Am Ende wartet die Serenissima - Alexander M. Newfield - E-Book
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Am Ende wartet die Serenissima E-Book

Alexander M. Newfield

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Beschreibung

Als Mark de Winter gerade seinen Kaffee auf der Terrasse des Hotels Martinez in Cannes trinken wollte, riss in jäh eine Stimme aus seinen Gedanken: „Hey Champion! Komm steig ein! Zeit ist Geld! Und ich habe wenig Zeit!“ Sofort sprang er auf, lief an die Balustrade und da sah er ihn: Ein mittelgroßer Mann mit einer Narbe im Gesicht der massiv gestikulierend auf einen anderen einredete. Kurze Zeit später fuhren beide mit hohem Tempo weg. Mark de Winter blieb völlig konsterniert stehen, denn das was er soeben gesehen hat war völlig unmöglich. Der Mann mit der Narbe war sein früherer Geschäftspartner, der ihm seine Firma fast in den finanziellen Abgrund gestürzt hätte. Das unglaubliche aber war, dass es diesen Kerl noch gab, obwohl dieser vor Jahren ein Seilbahnunglück in Österreich nachweislich nicht überlebt hatte.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Ähnliche


Inhaltsverzeichnis

Hinweis des Autors

1

Die Bergbahn

2

Das Feuer

3

Die Tasche

4

Weihnachten in Venedig

5

Einige Jahre später

»Bene, dann beende ich hiermit die Konferenz und bedanke mich für die ausgezeichnete Vorbereitung und Durchführung. Ich wünsche allen Anwesenden gute Erfolge bei den anstehenden Beratungen.«

sprach Mark de Winter, erhob sich mit diesen Worten vom Konferenztisch und verließ den Raum mit den weiteren Teilnehmern.

It’s wonderful

6

Die Drei Zinnenhütte

7

Mario

8

Christopher

9

Das Labyrinth

4

In Frankfurt

5

Monate später oder der Anruf in Irland

6

Das Treffen in Südfrankreich

...ein Traum ... an meinen lieben Freund!

8

Die Suche

*

*

9

Die Vergangenheit kehrt zurück

10

Das Abendessen

11

Venedig

12

Die Erkenntnisse

13

Das Chateau

14

Die Veröffentlichung

15

Der Anruf

16

Wieder in Venedig oder am Ende wartet die Serenissima

17

Das Wiedersehen

18

Der Unbekannte unterwegs

19

Santa Maria della Salute

20

Zurück an den Campo San Polo

21

Nebel in Venedig

22

Das Wiedersehen

Impressum

Hinweis des Autors

Die Romanhandlung ist ein fiktionales Werk. Sämtliche Personen, Namen, Ereignisse und Dialoge sind Produkte der Fantasie des Autors und sollten nicht als real bezeichnet werden. Auch wenn tatsächliche historische Ereignisse oder real existierende, bzw. verstorbene Personen erwähnt sind, ist der Kontext, in dem sie stehen, rein fiktional und frei erfunden und lässt keine Rückschlüsse irgendwelcher Art zu.

Der Autor

1

Die Bergbahn

Der Tag, der alles verändern sollte, kam an einem Samstag. Die Sonne strahlte an diesem Tag so makellos blau über die Alpen, dass jeder Skifahrer und Snowboarder, die die wilde Romantik des Hochgebirges liebten, sofort Lust verspürten, so schnell wie möglich in die nahegelegen Berge zu kommen.

Mindestens einmal im Jahr geht es am Kitzsteinhorn, Österreichs ältestem Gletscherskigebiet am Alpenhauptkamm in dreitausend Meter Höhe, rund einhundert Kilometer von Salzburg entfernt, besonders ausgelassen zu. Bei kristallklarer Luft und perfektem Pulverschnee kann sich jeder Wintersportbegeisterte mit seinen Skiern ins Tal schwingen. Dabei bieten Großvenediger, in der Ferne die zentrale Glockner Gruppe, der Blick auf den Zeller See, sowie der Stausee von Kaprun ein fantastisches Panorama.

Im dem Wintersportort am Kitzsteinhorn herrschte angesichts des schönen Wetters an diesem Samstag Hochbetrieb. An der Talstation der U-bahnartigen Seilbahn, die sechs Kilometer außerhalb von Kaprun über einen Höhenunterschied von rund 1.500 Metern zum „Alpincenter“ auf 2.450 Meter führt, drängten sich am Morgen gut gelaunte Skiläufer und Snowboarder. Lautes Geplapper, lärmende Kinder, raschelnde Skianzüge, scheppernde Ski und Skischuhe verursachten einen Lärm, dass man teilweise sein eigenes Wort nicht mehr verstand.

Mitten unter ihnen stand er. Fast zwei Meter groß. Kopf leicht gerötet. Das wirre Haar unter einer blauen Skimütze verborgen. Eine dunkle Sonnenbrille verdeckte seine nervös umherblickenden Augen. Das markante Kinn bewegte sich durch das Kauen auf einen Kaugummi stetig auf und ab. Sein Name war: Tom Marlow.

Nach über zwei Jahren begab er sich das erste Mal wieder in die Öffentlichkeit, die er seit eines von ihm betrügerisch vorbereiteten Börsengangs mit einer Investmentfirma mied, bei der seinen damaligen Chef massiv finanziell schädigte.

Der Drang, seine sportliche Energie endlich wieder einmal auf dem Gletscher freien Lauf zu lassen war größer, als die Vorsicht, von Aufsichtsbeamten erkannt zu werden. Auf einem nahen Gendarmerie Revier würde er nach Überprüfung seiner Personalien und wegen eines gültigen internationalen Haftbefehls sofort verhaftet und nach Deutschland abgeschoben werden.

Die Skiausrüstung hatte er sich vor Tagen in einem Sportgeschäft in der Nähe von Salzburg gekauft.

Obwohl er wegen der für ihn ungewohnten Menschenmassen fürchten musste, erkannt zu werden, wartete er mit kaum zu verbergender innerer Anspannung wie die anderen, den Einstieg in die Gletscherbahn ab. Bis zum Betreten der Bahn versuchte er die Leute unauffällig zu studieren, ob ihm irgendein Gesicht bekannt oder ob er selbst Jemanden bekannt vorkommen könnte.

Kurz vor neun Uhr fuhr endlich die Bergbahn in die Talstation ein. Nach quietschendem Halt öffneten sich die automatischen Türen und er stieg mit vielen anderen, ungeduldig wartenden Skifahren und Snowboardern ein. Sogar einen Sitzplatz erkämpfte er sich unweit der Schiebetüren. Neben ihm nahm, ebenfalls ein Skifahrer Platz. Den er vorerst nicht weiter beachtete. Die Türen schlossen automatisch und die bis auf den letzten Platz besetzte und übervolle Bergbahn setzte sich zügig, in Richtung der Bergstation in Bewegung.

Obwohl die Aussicht auf einen schönen Tag bei ihm noch vorherrschte, erfasste ihn nach wenigen Augenblicken eine seit Jahren nicht mehr gekannte Anspannung. Seine quer über die linke Wange verlaufende Narbe begann unerwartet zu schmerzen. Es stellte sich bei ihm ein Gefühl ein, dass unmittelbar ein unangenehmes Ereignis eintreten könne. Er vermutete, dass es auf dem Weg zur Bergstation zu größeren, ihm bisher nicht bekannten Problemen komme könnte. Seine Nervosität steigerte sich. Der Schweiß begann, ihm den Rücken hinab zu laufen.

So eben war der Zug nach einer Strecke von vermutlich vierhundert Metern in das lange Tunnelportal eingefahren. Die Innenbeleuchtung, die anfangs wie gewohnt leuchtete, fing plötzlich zu flackern an. Nach weiteren Sekunden, der Zug hatte nun schon sechshundert hundert Meter des Tunnels passiert blinkte die Innenbeleuchtung noch kurz auf, um dann ganz zu erlöschen. Es war plötzlich dunkel. Abrupt kam nun auch die Bergbahn zum Stehen.

»Gibt’s denn hier kein Notstromaggregat?«

rief ein gereizter Mitreisender. Einige stimmten ihm zu.

Wieder vergingen Sekunden. Dann rief ein anderer Zuggast:

»Ja, was soll das denn jetzt ... verlangen hier eine Menge Geld ... da kann man doch erwarten, dass der Zug wenigstens funktioniert.«

Die Unmutsäußerungen unter den Mitpassagieren wurden lauter.

All die Rufe, die er vernahm, beruhigten ihn nicht. Im Gegenteil, er wurde noch unruhiger und der Ausruf eines weiteren Passagiers brachte ihn fast zur Panik:

»Hier ist Rauch!«

»Das wird schon nicht so schlimm sein, wir sind ja schon recht weit oben!«

entgegnete ein anderer.

Weitere Sekunden vergingen. Der Rauch wurde nicht weniger. Unruhig rutschte er auf seinem Sitz hin und her. Blickte sich mehrmals nervös um. Sollte er aufstehen? Tat es dann aber doch nicht. Seine Fantasie in Bezug auf sich selbst schlug Kapriolen.

»Was ist da bloß los?«

sprach er halblaut zu sich, da er den Brandgeruch bis jetzt nicht wahrnahm:

»Die werden doch nicht den Zug gestoppt haben, um mich zu ...«

Diesen Gedankengang verwarf er jedoch, wegen seiner nicht haltbaren Logik sofort wieder. Da wäre vorher an der Talstation eine viel bessere Möglichkeit gewesen.

Aber jetzt jagte ihm ein viel beängstigenderen Einfall durch seinen Kopf:

»... oder die haben hier einen Stromausfall, dann gehen die Türen aber nicht mehr auf und dann sitze ich hier in einer Falle.«

Angstschweiß trat auf seine Stirn, den er mit seinem rechten Ärmel flüchtig abwischte. Das erste Mal, dass er seine Entscheidung, heute auf dem Gletscher Skizufahren bereute. Fieberhaft suchten seine Gedanken nach einem Ausweg aus dieser Situation. Nur fiel ihm kein geeigneter ein, der seine Lage verbessern könnte.

Immer stärker werdender Brandgeruch, der sich nun auch in seinem Zugabteil bemerkbar machte, verhinderte, in seinen angestrengten Überlegungen zu einem Ergebnis zu kommen.

Plötzlich der angstvolle Ruf von einem weiter vorne im Zugabteil sitzenden Fahrgast:

»Der Zug brennt! Alle raus!«

2

Das Feuer

Sekunden später breiteten sich Flammen und Qualm im oberen Teil der Zugseilbahn aus. Dieses Inferno ebnete sich seinen Weg ebenso rasch in den unteren Bereich der Bahn. Es entwickelte sich eine gespenstische Situation.

Sofort sprang er auf, stieß einige vor ihm stehende Personen rücksichtslos zur Seite und erreichte die Zugtüren. Er griff er nach dem Schalthebel zur manuellen Öffnung der Türen. Der Türmechanismus zeigte keinerlei Reaktion. Ungläubig riss er mehrmals den Hebel auf und ab. Wieder keinerlei Reaktion.

Nun versuchte er in die Gummidichtung fassend, die Türen aufzuziehen. Dies misslang ebenfalls. Panik ergriff ihn. Er blickte sich hektisch um. Da sah er einen in seiner Nähe sitzenden Passagier und riss diesem, ohne zu fragen, dessen Skier aus der Hand. Wütend schlug er mit diesen auf die Glastüren ein. Auch dieses Vorhaben misslang ebenso.

Zwischenzeitlich verstand auch der Letzte der mitfahrenden Reisegäste, dass sich hier eine unmittelbare Katastrophe anbahnte. Augenblicklich brach Panik aus. Viele versuchten die Fenster einzuschlagen oder die Türen aufzubrechen. Der Erfolg stellte sich nur bei Wenigen und wenn, dann auch viel zu weit von ihm entfernt, ein.

Die auflodernden Flammen im oberen Teil warfen mittlerweile ein gespenstisches Licht bis in den unteren Teil des Zuges.

In diesem Tumult bekam er nun ein Snowboard zu fassen und schlug mit einer, für ihn nicht mehr möglich gehaltenen Gewalt gegen die Glastüre. Diese zeigte zwar kurz darauf einige kleinere Risse, aber sie zerbrach nicht. Wiederholt schlug er zu. Ob er dabei auch Mitreisende bei seiner panikähnlichen Reaktion verletzte, er nahm es nicht wahr, zu groß war seine Angst, hier nicht mehr lebend herauszukommen. Die enorme Kraftanstrengung, die er in seine Schläge legte, hatte ihn mittlerweile völlig in Schweiß gebadet. Seine Skimütze hatte er schon lange verloren, ebenso seine Brille. Teilweise war seine Skikleidung eingerissen, sein Haar hing ihm tropfnass ins Gesicht. Er war knapp davor, aufzugeben, als der rechte Teil der zweiteiligen Zugschiebetür einen Sprung quer durch die Scheibe bekam. Wie von Sinnen schlug er darauf ein und endlich, nach vielen weiteren Schlägen zersplitterte die Glastüre.

Sofort ließ er das völlig demolierte Snowboard fallen und sprang, obwohl nun fast völlig entkräftet, auf seinen Platz zurück und rempelte dabei rücksichtslos die dem Ausgang zu stürzenden Passagieren, zur Seite. Bei seinem Platz angekommen, griff er nach einer Sporttasche, bei der er vermutete, es sei seine. Mit dieser Tasche in der Hand drehte er sich sofort um, schlug diese dabei noch jemanden ins Gesicht und wandte sich wieder an den von ihm freigeschlagenen Ausgang zurück, an dem sich nun schon viele Erwachsene und Kinder nach Außen in den Tunnel drängten. Innerhalb von Sekundenbruchteilen sah er noch, wie sich sein Platznachbar ebenfalls mit einer Tasche in der Hand, Passagiere rüde zur Seite schiebend, dem Ausgang zu drehte, um kurz darauf in Richtung der bergwärts befindlichen Bergstation zu verschwinden. Viele Mitreisende folgten und entschwanden ebenfalls in diese Richtung.

Trotz seines rücksichtlosen Vorgehens, verging für ihn endlos viel Zeit, bis er die in der Zwischenzeit nun lichterloh brennende Bergbahn, verlassen konnte.

Instinktiv schlug er als Fluchtweg nicht die bergauf gehende Richtung ein, sondern wählte den Weg bergab in Richtung Tunneleingang. Wohl trug zu dieser Entscheidung sein Unterbewusstsein bei, da er intuitiv abschätzte, es seien nur um die fünf- bis siebenhundert Meter, dann wäre er unter Umständen schon im Freien angelangt.

Der Rauch, der ihm entgegenschlug und die sich immer stärker ausbreitende Hitze wurden für ihn von Schritt zu Schritt unerträglicher. Um die Qualen etwas zu mildern, hielt er sich die Tasche vor das Gesicht und versuchte, dabei die Orientierung in dem Tunnel nicht zu verlieren. Mehrmals stolperte er und fiel auf den Tunnelboden, raffte sich auf, um einige Schritte weiter wieder zu stürzen. Vermutlich lagen Sporttaschen, Skier, der verzweifelt flüchtenden Passagiere verstreut auf dem Boden.

Sein einziger Gedanke bestand nur darin, sich so schnell wie möglich aus diesem Inferno zu befreien. Einige bereits am Boden daliegende und vermutlich schon bewusstlose Zuginsassen interessierten ihn nicht. Der Rauch wurde immer schlimmer, seine Lungen begannen zu schmerzen. Er lief und stolperte, fiel wieder und wieder hin und erhob sich ebenso oft. Die Augen brannten ihm, so dass er diese fast nicht mehr öffnen konnte. Das Atmen fiel ihm immer schwerer. Der Hustenreiz war zu einem Dauerzustand geworden. Auch bemerkte er nicht, dass er sich seine Ellbogen und Kniescheiben schon blutig geschlagen hatte.

Er bekam das Gefühl, es drehe sich alles um ihn. Er war kurz davor, die Orientierung zu verlieren. Rein das Gefälle im Tunnel zeigte ihm noch an, dass es abwärts ging.

Als er in diesem Inferno an das Aufgeben dachte, bemerkte er, dass mit jedem Schritt zuerst die Hitze langsam abnahm und sich dann auch der Rauch zögernd zu verziehen begann, um sich später, wenn auch nur kurzzeitig, zu verziehen.

Nach ihm endlos erscheinenden weiteren Augenblicken erreichte er den Tunneleingang und stolperte ins Freie. Noch einige Schritte schleppte er sich an der Tunneleingangsseite entlang, um dann vor Erschöpfung in den Schnee zu fallen. Sein überhitztes, von Ruß und Rauch geschwärztes Gesicht und seine brennenden Hände, rieb er mit Schnee ein. Die Kühlung tat ihm sichtbar gut. Er kam langsam wieder zu Kräften.

Zögernd erhob er sich. Mehrmals rieb er sich die Augen, das Gesicht und die Haare mit Schnee ab. Außerdem versuchte er den Qualm aus seinen Lungen zu bekommen. Der Hustenreiz verschlimmerte sich.

Zugleich befiel ihn eine Angst, er könnte nun aufgrund der in Kürze eintreffenden Rettungskräfte gezwungenermaßen oder auch nur vorsichtshalber in ein Hospital oder Krankenhaus eingeliefert werden und dadurch würde seine wahre Identität bekannt werden.

Verwundert stellte er fest, dass bis jetzt weit und breit noch keinerlei Helfer in Sicht waren. Mit frischer Kraft erhob er sich, lief soweit er konnte, jedoch immer außerhalb der freigegebenen Strecke talwärts, in Richtung seines Parkplatzes, an dem er seinen Wagen vor Stunden abgestellt hatte. Nach für ihn wiederum endlosen Minuten, mehrmals musste er wegen Erschöpfung und nicht endenden Hustenreizungen eine Pause einlegen, erreichte er das von ihm abgestellte Fahrzeug. Einem Ohnmachtsanfall nahe, entnahm er aus seiner Hosentasche den Schlüssel und schloss es auf, stieg ein und schlug die Türe zu. Gefühlsmäßig legte er die Rückenlehne um und begann sich auszuruhen. Wie lange er so da lag, entzog sich seiner Vorstellungskraft.

Inzwischen waren die ersten Rettungskräfte verständigt worden, da das ankommende Sirenengeheul von jetzt an deutlich und unaufhörlich zu vernehmen war. Dem Lärm nach zu urteilen, wurden es immer mehr. Er beschloss, den Parkplatz sofort zu verlassen. Seinen noch immer quälenden Hustenreiz werde er schon irgendwie unter Kontrolle bringen.

3

Die Tasche

Nach einiger Zeit und von einem starken Hustenreiz geplagt, startete er seinen Wagen und fuhr, ohne zu zahlen aus dem Parkplatz weg. Begleitet von unzähligen Rettungskräften, Feuerwehreinsatz-, Gendarmerie Fahrzeugen und sonstigen Hilfskräften erreichte er nach wenigen Kilometern und ohne Probleme eine Tankstelle, um sich dort an einem abgelegenen Parkplatz etwas innezuhalten.

Während er einen Radiosender auswählte, um sich über die Situation in diesem Bereich zu informieren, fiel sein Blick auf die am Beifahrersitz liegende und völlig verdreckte Tasche. Erst jetzt bemerkte er, dass diese nicht seine eigene Sporttasche, sondern vielleicht, die des in der Bergbahn neben ihm platzgenommenen Mitfahrers war. Über seine Verwechslung im Tumult in der Bergbahn ärgerte er sich maßlos. Er war trotz, dass er das Inferno überstanden hatte, auf seine Unachtsamkeit mehr als wütend.

»Verdammt, wie konnte ich nur so verrückt sein, heute auf den Gletscher zu fahren. ... Und das jetzt. Meine Tasche ist weg. Mein Ausweis und mein Geld und mein ...! Verdammt! Ich Idiot!« schrie er laut auf und hämmerte mehrmals mit seiner Faust auf das Lenkrad ein.

Zögerlich öffnete er die Tasche. Durchsuchte diese und stellte überraschend fest, dass hier nicht nur sämtliche Ausweispapiere, Führerschein, sondern auch Geldbörse und Kreditkarten vorhanden waren.

Er warf einen kurzen Blick in den Ausweis, um sich über den vermutlichen Inhaber der Tasche zu vergewissern.

»Johann Unterkammer ... ja und ... was soll’s ...?« sprach er mehr gleichgültig und immer noch verärgert über sich und warf den Reisepass achtlos wieder zurück in die Tasche, um deren Inhalt noch weiter zu untersuchen.

Nach einigen Augenblicken und einem urplötzlichen Gefühl nachgebend, nahm er den Pass dann erneut in die Hand. Blätterte erneut darin. Diesmal langsamer. Seine Hand fing jedoch bei jedem weiteren Umblättern der einzelnen Seiten mehr und mehr zu zittern an. Dann sah er das Passbild.

Mit weitaufgerissenen Augen starrte er dieses an. Er betrachtete es wieder und wieder. Seine Sprachlosigkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben. So überrascht war er, dass er trotz seines offenen Munds kurzzeitig sogar das Atmen vergaß, denn das was er sah, begriff er augenblicklich nicht sofort.

»Ich habe mich doch nicht getäuscht.«

flüsterte er leise zu sich.

Er blickte nochmals in den Ausweis. Wiederholt fixierte er das Passbild. Mit ungläubigem Kopfschütteln hob er den Pass, als ob er es immer noch nicht fassen konnte und hielt ihn neben den Autospiegel. Er betrachtete sowohl das Passbild als auch sich selbst im Spiegel. Mehrmals verglich er sich mit dem Bild. Blätterte mit zittriger Hand den Reisepass mehrmals von vorne nach hinten und von hinten nach vorne. Immer länger blieb jedoch sein Blick auf das Passbild fixiert.

Dann schrie er lauthals auf:

»Das ... das gibt es wirklich nicht! ... das ... das bin ja fast ich ... und warum hab ich dies im Zug nicht erkannt ...ein fast identischer Doppelgänger!«

und dabei stieg sein Puls enorm an.

Er legte seinen Fahrersitz zurück und dachte angestrengt über die nächsten Schritte nach. Wieder und wieder, als ob er Unbegreifliches erleben würde, sah er das Passbild an und verglich sich mit seinem Bild im Spiegel. Er konnte es nicht fassen. Für den Zeitraum von mehreren Minuten schloss er seine Augen.

In seiner Vorstellungskraft entwickelte er zögernd, aber immer noch ungläubig, ob der so eben gewonnen Informationen, ein vorab abenteuerliches Szenario. Seine Gedanken rasten wie auf einer Achterbahn in unheimlichem Tempo auf und ab.

Eins stand für ihn augenblicklich fest: Kurz zuvor noch dem fast sicheren Tode entkommen und kam er nun in der Zukunft, in seiner neuen Zukunft, an und diese bestand aus einer Hauptperson: Die Hauptperson war Johann Unterkammer und das, das war ab sofort er, nur er.

*

Sofort beschloss er, zuerst Mal auf keinen Fall in seine spärliche Wohnung in Bad Ischl, die er im Moment sowieso nicht vermisste, zurückzukehren, sondern sich in einem Hotel in St. Johann im Pongau einzumieten.

Hier dürfte er wegen der unzähligen Wintersportgäste, die sich um diese Zeit hier aufhielten, nicht groß auffallen. Den Vorteil, sich unter diesen sehr gut und unerkannt bewegen zu können, beabsichtigte er, zu nutzen.

Er müsste nur in nächster Zeit heimlich und ohne großes Aufsehen in Erfahrung bringen, inwieweit sein Mitreisender, der wohl nun mit seiner Tasche bergwärts unterwegs war, dieses Unglück überstanden hätte. Nach menschlichem Ermessen würde dies aber an ein schier unbegreifliches Wunder grenzen. Zu seiner Verwunderung stellte er fest, dass er dessen Schicksal in keinster Weise bedauerte.

*

Nach über zwei Stunden Fahrt erreichte er das Wellness- und Sporthotel Alpina in St. Johann. Vorher hatte er noch eine Zwischenstation in einem völlig überlaufenen Hallenbad eingelegt, um sich dort von dem Rauch und der verdreckten Skikleidung zu befreien. Einen Reisekoffer mit Anzug und sonstigen Bekleidung führte er seit Jahren immer in seinem Auto mit.

Er checkte unter der Vorlage seines neuen Reisepasses an der Rezeption ein, wobei er seine Nervosität konnte er nur sehr schwer verbergen konnte. Zu seiner Überraschung stellte der Portier, abgelenkt durch die aktuellen Radiodurchsagen über die Katastrophe von Kaprun, keinerlei Fragen zu seinem aktuellen Namen, so dass er sich unverzüglich sein Zimmer begeben konnte.

Sofort schaltete er den Fernseher ein. Während er dabei seine Tasche ausräumte, hörte er, dass es bis jetzt, den im Einsatz befindlichen und völlig überlasteten Rettungskräften absolut unmöglich erschien, wegen der noch brennenden und qualmenden Teile der früheren Bergbahn, in den Tunnel, sowohl von der Tal- als auch von der Bergstation einzudringen.

Die Anzahl der Vermissten konnte bis jetzt noch nicht festgestellt werden. Man vermutete, dass sich aktuell mindestens einhundertvierzig Erwachsene und Kinder unter den Opfern befänden. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit konnte jedoch davon ausgegangen werden, dass alle, die sich bergwärts versuchten zu retten, das Inferno nicht überleben haben konnten. Vor allem der extreme Steigungswinkel der Bahn führte im Tunnel zu einem Kamineffekt. Das Feuer und der giftige Rauch breiteten sich dadurch rasend schnell aus. Dabei bewegte er sich nahezu explosionsartig in Richtung Bergstation und holte mithin die Flüchtenden ein. Der Fluchtweg wurde dadurch für alle, die bergauf liefen, zur tödlichen Falle.

Bei diesem Gedanken wurde ihm heiß und kalt zugleich. Es wurde ihm zum Erbrechen übel. In dieser Situation ein falscher Schritt in die andere Richtung und er wäre ebenfalls rettungslos verloren gewesen.

Stundenlang ging er in seinem Hotelzimmer nervös auf und ab. Seine künftigen Vorstellungen bestanden darin, die nächsten Tage planmäßig zu verbringen, um die kommende Zeit sorgfältig und mit Bedacht zu planen. Bei diesen Gedanken entnahm er aus der Hausbar eine Sektflasche, um diese zu öffnen, stellte sie aber hastig zurück. Ein beunruhigender Gedanke schoss ihm durch den Kopf.

»Verdammt, wie ist denn der Kerl eigentlich in das Skigebiet gekommen und ... wo ist denn jetzt sein Wagen ... das kann ja noch ein großes Problem für mich werden.«

Völlig verunsichert ging er auf und ab. Sein Puls stieg spürbar an.

»Ich habe einen Fehler gemacht ... verdammt ich habe einen riesengroßen Fehler ... wo hat der seinen Wagen abgestellt? ... verdammt ... der muss weg ... der muss unbedingt weg ... nur, ist es dazu nicht schon zu spät!«

rief er laut auf und schlug mit seiner rechten Faust auf den kleinen Zimmertisch, dass die darauf stehende Vase umfiel, zu Boden krachte und zerbrach.

Sofort griff er nach der Sporttasche und kippte den gesamten Inhalt auf das Bett. Mit zittrigen Händen sortierte er die ausgebreiteten Zettel, Ausweise, sogar Handtücher und einen zerfletterten Taschenbuchroman.

»Was für ein Auto hatte er nur... ich habe nicht aufgepasst ... man, ... da könnte jetzt meine ganze neue Identität auffliegen!« schrie er. Seine Gedanken rasten derart durcheinander, dass er augenblicklich davon Kopfschmerzen bekam.

Er suchte fieberhaft weiter. Er fand zwar einen Führerschein, den er nicht beachtete, aber keinen Kfz-Brief, auch keinen Kfz-Schein oder was Ähnliches, das auf einen Pkw schließen lies. Völlig entnervt hielt er die leere Tasche in seinen Händen. Mehrmals schüttelte er wegen seiner Unachtsamkeit den Kopf.

Fast verzweifelt griff er nochmals in die Sporttasche, um den Boden zu untersuchen. Da bemerkte er eine, bisher von ihm wohl in der Hektik übersehene, Seitentasche. Mit ungeschickten Fingern öffnete er den Reißverschluss und fand darin einen dicken verschlossener Briefumschlag. Sofort riss er ihn auf. Neben einigen Belegen fiel ihm ein größerer Geldbetrag in die Hände. Das Geld legte er vorerst achtlos zur Seite. In der Hand hielt er, nach einem ersten Eindruck, eine Bestätigung, ausgestellt von der Kfz-Zulassungsstelle Salzburg. Mehrfach überflogen seine Augen die Abmeldung eines Pkws, Marke VW Golf, vom gestrigen Tag, lautend auf Johann Unterkammer. Als er keinen Zweifel mehr daran hatte, atmetete er tief durch.

»Gut, er hat also sein Auto gestern abgemeldet und ... und ... weiter ... «

sprach er laut nahm dabei das andere Schriftstück in die Hand. Kopfschüttelnd stellte er nach einigen Sekunden fest, dass dies ein unterschriftsreifer Kaufvertrag über den Kauf eines neuen PKW, Marke Audi war. Der Vertragspartner war ein Autohändler in St. Wolfgang. Datiert auf den heutigen Tag und unterschriftreif ausgefertigt für einen Johann Unterkammer. Ausdrücklich war Barzahlung vereinbart.

Verständnislos schüttelte er seinen Kopf, als er den vorher noch gleichgültig zur Seite gelegten Geldbetrag wieder in seinen Händen hielt.

»... dann fährt der mit dem Kaufpreis ... von zigtausend Euro ... für sein neues Auto zum Skifahren ... der ist ja nicht ganz dicht! ... ich glaub das einfach nicht ... ich glaub das jetzt wirklich nicht!«

frohlockte er, um jedoch gleich wieder eine skeptische Frage beantworten zu müssen:

` »Aber ... nur wie ist er überhaupt ins Skigebiet gekommen? ... mit einem Freund ... oder wie denn sonst?«

Er suchte sofort in denen am Boden liegenden Sachen weiter und fand nach einigen Minuten in der Geldbörse einen abgestempelten Fahrschein eines örtlichen Busunternehmers. Er atmete wiederum tief und vernehmlich durch und zog seine Schlüsse daraus:

»O. K., also noch mal zusammengefasst: Gestern den VW Golf abgemeldet, heute mit einem öffentlichen Nahverkehrsmittel ins Skigebiet gefahren, um dann wohl heute Nachmittag ein Auto zukaufen ... und dabei nimmt er das ganze Bargeld in der Sporttasche mit ... das ist doch völlig irrational ... der spinnt doch ... der ist ja wirklich nicht dicht ... ein Träumer ... aber was soll’s!« rief er aus und lachte.

Langsam beruhigte er sich. Stand aber immer noch unter dem Eindruck, dass so viele, für ihn sich positiv entwickelnde Umstände, nicht mit rechten Dingen zu gehen sollte. Er konnte das unbestimmte Gefühl, irgendeinen Leichtsinnsfehler begannen zu haben, nicht abschütteln. Nur welchen? Je länger er nachdachte, umso weniger fiel ihm dazu ein. Nach einiger Zeit war es ihm auch völlig egal.

»Soll doch kommen was mag ... ich werde mit dieser Situation dann schon fertig!« rief er und griff nach der Sektflasche.

Für ihn galt ab jetzt sicher nur noch eins und das, das kristallisierte sich immer klarer heraus:

»Unvermutet habe ich ab heute eine neue Identität und die, die werde ich für mich nutzen ... und wie ich die nutzen werde.«

sprach er voller Energie und nach einer Weile:

»... und ich bin wieder da! ... und ich werde es euch allen ... zeigen ... und: Nur Tom Marlow, den gibt es ab heute nicht mehr!«

und dabei lachte er heimtückisch. Laut knallend schoss der Korken durch das Zimmer. Ohne ein Glas zu benutzen trank er den Sekt aus.

4

Weihnachten in Venedig

Am späten Nachmittag des vierten Adventssonntags schlenderte eine dunkel gekleidete Frau über den festlich geschmückten Weihnachtsmarkt am Campo Santo Stefano. Sie bemerkte, dass sich die Serenissima für das bevorstehende Weihnachtsfest herausgeputzt hatte. In den Schaufenstern hingen Lametta und bunte Glühbirnen. Bei einigen hell erleuchteten Buden blieb Francesca stehen, betrachtete die Spezialitäten, die aus vielen Provinzen Italiens angeliefert wurden. Die Händler hinter dem Tresen lobten ihre Oliven aus Cinque Terre, Öl und Käse aus der Toskana, priesen zuhauf angehäufte Berge von Salami aus Reggio Emilia und allerlei andere, typische handgemachte venezianische Produkte, wie Glas, Papier, Seife und Parfüm an. Einige Straßenmusikanten spielten weihnachtliche Weisen und versuchten nebenbei, der für sie ungewohnten Kälte zu widerstehen.

Der aus Richtung des Canal Grande über den Campo wehende Wind brachte zur Überraschung vieler Venezianer seit vielen Jahren wieder leichten Schneefall mit. Ganz Venedig war wie mit leichtem Puderzucker bestäubt und verzauberte so die Serenissima.

Ganz besonders genoss sie diesen stimmungsvollen Einkaufsbummel, bevor sie sich auf ihren allsonntäglichen Weg zur direkt am Canal Grande gelegenen Basilika, Santa Maria della Salute, begab.

Trotz des eindrucksvollen Hintergrunds mit virtuellen venezianischen Palazzi waren zu diesem späten Zeitpunkt nur wenige Besucher auf dem ansonsten sehr belebten Platz, zwischen Palazzo Grassi und dem Guggenheim Museum, unterwegs.

Die Frau verlies diesmal früher als geplant, den Campo Santo Stefano in Richtung der Ponte dell’Accademia und ging direkt am Canal Grande entlang zur Kirche Santa Maria della Salute.

In der weihnachtlich geschmückten Kirche kniete sie sich, nach dem sie eine Kerze angezündet hatte, vor dem Marienbild nieder und betete sehr inständig für die Genesung einer jungen Frau, die ihrem Sohn vor Monaten das Leben vor dem Ertrinken, in einem nahen, vor ihrem Haus vorbeifliesenden Kanal, rettete. Bei dieser Rettungstat wurde die Retterin jedoch selbst schwer verletzt.

Mit Wehmut dachte sie daran, dass diese Frau Weihnachten in einer Klinik oder Sanatorium noch immer behandelt werden musste und ihr Mann mit seinem Sohn nun allein die Festtage zu verbringen hatte.

Schweren Herzens erhob sie sich und verließ, nach dem Anzünden einer weiteren Kerze für ihre Familie die Kirche.

Als sie aus der Kirchentüre trat, schlug ihr ein eisiger Nordostwind entgegen, der die Schneeflocken bis in die Basilika hineinwehte. Die Kälte traf sie wie ein Schlag und trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie stellte ihren Mantelkragen auf, zog die Handschuhe über und stieg vorsichtig die unter ihren Schritten knirschenden schneebedeckten Treppenstufen hinab,

Die an ihren Liegeplätzen festgezurrten und mit einer feinen Schneeschicht belegten Gondeln schaukelten in den Wellen auf und ab und schlugen dabei heftig aneinander. Einzelne Touristen schlichen dick eingemummt und mit eingezogenen Köpfen über die Ponte dell’Accademia und trotzten so gleichermaßen dem eisigen Wind, als auch der herrlichen Kulisse, nur um sich schnellstmöglich in ihren Hotels oder Pensionen bei einem heißen Punsch wieder aufzuwärmen.

Ganz in Gedanken machte sich Francesca auf den verschneiten Heimweg in Richtung Campo San Polo. Trotz des zwischenzeitlich weiß eingeschneiten und sich im festlichen Kleid präsentierenden Venedigs wollte sich in diesem Jahr einfach keine weihnachtliche Stimmung, die Francesca immer so sehr liebte, bei ihr und ihrer Familie einstellen.

5

Einige Jahre später

»Bene, dann beende ich hiermit die Konferenz und bedanke mich für die ausgezeichnete Vorbereitung und Durchführung. Ich wünsche allen Anwesenden gute Erfolge bei den anstehenden Beratungen.«

sprach Mark de Winter, erhob sich mit diesen Worten vom Konferenztisch und verließ den Raum mit den weiteren Teilnehmern.

Mark de Winter, Inhaber einer europaweit tätigen Unternehmung, der Mark de Winter Consulting Ltd., war ein meterfünfundachtzig groß, schlank, breitschultrig und hochgebaut. Er war sportlich, aber nicht muskulös gebaut. Die sparsame und präzise Art seiner Bewegungen deutete auf eine besonnene und kontrollierte Energie hin, die anzusehen auf eigentümliche Art unwiderstehlich wirkte.

Am Bedeutendsten waren jedoch seine Augen, deren tiefes Blau, sowohl ruhige Intelligenz als auch unerschütterliche Entschlossenheit anzeigte. Die Augen saßen in einem gutaussehenden, markanten Gesicht, in dem sich die schrägen, kantigen Jochbeine quer in fester Linie zum Kiefer widerspiegelten. Die dichten, gewölbten Brauen hatten die gleiche Farbe wie sein volles, blondes Haar und verrieten ein gemessenes Selbstbewusstsein.

Die einzige Dissonanz stammte aus verschiedenen und teilweise auch empfindlichen negativen geschäftlichen Erfahrungen. Diese äußerte sich daran, dass Mark, in Gesprächen und Diskussionen, in denen er den Eindruck von Unehrlichkeit festzustellen glaubte, sich als erstes vom Gesprächspartner unmerklich wegdrehte. Unwillkürlich versteinerte sich sein Gesichtsausdruck, die Augen veränderte sich dabei zu unmerklichen Schlitzen, um dann rigoros die Gegenseiten zurecht zu weisen.

Im Vorzimmer nahm er noch seinen Niederlassungsleiter zur Seite und gratulierte ihm zu dessen Präsentation:

»Fabrizio, das war sehr gute Arbeit von dir und der Erfolg wird sich bei den Mitarbeitern bald einstellen.«

sprach er zum Abschied zu ihm und verlies um elf Uhr das Büro seiner italienischen Niederlassung in Mailand an der Piazza dei Mercanti. Kurz darauf bestieg er einen, von seinem Sekretariat besorgten Leihwagen und fuhr in Richtung Norditalien ab.

*

Während der Fahrt, die ihn von Mailand über Bergamo, vorbei am Gardasee und Venedig und dann nach Norden in Richtung Cortina d’Ampezzo in die Dolomiten führte, lies er nochmals die Konferenz mit seinen italienischen Geschäftspartnern Revue passieren. Nach einigen intensiven Überlegungen stellte er fest, dass sie, entgegen seines anfänglichen Anscheins, doch sehr erfolgreich abgelaufen war. Beruhigend für ihn war vor allem, dass sein Niederlassungsleiter Fabrizio Tercie, den er vor zwei Jahren in einer, für ihn persönlich sehr ernsten Lage behilflich sein konnte, jetzt sein volles Engagement für die „Firma“, wie dieser sie nannte, einbrachte und die Führung zur vollsten Zufriedenheit erledigte und er seine Firmenethik, sämtliche Beteiligte sollten im gegenseitigen Respekt voneinander profitieren, exakt übernahm und weitergab.

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So fuhr er also ziemlich erleichtert in die Dolomiten, in denen er am späten Nachmittag einen weiteren und sehr wahrscheinlich künftigen Geschäftspartner, Christopher Newmann aus London, auf der »Drei-Zinnen-Hütte« treffen wollte. Dieses Zusammentreffen bestand, trotz des wichtigen geschäftlichen Hintergrundes, diesmal jedoch mehr aus einer sportlichen Herausforderung.

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In Gedanken ging er den Zeitpunkt durch, als er Christopher in Davos das erste Mal traf. Beide hielten sich anlässlich eines Kongresses in diesem schweizerischen Bergdorf auf. Leider versprachen die angekündigte Themenstellung, die vom Veranstalter ausgewählten Referenten und deren Kompetenz nicht den Erwartungen von Mark. Nachdem er den Kongress ungefähr eine Stunde beigewohnt hatte, verließ er wutentbrannt wegen der vergeudeten Zeit den Konferenzsaal. Beim ziellosen umherwandeln in dem Kongresscenter fand er sich plötzlich einige Türen weiter in einer Diskussionsrunde, die sich mit dem Bau von neuen Bergbahnen, den unkontrollierbaren und radikalen Ausbau der Alpen für den Tourismus befasste, wieder.

Da er schon immer sehr für den Erhalt der Natur in den Bergregionen war, fand er, dass diese Veranstaltung ihn wohl mehr interessieren werde als dieser grauenvoll vorbereitete Finanzkongress.

Mit steigendem Interesse hörte er sich die Argumente der einzelnen Parteien an. Leider stellte er relativ schnell fest, dass die Befürworter eines sachten und umweltgerechten Ausbaus zwar die besseren Argumente besaßen. Nur konnten sich dessen ungeachtet und auch wegen ihres bescheidenen Auftretens nicht das für sie notwendige Gehör verschaffen. Sie wurden von der kapitalstarken Gegenseite in ihren nahezu allen Ausführungen lautstark unterbrochen.

Diese Veranstaltung wäre sicher anders verlaufen, wenn nicht plötzlich ein Unterstützer für den behutsamen Ausbau in die Diskussionsrunde eingegriffen hätte. Wie sich später herausstellen sollte, war auch er ein Teilnehmer an dem Finanzkongress, verlies diesen ebenso wegen der katastrophalen Organisation, jedoch wesentlich früher als Mark und befand sich daher schon länger in dieser Diskussionsrunde. Mit seiner Argumentation stand er sofort der Gruppe für den bedächtigen Ausbau bei und seine Argumente überraschten nicht nur sämtliche Teilnehmer in dieser Diskussionsrunde, er hinterlies auch bei Mark bleibenden Eindruck. Ohne, wie er später zugab, auf diese Diskussion vorbereitet gewesen zu sein, konnte er aufgrund der Schilderung, wie sich in seinen Augen die Alpen und insbesondere hier das von ihm früher sehr geschätzte Ötztal, das sich massiv und äußerst nachteilig veränderte, große Aufmerksamkeit verschaffen. Seine Argumentation beeinflusste dabei massiv den Ablauf der Diskussion. Mit seiner leidenschaftlichen Aufzählung der vielen negativen Erscheinungen des massiven Tourismus, wäre diese Diskussion nicht im Sinne der Befürworter des Ausbaus eines sanften Alpentourismuss verlaufen. Die eindringlichen Schilderung über das Ötztal, das früher hohe jungsteinzeitliche Siedlungsplätze aufwies, das jedoch die kapitalkräftigen Investoren nicht daran hinderte, Seilbahnen und Bergbahnen zu bauen, um 65.000 Menschen, wohl gemerkt in einer Stunde auf den Berg zu transportieren und dazu auch Berge planierte, Hänge vergewaltigte, alte Siedlungsplätze und Traditionen vernichtete, öffneten sogar manchen Befürworter des Seilbahnausbaus sprichwörtlich die Augen.

Mit seinem leidenschaftlichen Plädoyer, für das Eintreten und Förderung eines nachhaltigen Tourismus, bei dem sich der Verkehr in Grenzen hält, ein Ausgleich zwischen Mobilität und Ruhe gefunden wird und unter Berücksichtigung und Bewahrung der vorhandenen natürlichen Gegebenheiten und das Schützen der Traditionen könne man ohne weiteres dieses hohe Ziel erreichen erhielt er enormen Zuspruch.

Er vertrat vehement die Meinung, dass hier Werte vorhanden seien, mit denen man sehr vorsichtig umgehen müsse, da diese Werte und das Bewahren dieser auch eine Vorbildfunktion für anderen Berge auf der Welt ausübe und beispielhaft seien müssen.

Die Art und Weise, wie hier der Tourismus „be- und gehandelt“ wird, sehen viele Fremdenverkehrsorte und sie werden dies in aller Regel nachahmen. Außerdem wollen bereits viele Touristen bei einer Bergtour ihre Knochen spüren und nicht, dass ihnen irgendein Erlebnis verkauft wird.

Das anschließende Abstimmungsergebnis, bescherten den eingangs hoffnungslos unterlegenen Befürwortern eines sanften Fremdenverkehres in dieser Alpenregion einen unerwartenden Durchbruch ihrer Ziele.

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Stunden später traf Mark den zuvor sehr couragiert auftretenden Christopher zufällig in einem Shop für Bergsteigerausrüster.

Bei der Auswahl von gewöhnlichen Karabinern kamen sie ins Gespräch. Sehr schnell stellten sie bei dem Austausch von Meinungen und Erinnerungen fest, dass ihre Einstellungen der Bergwelt gegenüber fast identisch und sie die verschiedenen Berge, fast zeitgleich bestiegen, bzw. die Besteigung aus Gründen des vorherrschenden schlechten Wetters oder sonstiger Gründe abbrachen, ohne dass sich jedoch dabei irgendwo über den »Weg liefen.«

Bei einem anschließenden Abendessen, das sich bis weit nach Mitternacht hinzog, bemerkten beide, dass sie die gleiche Firmenphilosophie, identische Geschäftsfelder, in verschieden unterschiedlichen Brachen besaßen und eine Kooperation sich unter Umständen günstig für weitere Expansionen auswirken könne. So vereinbarten sie, dass die ihnen untergeordneten Arbeitsbereiche mögliche und sinnvolle Interessenbereich in den jeweiligen Spezialgebieten abklären sollten.

Später erfuhr Mark noch, dass Christopher ab seinem zweiten Lebensjahr bei seinen Großeltern in den Docklands von Liverpool aufwuchs. Zu diesem Zeitpunkt wanderten seine Eltern überstürzt und für die nahe Verwandtschaft völlig unverständlich, nach Amerika aus. Nach dem sie sich kurze Zeit in New York aufhielten und dann nach Chicago übersiedelten, verlor sich ihre Spur.

Seine Schulbildung musste er sich mit kleineren Nebenjobs selbst mühsam erarbeiten, zumal seine Großeltern hierzu finanziell keinen Beitrag leisten konnten.

---ENDE DER LESEPROBE---