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Die Ermittler Rhyner und Gallati der Kriminalpolizei Glarus stehen vor einem Rätsel. Um wen handelt es sich bei der aufgefundenen, verletzten Frau? Weshalb nennt sich die Frau «Anna», obwohl das gar nicht ihr Name ist. Und was hat ihr Fall mit dem einer Drogentoten in Bern zu tun? Je tiefer die beiden Kriminalpolizisten in die Fälle eintauchen, desto mehr schockierende Abgründe werden sichtbar. Viel zu spät bemerken die Ermittler, in welcher Gefahr sie sich befinden, denn sie werden beobachtet.
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Seitenzahl: 218
Veröffentlichungsjahr: 2025
Thomas Fausch
Am Ufer der Linth
Glarner Kriminalroman
Zum Buch
Personen und Handlungen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Einzelne Punkte, wie Örtlichkeiten, geschichtliche Ereignisse usw. sind teilweise der Realität angelehnt.
Cover
Titelblatt
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Epilog
Urheberrechte
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Prolog
Entnervt und ein wenig zu schnell fuhr der Kripo-Beamte Rhyner den zivilen Dienstwagen ins Glarner Hinterland.
«Jetzt reg dich nicht schon wieder so auf», sagte seine Partnerin Gallati.
«Es ist kein Scheiss-Fall für die Kriminalpolizei», schnaubte er sie an.
«Du hast selbst gehört, dass die Streifenwagen alle besetzt sind», antwortete sie ihm.
«Das weiss ich, mir spielt es auch keine Rolle auszuhelfen, aber wegen eines aufgefundenen Blindgängers?! Der war schon seit Jahrzehnten dort und wird auch noch dort liegen, wenn die Streifenwagen nicht mehr besetzt sind. Ich habe genug andere Fälle zu erledigen.»
«Wir sind ja schon da», antwortete Gallati. «Ich mache ein Foto des Blindgängers und wir senden es der Einsatzzentrale. Nach zehn Minuten haben die abgeklärt, ob das Ding ungefährlich ist und ob wir es selbst einsammeln können. Du weisst doch wie’s läuft. Wenn du aufhörst rumzumeckern, spendiere ich dir dafür einen Kaffee und Gipfeli, deal?»
Rhyner musste schmunzeln und die schlechte Laune war wie weggeblasen. «Du weisst eben, wie man mit mir umgehen muss», scherzte er, «also lass uns den Auftrag erledigen.» Nach kurzer Zeit erhielten die Kripo-Beamten die Rückmeldung der Einsatzzentrale, dass es sich um einen ungefährlichen Blindgänger handelt. Sie packten diesen in einen Plastiksack ein, um ihn später dem Kriminaltechnischen Dienst zur Registrierung und anschliessenden Entsorgung zu bringen. Auf dem Rückweg zum Auto blieb Gallati plötzlich stehen.
«Was ist nun schon wieder, ich hätte gerne, dass du dein Kaffee-Versprechen einlöst», schnaubte Rhyner sie bereits wieder an.
«Sieh mal da, der rote Stofffetzen dort unten im Fluss», antwortete Gallati.
«Ja, da hat vermutlich mal wieder jemand illegal Abfall in der Linth entsorgt und jetzt ist er aufgetaucht. Mal im Ernst, müssen wir den Stofffetzen vor dem Kaffee auch noch zum wichtigen Kripo-Fall erklären? Lass es doch einfach mal gut sein», fluchte Rhyner.
«Ist ja schon okay, ich komme, du bist manchmal unausstehlich», antwortete Gallati und ging weiter.
Beim Dienstwagen angekommen verstauten sie den Blindgänger im Kofferraum und stiegen voller Vorfreude auf Kaffee und Gipfeli ein. Währenddessen bewegte sich der rote Stofffetzen in der Linth entgegen der Strömung, und kaum hörbar wimmerte eine Stimme «Hilfe».
Kapitel 1
Eine Woche zuvor
«Guten Morgen», begrüsste Gallati ihren Kollegen Rhyner, welcher mit einer Tasse Kaffee in der Hand das gemeinsame Büro betrat.
«Guten Morgen», begrüsste sie Rhyner ebenfalls.
«Hast du später Zeit, mit mir den Fall des Betrügers anzuschauen, dann können wir gleich noch die Verhaftung planen und organisieren.»
«Ja klar, aber lass mich zuerst meinen Kaffee trinken, du weisst, vor meinem ersten Kaffee bekommst du nicht meinen maximalen Einsatz», antwortete Rhyner schmunzelnd.
Gallati musste lachen, sie hätte sich die Frage sparen und ein wenig warten können, sie kannte ihren Partner gut. Vor dem ersten Kaffee war er selten aufnahmefähig.
Gallati und Rhyner waren schon seit ein paar Jahren zusammen bei der Kriminalpolizei des Kantons Glarus und ein gutes Team. Sie ergänzten sich gerade auch aufgrund ihres unterschiedlichen Naturells.
Rhyner war Mitte fünfzig und schon seit über dreissig Jahren bei der Kantonspolizei Glarus, davon rund zwanzig Jahre bei der Kriminalpolizei. Er hatte beinahe alles gesehen, was es in der Polizeiwelt zu sehen gab und sie waren häufig froh, auf seinen Erfahrungsschatz zugreifen zu können. Auf der Strasse erkannte man Rhyner von weit her, er war gross gewachsen und kräftig gebaut. Er ass gerne, was sich auch an seinem Bauch ein wenig zeigte. Es passte jedoch zu seinem Gesamtbild, er war der Typ Mann, welchen man gerne als Bären bezeichnete. Er war meist ein gutmütiger Bär, konnte jedoch, wenn er gereizt wurde auch wütend werden, was dann eine Minute später bereits wieder für immer vergessen war.
Gallati war mit Ende zwanzig noch ein sehr junges Mitglied bei der Kriminalpolizei, arbeitete jedoch auch schon ein paar Jahre im Team. Natürlich hatte sie noch nicht so viel Erfahrung mit Einsätzen wie Rhyner und bei weitem noch nicht so viele verschiedene Fälle gesehen. Bei der Arbeit mit dem erfahrenen Kollegen konnte sie ihn vor allem durch ihre Kenntnisse der Computersysteme und auch in den Sozialen Medien immer gut unterstützen. Rhyner mochte es, wenn sie ihm bei Fällen, welche er auf die gute alte Weise lösen wollte, moderne Alternativen aufzeigen konnte. Gallati war sehr sportlich und ass auch gerne. Im Gegensatz zu Rhyner sah man es ihr jedoch nicht an. Die beiden arbeiteten sehr gerne zusammen und wussten, dass ihnen die Arbeit ohne den jeweils anderen viel weniger Freude machen und sie definitiv auch weniger Fälle aufklären würden. Nachdem Rhyner seinen Kaffee getrunken hatte, machten sich die beiden an die Arbeit und schauten den Fall des Betrügers abschliessend in ihrem Büro an. Der Typ hatte bereits einige Menschen um ihr Erspartes betrogen und es war lange unbekannt, um wen es sich handelte. Nach aufwändigen Recherchen konnten sie den Täter jedoch endlich ermitteln. Sie planten die Verhaftung des Betrügers und freuten sich darauf, diesen endlich aus dem Verkehr zu ziehen.
Zur selben Zeit war Sandra Menzi überglücklich. Sie wohnte schon ihr ganzes Leben im Glarnerland. Seit der Trennung von ihrem Freund vor ein paar Jahren lebte sie glücklich als Single. Vor ein paar Monaten hatte sie jedoch auf einer Dating-App jemanden kennengelernt. Sie hatten sich von Beginn an sehr gut verstanden, schrieben sich jeden Tag etliche Nachrichten und telefonierten stundenlang. Sie fühlte sich mit diesem Mann das erste Mal wieder bereit, eine ernste Beziehung zu beginnen und benutzte gerne das Wort Seelenverwandte.
Er hiess Michael, arbeitete momentan in der Westschweiz, kam aber ursprünglich aus Zürich. Da er geschäftlich häufig unterwegs war, konnten sie sich noch nicht persönlich sehen. Er war selbstständiger Projektleiter und in der Schlussphase eines grossen Bauprojekts, weshalb er vierundzwanzig Stunden und sieben Tage die Woche für das Geschäft erreichbar sein und im Notfall einspringen musste. Dieses Projekt würde jedoch bald schon beendet sein und er dann viel mehr Freizeit haben. Er sprach sogar schon davon, dass er sich überlege, zu ihr ins Glarnerland zu ziehen.
Noch mehr freute sie sich darauf, dass nun endlich das erste Treffen am nächsten Samstagabend stattfinden würde. Am Donnerstag oder Freitag sollte er das Projekt abschliessen können und würde am Samstagabend zu ihr fahren und das ganze Wochenende bei ihr verbringen. Sandra war schon Tage zuvor extrem nervös und probierte verschiedene Gerichte aus. Es musste irgendetwas mit Pasta sein, er liebt Pasta, dachte sie sich. Sie bestellte auch verschiedenste Kleider bei einem Online-Shop zum Anprobieren. Beinahe hätte sie es aufgegeben, da sie sich einfach nicht entscheiden konnte. Als sie jedoch ein weiteres Kleid aus der Kartonbox nahm und anprobierte, breitete sich ein grosses Lächeln auf ihrem Gesicht aus. «Genau das ist es», sagte sie sich, als sie sich vor dem Spiegel betrachtete.
Wahrhaftig passte dieses elegante rote Abendkleid perfekt zu Sandra.
Kapitel 2
Wieder in der Gegenwart
«Weshalb fährst du nicht los? Du hattest solchen Stress für deinen ach so wichtigen Kaffee, und nun sitzt du im Auto und starrst auf den Fluss, was ist dein Problem?», schnaubte Gallati ihren Partner an.
«Der Stofffetzen», entgegnete Rhyner.
«Willst du ihn nun doch zum Kripo-Fall erklären?», fragte Gallati sarkastisch.
«Er bewegt sich», antwortete Rhyner.
«Er liegt teilweise im Fluss, natürlich bewegt er sich, das Wasser bewegt sich ja auch», sagte Gallati noch genervter.
«Wieso bist du vorher stehengeblieben und hast den Stofffetzen angeschaut?», fragte Rhyner Gallati.
«Irgendwas war komisch damit, aber bevor ich sagen konnte, was, hast du mich angeschnauzt, dass du dringend zum Kaffee gehen möchtest. Es war nur so ein Gefühl, weshalb?», antwortete Gallati.
«Dieses Gefühl habe ich nun auch, etwas stimmt damit nicht», entgegnete Rhyner.
Die beiden schauten einander kurz an und stiegen ohne weitere Worte aus dem Fahrzeug. Sie gingen zusammen zum Flussufer, wo der rote Stofffetzen halb am Ufer, halb im Fluss lag. Als sie sich näherten, bemerkten sie jedoch, dass es sich nicht nur um einen Stofffetzen handelte und beide konnten nicht glauben, was sie da sahen.
«Zentrale, schick uns sofort einen Krankenwagen, wir haben hier eine verletzte Frau, welche im Fluss liegt, die Verletzungen sind unbekannt», rief Rhyner ins Funkgerät.
Die Frau, welche sich kaum mehr wachhalten konnte, versuchte, den Polizisten immer wieder ganz leise etwas zu sagen, was beide Beamte kaum verstehen konnten. Das Einzige, was sie sagen konnte, bevor sie ohnmächtig wurde, war «Anna».
Währenddessen regte er sich brutal über sein eigenes Verhalten auf. Wie hatte er es nur zulassen können, dass die Frau flüchten konnte, er hatte doch alles so gut geplant. Aber eigentlich wusste er selber, woran es lag. Nachdem es ihm bis jetzt immer problemlos gelungen war, war er nachlässig geworden. Hatte sich zu wenig Mühe gegeben, aber er wusste, dass es jetzt unprofessionell wäre, sich mit der Vergangenheit zu befassen. Glücklicherweise hatte er noch ein Ass im Ärmel, mit welchem er seiner bisherigen Arbeit die Krone aufsetzen konnte. Sein Trieb wurde nämlich immer stärker und er wusste, dass er ihm baldmöglichst nachgeben musste. Zunächst musste er jedoch noch die restlichen Spuren beseitigen und dann wollte er alles wieder ganz professionell planen.
Kapitel 3
Einige Stunden, nachdem die Verletzte im Kantonsspital Glarus angekommen war und erste Untersuchungen stattgefunden hatten, konnten die Kripo-Beamten mit der Ärztin sprechen.
«Der Patientin geht es immer schlechter und wir wissen nicht, was ihr fehlt, wir müssen sie deshalb ins Universitätsspital Zürich verlegen», sagte die Ärztin.
«Können wir kurz mit ihr sprechen?», fragte Rhyner. «Nein, sie ist bis jetzt nicht wieder aufgewacht».
«Haben Sie irgendeinen Hinweis auf ihre Identität? War bei ihren Kleidern irgendetwas? Irgendeine Verbindung zum Namen «Anna?», hakte Gallati nach.
«Nein, leider nicht, ich muss jetzt aber wirklich gehen, es warten noch andere Patienten auf mich. Der Transport der Frau wird gerade durchgeführt, Sie müssten sich für spätere Anfragen sowieso ans Universitätsspital in Zürich wenden», antwortete die Ärztin.
«Momentan können wir hier nichts machen, lass uns an den Fundort fahren, vielleicht haben die von der Spurensicherung in der Zwischenzeit etwas gefunden», sagte Gallati zu Rhyner, welcher sich einverstanden erklärte.
Sie fuhren von Glarus wieder zurück zum Fundort der Frau im Glarner Hinterland. Unterwegs sprachen sie nicht miteinander, beide wussten nicht so recht, was sie vom Ganzen halten sollten. Sogar für Rhyner, welcher über viele Jahre Berufserfahrung als Polizist verfügte, war der Fall speziell. Am Fundort angekommen teilte ihnen ein Mitarbeiter von der Spurensicherung alles mit, was er gefunden hatte. Es war nicht viel, aufgrund einer Spur in der Wiese beim Fundort konnte eine ungefähre Richtung, aus welcher das Opfer kam, generiert werden, mehr jedoch nicht. Der Hundeführer versuchte der Spur auch bereits zu folgen. Da das Opfer jedoch auch mehrfach wieder durchs Wasser watete, verlor sich die Geruchsspur. Die Spur schien nach Schwanden, einem Dorf, welches zu Glarus Süd gehört, zu führen. Mehr hatten die Kriminaltechniker jedoch noch nicht herausgefunden.
«Okay, dann haben wir ausser der Richtung, aus welcher die Frau kam, gar nichts.»
«Wie sieht es mit Vermisstenfällen aus? Irgendeine Person, die Anna heisst oder eine Vermisste im ungefähren Alter der Frau?», fragte der ebenfalls am Fundort anwesende Pikettoffizier der Polizei, als er zu Rhyner und Gallati stiess.
«Wir haben während des Wartens im Spital bereits erste Abklärungen gemacht», antwortete Gallati. «Keine vermisste Anna und auch keine Frau in diesem Alter, welche derzeit vermisst wird. Ich denke jedoch, dass die Frau momentan noch nicht als vermisst gilt.»
«Wieso nicht?», wollte der Pikettoffizier wissen.
«Nun ja, die Frau trug ein schönes, wie es aussieht auch teures Abendkleid und dazu passende elegante Schuhe. Es war zwar alles recht durchnässt, als wir sie gefunden haben, was jedoch vermutlich durchs Waten durch die Linth und der Wiese geschehen ist. Soweit noch erkennbar wirkte die Frau auch geschminkt und allgemein gestylt, so als hätte sie sich für den gestrigen Abend schick gemacht und wäre ausgegangen oder etwas in der Art. Sie scheint mir überhaupt nicht so, als wäre sie seit ein paar Wochen vermisst worden», erklärte Gallati ihre Sicht.
«Also, so wie ich das sehe, muss aufgrund der vorhandenen Informationen nicht unbedingt von einem Verbrechen ausgegangen werden», sagte der Pikettoffizier.
«Da bin ich anderer Meinung», entgegnete Rhyner sofort. «So ängstlich wie die Frau ausgesehen hat, muss irgendetwas vorgefallen sein.» Gallati pflichtete ihm sofort bei.
«Aber Klarheit haben wir diesbezüglich nicht», antwortete der Pikettoffizier. «Sie könnte gerade so gut betrunken von einer Party weggegangen und sich verirrt haben und schlussendlich in der Linth gelandet sein. Trotzdem gebe ich euch recht und wir sollten es als mögliches Delikt betrachten. Was sind die nächsten Schritte?», wollte der Pikettoffizier wissen.
«Wir versuchen weiter zu ermitteln, um wen es sich handelt und hoffen, dass die Untersuchung im Universitätsspital Zürich noch etwas Licht ins Dunkle bringt. Das Foto senden wir an alle Korpsangehörigen, vielleicht kennt jemand unsere unbekannte Frau. DNA und Fingerabdrücke können wir über die Polizei in Zürich auch veranlassen. Mit einer Medienmitteilung würde ich noch warten, für das ist es noch zu früh und die können wir zu einem späteren Zeitpunkt immer noch machen, sollten sich innert nützlicher Frist keine Hinweise ergeben», gab Rhyner sein gewünschtes Vorgehen bekannt.
«Einverstanden», antwortete der Pikettoffizier, «macht die routinemässigen Abläufe, sollte eine Medienmitteilung nötig werden, meldet euch nochmal bei mir und haltet mich auf dem Laufenden, sollte sich etwas Neues ergeben.»
Ohne weitere Worte fuhren die beiden Ermittler zurück nach Glarus und machten sich in ihrem gemeinsamen Büro im Polizeiposten an die Arbeit. Das Licht in ihrem Büro, welches sich im obersten Stock des Gebäudes befindet, brannte auch spät am Abend noch. Irgendwann mussten sich die beiden Ermittler jedoch eingestehen, dass weitere Abklärungen an diesem Abend keine Früchte mehr tragen würden und sie besser am nächsten Tag mit neuer Energie und allfälligen neuen Hinweisen weiterarbeiten würden. Sie verabschiedeten sich zu später Stunde und beide gingen in den langverdienten Feierabend.
Währenddessen lag Sandra Menzi praktisch regungslos im Bett und ihre Gedanken kreisten. Sie konnte sich nicht dagegen wehren. Immer wieder versuchte sie zu verstehen, was vor einem Tag geschehen war. Sie verstand nicht, weshalb es geschehen war und wie sie sich in jemandem so täuschen konnte. Wie konnte ihr Michael nur so etwas antun. Sie war doch so vorsichtig gewesen und hätte sich nie vorstellen können, dass ihr so etwas passiert, noch, dass sie an so eine Person gerät. Doch es spielte keine Rolle mehr, Michael war nicht der Mann, für welchen er sich ausgegeben hatte. Das Gedankenkarussell wurde mit der Zeit immer langsamer und nachdem Sandra von völliger Dunkelheit erfasst wurde, hörte es auf sich zu drehen.
Kapitel 4
Als Rhyner am nächsten Morgen noch verschlafen und den gestrigen langen Tag im Nacken ins Büro kam, hämmerte Gallati bereits wild auf der Tastatur herum. Er sah sie an und wusste sofort, dass etwas nicht in Ordnung war.
«Was ist los, und bitte ohne Umschweife, es ist zu früh am Morgen für indirektes Geschwafel», fragte er sie.
«Die Frau, welche wir gestern aus der Linth geborgen haben, ist verstorben, ich habe gerade eben den Anruf von der Stadtpolizei Zürich erhalten», antwortete Gallati.
«Scheisse», fluchte Rhyner, «ein toller Start in den Tag», brummte er sarkastisch.
«Es geht noch weiter», mahnte Gallati.
«Was kommt jetzt noch?»
«Es sieht so aus, als wurden Giftrückstände in ihrem Blut gefunden.»
«Verstehe ich das richtig, sie wurde vergiftet?» fragte Rhyner ungläubig. «Gibt es da noch weitere Details dazu?»
«Nein, sie konnten noch nichts Genaueres sagen und müssen es noch detailliert im Labor analysieren, sie informieren uns jedoch baldmöglichst.»
«Okay. Gibt es sonstige Neuigkeiten, etwas zur Person? Wissen wir mittlerweile wenigstens, wer sie ist?»
«Leider noch keine Rückmeldungen. Ich habe schon mit dem Pikettoffizier gesprochen und ihm gleich gesagt, dass wir momentan noch abwarten sollten, ob sich irgendwelche Hinweise ergeben, bevor wir die Medienmitteilung in Betracht ziehen.» «Ja, das denke ich auch», bestätigte Rhyner
«Er sieht es genauso», antwortete Gallati. «Aufgrund der Vergiftung hat er uns den Fall nun auch offiziell übertragen. Unseren Betrugsfall wird er jemand anderem der Kripo zuteilen, dies einfach zur Info.»
«Okay. Ich hole uns mal einen Kaffee und dann starten wir», beendete Rhyner das Gespräch.
Ohne weitere Worte verbrachten die beiden in der Folge den Morgen damit, weitere Abklärungen zu treffen. Sie gingen alle vorhandenen Informationen immer und immer wieder durch, um zu prüfen, ob sie vielleicht doch noch etwas übersehen hatten, was ihnen helfen könnte. Sie wussten, dass die Chance klein war, bei so wenigen vorhandenen Fakten etwas zu finden. Aber sie fühlten sich hilflos während des Wartens auf etwaige Ergebnisse.
Kurz vor dem Mittag kam dann der erlösende Anruf eines Arbeitskollegen. Der Postenchef von Schwanden gab an, dass er die Frau bereits einige Male im Dorf gesehen habe, das erste Mal vor ein paar Wochen. Zuvor habe er sie noch nie gesehen, was darauf schliessen liess, dass die unbekannte Frau erst seit kurzer Zeit in der Region wohnhaft war. Rhyner und Gallati hatten somit endlich einen erfolgsversprechenden Hinweis erhalten.
«Prüfst du alle Neuzuzüger der letzten beiden Monate mit dem Namen Anna und ich prüfe alle Frauen zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreissig Jahren?», fragte Gallati. «Oder noch besser, ich prüfe beides kurz selbst, geht vermutlich schneller», korrigierte sich Gallati mit einem kleinen Lächeln. Rhyner wollte protestieren, musste dann jedoch schmunzeln und wusste, dass Gallati definitiv schneller mit den Computersystemen umgehen konnte als er, also liess er sich ohne weitere Worte darauf ein und schaute gespannt auf ihren Bildschirm, währenddessen sie die Informationen eingab.
«Also, eine Anna hat sich in den letzten zwei Monaten in Schwanden, also der Gemeinde Glarus Süd, angemeldet, die ist jedoch über fünfzig Jahre alt», gab Gallati bekannt. «Das vorhandene Foto des Führerausweises passt dann doch auch gar nicht zu unserem Opfer», kommentierte sie weiter.
«Wie sieht es mit Frauen zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig Jahren aus?», fragte Rhyner ungeduldig.
«Da hätten wir in den letzten zwei Monaten fünf Frauen, welche sich in der Gemeinde Glarus Süd angemeldet haben», antwortete Gallati. «Vielleicht haben wir sie falsch verstanden und sie hiess Hanna oder so etwas in der Art, lass es mich prüfen. Nein, leider nichts in dieser Richtung, keine Anna, Hannah oder ähnliches, auch niemand mit dem zweiten Vornamen Anna. Wir haben je eine Carmen, Maja, Sandra, Andrea und Leandra. Also schauen wir uns die Fotos auf den Führerausweisen an.»
Sie mussten nicht lange suchen und obwohl es eigentlich ein Erfolg war, dass sie die Person mit so wenigen Informationen in so kurzer Zeit identifizieren konnten, machte sich keine Freude bei ihnen breit. Das Foto auf dem Führerausweis war zwar schon ein paar Jahre alt, es liess keinen Zweifel daran, dass es sich um die aufgefundene verstorbene Frau vom gestrigen Tag handelte. Sie war achtundzwanzig Jahre alt und ihr Name war Maja Keller.
Kapitel 5
Das Handy von Sandra Menzi vibrierte immer wieder, bis sie erwachte. Sie war gestern Abend wie weggetreten, nachdem sie sich aufgrund der Enttäuschung ein paar Gläser Wein zu viel gegönnt hatte. Wochenlang hatte sie sich auf den Abend mit Michael gefreut, dass er sie erstmals in ihrem Zuhause besucht, sie hatte extra das Kleid in seiner Lieblingsfarbe bestellt und zuhause alles für ein romantisches Abendessen, seiner Lieblingsspeise Pasta, vorbereitet, genauso, wie er es sich gewünscht hatte. Also nicht, dass er direkt gesagt hätte, er wolle Pasta essen oder dass sie ein rotes Kleid tragen solle, aber bei den vielen Telefonaten und Nachrichten bemerkte sie die kleinen Hinweise, wonach Pasta seine Lieblingsspeise und rot seine Lieblingsfarbe war.
Dann, am späteren Samstagnachmittag, kurz bevor es endlich soweit war, schrieb er ihr eine Nachricht, dass alles vorbei sei. Es sei ihm zu schnell gegangen und zu viel geworden, er könne so nicht weitermachen. Völlig überraschend schrieb er auch, sie solle sich bitte nicht mehr bei ihm melden. Er wolle weder reden noch stände irgendetwas zur Diskussion, sein Entscheid sei endgültig. Nachdem alles so perfekt gelaufen war, traf sie die plötzliche Trennung des vermeintlichen Seelenverwandten wie ein Schlag. Sie konnte nicht mal mit jemandem darüber reden, sondern trank zuhause ein Glas Wein nach dem anderen, um sich irgendwie zu trösten. Sie musste das alles zuerst alleine verdauen, bevor sie sich jemandem anvertrauen konnte. Bekannte von ihr machten sich schon zuvor Sorgen und hatten sie gewarnt, da sie ihn nur aus dem Internet kannte. Sie hatte nicht auf ihre Leute gehört und kam sich jetzt so dumm vor.
Sie konnte sich am gestrigen Tag auch nicht daranhalten, Michael nicht mehr zu kontaktieren und schrieb ihm mehrere Nachrichten. Dabei fragte sie ihn, weshalb er sich nun plötzlich so entschieden habe und wieso er ihr dies antuen würde. Es kam nichts zurück und auch ihre Nachrichten wurden nicht gelesen, er muss ihre Nummer wohl blockiert haben. Umso erstaunter war sie nun, als sie auf ihr Mobiltelefon schaute und sich etliche Nachrichten von Michael darauf befanden.
Er ärgerte sich wieder über sich selber, obwohl er wusste, dass es unprofessionell war. Er hatte sich für Maja entschieden, die Umstände passten einfach besser, um seiner langjährigen Arbeit endlich die Krone aufzusetzen. Zudem wohnte Maja erst seit kurzer Zeit im Kanton Glarus, weshalb es dauern würde, bis sie jemand vermissen und sie im ursprünglich geplanten Zustand identifizieren könnte. Sandra war nur seine zweite Wahl gewesen und als Notfallersatz geplant, sollte bei seinem Plan mit Maja etwas schiefgehen, was ja nun leider der Fall gewesen war.
Nachdem er am Samstag definitiv wusste, dass das Nachtessen und somit sein grosses Finale mit Maja stattfinden würde, hatte er die «Beziehung» mit Sandra gleich beendet. Er hatte es ihr so geschrieben, dass sie sich auch nicht mehr bei ihm melden würde und sollte sie es trotzdem tun, sie nicht überrascht wäre, dass nichts von ihm zurückkommen würde. Um seinen langersehnten Abend zu geniessen, hatte er zur Sicherheit auch ihre Nummer blockiert. Er hätte sich grundsätzlich auch einfach gar nicht mehr bei ihr melden können. Die Gefahr hätte dann jedoch bestanden, dass Sandra sich vor lauter Sorgen um ihn am Schluss noch bei der Polizei gemeldet hätte. Klar, sein Online-Auftritt, die Telefonnummer, sein Aussehen, alles war gefälscht und es führten keine Rückschlüsse zu ihm, jedoch ging er lieber auf Nummer sicher. Nun, da ihm sein Plan bei Maja misslungen war, musste Sandra als Ersatz einspringen, weswegen er es bei Sandra irgendwie wieder geradebiegen musste. Er hasste das schleimige Getue, als würde ihm etwas an ihr liegen, aber er war selbst schuld.
Es munterte ihn zumindest ein wenig auf, dass er mit Sandra noch ein Ass im Ärmel hatte. Glücklicherweise hatte er soweit vorausgeplant, ansonsten hätte er wieder Monate damit verschwendet, unzählige Frauen online kennenzulernen und diese dann anzulügen und Interesse an ihrem langweiligen Leben zu heucheln, bis er sie soweit hatte, dass sie dachten er sei ihre grosse Liebe und er sie manipulieren konnte. Vor allem, bis er wieder jemanden hatte, bei welchem die Umstände so perfekt waren.
Jedenfalls war er mittels Nachrichten gerade daran, Sandra Menzi klarzumachen, dass alles nur ein Missverständnis gewesen sei. Er schrieb ihr, dass sich das Projekt, an welchem er arbeitete, nun doch herauszögern würde und das Treffen so nicht hätte stattfinden können. Er hätte so ein schlechtes Gewissen gehabt und in einem Anflug von Panik die Beziehung beendet, weil er sie so enttäuscht habe. Es fiel ihm leicht, sie anzulügen und er grinste, als er die Nachrichten schrieb.