An ihren Taten sollt ihr sie erkennen - Hans-Christian Lange - E-Book

An ihren Taten sollt ihr sie erkennen E-Book

Hans-Christian Lange

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Beschreibung

Regierungen und Reiche profitieren von der Corona-Krise. Sie haben mehr Macht und Geld, predigen Moral, aber sie lösen die Krise nicht. Im Gegenteil: Corona stellt den sozialen Sprengsatz scharf, der die Spaltung der Gesellschaft durch Verschuldung, Ausgrenzung und Verteilungskonflikte um Impfstoff weiter vorantreibt. Hans-Chrisian Lange, Ex-Kanzleramtsberater und BMW-Manager, der 2016 mit SOCIAL PEACE die erste Band- und Leiharbeitergewerkschaft gründete, sagt den Macht- und Geldeliten in seinem Neuen Buch den Kampf an. Er fordert ein "Bündnis der Betrogenen", eine Bewegung von unten, die mit neuen Werten, neuen öko-sozialen Zielen und einem neuen Gemeinsinn Demokratie, sozialen Frieden und Ökologie für eine nachhaltige Zukunft stärken.

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Ebook Edition

Hans-Christian Lange

An ihren Taten sollt ihr sie erkennen

Ein Insider entlarvt die neue Geld- und Politikkaste

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www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-835-8

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2021

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhalt

Inhalt
I. Einleitung
1. Die apokalyptischen Reiter der 1920er-Jahre kehren zurück
Reiche und Einflussreiche
Aus der Vergangenheit gelernt?
Schicksal eines Elitenkritikers
Eliten gegen Bevölkerung
Lobbyismus, Korruption, Staatserpressung
Eliten verraten die Demokratie
Neue apokalyptische Reiter: Die Kasten
Wo liegt die moralische Schuld?
Staats- und Regierungsversagen
Exkurs I: Expeditionen ins Reich der Einflussreichen
1. Wie ich in die Bunkervilla der Geld- und Machteliten eindrang
Stockholm als politischer Hotspot im Zweiten Weltkrieg
Reuters Exil
Reuter und das vereinte Deutschland
Briefing durch den Premier
In der Bunkervilla
Machtzirkel privater Art
Elitenkritik
2. Von »Hyänen«, »Elefanten« und »Gorillas« – was ich unter gemischten Raubtiergruppen erlebte
»Elefant« »und »Hyäne«
Einsame Elefantenbullen
Terrorgefahr durch Eliten?
Der »Gorilla« an der Wallstreet
Wenn Blut im Wasser ist
Freifahrtschein statt freiem Fall
Dolores – ein sexy Mädchenname?
»Schöpferische Zerstörung«
Partikularinteressen der Politik
II. Grausame statt goldene 20er-Jahre?
1. Von »Ratten«-‚ »Krebs«- und »Eimermenschen«
Darwin’sche Gesetze im Schweinestall
Selektion des modernen Homo sapiens
Begünstigte und benachteiligte Spezies
»Survival of the Weakest«
2. Sozialdarwinismus schrumpft Körper
»Ratten und Krebsmenschen«
Infektionsrisiko für »Untermenschen«
»Eimermenschen« in Deutschland
Exkurs II: Entlarvung der Elitenmoral: Wie ich vom Kanzleramtsberater zur Gelbweste wurde
1. Gewerkschafts- und Gelbwesten-Showdown
Deutsche und Franzosen stehen auf
Das »petit peuple« wacht auf
Biotop der Bessergestellten
Zeit der Zahnlosen
Gewalt und Gegengewalt
Aufstände »auskärchern«
»Präsident Bling Bling«
Revolutionär gegen »Riens«
2. Sprengsätze im Revolutionsquartier Schwabing
Die Befreiung des Gustl Mollath
Lenin als Nachbar der Millionäre
Deutscher Geheimdienst stürzt Zaren
Die rote Republik
3. Machtkampf gegen das »Modell Seattle«
Der große Bevölkerungsaustausch
»Modell Seattle« in München
4. Die neuen Überlebensbedingungen
Autonomie der Abgehobenen
Echte und falsche Eliten
Kaste ohne Volk
Herrschaft ohne Alternative
Homo sapiens sapiens
Geheimcodes der Geldeliten
5. Der »Homo neoliberalensis«
Künftige Kriege der Finanzwelt
Die Spezies »seltener Kombinationen«
Privilegierte gegen primitive Populationen?
6. Eine globale Kaste koppelt sich ab
Die neuen Superreichen …
… und ihre Machtzentren
Leistungs- oder leistungslose Kaste?
Die eigene Alternativlosigkeit
Moral als Klassenunterschied
7. Der Rassismus der Reichen und Einflussreichen
Vertrauensverlust der Demokratie
Widerstand gegen den Verrat von oben
Virusausbreitung und Börsenrallye
Toxische Medienimperien
Die toxischen Big Tech
Zensur der Zuckerbergs
Corona-RAF und andere schlimme Finger
8. Das Volk in der pandemischen Vorhölle
Das oligarchische Dutzend
Die Kasten schalten den sozialen Sprengsatz scharf
Vergiftung von innen
Privatiers in der Pandemie
Drohendes Durchregieren
Arme leben kürzer
Frauen leben schlechter
Knallhartes Kastenwesen
III. Pest, Panik und Plutokratie: Warum die oberen Kasten das Volk aufgeben
1. Der Neoliberalismus mutiert zum Nihilismus
Krise des Kapitalismus
Die Krise elektrisiert und politisiert
Das zerstörerische Element des Neoliberalismus
Zersetzung der Seelen
Wertezerfall und seine Folgen
Vulgarisierte Elite
2. Die Wiener Weltmachtvisionäre Adolf Hitler und Friedrich von Hayek
Extremismus provoziert Extremismus
Traum vom Kolonialreich
Die erfolgreichste Ideologie des 20. Jahrhunderts
Die Thatcher-Reagan-Revolution
3. Die neuen Kasten und ihre »Kolonialreiche«
Kolonialer Freihandel als Vorbild
Gegen Demokratie und Volkssouveränität
Das geheime Grundgesetz der Globalisten
4. Das »Menschenrecht auf Kapitalflucht«
Erpressung der Nationen
5. Liberale Kasten führen Krieg
Drohnen-Krieger Obama
Neoliberalismus oder Neobarbarei?
IV. Das Zeitalter des Zorns: Der Demos meldet sich machtvoll zurück
1. Das Volk verliert das Vertrauen
Toxische Botschaften
Die Oberen schüren Ohnmacht und Ressentiments
2. Die Angriffskriege als Sündenfall der Supereliten
Neoliberale Selbstverteidigung
Friedensschwüre zerbrechen
Wohlfahrtsversprechen zerplatzen
3. Die europäischen Kasten ignorieren den Demos
Demokratische Referenden als Reinfall
4. Populismus als Widerstand und Ventil des Volkes
Viele verpassen den Aufzug
Vulgarität von unten?
Opposition durch Occupy Wall Street
Neue soziale Literatur
Abrechnung mit den Politikkasten
Privilegierte Moral gegen Populismus von unten
Die neue Massenbewegung Aufstehen
5. Der Auftakt zur Revolte vor Corona
Gegen den Strom der »flüssigen Gesellschaft«
Ausbruch der französischen »Gelbwestenbewegung«
6. Die bleierne Zeit geht zu Ende: Das Jahr der Massenproteste 2019
Das Desaster des europäischen Demos
Deutsche Führung nach französischem Gusto
Medien rufen zum Aufstand auf
V. Flucht vor Volk und Virus: Die Kasten koppeln sich ab
1. Die Rückkehr von Gewalt und politischen Morden in Deutschland
Böse Blutlinie und toxische Konzerne
Makel politischer Morde
Herrschaftswissen im Ausverkauf
Annus horribilis
Anomie und Anarchie
Verlust der Kontrolle über das eigene Leben
Dolchstoßlegenden gegen die Demokratie
Die Reiter galoppieren wieder
2. »Wir hängen Dir das Pestglöckchen um«
Covid erstickt
Säbelrasseln der Staatsspitze
Die Lage an der Front
Vorteil der Begüterten
Kritiker als psychisch Kranke?
Virokratie im Süden
Nervennahrung für die Finanzmärkte
Wasserpistole statt Bazooka
Konzerne statt Kellner
3. Globale Migranten verraten verseuchte Volksmassen
Schaumbäder und Salber
Unternehmen und Lebensmittel leerkaufen
»Survival of the Richest«
Geparkte Menschen begehren auf
Luxus- gegen Armenquarantäne
Mit dem Pharao ins Grab?
Keine wilden Tiere
4. »Sie dürfen Dein Essen nicht riechen«
Lieber verbunkern statt plündern
Sozialdarwinisten auf der Seidenstraße der Seuche
Keine kleinen Fluchten für kleine Leute
Gewinne der Leistungslosen
Plattform- und Pharmakonzerne
5. Pandemie-Spiele für Plutokraten
Künstlicher »schwarzer Schwan«
»Event 201«
6. Die Maginot-Linie der Mächtigen: Neue deutsche Schutzbunker?
Plan B der Prominenten
Reiche im Raketensilo
Finanzieller Fall-out
7. Spionagekrieg um Schutzkleidung
Pharma-Piraterie
8. Marsianische Fieberphantasien
Die Beta-Version der Menschheit
Neuer Lebensraum im Orbit?
Exkurs III: Verfolgungswahn im »Green Room« der Milliardäre
Fünf Milliardäre und ein Whistleblower
Blockchain oder Bunkerbau?
Klimakrise und andere Kollapse
Elektronische Halsbänder für Bodyguards
VI. Hobbits, Hooligans, Vulkanier: Der Heilige Krieg zwischen Kaste und Masse
1. Die soziale Schattenpandemie
Tracking von Mitbürgern
Kasten treiben Keil
Rolltreppe nach unten
2. Klassenkampf von oben
Ischgl oder Eitergeschwüre?
Proleten als Parasiten
Corona-geschleifte Gesellschaftsschichten
Radikalisierung durch Missachtung und Moral
Die Peripherie des »petit peuple«
3. Hass auf Hobbits und Hooligans
Kostümpartys der oberen Klasse
Neoliberaler Kreuzzug gegen die Demokratie
Sozialdarwinist ohne Skrupel
4. Paria- und Parallelgesellschaften
Mächtige spielen Marginalisierte aus
5. Die einheimischen Fremden
Fremde Fremde und eigene Fremde
6. »Dunkeldeutschland« blutet aus
Mezzogiorno Ostdeutschland
Verlust von Heimat und Kultur
7. Arbeiter als Aussätzige
8. Quarantäne als Folter
Exkurs IV: Sex, Zwangsarbeit und Spezialimmobilien
Aufarbeitung des Dritten Reichs
Berliner Hauptstadtgespräche
1. Morddrohungen gegen Murat
Selbstmordserien und Schweinestahl
Soziale Ächtung
Wir und ihr
2. Brandbrief der Bandarbeiter
Darwinist Piëch?
Sex-Skandal VW
Gewerkschafts- und Politikkaste
Osterloh kämpft für die Kasten
VII. Angst, Ausgrenzung, Ausnahmezustand: Die Globalokalypse greift um sich
1. Verrat an der Demokratie von oben
Wirecard und Geheimdienste
2. Drahtzieher im Dunkeln
Verfassungsschutz gegen »Covidioten«
3. Die politische Kaste ermächtigt sich
Gesundheits- oder Demokratiekrise?
Coronare Verzwergung
4. Der »deutsche Blick« kehrt zurück
Irrungen und Wirrungen
Geteert und gefedert
5. Das Jahr der Ratte 2020
Mutantenvirus oder Mutantenratten?
Pumas in Privatwohnungen
Panik und Gewalt
Krisenfutter für die Karstadt-Krake
6. Katastrophen im Interregnum
Liberale Impf-Nationalisten
Französischer Impf-Chauvinismus
Schulen öffnen für das Virus
7. Weltbürgerkrieg um Biosicherheit?
Globale Gerechtigkeitsfalle
Genetische Traumata
Hybris der Staatsspitze
8. Die »reine Kanzlerin« und das »unreine Volk«
Muttis Schloss
Von Verzicht keine Rede
Neoliberale, soweit das Auge reicht
VIII. Gemeinsinn, Gegenmacht, Gewalt von oben? Wer uns nicht beschützt, muss weg
1. Aufstandsbekämpfung von oben und Gegengewalt von unten
Verlust des Gemeinsinns
»Failed State«
Aufstandsbekämpfung von oben
»Befriedung« von oben
2. Immunität für obere, »Unendlichkeitshaft« für untere
Gegengewalt von unten?
Wehrlose Körper
Rückzugsorte des Volkes
3. »Gemeinschaftsgefährder« von oben?
Guillotine gegen das Geld?
Globalkonzerne »fressen sich voll«
Gefährdung der Gesellschaft durch Geld?
Politik als Totalausfall
Anzeichen von Bürgerkrieg
IX. Nationale Demokratie oder globaler Markt?
1. Kampf um die Demokratie
Das Vakuum der sozialen Frage
2. Kampf gegen den Krieg
Marshallplan für die jungen Menschen
3. Kampf gegen die Kasten
Danksagung
Anmerkungen

Dieses Buch habe ich meinen Kindern Alexandra, Armin und Jana gewidmet

I. Einleitung

1. Die apokalyptischen Reiter der 1920er-Jahre kehren zurück

»Das Ende ist nah – aber für wen?«1

Michael Mann, amerikanischer Regisseur, 2014

Wir stehen wieder am Beginn von 20er-Jahren. Wenn wir zurückblicken, fragen wir uns: Werden sie wieder golden für wenige und grausam für viele – wie die letzten 20er-Jahre vor einem Jahrhundert? Das damalige Jahrzehnt war von Krisen geprägt. Überall tauchten apokalyptische Reiter auf und verbreiteten Angst und Schrecken, Elend und Tod. Die Völker sammelten sich wie heute um ihre Eliten und suchten Schutz.

Die jüdische Journalistin Gabriele Tergit notiert im Jahr 1920 über die Stimmung in Berlin, Paris und New York, dass man »(…) die apokalyptischen Reiter (zu gut kannte), als dass man sich noch über einen mehr gewundert hätte«.2

Tergit hatte gerade den Ersten Weltkriegs erlebt, der weltweit über 15 Millionen Menschen das Leben gekostet hatte. Zu seinem Ende brach die Spanische Grippe aus. Diese Seuche kostete bis zu 50 Millionen zusätzliche Menschenleben. Weitere Reiter des Unheils folgten. Sie überzogen die Welt mit immer neuen Krisen. Manche von ihnen waren gut erkennbar, manche aber zeigten sich erst, als sich eine noch größere Katastrophe anbahnte.

Heute, hundert Jahre später, zu Beginn der 2020er-Jahre, begegnen wir erneut apokalyptischen Gestalten. Es sind Wiedergänger der früheren. Manche erkennen wir sofort, andere weniger oder überhaupt nicht. Geschichte wiederholt sich zwar nicht, aber bestimmte Gefahren und Risiken durchaus. Der Sturm auf das Kapitol im Januar 2021 zeigt: Fast hätte dort eine kleine Machtclique eine der stabilsten Demokratien der Welt an den Kipppunkt gebracht.

Immer wieder können sich Krisen in Katastrophen verwandeln. So wie in den 1920er- und 1930er-Jahren: Die Krisen kulminierten zur Katastrophe von Diktatur und Weltkrieg. Doch es war nicht der ­apokalyptische Reiter der Pandemie von 1920, der die endgültige Kata­strophe heraufbeschwor. Auch nicht die Hyperinflation von 1923, die die deutsche Bevölkerung enteignete, oder der Börsencrash von 1929 – so wenig wie die Weltwirtschaftskrise von 1930 oder die Massenarbeitslosigkeit. Nichts davon kippte die Demokratie Richtung Diktatur, nichts davon den Frieden Richtung Krieg.

Reiche und Einflussreiche

Es war damals eine kleine Gruppe von Reichen und Einflussreichen, die das verbrochen hat. Sie bildeten die Elite, auf deren Krisenmanagement die deutschen Bürger ihre Hoffnung setzten. Diese Elite sollte vermeiden, dass die Krisen sich zu einer Katastrophe auswuchsen. Aber ihre Worte und ihre Taten standen in einem Widerspruch. An ihren Taten hätte man sie erkennen können. Doch da war es schon zu spät. Darum müssen wir heute, angesichts neuer Krisen, besonders darauf achten, ob die Reden der Eliten sich mit ihren Taten decken oder ihnen widersprechen.

Damals predigten sie Gemeinsinn, Demokratie und Frieden, verstießen aber selbst dagegen. So wurden diese Kasten zum apokalyptischen Reiter. Sie täuschten die Bevölkerung und zerstörten die Demokratie.

Aus der Vergangenheit gelernt?

Heute gibt es eine neue Krise, die Covid-Pandemie, und es gibt neue Eliten. Die Deutschen haben die Unheilsgestalten der Zwischenkriegszeit nicht ganz vergessen. Sie hoffen, dass die Eliten der heu­tigen, der zweiten deutschen Demokratie aus den Katastrophen gelernt haben und es dieses Mal besser machen. Blicken wir kurz zurück, um das beurteilen zu können.

Die damaligen oberen Kasten hatten überdurchschnittlich von Krieg und Krisen profitiert. Sie bereicherten sich teilweise am Ersten Weltkrieg. Danach erlebten sie goldene 20er-Jahre, die Mehrheit der Deutschen jedoch grausame. Teile der Elite verwandelten sich in eine korrupte Clique. Sie vertraten nicht mehr die Interessen der Bevölkerung, sondern ihre eigenen gegen diejenigen der Allgemeinheit. Was war ihr Motiv? Ihre Hauptangst galt ihren Interessen und ihrem Besitz. Wer bildete diese Kaste? Sie setzte sich aus Großindustriellen, Bankiers, Großgrundbesitzern und hohen Politikern zusammen. Im Weltkrieg und in den darauffolgenden Staatskrisen hatten sie mehr Macht und Einfluss angesammelt, als es ihnen sonst möglich gewesen wäre.3

Schicksal eines Elitenkritikers

Schon damals, zu Zeiten der Berliner Journalistin Tergit, warnte ein Mann frühzeitig vor ihnen. Es war der junge Hauptmann Kurt von Schleicher. Er veröffentlichte mitten im Ersten Weltkrieg, während der Schlacht von Verdun, eine Denkschrift, in der er die Bereicherung einiger weniger auf Kosten der Vielen anprangerte. Er empörte sich über die »Kriegsgewinnler«, die als Großindustrielle oder Spekulanten vom Krieg profitierten, während das Volk litt, oder die sogar direkt am Tod von Millionen Soldaten verdienten.4

In den liberal-konservativen Führungsschichten echauffierte man sich heftig über Schleichers Pamphlet. Er aber machte trotzdem Karriere und sollte als der »rote General« 16 Jahre später der letzte demokratische Reichskanzler der Republik werden. Historiker bezeichnen ihn als die letzte Chance von Weimar. Verzweifelt versuchte er unter schwierigsten Umständen, Hitlers Machtergreifung zu verhindern. Aber genau die korrupten Eliten, die er als junger Offizier angeprangert hatte, fielen ihm in den Rücken.

Sie hatten das perfekt vorbereitet. Jahre zuvor sammelten Großindustrie und Großgrundbesitzer Gelder und schenkten dem Reichspräsidenten von Hindenburg ein Rittergut. Dieser Fall von Korruption sollte später den Sturz der Demokratie ermöglichen.5

Als General von Schleicher Reichkanzler geworden war, beging er im Krisenjahr 1932 zwei fatale Fehler: Er versuchte die Partei Hitlers zu spalten, was dieser vereitelte. Und Schleicher ging daran, die Privilegien der Großgrundbesitzer zurechtzustutzen: Er plante eine Reform, die das Vermögen und Eigentum dieser Kreise bedrohte. Mit beiden Maßnahmen machte er sich erbitterte Feinde, die sich hinter seinem Rücken zusammenschlossen.6

Eliten gegen Bevölkerung

Die Verschwörung der Eliten vollzog sich ohne Wissen des Parlaments und der Bevölkerung. Heute wissen wir: Diese hat insgesamt mehr Instinkt gegenüber den Machtambitionen Hitlers bewiesen als die Geld- und Machteliten. Die Wähler ließen Hitlers NSDAP die gesamten 1920er-Jahre nicht über den Status einer mickrigen Nischenpartei hinauskommen – und selbst bei den Reichstagswahlen von 1928 erreichte die NSDAP nur 2,6 Prozent der Stimmen. Erst nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise und der Massenarbeitslosigkeit im Jahr 1930 erreichte sie den Höhepunkt von 18 Prozent. Die Wähler verpassten ihr bei den Reichstagswahlen vom November 1932 aber wieder einen entscheidenden Dämpfer – mit einem Schwund von vier Millionen Stimmen. Damit hatte Hitler es versäumt, auf dem Höhepunkt seiner Wahlerfolge nach der Macht zu greifen.

Er trug sich deshalb mit Selbstmordgedanken. Joseph Goebbels ­notierte in seinem Tagebuch, die gesamte NSDAP-Führung sei der Verzweiflung nahe: »Die Zukunft ist dunkel trübe, alle Aussichten entschwunden.«7 Gemeint waren die Aussichten auf eine legale Macht­ergreifung. Hitler schrieb seinen Erfolg ab.

Jetzt aber kam es zu einer der tragischsten Wendungen der deutschen Geschichte: Teile der Eliten drehten die Uhr eigenmächtig zurück – und leisteten damit wesentlichen Vorschub für die Diktatur, wie das später auch der Nürnberger Gerichtshof bestätigte.

Lobbyismus, Korruption, Staatserpressung

Ein einflussreicher Vertreter der damaligen Finanzelite und der Großindustrie, der Bankier Kurt von Schröder, fädelte in seiner Kölner Villa ein geheimes Treffen mit Hitler und dem Ex-Kanzler Franz von Papen ein. Dieses Treffen gilt Historikern bis heute als »Geburtsstunde des Dritten Reichs«.

Denn jetzt drängte ein Teil der Großindustrie und der Großgrundbesitzer vehement beim Reichspräsidenten von Hindenburg auf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler.8 Hitler selbst besaß Erpressungsmaterial – in Zusammenhang mit der Schenkung der Eliten an Hindenburg – und übte damit Druck aus. Und tatsächlich erwies sich der Reichspräsident als erpressbar.9 Die kleine Machtclique zwang von Schleicher, den »Sozialisten in Generalsuniform«10, zum Rücktritt und schaltete gleichzeitig den Souverän, das Volk, aus. Sie installierte Hitler ohne Wahlsieg an der Macht. Fünf Wochen später jubelte Goebbels: »Es ist wie ein Traum. (…) Der Führer arbeitet bereits in der Reichskanzlei.«11

Dieser entmachtete wenig später den Reichstag, der bald darauf in Flammen aufging. Er hatte allerdings nicht vergessen, dass von Schleicher einer seiner gefährlichsten Gegner war. In der »Nacht der langen Messer« im Juni 1934, in der der neu gekürte Diktator mit politischen Gegnern abrechnete, schickte er ein SS-Kommando zum Haus des roten Generals, der sein Land nicht verlassen wollte, und ließ ihn illegal erschießen. Der gefügige Reichstag verabschiedete ein Gesetz zur »Staatsnotwehr«, das diese Mordtaten legalisierte.

Eliten verraten die Demokratie

Der Weimar-Experte, der Historiker Fritz Fischer, resümiert: »… dass nicht die Wahlergebnisse, die im November 1932 für die NS-Politik rückläufig waren, Hitler an die Macht brachten, sondern die Politik der Machteliten, (…) auch bedeutende Gruppen der Industrie (…) waren am Prozess der Machtübertragung beteiligt.«12 Der Gelehrte Dietrich Schwanitz wird noch deutlicher: Nicht die bayerischen Bierzeltfaschisten und nicht die großen NSDAP-Wählergruppen in Norddeutschland verhalfen Hitler an die Macht, sondern eine sogenannte Kamarilla aus Großindustrie, Hochfinanz und Spitzenpolitik.13 Diese Eliten wollten ihr Vermögen und ihren Status retten und opferten dafür Demokratie und Souveränität des Volkes.

Kehren wir in die heutige Zeit zurück und stellen die entscheidende Frage: Ist es heute nicht mehr vorstellbar, dass eine kleine Minderheit eine Demokratie ins Kippen bringt? Zwei aktuelle Ereignisse widerlegen das: zum einen der von Präsident Trump initiierte Sturm auf das Kapitol Anfang 2021 und zum anderen die Putschdrohung französischer Generäle im Frühjahr 2021.14

Dass die Bevölkerung weltweit ihren Eliten immer weniger traut, hat sich allerdings schon lange vor der Corona-Pandemie abgezeichnet. Der Harvard-Professor Yascha Mounk beobachtet mit Sorge weltweit den »Aufstieg der illiberalen Demokratie«: In dieser »gewinnen Eliten immer mehr Kontrolle über das politische System und schotten es Zug und Zug von der Öffentlichkeit ab«.15

So untergräbt heute wie damals der Lobbyismus die Stabilität der Staaten. Er verschafft einzelnen privilegierten Kreisen Vorteile und schädigt die Allgemeinheit. In Europa steigt er bedrohlich an: »In den 1970er-Jahren gab es in Brüssel noch keine 1 000 registrierten Lobbyisten. Heute versuchen Tag für Tag mehr als 30 000 Lobbyisten, die Politik der EU zu beeinflussen.«16 Und in Berlin sind allein 6 000 von ihnen unterwegs.17

Neue apokalyptische Reiter: Die Kasten

Zusätzlich stehen heute neue apokalyptische Reiter am Horizont ­bereit: eine mögliche neue Weltwirtschaftskrise, globale Fluchtbewegungen wegen Impfstoffmangel, Hyperinflation, drohende Staats­bankrotte, Klimakrisen und Massenarbeitslosigkeit, aber auch autoritäre und radikale Politiker, die auf ihre Chance lauern.

Und warum gelten die heutigen Eliten als Kasten? Die afro-amerikanische Pulitzer-Preisträgerin Isabel Wilkerson liefert dafür die Begründung. Sie hat den Begriff treffend in ihrem aktuellen Buch The Caste definiert. Darin arbeitet sie sechs Säulen heraus, auf denen das Kastenwesen bis heute aufbaut – ob es sich nun durch rassistische, soziale oder moralische Kriterien bestimmt. Denn die sogenannten neuen Kasten grenzen und kapseln sich mit Hilfe sowohl eines ethnischen wie eines sozialen Rassismus ab.

Wilkerson arbeitet folgende Herrschaftsprinzipien der Kasten heraus: Erbfolge; Endogamie oder strenge Auswahl der Zulassung zur Kaste; Förderung harter Hierarchien in der Gesellschaft; »Reinheit« der eigenen Mitglieder; angeborene Überlegenheit gegenüber der angeborenen Unterlegenheit der übrigen Mitglieder; Entmenschlichung und Stig­matisierung »niederer Kasten«; Gewalt und Terror zur Abgrenzung nach unten.18

Der Kenner der sogenannten Superklasse, der ehemalige amerikanische Politiker David Rothkopf, hat die obersten Geld- und Politikkasten des 21. Jahrhunderts schon 2008 grob skizziert: »Menschen, deren Entscheidungen Tag für Tag riesige Vermögenswerte auf Märkten verschieben, rund um den Globus Arbeitsplätze schaffen, verlagern oder abbauen und über das Schicksal von Regierungsprogrammen, manchmal sogar ganzer Regierungen befinden.«19

Die Zehnerjahre mit weltweitem Wachstum und die Corona- Krise haben Macht und Einfluss dieser winzigen Minderheit der Weltbevölkerung weiter ausgedehnt. Und sie haben sie auch in Deutschland stärker denn je ermächtigt.

Folgende Fragen stehen deshalb zur Debatte: Konzentrieren die Geldeliten möglicherweise Vermögen und Macht in einer nie dagewesenen Weise – und vergrößern damit den Abstand zu den restlichen 90 bis 99 Prozent der Bevölkerung? Schotten sie sich in exklusiver Weise ab und schützen sich, wie das den Eliten in der bisherigen Geschichte der Menschheit bisher nie möglich war – nicht einmal in den Zeiten von Feudalismus und Absolutismus? Und gefährden diese Eliten damit die Demokratie, die soziale Gerechtigkeit, aber auch das ökologische Gleichgewicht insgesamt? Die Antworten auf die Thesen werden zeigen, was neu ist an den Geld- und Politikeliten und was sich wiederholt.

Wo liegt die moralische Schuld?

Bedauerlicherweise schiebt die deutsche Politikkaste die moralische Schuld an der Pandemie immer wieder der Bevölkerung zu, lähmt diese aber gleichzeitig mit Zwangsmaßnahmen und dem Entzug von Rechten. Spitzenvertreter der Politik geben Durchhalteparolen aus und beschwören in ihren Reden die Demokratie. Dabei senden sie aber immer wieder die Botschaft aus, dass die Hauptgefahr für die Demokratie bei der Normalbevölkerung liege.

Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie belegt, wie gesagt, das Gegenteil. Darum ist zu prüfen, ob nicht erneut die größere Gefahr im Zusammenspiel der heutigen Geld- und Politikkasten besteht: also zwischen Spitzen von Politik und Staat auf der einen Seite und Spitzenvertretern von Wirtschaft und Finanzwelt sowie den obersten Schichten der Gesellschaft, vor allem auch der tonangebenden akademischen Elite auf der anderen Seite.

Denn ein Krisenphänomen aus der Zwischenkriegszeit wiederholt sich: Die heutigen Kasten werden durch diese Kooperation teilweise erneut für Korruption anfällig, ja sie bereichern sich aktuell an der Corona-Krise und sogar am Krisenmanagement: Das belegen in Deutschland die »CumEx-Skandale«, die »Panama-Papers«, die »Wirecard«- sowie die Korruptions- und Maskenskandale, in die allesamt Wirtschafts- und Politikeliten gemeinsam verstrickt sind.

Staats- und Regierungsversagen

Kehren damit Krisen oder gar Katastrophen der 30er-Jahre zurück? Das fragt sich mancher Zeitgenosse zu Recht.

Eines steht bereits fest. Die deutsche Bevölkerung erkennt im zweiten Krisenjahr 2021 schockiert und fassungslos: Deutschland verliert seinen Nimbus als gut organisierter Staat. Die hohe Politik hat Bürger- und Freiheitsrechte massiv und relativ eigenmächtig ausgehebelt. Sie hat wie damals erneut Parlament und Bevölkerung außen vor gehalten. Sie hat die junge Generation massiv benachteiligt und große Teile der Gesellschaft diskriminiert, aber große Player der Wirtschaft wie zum Beispiel Konzerne großzügig bedient. Die Führenden stellen damit die Demokratie in Frage.

Leitmedien sprechen darum zum ersten Mal von Staats- und Regierungsversagen größten Ausmaßes. Wirtschaftsbosse lästern über unseren »Failed State«.20 Führende Vertreter des Staates fordern sogar eine Neugründung der Bundesrepublik Deutschland – ein eigentlich unerhörter Vorgang –, stellen sie damit doch das ganze System infrage.21

Im Frühjahr 2021 ruft ein Spitzenpolitiker der Republik sogar verzweifelt nach einer »Revolution«. Was meint Ralph Brinkhaus, der Fraktionsvorsitzende der regierenden Unionsparteien, damit? Will er eine Revolution von oben auslösen oder ruft er zu einer Revolte von unten auf? Entpuppt sich der Ruf nach einer Revolution vielleicht – wie so oft in der Geschichte – als Ruf nach einem starken Mann oder einer starken Frau? Schlittern wir also in ein neues autoritäres Jahrhundert? Um diese Frage zu beantworten, werden wir im Folgenden das »Panorama« der Geld- und Machteliten genau ableuchten: Wie leben und arbeiten sie und welche Visionen und Ziele verfolgen sie tatsächlich? Und wieweit weisen ihre Reden und ihre Taten Widersprüche auf – die uns erneut täuschen?

Exkurs I: Expeditionen ins Reich der Einflussreichen

1. Wie ich in die Bunkervilla der Geld- und Machteliten eindrang

»Die internationale Arbeitsteilung besteht darin, dass einige Länder sich im Gewinnen und andere im Verlieren spezialisieren.«1

Eduardo Galeano, Schriftsteller, 1973

Mein erster tieferer Einblick in die geheimen Zirkel der Geld- und Machteliten liegt längere Zeit zurück. Ich konnte zwar als Kanzleramtsberater in den 80er-Jahren interessante Beobachtungen in den Kreisen hochrangiger Politiker sammeln. Aber Anfang der 90er-Jahre gelang es mir zum ersten Mal, in den streng abgeriegelten innersten Zirkel der Wirtschafts- und Finanzelite Europas vorzustoßen. Mir erschien das wie eine Expedition in ein hermetisch abgeriegeltes Biotop, in dem sich eine seltene Spezies aufhielt.

Dort erlebte ich persönlich, wie oberste Kreise von Reichen und Einflussreichen sich durch Herrschaftswissen ungeheure Vorteile gegenüber der Normalbevölkerung verschafften und wie sie die Grundlage für die heutige Machtzusammenballung der oberen Kasten gelegt haben.

Das exotische Macht-Archipel, mein damaliges »Galapagos«, lag nicht wie das Darwinsche im Pazifik, sondern an der schwedischen Ostseeküste. Ich arbeitete als einer der engsten Politik- und Kommunikationsberater für den Chef des damals größten deutschen Konzerns, der Daimler-Benz-AG, Edzard Reuter. Was verband mich mit diesem als unnahbar geltenden Industrieboss? Es war vielleicht der Umstand, dass wir uns beide als Außenseiter durchgesetzt hatten. Reuter und ich verabscheuen beide das von Geburt an mit Vorteilen ausgestattete Establishment und nutzten damals einige Gelegenheiten, diese verkrusteten und geschlossenen Kreise zu attackieren.

Wir starteten die Reise im November 1992 in einer Falcon 10, einem Konzern-Düsenjet. Sie hatte nur acht Sitzplätze, Reuter, ich und zwei Sicherheitsexperten waren die einzigen Passagiere.

Die Maschine nahm Kurs Richtung Stockholm, denn dort residiert eine der reichsten und unnahbarsten Milliardär-Dynastien Europas, der Wallenberg-Clan. Zu seinem Imperium zählten damals die Konzernschwergewichte Volvo, Scania und Asea Brown Boveri und zusätzlich eine der wichtigsten schwedischen Banken, die Enskilda Banken.

Stockholm als politischer Hotspot im Zweiten Weltkrieg

Stockholm war im Zweiten Weltkrieg eine Schnittstelle zwischen zwei politischen Lagern, die Europa spalteten: zwischen dem Lager, das Hitler und das Dritte Reich unterstützte, und demjenigen, das dieses Regime bekämpfte – darunter auch Zeitgenossen, die zum Beispiel aus dem Exil Attentate gegen den deutschen Diktator planten. Einige wichtige dieser Kraftlinien kreuzten sich genau in der Villa der Wallenbergs, an einem Meeresarm Stockholms.

Die Wallenbergs hatten meinen Chef Edzard Reuter eingeladen. Er stammte aus einem Netzwerk von Emigranten, die in den 30er- und 40er-Jahren vor Hitler aus Deutschland geflohen waren, und blieb als führender Sozialdemokrat ein ganzes Leben lang davon politisch geprägt.

Schweden und Stockholm wurden in den 30er- und 40er-Jahren zu einem geheimen Kreuzungspunkt unterschiedlichster Untergrund-Verbindungen und -Organisationen. Das lag hauptsächlich daran, dass das Land nicht von deutschen Truppen besetzt war. Schwedens Hauptstadt wurde zu einer Schaltstelle sowohl für den jüdischen Widerstand der Familie Wallenberg wie auch für den roten von Sozialisten und Kommunisten. Willy Brandt konspirierte und agitierte hier beispielsweise eng mit dem politischen Exilanten Bruno Kreisky, der später österreichischer Bundeskanzler wurde. Auch Bertolt Brecht und die spätere Literaturnobelpreisträgerin Nelly Sachs wohnten und wirkten zu dieser Zeit in der Stadt.2

Reuter und ich waren uns in der Einschätzung des geheimen Treffens, zu dem wir uns auf den Weg gemacht hatten, weitgehend einig. Wir beide sahen es als große Ehre an, diese Familien-Dynastie zu treffen – und das besonders vor dem Hintergrund unserer Nationalität. Die Deutschen blieben nach dem Krieg noch lange Zeit von vielen politischen und wirtschaftlichen Kreisen der westlichen Welt ausgeschlossen, in manchen bis heute. So ließ auch der jüdische Wallenberg-Clan nach 1945 verständlicherweise über viele Jahrzehnte nur wenige Deutsche in sein inneres Reich vor. Reuter war einer der wenigen – außer anderen politisch Unbelasteten wie Willy Brandt oder Helmut Schmidt.

Auch mich erinnerte die Einladung bei einer der reichsten jüdischen Familien Europas an meine Bekanntschaft mit einem der Großen der französischen Résistance des Zweiten Weltkriegs. Während meines Studiums und Forschungsaufenthalts in Paris hatte ich den französischen Intellektuellen Raymond Aron Anfang der 80er-Jahre kennengelernt. Er gilt heute als einer der bedeutendsten Denker des 20. Jahrhunderts und wurde zu meinem geistigen Lehrmeister. Damals blickte er in hohem Alter auf die Zeit zurück, als er als junger Pariser Jude ein deutsches Stipendium erhalten hatte. Wir unterhielten uns darüber, wie er Hitlers Machtergreifung und die Bücherverbrennungen erlebt hatte. Als der Krieg ausbrach, floh er nach London zu General de Gaulle und übernahm wichtige Aufgaben in dessen Résistance-Bewegung »France libre«.

Nach dem Krieg brachte er seinem ehemaligen Schulkameraden Jean-Paul Sartre die deutsche Philosophie und den Existenzialismus nahe. Mir vermittelte er den Zugang zu Martin Heidegger und Carl von Clausewitz, die er als geistige Größen verehrte. Er wurde zu einem der wichtigsten Meinungsbildner Europas, der sich für die Versöhnung mit dem besiegten Deutschland einsetzte. Das stand im Mittelpunkt unseres Gedankenaustauschs, als ich ihn kurz vor seinem Tod 1982 noch ein letztes Mal traf.3

Die Erinnerung an ihn kehrte in Stockholm zurück, an einem der wichtigsten Kreuzungspunkte der europäischen Widerstandsbewegungen.

Reuters Exil

Reuter hatte seine eigene Geschichte: Er hatte, wie Aron, den Zweiten Weltkrieg in der Emigration verbringen müssen. Seine Eltern flohen mit ihm aus Deutschland – allerdings nach Süden, mit dem Orient-Express nach Ankara. Sie fanden dort für einige Jahre politisches Asyl. Edzards Vater Ernst Reuter unterhielt als führender Sozialist und ehemaliger KZ-Häftling in dieser Zeit auch eine Verbindung zu den Stockholmer Widerstandskreisen.

Ich hatte nie damit gerechnet, dass mir diese Untergrund-Netzwerke einmal den Weg in die Kreise von Eliten ebnen sollten, die den Krieg überstanden hatten und danach großen Einfluss im Nachkriegseuropa ausübten. Es gab neben diesen links-liberalen und konservativen Netzwerken allerdings noch andere, zum Beispiel die erzkonservativen oder sogar faschistischen Netzwerke, die noch Jahrzehnte nach dem Krieg aktiv blieben – schließlich endete in Spanien die Diktatur General Francos oder diejenige Salazars in Portugal erst in den 70er-Jahren.

Die alten Seilschaften der Sympathisanten des Dritten Reichs blieben auch in der deutschen Wirtschaft intakt. Eines ihrer Rückzugsgebiete bildete die Automobilindustrie. So war es kein Wunder, dass sie noch jahrzehntelang den jungen ehrgeizigen Top-Manager Edzard Reuter am Aufstieg nach ganz oben hinderten.

Aber Ende der 80er-Jahre setzte sich der »rote Finanzvorstand« Reuter endlich gegen sie durch und errang die Spitze im Daimler-Benz-Konzern.

Reuter und das vereinte Deutschland

Der Chef der Wallenberg-Dynastie, Peter Wallenberg, war im Übrigen nach strenger Familientradition männlich. Reuter schilderte ihn mir als souveränen und politisch interessierten Lenker des Imperiums – er wollte mit ihm deshalb neue mögliche Geschäftsallianzen austarieren.

Aber es ging auch um Allgemeinpolitisches. Denn Reuter war zu dieser Zeit als einer der Spitzenvertreter des gerade wiedervereinten Deutschlands unterwegs. Das war nicht unwichtig, denn damals kamen in ganz Europa alte Ängste gegen Deutschland als die plötzlich größere Macht in der Mitte auf. Der Name Reuter aber stand wie der Name Brandt für ein besseres Deutschland, eines, das sich gegen Hitler aufgelehnt hatte. Darum konnte der Daimler-Boss umso leichter die Interessen des jetzt wiedervereinigten Landes formulieren und selbstbewusst vertreten.

Briefing durch den Premier

Wir landeten gegen Mittag in Stockholm. Obwohl das nicht meine erste exklusive Reise mit der Top-Elite war, hatte ich mich immer noch nicht an die Privilegien dieser Schichten gewöhnt – zum Beispiel daran, dass für Wirtschaftsmagnaten und erst recht für Milliardäre Staatsgrenzen damals schon keine wirklichen Hindernisse mehr bildeten. Oft starteten wir mit einem der Konzern-Jets von Privatstartbahnen und landeten jenseits der deutschen Grenzen und abseits der normalen Flughafen- und Zollterminals. In diesem Fall begrüßte uns der schwedische Geheimdienst direkt auf dem Rollfeld, aber nur um uns zu begleiten und nicht um uns zu kontrollieren. Das Team griff uns mit gepanzerten Limousinen auf und eskortierte uns hinter abgedunkelten Scheiben bis ins Stadtzentrum.

Ich war etwas aufgekratzt, ob alles wie geplant klappen würde. Der Luxus und die Sonderbehandlung waren zwar angenehm, aber ich war ähnlich gespannt wie mein Chef, was uns erwartete. Besonders irritiert war ich, als die Wagenkolonne nicht in Richtung der exklusiven Villenquartiere abbog, sondern direkt ins Zentrum raste. Reuter eröffnete mir, dass wir spontan den Plan ändern würden. Er murmelte etwas von einem Spezial-Briefing …

»Was für ein Briefing?«, hakte ich nervös nach, denn ich hatte in wochenlanger Arbeit die Briefings für die Verhandlungen und seine Auftritte vorbereitet.

»Erst mal lassen wir uns vom Ministerpräsidenten briefen … Carl Bildt hat persönlich Zeit … Er will uns instruieren, wer hier was … Sie wissen schon, die Stimmung … für oder gegen Deutschland … außerdem will er mit Schweden in die EU …«

Als alter Fuchs holte Reuter sich immer gerne Informationen aus erster Hand. Tatsächlich saßen wir kurz darauf zu dritt bei einem Kaffee im Rosenbad, dem schwedischen Regierungssitz. Bildt deutete als konservativer Politiker sogar seine Vorbehalte gegenüber den Wallenbergs an. Die Macht der Milliardärsfamilien nahm damals neue Dimensionen an.

Reuter hatte stark unter den deutschen Milliardärsdynastien gelitten, die trotz oder auch wegen zweier Weltkriege ihre Vermögen vermehrt hatten. Er vertrat umso nachdrücklicher den Vorrang der Politik und der Demokratie vor den Interessen der Wirtschaft. Auch deswegen baten ihn Helmut Schmidt und andere mehrmals, Bundesfinanzminister unter einem SPD-Kanzler zu werden. Bekanntlich verlor die SPD mehrere Wahlen gegen den amtierenden Kanzler Kohl, sodass es nie dazu kam.

Reuter verteidigte gegenüber Bildt die Wiedervereinigung Berlins und der gesamten Nation, weil das auch der Lebenstraum seiner Familie gewesen war. Der schwedische Ministerpräsident und er sahen aber übereinstimmend neue Gefahren für Deutschland und Europa heraufziehen. Denn die führenden Kreise der USA und Großbritanniens huldigten plötzlich einem ungezügelten Kapitalismus und wollten die europäischen Konzerne dem neoliberalen Shareholder-Value-Prinzip der Chicago-Schule unterwerfen. Reuter suchte Verbündete dagegen, aber der neoliberale Carl Bildt erwies sich als dafür ungeeignet. Schweden leidet so noch heute an den Folgen der amerikanisierten Politik der Ära Bildt.

In der Bunkervilla

In der Dämmerung passierten Reuter und ich schließlich mit der Wagenkolonne die Einfahrt zu dem streng bewachten Anwesen der Wallenbergs. Reuter schilderte mir hier, an dem Ort, von dem aus die Familie viele Juden Europas vor der Vernichtung rettete, alte Erinnerungen – auch solche an seinen Vater. Dieser gehörte tatsächlich nach dem Ersten Weltkrieg zur roten Avantgarde Europas. Schon Lenin hatte ihn als »brillanten, aber unabhängigen Kopf«4 bezeichnet und ihn sogar als Sowjetkommissar für den Wiederaufbau Russlands engagiert. Die Nationalsozialisten schickten Ernst Reuter, nachdem er in Deutschland Oberbürgermeister von Magdeburg geworden war, in den 30er-Jahren immer wieder ins KZ – bis er sich mit Frau und Sohn ins Ausland absetzte. Nach dem Krieg wurde er dann zum Bürgermeister von Berlin gewählt – und zum Helden gegen die russische Blockade. Er rettete die Stadt vor dem Einmarsch und der Besetzung.

In den darauffolgenden Jahren gab er seine alten Verbindungen zu den Kreisen der Emigration und des Widerstands nie auf. Dazu zählten unter anderem der schwedische Nobelpreisträger Gunnar Myrdal, der deutsche Generalstaatsanwalt und Eichmann-Jäger Fritz Bauer und nicht zuletzt Marion Gräfin Dönhoff, die damalige Herausgeberin der Zeit. Einer, der auch zu diesen Zirkeln zählte, aber seine Rettungsaktionen für hunderte verfolgte Juden in Ungarn noch vor Kriegsende mit dem Leben bezahlte, war Raoul Wallenberg gewesen. All diese alten Verbindungen erklärten, warum sich das schwere Eisentor für uns an diesem Novemberabend öffnete.

Peter Wallenberg begrüßte Edzard Reuter als alten Freund. Wir stellten gleich fest, dass die Familie traditionell gepolt war: Nur die Söhne des Hauses waren anwesend und auch sonst handelte es sich um eine reine Männerrunde.

Machtzirkel privater Art

Peter Wallenberg stellte uns den anderen Gästen vor und wir konnten unser Erstaunen kaum verbergen: Peter Wallenberg präsentierte uns fast das komplette Kabinett der schwedischen Regierung und darüber hinaus die Konzernbosse der Weltkonzerne Volvo, Scania und Asea Brown Boveri – die, wie wir bald merkten, zu spuren hatten, wenn er nur mit dem Finger schnippte.

Nach ein paar Gläsern Ruinart-Champagner und härteren Drinks bat Wallenberg meinen Chef, auf einem roten Sofa neben ihm Platz zu nehmen, vor dem zwei Stuhlreihen für die übrigen Gäste auf­gebaut waren. Beide Bosse erläuterten uns von dort aus im Zwie­gespräch ihre Sicht der Dinge. Die hochrangige Politik- und Managementmannschaft hörte wie kleine Schuljungen zu und durfte anschließend artige Fragen stellen – mein mürrischer Stuhlnachbar stellte sich mir übrigens als kein anderer als der schwedische Verteidigungsminister vor.

Ich verstand jetzt einige der Andeutungen des Ministerpräsidenten Bildt besser: Die Elite dieses Landes versammelte sich nicht etwa um ihn als vom Volk gewähltes Staatsoberhaupt, sondern wie selbstverständlich um einen Privatmann, der zwar honorig, aber nie gewählt worden war und über den die Öffentlichkeit fast nichts wusste. In diesem Rauchersalon vereinten sich Macht und Einfluss des schwedischen Reichstags und der Finanzelite. Es fehlte nur noch der Herausgeber der wichtigsten schwedischen Tageszeitung – die sich ebenfalls im Besitz der Familie befand –, dann wäre auch die Medienelite bei diesem informellen Stelldichein, bei dem schwerwiegende Entscheidungen angebahnt wurden, vertreten gewesen. Und wie durch Zufall begrüßte uns ebendieser Herausgeber im Auftrag Wallenbergs am nächsten Abend zu einem Galadinner …

Hier sammelte sich die geballte Geld-, Politik- und publizistische Macht in den Händen einer Einzelperson – und das in einem der angeblich demokratischsten Staaten Europas. Wurde das Land also von einem Familienclan gesteuert?

Elitenkritik

Reuter und ich verfassten nach unserer Rückkehr nach Deutschland nicht ohne Grund eine grundsätzliche Elitenkritik.5 Unser Motiv dabei: Unser eigenes Land, das gerade ein autoritäres Regime abgeschüttelt hatte, durfte auf keinen Fall in eine solche Herrschaft der Wenigen auf Kosten der Vielen hineingeraten. Das hätte fatale Folgen. Dann würde das Misstrauen sowohl der ostdeutschen Neubürger als auch der westdeutschen Altbürger gegen die neue Berliner Republik wachsen – ein Misstrauen gegen eine Republik, auf die Reuter so stolz war. Denn er, sein Vater und Willy Brandt hatten viele Opfer in ihrem Leben dafür gebracht und immer auf die Einheit der Nation in Freiheit hin gefiebert.

Mich hatten die in Stockholm versammelten einflussreichen Gestalten durchaus beeindruckt. Es handelte sich meiner Meinung nach einerseits um stark geläuterte liberale Eliten. Manche hatten ihre Werte unter großen Risiken in Krieg und Widerstand erkämpft. Aus dieser Erfahrung heraus wollten sie ein besseres Europa aufbauen. Aber andererseits hatten Krieg und Verfolgung sie offensichtlich mit einer Art Paranoia infiziert. Viele von ihnen schienen sich lieber jenseits des Lichts der Öffentlichkeit zu bewegen und sich im Zweifel jeder Kontrolle, auch der demokratischen, zu entziehen. Offensichtlich wurden sie außerdem durch eine tiefsitzende Skepsis gegenüber der breiten Bevölkerung geprägt. Ihr Überleben suggerierte manch einflussreichem Mitglied dieser Kreise, die höhere politische Weisheit zu besitzen. Hierin lag einer ihrer Hauptfehler.

Ein weiterer bestand darin, dass sie der neuen neoliberalen Ideologie der Führungsmacht USA eine Chance gaben. Sie bereiteten damit – teilweise ohne es zu wollen – einer skrupellosen Ära des Hyperkapitalismus den Boden.

2. Von »Hyänen«, »Elefanten« und »Gorillas« – was ich unter gemischten Raubtiergruppen erlebte

»Die Hyäne geht auch an Elefantenfleisch, und deren Haut ist verdammt hart.«6

Top-Manager-Aussage über den Daimler-CEO Jürgen Schrempp

Nach Auffassung vieler zählen in Deutschland Persönlichkeiten wie diejenige von Ferdinand Piëch oder die eines Clemens Tönnies zu den Vertretern eines neuen hemmungslosen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts. Die globale Klasse der USA brachte den ersten»globalen Betrüger« hervor: Bernard Madoff. Umso mehr moralische Abscheu provozierte der Vertreter der globalen Superklasse, Jeffrey Epstein. Sein Fall deckte die enge Vernetzung einer skrupellosen Businesskaste mit der Politikkaste auf: Schließlich war Epstein ein Freund von Prominenten wie Prinz Andrew, Bill Clinton und Bill Gates.7 Bis herauskam, dass er Kinder und Jugendliche mit seinem in den Elitekreisen bekannten »Lolita Express« auf seine »Insel der Orgien«, die Privatinsel Little Saint James in der Karibik, gebracht und dort sexuell missbraucht hatte.8

Ich selbst sollte einige der ersten Exemplare dieser neuen kapitalistischen Ära hautnah und persönlich kennenlernen. Ich erfuhr, dass die neuen Geldkasten gerne Insider-Bezeichnungen aus dem Dschungel-Milieu verwandte: Bestimmte Top-Manager wurden entweder als »Hyäne«, »Elefant« oder auch als »Gorilla« bezeichnet.

Ich selbst arbeitete nach diesem Sprachgebrauch der Business-Insider für den »Elefanten«. So bezeichneten Managerkreise offensichtlich meinen Chef Edzard Reuter, der den Daimler-Konzern mit harter Hand führte. Mit der »Hyäne« wiederum war Jürgen Schrempp gemeint. Ihm soll dieser Name angeblich in Südafrika verpasst worden sein, wo er als höchster Repräsentant des Daimler-Konzerns residierte: »Er weiß, wann er sich ein Maul voll Fraß holen kann und wann er sein Maul halten soll,« sagte ein Südafrikaner über Schrempp, der ihn persönlich erlebt hat. Schrempp verliebte sich in das Land des Apartheid-Regimes. Und er wurde zum passionierten Großwildjäger. Symptomatisch wurde sein Wahlspruch: »Die Hyäne geht auch an Elefantenfleisch, und deren Haut ist verdammt hart.«9

»Elefant« »und »Hyäne«

Im Daimler-Konzern wurde das etwas später anders verstanden. Der Spruch kam zwar aus der Dschungelsprache, wurde aber jetzt zur indirekten Drohung, dass die »Hyäne« Schrempp den »Elefanten« Reuter zu Fall bringen wollte.

Zwei Jahre nach der Reise von Reuter und mir zu den Wallenbergs war es so weit. Es kam zum Showdown, zu dem schon länger erwarteten finalen Machtkampf zwischen dem roten CEO, Reuter, und Schrempp, den er über Jahre als seinen »Ziehsohn« aufgebaut hatte und der sein Nachfolger werden sollte. Doch der ehemalige Rüstungsmanager Schrempp gehörte angeblich zu der neuen Raubtiergeneration und verwandelte sich offensichtlich rasch von einem Freund und Partner in einen äußerst gefährlichen Angreifer.