Als es Nacht war in Dresden - Edith Siemon - E-Book

Als es Nacht war in Dresden E-Book

Edith Siemon

4,8

Beschreibung

Dies ist die Geschichte einer großen Sehnsucht, die von der Zerbrechlichkeit des Lebens und der Liebe handelt. Sie beginnt mit einer großen Überraschung: Ein kleines Mädchen wird von seiner gerade einmal 17-jährigen Mutter in einer Kammer im Dachgeschoss zur Welt gebracht. Wir schreiben das Jahr 1926, die Zeiten sind schwer. Das Kind wächst heran, kommt nach Sachsen und ist begeistert von Dresden und den Menschen, denen es dort begegnet. Dann beginnt der Krieg …

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Edith Siemon

Als es Nacht war in Dresden

Ausgewählt von Claudia Senghaas

Personen und Handlung sind frei erfunden.

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Besuchen Sie uns im Internet:

www.gmeiner-verlag.de

© 2013 – Gmeiner-Verlag GmbH

Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

Telefon 0 75 75/20 95-0

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung: Julia Franze

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

Für meine Töchter

Vorwort von Gaby Hauptmann

Meine Familie mütterlicherseits fand ich schon immer sehr bemerkenswert. Sechs Töchter hat meine Großmutter in neun Jahren geboren: die älteste 1909, die jüngste, unsere Mutter Heidi, 1918. Es war keine leichte Zeit, vor allem wirtschaftlich nicht, aber trotzdem war es für meine Großmutter selbstverständlich, das wenige, was sie für die eigene Familie hatte, mit anderen zu teilen. ’s Marile, wie sie von den Geschwistern liebevoll genannt wurde, war die Erste, die das Haus der Eltern mit Nachwuchs überraschte. Der werdende Vater war, wusste meine Mutter, ein gut situierter, studierender Bauernsohn. Meine achtjährige Mutter hatte die nächtlichen Liebesbezeugungen zwar bemerkt, aber nicht verstanden … und nach Ediths Geburt war sie dann eine recht junge Ersatzmutter, die sich um das Baby kümmerte, es wickelte und fütterte, während die wirkliche Mutter in Wiesbaden arbeitete. Damals entstand eine enge Bindung zwischen den beiden, die bis heute hält.

Interessant für unsere ganze Familie, vor allem für mich und meine Schwester Karin, sind die Eindrücke, die wir durch Ediths Aufzeichnungen in unsere eigene Familie bekommen. Und Ediths Lebensweg, der wirklich abenteuerlich ist und von Mut, Hilfsbereitschaft und dem Kampf ums Überleben erzählt. Wen wundert es, dass ich ihren ›Schein-Ehemann‹ Anton, der sie bei ihrer Flucht aus Dresden rettete, kürzlich in ihrer Wohnung traf? Viele Jahre später haben sie sich wieder gefunden, wobei ihre Lebenswege völlig andere waren. Zu dem Zeitpunkt kannte ich die Tragweite dieser Begegnung aber noch nicht – dank ihres Buches wird nun auch mir einiges klar und ich wünsche Ediths Lebensaufzeichnungen ›Als es Nacht war in Dresden‹ allen Erfolg und viele, viele Leser, die sich vielleicht selbst wiederentdecken oder dadurch die Chance bekommen, die eigene Familiengeschichte anders zu hinterfragen.

Prolog

An einem Februarabend klingelte das Telefon und Tante Ines meldete sich. Sie wollte wissen, wie es mir geht, und meinte, es könne mich ein wenig ablenken, wenn sie mich zu ihrem 90. Geburtstag an den Bodensee einlade. All meine Cousinen hatten bereits zugesagt. Auch sie hatten teilweise lange Anfahrten. Geplant war ein Fest mit etwa 50 Gästen, doch der größte Wunsch der Jubilarin war, ihre Nichten alle noch einmal zu sehen.

Tante Ines ist die jüngste Schwester meiner verstorbenen Mutter, die das älteste von sechs Mädchen war. Ines ist die einzige noch Lebende von ihnen. Erst vor ein paar Monaten starb ihre Schwester Wilhelmine mit 97 Jahren, einige Jahre zuvor meine Mutter – kurz vor ihrem 95. Geburtstag. Beide waren zuletzt einfach vom Alter gezeichnet.

In den vergangenen zwei Jahren konnte ich meine Mutter nicht besuchen. Wir haben zwar zwei- bis dreimal wöchentlich telefoniert, aber das ›Wann kommst du mal wieder?‹ stand ständig im Raum. Der Grund dieses Versäumnisses war die schwere Erkrankung meines Mannes Richard. Er wurde ab dem Oberschenkel amputiert und lag 15 Wochen in einer Klinik. Während des langen Klinikaufenthalts wurde eine bereits mittelschwere Parkinsonerkrankung festgestellt, die ebenfalls intensiv behandelt werden musste. Auch die sechsstündige Bahnfahrt stellte ein Hindernis für Besuche dar. Einmal fuhr ich für eine Woche in meinen Geburtsort nach Südbaden, um meine Mutter zu besuchen. Währenddessen musste mein Mann vom Pflegedienst und der jüngsten Tochter Carolin betreut werden. Meine Mutter wurde von meiner Schwester zu Hause gepflegt und so konnte ich mich während meines Aufenthalts ein wenig um sie kümmern. Sie saß tagsüber im Rollstuhl und konnte gemeinsam mit uns am Tisch zu Mittag speisen. Dass meine Mutter mich nicht mehr erkannte, war eine traurige Erfahrung. Des Öfteren fragte sie, wer ich sei, wo ich wohne und ob ich dableiben wolle. Es war naiv zu glauben, dass sie mich eigentlich an der Stimme erkennen müsste. Ich fühlte mich fremd und allein.

Kurz vor meiner Abreise, drei Wochen vor ihrem 95. Geburtstag, saß ich an ihrem Bett. Es war ein später Nachmittag, die Sonne schien angenehm in das Zimmer und kleine Lichtreflexe tanzten hin und her und mir fiel auf, dass sie immer wieder zum Fenster sah. Plötzlich nahm Mutter meine Hand und zeigte mit dem Finger nach dem Fenster.

»Siehst du die große Treppe da? Sie ist ganz breit und am oberen Ende ist es ganz hell. Bitte geh mit mir nach oben.«

Um sie abzulenken, sagte ich, dass ich große Schwierigkeiten hätte, Treppen zu steigen und erst recht bei so einer großen Treppe.

»Dann muss ich eben alleine hinaufgehen«, war die Antwort.

Als ich abreiste, schlief meine Mutter friedlich, ich habe mich daher nicht von ihr verabschiedet. Das erleichterte mir die Trennung. Die Erkenntnis, dass Mutter nicht wusste, dass ich ihre erstgeborene Tochter bin, war für mich schmerzlich. Drei Wochen nach meiner Abreise starb sie. Zu ihrer Beerdigung konnte ich die lange Reise nicht noch einmal machen, Richard brauchte mich dringender. Die Pflege nahm mich rund um die Uhr in Anspruch, das Aufstehen schaffte er nicht mehr ohne Hilfe. Durch das lange Liegen hatten sich die Sehnen verkürzt und Stehen war nicht mehr möglich. Dass er zwei bis drei Stunden im Rollstuhl sitzen konnte, machte mich schon glücklich. Auf diese Weise konnten wir ab und zu spazieren gehen oder wir saßen hinter dem Haus auf unserer großen Terrasse mit dem geliebten Fernblick. Im Winter saß Richard meist am Küchenfenster und beobachtete die Vögel. Wir stellten immer ein Vogelhaus auf, um den kleinen Gesellen eine ruhige Futterstelle zu bieten. Es war eine wahre Freude, ihnen zuzusehen. Unser Leben beschränkte sich ganz auf unser Zuhause, ich tat alles, um es uns recht gemütlich zu machen. Wir beide haben eigentlich nichts vermisst, und Richard war so bemüht zu zeigen, wie dankbar er für alles war. Wir hatten ja uns. Wenn ich ihm über die Haare strich, leuchteten seine Augen und er lächelte mich an. Sein Lächeln war bezaubernd und ließ mich dann die Sorgen und Nöte vergessen. Das Sprechen fiel ihm oft schwer, trotzdem verstand ich ihn, seine Gesten ließen mich das Übrige erkennen. Er versuchte, mir verständlich zu machen, dass ich doch sehr viel Mühe mit ihm habe, aber ich verneinte und sagte ihm, dass er mich genausowenig im Stich ließe, wenn es umgekehrt wäre. Doch langsam verschlechterte sich sein Zustand, er konnte nicht mehr aufstehen und brauchte Tag und Nacht intensive Pflege. Oft musste ich in der Nacht mit nur vier Stunden Schlaf auskommen, tagsüber gab es auch nur wenige Pausen. Mitte November nahm er nur noch ganz wenig Nahrung auf, er nahm zusehends ab. Selbst das Trinken musste durch Infusionen ersetzt werden. Das Sprechen hatte er ganz eingestellt. Aber er hörte mir zu, wenn ich mit ihm sprach, und an seinen Augen konnte ich erkennen, dass er mich verstanden hatte. Nach einem sehr unruhigen Wochenende versuchte ich es mit einer Suppe: Gemüse in Fleischbrühe gekocht, ganz fein passiert und in einer Schnabeltasse trinkfähig gereicht. Er trank die Suppe bis zum letzten Tropfen aus. Tränen traten mir in die Augen.

»Mein Gott, du hast gegessen, es geht wieder aufwärts!«

Ich war vom Glück getragen, die Müdigkeit war vergessen, der Himmel lachte. Eine halbe Stunde später begann er schwer zu atmen, rang nach Luft, und seine Augen … es war, als würden sie die Farbe wechseln. Der alarmierte Arzt kam umgehend. Er bat mich, unsere Tochter Esther zu benachrichtigen, sie zu bitten, sofort zu kommen, damit ich nicht mit meinem sterbenden Mann alleine sei. Esther und ich hielten ihm die Hände, streichelten ihn abwechselnd. Esther hatte ein Gebet auf den Lippen, die Bitte im Vordergrund, er möge nicht allzu lange leiden. Nach fast drei Stunden war der Kampf zu Ende. Die Fassungslosigkeit war groß, die Trauer saß tief. Es war kurz vor Weihnachten.

Alles erschien plötzlich so trostlos, ein großes Loch tat sich vor mir auf. Am liebsten wäre ich darin versunken. Vorrangig waren nun all die Formalitäten, das Begräbnis und anderes zu arrangieren, was mir die Töchter alles abnahmen. Sie hatten große Sorge, wie ich alles verkraften würde: den Gottesdienst, das Begräbnis, die vielen Besucher. Ich wusste es selbst nicht genau. Ich war so in meinen Schmerz vertieft, dass es beinahe keine Gegenwart gab. Noch waren die Mädchen bei mir, die jedoch bald wieder in ihren Alltag zurückkehren mussten, wie sollte es weitergehen, wenn alles erledigt war? Ja, aber da war noch Babsi, meine kleine Katze, die mit mir fühlte und ihren Freund jetzt schon vermisste. Babsi ist eine dreifarbige Katze: eine sogenannte Glückskatze, die jeder auffallend schön findet. Und ein Glücksfall ist sie wirklich. Babsi kam zu uns, als Richard amputiert wurde. Eines Abends saß sie vor der Terrassentür, etwa sechs Monate alt. Ich gab ihr Milch und Futter, ließ sie ins Haus und stellte ihr den Katzenkorb bereit, den ich noch von unserem alten Kater Mumpi hatte. Sie legte sich ganz selbstverständlich hinein. Morgens, wenn ich ins Krankenhaus fuhr, ging sie nach draußen, abends wartete sie getreu auf mich. Sie tat mir gut und ich war nicht mehr alleine. Als Richard nach Hause kam, legte sie sich zu ihm aufs Bett. Sie wurde unser beider Freundin und treue Mitbewohnerin.

Für die Zeit meiner geplanten Reise an den Bodensee tauchte nun die Frage auf: wohin mit Babsi? Mir fiel die Tierärztin ein, die ich durch unsere vorherigen Haustiere kennengelernt hatte. Sie bot mir einmal an, als Richard und ich eine Reise vorhatten, dass wir sowohl unsere damalige Katze als auch das Häschen bei ihr in Pension geben könnten, was wir dann auch taten. Nun rief ich sie an, erwähnte mein Vorhaben, und sie sagte zu mir, dass es doch selbstverständlich sei, Babsi zu nehmen. Gleichzeitig würde sie sie auch impfen etc. Meine Reise konnte losgehen. Ich quartierte mich in der Nähe meiner Tante Ines in einem Hotel ein und buchte eine Woche Halbpension. Es war schon sehr warm für Februar. Die ganze Woche war der Himmel strahlend blau, in den Gärten blühten bereits die ersten Frühlingsblumen. All das Neue ließ mich auf andere Gedanken kommen und ich genoss plötzlich, dass ich ein wenig an mich denken konnte.

Meine Tante wohnte direkt am See. Ihr Wohnzimmer, eine einzige Fensterfront, bot einen herrlichen Blick auf das Wasser. Man konnte die Insel Reichenau erkennen. Es war das reinste Feuerwerk voller Lichtreflexe. Tagsüber hatten Enten, Schwäne und Vögel das Sagen. Die vielseitigen Beobachtungsmöglichkeiten ließen keinerlei trübe Gedanken zu. Ich genoss die schönen Tage. Am Montag war ich angekommen, am Samstag startete die Geburtstagsfeier auf Schloss Freudenthal. Meine Cousinen reisten erst am Samstag an und fuhren bereits am Sonntagmittag zurück, bedingt durch Beruf oder sonstige Verpflichtungen. Meine Schwester und ihr Mann kamen am Freitag. Sie wohnten im selben Hotel wie ich und blieben ebenfalls bis Sonntag. So vereinte uns alle ein gemeinsames Mittagessen, bevor sich unsere Wege wieder trennten. Es blieb nicht viel Zeit, um Geschehnisse zu erzählen, obwohl, es hätte vieles zu erwähnen gegeben und viele Fragen zu beantworten, beispielsweise haben zwei meiner Cousinen ebenfalls ihre Männer verloren. Beide Männer saßen einfach tot im Sessel, beide mittleren Alters. Was muss das für ein Schock gewesen sein! Die älteste Cousine hingegen wurde gerade von ihrem Mann verlassen. Ohne Angabe von Gründen. Zwei Tage zuvor hatte sie für die Teilnahme an der Feier noch ein Doppelzimmer bestellt, weil ihr Mann mitkommen wollte. Sie war deshalb nicht gerade in bester Verfassung, hielt aber tapfer durch. Trotz allem, wir konnten uns freuen, einander wieder einmal zu sehen. Zum Teil lagen Jahrzehnte dazwischen, seit ich die eine oder andere Cousine zuletzt getroffen hatte. Die Gründe könnten sein, dass die Entfernung zu groß oder ich zu sehr eingebunden war mit dem großen Haushalt oder dem Betrieb, den Richard aufgebaut hatte. Die Hauptursache war aber wohl, dass ich sehr früh von zu Hause weggegangen bin. Meine Cousinen trafen sich von Kindesbeinen an regelmäßig, verbrachten zusammen mit ihren Eltern die Sommerferien, kannten des anderen Freuden und Sorgen. Sie sahen gemeinsam ihre Kinder groß werden und zum Teil sind auch schon Enkel da.

»Wo warst du denn in all den Jahren?« war ihre Frage an mich.

»Man hat dich selten zu Gesicht bekommen, meist nur zu einer Beerdigung. Wann haben wir uns überhaupt das letzte Mal gesehen?«, fragte mich die jüngste Cousine Gabriela, die sich neben mich setzte, während wir auf Getränke warteten. »Erzähl mal.«

Das ließ sich natürlich nicht in ein paar Sätzen abhandeln. Die Zeit würde nicht ausreichen, um auch nur das Wesentliche zu berichten.

»Warst du nicht schon sehr früh in Dresden?«, fuhr sie fort, »und als du nach dem Krieg zurückkamst, warst du, soviel ich weiß, im Schwarzwald.«

So erzählte ich ihr in groben Umrissen, was ich seit meinem 14. Lebensjahr alles gemacht und erlebt habe. Wie lange ich berichtete, weiß ich nicht. Gabriela hörte einfach nur zu.

»Sag mal, warum schreibst du darüber nicht ein Buch?« Ich erzählte ihr, dass ich vor vielen Jahren an einem Fernkurs für Schriftsteller teilgenommen habe und eigentlich vorgehabt hatte, ein Kinderbuch zu schreiben. Mein Onkel wollte dafür die Grafiken machen. Der alte Traum kam mir inzwischen zu verwegen vor. Ich bin aus allem raus, habe begriffen, wie einem das Leben entgleiten kann, wie die Zeit vergeht und vieles mitreißt: Hoffnung, Träume und manchmal auch den Mut.

»Warum versuchst du es nicht einfach? Unsere Cousine hat es doch auch geschafft.« Das stimmt, aber als Journalistin hat sie natürlich bessere Voraussetzungen und in meinem Alter …

»Es geht um den Versuch«, sagte Gabriela, »du schaffst das.« So entschloss ich mich, den Versuch zu wagen und all das Erlebte zu Papier zu bringen. Immerhin eine Art Versprechen an Gabriela.

1

Ende November 1926, genauer am 28., wurde ich an einem Sonntag geboren, nach Angaben der Hebamme wog ich keine drei Kilo, war sehr klein und zeigte scheinbar keine Lust auf das Leben. Verständlich, denn meine Mutter war gerade 17 Jahre jung, ihre Schwangerschaft war nicht bemerkt worden. Sie gebar mich alleine in ihrer Dachkammer. Ihre älteste Cousine Martha bewohnte nebenan das Dachstübchen und hörte das Klagen und Stöhnen meiner Mutter. Sie alarmierte zunächst ihre Eltern im ersten Stock. Diese wiederum alarmierten meine Großeltern im Parterre. Welch eine Aufregung! Wie war so etwas überhaupt möglich? Zum Glück wohnte unser Hausarzt in der Nähe, der auch sofort kam. Er sah nach, ob auch alles an mir dran sei, wie er sagte, hielt mich, wie meine Großeltern mir später erzählten, mit einer Hand unter die Lampe.

»Na, die Kleine wird das Leben schon meistern, hat sie es doch ganz gut gemacht, indem sie sich bis zuletzt ganz im Verborgenen hielt.«

Die kommenden Jahre lebte ich zusammen mit zwei weiteren Schwestern meiner Mutter, Martha und Ines, bei meinen Großeltern. Großvater gab keine Einwilligung zur Heirat, so war ich also ein uneheliches Kind, dies war in jenen Jahren für eine streng katholische Familie unverzeihlich. Großvater war der Meinung, dass meine Mutter mich nicht alleine erziehen könne. Mein leiblicher Vater war noch in der Ausbildung und durfte mich nur sehen, wenn Großvater, der ihm nicht zutraute, eine Familie zu ernähren, es erlaubte. Erst viel später wurde mir klar, dass es bei Großvater fast schon um Antipathie meinem Vater gegenüber ging. Nur so konnte ich mir im Nachhinein sein Verhalten erklären.

Einige Wochen nach meiner Geburt ging meine Mutter zu Freunden meiner Großeltern nach Wiesbaden. Diese betrieben in einem Kurhotel eine Praxis für unterschiedliche Bäder, Massagen etc. Ich selbst blieb wohlbehütet bei meinen Großeltern und meinen Tanten. Meine Mutter sah ich nicht oft. Die Bahnfahrt war kostspielig und lang bis zu unserem Städtchen direkt an der Schweizer Grenze. In diesen Jahren habe ich meine Mutter nicht vermisst, dies kam erst später und dafür umso schmerzlicher. Ihre Schwestern waren auch meine Schwestern, sie haben sich rührend um mich gekümmert, ich war eben die kleine Schwester für sie.

Meine Cousine Lotte wurde geboren, ich war gerade drei Jahre alt. Wir waren als Kinder viel zusammen, ihre Mutter, Tante Wilhelmine, sorgte dafür, dass ich in ihrer Familie wie zu Hause war. Nur Onkel Arthur war nicht sehr begeistert von mir, er tadelte mich immer beim Essen, und wenn ich den Schokoladenpudding stehen ließ, warnte er mich, dass ich noch lernen würde, alles aufzuessen.

2

Durch die Geburt von Lottis Bruder Theo und meine Einschulung lockerte sich die Beziehung etwas und wir waren nicht mehr so oft zusammen. Mit fünf Jahren konnte ich schon ein bisschen lesen, als ich etwas fortgeschritten war, lehrte mich Tante Ines, das Gelesene zu verstehen. Solange sie bei den Großeltern lebte, kümmerte sie sich um mich und beschäftigte sich viel mit mir. Morgens, wenn Großvater seine Zeitung gelesen hatte, versuchte ich in einer Ecke – meist saß ich auf der Küchenbank am großen Tisch -, die Zeitung zu studieren. Immer wenn ich Buchstaben fand, die ich lesen konnte, versuchte ich, die Sätze zusammenzustellen, damit konnte ich mich stundenlang beschäftigen.

Großvater war streng. Er stammte aus einer Handwerkerfamilie mit mehreren Beschäftigten. Ich weiß wenig von meinen Vorfahren. Hörte von Großmutter, dass Großvater Kaufmann gelernt hatte, sein älterer Bruder sollte die Produktion, Großvater den kaufmännischen Teil des Betriebes übernehmen. Urgroßvater war begehrt als Stuckateur, er restaurierte auch in Schlössern die Stuckdecken und war viel unterwegs. Doch starb er schon mit 56 Jahren an Kehlkopfkrebs. Der Betrieb wurde verkauft, die beiden Brüder wurden ausbezahlt. Großvater eröffnete danach ein Feinkostgeschäft und handelte mit edlen Weinen, was damals sehr gefragt war. Seine Mutter lebte nach dem Tod von Urgroßvater zwar im Haushalt meiner Großeltern, unterstützte jedoch Großvaters Bruder finanziell beim Bau eines großen Kaffeehauses und Restaurants. Deshalb zog sie das Geld aus dem Geschäft meiner Großeltern. Es kam, wie es kommen musste, die Großeltern gerieten in Schwierigkeiten und kämpften ums Überleben des Betriebes. Großmutter steckte nun ihr Erbteil in das Geschäft, damit ein Konkurs vermieden werden konnte. Aber Uroma blieb meinen Großeltern noch lange erhalten. Sie war es gewohnt, Befehle zu erteilen, hatte sie ja in ihrem Betrieb das Sagen gehabt. Stets hatte sie ihre Lorgnette an einer Kette hängen und trug nur schwarze Kleider aus schwerer Seide.

Großvater bekam nach Aufgabe des Geschäftes eine Anstellung bei der Stadtverwaltung und blieb dort bis zur Pensionierung. Großmutter stammte aus einer Bauernfamilie. Sie besaßen den größten Hof in der Gegend und gehörten zu den wichtigsten Steuerzahlern. Großmutter hatte noch einen älteren Bruder, Fritz, und eine jüngere Schwester, Mina. Als junges Mädchen verliebte sich Oma in einen Landschaftsmaler, sie wollten heiraten und zusammen in das kleine Malerhäuschen ziehen. Um das zu verhindern, wurde Oma in der Nähe in ein Kloster geschickt. Die streng katholische Einstellung hat sie sozusagen von dort übernommen. Während ihres Aufenthaltes im Kloster lernte sie, Altardecken und Gewänder zu sticken, sie entwarf Motive und stickte sie aus, ebenso lernte sie perfekt nähen, was ihr später bei der Erziehung von sieben Mädchen zugute kam. Zu meinem zehnten Geburtstag bekam ich ein selbst genähtes weißes Kleid. Am unteren Saum hatte Oma selbst entworfene Mohnblumen mit Blättern aufgestickt. Es war ein Traum und es wurde sehr bewundert, und ich war unendlich stolz.

Als Omas Vater starb, entließ man sie aus dem Kloster, sie war bereits Ende 20. Kurz danach muss sie wohl Opa kennengelernt haben. War es ein Wink des Schicksals? Oma hieß mit Vornamen Maria und Opa schlicht Josef. Genau ein Jahr nach dem Tod von Omas Vater heiratete ihre Mutter wieder. Der neue Mann war ebenfalls Bauer und brachte nochmals einen großen Hof mit ein, den sie aber verpachteten. Aus der Ehe stammt ein Sohn, er hieß Leo, aber ich glaube, es bestand keine geschwisterliche Nähe. Die drei Kinder aus erster Ehe wurden abgefunden. Omas Schwester Mina und ihr Bruder Fritz bekamen ein Häuschen, Ackerland, Wald und einen kleinen Viehbestand, so konnten sie zusammen Landwirtschaft betreiben. Die beiden Geschwister lebten zusammen und blieben auch unverheiratet. Bruder Fritz jedoch starb sehr bald an einem Krebsleiden. So blieb Tante Mina viele Jahre allein, bis sie im hohen Alter schwer dement wurde und von meiner Mutter aufgenommen wurde. Oft besuchte ich mit meiner Großmutter Tante Mina auf dem Land. Es war für mich immer ein riesiger Spaß. Angefangen bei der Bahnfahrt. Natürlich versuchte ich, überall zu helfen, es war ja genug Arbeit da, man ließ mich gewähren, und ich steckte viel Lob von Tante Mina und Oma ein, wenngleich ich viel durcheinanderbrachte. Auf das Geleistete war ich stolz und rundherum zufrieden. Am Wochenende gab es frischgebackenes Brot und Apfel- oder Zwetschgenkuchen.

Mein Appetit war groß, und es schmeckte immer so gut. Das Einzige, was mir Angst machte, waren die Pferde, ich machte immer einen großen Bogen um sie, da half kein Zureden, auch nicht das Argument, dass meine beiden Cousinen gerne reiten. Dagegen aber war ich sehr stolz, zwei Kühe vor dem Heuwagen führen zu dürfen.

Noch schöner war der Aufenthalt bei Tante Mina, wenn Cousine Lotti mit dabei war. Wir entdeckten täglich Neues, sahen, wie Küken schlüpften und neugeborene Kälbchen mit einer Flasche gefüttert wurden. Alles wurde ausprobiert, und am Ende glaubten Lotti und ich sogar, dass wir inzwischen alles besser konnten als die Erwachsenen.

Ich war eine große Katzenfreundin, solange ich denken kann, waren Katzen meine liebsten Spielgefährten. Wir wohnten damals an der Hauptstraße in einem Doppelhaus. Ein Vorgarten grenzte an den Bürgersteig, ein Stück davon war überdacht und abgeteilt, so dass eine schöne Sitzecke mit Tisch vorhanden und kein Einblick von außen möglich war. Rundherum war die Laube mit wilden Kletterrosen bewachsen, ein sehr schöner Fleck, besonders für uns Kinder. Autos fuhren damals kaum, wir konnten auf dem Bürgersteig seilspringen, Ball werfen und einiges mehr, ohne dass Gefahr bestand.

Unsere Wohnung lag gegenüber der katholischen Kirche. Großmutter war sehr darauf bedacht, dass ich sonntags mit ihr in die Kirche ging, auch einmal wochentags in die Morgenandacht, ehe ich zur Schule musste. Das Aufstehen fiel mir immer sehr schwer und oft wünschte ich mir dann, Oma wäre nicht so fromm. Sie achtete streng darauf, dass ich morgens und abends betete. Wenn sie einmal nicht dabei war, kam bestimmt die Frage an mich, ob ich gebetet hatte. Verneinte ich, so wurde es nachgeholt oder ich wurde damit bestraft, dass ich das versprochene Stück Schokolade nicht bekam.

Oft lief ich mit Oma über die Rheinbrücke in die Schweiz zum Einkaufen. Man konnte damals täglich 100 g Bohnenkaffee ohne Zoll einkaufen, den trank Oma immer sehr gerne. Mir nähte sie für diese Einkäufe einen Pompadour-Beutel, den ich wie eine Handtasche tragen konnte. Beim Einkauf bat ich Oma immer um mein geliebtes Schokoladenstängeli, schön verpackt in farbiges Stanniolpapier, so groß wie eine Zigarre, was sie auch immer gewährte. Es kam dann in meinen Beutel, den ich am Zoll stolz öffnete. Doch einmal, als ich auf die Frage des Zöllners, ob ich etwas in dem schönen Beutel hätte, mit »Ja« antwortete, forderte er mich auf, den Beutel zu öffnen, damit er es überprüfen konnte.

»Aber da ist ja gar nichts!« Mit Tränen in den Augen sah ich Oma an und fragte sie, ob sie wisse, wo mein Stängeli geblieben sei. Sie meinte ungerührt:

»Das ist bestimmt abhanden gekommen, sicher hast du das Beten vergessen.« Ich schwieg den ganzen langen Weg und bemühte mich, meine Tränen zu unterdrücken. Zu Hause angekommen, meinte Oma, während sie ihre kleinen Einkäufe auspackte:

»Weißt du, wir sehen morgen früh einmal nach, ob dein Schutzengel über Nacht etwas in den Küchenschrank gelegt hat. Du musst nur vor dem Schlafengehen fest beten, dann finden wir es bestimmt.« Was hab ich innig mein Nachtgebet gesprochen, kaum geschlafen und am Morgen den Herrgott gebeten, er möchte doch einen Engel schicken – mit meinem Stängeli. Ich wagte nicht, nach dem Küchenschrank zu sehen, wo Oma das Fach mit dem Kaffeegeschirr öffnete.

Sie meinte so leichthin, dass sie mich habe beten hören, nun wollten wir nachsehen, ob im Schrank auch etwas für mich sei. Ich konnte es nicht fassen, meine Gebete waren erhört worden: mein Stängeli strahlte mich an. Ich war selig, trotz des Bewusstseins, dass nichts umsonst ist. Für alles im Leben musste man etwas tun und in diesem Fall: beten und gehorsam sein. Mein Glaube wurde neu gestärkt, meine täglichen Gebete nicht mehr vernachlässigt. Meinen Puppen erzählte ich das Erlebte und versprach ihnen, bestimmt nicht so streng zu ihnen zu sein wie Oma zu mir.

Meinen leiblichen Vater bekam ich in all den Jahren kaum zu sehen. Wenn er einmal kurz aufkreuzte, wurde er ebenso schnell wieder verabschiedet. Er war für mich ein Fremder, dem ich mit Abstand begegnete. Wenn ich einmal wagte zu widersprechen, wurde mir gedroht, dass mein Vater käme und mich mitnehmen würde, dann gäbe es bestimmt härtere Strafen. Inzwischen hatte mein Vater wohl geheiratet, ich hatte einen Halbbruder und eine Halbschwester. So wurde ich ängstlich und befürchtete, dass man mich eines Tages weggeben würde. Ich wagte oft nicht, allein zum Bäcker zu gehen, der ganz in der Nähe seine Backstube hatte und wo ich mir gelegentlich ein Milchbrötchen holen durfte oder ein süßes Teilchen. Hinter jedem Strauch, hinter jeder Haustür sah ich meinen Vater lauern mit der Absicht, mich nach Hamburg mitzunehmen, wo er mit seiner Familie lebte. Ich gab mir alle Mühe, ein braves Kind zu sein, nicht zu fluchen oder Streiche auszuhecken, wie ich es gerne mit anderen Kindern getan hätte.

Wenn abends um 18:00 Uhr die Kirchenglocken läuteten, ließ ich alles stehen und liegen, um der Anweisung meines Großvaters nachzukommen, dass es Zeit für Kinder sei, ins Haus zu kommen. Großvater konnte mich auch sehr verunsichern. Wenn ich auf seine Frage nach den Schulaufgaben stotternd antwortete, sah er mich an und sagte ernst: »Hansli«, so nannte mich Großvater immer, weil er gerne selbst noch einen Sohn gehabt hätte, »du schwindelst ja!«

»Nein, Großvater, bestimmt nicht, ich sage die Wahrheit.«

»Hansli, auf deiner Stirn steht aber geschrieben, dass du schwindelst.« Heimlich ging ich zu einem Spiegel, um zu sehen, ob er wirklich von meiner Stirn, manchmal auch von der Nasenspitze, ablesen konnte, dass ich (aber nur ein bisschen) geschwindelt hatte. Trotz aller Anstrengung konnte ich nie so etwas feststellen. Davon abgesehen war Großvater mein bester Freund. Ich habe es, solange er lebte, immer gespürt, wenn er es auch nicht deutlich zeigen konnte. Wenn es aber passierte, dass mir Unrecht geschah, setzte er sich für mich ein. Dafür half ich ihm auch bei der Arbeit. Mit einem Leiterwagen fuhr er immer zur Kohlenhandlung, um Briketts, Kohlen und Feuerholz zu kaufen. Stets war ich mit dabei. Auf dem Heimweg sagte ich ihm, dass ich nun alleine die Kohlen nach Hause ziehen wolle. Sah ich doch genau, wie sehr er sich abmühte beim Einsacken und Aufladen. Ernst versicherte er mir, dass er mir nur die kleine Anhöhe von dem Lager bis zur Straße helfen würde, dann aber den Griff festhalte, um den Leiterwagen zu steuern, denn beides könne ich nicht, dazu sei ich noch zu klein. Außerdem wolle er auch eine Kleinigkeit beitragen. Zu Hause erzählte er Großmutter, dass ich ganz alleine die Kohlen gezogen hätte, er sei nur der Steuermann gewesen. Was war ich stolz und froh darüber, Großvater diese schwere Arbeit abgenommen zu haben!

Im Garten hatte ich mein eigenes kleines Beet, immer gab Opa mir von seinen Salatpflanzen und anderen Setzlingen ab. Eine kleine Gießkanne und kleine Gartengeräte gehörten auch zu meiner Ausstattung. Das Beet und meine Geräte musste ich selbst pflegen, Opa nahm sie nach der Gartenarbeit unter Kontrolle und lehrte mich so, die Dinge in Ordnung zu halten. Für alles hatte er einen Spruch, in diesem Fall sagte er mir:

3

Meine Kindheit verlief behütet, ich fühlte mich geliebt von der großen Familie. Obwohl ich von zartem Wuchs und sehr feingliedrig war, war ich doch gesund und ging gerne zur Schule. Mein roter Kater Mumpi begleitete mich oft bis zum Eingang, und meine Freude war groß, wenn mein vierbeiniger Freund nach Schulschluss an der Straßenecke auf mich wartete. Dann ging ich in die Hocke, mein Kater kletterte auf meinen schönen Schulranzen, legte sich der Länge nach darauf, sodass sein Kopf links mit meinem Gesicht Kontakt hatte, der Schwanz hing rechts über meine Schulter, und ein riesiges Schnurrkonzert begann. Oma nahm uns oft an der Straßenkreuzung in Empfang. Wir hatten von der Schule nach Hause einen Weg von etwa sechs Minuten, sie war jedoch besorgt, dass das Gewicht des Ranzens mit dem Kater für mich zu viel sein könnte, was natürlich nicht stimmte.

Schon Anfang des neuen Jahres belauschte ich manchmal Gespräche der Erwachsenen, die besorgt über die Zukunft sprachen. Obwohl man bedacht war, dass ich von allem nichts mitbekommen sollte, spürte ich doch ihre Unruhe. Aber ich hatte ja Seppel, er war mein bester Freund. Soweit ich es im Nachhinein abschätzen kann, muss er etwa 22 Jahre alt gewesen sein. Er war der Cousin meiner Mutter und meiner Tanten. Seine Mutter war die jüngste Schwester meines Großvaters, verheiratet mit einem Handwerker. Die Familie betrieb eine Bau- und Möbelschreinerei, und sie hatten zwei Söhne: Friedhelm, der ältere, und Seppel, der jüngere von beiden. Er hieß eigentlich Joseph, genannt nach Großvater, der sein Patenonkel war. Seppel nannten wir ihn. Immer, wenn er zu uns kam, trug er seine Traditionskleidung: schwarze Cordhose, Weste, weißes Hemd und einen großen, schwarzen Hut. Soweit ich mich erinnern kann, hatte er auch im linken Ohr einen Ohrring. Meine Großeltern und seine Cousinen mochten ihn alle sehr gerne. Wenn er bei uns war, nahm er oft ein Blatt Papier und zeichnete mich, meist sitzend.

Er war immer auf dem Laufenden, was mich und die Schule betraf. Einmal hörte ich ihn zu Großmutter sagen, dass er gehört habe, ich sei die Zweitbeste in meiner Klasse. Ich war gerade im zweiten Schuljahr.

Er konnte so herrlich singen und ging heimlich auf die Musikakademie in Basel. Nur meine Großeltern wussten davon, aber irgendwann kamen seine Eltern dahinter, verboten es und kürzten ihm den Lohn derart, dass er das Studium nicht mehr finanzieren konnte. Das Drama nahm seinen Lauf: Seppel erhängte sich am Rheinufer an einem Baum, seine eigene Mutter entdeckte ihn. Von nun an war für uns die Welt nicht mehr in Ordnung. Es war wie ein Beben, das auch unser Leben aus der Bahn warf. Zunächst begriff ich das Ganze nicht, wie konnte Seppel mir das antun? Und warum überhaupt? Er hatte doch uns, wir waren eine Familie. Eine tiefe Traurigkeit befiel mich, nichts konnte mich aufheitern, nicht einmal meine Mutter, die zur Beerdigung kam. Ich glaube, ich habe nur wenig Notiz von ihr genommen. Selbst das neue Kleid, das sie mir mitbrachte, konnte mich nicht begeistern, zumal Oma mir viel schönere Kleider nähte. Tante Ines meinte bei näherer Betrachtung, dass sie wenigstens den Preis hätte abnehmen können. Was ich brauchte, war Trost. Das Beisammensein mit meiner Mutter war von Unsicherheit und Verlegenheit geprägt, dabei verbarg sich aber in mir eine Sehnsucht nach ihr, nach Zärtlichkeit, die unerfüllt blieb. Es gibt kein Wort, dass das Gefühl ausdrücken kann, das ein Kind empfindet ohne Mutterliebe. Nach ihrer Abreise entstand eine Leere in mir, die nicht zu beschreiben ist. Der plötzliche Tod, das Kommen und Gehen, mir war so, als wäre ein Teil des Himmels eingestürzt. Von nun an sollte sich vieles in unserem Leben ändern.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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