... also nachm Regenbogen um sechs Uhr abends - Victoria Suffrage - E-Book

... also nachm Regenbogen um sechs Uhr abends E-Book

Victoria Suffrage

4,8

Beschreibung

Demenz, Alter, Verlust ... mit ihrem Buch nimmt sich die Autorin Victoria Suffrage schwieriger Themen an. Dennoch besticht das Buch durch seine Leichtigkeit und einen tiefsinnigen Humor. Mit dem Witwer Paul und dem Altenpfleger Alex zeichnet sie liebevolle Figuren, authentisch und nah. Klappentext: "Melde gehorsamst, ich bin blöd, Herr Oberlajtnant." ... meint Paul, knapp an die achtzig, mit Sonnenschein im Herzen und manchmal auch im Kopf. Obwohl das Leben ein Arschloch ist. Muss ja weitergehen, irgendwie. Seine Frau Lissy ist gestorben, wartet auf ihn "nachm Regenbogen um sechs Uhr abends". Und die 43-jährige Tochter schreit. Fast immer. Besonders, wenn Nuschi nicht da ist, das Katzenviech. Könnte er aushalten, gäbe es nicht die teuflische Nachbarin. Oder ist sie der siebenköpfige Drache? Wenigstens ist da Alex, sein Winnetou und Altenpfleger mit Hingabe und Humor. Dann ist Nuschi weg und es bleiben nur noch zwei Tage, bis Alex für immer gehen will. Paul und Alex machen sich auf. Mit einer Kühltasche. Eine Abschiedsreise nach Prag zur Moldau? Unterwegs lernen sie einen Tschechen kennen, den falschen "Gott". Wird es die letzte Reise sein? Weiß Vojtech die Antwort auf alle Fragen, und welches Geheimnis bedrückt Alex?

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Inhaltsverzeichnis

Vorspann

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Abspann

Vorspann

»Hach Dieter Paul Rudolph, ich erschieß Sie, Sie Vieh, Sie Rind, Sie Ochs …«

Unser Film hatte gerade erst begonnen und du hast dich, ohne ein Wort, auf den Weg zum Regenbogen gemacht. Das als Meister der Worte …

Keine Zeit für ein Sbohem.

Keine Zeit für ein Danke – durch mich.

Noch nicht mal Zeit für einen Underberg, einen Plan …

Wir sehen uns also nachm Regenbogen um sechs Uhr abends.

Dann musst du mir erzählen, ob Elsa, Claudia, Michael und ich das Buch gerockt haben. Trübsal willst du sicher nicht. Und, ob O. M. Gott der Vojtech gefällt.

Ich vermisse dich,

Victoria

Kapitel 1

Da sitzt jemand mitten im Wohnzimmer. Direkt unterm Kirschbaum, der in voller Blüte steht und den Sommer verkündet. Ich kneife die Augen zusammen und trotze der blendenden Sonne. Es ist meine Frau, es ist Lissy. Ich erkenne es an den Zehen, die unter ihrem Rock hervorblitzen. Wie Krokodilzähne.

»Erinnerst du dich an unser Gespräch? Weißt du, wie spät es ist?«

Ihre Frage kommt unerwartet und ich suche nach einer Uhr. Das ist absurd. Meine Lissy ist hier und ich suche nach einer Uhr. Ich will zu ihr hin, sie in die Arme schließen. Warum finde ich eigentlich den Kirschbaum nicht absurd?

Oh, Lissy ist zu mir gekommen, sitzt jetzt vor mir und hat den Kopf erwartungsvoll in meine Richtung gedreht. Ihre Lippen bewegen sich tonlos und hauchen mir Erinnerung ein.

»Liebes, wenn wir dann nicht mehr genug Atem haben, meinst du, wir gehen zusammen?«

Lissy wiegt den Kopf und verzieht ihren Mund zu einem Schmunzeln. Ich möchte ihr gern einen Kuss geben, aber dann kann sie mir nicht antworten.

Wahrscheinlich ist das auch unschicklich in unserem Alter.

»Ach, Paulchen, mein Herz. Was sind das für trübe Gedanken? Sicher gehen wir zusammen.« Sie greift nach meiner Hand und dreht dabei das Gesicht weg. War das eine Träne in ihrem Auge? Nur im linken Auge?

»Mein Liebes.« Ich drücke Lissys Hand, bevor ich sie sanft näher ziehe. Die Hand und Lissy. »Weißt du, ich kann mir nicht vorstellen, nur eine Minute ohne dich zu sein. Aber …« Wie soll ich jetzt weiterreden, das Unaussprechliche sagen? Lissy schaut mich an, ich sehe an ihrem Blick, dass sie es schon längst weiß, meine Worte, die ich noch suche, zusammengefügt und erraten hat. Trotzdem weicht sie mir nicht aus. Sie wartet, dass die Frage aus meinem Mund kommt.

»Aber was wird dann mit Ela? Kommt sie mit uns mit?« Ich kann sie nicht länger ansehen, weiß, wie sehr ich mich mit meinen Gedanken versündige. Unsere Hände sind fest verschmolzen und Lissy drückt meine Hand stärker. Das hilft gegen das Schweigen, das seit meiner Frage den Raum füllt.

»Einer von uns wird bei Ela bleiben und bringt sie später mit. Es sind nur Raum und Zeit, die uns trennen. Eine kleine Weile sind wir bloß halb zusammen, eine kleine Weile.«

Halb zusammen? Das ist mehr als gar nicht. So ist sie immer, meine Lissy, seit ich sie liebe. Sie weiß alle Antworten, ohne dass ich die Fragen kenne.

»Aber wie sollen wir uns dann finden?« Es gelingt mir nicht, meiner Stimme einen gleichgültigen Klang zu geben. Nicht heute. Vielleicht wäre es mir gestern gelungen, als wir noch nicht im Krankenhaus waren und die Tatsache noch eine Bedrohung, von Hoffnungsfäden umsponnen. Als es ›ein paar Wochen, vielleicht auch Monate‹ noch nicht gab. Dabei muss ich doch jetzt stark sein für Lissy und nicht so ein Jammerlappen. Ich traue mich ja noch nicht einmal, ihr in die Augen zu schauen.

Sie lacht. Wieso lacht sie denn jetzt? »Nachm Regenbogen um sechs Uhr abends?«

»Was meinst du, Lissy?« Ich verstehe nicht, was sie so erheitert, verstehe ihre Antwort nicht.

»Hach, Paul, Jesusmaria, Himmelherrgott, ich erschieß Sie, Sie Vieh, Sie Rind, Sie Ochs, Sie Idiot, Sie. Sind Sie so blöd?« Lissy lacht weiter und bekommt sich gar nicht mehr ein. Die achtundachtzig Jahre sind aus ihrem Gesicht verschwunden und kriechen mit Lissys Heiterkeit unter meine Haut, Millimeter für Millimeter, und ich schaue dabei zu.

Endlich fällt es mir ein, wie konnte ich das nur vergessen! Schwejk. Ich darf mir jetzt nicht anmerken lassen, dass es mir nicht gleich eingefallen ist. Sonst macht sich Lissy noch Sorgen, sie meint zu oft, dass ich vergesslich bin. Knoblauch soll ich essen, sagt sie immer. Oder Kräuter, deren Namen ich mir nun wirklich nicht merken kann. Meinen Underberg lässt sie nicht gelten, deshalb trinke ich den lieber heimlich. Immer nachmittags um drei Uhr hole ich mir ein Fläschchen aus dem Versteck hinter dem Plattenspieler.

»Melde gehorsamst, ich bin blöd, Herr Oberlajtnant.« Ich lache auch, so gut ich kann. »Das ist ein guter Plan, Lissy. Ein sehr, sehr guter Plan. Nachm Regenbogen. Um sechs Uhr abends. Lissy …«

Wo ist sie denn jetzt hin? Zweimal, dreimal kneife ich die Augen zusammen, es hat keinen Zweck. So was wirkt nur in einem Film. Alles ist so, wie schon die letzten fünfundvierzig Jahre. Nein, stimmt nicht. Dann wäre Lissy hier, so wie eben.

Mein Kopf, wozu habe ich den, wenn mich jetzt schon meine Gedanken zum Narren halten? Vielleicht wird es besser, wenn ich mich aufsetze. Das müsste nur mal jemand meinen alten Knochen sagen. Gestern, oder war es vorgestern?, habe ich noch daran gedacht, mich lieber nicht mehr aufs Sofa zu legen. Es dauert so lang, bis ich mich da aufrichten kann. Und wenn Ela schreit, dann muss ich mich beeilen. Sonst haut die Nachbarin von unten an die Decke oder steht, wenn es ganz schlimm kommt, direkt vor der Tür.

Der Sessel wäre ideal und auch nicht unbequemer als das Sofa.

Ich sollte bei Ela im Zimmer schlafen, aber das schickt sich nicht. Sie ist ein großes Mädchen, ein zu großes Mädchen, um mit ihr das Schlafzimmer zu teilen.

Endlich sitze ich. Jetzt kann ich auch die Brille nehmen. Sie liegt auf dem Tisch, direkt neben dem Bild von Lissy und dem Telefon. »Guten Morgen, Lissy, Liebes.« Ich hauche ihr einen Kuss zu. Das ist nicht so albern, wie das Bild zu küssen. So jung sind wir ja nun auch nicht mehr.

Verdammte Knochen. Ich kann nachzählen, ob noch alle da sind, muss nur überlegen, wo es mir überall wehtut. Brauche ich aber nicht, wer sollte mir schon einen Knochen wegnehmen. Die sind genauso alt und morsch wie der Kirschbaum im Vorgarten, auf dem die Nuschi so gern liegt. Ich sag der immer wieder, die soll nicht auf den Baum, aber dieses Katzenvieh hört einfach nicht. Der Alex hat wohl recht, die ist eine Streunerin, und die sonnen sich am liebsten, wenn sie nicht die Gegend erkunden. Und wer ein Streuner ist, der bleibt ein Streuner. Wenigstens kommt sie abends immer heim, sonst kann die Ela nicht schlafen.

Da ist ja meine Brille. Ich glaube, ich muss mich beeilen, ich muss auf meinen Zettel schauen. »Schreib dir alles auf, Paul.« Das hat die Lissy immer gesagt. Diese blöde Brille ist so begrapscht.

Die Ela war gestern wieder so wild und hat um sich geschlagen, es wird immer schwerer, dass sie abends schläft. Aber das Kind kann nichts dafür, die Nuschi kam so spät. Wieder und wieder habe ich gerufen, zart zuerst, »miez, miez, miez«, dann wütend. Nuschi hat sich nicht gerührt, nur der Nachbar oben hat geschrien, dass alles nach Katzenpisse stinken würde. Er hat einfach kein Benehmen, er sagt auch Balg zu Ela. Wäre ich jünger, würde ich ihm eine Ohrfeige verpassen. Jedes Mal! Aber dann wäre auch Lissy da und würde mich davon abhalten. Sie ist immer so vernünftig.

Alex hat gesagt, ich solle so komische Geräusche wie »zsssss zssss« machen. Es sah lustig aus, wie er dabei den Mund verzogen hat, die Oberlippe hat fast seine Nase berührt. Für mich ist das nichts. Innerlich habe ich gesehen, wie meine Dritten beim Katzenrufen aus dem Fenster geflogen sind. Das habe ich dem Alex natürlich nicht gesagt. Aber gelacht habe ich.

Ich glaube, Ela wird wach. Da ist schon dieses leise Stöhnen von ihr, es dauert sicher nicht mehr lang. Was steht auf dem Zettel?

Pflegedienst, 7.00 Uhr morgens, 19.00 Uhr abends, Montag bis Freitag.

Pflegedienst, 7.30 Uhr morgens, 18.30 Uhr abends, Samstag und Sonntag.

Man kann auch mit einer dreckigen Brille lesen. Und mit dreckigen Ohren hören. Warum kann man mit einem dreckigen Gehirn nicht denken?

Ich ziehe mein Unterhemd etwas aus der Hose und putze die Gläser. Wenn Lissy das sehen würde, dann gäbe es Ärger. »Nimm dein Taschentuch, dafür ist es da!« Genau das hat sie immer gesagt und ich habe ihr nicht widersprochen. Jeden Tag hat sie mir ein frisch gebügeltes Taschentuch hingelegt. Fünfundvierzig Jahre lang. Das ist lustig. Genau fünfundvierzig Jahre lang habe ich mich nie getraut, in mein Taschentuch zu schnäuzen. Weil ich es für die Brille brauchte. Ich muss das unbedingt Lissy erzählen, wenn wir wieder zusammen sind. Dort wird es keinen Schnupfen geben.

Ela wird immer lauter. Sie darf nicht schreien, ich muss mich beeilen. Ist heute nun Freitag oder Samstag? Wenn die Tage nur nicht so gleich wären, dann könnte man sie einfacher auseinanderhalten. Ich zähle jetzt bis drei und dann stehe ich auf. Auf der Sofalehne aufstützen, auf dem Sessel und dann habe ich schon meinen Rollator. Wenn ich erst wieder laufe, geht es auch besser. Mit achtundsiebzig Jahren kann ich froh sein, dass ich noch so mobil bin. Hat mein Hausarzt gesagt, der ist ja erst Anfang dreißig. Ich würde ihn gern in fünfzig Jahren noch mal fragen.

Kapitel 2

Jetzt klopft es doch an der Tür, ich habe es befürchtet. Dabei hat Ela gar nicht geschrien. Bestimmt bin ich zu laut mit dem Rollator. Der Alex muss die Reifen mal wieder aufpumpen, dann geht er leichter. Nur kann ich ihn schlechter halten, weil er so schnell ist. Aber wenigstens störe ich nicht. Ela und ich brauchen keinen Ärger.

Ich bleibe jetzt einfach stehen, bis es nicht mehr klopft.

»Herr Riemenschneider, ich bin es, Alex.«

Als Erstes schaue ich auf die Uhr an der Wand über dem Plattenspieler. Es ist kurz nach halb acht. Also ist heute Samstag oder Sonntag. Wenn Alex nicht verschlafen hat. Er ist ein junger Kerl, der will abends noch tanzen gehen.

»Hast du verschlafen, Alex?« Mal schauen, was er antwortet.

»Nein, es ist doch Samstag, da komme ich immer eine halbe Stunde später.«

Es ist also Samstag. Das muss ich mir unbedingt auf den Zettel schreiben und mir jeden Tag einen Strich machen. Wie Robinson Crusoe auf seiner Insel. Wenn ›die‹ noch mal kommen, dann fragen sie mich sicher danach. »Zeitlich orientiert« oder so haben die das genannt. Es ist schon seltsam, dass man mit knapp achtzig nur noch für voll genommen wird, wenn man die Uhr und den Kalender kennt.

Früher hatten Lissy und ich immer Abreißkalender. Da stand jeden Tag auf der Rückseite ein Spruch oder eine Bauernregel. 1973 hatten wir einen mit Bibelsprüchen, den fand Lissy auch gut, obwohl sie »mit dem da oben keinen Vertrag hat«, wie sie immer sagt.

An Elas Geburt stand auf dem Blatt:

Lasset die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen. Epheser, 4, 26.

»Herr Riemenschneider …«

»Ich komme schon, erst muss ich meine Freundin im Schrank verstecken.«

Ich kann das Lachen des Pflegers hören, während ich zur Wohnungstür schlurfe. Früher hat es Lissy und mich gestört, dass das Wohnzimmer ein Durchgangszimmer zu allen Räumen ist und man von der Wohnungstür aus direkt darinsteht. Jetzt bin ich froh darüber.

Zweimal drehe ich den großen Schlüssel in dem alten Kastenschloss herum. Bevor ich die Kette löse, öffne ich die Tür einen Spalt und schaue hinaus in das Treppenhaus.

»Gesichtskontrolle bestanden, Herr Riemenschneider?«

»Ausnahmsweise. Die Rasur ist miserabel.«

Wieder lacht Alex auf, bestimmt krault er sich dabei seinen Vollbart, wie er es meistens macht, wenn er lacht. Ich schiebe den Verschluss der Kette nach oben. Heute geht das einfach und schnell, sieht aus, als würde das ein guter Tag.

»Sie sollen sich doch nicht immer so einschließen. Wenn Sie nachts mal Hilfe brauchen, dauert es viel zu lang, bis man in Ihrer Wohnung ist.« Der Alex will streng klingen, ich spüre aber, dass es nicht so ist. Da ist etwas anderes, Fürsorge vielleicht. Nicht so wie bei Ellen, die abwechselnd mit Alex kommt. Ich mag sie nicht. Ela auch nicht. Bei ihr schreit die Kleine nicht, sie wimmert nur ängstlich. Sie spürt, wenn jemand böse ist.

»Was soll schon passieren, Alex?« Ich weiß, dass er recht hat, deshalb will ich nicht darüber sprechen. »Wollen Sie einen Kaffee?«

Der Junge lächelt und zieht seine Jacke aus. Darunter hat er einen grünen Baumwollkittel und eine passende Hose. Wie selbstverständlich holt er ein rotes T-Shirt aus seiner Tasche und zieht es darüber. Ela mag, wenn es bunt ist. Sie war in ihrem Leben so oft im Krankenhaus, dass sie Farben braucht. Rot ist ihre Lieblingsfarbe. Alex ist ein Engel.

»Ich kümmere mich erst mal um die Prinzessin. Wenn dann noch Zeit ist … Ach was, danach habe ich fünf Minuten. Ohne Ihren Kaffee überstehe ich den Tag nicht.« Alex wartet nicht, bis ich etwas gesagt habe, sondern verschwindet im Schlafzimmer.

Durch die Tür höre ich Ela glucksen. Sie hat Alex erkannt und freut sich. Während ich zur Küche schlurfe, um die Kaffeemaschine zu befüllen, höre ich, wie die Schlafzimmertür abermals geöffnet und wieder geschlossen wird. Sekunden später steht Nuschi vor mir und maunzt mich an.

»Na, du Viech. Erst schläfst du bis in die Puppen und jetzt kann es dir nicht schnell genug gehen.«

Nuschi beeindrucken meine Worte nicht. Dabei weiß ich genau, dass sie mich versteht. Sie schnurrt, läuft Achten durch meine Beine und erwartet, dass ich sie streichle. Soll sie doch erst in mein Alter kommen, dann hat sie solche Ideen sicher nicht mehr.

»Später, Nuschi, wenn ich sitze. Dann kannst du auf meinen Schoß und deine Streicheleinheiten abholen.« Jetzt hat sie mich wieder verstanden, denn sie geht auf die Ablage an der Seite und springt hinauf, direkt vor ihren Napf.

»Miau. Miau.«

»Du musst mich nicht so hetzen. Erst der Kaffee und dann du!«

Ich lasse den Rollator stehen und hangle mich an der Küchenplatte zu Nuschi. Das Futter ist im Schrank direkt über dem Napf, so kann ich es mir leicht merken. Je näher ich komme, desto schneller bewegt sich Nuschis Schwanz. Sie ist so verfressen. Ich will sie nicht beleidigen, aber eine gute Mäusejägerin kann sie nicht sein.

»Gleich, Nuschi, ich bin ja schon da.«

Eigentlich wollte ich keine Katze. Oder war es Lissy, die keine Tiere wollte? Ich weiß es nicht mehr genau, ist aber egal. Lissy hat immer gewollt, was ich will und umgekehrt war es auch so.

Alex hat damals das Viech mitgebracht. Heimlich, wie er sagte, denn eigentlich darf er das nicht.

»Die können Sie gleich wieder mitnehmen, ich komme kaum mit Ela und mir über die Runden«, hatte ich sofort gesagt.

Leider oder Gott sei es gedankt zu spät, denn Alex hatte sie schon freigelassen und Nuschi stolzierte neugierig durch die Wohnung. Normalerweise, so erklärte mir Alex, verstecken sich die Tiere unter dem Sofa oder dem Schrank – nicht aber Nuschi. Ganz selbstverständlich erkundete sie jede Ecke, als würde sie feststellen wollen, ob ihr die neue Behausung zusagte.

»Jetzt packen Sie das Viech doch endlich ein«, hatte ich Alex angeschrien. Es tut mir jetzt noch leid.

Meine laute Stimme weckte Ela und sie fing auch an zu schreien, nur anders. Sie kann nicht reden, nicht so wie ich und Lissy. Alex lief sofort ins Schlafzimmer, Nuschi hinterher. Und dann passierte das Wunder. Die Katze legte sich an die Kleine und Ela war sofort still. Sie schaute nur noch mit großen Augen und lächelte. Bestimmt war das ein Lächeln. Und Nuschi schnurrte. Damit war sie eingezogen.

»Miau!«

»Ich mach ja schon, Nuschi. Ich muss doch nur die Dose zu fassen bekommen.«

Ich stütze mich auf der Küchenplatte ab, das hilft, auf die Zehenspitzen zu kommen. Gleich habe ich sie. Meine Finger sind schon dran. Noch ein wenig. Noch … Da kippt die Dose und kommt auf mich zugeschossen. Ich will danach greifen, mit der linken Hand … daneben.

»Herr Riemenschneider, Herr Riemenschneider, Paul!«

Es ist Alex’ Stimme. Sie klingt wie in Watte gehüllt, wird lauter.