,

und seine dritte träum ich schon.

UND SO ist unser erstes Schweigen:

wir schenken uns dem Wind zu eigen,

und zitternd werden wir zu Zweigen

und horchen in den Mai hinein.

Da ist ein Schatten auf den Wegen,

wir lauschen, – und es rauscht ein Regen:

ihm wächst die ganze Welt entgegen,

um seiner Gnade nah zu sein.

WIR SIND ganz angstallein,

haben nur aneinander Halt,

jedes Wort wird wie ein Wald

vor unserm Wandern sein.

Unser Wille ist nur der Wind,

der uns drängt und dreht;

weil wir selber die Sehnsucht sind,

die in Blüten steht.

ICH FÜRCHTE mich so vor der Menschen Wort.

Sie sprechen alles so deutlich aus:

Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,

und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,

sie wissen alles, was wird und war;

kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;

ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.

Die Dinge singen hör ich so gern.

Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.

Ihr bringt mir alle die Dinge um.

FÜRCHTE DICH nicht, sind die Astern auch alt,

streut der Sturm auch den welkenden Wald

in den Gleichmut des Sees, –

die Schönheit wächst aus der engen Gestalt;

sie wurde reif, und mit milder Gewalt

zerbricht sie das alte Gefäß.

Sie kommt aus den Bäumen

in mich und in dich,

nicht um zu ruhn;

der Sommer ward ihr zu feierlich.

Aus vollen Früchten flüchtet sie sich

und steigt aus betäubenden Träumen

arm ins tägliche Tun.

DIE WEISE VON LIEBE UND TOD DES CORNETS CHRISTOPH RILKE

Geschrieben 1899

»… den 24. November 1663 wurde Otto von Rilke | auf Langenau | Gränitz und Ziegra | zu Linda mit seines in Ungarn gefallenen Bruders Christoph hinterlassenem Antheile am Gute Linda beliehen; doch musste er einen Revers ausstellen | nach welchem die Lehensreichung null und nichtig sein sollte | im Falle sein Bruder Christoph (der nach beigebrachtem Totenschein als Cornet in der Compagnie des Freiherrn von Pirovano des kaiserl. oesterr. Heysterschen

Regiments zu Ross …. verstorben war) zurückkehrt …« Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag. Reiten, reiten, reiten.

Und der Mut ist so müde geworden und die Sehnsucht so groß. Es gibt keine Berge mehr, kaum einen Baum. Nichts wagt aufzustehen. Fremde Hütten hocken durstig an versumpften Brunnen. Nirgends ein Turm. Und immer das gleiche Bild. Man hat zwei Augen zu viel. Nur in der Nacht manchmal glaubt man den Weg zu kennen. Vielleicht kehren wir nächtens immer wieder das Stück zurück, das wir in der fremden Sonne mühsam gewonnen haben? Es kann sein. Die Sonne ist schwer, wie bei uns tief im Sommer. Aber wir haben im Sommer Abschied genommen. Die Kleider der Frauen leuchteten lang aus dem Grün. Und nun reiten wir lang. Es muss also Herbst sein. Wenigstens dort, wo traurige Frauen von uns wissen.

Der von Langenau rückt im Sattel und sagt: »Herr Marquis …« Sein Nachbar, der kleine feine Franzose, hat erst drei Tage lang gesprochen und gelacht. Jetzt weiß er nichts mehr. Er ist wie ein Kind, das schlafen möchte. Staub bleibt auf seinem feinen weißen Spitzenkragen liegen; er merkt es nicht. Er wird langsam welk in seinem samtenen Sattel.

Aber der von Langenau lächelt und sagt: »Ihr habt seltsame Augen, Herr Marquis. Gewiss seht Ihr Eurer Mutter ähnlich –« Da blüht der Kleine noch einmal auf und stäubt seinen Kragen ab und ist wie neu.

Jemand erzählt von seiner Mutter. Ein Deutscher offenbar. Laut und langsam setzt er seine Worte. Wie ein Mädchen, das Blumen bindet, nachdenklich Blume um Blume probt und noch nicht weiß, was aus dem Ganzen wird –: so fügt er seine Worte. Zu Lust? Zu Leide? Alle lauschen. Sogar das Spucken hört auf. Denn es sind lauter Herren, die wissen, was sich gehört. Und wer das Deutsche nicht kann in dem Haufen, der versteht es auf einmal, fühlt einzelne Worte: »Abends« … »Klein war …«

Da sind sie alle einander nah, diese Herren, die aus Frankreich kommen und aus Burgund, aus den Niederlanden, aus Kärntens Tälern, von den böhmischen Burgen und vom Kaiser Leopold. Denn was der Eine erzählt, das haben auch sie erfahren und gerade so. Als ob es nur eine Mutter gäbe …